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Am nächsten Morgen überbrachte ein Lohndiener dem Rittmeister ziemlich früh ein Billet. Beim Oeffnen fiel eine Visitenkarte heraus. Sie trug den Namen Erhardt von Tannensee. Der Graf war Abends vorher angekommen und noch in derselben Nacht mit Courierpferden weiter gereist.
»Er war es also doch!« sagte von Birkenfeld sinnend, indem seine Hand das auf dem Tische liegende Medaillon erfaßte und ein leiser Druck auf die Feder ihm das Portrait der Geliebten enthüllte. Er betrachtete die schönen, weichen Züge des intelligenten Gesichtes lange, und ein Gefühl von Wehmuth bemächtigte sich seiner, je mehr er sich in die Betrachtung des ihm so theuern Bildes vertiefte.
»Und sie sieht ihr doch ähnlich wie eine Zwillingsschwester!« sprach er dann seufzend und die Kapsel wieder zudrückend. Er schritt das Zimmer einige Male auf und nieder, und trat sodann an's Fenster, die draußen Vorübergehenden gleichgiltig betrachtend.
»Woher mag die Signora den Grafen kennen?« fuhr er in seinem Selbstgespräch fort. »Er war seit Jahren nicht in Italien, und die Signora kommt zum ersten Male, wie man allgemein wissen will, von dorther nach Deutschland! ... Erfahren muß ich, wie dies zusammenhängt, und zwar noch vor meiner Abreise nach Schloß Tannensee, die jetzt nach des Grafen längst gewünschter Rückkehr keinen Aufschub mehr erleidet.«
Ein lautes Klopfen unterbrach den Rittmeister in seinem Selbstgespräch. Dem noch lauteren Herein! folgte der Eintritt eines Officierburschen, der eine ganze Hand voll Briefe dem Erstaunten einhändigte.
»Von wem?« fragte Birkenfeld, ehe er die Züge der Handschriften betrachtete.
»Der gnädige Herr finden die Adressen,« lautete des Burschen commandoartige Erwiderung. »Mir ist befohlen, die Briefe nur abzugeben. Habe die Ehre, mich dem Herrn Rittmeister respektvoll zu empfehlen.«
Dieser schob jetzt einen Armstuhl an's Fenster und begann die Briefe, einen nach dem andern, zu erbrechen. Jeder enthielt eine Karte, die außer dem Namen des Absenders nur die bei allen ganz gleichlautenden Worte enthielt:
»Tausend Pardons! Wir bekennen allesammt unsern Irrthum!«
Der Rittmeister legte sämmtliche Karten der Reihe nach vor sich hin und schlug kopfschüttelnd die Arme über der Brust zusammen.
»Ich begreife gar nicht, was das bedeuten soll!« sagte er endlich, ab und an einen Blick auf die Straße werfend, wo es jetzt von Minute zu Minute lebhafter ward. »Ich erinnere mich doch nicht, daß irgend einer dieser Herren, die sich ja ohnehin meine Freunde nennen, mich verletzt hat, und doch bitten mich Alle gleichlautend um Verzeihung? ... Das fasse, wer kann! ...
Er nahm die erhaltenen Karten nochmals auf und unterwarf jede einzelne einer sehr genauen Untersuchung.
»Sie könnten nachgemacht sein – dergleichen Dinge sind schon vorgekommen – und irgend ein recht bösartiger Schuft, der Freude hat am Unglück Anderer, beabsichtigt, Unkraut in unsere Freundschaft zu säen ... Nein, diese ist ächt – das ist die Hand Hohenorts – das da – des Generals von Haustein Lapidarschrift. – So kritzelt der Kammerjunker von Löwenzahn, – so, der kleine, bewegliche Major, Freiherr von Breitenstirn ... Die Kleckse des Premier-Lieutenants, der uns das schöne Märchen von der Italienern erzählte, kenne ich auch, und wenn diese mädchenhaft saubere Perlschrift nicht der Feder des leichtfertigen Fähndrichs Appenzell entsprungen ist, so will ich –«
Plötzlich hielt Birkenfeld inne in seinem Selbstgespräch, ließ sämmtliche Karten fallen und fuhr sich mit der Hand über die Stirn. Die Verwandlung des blonden Fähndrichs, sein auffallendes Wesen, seine Eile, die ihn in sichtbarer Angst am vorigen Abend von seiner Seite trieb, fielen dem Rittmeister wieder ein.
»Findet zwischen jener eiligen Entfernung und diesen um Verzeihung bittenden Karten ein Zusammenhang statt?« fuhr er aufgeregt fort. Sein Blick fiel wieder auf's Fenster und die draußen vorüberziehende geschäftige Menge.
»General von Haustein Arm in Arm mit dem Baron von Hohenort?« sagte er, aufstehend und das Fenster öffnend. »Wahrhaftig, sie steuern auf meine Wohnung zu ... Und dort aus der langen Seitenstraße sehe ich auch den Fähndrich in lebhaftem Gespräch mit dem Kammerjunker dieselbe Richtung einschlagen! ... Kein Zweifel, alle diese Herren haben mir gleichzeitig einen Besuch zugedacht! Aber vermaledeit will ich sein, wenn ich weiß oder nur vermuthe, was in aller Welt mir die Ehre dieses Besuches Befreundeter en masse und zu dieser Stunde verschafft!« ...
Rittmeister von Birkenfeld zog sich zurück und schloß das Fenster. Keiner von seinen Freunden, die alle in lebhafte Gespräche vertieft waren, hatte ihn gesehen, und er selbst wollte sich nicht merken lassen, daß er um ihr Kommen wisse. Gemächlich im Divan Platz nehmend und in der neuesten Zeitung blätternd, erwartete er die Freunde.
Es klopfte auch wirklich gleich darauf, diesmal aber trat auf des Rittmeisters Herein! der Postbote in's Zimmer. Er überreichte von Birkenfeld ein Packet mit dem gräflichen Wappen der Tannensee.
»Endlich« rief er erfreut aus, das Siegel schnell lösend und den Inhalt des Packets musternd. Dasselbe enthielt außer Briefen von seiner Braut und Schwiegermutter einige Verlobungskarten, denen er schon so lange mit Sehnsucht entgegengesehen hatte. Der Brief Bianca's athmete Liebe und Zärtlichkeit. Die Comtesse erkundigte sich angelegentlich nach seinem Befinden, scherzte anmuthig über die üble Angewohnheit junger Männer, sich gleich jeder Kleinigkeit wegen zu raufen, sprach aber auch die Hoffnung aus, er werde nunmehr ihr zu Liebe diese Gewohnheit ablegen. Die Gräfin Tannensee schrieb eben so förmlich und kühl, wie sie sich im persönlichen Verkehr mit Andern zeigte. Ihr Brief enthielt eigentlich nur geschäftliche Anzeigen: daß sie der Ankunft des Grafen Erhardt stündlich entgegensehe; daß sie, um demselben eine angenehme Ueberraschung zu bereiten, die Ankündigung der Verlobung genau auf diesen Tag verschoben habe, und dergleichen mehr. Schließlich sprach sie die Hoffnung aus, den Rittmeister nächstens auf Schloß Tannensee begrüßen zu können.
»Zur guten Stunde,« sagte von Birkenfeld sehr befriedigt, die Briefe in sein Portefeuille legend und einen Blick voll Frohsinn und Glück auf die Namen heftend, welche die elegante Karte zeigte. Da hörte er die muntere Frage:
»Ist's erlaubt, Herr von Birkenfeld?«
Schon an der Stimme erkannte der Rittmeister den Baron von Hohenort, welcher, ohne sich vorher anmelden zu lassen, die Thür behutsam geöffnet hatte und jetzt in's Zimmer trat. »Wenn ich störe, komme ich später wieder,« fügte er seiner Frage hinzu.
»Im Gegentheil, werther Herr Baron,« erwiderte der Rittmeister, »ich begrüße Sie aufs Freudigste. Wie könnte ich auch anders in dem Augenblicke, wo der sehnlichste Wunsch meines Herzens, die schönste Hoffnung meines Lebens in Erfüllung gegangen ist! Hier, bester Hohenort! Ich hoffe, ein ehrlich gemeinter Glückwunsch von Ihrer Seite wird nicht ausbleiben.« Mit triumphirender Miene hielt der Rittmeister dem Baron die so eben in seine Hände gelangte Karte vor, die seine Verlobung mit der Comtesse Bianca von Tannensee aller Welt verkündigte.
Hohenort wußte sich vollkommen zu beherrschen, als er die Namen las, sein Blick aber ruhte nur kurze Zeit auf der vorgehaltenen Karte, denn ihm ganz nahe auf dem Tische lag die goldene Kapsel, welche das für ihn und seine Freunde verhängnißvoll gewordene Miniaturportrait der Braut des Rittmeisters verbarg.
»Eine angenehmere Mittheilung, liebster Birkenfeld, hätten Sie mir in der That nicht machen können,« sagte er heiter und unbefangen. »Sie wissen, wie großen Antheil ich an Allem nehme, was Sie betrifft, und wie ich Ihnen gern meinen Beistand anbot, als damals der schwatzhafte Premier-Lieutenant –«
»Apropos,« unterbrach der Rittmeister den Baron, schnell dem Fenster zuschreitend und hier die vor Kurzem erhaltenen Visitenkarten mit beiden Händen zusammenraffend, »was sollen denn eigentlich diese Spottvögel, die mir alle in ein und derselben Weise die Melodie eines langgezogenen Pardon vorsingen, bedeuten? Ist das etwa eine neu aufgekommene Art, guten Freunden zu gratuliren, oder versteckt sich hinter der lächelnden Maske bitterer Ernst? Ich bekenne Ihnen ganz ehrlich, liebster Hohenort, daß mein Witz mich vollkommen im Stiche läßt.«
Der Baron sah den Rittmeister forschend an, als wünsche er die geheimsten Gedanken desselben zu errathen. Der Gesichtsausdruck Birkenfelds beruhigte ihn.
»Wenn Sie noch einige Augenblicke Zeit haben für Ihre alten Freunde, Cameraden und Bekannten,« erwiderte von Hohenort, »so bin ich von allen Denen, deren Karten Sie empfingen, beauftragt, Sie für heute Mittag zu einem recht fröhlichen und ungenirten Junggesellen-Diner einzuladen. Es wird in unserm alten gemüthlichen Locale, im Caffeehause an der Ecke des großen Marktes, servirt. Sie kommen doch?«
»Noch bin ich frei,« versetzte der Rittmeister mit Pathos. »Von morgen an fesseln mich zarte und heilige Bande. Meine vorige Frage aber muß ich dennoch wiederholen. Ist's Scherz, ist's Ernst? Verbirgt sich in diesem mir unverständlichen Pardon ein tiefer, geheimnißvoller Sinn?«
»Von meinen Auftraggebern mit unbedingter Vollmacht ausgerüstet, kann ich auch diese Frage beantworten,« sagte Baron von Hohenort. Darauf erinnerte er den Rittmeister an das Rencontre mit General von Haustein, und was in Folge desselben sich später zugetragen hatte.
»Sie selbst, lieber Birkenfeld, waren es, der mich aufforderte, das Medaillon dort an mich zu nehmen, damit es nicht etwa vom Blute benetzt werde,« schloß der Baron seine Mittheilung.
»Das Porträt meiner Braut – ich erinnere mich dessen sehr wohl.«
»Die Kapsel öffnete sich durch Zufall, und außer mir sahen die bewunderungswürdig schönen Züge der Comtesse Bianca von Tannensee auch noch einige Andere.«
»Die hoffentlich nicht davor zurückbebten, Baron.«
»Man war erstaunt –«
»Ueber Bianca's Schönheit?«
»Auch, mehr noch wohl über die Aehnlichkeit des Portraits mit –«
»Mit – mit ... Graziosa ... Feliciani?« fiel Birkenfeld ein.
»Sie finden es selbst?«
Der Rittmeister war plötzlich sehr bleich geworden.
»Lieber Baron,« sprach er, das Medaillon an seine Lippen drückend, »was ich erst seit gestern Abend weiß, was mich während Graziosa's hinreißender Darstellung bis zur Gedankenlosigkeit verwirrte, davon hatte ich an jenem Tage noch keine Ahnung! ... Und Sie, Baron? ... Und unsere Freunde? ... Sie glaubten? ...«
»Nichts, worin Sie eine Beleidigung oder Ehrenkränkung erblicken könnten,« fiel von Hohenort ein. »Ihre Verlobung mit Comtesse Bianca von Tannensee war für die Gesellschaft noch ein Geheimniß, nur Einige von uns, gegen welche Sie in heiterer Stunde Ihres Glückes, Ihres Triumphes Erwähnung gethan hatten, wußten darum. Wer mochte es Ihnen verdenken, wenn eine mit seltener Schönheit begabte Zauberin momentan auch in Ihr Herz sich einzuschleichen verstanden hätte?«
Der Rittmeister war sehr erregt. Er grollte dem Zufall, welcher den Freunden Anlaß zu Vermuthungen gegeben hatte, die er in ganz gleicher Lage höchst wahrscheinlich getheilt haben würde.
»Der gestrige Abend,« fuhr der Baron fort, »und eine kurz hingeworfene Aeußerung von Ihnen, die der gute Appenzell in größter Bestürzung uns und den Wenigen, die um unsere Vermuthung wußten, überbrachte, hat uns bedauern lassen, daß wir so leichtgläubig waren. Wir hielten Rath, was zu thun sein möge und was sich für uns zieme, ohne daß wir unserer eigenen Ehre zu nahe träten. Unser Beschluß ist Ihnen seitdem bekannt geworden, und als Mann von Ehre werden Sie – davon sind wir allesammt überzeugt – die Hände offenherziger Freunde, die sich Ihnen vereint entgegenstrecken, gewiß nicht von sich stoßen.« Der Rittmeister ließ die erhaltenen Visitenkarten nochmals durch seine Finger gleiten.
»Können Sie mir Ihr Ehrenwort geben, daß außer den hier sich Nennenden Niemand um Ihr Geheimniß wußte? fragte er den Baron.«
»Nur wir kannten das Miniatur-Portrait in der goldenen Kapsel,« antwortete von Hohenort mit festem, ernsten Tone.
»Dann hat für mich Ihre Vermuthung nicht existirt,« versetzte der Rittmeister, schob die Karten zusammen und legte sie in ein verborgenes Fach seines Secretairs. »Hier können die Spottvögel nicht zwitschern,« fuhr er fort. »Vielleicht drehe ich Ihnen aber doch später der größeren Sicherheit wegen mit barbarischer Hand die Hälse ab und übergebe sie gemeinschaftlich der verzehrenden Flamme ...«
Dem Baron ward nach diesen mit edlem Freimuth gesprochenen Worten des Rittmeisters um Vieles leichter. Der ihm gewordene Auftrag war mißlich genug und hätte wohl schwerlich so schnell zu einem glücklichen Resultate geführt, wäre ihm nicht die erheiterte Stimmung des Freundes auf halbem Wege entgegengekommen. Von Birkenfeld hielt jetzt den Baron noch fest, um die Frage an ihn zu richten, ob er in Erfahrung gebracht habe, wie Signora Feliciani nach ihrem fatalen Unfälle während der gestrigen Vorstellung sich befinde »Ich kann nicht in Abrede stellen,« setzte er hinzu, »daß ich gerade seit gestern diese Dame mit eigenthümlichem Interesse betrachte. Wüßte ich eine Form zu finden, um mit derselben in Verbindung zu treten, so würde ich keinen Anstand nehmen, mich ihr zu nähern. Die Erzählung des Premier-Lieutenants kann ja doch ein Körnchen Wahrheit enthalten.«
»Signora Feliciani kannte den Grafen von Tannensee,« bemerkte der Baron.
»Daß sie ihn kannte, ist wohl noch zu beweisen, daß sie seinen Namen nannte, habe ich selbst gehört.«
»Sollte eben diese namentliche Begrüßung nicht auf eine frühere Begegnung Beider schließen lassen?«
»Der Graf lebte in Aegypten, Signora Feliciani. kam aus Italien zu uns!«
»Aber in früheren Jahren besuchte Graf von Tannensee das classische Land der Kunst und Geschichte längere Zeit.«
»Allerdings,« sagte der Rittmeister, »doch ist dies selbst nach General von Hausteins Versicherung so lange her, daß ein Mädchen von dem Alter der schönen Signora aus jener Zeit unmöglich noch eine Erinnerung mit sich umhertragen kann.«
Der Baron schwieg, obwohl ihm noch eine andere, nahe liegende Frage auf den Lippen schwebte. Er hoffte halb und halb, von Birkenfeld werde diese Frage selbst aufwerfen, dies geschah jedoch nicht. Der Rittmeister sprang etwas hastig auf andere Gegenstände über und gab dadurch zu erkennen, daß es ihm angenehmer sei, wenn man das bisher erörterte Thema, das sich so ohne Weiteres doch nicht ergründen lasse, nicht ferner berühre. Da es nun unzart gewesen wäre, von Neuem darauf zurückzukommen, so beachtete der Baron den schweigend erhaltenen Wink des nicht nachtragend zu nennenden Freundes und ging willig auf die veränderte Gesprächsrichtung ein, die Beide erheiterte. Erst gegen Mittag verließ der Baron den Rittmeister, von diesem das Versprechen mitnehmend, daß er sich pünktlich bei dem Junggesellen-Diner einfinden werde.