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Der zweite Teil dieser Anmerkungen handelt wie eben dieser Teil der Geschichte der Kunst von dem verschiedenen Schicksale und von den Werken derselben unter den Griechen, nach Ordnung der Zeit . . .
Zur Periode des älteren Stils
Die ältesten Münzen sind ohne Zweifel die von verschiedenen Städten in Großgriechenland geprägten, als von Croton und Sybaris (diese Stadt wurde bereits in der siebenundsechzigsten Olympias zerstört), ingleichen von Theben und Athen und die Münzen einiger Städte in Sizilien, unter welchen ich die von der Stadt Naxus, wegen eines unförmlichen Herkules, . . . angeführt habe. Diese Stadt wurde etwa 330 Jahre nach dem Trojanischen Kriege und eher als Syrakus erbaut. Die nächsten nach diesen Münzen, und von bestimmter Zeit, sind die Münzen [des] Königs Gelo zu Syrakus; es muß jedoch zwischen diesen und jenen Münzen ein beträchtlicher Zwischenraum der Zeit gesetzt werden . . .
Eine der ältesten Statuen griechischer Kunst in Rom aus dieser Zeit des älteren Stils könnte eine Muse mit einer großen Leyer scheinen, die im Palaste Barberini steht und zweimal so groß als die Natur ist; es hat dieselbe alle Kennzeichen eines so hohen Altertums. Vermöge dieser Eigenschaften könnte dieselbe eine von drei Musen sein, welche drei große Künstler vor der Zeit des Phidias machten. Die eine hielt Flöten und war von der Hand des Canachus aus Sikyon, die zweite mit einer Leyer, Χέλυς genannt, war vom Aristocles, des Canachus Bruder, und die dritte mit einer anderen Art Leyer, welche Βάρβιτος hieß, war ein Werk des Ageladas, des Polycletus Meister . . . 383
Künstler des hohen Stils
Die Zeit, in welcher die Künste ihr größtes Wachstum in Griechenland erreichten, sind – nach dem Diodorus von Sizilien – die nächsten fünfzig Jahre nach dem Persischen Kriege: es blühten damals die größten Redner, Philosophen und Künstler. Unter diesen waren die berühmtesten: Phidias nebst dessen Schülern, dem Alkamenes und Agoracritus, ingleichen Polycletus, Skopas, Myron und dessen Schüler Pythagoras und Ctesilaus.
Phidias
Phidias blühte, wie Plinius berichtet, in der dreiundachtzigsten Olympias, welche Bestimmung der Zeit ihren Grund haben muß, wie ich in ähnlichen Fällen sowohl in der Geschichte der Kunst als in der Folge dieser Anmerkungen angezeigt habe. Die Blüte eines Künstlers kann nicht anders als nach der Zeit der vollkommensten Werke, die derselbe hervorgebracht hat, oder nach den glücklichen Umständen der Zeit, in welche die sogenannte Blüte fällt, bestimmt werden; und ich habe bemerkt, daß hier mehr der letzte als der erste Fall eintrifft. Ich glaubte in der Geschichte der Kunst, daß Plinius die Blüte des Phidias in besagte Olympias gesetzt habe, weil dieser vielleicht damals die Statue des Olympischen Jupiter geendigt [hatte] ; allein es ist dieses eine bloße Mutmaßung, die keinen Grund hat. Wahrscheinlicher ist, daß in dieser Olympias die glücklichen Umstände der Zeit den höchsten Flor dieses Künstlers bestimmen. Denn in dem zweiten Jahre der dreiundachtzigsten Olympias war, wie Diodorus sagt, in der ganzen Welt Friede; es war derselbe sowohl zwischen Griechenland und den Persern als auch unter den Griechen selbst hergestellt in dem dreißigjährigen Bündnisse, welches die Athenienser mit den Lacedämoniern schlossen. Auch in Sizilien waren alle Feindseligkeiten durch den Vertrag der Carthaginenser mit dem Könige Gelo von Syrakus beigelegt, welchem alle griechischen Städte beigetreten waren; und gedachter Skribent sagt, daß damals in Griechenland nichts als Feste und Lustbarkeiten gesehen worden. Eine so allgemeine Ruhe und Fröhlichkeit unter den Griechen muß notwendig in die Kunst einen großen Einfluß gehabt haben, zu welcher also Phidias 384 mehr ermuntert werden müssen, zu Vollendung seiner angefangenen Werke und zu Unternehmung anderer.
Ein Skribent der späteren Zeiten gedenkt eines Herkules von der Hand des Phidias in einer kleinen Stadt Meleti, im attischen Gebiete, welcher Statue sonst von keinem anderen Skribenten Meldung geschieht. Eben derselbe sagt, daß von einem Apollo des Phidias, welcher wie die Sonne glänzte, in dem Kaiserlichen Palaste zu Konstantinopel der Kopf übrig gewesen sei.
Agoracritus
Die berühmtesten unter den Schülern des Phidias sind Alkamenes aus Athen und Agoracritus von Paros, die um die Wette stritten über eine Venus, und jener erhielt den Preis vor diesem, weil man in Athen zum Vorteile des Atheniensers entschied. Agoracritus, den dieses Urteil schmerzte, verkaufte seine Statue, damit sie nicht in Athen bleiben sollte, nach Rhamnus, einem kleinen Orte im attischen Gebiete, wo dieselbe von einigen für ein Werk des Phidias gehalten wurde, weil dieser an verschiedene Arbeiten des Agoracritus, den er liebte, selbst Hand gelegt hatte. Dieser Künstler wollte aus Verdruß auch sogar den Namen der Statue geändert wissen, und überließ sie mit dem Bedinge, daß dieselbe als eine Nemesis aufgestellt werden sollte. Hier entsteht natürlich die Frage: wie konnte Venus eine Nemesis vorstellen? Und gleichwohl ist dieses Bedenken niemandem eingefallen. Diese Frage fließt aus dem Zweifel, ob die Venus des Agoracritus nackend oder bekleidet gewesen, und was für ein Kennzeichen beiden Göttinnen gemein sein können. In Absicht des ersteren antworte ich, daß dieselbe bekleidet sein müssen, wie es Venus sowohl als die Grazien in den ältesten Zeiten der Griechen waren; ja des Praxiteles Venus in der Insel Cos war bekleidet. Was das Kennzeichen betrifft, wiederhole ich, was ich an einem anderen Orte ausgeführt habe, nämlich daß Nemesis mit einem gebogenen Arme vorgestellt worden, so daß sie mit demselben ihr Gewand vor der Brust in die Höhe hielt; und dieser gebogene Arm gab das gewöhnliche Maß der Griechen πυγών, Cubitus, welches von dem Ellenbogen bis an das mittlere Glied der Finger ging. Diese Stellung sollte bedeuten, daß Nemesis 385 als die Göttin der Vergeltung guter und tadelhafter Handlungen mit einem richtigen Maße dieselben messe und belohne. Man muß also annehmen und glauben, daß die Venus des Agoracritus in eben dieser Stellung gewesen sei, aber in verschiedener Bedeutung. Denn das bis vor die Brust in die Höhe gehobene Gewand konnte in derselben die Züchtigkeit und die Scham anzeigen, welche nachher Praxiteles in seiner unbekleideten Venus zu Cnidus andeuten wollen durch die eine Hand, womit dieselbe die Brüste zu bedecken sucht, und mit der anderen Hand, welche sie vor ihre Scham hält. Dieses als wahrscheinlich vorausgesetzt, konnte Agoracritus, ohne an seiner Venus etwas zu ändern, ihr den Namen und die Bedeutung der Nemesis beilegen.
Polycletus
Polycletus, welcher nebst dem Phidias unter gedachten Künstlern den größten Ruf erlangt, hat, wie dessen Meister Ageladas, vornehmlich in Erz gearbeitet; und man kann sich von zwei Canephoren desselben in Erz, von mäßiger Größe, . . . einen Begriff machen. Es ist bekannt, daß Canephorä Jungfrauen hießen, die an den Festen der Ceres gewisse Heiligtümer in geflochtenen Körben auf dem Haupte trugen. Da nun jene des Polycletus . . . sehr berühmt waren, so ist zu glauben, daß dieselben öfters gezeichnet und modelliert worden [sind], und in der Tat offenbart sich in besagten erhobenen Werken der Stil dieser Zeit, welcher annoch eine gewisse Härte, sonderlich in dem Wurfe der Kleidung und in den Falten, zeigt.
Es könnte auch eine Figur eines Knaben im Palaste Barberini, der in einen Arm von einer anderen Figur, welche sich verloren hat, beißt, eine Kopie von einem Werke des Polycletus scheinen. Es stellt dasselbe zwei nackte Knaben vor, die mit Knochen spielten, und [das] unter dem Namen »Astragalizontes«, das heißt »die mit Knochen spielen«, bekannt war. Wollte man dieses Werk auf etwas Bestimmtes deuten, könnte es Patroclus, der Freund des Achilles, sein, welcher als Knabe im Streit über das Spiel mit Knochen den Clysonymus, seinen Spielgesellen, wider Willen tötete. Ich habe gedachte Figur, mit einem fremden Arme in beiden Händen, geraume Zeit für ein schwer zu erklärendes Stück 386 gehalten, . . . bis mich der Zufall einen Spielknochen in der Hand von der mangelnden Figur bemerken ließ. Man sieht also, es waren zwei Knaben, von denen der eine den andern in den Arm beißt, damit derselbe den Knochen aus der geschlossenen Hand fallen lasse . . .
Skopas
Dem Skopas, welcher mit dem Phidias um den Preis in seiner Kunst stritt, habe ich mit Wahrscheinlichkeit die Statuen der Niobe zuzuschreiben geglaubt. Wenn ich gesagt habe, daß unter denselben ein paar Figuren nicht von der Hand eines und eben desselben Meisters sein können, würde dieses auf die alte männliche Figur gehen können, die nach Art barbarischer Völker gekleidet ist. Diese stellt einen Hofmeister der Kinder der Niobe vor, wie man aus einer erhobenen Arbeit eben dieser Fabel, in der Villa Borghese, erkennt, wo zwei ähnliche Figuren erscheinen, die, was man nennt, phrygisch gekleidet sind, welche Tracht von den Künstlern allen Völkern, die bei den Griechen und Römern Barbaren hießen, gegeben wurde; und dieses darum, weil die Pädagogen bei den Griechen mehrenteils erkaufte Leibeigene waren, wie wir es von demjenigen wissen, welchen Perikles dem Alkibiades zugegeben hatte.
Es sollten in diesem Gruppo sieben Söhne und ebenso viel Töchter sein; es fehlen aber auf der einen sowohl als auf der anderen Seite Statuen. Zwei von den Söhnen sind aller Vermutung nach die beiden berühmten sogenannten Ringer in der Galerie zu Florenz, und es wurden diese zwei Figuren für Söhne der Niobe gehalten, da man dieselben entdeckt hatte, und da annoch die Köpfe fehlten, welche sich nachher im Nachgraben fanden. Unter der Benennung der Söhne der Niobe sind dieselben angegeben in einer seltenen Kupferplatte vom Jahre 1557, weil diese Figuren zu gleicher Zeit mit den übrigen Statuen der Niobe an eben dem Orte ausgegraben sind, wie Flaminio Vacca in den Nachrichten von Entdeckungen, die zu dessen Zeiten gemacht worden, bezeugt. Es ist auch dieses aus der Fabel selbst wahrscheinlich; denn die älteren Söhne der Niobe wurden von dem Apollo getötet, da sie auf dem Felde sich im Reiten übten, und die jüngeren, da sie miteinander rangen. Die Arbeit an diesen beiden Ringern bestätigt dieses 387 zugleich, da klärlich erscheint, daß dieselben mit den übrigen Statuen der Niobe von einem und eben dem Meister sein müssen. Dieses äußert sich sonderlich in den Köpfen, welche auch in den Haaren, der Arbeit in diesem Teile an den anderen Söhnen der Niobe, ähnlich sind . . .
Myron, Pythagoras, Ctesilaus
Myron, welcher so wie Skopas als ein Zeitgenosse des Phidias angegeben wird, hat vornehmlich in Erz gearbeitet; und da wir von dessen berühmter Kuh nichts als die vielen Sinnschriften haben, die auf dieselbe gemacht sind, so kann man sich dieselbe einigermaßen vorstellen in einer schönen Kuh von Marmor in Lebensgröße, die in der Villa Aldrovandini steht . . .
Pythagoras, einer der berühmtesten Künstler dieser Zeit, von Reggio in dem heutigen Calabrien, war, nach dem Plinius, der erste, welcher die Haare mit mehrerem Fleiße ausarbeitete. Diese Anzeige kann zu einiger Bestimmung der Zeit verschiedener Statuen dienen. Denn wir bemerken an einigen, an welchen sich eine große Wissenschaft und Kunst zeigt, die Haare sowohl des Haupts als der Scham in ganz kleine kreppige Locken reihenweise gelegt, in eben der Form wie die Haare an wahren hetrurischen Figuren gearbeitet sind. Von jenem sind zwei oder drei Statuen in dem Saale des Palastes Farnese, die von dem schönsten in Rom sind, und haben annoch die gezwungen gearbeiteten Haare, die ein Beweis sind von einem System, welches sich von der Natur entfernt hatte. Ferner bemerkt man an anderen Figuren, welche Zeichen von der besten Zeit der Kunst haben, wenig ausgearbeitete Haupthaare; und hier können als Beispiele die Niobe mit ihren Kindern angeführt werden. Da also Pythagoras als der erste die Haare mit mehrerem Fleiße und vermutlich mit gefälligerer Freiheit geendigt hat, so kann man schließen, daß jene Statuen von beiden Arten, sowohl mit sogenannten hetrurischen als mit wenig angedeuteten Haaren, nicht nach Pythagoras Zeiten können gemacht sein; folglich müssen dieselben entweder von gleicher Zeit sein oder für älter geachtet werden, und hieraus ist zugleich eine Wahrscheinlichkeit zu ziehen, das Werk der Niobe dem Skopas vielmehr als dem Praxiteles zuzueignen. 388
Unter den Künstlern dieser Zeit ist Ctesilaus insgemein wenig bekannt, und er war gleichwohl einer von den drei Bildhauern, welcher mit dem Polycletus und dem Phidias über Statuen von Amazonen, die zu dem Tempel der Diana zu Ephesus bestimmt waren, den Preis erhielt. Die Kritiker haben nicht bemerkt, daß beim Plinius dessen Name bald Ctesilaus, bald Ctesilas geschrieben ist; es muß aber eine und eben dieselbe Person sein, weil da, wo er ihn Ctesilas nennt, eine Statue des Perikles von dessen Hand gerühmt wird.
Von diesem Ctesilaus war besonders die Statue eines verwundeten, vermutlich Helden bekannt, an welcher man empfinden konnte, wieviel annoch von seiner Seele in ihm übrig sei . . . Ich deute diese Figur auf einen Helden, weil ich glaube, daß sich dieser Künstler auf nichts Niedriges heruntergelassen habe, da sein großes Verdienst, nach dem Plinius, war, edle Menschen noch edler erscheinen zu lassen . . .
Über die Epoche des schönen Stils
Der zweite und der schöne Stil der griechischen Kunst hebt sich an in und mit dem Praxiteles, wie in der Geschichte der Kunst angezeigt worden; und dieser Künstler hat in der hundertundvierten Olympias geblüht. Diese Bestimmung der Blüte in diesem Künstler muß, so wie ich bei dem Phidias erwiesen habe, nicht im Praxiteles selbst, sondern außer ihm in den Umständen der Zeit gesucht werden. Der Grund davon ist vermutlich die durch den Thrasybulus in besagter Olympias wieder hergestellte Freiheit der Athenienser, nachdem die dreißig Tyrannen teils verjagt, teils ermordet waren. Auf diese Zeit der allgemeinen Freude in Athen kann, glaube ich, gedeutet werden, was Plutarchus sagt, daß die Athenienser auf einige Trauerspiele des Euripides, als die Bacchanten, die Phoenicierinnen, der Oedipus, die Antigone, Medea und Electra, mehr Kosten als auf den ganzen Peloponnesischen Krieg verwendet haben.
Ich habe in der Geschichte der Kunst des Praxiteles Apollo, mit dem Beinamen Sauroctonon, oder der eine Eidechse tötet, angeführt; es würde es auch eine andere Statue dieses Künstlers verdienen . . . Es soll 389 »der glückliche Ausgang« (Bonus eventus) sein, mit einem Spiegel in der rechten Hand und mit einem Kranze von Ähren in der linken.
Lysippus, welcher einige Zeit nach dem Praxiteles sich berühmt machte, hat den Ruhm, die Natur mehr als seine Vorgänger nachgeahmt zu haben. Er verfuhr, wie zu unseren Zeiten in der Philosophie und Medizin geschehen ist. Er fing da an, wo die Kunst angefangen hatte: in der Philosophie geht man jetzt auf Erfahrungen; und man schließt nicht weiter, als das Auge geht und der Zirkel reicht; da fingen die ersten Menschen an. Plinius setzt die Blüte dieses Künstler in der hundertundvierzehnten Olympias, und vermutlich hat dieser Skribent in Angebung der Zeit, so wie beim Phidias und Praxiteles geschehen [ist], seine Absicht auf die friedlichen Umstände gehabt. Denn in dem ersten Jahre gedachter Olympias war, nachdem Alexander in Babylon zurückkam, gleichsam in der ganzen Welt Friede. Es langten damals in Babylon die Gesandten von unzähligen Völkern bei dem Bezwinger von Asien an, teils demselben Glück zu wünschen, teils Geschenke zu bringen, und andere, die geschlossenen Verträge und Bündnisse zu bestätigen. Es ist also der allgemeine Friede auch beim Lysippus der Grund des Plinius gewesen, dessen Blüte in der hundertundvierzehnten Olympias zu bestimmen.
Von Werken des Lysippus ist nichts erhalten, auch nichts künftig zu hoffen, da dieselben von Erz gewesen sind. Es ist auch nicht mit Zuverlässigkeit zu sagen, ob der schöne Kopf Alexanders des Großen, zu Florenz, oder der in dem Museo Capitolino, von dessen Zeit sind, so wenig als es von der einzigen wahren Statue dieses Königs, in dem Museo des Marchese Rondini, zu sagen ist . . .
Bei der Statue des Laokoon, die aus dieser Zeit [des schönen Stils] sein muß, merke ich noch an, daß der älteste von dessen beiden Söhnen nicht aus eben demselben Stück Marmor gearbeitet worden, aus welchem der Vater und der jüngste Sohn gehauen sind. Die zwei Stufen unten an dem Würfel, auf welchem die Hauptfigur sitzt, scheinen die Stufen zu dem Altare anzudeuten, wo dasjenige, was hier vorgestellt ist, geschah. Den rechten Arm des Laokoon, welcher fehlt, hat bereits Michelangelo zu ergänzen gedacht, und [er] hat denselben in Marmor aus dem Gröbsten gehauen entworfen, aber nicht geendigt. Es liegt 390 dieses Stück unten an der Statue. Dieser mit den Schlangen umwundene Arm würde sich über den Kopf herüberbeugen, und es kann dieses Künstlers Absicht gewesen sein, den Begriff des Leidens im Laokoon, da dessen übrige Figur frei ist, durch die Annäherung dieses Arms zu dem Kopfe, als in zwei verbundenen Begriffen, stärker zu machen, um durch die wiederholten Windungen der Schlangen hierher den größten Schmerz zu legen, welchen der alte Künstler mit dem Wohlstande und mit der Schönheit der Figur, da beides hier herrschen sollte, abgewogen hat. Es scheint aber, es würde der über den Kopf gebogene Arm die vornehmste Aufmerksamkeit, die der Kopf verlangt, zerteilen, da der Blick zu gleicher Zeit auf die vielen Schlangen um den Arm würde gerichtet gewesen sein. Es hat Bernini daher den von ihm in gebrannter Erde ergänzten Arm ausgestreckt, um das Haupt der Figur frei zu lassen und um kein anderes Teil demselben oberwärts zu nähern . . .
Ich will nicht behaupten, daß der schöne Kopf in der Galerie des Marchese Rondinini, welcher für ein Bildnis des älteren Cato ausgegeben wird, zu dieser Zeit gemacht sei. Allein ob es gleich nur wahrscheinlich ist, daß besagter Kopf diesen Mann vorstelle, ist derselbe wegen der fast unnachahmlichen Kunst und wegen der Erhaltung zu merken; und man kann versichern, daß außer einem anderen Kopfe von eben dem Stile und . . . eben demselben Meister, wie deutlich er scheint, und der ebenso erhalten ist, nebst einem andern völligen Brustbilde, die sich bei eben dem Liebhaber der Altertümer befinden, nicht leicht vollkommener, sonderlich Köpfe von alten bestimmten Personen, gesehen werden . . .
Griechische Kunst in Rom
Julius Cäsar war ein großer Liebhaber der Künste, und [er] machte große Sammlungen von geschnittenen Steinen, von elfenbeinernen Figuren, von anderen von Erz und von Gemälden alter Meister. Er beschäftigte der Künstler Hände durch die großen Werke, die er in seinem zweiten Konsulate errichtete. Er ließ sein prächtiges Forum in Rom bauen und zierte schon damals Städte nicht allein in Italien, Gallien 391 und Spanien, sondern auch in Griechenland mit öffentlichen Gebäuden, die er auf eigene Kosten aufführte.
Augustus, sagt Julianus in seiner Satire wider die Kaiser, hat den Römern viele Statuen gegeben durch die von ihm eingeführte Vergötterung der Kaiser; und da dieselben als wohltätige Wesen verehrt wurden, hatte die Schmeichelei einen scheinbaren Vorwand, die Statuen und die Bildnisse der Kaiser zu vervielfältigen. Tiberius erlaubte, seine Bildnisse als eine Verzierung des Hauses aufzustellen. Eine von den wahren Statuen des Augustus ist die im Campidoglio über Lebensgröße mit dem Vorderteile eines Schiffes zu dessen Füßen, die denselben in demjenigen jugendlichen Alter vorstellt, welches sich mit dem Siege über den Sextus Pompejus reimt: denn auf die Schlacht bei Actium, fünf Jahre vor jenem Siege, kann dieselbe nicht füglich gedeutet werden, weil Augustus jünger war, als ihn diese Statue zeigt . . .
Wenn man über . . . Malereien richtig urteilen will, muß man zugleich überlegen, daß die Großen in Rom nicht allein Grabmale, sondern auch andere Gebäude durch ihre eigenen Maler, die ihre Freigelassenen und in ihrem Dienste waren, auszieren lassen. Ein solcher freigelassener Maler findet sich unter den kaiserlichen Bedienten angemerkt in dem Verzeichnisse auf einer Marmortafel, die in den Trümmern des alten Antium von dem Herrn Kardinal Alexander Albani entdeckt worden ist und jetzt in dem Museo Capitolino steht. Die Kunst in der Freigelassenen Hände kann als eine von den Ursachen des Verfalls derselben in Rom angesehen werden, über welche Petronius Klagen führt, sogar daß er vorgibt, es habe die Malerei, wie dieselbe unter den Griechen geblüht, zu dessen Zeiten nicht die geringste Spur von sich nachgelassen.
Einer der größten Liebhaber der Kunst zur Zeit des Augustus war Asinius Pollio, welcher die besten Statuen aus vielen Gegenden in Griechenland zusammenbringen ließ und dieselben öffentlich aufstellte. Unter diesen Werken war auch Amphion, Zethus, Antiope, Dirce, der Ochse und der Strick, aus einem einzigen Blocke Marmor gehauen, welches aus Rhodus geholt wurde; und man glaubt, es sei dasjenige, welches im Palaste Farnese steht und unter dem Namen des Farnesischen Ochsen bekannt ist. Die Künstler waren zwei Brüder, Apollonius 392 und Tauriscus genannt, nicht aus Rhodus, sondern aus Tralles, einer Stadt in Lydien; und in der Inschrift hatten sie als Vater ihren Lehrmeister und zugleich den, welcher sie gezeugt, angegeben, so daß es, wie Plinius meldet, zweifelhaft schien, welcher von beiden ihr rechter Vater sei. Diese Inschrift findet sich nicht auf gedachtem Werke; es ist auch nicht anzugeben, wo dieselbe könne gestanden sein: denn es fehlen nur Beine, Arme und Köpfe, und an keinem dieser Teile kann die Inschrift gesetzt gewesen sein, so daß ein Zweifel erwachsen könnte, ob der Farnesische Ochse das Werk sei, wovon Plinius redet. Alle neueren Skribenten, die von diesem Werke Meldung tun, von welchen ich einige in der Geschichte der Kunst angeführt habe, behaupten, daß es ohne alle Verstümmelung gefunden worden; und vielleicht ist dieser handgreifliche Irrtum zuerst durch den Vasari erwachsen, welcher in dem Leben des Michelangelo Buonarroti sagt, daß dieses Werk aus einem einzigen Steine gearbeitet worden und ohne Stücke sei. Ich habe die ergänzten Teile angegeben, habe aber geirrt in dem Kopfe des Ochsen, als welcher alt ist; der Kopf der stehenden Antiope ist neu. Unter der Figur des Zethus liegt ein Thyrsus, womit die Künstler auf das Landleben deuten wollen, welches derselbe erwählte: denn der Thyrsus ist ein Spieß, dessen Spitze mit Efeublättern umwunden ist, und man sieht hier die Spitze hervorragen; daher wird derselbe von den Dichtern ein friedfertiger Spieß genannt.
Daß Tiberius, wie ich in der Geschichte der Kunst angemerkt habe, in Rom kein neues Gebäude als allein den Tempel des Augustus aufführen lassen, welchen er gleichwohl nicht völlig geendigt, sagen die Skribenten seiner Geschichte. Die Statue des Apollo zu diesem Tempel ließ er von Syrakus holen . . .
Caligula schickte den Memmius Regulus, welcher jenem seine Frau, die Lollia Paulina, abtreten mußte, nach Griechenland mit [dem] Befehle, die besten Statuen aus allen Städten nach Rom zu führen; es ließ auch derselbe eine große Menge dahin abgehen, die der Kaiser in seine Lusthäuser verteilte. Dieser Befehl ging auch auf den olympischen Jupiter des Phidias, aber die Bauverständigen zu Athen gaben zu verstehen, daß dieses Werk, welches aus Gold und Elfenbein zusammengesetzt war, Schaden leiden würde, wenn man es bewegen und von seinem 393 Orte rücken wollte; es unterblieb also diese Unternehmung. Der Schaden, den diese Statue gelitten, da dieselbe zu Julius Cäsars Zeiten vom Blitze gerührt wurde, muß folglich nicht beträchtlich gewesen sein . . .
Nero plünderte Griechenland noch mehr als Caligula aus, aber der olympische Jupiter, und die Juno zu Samos von der Hand des Polycletus, die ebenfalls von Gold und Elfenbein war, als die größten Werke in Griechenland auch in Absicht der Maße, blieben ungestört; denn es war kein gemeines Unterfangen, eine Statue von sechzig Fuß hoch, wie der Jupiter war, von seinem Orte wegzunehmen und über das Meer zu führen. Erwägt man so viele tausend Statuen, die von je an und bereits unter der Römischen Republik aus Griechenland weggeführt worden (Marcus Scaurus allein ließ, sein Theater zu besetzen, dreitausend griechische Statuen kommen), so muß man erstaunen über den unerschöpflichen Reichtum von Werken der Kunst, welcher sich noch unter dem Kaiser Hadrianus an allen Orten in Griechenland befand, zumal da uns Pausanias nur das Merkwürdigste aufgezeichnet hat. Der Tempel des Apollo zu Delphos war, ehe Nero fünfhundert Statuen von Erz aus demselben wegnehmen ließ, zehnmal vorher geplündert worden.
Die Seltenheit der Köpfe des Nero habe ich bereits angezeigt . . .
Der beste Kopf des Seneca in Marmor war zu Florenz im Hause Doni, und [er] gehört jetzt dem Britannischen Konsul zu Livorno, Herrn John Dyck, welcher ihn für hundertunddreißig Zechinen erstanden hat. Es ist hier nicht der Ort für moralische Klagen, ich kann mich aber nicht enthalten, wenn ich so viele Köpfe dieses verlarvten Philosophen sehe, den Verlust der Bildnisse von Männern, die der Menschheit Ehre gemacht haben, eines Epaminondas, eines Leonidas, eines Xenophon, eines Myronides u. s. f. zu bedauern. Jenem aber, dem die Klügsten die Larve der Tugend abgezogen und der in seinen Schriften als ein niedriger Pedant erscheint, ist es gelungen, in seinen Bildern zugleich mit der Kunst verehrt zu werden. Es hätten sich die Künstler an ihm rächen sollen, da er die Maler sowohl als die Bildhauer von den freien Künsten ausschließt.
Weit schöner noch als alle Köpfe des Seneca ist ein erhoben 394 gearbeiteter Kopf, von der Seite gesehen, welchen ehemals der berühmte Kardinal Sadoletus besaß und in demselben das Bild des Dichters Persius finden wollte. Es starb derselbe unter dem Nero im neunundzwanzigsten oder dreißigsten Jahre seines Alters. Dieser Kopf, in einem Marmor gearbeitet, den man Palombino nennt, ist mit der Tafel, auf welcher derselbe erhoben geschnitzt ist, etwas mehr von allen Seiten als eine gute Spanne breit und befindet sich jetzt in der Villa des Herrn Kardinal Alexander Albani. Sadoletus hielt dieses Bild für einen Persius [wegen des] Efeukranzes, und weil er in dem Gesichte eine gewisse Bescheidenheit zu entdecken geglaubt, die Cornutus in dessen Leben von ihm rühmt. Daß hier ein Dichter vorgestellt sei, wird wahrscheinlich aus dem Efeu; aber Persius kann es nicht sein, weil der Marmor einen Mann von etlichen vierzig bis fünfzig Jahren zeigt (denn in dem Kupfer erscheint derselbe weit jünger), und weil der Bart, sonderlich an einem Menschen von dreißig Jahren, sich mit den Zeiten des Nero nicht reimt. Dieses Werk kann unter anderen zeigen, wie ungründlich die Taufnamen vieler Köpfe sind, die als Bildnisse berühmter Männer allgemein angenommen werden; denn dieser vermeinte Persius ist nachher vor dessen Satiren in Kupfer gestochen erschienen . . .
Titus, des Vespasianus Sohn und Nachfolger, hat in zwei Jahren mehr für die Künste gearbeitet als Tiberius in einer langen Regierung. Suetonius merkt an, daß Titus dem Britannicus, des Nero Bruder, mit welchem er erzogen worden, eine Statue zu Pferde von Elfenbein [hat] machen lassen, welche alle Jahre in dem feierlichen Gepränge im Zirkus umhergeführt worden. Ich führe dieses an, weil es vielleicht die letzte Statue von Elfenbein ist, die unter den Kaisern verfertigt worden, wenigstens deren Meldung geschieht.
Die Statuen des Domitianus, des Bruders und Nachfolgers des Titus, wurden in Rom vernichtet, die von Erz [wurden] geschmolzen und also verkauft, und die von Marmor wurden zerschlagen, so daß sich nur drei derselben erhalten haben, eine in der Villa des Herrn Kardinal Alexander Albani, die zweite im Palaste Rospigliosi, und die dritte steht unerkannt in der Villa Aldrovandini und ist unbekleidet, über Lebensgröße, mit einem Paludamento über die linke Achsel geworfen, wie die erstere . . . 395
Die große Sorgfalt, welche Trajanus trug, die Werke der Kunst, die gelitten hatten, auszubessern, ist bekannt . . .
Von öffentlichen Werken der Kunst unter dem Trajanus sind übrig außer den schönen Stücken seines Bogens, woraus Konstantin den seinigen zusammensetzen ließ, Trümmer von großen erhobenen Werken, die in der Villa Borghese liegen und entweder von einem zweiten Triumphbogen dieses Kaisers oder von einem anderen öffentlichen Gebäude seines Forum zu sein scheinen, wie die Basilika Ulpia war, welches Gebäude auf einer seltenen goldenen Münze angedeutet ist. Diese erhobenen Werke stellen Krieger mit ihren Feldzeichen vor in Figuren von elf Palmen in der Höhe, unter welchen man den Feldherrn unterscheidet, aber nicht erkennt, weil der Kopf abgeschellert ist. Des Trajanus Brustbild aber ist deutlich auf einem von den runden Schildern an den Feldzeichen zu sehen, und auf einem andern dieser Stücke sieht man an dem Feldzeichen, welches zwei Schilder hat, auf dem unteren Schilde das Bild des Nerva, und auf dem oberen Schilde scheint wiederum das vom Trajanus zu sein . . .
Apollodorus, welchen Trajanus von Athen kommen ließ, den Bau dieses Forum [des genannten Kaisers] zu führen, zeigt, daß in dem, was die Kunst betrifft, die Griechen allezeit den Vorzug hatten; ja es war ihre Sprache in Rom belebter als selbst die römische, welches die in griechischer Sprache von Römern verfaßten Geschichtswerke unter anderen beweisen . . .
Unter den Bildern des Antinous, deren ich in der Geschichte der Kunst gedacht habe, hätte ich den kolossalischen Kopf desselben zu Mondragone über Frascati zuerst nennen sollen: denn es ist derselbe dermaßen unversehrt, daß er ganz neu aus den Händen des Künstlers gekommen zu sein scheint, und von so großer und hoher Kunst, daß es keine Ketzerei scheinen sollte zu sagen, es sei dieses Werk nach dem Apollo und nach dem Laokoon das schönste, was uns übrig ist. Die Haare und die Ausarbeitung derselben haben ihresgleichen im ganzen Altertume nicht; ja man kann sagen, daß dieser Kopf eines der schönsten Dinge in der Welt ist. Da derselbe vor Alters eingefugt gewesen, so gebe ich dem, der ihn sieht oder dieses liest, zu überlegen, was für ein Werk die ganze Figur gewesen sein mußte. Die Augen sind eingesetzt 396 und mit einem silbernen Blättchen belegt gewesen, . . . und um die Haare geht ein Kranz von einem Stil der Pflanze Lotos, deren Blumen von anderer Materie und eingelötet waren, wie die Löcher auf beiden Seiten des Stengels anzeigen. Diese Kränze wurden in Ägypten »Antinoia«, vom Antinous, genannt. Oben auf dem Kopfe ist ein Loch von drei Fingern breit, in welchem vermutlich eine große Blume von Lotos gestanden. Eine ganze und schöne Statue dieses jungen Menschen, in welcher derselbe als Bacchus mit Efeu bekränzt vorgestellt ist, befindet sich in der Villa Casali . . .
Über den Niedergang und das Ende der antiken Kunst
Es waren nach dieser Zeit die Künstler noch beständig beschäftigt; und dem Plautianus, [des] Kaisers Septimius Severus Liebling und ersten Minister, wurden nicht allein zu Rom, sondern auch in anderen Städten des Römischen Reiches sowohl von einzelnen Personen als von dem Senat Statuen aufgerichtet, so daß dieselben größer und zahlreicher waren als diejenigen, die dem Kaiser selbst gesetzt waren.
Unter diesem Kaiser geschah in der harten Belagerung der Stadt Byzantium, welche die Partei des Pescennius Niger wider jenen Kaiser ergriffen hatte, was die von den Goten belagerten Römer taten, die auf die Feinde Statuen warfen: die Byzantiner stürzten ganze Statuen von Erz sowohl stehender als reitender Figuren von der Mauer herunter auf die Belagerer.
Caracalla befahl, in allen Städten Statuen Alexanders des Großen zu setzen; und in Rom waren einige mit einem doppelten Kopfe, [dem] des Alexander und zugleich des Caracalla. Er lobte unter den alten Feldherren sonderlich den Sylla und den Hannibal und verehrte ebenfalls ihr Gedächtnis mit Statuen und Brustbildern . . .
Aus der sogenannten Begräbnisurne [des] Kaisers Alexander Severus im Campidoglio ist kein Schluß auf die Kunst seiner Zeit zu machen. Denn die auf dem Deckel derselben liegenden zwei Figuren stellen niemand weniger vor als gedachten Kaiser und dessen Gemahlin. Die männliche Figur zeigt ein betagtes Alter; Alexander Severus aber starb 397 etliche dreißig Jahre alt. Auf der Urne selbst sieht man in hoch erhobener Arbeit sowohl vorn als auf beiden Seiten den Anfang der Ilias, oder die Unmut des Achilles über die ihm genommene Briseis, und hinten das Ende der Ilias, nämlich den Priamus, welcher zu dem Achilles kommt, den Körper des Hektor auszulösen. An der vorderen Seite haben diejenigen, die alles zur römischen Geschichte ziehen wollen, den Vertrag des Romulus mit Titus Tatius, dem Könige der Sabiner, zu finden vermeint; und ein anderer hat sich in einem Knaul Garn, welchen die zwei Mädchen des Achilles halten, eine Handmühle vorgestellt, welche nicht einmal einer Pfeffermühle ähnlich ist.
Es hat sich unterdessen von der Kunst dieser Zeiten ein nachteiliges Vorurteil gleichsam zur Wahrheit gemacht, welches sich sonderlich auf die schlechte Arbeit an dem Bogen des Septimius Severus gründet. Man ist aber gezwungen, wenn man ungezweifelte bessere Werke von späteren Zeiten sieht, zuzugeben, daß vielleicht zu jenem Bogen und zu dem vornehmsten Denkmale gedachten Kaisers nicht der beste, wo nicht der schlechteste Künstler, wie noch zuweilen geschieht, vorgeschlagen und gebraucht worden . . .
Die Zeiten des Gallienus werden insgemein als der Zeitpunkt des gänzlichen Verfalls der Kunst angegeben, und dennoch finden sich Werke, die das Gegenteil dartun und einen vorteilhaften Begriff geben. Das eine von denselben stellt in erhobener Arbeit und in Figuren, die beinahe halb so groß als das Leben sind, eine Jagd besagten Kaisers vor: dieses Werk steht im Palaste Mattei . . . Das andere Denkmal von der Zeit des Gallienus, welches zum Vorteile der damaligen Kunst redet, ist dessen eigenes Brustbild von Marmor mit dem wahren alten Namen auf dem Fuße desselben. Dieses Stück war nach England gegangen, und es ist dem Herrn Kardinal Alexander Albani, in dessen Villa dasselbe jetzt steht, gelungen, es wiederum zurück nach Rom zu bringen. In dem gewöhnlichen Vorurteil von dem gänzlichen Verfalle damaliger Kunst bekennt gedachter Kardinal gewesen zu sein, da er ein schönes Brustbild des Kaisers Trajanus Decius, welcher kurz vor dem Gallienus regierte, aus den Händen und nach England gehen lassen, weil er sich nicht überreden konnte, daß es diesen Kaiser vorstelle, da es den Begriff von dessen Zeit überstieg. 398
Daß die Kunst sich in späteren Zeiten länger unter den Griechen als in Italien und in Rom erhalten, kann man unter andern beweisen aus den gemalten Figuren in einer alten Handschrift des Cosmas, auf Pergament in der Vatikanischen Bibliothek . . . Dieser Cosmas war ein Kaufmann zur Zeit [des] Kaisers Justinus, wie er selbst sagt . . . Auf einem der Gemälde dieser Handschrift sind unter dem Throne des Königs David zwei Tänzerinnen mit aufgeschürzter Kleidung vorgestellt, die mit beiden Händen ein fliegendes Gewand über dem Kopfe halten; und diese Figuren sind so schön, daß man glauben muß, sie seien von einem alten Gemälde nachgemacht. Zwischen beiden steht das Wort ΟΡΧΗΣΙΣ, »der Tanz«.
Von den meisten Werken der Kunst in späteren Zeiten kann man sagen, was Longinus von der Odyssea sagt, daß man in derselben den Homerus wie die untergehende Sonne sehe, von welcher außer ihrer Wirkung die Größe übrig bleibt.