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Das dritte Stück dieser Abhandlung, von dem Wachstume und dem Falle der griechischen Kunst, geht nicht weniger als das vorige Stück auf das Wesen derselben, und es werden hier verschiedene allgemeine Betrachtungen des vorigen Teils durch merkwürdige Denkmale der griechischen Kunst näher und genauer bestimmt.
Die Kunst unter den Griechen hat wie ihre Dichtkunst, nach Scaligers Angeben, vier Hauptzeiten, und wir könnten deren fünf setzen. Denn so wie eine jede Handlung und Begebenheit fünf Teile und gleichsam Stufen hat, den Anfang, den Fortgang, den Stand, die Abnahme und das Ende, worin der Grund liegt von den fünf Auftritten oder Handlungen in theatralischen Stücken, ebenso verhält es sich mit der Zeitfolge derselben: da aber das Ende derselben außer die Grenzen der Kunst geht, so sind hier eigentlich nur vier Zeiten derselben zu betrachten. Der ältere Stil hat bis auf den Phidias gedauert; durch ihn und durch die Künstler seiner Zeit erreichte die Kunst ihre Größe, und man kann diesen Stil den großen und hohen nennen; von dem Praxiteles an bis auf den Lysippus und Apelles erlangte die Kunst mehr Grazie und Gefälligkeit, und dieser Stil würde der schöne zu benennen sein. Einige Zeit nach diesen Künstlern und ihrer Schule fing die Kunst an zu sinken in den Nachahmern derselben, und wir könnten einen dritten Stil der Nachahmer setzen, bis sie sich endlich nach und nach gegen ihren Fall neigte.
Der ältere Stil
Bei dem älteren Stile sind erstlich die übriggebliebenen vorzüglichen Denkmale in demselben, ferner die aus denselben gezogenen Eigenschaften und endlich der Übergang zu dem großen Stil zu betrachten. Man kann keine älteren und zuverlässigeren Denkmale des ältern Stils als 181 einige Münzen anführen, von deren hohem Alter das Gepräge und ihre Inschrift Zeugnis geben, und denselben füge ich einen Carneol des Stoschischen Musei bei . . .
Münzen als Denkmale
Die Inschrift geht auf diesen Münzen sowohl als auf dem Steine rückwärts, das ist von der Rechten zur Linken; diese Art zu schreiben aber muß geraume Zeit vor dem Herodotus aufgehört haben. Denn da dieser Geschichtschreiber einen Gegensatz der Sitten und Gebräuche der Ägypter gegen die Griechen macht, führt er an, daß jene auch im Schreiben das Gegenteil von diesen getan und von der Rechten zur Linken geschrieben haben; eine Nachricht, welche zu einiger Bestimmung der Zeit in der Art zu schreiben unter den Griechen, soviel ich weiß, noch nicht bemerkt ist. Es führt Pausanias an, daß unter der Statue des Agamemnon zu Elis (welche eine von den acht Figuren des Onatas war, die diejenigen vorstellten, welche sich erboten hatten zum Lose, mit dem Hektor zu fechten) die Schrift von der Rechten zur Linken gegangen; welche etwas Seltenes auch an den ältesten Statuen scheint gewesen zu sein: denn er meldet dieses von keiner andern Inschrift auf Statuen.
Unter den ältesten Münzen sind die von einigen Städten in Groß-Griechenland, sonderlich die Münzen von Sybaris, von Caulonia und von Posidonia oder Pästum in Lukanien. Die erstern können nicht nach der zweiundsiebzigsten Olympias, in welcher Sybaris von den Krotoniatern zerstört worden, gemacht sein, und die Formen der Buchstaben in dem Namen dieser Stadt deuten auf viel frühere Zeiten. Der Ochse auf diesen und der Hirsch auf Münzen von Caulonia sind ziemlich unformlich: auf sehr alten Münzen dieser Stadt ist Jupiter, sowie Neptunus auf Münzen der Stadt Posidonia, von schönerem Gepräge, aber im Stile, welcher insgemein der etrurische heißt. Neptunus hält sein dreizackiges Zepter wie eine Lanze, im Begriffe zu stoßen und ist wie Jupiter nackend, außer daß er sein zusammengenommenes Gewand über beide Arme geworfen hat, als wenn ihm dasselbe statt eines Schildes dienen sollte; so wie Jupiter auf einem geschnittenen Steine seine Ägis um seinen linken Arm gewickelt hat. Auf diese Art fochten zuweilen die 182 Alten in Ermangelung des Schildes, wie Plutarchus von Alcibiades und Livius von Tiberius Gracchus berichtet. Das Gepräge dieser Münzen ist auf der einen Seite hohl und auf der andern erhoben, nicht wie es einige kaiserliche Münzen haben, wo das hohle Gepräge der einen Seite ein Versehen ist; sondern auf jenen Münzen zeigen sich offenbar zwei verschiedene Stempel, welches ich an dem Neptunus deutlich dartun kann. Wo derselbe erhoben ist, hat er einen Bart und krause Haare; hohl geprägt ist er ohne Bart und mit gleichen Haaren; dort hängt das Gewand vorwärts über den Arm und hier hinterwärts; dort geht an dem Rande umher ein Zierat, wie von zwei weitläufig geflochtenen Stricken, und hier ist derselbe einem Kranze aus Ähren ähnlich; das Zepter ist auf beiden Seiten erhaben.
Es ist im übrigen nicht darzutun, wie jemand ohne Beweis angibt, daß das Gamma der Griechen nicht lange nach der fünfzigsten Olympias nicht Γ, sondern C geschrieben worden, wodurch die Begriffe von dem ältern Stile aus Münzen zweifelhaft und widersprechend werden würden. Denn es finden sich Münzen, auf welchen gedachter Buchstabe in seiner ältern Form vorkommt, die gleichwohl ein vorzügliches Gepräge haben; unter denselben kann ich eine Münze der Stadt Gela in Sizilien, geschrieben CΕΛΑΣ mit einer Biga und dem Vorderteil eines Minotaurs anführen. Ja man kann das Gegenteil von jenem Vorgeben unter andern aus einer Münze der Stadt Segesta in Sizilien, mit dem runden Gamma dartun, welche, wie ich im zweiten Teile dieser Geschichte hoffe darzutun, lange nach dieser Zeit und in der CXXXIV. Olympias geprägt worden.
Daß die Begriffe der Schönheit oder vielmehr, daß die Bildung und Ausführung derselben den griechischen Künstlern nicht wie das Gold in Peru wächst, ursprünglich mit der Kunst eigen gewesen, bezeugen sonderlich sizilianische Münzen, welche in folgenden Zeiten alle andern an Schönheit übertroffen. Ich urteile nach seltenen Münzen von Leontium, Messina, Segesta und Syrakus in dem Stoschischen Museo . . . Die Köpfe auf diesen Münzen sind gezeichnet wie der Kopf der Pallas auf den ältesten atheniensischen Münzen, kein Teil derselben hat eine schöne Form, folglich auch das Ganze nicht; die Augen sind lang und platt gezogen; der Schnitt des Mundes geht aufwärts; das Kinn ist 183 spitzig und ohne zierliche Wölbung; und es ist bedeutend genug zu sagen, daß das Geschlecht an den weiblichen Köpfen fast zweifelhaft ist. Gleichwohl ist die Rückseite nicht allein in Absicht des Gepräges, sondern auch der Zeichnung der Figur zierlich. Wie aber ein großer Unterschied ist unter der Zeichnung im kleinen und im großen, und von jener nicht auf diese kann geschlossen werden, so war es leichter, eine zierliche kleine Figur etwa einen Zoll groß als einen Kopf von eben der Größe schön zu zeichnen. Die Bildung dieser Köpfe hat also nach der angegebenen Form die Eigenschaft des ägyptischen und etrurischen Stils und ist ein Beweis der in den drei vorhergehenden Kapiteln angezeigten Ähnlichkeit der Figuren dieser drei Völker in den ältesten Zeiten.
Der sterbende Othryades
Gleiches Altertum mit angeführten Münzen scheint der sterbende Othryades in dem Stoschischen Museo zu haben. Die Arbeit ist nach der Schrift auf demselben griechisch und stellt den sterbenden Spartaner Othryades nebst einem andern verwundeten Krieger vor, wie jener sowie dieser sich den tödlichen Pfeil aus der Brust zieht und zugleich das Wort »dem Siege« auf seinen Schild schreibt. Die Argiver und Spartaner waren in Streit über die Stadt Thyrea und machten auf beiden Seiten von jeder Nation dreihundert Mann aus, die gegeneinander fechten sollten, um ein allgemeines Blutvergießen zu verhindern. Diese sechshundert Mann blieben alle auf dem Platze, außer zwei von den Argivern und von den Spartanern dem einzigen Othryades, welcher, so tödlich verwundet er war, alle Kräfte sammelte und von den Waffen der Argiver eine Art eines Siegeszeichens zusammenlegte. Auf einem von den Schildern deutete er den Sieg auf seiten der Spartaner mit seinem Blute an. Dieser Krieg geschah ungefähr zur Zeit des Crösus. Die Skribenten, unter welchen Herodotus der erste ist, sind verschieden in Erzählung dieser merkwürdigen Begebenheit; zu dieser Untersuchung aber ist hier nicht der Ort. Die Arbeit des Steins ist mit Fleiß ausgeführt, und es fehlt den Figuren nicht an Ausdruck, die Zeichnung derselben aber ist steif und platt, die Stellung gezwungen und ohne Grazie. Wenn wir betrachten, daß keiner von andern Helden des Altertums, deren Tod merkwürdig ist, 184 auf gleiche Weise sein Leben geendigt, und daß des Othryades Tod ihn auch bei den Feinden von Sparta verehrt gemacht (denn seine Statue war zu Argos), so ist wahrscheinlich, daß diese Vorstellung auf niemand anders deuten könne. Wollte man annehmen, daß dieser Held bald nach seinem Tode ein Vorwurf der Künstler geworden, welches die rückwärts geschriebene Schrift auf dessen Schilde wahrscheinlich macht, und da dessen Tod zwischen der fünfzigsten und sechzigsten Olympias wird zu setzen sein, so würde die Arbeit dieses Steins uns den Stil von Anakreons Zeit zeigen. Es würde folglich demselben der bekannte Smaragd des Polykrates [des] Herrn von Samos, welchen Theodorus, der Vater des Telekles, geschnitten, in der Arbeit ähnlich gewesen sein.
Alte Plastik
Was die Werke der Bildhauerkunst in diesem älteren Stile betrifft, so führe ich, wie überhaupt von andern Werken der Kunst, keine an, als die ich selbst gesehen und genau untersuchen können; daher ich von einer der ältesten erhobenen Arbeiten in der Welt, welche in England ist, in Absicht meines gegenwärtigen Vorhabens nicht reden kann. Es stellt dasselbe Werk einen jungen Ringer vor, welcher vor einem sitzenden Jupiter steht, ich zeige dasselbe zu Anfang des zweiten Teiles an. Den ältern Stil glauben die Liebhaber des Altertums in einem erhobenen Werke im Campidoglio zu finden, welches drei weibliche Bacchanten nebst einem Faun vorstellt, mit der Unterschrift ΚΑΛΛΙΜΑΧΟΣ ΕΠΟΙΕΙ. Callimachus soll derjenige sein, welcher sich niemals ein Genüge hat tun können, und weil er tanzende Spartanerinnen gemacht hat, so hält man jenes für dieses. Die Schrift auf demselben ist mir bedenklich: sie kann nicht für neu gehalten werden, aber sehr wohl schon vor alters nachgemacht und untergeschoben worden sein, ebenso wie der Name des Lysippus an einem Herkules in Florenz, welcher alt ist, aber so wenig als die Statue selbst von der Hand dieses Künstlers sein kann. Eine griechische Arbeit von dem Stile des Werkes im Campidoglio müßte nach den Begriffen, die wir von den Zeiten des Flors der Kunst haben, älter sein; Callimachus aber kann nicht vor dem Phidias gelebt haben; die ihn in die sechzigste Olympias setzen, haben nicht den mindesten Grund und irren sehr gröblich. Und wenn auch dieses anzunehmen wäre, so könnte 185 kein Χ in dem Namen desselben sein; dieser Buchstabe wurde viel später von Simonides erfunden; Callimachus müßte geschrieben sein ΚΑΛΛΙΜΑΚΗΟΣ oder ΚΑΛΙΜΑΚΟΣ wie in einer alten amykleischen Inschrift. Pausanias setzte ihn unter die großen Künstler herunter; also muß er zu einer Zeit gelebt haben, wo es möglich gewesen wäre, ihnen in der Kunst beizukommen. Ein Bildhauer dieses Namens ist ferner der erste gewesen, welcher mit dem Bohrer gearbeitet hat; der Meister des Laokoon aber, welcher aus der schönsten Zeit der Kunst sein muß, hat den Bohrer an den Haaren, an dem Kopfe und in den Tiefen des Gewandes gebraucht. Callimachus der Bildhauer soll ferner das korinthische Kapitäl erfunden haben; Skopas aber, der berühmte Bildhauer, baute in der sechsundneunzigsten Olympias einen Tempel mit korinthischen Säulen; also hätte Callimachus zur Zeit der größten Künstler und vor dem Meister der Niobe, welches vermutlich Skopas ist (wie im zweiten Teile wird untersucht werden) und vor dem Meister des Laokoon gelebt, welches sich mit der Zeit, die aus der Ordnung der Künstler, in welcher ihn Plinius setzt, zu ziehen ist, nicht wohl reimt. Hierzu kommt, daß dieses Stück zu Horta, einer Gegend, wo die Etrurier wohnten, gefunden worden; welcher Umstand allein viel Wahrscheinlichkeit gibt, daß es ein Werk etrurischer Kunst sei, von welcher es alle Eigenschaften hat.
Sowie man dieses Werk für eine griechische Arbeit hält, so würden auf der andern Seite die im vorigen Kapitel angeführten drei schön gemalten irdenen Gefäße des Mastrillischen Musei zu Neapel und eine Schale in dem königlichen Museo zu Portici für etrurisch angesehen worden sein, wenn nicht die griechische Schrift auf denselben das Gegenteil zeigte.
Merkmale des älteren Stils
Von diesem älteren Stile würden deutlichere Kennzeichen zu geben sein, wenn sich mehrere Werke in Marmor und sonderlich erhobene Arbeiten erhalten hätten, aus welchen wir die älteste Art ihrer Figuren zusammenstellen und hieraus den Grad des Ausdrucks der Gemütsbewegungen erkennen könnten. Wenn wir aber wie von dem Nachdrucke in Angebung der Teile an ihren kleinen Figuren auf Münzen, auf größere, 186 auch auf den nachdrücklichen Ausdruck der Handlungen schließen dürfen, so würden die Künstler dieses Stils ihren Figuren heftige Handlungen und Stellungen gegeben haben; so wie die Menschen aus der Heldenzeit, von welchen die Künstler ihre Vorwürfe machen, der Natur gemäß handelten und ohne ihren Neigungen Gewalt anzutun. Dieses wird wahrscheinlich durch Vergleichung mit den etrurischen Werken, denen jene ähnlich gehalten werden.
Wir können überhaupt die Kennzeichen und Eigenschaften dieses ältern Stils kürzlich also begreifen: die Zeichnung war nachdrücklich, aber hart; mächtig, aber ohne Grazie, und der starke Ausdruck verminderte die Schönheit. Dieses aber ist stufenweise zu verstehen, da wir unter dem ältern Stile den längsten Zeitlauf der griechischen Kunst begreifen; so daß die spätern Werke von den ersteren sehr verschieden gewesen sein werden.
Dieser Stil würde bis in die Zeiten, da die Kunst in Griechenland blühte, gedauert haben, wenn dasjenige keinen Widerspruch litte, was Athenäus vom Stesichorus vorgibt, daß dieser Dichter der erste gewesen, welcher den Herkules mit der Keule und mit dem Bogen vorgestellt: denn es finden sich viele geschnittene Steine mit einem so bewaffneten Herkules in dem ältern und zuvor angedeuteten Stile. Nun hat Stesichorus mit dem Simonides zu gleicher Zeit gelebt, nämlich in der zweiundsiebzigsten Olympias oder um die Zeit, da Xerxes wider die Griechen zog; und Phidias, welcher die Kunst zu ihrer Höhe getrieben, blühte in der achtundsiebzigsten Olympias: es müßten also besagte Steine kurz vor oder gewiß nach jener Olympias gearbeitet sein. Strabo aber gibt eine viel ältere Nachricht von den dem Herkules beigelegten Zeichen; es soll diese Erdichtung von Pisander herrühren, welcher, wie einige wollen, mit dem Eumolpus zu gleicher Zeit gelebt hat und von andern in die dreiunddreißigste Olympias gesetzt wird: die ältesten Figuren des Herkules haben weder Keule noch Bogen gehabt, wie Strabo versichert.
Übergang zum hohen Stil
Die Eigenschaften dieses ältern Stils waren unterdessen die Vorbereitungen zum hohen Stil der Kunst und führten diesen zur strengen 187 Richtigkeit und zum hohen Ausdruck: denn in der Härte von jenem offenbart sich der genau bezeichnete Umriß und die Gewißheit der Kenntnis, wo alles aufgedeckt vor Augen liegt. Auf eben diesem Wege würde die Kunst in neueren Zeiten durch die scharfen Umrisse und durch die nachdrückliche Andeutung aller Teile vom Michelangelo zu ihrer Höhe gelangt sein, wenn die Bildhauer auf dieser Spur geblieben wären. Denn wie in Erlernung der Musik und der Sprachen dort die Töne und hier die Silben und Worte scharf und deutlich müssen angegeben werden, um zur reinen Harmonie und zur flüssigen Aussprache zu gelangen: ebenso führt die Zeichnung nicht durch schwebende, verlorene und leicht angedeutete Züge, sondern durch männliche, obgleich etwas harte und genau begrenzte Umrisse zur Wahrheit und zur Schönheit der Form. Mit einem ähnlichen Stile erhob sich die Tragödie zu eben der Zeit, da die Kunst den großen Schritt zu ihrer Vollkommenheit machte, in mächtigen Worten und starken Ausdrücken, von großem Gewichte, wodurch Äschylus seinen Personen Erhabenheit und der Wahrscheinlichkeit ihre Fülle gab.
Was insbesondere die Ausarbeitung der Werke der Bildhauerei aus dieser Zeit betrifft, von welchen sich in Rom nichts erhalten hat, so sind dieselben vermutlich mit dem mühsamsten Fleiße geendigt gewesen, wie sich aus einigen angeführten etrurischen Werken und aus sehr vielen der ältesten geschnittenen Steine schließen läßt. Man könnte dieses auch aus den Stufen des Wachstums der Kunst in neuern Zeiten mutmaßen. Die nächsten Vorgänger der größten Männer in der Malerei haben ihre Werke mit unglaublicher Geduld geendigt und zum Teil durch Ausführung der allerkleinsten Sachen über ihre Gemälde, denen sie die Großheit nicht geben konnten, einen Glanz auszubreiten gesucht; ja die größten Künstler, Michelangelo und Raffael, haben gearbeitet, wie ein britischer Dichter lehrt: »Entwirf mit Feuer und führe mit Phlegma aus.«
Man merke zu Ende der Betrachtung über diesen ersten Stil das unwissende Urteil eines französischen Malers über die Kunst, welcher setzt, man nenne alle Werke Antiken, von der Zeit Alexanders des Großen bis auf den Phokas: die Zeit, von welcher er anrechnet, ist so wenig richtig als diejenige, mit welcher er endigt. Wir sehen aus dem 188 vorigen, und es wird sich im folgenden zeigen, daß noch jetzt ältere Werke als von Alexanders Zeiten sind; das Alter in der Kunst aber hört auf vor dem Constantin. Ebenso haben diejenigen, welche mit dem P. Montfaucon glauben, daß sich keine Werke griechischer Bildhauer erhalten haben als von der Zeit an, da die Griechen unter die Römer kamen, viel Unterricht nötig.
Der hohe Stil
Seine Merkmale
Endlich, da die Zeiten der völligen Erleuchtung und Freiheit in Griechenland erschienen, wurde auch die Kunst freier und erhabner. Der ältere Stil war auf ein Systema gebaut, welches aus Regeln bestand, die von der Natur genommen waren und sich nachher von derselben entfernt hatten und idealisch geworden waren. Man arbeitete mehr nach der Vorschrift dieser Regeln als nach der Natur, die nachzuahmen war: denn die Kunst hatte sich eine eigene Natur gebildet. Über dieses angenommene Systema erhoben sich die Verbesserer der Kunst und näherten sich der Wahrheit der Natur. Diese lehrte aus der Härte und von hervorspringenden und jäh abgeschnittenen Teilen der Figur in flüssige Umrisse zu gehen, die gewaltsamen Stellungen und Handlungen gesitteter und weiser zu machen und sich weniger gelehrt als schön, erhaben und groß zu zeigen. Durch diese Verbesserung der Kunst haben sich Phidias, Polycletus, Skopas, Alkamenes und Myron berühmt gemacht: der Stil derselben kann der große genannt werden, weil außer der Schönheit die vornehmste Absicht dieser Künstler scheint die Großheit gewesen zu sein. Hier ist in der Zeichnung das Harte von dem Scharfen wohl zu unterscheiden, damit man nicht z. B. die scharf gezogene Andeutung der Augenbrauen, die man beständig in Bildungen der höchsten Schönheit sieht, für eine unnatürliche Härte nehme, welche aus dem ältern Stile geblieben sei: denn diese scharfe Bezeichnung hat ihren Grund in den Begriffen der Schönheit, wie oben bemerkt worden.
Es ist aber wahrscheinlich und aus einigen Anzeigen der Skribenten zu schließen, daß der Zeichnung dieses hohen Stils das Gerade 189 einigermaßen noch eigen geblieben, und daß die Umrisse dadurch in Winkel gegangen, welches durch das Wort viereckig oder eckig scheint angedeutet zu werden. Denn da diese Meister wie Polycletus Gesetzgeber in der Proportion waren und also das Maß eines jeden Teils auf dessen Punkt werden gesetzt haben, so ist nicht unglaublich, daß dieser großen Richtigkeit ein gewisser Grad schöner Form aufgeopfert worden. Es bildet sich also in ihren Figuren die Großheit, welche aber in Vergleichung gegen die wellenförmigen Umrisse der Nachfolger dieser großen Meister eine gewisse Härte kann gezeigt haben. Dieses scheint die Härte zu sein, welche man am Kalon und am Hegias, am Kanachus und am Kalamis, ja selbst am Myron auszusetzen fand; unter welchen gleichwohl Kanachus jünger war als Phidias: denn er war des Polycletus Schüler und blühte in der fünfundneunzigsten Olympias.
Es wäre zu beweisen, daß die alten Skribenten sehr oft wie die neuern von der Kunst geurteilt, und die Sicherheit der Zeichnung, die richtig und strenge angegebene Figuren des Raffael haben vielen gegen die Weichheit der Umrisse und gegen die rundlich und sanft gehaltenen Formen des Correggio hart und steif geschienen; welcher Meinung überhaupt Malvasia, ein Geschichtsschreiber der bolognesischen Maler ohne Geschmack, ist. Ebenso wie unerleuchteten Sinnen der homerische Numerus und die alte Majestät des Lucretius und Catullus in Vergleichung mit dem Glanze des Virgilius und mit der süßen Lieblichkeit des Ovidius vernachlässigt und rauh klingt. Wenn hingegen des Lucianus Urteil in der Kunst gültig ist, so war die Statue der Amazone Sosandra, von der Hand des Kalamis, unter die vier vorzüglichsten Figuren weiblicher Schönheit zu setzen: denn zu Beschreibung seiner Schönheit nimmt er nicht allein den ganzen Anzug, sondern auch die züchtige Miene und ein behendes und verborgenes Lächeln von genannter Statue. Unterdessen kann der Stil von einer Zeit in der Kunst so wenig, als in der Art zu schreiben, allgemein sein. Wenn von den damaligen Skribenten nur allein Thukydides übrig wäre, so würden wir von dessen bis zur Dunkelheit getriebenen Kürze in den Reden seiner Geschichte einen irrigen Schluß auf den Platon, Lysias und Xenophon machen, dessen Worte wie ein sanfter Bach fortfließen. 190
Die Albanische Pallas und die Mediceische Niobe
Die vorzüglichsten und man kann sagen die einzigen Werke in Rom aus der Zeit dieses hohen Stils sind, soviel ich es einsehen kann, die oft angeführte Pallas von neun Palmen hoch in der Villa Albani und die Niobe und ihre Töchter in der Villa Medicis. Jene Statue ist der großen Künstler dieser Zeit würdig, und das Urteil über dieselbe kann um so viel richtiger sein, da wir den Kopf in seiner ganzen ursprünglichen Schönheit sehen: denn es ist derselbe auch nicht durch einen scharfen Hauch verletzt worden, sondern er ist so rein und glänzend, als er aus den Händen seines Meisters kam. Es hat dieser Kopf bei der hohen Schönheit, mit welcher er begabt ist, die angezeigten Kennzeichen dieses Stils, und es zeigt sich in demselben eine gewisse Härte, welche aber besser empfunden als beschrieben werden kann. Man könnte in dem Gesichte eine gewisse Grazie zu sehen wünschen, die dasselbe durch mehr Rundung und Lindigkeit erhalten würde, und dieses ist vermutlich diejenige Grazie, welche in dem folgenden Alter der Kunst Praxiteles seinen Figuren zuerst gab, wie unten angezeigt wird. Die Niobe und ihre Töchter sind als ungezweifelte Werke dieses hohen Stils anzusehen, aber eins von den Kennzeichen derselben ist nicht derjenige Schein von Härte, welche in der Pallas eine Mutmaßung zur Bestimmung derselben gibt, sondern es sind die vornehmsten Eigenschaften zur Andeutung dieses Stils, der gleichsam unerschaffene Begriff der Schönheit, vornehmlich aber die hohe Einfalt, sowohl in der Bildung der Köpfe als in der ganzen Zeichnung, in der Kleidung und in der Ausarbeitung. Diese Schönheit ist wie eine nicht durch Hilfe der Sinne empfangene Idea, welche in einem hohen Verstande und in einer glücklichen Einbildung, wenn sie sich anschauend nahe bis zur göttlichen Schönheit erheben könnte, erzeugt würde; in einer so großen Einheit der Form und des Umrisses, daß sie nicht mit Mühe gebildet, sondern wie ein Gedanke erweckt und mit einem Hauche geblasen zu sein scheint. So wie die fertige Hand des großen Raffael, die seinem Verstande als ein schnelles Werkzeug gehorchte, mit einem einzigen Zuge der Feder den schönsten Umriß des Kopfes einer heiligen Jungfrau entwerfen und unverbessert richtig zur Ausführung bestimmt setzen würde. 191
Der schöne Stil
Zu einer deutlichern Bestimmung der Kenntnisse und der Eigenschaften dieses hohen Stils der großen Verbesserer der Kunst ist nach dem Verluste ihrer Werke nicht zu gelangen. Von dem Stile ihrer Nachfolger aber, welchen ich den schönen Stil nenne, kann man mit mehrerer Zuverlässigkeit reden: denn einige von den schönsten Figuren des Altertums sind ohne Zweifel in der Zeit, in welcher dieser Stil blühte, gemacht, und viele andere, von denen dieses nicht zu beweisen ist, sind wenigstens Nachahmungen von jenen. Der schöne Stil der Kunst hebt sich an von Praxiteles und erlangte seinen höchsten Glanz durch den Lysippus und Apelles, wovon unten die Zeugnisse angeführt werden; es ist also der Stil nicht lange vor und zur Zeit Alexanders des Großen und seiner Nachfolger.
Eigenschaften
Die vornehmste Eigenschaft, durch welche sich dieser von dem hohen Stile unterscheidet, ist die Grazie, und in Absicht derselben werden die zuletzt genannten Künstler sich gegen ihre Vorgänger verhalten haben, wie unter den Neuern Guido sich gegen den Raffael verhalten würde. Dieses wird sich deutlicher in Betrachtung der Zeichnung dieses Stils und des besondern Teils derselben, der Grazie, zeigen.
Was die Zeichnung allgemein betrifft, so wurde alles Eckige vermieden, was bisher noch in den Statuen großer Künstler, als des Polycletus, geblieben war, und dieses Verdienst um die Kunst wird in der Bildhauerei sonderlich dem Lysippus, welcher die Natur mehr als dessen Vorgänger nachahmte, zugeeignet: dieser gab also seinen Figuren das Wellenförmige, wo gewisse Teile noch mit Winkeln angedeutet waren. Auf besagte Weise ist vermutlich, wie gesagt ist, dasjenige, was Plinius viereckige Statuen nennt, zu verstehen: denn eine viereckige Art zu zeichnen heißt man noch jetzt Quadratur. Aber die Formen der Schönheit des vorigen Stils blieben auch in diesem zur Regel: denn die schönste Natur war der Lehrer gewesen. Daher nahm Lucianus in Beschreibung seiner Schönheit das Ganze und die Hauptteile von den Künstlern des hohen Stils und das Zierliche von ihren Nachfolgern. Die Form des Gesichts sollte wie an der Lemnischen Venus des Phidias sein; 192 die Haare aber, die Augenbrauen und die Stirn wie an der Venus des Praxiteles; in den Augen wünschte er das Zärtliche und das Reizende wie an dieser. Die Hände sollten nach der Venus des Alkamenes, eines Schülers des Phidias gemacht werden: und wenn in Beschreibungen von Schönheiten Hände der Pallas angegeben werden, so ist vermutlich die Pallas des Phidias, als die berühmteste, zu verstehen; Hände des Polycletus deuten die schönsten Hände an.
Überhaupt stelle man sich die Figuren des hohen Stils gegen die aus dem schönen Stile vor wie Menschen aus der Heldenzeit, wie des Homerus Helden und Menschen, gegen gesittete Athenienser in dem Flore ihres Staats. Oder um einen Vergleich von etwas Wirklichem zu machen, so würde ich die Werke aus jener Zeit neben dem Demosthenes, und die aus dieser nachfolgenden Zeit neben dem Cicero setzen: der erste reißt uns gleichsam mit Ungestüm fort; der andere führt uns willig mit sich: jener läßt uns nicht Zeit, an die Schönheiten der Ausarbeitung zu denken: und in diesem erscheinen sie ungesucht und breiten sich mit einem allgemeinen Lichte aus über die Gründe des Redners.
Über die Grazie
Zum zweiten ist hier von der Grazie, als der Eigenschaft des schönen Stils, insbesondere zu handeln. Es bildet sich dieselbe und wohnt in den Gebärden und offenbart sich in der Handlung und Bewegung des Körpers; ja sie äußert sich in dem Wurfe der Kleidung und in dem ganzen Anzuge: von den Künstlern nach dem Phidias, Polycletus und nach ihren Zeitgenossen wurde sie mehr als zuvor gesucht und erreicht. Der Grund davon muß in der Höhe der Ideen, die diese bildeten, und in der Strenge ihrer Zeichnung liegen, und es verdient dieser Punkt unsere besondere Aufmerksamkeit.
Gedachte große Meister des hohen Stils hatten die Schönheit allein in einer vollkommenen Übereinstimmung der Teile, und in einem erhobenen Ausdrucke, und mehr das wahrhaftig Schöne als das Liebliche gesucht. Da aber nur ein einziger Begriff der Schönheit, welcher der höchste und sich immer gleich ist und jenen Künstlern beständig gegenwärtig war, kann gedacht werden so müssen sich diese Schönheiten allezeit 193 diesem Bilde nähern und sich einander ähnlich und gleichförmig werden: dieses ist die Ursache von der Ähnlichkeit der Köpfe der Niobe und ihrer Töchter, welche unmerklich und nur nach dem Alter und dem Grade der Schönheit in ihnen verschieden ist. Wenn nun der Grundsatz des hohen Stils, wie es scheint, gewesen ist, das Gesicht und den Stand der Götter und Helden rein von Empfindlichkeit und entfernt von inneren Empörungen in einem Gleichgewichte des Gefühls und mit einer friedlichen immer gleichen Seele vorzustellen, so war eine gewisse Grazie nicht gesucht, auch nicht anzubringen. Dieser Ausdruck einer bedeutenden und redenden Stille der Seele aber erfordert einen hohen Verstand: »Denn die Nachahmung des Gewaltsamen kann,« wie Platon sagt, »auf verschiedene Weise geschehen; aber ein stilles, weises Wesen kann weder leicht nachgeahmt, noch das nachgeahmte leicht begriffen werden.«
Mit solchen strengen Begriffen der Schönheit fing die Kunst an, wie wohleingerichtete Staaten mit strengen Gesetzen, groß zu werden. Die nächsten Nachfolger der großen Gesetzgeber in der Kunst verfuhren nicht wie Solon mit den Gesetzen des Drako; sie gingen nicht von jenen ab: sondern wie die richtigsten Gesetze durch eine gemäßigte Erklärung brauchbarer und annehmlicher werden, so suchten diese die hohen Schönheiten, die an Statuen ihrer großen Meister wie von der Natur abstrakte Ideen und nach einem Lehrgebäude gebildete Formen waren, näher zur Natur zu führen, und eben dadurch erhielten sie eine größere Mannigfaltigkeit. In diesem Verstande ist die Grazie zu nehmen, welche die Meister des schönen Stils in ihre Werke gelegt haben.
Aber die Grazie, welche wie die Musen nur in zwei Namen bei den ältesten Griechen verehrt wurde, scheint wie die Venus, deren Gespielen jene sind, von verschiedener Natur zu sein. Die eine ist wie die himmlische Venus von höherer Geburt und von der Harmonie gebildet, und ist beständig und unveränderlich, wie die ewigen Gesetze von dieser sind. Die zweite Grazie ist wie die Venus von der Dione geboren, mehr der Materie unterworfen: sie ist eine Tochter der Zeit und nur eine Gefolgin der ersten, welche sie ankündigt für diejenigen, die der himmlischen Grazie nicht geweiht sind. Diese läßt sich herunter von ihrer 194 Hoheit und macht sich mit Mildigkeit, ohne Erniedrigung, denen, die ein Auge auf dieselbe werfen, teilhaftig: sie ist nicht begierig, zu gefallen, sondern nicht unerkannt zu bleiben. Jene Grazie aber, eine Gesellin aller Götter, scheint sich selbst genugsam und bietet sich nicht an, sondern will gesucht werden; sie ist zu erhaben, um sich sehr sinnlich zu machen: denn »das Höchste hat,« wie Plato sagt, »kein Bild.« Mit den Weisen allein unterhält sie sich, und dem Pöbel erscheint sie störrisch und unfreundlich; sie verschließt in sich die Bewegungen der Seele und nähert sich der seligen Stille der göttlichen Natur, von welcher sich die großen Künstler, wie die Alten schreiben, ein Bild zu entwerfen suchten. Die Griechen würden jene Grazie mit der ionischen und diese mit der dorischen Harmonie verglichen haben.
Diese Grazie in Werken der Kunst scheint schon der göttliche Dichter gekannt zu haben, und er hat dieselbe in dem Bilde der mit dem Vulcanus vermählten schönen und leichtbekleideten Aglaia oder Thalia vorgestellt, die daher anderswo dessen Mitgehilfin genannt wird, und arbeitete mit demselben an der Schöpfung der göttlichen Pandora. Dieses war die Grazie, welche Pallas über den Ulysses ausgoß, und von welcher der hohe Pindarus singt; dieser Grazie opferten die Künstler des hohen Stils. Mit dem Phidias wirkte sie in Bildung des olympischen Jupiter, auf dessen Fußschemel dieselbe neben dem Jupiter auf dem Wagen der Sonne stand: sie wölbte, wie in dem Urbilde des Künstlers, den stolzen Bogen seiner Augenbrauen mit Liebe und goß Huld und Gnade aus über den Blick seiner Majestät. Sie krönte mit ihren Geschwistern und den Göttinnen der Stunden und der Schönheiten das Haupt der Juno zu Argos als ihr Werk, woran sie sich erkannte . . . In der Sosandra des Kalamis lächelte sie mit Unschuld und Verborgenheit; sie verhüllte sich mit züchtiger Scham in Stirn und Augen und spielte mit ungesuchter Zierde in dem Wurfe ihrer Kleidung. Durch dieselbe wagte sich der Meister der Niobe in das Reich unkörperlicher Ideen und erreichte das Geheimnis, die Todesangst mit der höchsten Schönheit zu vereinigen: er wurde ein Schöpfer reiner Geister und himmlischer Seelen, die keine Begierden der Sinne erwecken, sondern eine anschauliche Betrachtung aller Schönheit wirken: denn sie scheinen nicht zur Leidenschaft gebildet zu sein, sondern dieselbe nur angenommen zu haben. 195
Die Künstler des schönen Stils gesellten mit der ersten und höchsten Grazie die zweite, und so wie des Homerus Juno den Gürtel der Venus nahm, um dem Jupiter gefälliger und liebenswürdiger zu erscheinen, so suchten diese Meister die hohe Schönheit mit einem sinnlichern Reize zu begleiten und die Großheit durch eine zuvorkommende Gefälligkeit gleichsam geselliger zu machen. Diese gefälligere Grazie wurde zuerst in der Malerei erzeugt und durch diese der Bildhauerei mitgeteilt. Parrhasius, der Meister, ist durch dieselbe unsterblich, und der erste, dem sie sich geoffenbart hat; und einige Zeit nachher erschien sie auch in Marmor und in Erz. Denn von dem Parrhasius, welcher mit dem Phidias zu gleicher Zeit lebte, bis auf den Praxiteles, dessen Werke sich, soviel man weiß, durch eine besondere Grazie von denen, welche vor ihm gearbeitet worden, unterschieden, ist ein Zwischenraum von einem halben Jahrhundert.
Es ist merkwürdig, daß der Vater dieser Grazie in der Kunst und Apelles, welchen sich dieselbe völlig eigen gemacht hat und der eigentliche Maler derselben kann genannt werden, so wie er dieselbe insbesondere allein, ohne ihre zwei Gespielinnen gemalt, unter dem wolllüstigen ionischen Himmel und in dem Lande geboren sind, wo der Vater der Dichter einige hundert Jahre vorher mit der höchsten Grazie begabt worden war: denn Ephesus war das Vaterland des Parrhasius und des Apelles. Mit einer zärtlichen Empfindung begabt, die ein solcher Himmel einflößt, und von einem Vater, den seine Kunst bekanntgemacht, unterrichtet, kam Parrhasius nach Athen und wurde ein Freund des Weisen, des Lehrers der Grazie, welcher dieselbe dem Platon und Xenophon entdeckte.
Das Mannigfaltige und die mehrere Verschiedenheit des Ausdrucks tat der Harmonie und der Großheit in dem schönen Stile keinen Eintrag: die Seele äußerte sich nur wie unter einer stillen Fläche des Wassers und trat niemals mit Ungestüm hervor. In Vorstellung des Leidens bleibt die größte Pein verschlossen wie im Laokoon, und die Freude schwebt wie eine sanfte Luft, die kaum die Blätter rührt, auf dem Gesichte einer Bacchante, auf Münzen der Insel Naxus. Die Kunst philosophierte mit den Leidenschaften, wie Aristoteles von der Vernunft sagt. 196
Darstellung von Kindern
Hätte sich der hohe Stil der Kunst nicht bis auf die unausgeführte Form junger Kinder heruntergelassen, und hätten die Künstler dieses Stils, deren vornehmste Betrachtung auf die vollkommenen Gewächse gerichtet war, sich in der überflüssigen Fleischigkeit nicht gezeigt, wie wir gleichwohl nicht wissen, so ist hingegen gewiß, daß ihre Nachfolger im schönen Stile, da sie das Zärtliche und Gefällige gesucht, auch die kindliche Natur einen Vorwurf ihrer Kunst sein lassen. Aristides, welcher eine tote Mutter mit ihrem säugenden Kinde an der Brust malte, wird auch ein mit Milch genährtes Kind gemacht haben. Die Liebe ist auf den ältesten geschnittenen Steinen nicht als ein junges Kind, sondern in der Natur eines Knaben gebildet, wie dieselbe auf einem schönen Steine des Commendators Vettori zu Rom erscheint. Nach der Form der Buchstaben in dem Namen des Künstlers ΦΡΥΓΙΛΛΟΣ ist es einer der ältesten Steine mit dem Namen des Künstlers. Die Liebe ist auf demselben liegend mit aufgerichtetem Leibe als spielend vorgestellt und mit großen Adlersflügeln, nach der Idea des hohen Altertums fast an allen Göttern, nebst einer offenen Muschel von zwei Schalen. Die Künstler nach dem Phrygillus, wie Solon und Tryphon, haben der Liebe eine mehr kindische Natur und kürzere Flügel gegeben; und in dieser Gestalt und nach Art Fiammingischer Kinder sieht man die Liebe auf unzähligen geschnittenen Steinen. Ebenso geformt sind die Kinder auf herkulanischen Gemälden und sonderlich auf einem schwarzen Grunde von gleicher Größe mit den schönen tanzenden weiblichen Figuren. Unter den schönsten Kindern von Marmor in Rom, welche die Liebe vorstellen, sind zwei im Hause Massini, einer im Palaste Verospi, ein schlafender Cupido in der Villa Albani, nebst dem Kinde im Campidoglio, welches mit einem Schwan spielt; und diese allein können dartun, wie glücklich die alten Künstler in Nachahmung der kindlichen Natur gewesen. Es sind auch außerdem viele wahrhaftig schöne Kinderköpfe übrig. Das allerschönste Kind aber, welches sich, wiewohl verstümmelt, aus dem Altertume erhalten hat, ist ein kindlicher Satyr, ungefähr von einem Jahre, in Lebensgröße, in der Villa Albani: es ist eine erhobene Arbeit, aber so, daß beinahe die ganze Figur freiliegt. Dieses Kind ist mit 197 Efeu bekränzt und trinkt, vermutlich aus einem Schlauche, welcher aber mangelt, mit solcher Begierde und Wollust, daß die Augäpfel ganz aufwärts gedreht sind und nur eine Spur von dem tief gearbeiteten Sterne zu sehen ist. Dieses Stück wurde, nebst dem schönen Icarus, dem Dädalus die Flügel angelegt, ebenfalls stark erhoben gearbeitet, an dem Fuße des Palatinischen Berges, auf der Seite des Circus Maximus, entdeckt. Ein bekanntes Vorurteil, welches sich gleichsam, ich weiß nicht wie, zur Wahrheit gemacht, daß die alten Künstler in Bildung der Kinder weit unter den neuern sind, würde also dadurch widerlegt.
Dieser schöne Stil der griechischen Kunst hat noch eine geraume Zeit nach Alexander dem Großen in verschiedenen Künstlern, die bekannt sind, geblüht, und man kann dieses auch aus Werken in Marmor, welche im zweiten Teile angeführt werden, ingleichen aus Münzen, schließen.
Der Stil der Nachahmer
Epigonentum, Eklektizismus, Dekadenz
Da nun die Verhältnisse und die Formen der Schönheit von den Künstlern des Altertums auf das höchste ausstudiert und die Umrisse der Figuren so bestimmt waren, daß man ohne Fehler weder herausgehen noch hineinlenken konnte, so war der Begriff der Schönheit nicht höher zu treiben. Es mußte also die Kunst, in welcher, wie in allen Wirkungen der Natur, kein fester Punkt zu denken ist, da sie nicht weiter hinausging, zurückgehen. Die Vorstellungen der Götter und Helden waren in allen möglichen Arten und Stellungen gebildet, und es wurde schwer, neue zu erdenken, wodurch also der Nachahmung der Weg geöffnet wurde. Diese schränkt den Geist ein, und wenn es nicht möglich schien, einen Praxiteles und Apelles zu übertreffen, so wurde es schwer, dieselben zu erreichen, und der Nachahmer ist alle Zeit unter dem Nachgeahmten geblieben. Es wird auch der Kunst wie der Weltweisheit ergangen sein, daß, so wie hier, also auch unter den Künstlern Eclectici oder Sammler aufstanden, die, aus Mangel eigener Kräfte, das einzelne Schöne aus Vielen in Eins zu vereinigen suchten. Aber so wie die Eclectici nur als Kopisten von Weltweisen besonderer Schulen anzusehen sind und wenig 198 oder nichts Ursprüngliches hervorgebracht haben, so war auch in der Kunst, wenn man eben den Weg nahm, nichts Ganzes, Eigenes und Übereinstimmendes zu erwarten; und wie durch Auszüge aus großen Schriften der Alten diese verloren gingen, so werden durch die Werke der Sammler in der Kunst die großen ursprünglichen Werke vernachlässigt worden sein. Die Nachahmung beförderte den Mangel eigener Wissenschaft, wodurch die Zeichnung furchtsam wurde, und was der Wissenschaft abging, suchte man durch Fleiß zu ersetzen, welcher sich nach und nach in Kleinigkeiten zeigte, die in den blühenden Zeiten der Kunst übergangen und dem großen Stile nachteilig geachtet worden sind. Hier gilt, was Quintilianus sagt, daß viele Künstler besser als Phidias die Zieraten an seinem Jupiter würden gearbeitet haben. Es wurden daher durch die Bemühung, alle vermeinte Härte zu vermeiden und alles weich und sanft zu machen, die Teile, welche von den vorigen Künstlern mächtig angedeutet waren, runder, aber stumpf, lieblicher, aber unbedeutender. Auf eben diesem Wege ist zu allen Zeiten auch das Verderbnis in der Schreibart eingeschlichen, und die Musik verließ das Männliche und verfiel wie die Kunst in das Weibische; in dem Gekünstelten verliert sich oft das Gute eben dadurch, weil man immer das Bessere will.
Die Künstler fingen nicht lange vor und unter den Kaisern an, in Marmor sich sonderlich auf Ausarbeitung freihängender Haarlocken zu legen, und sie deuteten auch die Haare der Augenbrauen an, aber nur an Porträtköpfen, welches vorher in Marmor gar nicht, wohl aber in Erz geschah. An einem der schönsten Köpfe eines jungen Menschen von Erz in Lebensgröße (welches ein völliges Brustbild ist), in dem Königlichen Museo zu Portici, welcher einen Held vorzustellen scheint, von einem atheniensischen Künstler, Apollonius, des Archias Sohn, gearbeitet, sind die Augenbrauen auf dem scharfgefalteten Augenknochen sanft eingegraben. Dieses Brustbild aber, nebst dem weiblichen Brustbilde von gleicher Größe, sind ohne Zweifel in guter Zeit der Kunst gemacht. Aber so wie schon in den ältesten Zeiten und vor dem Phidias das Licht in den Augen auf Münzen angedeutet wurde, so wurde auch in Erz überhaupt mehr als in Marmor gekünstelt. An männlichen idealischen Köpfen aber fing man dieses früher als an weiblichen an; auch jener Kopf von Erz, welcher von der Hand eines und eben desselben Künstlers 199 zu sein scheint, hat die Augenbrauen nach der alten Art mit einem scharfen Bogen gezogen.
Nachahmung des ägyptischen Stils
Der Verfall der Kunst mußte notwendig durch Vergleichung mit den Werken der höchsten und schönsten Zeit merklich werden, und es ist zu glauben, daß einige Künstler gesucht haben, zu der großen Manier ihrer Vorfahren zurückzukehren. Auf diesem Wege kann es geschehen sein, so wie die Dinge in der Welt vielmals im Zirkel gehen und dahin zurückkehren, wo sie angefangen haben, daß die Künstler sich bemühten, den ältern Stil nachzuahmen, welcher durch die wenig ausschweifenden Umrisse der ägyptischen Arbeit nahekommt. Diese Mutmaßung veranlaßt eine dunkle Anzeige des Petronius, welche auf die Kunst zu seiner Zeit geht, und über deren Erklärung man sich noch nicht hat vergleichen können. Da dieser Skribent von den Ursachen des Verfalls der Beredsamkeit redet, beklagt er zugleich das Schicksal der Kunst, die sich durch einen ägyptischen Stil verdorben, welcher, nach dem eigentlichen Ausdrucke der Worte zu übersetzen, ins Enge zusammenbringt oder zieht. Ich glaube hier eine von den Eigenschaften und Kennzeichen des ägyptischen Stils zu finden; und wenn diese Erklärung stattfände, so wären die Künstler um die Zeit des Petronius und vorher auf eine trockene, magere und kleinliche Art im Zeichnen und Ausführen gefallen. Diesem zufolge könnte man voraussetzen, daß, da nach dem natürlichen Lauf der Dinge, auf ein Äußerstes das ihm Entgegengesetzte zu folgen pflegt, der magere und dem Ägyptischen ähnliche Stil die Verbesserung eines übertriebenen Schwulstes sein sollen. Man könnte hier den Farnesischen Herkules anführen, an welchem alle Muskeln schwülstiger sind, als es die gesunde Zeichnung lehrt.
Einen diesem entgegengesetzten Stil könnte man in einigen erhobenen Arbeiten finden, welche wegen einiger Härte und Steife der Figuren für etrurisch oder für altgriechisch zu halten wären, wenn es andere Anzeichen erlaubten. Ich will z. B. eins von denselben in der Villa Albani anführen . . . Dieses Werk stellt vier weibliche bekleidete Göttinnen gleichsam in Prozession vor, unter welchen die letztere ein langes Zepter 200 trägt, die mittlere, welches Diana ist, hat den Bogen und den Köcher auf der Schulter hängen und trägt eine Fackel; sie faßt an den Mantel der ersten, welches eine Muse ist und auf dem Psalter spielt und mit der einen Hand eine Schale hält, in welche eine Victoria, neben einem Altar stehend, eine Libation ausgießt. Dem ersten Anblicke nach könnte es ein etrurischer Stil scheinen, welchem aber die Bauart des Tempels widerspricht. Es scheint also, daß dieses Werk eine Arbeit sei, in welcher ein griechischer Meister, nicht aus der ältern Zeit, den Stil derselben nachahmen wollen. Es finden sich in eben der Villa vier andere diesem ähnlich erhobene Arbeiten von eben derselben Vorstellung. Das eng Zusammengezogene gefiel sogar in der Tracht der Kleidung selbiger Zeit: denn da vorher die Redner zu Rom in einem Gewande mit prächtigen großen Falten auftraten, so geschah dieses unter dem Vespasianus in einem engen und nahe anliegenden Rocke; zu Plinius Zeiten fing man an, männliche Statuen mit einem engen Kleide (paenula) vorzustellen.
Man könnte auch die Klage des Petronius auf die häufigen Figuren ägyptischer Gottheiten deuten, welches damals der herrschende Aberglaube in Rom war, so daß die Maler, wie Juvenalis sagt, von Bildern der Isis lebten. Durch diese Arbeit der Künstler in dergleichen Figuren könnte sich ein Stil, welcher den ägyptischen Figuren ähnlich war, auch in andern Werken eingeschlichen haben. Es finden sich noch jetzt einige Statuen der Isis völlig auf etrurische Art gekleidet, die aus offenbaren Zeichen von der Kaiser Zeiten sind; ich kann unter andern eine in Lebensgröße im Palaste Barberini anführen. Diese Meinung wird diejenigen nicht befremden, welche wissen, daß durch einen einzigen Menschen, wie Bernini ist, ein Verderbnis in der Kunst bis jetzt eingeführt worden; um soviel mehr könnte dieses durch viele oder durch den größten Teil der Künstler geschehen sein, die in ägyptischen Figuren arbeiteten.
Unterscheidung der Nachahmung vom echten Alten
Man kann aber hier nicht behutsam genug gehen in Beurteilung des Alters der Arbeit; und eine Figur, welche etrurisch oder aus der ältern Zeit der Kunst unter den Griechen scheint, ist es nicht alle Zeit. Es kann 201 dieselbe eine Kopie oder Nachahmung älterer Werke sein, welche vielen griechischen Künstlern alle Zeit zum Muster dienten, wie auch vom angeführten erhobenen Werke könnte gesagt werden. Oder wenn es göttliche Figuren sind, die aus andern Zeichen und Gründen das Altertum, welches sie zeigen, nicht haben können, so scheint der ältere Stil etwas Angenommenes zu sein, zu Erweckung größerer Ehrfurcht. Denn wie die Härte in der Bildung und in dem Klang der Worte, nach dem Urteile eines alten Skribenten, der Rede eine Größe gibt, so macht die Härte und Strenge des älteren Stils eine ähnliche Wirkung in der Kunst. Dieses ist nicht allein von dem Umrisse der Figur zu verstehen, sondern auch von der Kleidung und von der Tracht der Haare und des Bartes, wie sie an den etrurischen und an den ältern griechischen Figuren sind. Ein Jupiter erweckt in solcher Gestalt gleichsam mehr Ehrfurcht und erhält mehr Ursprünglichkeit; und so war die Figur desselben mit der Inschrift IOVI EXSVPERANTISSIMO, welche aber, wie ein jeder urteilen kann, nicht von den ältesten ist. Eben diese Beschaffenheit kann es mit dem Kopfe der Pallas, von der Hand des Aspasius, haben, an welchem der Stil einer Zeit ähnlich ist, die älter scheint als diejenige, welche die Form der Buchstaben in dem Namen des Künstlers andeutet. Es mutmaßt daher auch Gori, daß der griechische Meister desselben etwa eine etrurische Figur vor Augen müsse gehabt haben. Die Hoffnung findet sich sehr oft in dem ältesten Stile vorgestellt, wie auf einer Münze [des] Kaisers Philippus des Älteren, so wie auch eine Hoffnung von Marmor in der Villa Ludovisi ist; und auf drei geschnittenen Steinen des Stoschischen Musei ist dieselbe jenen ähnlich. Man kann hier z. B. die auf van Dyckische Art gekleideten Porträts anführen, welche Tracht noch jetzt von Engländern beliebt wird und auch dem Künstler sowohl als der gemalten Person weit vorteilhafter ist als die heutige gezwungene Kleidung.
Ebenso verhält es sich mit den sogenannten Köpfen des Platon, welche nichts anders als Köpfe von Hermen sind, denen man mehrenteils eine Gestalt gegeben, wie man sich etwa die Steine, auf welche die ersten Köpfe gesetzt wurden, vorstellte: es hängen auf beiden Seiten insgemein 202 Haarstrippen herunter wie an den etrurischen Figuren. Der schönste von solchen Köpfen in Marmor ging etwa vor fünf Jahren aus Rom nach Sizilien. Vollkommen ähnlich und gleich ist demselben der Kopf einer männlichen bekleideten Statue von neun Palmen Höhe, welche im Frühling des 1761. Jahres nebst vier weiblichen angeführten Karyatiden bei Monte Porzio (wo, besage einiger vorher entdeckten Inschriften, eine Villa des Hauses Portia war) gefunden wurde. Die Statue hat ein Unterkleid von leichtem Zeuge, welches die gehäuften kleinen Falten anzeigen, in welche es bis auf die Füße herunterhängt, und über dasselbe einen Mantel von Tuch, unter dem rechten Arme über die linke Schulter geschlagen, so daß der linke Arm, welcher auf die Hüfte gestützt ist, bedeckt bleibt. Auf dem Rande des über die Schulter geworfenen Teils des Mantels steht der Name CΑΡΔΑΝΑΠΑΛΛΟC, geschrieben mit zwei Lambda (λ), wider die gewöhnliche Schreibart. Dieser Buchstabe aber findet sich auch anderwärts überflüssig und doppelt, wie auf einer seltenen Münze der Stadt Magnesia in Erz mit der Inschrift ΜΑΓΝΗΤ ΠΟΛΛΙΣ anstatt ΠΟΛΙΣ. Es ist hier kein anderer als der bekannte König in Assyrien zu verstehen, welchen aber diese Statue nicht vorstellen kann, und dieses aus mehr als aus einem Grunde: es wird hier genug sein, zu sagen, daß derselbe nach dem Herodotus ohne Bart und beständig geschoren war, da die Statue einen langen Bart hat. Es zeugt dieselbe von guten Zeiten der Kunst, und allem Ansehen nach ist sie nicht unter römischen Kaisern gemacht. Die vier Karyatiden, welche von mehrern übriggeblieben, haben vermutlich ein Gesims eines Zimmers getragen: denn auf ihren Köpfen ist eine erhöhte Rundung, in welchem Rande ein Kapitäl oder Korb wird gestanden haben.
Fortgang der Dekadenz
Daß der Stil der Kunst in den letzten Zeiten von dem alten sehr verschieden gewesen, deutet unter andern Pausanias an, wenn er sagt, daß eine Priesterin der Leukippiden, das ist der Phöbe und der Hilaira, von einer von beiden Statuen, weil sie gemeint, dieselbe schöner zu machen, den alten Kopf abnehmen und ihr einen neuen Kopf an dessen Stelle machen lassen, welcher, wie er sagt, 203 »nach der heutigen Kunst gearbeitet war.« Man könnte diesen Stil den kleinlichen oder platten nennen: denn was an den alten Figuren mächtig und erhaben war, wurde jetzt stumpf und niedrig gehalten. Es ist aber über diesen Stil nicht aus Statuen zu urteilen, die durch den Kopf ihre Benennung bekommen haben.
Da sich endlich die Kunst immer mehr zu ihrem Fall neigte, und da auch wegen der Menge alter Statuen weniger in Vergleichung der vorigen Zeit gemacht wurden, so war der Künstler vornehmstes Werk, Köpfe und Brustbilder oder was man Porträts nennt, zu machen, und die letzte Zeit bis auf den Untergang der Kunst hat sich vornehmlich hierin gezeigt. Daher muß es nicht so außerordentlich, wie es vielen vorkommt, scheinen, erträgliche, ja zum Teil schöne Köpfe des Macrinus, des Septimius Severus und des Caracalla, wie der farnesische ist, zu sehen: denn der Wert desselben besteht allein im Fleiße. Vielleicht hätte Lysippus den Kopf des Caracalla nicht viel besser machen können; aber der Meister desselben konnte keine Figur wie Lysippus machen; dieses war der Unterschied.
Man glaubt eine besondere Kunst in starken, hervorliegenden Adern, wider den Begriff der Alten, zu zeigen, und an dem Bogen [des] Kaisers Septimius hat man solche Adern auch an den Händen weiblicher idealischer Figuren, wie die Victorien sind, welche Trophäen tragen, nicht wollen mangeln lassen; als wenn die Stärke, welche von Cicero als eine allgemeine Eigenschaft vollkommener Hände angegeben wird, sich auch auf weibliche Hände erstreckte und auf vorbesagte Weise müßte ausgedrückt werden. An den Stücken der kolossalischen Statuen im Campidoglio, welche von einem Apollo sein sollen, sind die Adern oben ungemein sanft angedeutet.
Die meisten Begräbnisurnen sind aus dieser letzten Zeit der Kunst und also auch die meisten erhobenen Arbeiten: denn diese sind von solchen viereckig länglichen Urnen abgesägt. Einige erhobene Werke, die besonders gearbeitet sind, unterscheiden sich durch einen erhobenen Band oder Vorsprung umher. Die meisten Begräbnisurnen wurden voraus und auf den Kauf gemacht, wie die Vorstellungen auf denselben zu glauben veranlassen, als welche mit der Person des Verstorbenen oder mit der Inschrift nichts zu schaffen haben. Unter andern ist eine solche beschädigte 204 Urne in der Villa Albani; auf deren vordern Seite, in drei Felder geteilt, ist auf dem zur Rechten Ulysses an den Mastbaum seines Schiffes gebunden vorgestellt, aus Furcht vor dem Gesange der Sirenen, von welchen die eine die Leier spielt, die andere die Flöte und die dritte singt und hält ein gerolltes Blatt in der Hand. Sie haben Vogelfüße wie gewöhnlich; das Besondere aber ist, daß sie alle drei einen Mantel umgeworfen haben. Zur Linken sitzen Philosophen in Unterredung. Auf dem mittlern Felde ist folgende Inschrift, welche nicht im geringsten auf die Vorstellung zielt, und ist noch nicht bekanntgemacht:
ἀϑάνατ(ος) μερόπων οὐδεὶς ἒφυ τοῦδε, Σεβήρα,
ϑησεύς, Αἰακίδαι μάρτυρές εἰσι λόγου.
αὐχῶ σώφρονα τύνβος ἐμαῖς λαγόνεσσι Σεβήραν
κούρην Στρυμονίου παιδὸς ἀμύμον' ἔχων
οἵην οὐκ ἤνεικε πολὺς βίος, οὐδέ τις οὕτω
ἒσχε τάφος χρηστὴν ἄλλος ὑφ' ἠελίωι.Unsterblich ist keiner der Menschen geboren. Für die Wahrheit dieses Satzes, Severa, bürgen Theseus und die Aiakiden.
Ich Grab rühme mich, in meinem Innern die verständige Severa zu bergen, die untadelige Tochter des Strymon, ein Mädchen, wie es das lange Leben [der Menschen] noch nicht hervorgebracht hat; und kein anderes Grab hat in sich aufgenommen eine so brave unter der Sonne (Übersetzung von W. Peek).
Bewahrung der Größe
Es bleibt im übrigen dem Altertume bis zum Falle der Kunst der Ruhm eigen, daß es sich seiner Größe bewußt geblieben: der Geist ihrer Väter war nicht gänzlich von ihnen gewichen, und auch mittelmäßige Werke der letzten Zeit sind noch nach den Grundsätzen der großen Meister gearbeitet. Die Köpfe haben den allgemeinen Begriff von der alten Schönheit behalten, und im Stande, Handlung und Anzuge der Figuren offenbart sich immer die Spur einer reinen Wahrheit und Einfalt. Die gezierte Zierlichkeit, eine erzwungene und übel verstandene Grazie, die übertriebene und verdrehte Gelehrsamkeit, wovon auch die besten Werke neuerer Bildhauer ihr Teil haben, hat die Sinne der Alten 205 niemals geblendet. Ja wir finden, wenn man aus dem Haarputze schließen kann, einige treffliche Statuen aus dem dritten Jahrhunderte, welche als Kopien anzusehen sind, die nach ältern Werken gearbeitet worden. Von dieser Art sind zwei Venus in Lebensgröße in dem Garten hinter dem Palaste Farnese mit ihren eigenen Köpfen; die eine mit einem schönen Kopfe der Venus, die andere mit einem Kopfe einer Frau vom Stande aus gedachtem Jahrhunderte, und beide Köpfe haben einerlei Haaraufsatz. Eine schlechtere Venus von eben der Größe ist im Belvedere, deren Haarputz jenem ähnlich ist und dem weiblichen Geschlechte aus dieser Zeit eigen war. Ein Apollo in der Villa Negroni, in dem Alter und in der Größe eines jungen Menschen von fünfzehn Jahren, kann unter die schönen jugendlichen Figuren in Rom gezählt werden; aber der eigene Kopf desselben stellt keinen Apollo vor, sondern etwa einen kaiserlichen Prinzen aus eben der Zeit. Es fanden sich also noch einige Künstler, welche ältere und schöne Figuren sehr gut nachzuarbeiten verstanden.
Darstellung eines Affen im Campidoglio
Ich schließe das dritte Stück dieses Kapitels mit einem ganz außerordentlichen Denkmale im Campidoglio aus einer Art von Basalt. Es stellt einen großen sitzenden Affen vor, dessen vordere Füße auf den Knien der hinteren Füße ruhen, und wovon der Kopf verloren gegangen ist. Auf der Base dieser Figur steht auf der rechten Seite in griechischer Schrift eingehauen: »Phidias und Ammonius, Söhne des Phidias, haben es gemacht.« Diese Inschrift, welche von wenigen bemerkt worden, war in dem geschriebenen Verzeichnisse, aus welchem Reinesius dieselbe genommen, leichthin angegeben, ohne das Werk anzuzeigen, woran sie steht, und könnte ohne offenbare Kennzeichen ihres Altertums für untergeschoben angesehen werden. Dieses dem Scheine nach verächtliche Werk kann durch die Schrift auf demselben Aufmerksamkeit erwecken, und ich will meine Mutmaßung mitteilen.
Es hatte sich eine Kolonie von Griechen in Afrika niedergelassen, die Pithecusä in ihrer Sprache hießen, von der Menge Affen in diesen Gegenden. Diodorus sagt, daß dieses Tier heilig von ihnen gehalten und 206 wie die Hunde in Ägypten verehrt worden. Die Affen liefen frei in ihre Wohnungen und nahmen, was ihnen gefiel; ja diese Griechen nannten ihre Kinder nach denselben, weil sie den Tieren, wie sonst den Göttern, gewisse Ehrenbenennungen werden beigelegt haben. Ich bilde mir ein, daß der Affe im Campidoglio ein Vorwurf der Verehrung unter den pithekusischen Griechen gewesen sei; wenigstens sehe ich keinen andern Weg, ein solches Ungeheuer in der Kunst mit Namen griechischer Bildhauer zu reimen: Phidias und Ammonius werden diese Kunst unter diesen barbarischen Griechen geübt haben. Da Agathokles, König in Sizilien, die Karthaginenser in Afrika heimsuchte, drang dessen Feldherr Eumarus bis in das Land dieser Griechen hindurch und eroberte und zerstörte eine von ihren Städten. Annehmen zu wollen, daß dieser göttlich verehrte Affe damals als etwas Außerordentliches unter Griechen, zum Denkmal weggeführt worden, gibt die Form der Buchstaben nicht zu, als welche später und den herkulanischen ähnliche Züge hat. Es wäre also zu glauben, daß dieses Werk lange hernach gemacht und vielleicht unter den Kaisern aus dem Lande dieses Volks nach Rom geführt worden; und dieses machen ein paar Worte einer lateinischen Inschrift auf der linken Seite der Base wahrscheinlich. Es war dieselbe in vier Zeilen gefaßt, und man liest außer den Spuren, welche sich von denselben zeigen, nur noch die Worte: SEPT • QVE • COSVerstümmelt, cos. bedeutet Konsul. Dieses griechische Geschlecht in Afrika hätte also diesem zufolge noch um die Zeit unsers Geschichtsschreibers bestanden und sich bei seinem Aberglauben bis dahin erhalten. Ich merke hier bei Gelegenheit eine weibliche Statue von Marmor an in der Galerie zu Versailles, welche für eine Vestale gehalten wird, und von welcher man vorgibt, daß sie zu Bengazi, der vermeinten numidischen Hauptstadt Barca, gefunden worden.
Zusammenfassung
Um das Obige dieses dritten Stückes zu wiederholen und zusammenzufassen, so wird man in der Kunst der Griechen, sonderlich in der 207 Bildhauerei, vier Stufen des Stils setzen, nämlich den geraden und harten, den großen und eckigen, den schönen und fließenden und den Stil der Nachahmer. Der erste wird mehrenteils gedauert haben bis auf den Phidias, der zweite bis auf den Praxiteles, Lysippus und Apelles, der dritte wird mit dieser ihrer Schule abgenommen haben, und der vierte währte bis zu dem Falle der Kunst. Es hat sich dieselbe in ihrem höchsten Flore nicht lange erhalten: denn es werden von den Zeiten des Perikles bis auf Alexanders Tode, mit welchem sich die Herrlichkeit der Kunst anfing zu neigen, etwa hundertundzwanzig Jahre sein. Das Schicksal der Kunst überhaupt in neuern Zeiten ist, in Absicht der Perioden, dem im Altertume gleich: es sind ebenfalls vier Hauptveränderungen in derselben vorgegangen, nur mit diesem Unterschiede, daß die Kunst nicht nach und nach wie bei den Griechen von ihrer Höhe heruntersank, sondern sobald sie den ihr damals möglichen Grad der Höhe in zwei großen Männern erreicht hatte (ich rede hier allein von der Zeichnung), so fiel sie mit einem Male plötzlich wieder herunter. Der Stil war trocken und steif bis auf Michelangelo und Raffael; auf diesen beiden Männern besteht die Höhe der Kunst in ihrer Wiederherstellung: nach einem Zwischenraume, in welchem der üble Geschmack regierte, kam der Stil der Nachahmer; dieses waren die Caracci und ihre Schule mit deren Folge; und diese Periode geht bis auf Carl Maratta. Ist aber die Rede von der Bildhauerei insbesondere, so ist die Geschichte derselben sehr kurz. Sie blühte in Michelangelo und Sansovino und endigte mit ihnen; Algardi, Fiammingo und Rusconi kamen über hundert Jahre nachher.