Julius Wolff
Das schwarze Weib
Julius Wolff

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Achtzehntes Kapitel.

Florian Geyer hatte aus seinen Unterredungen mit Jäcklein Rohrbach längst die Überzeugung geschöpft, daß dieser für die Verfolgung eines groß angelegten Kriegsplanes, der darauf ausging, ganze Ländergebiete für die Sache der Bauern zu gewinnen, durch Eintritt der Städte in den Bund und durch Zuzug der waffenfähigen Bevölkerung das Heer zu verstärken, kein Verständnis hatte. In dem Böckinger Bauernsohn steckte nur gemeine Rachgier und Zerstörungswut, die er auf mordlustigen Beutezügen und in der Erstürmung, Plünderung und Verbrennung möglichst vieler Schlösser und Klöster austobte, unbekümmert darum, wo die anderen Haufen des Heeres standen und wie diese, die einer tatkräftigen Unterstützung vielleicht dringend bedürftig waren, mit ihren Gegnern fertig wurden. Auch von der Eroberung des Schlosses Weinsberg, die ihn sicher viel Zeit kosten würde, war er nicht abzubringen gewesen, und so gab es Florian auf, noch weiter mit Jäckleins Streitmacht zu rechnen, obwohl sie bedeutender als die seinige war, und zog es vor, fortan allein nach eigenem Ermessen zu handeln.

Als er sich nach der Einnahme von Löwenstein dem deutschorden'schen Städtchen Neckarsulm zuwandte, hatte er sich ganz bestimmte Ziele vorgezeichnet. Die Deutschordensherren waren in der dortigen Gegend reich begütert, wurden aber von ihren Untertanen gründlich gehaßt, und Florian konnte erwarten, daß diese ihn mit offenen Armen empfangen und ihm durch Stellung von Mannschaften und durch Lieferung von Kriegsgerät und Mundvorrat Beistand leisten würden. Danach wollte er Heilbronn friedlich oder gewaltsam besetzen und hatte dann das württembergische Land frei vor sich, um es sich zu unterwerfen. Bis dahin würde ja wohl Jäcklein seiner Rachsucht gegen Helfenstein, hoffentlich nur mit Eroberung des von dem entflohenen Grafen verlassenen Schlosses, Genüge getan haben und ließ sich dann vielleicht bereden, sich nunmehr Florian anzuschließen und mit ihm den Bauern in Oberschwaben zu Hilfe zu kommen, die dort dem Heere des schwäbischen Bundes gegenüber einen schweren Stand hatten. War auch dort, wie zu hoffen, der Erfolg auf Seiten des Bundschuhes, so wollte Florian nach Franken gehen, um dort mit Götz von Berlichingen und Metzler vereint einen Hauptschlag zu tun.

In Neckarsulm fand er die Stimmung der Bauern so günstig, wie er es kaum erwartet hatte. Man nahm ihn mit den Seinen bereitwillig auf und gewährte ihnen, so viel darin Platz fanden, gern Unterkunft in den Häusern; die übrigen lagerten auf den Wiesen außerhalb der Mauern. Die Verhandlungen mit Rat und Bürgerschaft über die Leistungen und Lieferungen der Stadt gingen glatt vonstatten, und man gab dem wohlwollenden Ritter auch noch guten Rat und Winke, wie und wo er sich in der Umgegend das ihm Notwendige und Wünschenswerte beschaffen könnte. Der nächste Tag sollte dazu verwandt werden, Streifrunden auf die näher oder entfernter liegenden Gehöfte und Meiereien der Deutschherren zu unternehmen, um von ihnen Korn, Vieh, Wein und sonstige Vorräte einzuheimsen. An diesen Eintreibungen brauchte sich jedoch Florian nicht selber zu beteiligen, er beauftragte damit einzelne Trupps von Bauern und Landsknechten unter erprobten Führern.

Ihn beschäftigte die Sorge um Judika. Er hatte sie in Neckarsulm nicht angetroffen; also war sie noch nicht hier, denn sonst hätte sie sich ihm schon gestellt und von Helfensteins Entschlüssen Mitteilung gemacht. Trotzdem forschte er in der Stadt nach ihr, fragte Bürger und Torwachen, aber niemand hatte das schwarze Weib hier gesehen oder von ihm gehört. Dies beunruhigte ihn sehr. Er beschloß jedoch, bis zum nächsten Mittag zu warten und, wenn sie bis dahin nicht erschiene, nach Erlenbach zu reiten und dort von der Frau, die sie ihm genannt hatte, Erkundigungen über sie einzuziehen.

Der nächste Mittag kam, aber Judika kam nicht. Was hatte das zu bedeuten? War sie gar nicht bis nach Weinsberg gekommen, sondern unterwegs aufgegriffen, den Feinden in die Hände gefallen? oder wurde sie auf dem Schlosse festgehalten? Himmel und Hölle! die beiden Rosenbergs waren ja von ihm, von Giebelstadt nach Weinsberg gereist! Wenn sie noch dort waren und somit Agathe Gelegenheit gegeben war, sich an Judika zu rächen, so war das Schlimmste zu befürchten. Sofort ließ er sich sein Pferd satteln und trabte gen Erlenbach zu Christine Kranz.

O wie klopfte ihm das Herz in Angst und Ungeduld auf diesem Ritt! Noch niemals, nicht in Kampf und höchster Gefahr hatte es so in ihm gewittert und gestürmt wie jetzt, wo er sich über alle Maßen um Judika bangte. Umsonst daß er sich sagte, Graf Ludwig würde doch wohl noch so viel ritterlichen Sinn besitzen, eine Jungfrau zu schonen und zu schützen, die sich ihm zu seiner Rettung nahte. Denn jetzt, leider jetzt erst, dachte er daran, daß sie als macht- und einflußreiche Schürerin und Führerin des Aufstandes von Rittern und Junkern als ein böser Dämon angesehen wurde, den unschädlich zu machen sich jeder einzelne von ihnen als ein großes Verdienst anrechnen würde, also auch Helfenstein. Wüßte Florian nur erst, ob sie in des Grafen Gewalt war oder nicht! und er spornte sein Roß, daß es ihn schnell nach Erlenbach trug.

Dort hatte er Christinens Hütte bald erkundet, stieg ab, trat ein und richtete an die Bewohnerin, die ihm, über den vornehmen, wenn auch nicht unerwarteten Besuch erschrocken, in ihrem kleinen Flur entgegenkam, sofort die hastige Frage. »War Judika Hofmännin hier?«

»Seid Ihr Herr Florian Geyer von Geyersberg?« fragte Christine vorsichtig zurück.

Er nickte bloß, mit Aug' und Ohr gespannt an ihren Lippen hängend.

»Ja, Herr Ritter, sie war hier, und jetzt sitzt sie gefangen auf Schloß Weinsberg,« sprach Christine mit traurigem, halb vorwurfsvollem Tone.

»O Gott!« stöhnte er und schlug sich vor die Stirn. Aber nun hatte er doch endlich Gewißheit, daß sie wenigstens bis hierher gekommen war.

»Ich habe ihr abgeraten, hinaufzugehen, habe sie gewarnt, soviel ich konnte,« fuhr Christine fort, »aber sie ließ sich nicht zurückhalten, sie müßte hinauf, sagte sie, hätt' es Euch versprochen, dem Grafen eine Botschaft von Euch zu bringen.«

»Wann war sie hier?«

»Gestern in der Frühe. Kommt herein, Herr! – seht, da liegt ihr Bündel, da steht ihr Spieß, das beides sollt' ich ihr aufbewahren; in ein paar Stunden wollte sie wieder hier sein. Sie ist nicht wiedergekommen. O meine Ahnung! meine Ahnung! in der Tür noch, als sie hinausging, blieb sie mit dem Kleide an einem Splitter hängen; das war ein Zeichen vom Himmel, daß sie nicht fort sollte, aber es half alles nichts, sie ließ sich nicht halten. Nun sitzt sie oben fest.«

Florian hörte kaum noch hin; mit gefurchtem Antlitz stand er da, den starren Blick auf Judikas Bündel gerichtet.

»Und ich hab' auch eine Nachricht von ihr,« fuhr die Geschwätzige fort.

»Eine Nachricht von ihr?« fragte Florian schnell.

»Ja! das heißt, nicht von ihr, vom Grafen. Heute morgen war ein Knecht vom Schlosse hier und bestellte, daß ich Euch zu wissen tun sollte, der Graf hielte Judika gefangen, und beim ersten Sturm aufs Schloß ließe er ihr den Kopf abschlagen.«

»Weib! sprichst du im Wahnsinn?« schrie Florian auf und packte sie am Arme.

»Ach du barmherziger Gott!« schluchzte Christine, in helle Tränen ausbrechend, »ich kann ja nichts dafür, Herr! ich habe sie gewarnt, ich habe sie gewarnt, aber sie mußte hinauf, sie mußte!«

»Wußte der Knecht etwas von ihr?«

»Nein, – ja doch! Es war einer, der schon lange auf dem Schlosse dient, den ich gut kenne und der auch Judika von früherher kennt, als sie auch noch oben war. Und die sie kennen, die sind ihr alle gut und hülfen ihr gern heraus, wenn sie nur könnten; aber was sollen sie machen? der Graf ist zu grausam streng. Jordan, so heißt der Mann, sagte, sie läge nicht im Turm, auch nicht in dem anderen schweren Kerker, sondern wäre in der Gefängnisstube eingesperrt, ganz hinten mit dem vergitterten Fenster nach dem Baumgarten zu. Sie würde gut gehalten, aber niemand dürfte zu ihr als der Burgvogt und die Zofe, die ihr das Essen und Trinken bringt.«

»Niemand darf zu ihr! sagte das der Knecht?«

»Ja, Herr! das sagte Jordan.«

»Hat er Euch nicht auch gesagt, ob der Junker von Rosenberg und seine Schwester beim Grafen sind?« fragte Florian.

»Ja, die sind oben, schon lange,« erwiderte Christine.

Wie in einem Krampfe zuckend ballte sich Florians Faust, und er blickte sehr düster vor sich hin.

»Aber das mit dem Kopfabschlagen, daran glaubte Jordan nicht, dazu fände sich keiner auf dem Schlosse, der das täte. Und wenn sich einer von den neu Angeworbenen dazu hergeben wollte, den täten sie totschlagen, sagte Jordan.«

»Den Knecht kennt Ihr, Frau, aber kennt Ihr auch den Herrn?« sprach Florian sorgenvoll.

»Ach, Herr! wie könnt Ihr fragen! den kennen wir alle hier weit und breit, das ist ein Wüterich. O Herr Ritter, rettet Judika! laßt sie nicht in der Gewalt dieses Unmenschen! wenn's kein anderer tut, bringt er sie selber um. O rettet sie, Herr! rettet sie, rettet sie!« flehte Christine inbrünstig Florian an, die gefaltenen Hände zu ihm erhebend.

»Wenn' s menschenmöglich ist, geschieht's,« stieß er aus gepreßter Brust hervor. »Lebt wohl!« Er ging hinaus, schwang sich aufs Pferd und ritt langsam davon.

Judika retten, ja freilich, das mußte er. Leib und Leben, Gut und Blut mußte er daran setzen, sie zu befreien, denn er hatte sie in die Höhle des Löwen geschickt. Aber war ihm das nur eine Sache der Pflicht und Ehre? nicht auch oder vielleicht noch mehr der Wunsch seines Herzens? Noch niemals hatte er sich ernstlich gefragt, wie er eigentlich in seinem Herzen zu Judika stünde. Jetzt aber, in seiner Angst um sie, drängte sich ihm mit Gewalt das Bewußtsein auf, daß er sie liebte. Wie war diese Liebe gekommen? Schon zu der Zeit, als Judika auf dem Helfenstein'schen Schlosse aufwuchs, hatte er immer, so oft er sie sah, an dem schönen und lebhaften Mädchen seine stille Freude gehabt, hatte sich gern mit ihr unterhalten und wie mancher andere seinesgleichen ein wenig mit ihr getändelt, was sie sich jedoch von keinem so gern gefallen zu lassen schien wie von ihm. Als er sie dann zum ersten Male bei den Bauern wiedersah, wo sie ihm das Leben rettete, war sie herb und schroff gegen ihn gewesen, hatte wie seinen Dank so auch seinen Rat, dem Kampfe fernzubleiben, stolz zurückgewiesen. Dann aber in jener Mondnacht in der verwüsteten Kirche zu Schönthal hatte sie sich ihm ganz anders gezeigt, freundlich, mehr als freundlich, vertrauensvoll und dabei seltsam erregt. Und er hatte damals schon etwas in sich gefühlt, was über eine bloß freundschaftliche Teilnahme weit hinausging und seiner Bewunderung ihrer seelischen Kraft und Entschlossenheit eine Wärme verlieh, die seitdem alle seine Gedanken an sie mächtig durchströmte. Und dann, als er sie in Löwenstein so überaus verwegen kämpfen sah und sie nachher auf seine Vorwürfe darüber halb leugnete, halb eingestand, daß sie den Tod gesucht hatte, da war es ihm beinahe schon klar geworden, daß sein Herz an ihr hing, daß ihr Leben eine Bedingung, ein Teil seines eigenen Lebens war. Aber liebte sie ihn denn? ja! ja! jubelte es in ihm, es kann nicht anders sein! und nochmals und nochmals rief er sich seine letzten Begegnungen mit ihr in das Gedächtnis zurück und blieb dabei und schwor darauf. Aber was sollte daraus werden? Ach, nur jetzt nicht diese Frage! Sie befreien, sie retten! das war der einzige Gedanke, den er jetzt haben durfte, war für ihn das nächste Ziel im Kriege. Was dabei gewonnen oder verloren wurde, ob Helfenstein den Tod fand, sein Schloß in Flammen aufging, – ganz gleich! Der verdiente den furchtbaren Haß aller, die ihn kannten, – wahrlich! das sah der von ihm so freventlich Getäuschte jetzt ein. Und den, den hatte er schonen und retten wollen, hatte daran sein Teuerstes auf Erden gewagt, es selber ihm in die Hände geliefert! O er wollte ihm zeigen, daß sein Geleitwort, sein Schwert wachte über Judikas Sicherheit, das sie dem Ehr- und Pflichtvergessenen doch sicher nicht verschwiegen hatte, keine leere Drohung gewesen, sondern in einem Sinne gemeint war, dessen vollen Ernst er dem Verräter mit blutigen Wunden beibringen wollte. Eines nur schmerzte ihn bei dem Gedanken an den bevorstehenden Kampf, dem er mit Ungeduld und brennendem Verlangen entgegensah: Achaz, sein bester Freund, war dort oben, ihn konnte er vor der Wut der Bauern schwerlich schützen, und es war leicht möglich, daß er auch mit ihm die Klingen auf Tod und Leben kreuzen mußte, wie es ihm Achaz auf Giebelstadt vorausgesagt hatte. Die Drohung des Grafen dagegen, seiner Gefangenen beim ersten Sturm den Kopf abschlagen zu lassen, schien ihm eine solche Ungeheuerlichkeit, wie er sie selbst einem Menschen wie Helfenstein nicht zutraute. Damit wollte er sich nicht abschrecken lassen zu tun, was ihm sein Herz befahl. Stürmen und zerstören wollte er das Schloß, den Treulosen niederschlagen, Judikas Kerkertür sprengen und die Gerettete auf seinen Armen hinaustragen in die Freiheit, in Sieg und Liebesglück.

Wenn' s nur gleich geschehen könnte, heute noch! Aber nicht allein, daß Jäcklein, dessen Beistand er dazu durchaus nötig hatte, noch nicht zur Stelle war, auch seine eigenen Mannschaften hatte er heute nicht beisammen, hatte sie ja in die Umgegend auf Beutemachen ausgeschickt und mußte nun warten, bis sie zurück waren, bis morgen, bis morgen! Darum ritt er so langsam nach Neckarsulm zurück, denn Eile nützte heute nichts. –

Derweilen saß Judika einsam in ihrem Gefängnis. Sie kannte diese kahlen vier Wände von ihrer Jugend her. Hier war Ludwig von Helfenstein als Junge von seinem Vater einmal einen Tag lang eingesperrt gewesen für einen allzu kecken Streich, den er verübt hatte. Da hatte sie es dem Burgvogt, der ihr wie alle Schloßbewohner im Herzen gewogen war, abgebettelt, daß er sie heimlich zu dem Eingeschlossenen ließ, um ihm ein paar Stunden Gesellschaft zu leisten, und sie hatten sich mit Plaudern und Lachen hinter dem Rücken des gestrengen Vaters und Schloßherrn die Zeit vertrieben, so gut sie konnten. Nun saß sie selber hier gefangen auf Gnade und Ungnade dessen, den sie hatte retten wollen. Sie gedachte der Vorbedeutungen, die ihr auf dem Wege von Christinens Hütte bis ins Schloß begegnet waren, ihr Hängenbleiben am Türpfosten, die Spinne auf ihrem Ärmel, die sich sperrende Brücke und das Freudengebell des Hundes, teils günstige, teils ungünstige Zeichen, auf die kein Verlaß war. Sie verwünschte ihren vertrauenden Kinderglauben an die zweideutigen Winke geheimnisvoller Mächte, die mit Gefahren drohen und mit Hoffnungen schmeicheln, um mit beiden zu täuschen und es dem Zufall zu überlassen, mit den Geschicken der Menschen sein launenhaftes Spiel zu treiben.

Ohne Kenntnis von dem, was außerhalb dieser vier Wände geschah oder sich vorbereitete, blieb sie in marternder Ungewißheit über ihre nächste Zukunft. Die Zofe, die sie bediente, wußte ihr auf ihre Fragen nach dem Stande der Dinge keine Auskunft zu geben, und aus dem ihr im stillen zugetanen, aber wortkargen Burgvogt war auch nichts herauszukriegen. Doch verdankte sie ihm die hochwichtige Mitteilung, daß der Graf einen Knecht zu Christine Kranz geschickt hatte mit einer Botschaft, über deren Inhalt sie nicht im Zweifel sein konnte. Dies war ihr ein großer Trost. Sie hatte damit den Zweck erreicht, den sie bei Nennung von Christinens Namen dem Grafen gegenüber im Auge gehabt hatte; die List war vollständig gelungen. Nun erfuhr doch Florian, wo und in welcher Lage sie sich befand, und daß der tapfere Freund sie nicht im Stich lassen würde, wenn Rettung möglich war, davon war sie so fest überzeugt wie vom Dasein der Sonne dort, die blutrot eben im Versinken war. Sie konnte also ihre Befreiung nun mit ziemlicher Sicherheit erwarten, falls nicht der Graf seine schreckliche Drohung an ihr zur Ausführung brächte, und ob er dies tun oder nicht tun würde, entzog sich jeglicher Mutmaßung und Voraussicht. Daß er sie schon beim ersten Angriff des Feindes töten lassen würde, fürchtete sie zwar nicht. Sehr leicht möglich war es aber, daß er unmittelbar vor der Eroberung des Schlosses, wenn er rettungslos seinen eigenen Untergang vor Augen sah, doch Florian Geyer noch den Rachestoß versetzte, sie ermordet zu haben.

Daß sich Florian auf Verhandlungen mit dem Grafen einlassen könnte mit der Bedingung, ihn zu schonen, wenn er sie freigäbe, glaubte sie nicht, und dann war es noch sehr fraglich, ob sich Jäcklein und seine Neckartaler, nur um ihr schwarzes Weib zu retten, von der Niederwerfung und Vernichtung gerade des verhaßtesten aller Burgherren zurückhalten lassen würden. Jäcklein würde das Schloß sicher stürmen und mit doppelter Wut, wenn er von Florian die Gefangenschaft Judikas erführe. Dann würden beide Männer mit vereinter Macht die Mauern übersteigen und ihre Fesseln brechen.

Ach, nur frei! nur frei! nur Rettung aus diesen Banden! Doch nur von Florian mochte sie gerettet werden, nur dem Geliebten die Rettung verdanken, und wenn er oder sie oder beide den Sieg nicht überleben sollten, – nur einen Atemzug an seiner Brust, nur einen Kuß von seinem Munde und dann – dann sterben!

Die Sonne war gesunken, und schimmerndes Abendrot stieg am Himmel empor, das einen milden, rosigen Schein auch in die Zelle und auf das Antlitz der Gefangenen warf. Denn Judika stand am Fenster und schaute durch die eisernen Gitterstäbe sehnsüchtig auf die grünbewaldeten Berge, als erwartete sie schon das Nahen des Befreiers. Aber von dorther konnte weder Florian noch Jäcklein kommen, sondern aus der entgegengesetzten Richtung, die ihrem Blicke verborgen war. So konnten ihre spähenden Augen nichts Tröstliches entdecken; sie mußte sich auf ihr Gehör verlassen und lauschen, bis das Geräusch der heranziehenden Heerhaufen oder vielleicht das Dröhnen des ersten Schusses ihr die Ankunft der Freunde meldete.

Da öffnete sich plötzlich die Tür, und herein trat der Graf, zu Judikas Schrecken allein. Er trug, wie immer, den Dolch im Wehrgehenk und machte ein Gesicht, das freundlich aussehen sollte, aber ein lauernder, stechender Blick weissagte ihr nichts Gutes.

»Fürchte nichts, Judika!« begann er, da er ihr Erschrecken wohl bemerkt haben mochte, und ließ sich auf den Rand des Bettes nieder. »Komm her, setze dich hier zu mir auf den Schemel und laß uns vernünftig miteinander reden.«

Aber sie blieb ohne sich zu regen am Fenster stehen und harrte schweigend der Erklärung seines Besuches.

»Ich komme,« sprach er nun, »um hier einmal nach dem Rechten zu sehen und von dir zu erfahren, ob du mit deiner Haft, die ich dir so leicht und angenehm wie möglich machen möchte, zufrieden bist.«

Sie sah ihn erstaunt an und antwortete nicht.

»Ich meine,« fuhr er etwas verlegen fort, »ob du dich über nichts zu beklagen hast, was deine Wartung und Verpflegung betrifft, ob es dir an nichts mangelt, was dir gebührt. Sonst sage es mir.«

»Herr Graf,« erwiderte sie nach einigem Bedenken »wozu die Umschweife? Um das zu fragen, kommt Ihr nicht zu mir.«

»Hast recht,« versetzte er mit einem dreisten Lachen, »wir beide kennen uns zu lange und zu gut, um miteinander Versteckens zu spielen. Also höre! Du siehst, daß du in meiner unbeschränkten Gewalt bist. Ich kann mit dir machen, was ich will, kann dich freigeben, kann dich festhalten, kann dich töten lassen. Was dir von diesen dreien das Liebste wäre, brauchst du mir nicht erst zu sagen; aber alles in der Welt hat seinen Preis. Wieviel ist dir deine Freiheit wert?«

Sie verstand ihn vollkommen, und tief entrüstet entgegnete sie: »Das ist wenigstens deutlich gefragt, und damit auch Ihr nicht in Ungewißheit über meine Gesinnung bleibt, erklär' ich Euch: mit meiner Ehre erkauf' ich mir die Freiheit nicht!«

»Hm!« machte er kühl. »Also du bietest keinen Preis. Nun, so darf ich vielleicht einen fordern, der zugleich ein gutes Angebot enthält. Bleibe wieder hier, Judika! – nicht als Gefangene natürlich, nein! wie eine Herrin will ich dich halten, in Sammet und in Seiden sollst du gehen, sollst bei Tafel an meiner Seite sitzen, sollst mit mir reiten und jagen, sollst alles haben, wonach dich gelüstet. Nur hierbleiben mußt du, jahraus, jahrein, und – mein eigen sein.«

Die Schamröte stieg ihr ins Gesicht, doch schnell gefaßt erwiderte sie: »Auf Euer Schandgebot habe ich keine Antwort und hab' Euch schon einmal gezeigt, wie ich Eurem schändlichen Gelüst zu begegnen weiß. Aber etwas anderes will ich Euch sagen. Ihr sprecht noch von jahraus, jahrein. Seid Ihr denn wirklich so maßlos verblendet, nicht einzusehen, daß Eure Tage, Eure Stunden möcht' ich sagen, hier auf dem Schlosse gezählt sind? Wie lange gedenkt Ihr Euch gegen den Ansturm der Bauern zu halten? einen Tag oder zwei, länger nicht!«

»Da irrst du, schöne Judika!« lächelte er spöttisch. »Eine Woche lang halt' ich mich allein, denn ich bin gut gerüstet. Aber nun will ich dir etwas anvertrauen; du wirst es nicht ausplaudern und sollst es wissen, damit du dir über deine Lage klar wirst. Dir ist bekannt, daß die Gräfin, meine Gemahlin, eine Tochter Kaiser Maximilians ist. Erzherzog Ferdinand ist mein Gönner und Freund, und an ihn habe ich mich um Hilfe vom schwäbischen Bunde gewandt, die mir nicht versagt werden, sondern die sicher zur rechten Zeit zur Stelle sein wird, um die Bauern wie Spreu vor dem Winde zu vertreiben.«

»So wißt Ihr wohl nicht, wie es in Oberschwaben aussieht,« sprach Judika, »daß dort dem Heere des schwäbischen Bundes ein starkes Bauernheer gegenübersteht und ihm den Weg zu Eurer Rettung versperrt?«

»Woher weißt du das?« fragte der Graf, sichtlich erschrocken.

»Von Florian Geyer.«

»Aha! auf den hoffst du, und dem gehörst du! nicht wahr? Wisse, Judika! dem lass' ich dich nicht, und kommt er hier herauf, – lebendig soll er dich nicht mehr finden!« sagte Helfenstein drohend.

»Dann kommt Ihr auch nicht lebendig hinab!« gab sie ihm fest zur Antwort.

»Also bliebe uns beiden nicht viel mehr übrig vom Leben, und dann, – ja dann möcht' ich rasch noch einen vollen, durstigen Zug aus seinem süßesten Freudenbecher tun, solang' ich ihn noch in Händen halte,« lachte der Graf in übermütigem Leichtsinn, erhob sich und schritt mit glutloderndem Blick auf sie zu. »Komm her, du schönes, schwarzes Weib!«

»Was? Ihr wagt es noch einmal, mich zwingen zu wollen?« rief sie bebend aus.

»Ergib dich, und du sollst frei sein!« drang er auf sie ein.

»Halt! ein Wort noch, das Euch zur Besinnung bringt!« sprach sie schnell mit abwehrend vorgestreckten Händen. »Ein Geheimnis weiß ich –«

»Sag' es mir nachher!« unterbrach er sie sinnberauscht und streckte die Arme nach ihr aus.

Da schrie sie ihm in der furchtbarsten Erregung zu: »Rühre mich nicht an! ich bin deine Schwester, Ludwig von Helfenstein!«

Starr blickte er der Zitternden in das angstbleiche Gesicht. »Wer sagt das?«

»Meine Mutter hat mir's auf ihrem Sterbebett anvertraut.«

»Meine Schwester! – – Ach was!« sprach er trotzig, »Schwester oder nicht! Halbschwester nur! Du bist schön, du schwarzes Weib! Du mußt mein sein!«

Schon wollte er sie umschlingen, da packte sie ihn mit der Riesenkraft der höchsten Angst und schleuderte ihn gegen die Wand, daß es krachte.

Wutschnaubend stürzte er wieder auf sie los, und wieder warf sie ihn zurück, und »Da! da!« keuchte sie atemlos, hinter ihn nach der Tür zeigend. »Nimm die!«

Die Tür war aufgegangen, und auf der Schwelle stand Agathe.

Sie hatte den Grafen seit Judikas Ankunft auf dem Schlosse fast nicht aus den Augen gelassen, hatte ihn auf Schritt und Tritt förmlich überwacht, um jede Annäherung seinerseits an Judika möglichst zu verhindern, aus Furcht, er könnte Gnade gegen sie üben und sie damit der Rache entziehen, deren Planung Agathes Gedanken Tag und Nacht beschäftigten. Auch jetzt hatte sie's ihm abgemerkt, wohin er ging, war ihm nachgeschlichen und hatte vor der Zelle gehorcht, aber durch die starke Tür nicht alles verstehen können, was innen gesprochen wurde. Doch Judikas Schrei: ich bin deine Schwester! hatte sie deutlich vernommen, hatte noch ein Weilchen gelauscht und war dann, das Ringen der beiden hörend, schnell eingetreten. Die drei standen sich nun, von Schreck und Entsetzen wie gebannt und versteinert, gegenüber.

»Was willst du hier?« herrschte der Graf, nachdem er seine Befangenheit überwunden, die ihn in diesem Augenblick höchst ungelegen Kommende an.

»Eine Torheit verhüten,« gab sie ihm zur Antwort, ihn fest dabei ansehend. »Und darf ich fragen, was du hier tust?«

»Nein! danach hast du nicht zu fragen!« entgegnete er grimmig. »Mach', daß du fortkommst!«

»Nur mit dir verlass' ich diesen Raum,« sprach sie entschieden. »Komm und laß deine Schwester in Ruh!«

Er schwieg in Scham und Wut und wandte sich zur Tür. Da riß ihm Agathe den Dolch aus der Scheide, warf ihn auf das Bett und rief Judika zu: »Da! für den nächsten Besuch! – und auch sonst zu beliebigem Gebrauch!« fügte sie halblaut hinzu.

Blitzschnell erfaßte Judika den Dolch und sprang damit auf Helfenstein zu, besann sich aber plötzlich und sagte: »Zu beliebigem Gebrauch? ah, jetzt versteh' ich. Nein, mein Fräulein, den Gefallen tu' ich Euch nicht! und du verdienst nicht so leichten Tod!« und warf ihm den Dolch vor die Füße.

Der Graf nahm ihn an sich, stieß ihn in die Scheide und raunte Agathe ärgerlich zu: »Das war eine Torheit von dir!« Dann gingen die beiden hinaus, und Judika war in Verzweiflung und Grausen wieder allein.


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