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Ich erinnere mich, daß ich hie und da in den Straßen von M. einen Mann von gedrücktem Aussehen herumschleichen sah, der besonders rasch und scheu auf die Seite wich, wenn ihm einer der Beamten des Städtchens begegnete. Es mochte weiter Niemand mit ihm zu thun haben, obschon er äußerlich unbescholten und ein fleißiger Mann war. Was es aber war, das die Leute von ihm scheuchte und seinem Auge den scheuen Blick gab, das sagten sich nur hie und da im Vertrauen ein Paar ältere Leute, denen seine Geschichte bekannt war.
Er war ein Schuster, und vor etwa dreißig Jahren als schmucker Bursche von der Wanderschaft zurückgekehrt. Das halbe Städtchen war damals zusammengelaufen, als es hieß: »des Steiners Wilhelm ist von der Wanderschaft da und hat eine Frau mitgebracht von »da drinnen 'raus,« und sie hat Kleider, schöner als die Frau Oberrichterin, und schwätzt ganz wälsch.« Wirklich hatte er ein gar hübsches, fein aussehendes Weibchen bei sich, das ihm aus Sachsen, wo er bei ihrem Vater in Arbeit gestanden hatte, in's Schwabenland gefolgt war. Es gab viel Verwunderns, Redens und Fragens, seine »Freund'« konnten sich lange nicht darein finden, das zarte, »herrenmäßig« aussehende Frauenzimmer als ihres Wilhelms Weib anzusehen; besonders war ihr fremder Dialekt ein Gegenstand des Erstaunens und heimlichen Gekichers.
Er hatte ihr goldene Berge versprochen, dem guten Kind, bis sie sich entschlossen hatte, ihre Heimath zu verlassen: wie es eine gar schöne und fürnehme Stadt sei, wo er daheim, und fast das ganze Jahr Sommer, wie er sein eigen Haus dastehen habe, und wie bei ihm zu Haus ein Schuhmacher noch etwas ganz anderes vorstelle als in Sachsen. Auch sei von M. noch Keiner so weit herum gekommen wie er, da könne es ihm gar nicht fehlen, die allerbeste Kundschaft zu bekommen, er werde Geld verdienen wie Heu. Dann lasse er sie alle zwei Jahre in einer Kutsche heimführen zum Besuch bei ihren Aeltern. Was sagt ein Mensch nicht alles, um zu seinem Zweck zu kommen!
Der Wilhelm mochte wohl ein gut Theil davon selbst glauben und fast eben so enttäuscht werden wie sein junges Weib, als er durch die krummen Straßen seiner Vaterstadt zog und sie in die trübe Hinterstube eines baufälligen Hauses führte, das sein Antheil an dem väterlichen Nachlaß war, und zu dem er noch als Ausding den »Bide,« einen blödsinnigen Vetter, zu übernehmen hatte, der seither bei seiner Schwester in der Kost gewesen war.
Die junge Frau schickte sich indeß so gut sie konnte, auch that der Wilhelm sein Möglichstes, ihr doch für den Anfang einen guten Eindruck zu geben. Er veranstaltete im Gasthofe eine Nachfeier seiner Hochzeit, die in Sachsen begangen worden war, wozu er die ganze Verwandtschaft einlud, und der Stadtzinkenist, ein Schulkamerad von ihm, blies dabei eine vielbekannte Weise, die gewöhnlich bei Hochzeiten gespielt wird, und der der Volkswitz den traurigen Text unterlegt hat:
Du meinst wir blasen dir Wecken und Wein, Und wir blasen dich in's Elend 'nein. |
Ein Glück, daß das Weibchen nichts wußte von dem Text, sonst hätte ihr die Musik wie eine böse Mahnung an ihre traurige Zukunft klingen können. Obgleich sie bereits eine Regung von Heimweh spürte, so strengte sie sich doch an, freundlich zu sein, und wenigstens mit einem Lächeln auf die vielen Fragen zu antworten, die sie in der breiten schwäbischen Mundart gar nicht verstand. – So lang die Familie noch vermuthete, sie sei reich, wurde sie von dieser recht »geehrt,« auch hie und da aus Neugierde von einer der angesehenen Bürgersfrauen zu einem Kaffee eingeladen, weil man sie gern über ihre Heimath ausfragen und ihr »g'späßiges Gewälsch« anhören mochte.
Nun sollte die Haushaltung der jungen Leute beginnen. Hinsichtlich des Vermögens seines Weibes hatte sich Wilhelm sehr getäuscht, ein Paar hübsche Kleider und Häubchen bildeten den Hauptbestandteil ihrer Mitgift, die nebst seinen geringen Ersparnissen eben hinreichte, um die ersten Einkäufe an Hausrath und Leder zu bestreiten. Doch gab's in der ersten Zeit Arbeit in Hülle und Fülle; Jedermann wollte sehen, wie's der Wilhelm nun verstehe, seit er »so weit 'rum« gewesen sei und so fürnehm spreche; denn er redete eigentlich noch viel sächsischer als seine Frau.
Ein Paar junge Herrn bestellten sich bei Wilhelm Stiefeln, in der Hoffnung, die hübsche Meistersfrau zu sehen, und sogar des Herrn Oberamtmanns Töchter ließen sich Schuhe bei ihm machen. Leider war aber seine Arbeit gar nicht so vortrefflich, und da er, um recht schnell zu der gerühmten Einnahme zu kommen, die gewöhnlichen Preise verdoppelte, so verlor sich die Kundschaft bald und er hatte nur noch in der Verwandtschaft zu arbeiten, wo man ihm den halben Preis abdingte und auch diese Hälfte kaum bezahlte.
Die Karoline, seine Frau, konnte sich aber eben gar nicht zurechtfinden in dem schwäbischen Hauswesen. Schon am ersten Tag hatte sie ihren Wilhelm gefragt, ob er denn auch schon ein »Mehdchen« gemiethet habe? Der Wilhelm, um sie noch bei guter Laune zu erhalten, vertröstete sie, man könne eine Magd erst auf's Ziel dingen, sie müsse sich eben indeß behelfen; Holz und Wasser könne ihr ja der Bide tragen. Vor dem Bide und seinem simpelhaften Lachen fürchtete sich aber Karoline entsetzlich und wagte kaum ihn anzusehen; er hingegen schien großes Wohlgefallen an ihr zu finden, was er ihr durch freundliches Angrinsen und allerlei Geberden zu zeigen suchte. Er nannte sie immer »Mädle,« eines der wenigen Worte, die er aussprechen konnte und mit dem er nur junge hübsche Gestalten bezeichnete.
So sollte nun Karoline die Haushaltung besorgen, daneben dem Mann im Handwerk helfen und mit ihren zarten weichen Händen aus rauhem Hanf den Schustersdraht spinnen, sollte kochen, waschen und putzen, alles allein. Obgleich selbst eine Schusterstochter, war sie der harten Arbeit ungewohnt; sie hatte ihre feinen Händchen fast nur zum Spitzenklöppeln gebraucht, eine Arbeit, die hier Niemand schätzte und begehrte. In der Familie verlor sich die Bewunderung für sie gar bald, als sich herausstellte, wie sie eben in der Haushaltung »gar nichts« sei; die Schwägerin schlug die Hände über dem Kopf zusammen, als sie nach Thee fragte, um ihn zum Abendessen zu bereiten: »das habe sie ihr Lebtag nicht gehört, daß »sottige« (solche) Leut' beim gesunden Leib Thee trinken, das solle sie den Privatleuten lassen und Wassersuppe kochen und einen Hafen voll Grundbirnen.« Als es aber gar im Städtchen bekannt wurde, daß sie auf die saure Milch Zucker und Zimmt gestreut habe, da berief man den Wilhelm wo er ging und stand, um sein hoffährtiges und »aushausiges« Weib, die so wunderliche Bräuch' anfange, so daß er oft ganz wild heimkam.
Als nun nach und nach die Kundschaft ausblieb und das Geld immer seltener wurde, als Leder bezahlt werden sollte und nichts dazu im Hause war, als das Weib für die Haushaltung mehr Geld in Einem Tage verbrauchte, wie die Schwester meinte, als sie in acht, da wurde der Mann mehr und mehr übler Laune. Er vergaß, was er selbst wohl hätte wissen können, daß der Frau ein schwäbischer Haushalt fremd sein mußte, und ließ es immer härter sie entgelten, daß er sie getäuscht. Das arme Weib strengte sich nach Kräften an, ihn zufrieden zu stellen, aber da Niemand sie mit Liebe zurecht wies, griff sie's immer ungeschickt an. Der Bide stand ihr treulich bei, wo er konnte, und sie gewöhnte sich an ihn; ja das arme Kind wurde bald froh, in dem Grinsen dieser halbthierischen Züge und seinen unbeholfenen Hülfeleistungen die Beweise einer Zuneigung und Freundlichkeit zu sehen, die sie vergeblich suchte bei dem Manne, dem zu lieb sie Vater und Mutter verlassen hatte. Sie verkaufte heimlich ihre ganze Kleiderherrlichkeit, weil sie des Mannes Schelten und Toben über ihren Hausverbrauch fürchtete. Ihr Herz hatte an den Fähnchen gehangen, sie waren ja noch von daheim! Es war ihr, als sei sie nun allein auf der Welt, als sie ihr letztes gutes Kleid um geringes Geld in die Hände einer Unterkäuferin gegeben hatte.
Um seine Wahl besser in's Licht zu stellen und das geringe Beibringen seiner Frau zu beschönigen, hatte Steiner die Verwandten versichert, sein Schwiegervater sei eigentlich reich, er habe nur nichts »von ihm geben können,« weil gar viel in Geschäft stecke, aber wenn's an's Erben gehe, bekomme sein Weib noch schwer Geld. Da kam aber eines Tags aus Sachsen die Botschaft, Michael Lange, der Vater der Schusterin, sei gestorben, und sein Nachlaß habe eben zugereicht, die Schulden zu decken. – So war denn Beiden die letzte Hoffnung vereitelt, dem Wilhelm auf das Erbe des Schwiegervaters, das er sich doch selbst besser vorgestellt hatte, der Karoline die Aussicht auf die Heimkehr, die noch ihr einziger Trost gewesen war. Auf die Kutsche hatte sie längst verzichtet, das arme Kind, sie wäre ja gerne mit bloßen Füßen heimgewandert, und nun erst, da ihr die Heimath abgestorben war – ihre Mutter war längst todt – bemächtigte sich ihrer ein verzehrendes Heimweh, das sie immer untauglicher machte zu den Hausgeschäften.
Zwei Kinder, die sie geboren hatte, vermehrten nur ihr Unglück; der Mann gestattete kein Kindsmädchen, er meinte, der Bide könne wohl die Kinder zu Zeiten hüten; auch ging der Bide wirklich mit grinsender Zärtlichkeit und möglichster Vorsicht mit den Kleinen um. Aber der vermehrten Arbeit bei geschwächtem Körper und immer größerer Verarmung war Karoline nicht gewachsen, und als die Kinder, schon schwächlich im Lebenskeim, im zarten Alter dahinstarben, da bemächtigte sich ihrer immer tiefere Schwermuth. Der Bide betrachtete sie oft traurig, wenn er sie so in stummem Jammer dasitzen sah, und schob ihr sein eigenes, sparsam zugeschnittenes Brodstück hin: »da, Mädle, iß!«, weil er kein Leid kannte, als den Hunger.
Der Mann, um der Trübsal seines Hauswesens zu entfliehen, verfiel auf den gewöhnlichen Ausweg der Leute seines Schlages, er legte sich auf's Trinken. Daß dieß das Schicksal des armen Weibes nicht verbesserte, läßt sich denken. – Eines Abends hörte man ein wildes Geschrei in Steiners Hause, man eilte herzu und fand Steiner ringend mit dem Bide, der eine bis dahin Allen unbekannte bärenmäßige Stärke zeigte; man konnte den Schuster kaum von ihm los machen. Das Weib lag in dumpfem Schluchzen am Boden mit verhülltem Gesicht und antwortete auf keine Frage. Erst nach und nach brachte man von Steiner selbst heraus, daß er sein Weib mit Schlägen mißhandeln wollen, der Bide aber sich wie wüthend dazwischen geworfen und ihn fast umgebracht hätte. Von da an sprach das Weib kein Wort mehr; die Hände vor's Gesicht geschlagen, saß sie den ganzen Tag in einem Winkel der Stube, nur hie und da schlich sie leis wie ein Schatten umher, um die notdürftigste Nahrung zu nehmen. Der Bide aber hütete sie den ganzen Tag mit großer Sorgfalt und ließ den Schuster ihr nicht nahe kommen; Nachts, wenn er genöthigt war, seine Schlafstätte zu suchen, zog er langsam rücklings ab und drohte dem Mann noch mit geballter Faust. – Steiner mußte nothgedrungen eine Magd halten, aber das bleiche Weib schien die Flüche nicht mehr zu vernehmen, die er wegen dieser vermehrten Ausgabe über sie hindonnerte.
Eines Morgens vor Tag läutete es am Hause des Ortschirurgen. Er glaubte ein Gespenst zu sehen, als die schwermüthige Schustersfrau unten stand, die von Vielen fast vergessen war, weil sie so lange nicht mehr an's Tageslicht gekommen. Entsetzt sah er, als er sie einließ, daß ihr Kleid voll Blut war. Mit leiser Stimme, aber in ganz ruhigem Tone und mit klaren vernünftigen Worten sagte sie ihm, ihr Mann habe sie in's Herz gestochen, sie werde nun sterben. Sie entblößte ihre Brust und zeigte eine tiefe Wunde am Herzen, die augenscheinlich mit der Ahle gemacht war. Der Chirurg verband das ohnmächtig gewordene Weib eilends und ließ sie nach Hause bringen. Den Schuster fand man hinten im Höfchen mit verstörtem Aussehen. Er sagte, er suche sein Weib, sie sei vor Tag aufgestanden, habe das Haus verlassen, er fürchte, sie habe sich ein Leid gethan, seine Ahle sei blutig. Wirklich fand man in der Stube neben dem Bett die blutige Ahle am Boden. Das arme Weib aber erwachte nicht mehr zu Leben und Besinnung, sie starb vor Abend.
Die Bodenkammer, wo der Bide schlief, war von außen fest verriegelt; der Schuster sagte, das habe immer so sein müssen, damit dem unvernünftigen Menschen kein Leid geschehe. Der Bide polterte an der Thür, bis man öffnete. Als er in die Stube kam, wo das sterbende Weib lag, fiel er mit einem entsetzlichen Jammergebrüll bei ihr nieder, dann stürzte er sich wie wüthend auf den Schuster und konnte kaum von ihm losgemacht werden.
Der Schuster ward auf die Aussage des Chirurgen vor Gericht gefordert. Er läugnete hartnäckig, seinem Weib ein Leid gethan zu haben. »Es wisse ja Jedermann, daß sie schwermüthig sei und daß solche Leute immer an Selbstmord denken; sie habe schon lang sich etwas am Leben thun wollen, er habe ihr deßhalb kein Instrument in der Hand gelassen; nun habe sie aber doch die Ahle erwischt.« – Das arme Opfer war auf ewig verstummt, ihr gestörter Geisteszustand war bekannt, kein Kläger konnte mehr auftreten. Der Schuster wurde von der Instanz entbunden. Den Bide konnte man nicht mehr in seinem Hause lassen, jener wäre seines Lebens nicht sicher gewesen, man brachte den Blödsinnigen im Armenhaus unter.
Aber fortan schlich der Schuster fast so still und bleich umher wie einst sein armes Weib, das in der fremden Erde eine bessere Ruhe gefunden als auf derselben. Niemand sprach mit ihm, und wo er von ferne den Richter sah, vor dem er in Untersuchung gewesen, da lenkte er weit ab, um ihm nicht zu begegnen. – Er beerbte einen entfernt wohnenden kinderlosen Bruder und wurde ein vermöglicher Mann, aber er hatte keine Freude daran. Lange Jahre schleppte er ein freudeloses Leben hin, und als er starb, folgten nur die nächsten Anverwandten seiner Bahre. Sie gruben aber sein Grab weit ab von dem seines Weibes, damit das ungerächte Opfer den Todten nicht auftreiben möge aus seiner Ruhe.