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Cecil Clerk hat vor Old Josh zwei Zeitungen auf den Tisch geknallt: den »Democratic Globe« und den republikanischen »Daily Citizen«. Er rennt im Kabinett des Onkels wie ein Tiger in seinem Käfig umher. »Natürlich steckt George dahinter!« faucht er. »George, dieses Stinktier! Und jene Wanze, der edle Sherry, wie Dorothy das Ungeziefer von Presseparasit nennt, hat sich natürlich kaufen lassen!«
»Gestatte, daß ich mich erst einmal orientiere«, sagt Old Josh, »setz dich bitte und bring nicht Unruhe in diese friedliche Welt!« Er stopft behaglich einen Schnitz der weißen harten Kokosnußsubstanz zwischen seine Kiefern und beginnt die angekreuzten Artikel zu lesen. Da ist zuerst im »Democratic Globe« vor drei Tagen ein gut aufgemachter Block mit fetter Überschrift:
DIE SCHILDKRÖTE HAT IHREN PANZER
WAS HAST DU?
Millionen Amerikaner fragen sich, wenn sie in der Nacht ein leises, unsichtbares Sausen am Himmel hören, das nicht dem eines unsrer Flugzeuge gleicht: Was ist das? Sind es die Fliegenden Untertassen? Und weshalb hört man sie stets aus östlicher Richtung nahen? Die Regierung schweigt. Sie wird ihre Gründe haben. Aber du, was tust du? Gewiß, du rennst beim Alarm in den Keller; doch ist dieser Keller wirklich ein Schutz, wenn die erste Atombombe auf unsre Stadt fällt?
Old Josh überfliegt Al Flaggs journalistisches Meisterwerk, wie jener schutzlose Bürger unter den Stein- und Feuerlawinen niederkrachender Wolkenkratzer mit Weib und Kind über den flammenden Asphalt flüchtet, wo heulende Menschen als brennende Fackeln wie eingerammt stehen, und weiter:
Du bist zwar von Natur keine Schildkröte. Aber deine Intelligenz befähigt dich, in wenigen Sekunden dich in eine Schildkröte zu verwandeln. Der Keller in deinem Haus ist dein Panzer! Siehe das Angebot der C.C.C. auf der letzten Seite!
Dort befindet sich eine ganzseitige, bebilderte Annonce der C.C.C. mit dem Angebot leichtmontierbarer Kellerstahlmäntel in fünf verschiedenen Größen und ebensolcher feuerfester Panzertüren.
»Prächtig, prächtig!« brummt Old Josh nicht ohne einen gewissen Hohn, immer die etwas trockne Kokosscheibe zwischen den Kiefern zermahlend.
»Prächtig!« Clerk zerrt jetzt den »Daily Citizen« mit dem heutigen Datum nach oben. »Sehr prächtig!«
Und hier liest der Alte einen mit Spectator gezeichneten Artikel, der, in gleicher Aufmachung wie das Schildkrötenelaborat, zweifellos dieses edle Tier in den Orkus stoßen soll. Denn dieser Spectator-Artikel trägt die Überschrift:
DER MENSCH EIN ADLER
Und nun wird dort dem patriotischen Leser die nicht schwer zu beantwortende Frage gestellt, ob die USA eine im Staub kriechende und vor jeder Berührung den Kopf in ihr Gehäuse zurückziehende Kröte im Wappen führe oder den Adler, den Herrscher der Lüfte und Freund der Blitze? Ob etwa die Bürger der Staaten als Schildkrötenmenschen auf dem Bauche rutschend den feindlichen Überfall auf ihr Land abwarten sollten, oder ob es des Volkes mit einer gigantischen Luftwaffe nicht angemessener sei, adlergleich dem Feinde entgegenzufliegen und ihn in seinem eigenen Lande zu vernichten, bevor überhaupt ein Feindflugzeug gegen die USA aufsteigen könne? Daher – jede Tonne Stahl für unsre Flugzeugträger und ferngelenkten Geschosse! Kein Kilo Stahl für das sinnlose Spielzeug hysterischer Schildkrötenhelden! Erhebe dich stolz in die Lüfte, amerikanischer Adler! Ziehe dein staubiges Köpfchen ein und schweige, bibbernde Schildkröte!
Old Josh schaut auf Clerk, den Koloß mit seinem mächtigen Kürbisschädel; schmunzelnd meint er: »Staubiges Köpfchen … nicht schlecht, und bibbernde Schildkröte ist direkt hervorragend.«
»Und deine Scherze sind direkt erhebend!«
Old Josh gießt bedächtig aus einer angebohrten Kokosnuß die Milch in ein Glas; er scheint zu überlegen.
»Rückzug?« fragt Clerk ungeduldig und gibt sich sofort selbst die Antwort: »Ausgeschlossen!«
Der Alte hat, während er die Milch genüßlich schlürft, in dem »Daily Citizen« herumgeblättert und mehr mit sich selbst gebrummelt: »Natürlich müssen wir bei dem ›Citizen‹ die gleiche ganzseitige Annonce aufgeben, dreimal wöchentlich und möglichst noch sonntags.«
»Den Schuften noch Geld in den Rachen werfen?«
»Olala, mein Jungchen, du bist weder ein Gourmand noch ein Savant; sonst wüßtest du: Wenn man ein Omelett genießen will, muß man die Eier zerbrechen! Wir müssen also dieses würdige Schmarotzerblatt mit einigen tausend Dollar zwingen, für uns Reklame zu machen; ist das klar, Söhnchen?«
Und während der Neffe durch den Nebel seiner Wut zu verstehen beginnt und sogar bereit wäre, das Ei des Kolumbus für das besagte Omelett zu zerbrechen, bleibt das Auge des Onkels jetzt auf einer Stelle des »Citizen« haften; er nimmt seine Leselupe, indessen er mit seinem wulstigen Zeigefinger auf einen Punkt zeigt. Dort befindet sich das Photo einer Schulklasse: die Kinder tragen an einem Kettchen um den Hals eine ovale Erkennungsmarke mit Namen, Wohnung und Nummer, die sie vorzeigen. Im Todesfalle nach einem Bombenangriff werde man so die kleinen Leichen unschwer identifizieren können. Eine ähnliche vorsorgliche Maßnahme habe man im Staate New Jersey angeordnet, wo man bereits Fingerabdrücke der Schulkinder herstellen lasse.
Auch Clerk hat jetzt das Bild und den erklärenden Text erfaßt. »Das heißt also«, sagt er, »auf dieser Seite hält man den Atombombenangriff auf unsre Städte für gewiß, und drei Seiten vorher ist der Feind von unsern Adlern in seinem Land schon vernichtet – eine Logik ist das!«
»Fasle nicht von Logik, Jungchen, sonst juckt mich der große Zeh«, brummt der Alte, »wo kämen wir hin, wenn die Menschen logisch dächten? Diese Sache mit den Kindern aber ist direkt ein Geschenk des Himmels, wenn du bedenkst …«
Aus dem Vorzimmer bittet man Clerk an den Apparat. Inzwischen unterhält sich Old Josh, mit einem Blaustift auf der Zeitung Figürchen in einer Art Bienenkorb zu kritzeln.
Wie Clerk zurückkommt, erklärt er unwirsch, er könne nicht mehr bleiben: ein F.B.I.-Mann warte in seinem Büro, der nur ihn selbst sprechen wolle, und zweitens sei Al Flagg, der kleine Schmierfink des »Democratic Globe«, trotz seiner Aufforderung zu einer Besprechung nicht erschienen und nicht auffindbar.
»Wozu überhaupt diese Vögelchen?« fragt der Alte. »Schau her!« Er deutet auf sein Zeitungsgekritzel. »Wir teilen von jetzt an die ganzseitige Annonce senkrecht in zwei Hälften: links bringen wir, wie hier im ›Citizen‹, dieses furchtbar rührende Bild der Kindertodeskandidaten mit der Erkennungsmarke um den Hals, das heißt mit ihrer Sterbemarke; rechts aber plazieren wir unsern stahlgewölbten Keller mit den feuerfesten Panzertüren, natürlich ohne den Schildkrötenblödsinn; dafür etwa diesen Text:
NUR MÖRDER UND GEDANKENLOSE STERBEN MORGEN
Du aber gehörst nicht zu beiden. Deshalb befestige deinen Keller mit Stahlmantel und feuerfester Tür! Mögen über dir die Bomben krachen und die Feuerstürme der Hölle toben, im Innern deines Hausbunkers ist Sicherheit und Leben. Hier trimmst du deine Mahlzeiten, schläfst, liest und wartest mit deinen Lieben, bis das Radio die Entwarnung ansagt und die Rettungsmannschaft an deine Stahltür klopft. Das C.C.C.-Modell, wie auf dem Bilde, steht zur Ansicht. Bequeme Ratenzahlung!
Und auf dem Bild daneben: die im Bunker sitzende Familie beim Tee. Ja. mein Junge«, beendet Old Josh sein Privatissimum, »unsre Reklame muß so sein, daß wir bei den Nomaden in der Wüste Gobi unsre Stahlbunker und bei den Eskimos am Nordpol unsre Kühlschränke verkaufen können.«
Der Alte schweigt. Auch Clerk schweigt. Er müßte zugeben, diese Annonce ist erstklassig; doch es ärgert ihn, daß der alte Fuchs mehr Phantasie besitzt als er selbst; so stellt er sich, als sei er durchaus noch nicht überzeugt und müsse sich den Fall überlegen. Old Josh, der schon wieder an einem Kokosschnitz knabbert, meint jetzt so nebenbei: Vielleicht könne man das Ganze auch lassen und das Inseratengeld sparen, da die Waffenstillstandsverhandlungen in Korea gut vorangingen und die Friedensbewegung überall zunähme, auch in Amerika.
Hier fährt Clerk hoch: »Du bist wahnsinnig! Mir scheint, du weißt nicht, was du sagst!«
»Ich weiß nur, daß jeden Morgen in meinem Briefkasten gedruckte Aufforderungen stecken zu Unterschriften für den Frieden, von Studenten, Professoren, Priestern, Frauen, ehemaligen Frontkämpfern und von Gott weiß wem …«
»Aber du liest natürlich nicht unsre seriöse Presse, was ›Cansas City Star‹ schreibt, daß die Friedensgefahr zwar zunehme und unsre Wirtschaft ruinieren könne, daß aber selbst im Falle eines Friedens mit Korea noch genügend andre Konfliktsherde bleiben in Persien, Ägypten, Europa und vor allem in Deutschland; also bitte geige nicht weiter mit solchem Unsinn auf meinen Nerven!« Er nimmt verärgert seine angerauchte Zigarre und will zur Tür. »Ich rufe dich noch an; so long!«
An der Tür wendet er sich noch einmal um: »Du kannst inzwischen die Annonce ja entwerfen, bitte! Ich habe soviel andres im Kopf!«
Im Chefkabinett seines Bürohauses wird Clerk von Mr. Pigeon, dem F.B.I.-Mann, der bei dieser Gelegenheit auch ohne den Zahnstocher in den Mundwinkeln existiert, über die Ereignisse während des Probealarms unterrichtet. Clerk hört nur mit halbem Ohr hin; er überlegt, wie er den Burschen billig und schnell abschieben kann. Wahrscheinlich möchte dieses Subjekt, wie so viele seinesgleichen, bei seinen offiziellen Beziehungen sich privat noch einen Nebenverdienst verschaffen. Vielleicht steht er auch mit dem »Pokerface« alias »The Lord« des Costellorings in Verbindung. »The Lord« hat ihm – eingedenk ihres gemeinsamen Wirkens während der Wahlkampagne – ab und zu einen der jetzt arbeitslosen Kumpane zur weiteren Verwendung geschickt. Übrigens gut, daß ihm The Lord jetzt einfällt! The Lord hat Ideen. Zudem ist er durchaus gesellschaftsfähig, nicht bloß wegen seiner von jeher tadellosen Manieren und Sprechweise. Vor allem hat er in den letzten Jahren den Coltrevolver und die MP aus der Sturm- und Drangperiode seiner Al Capone-Zeit weggelegt; er arbeitet heute durchaus seriös als Vorsitzender eines Automatentrusts mit achtzig Prozent Einlage und Inhaber zweier Hotels. Er – Clerk – muß sich mit ihm wieder einmal treffen, am besten im mondänen Van-Dyck-Club, wo neben der Highlife auch Maler und Theaterleute verkehren.
Und was den Burschen da vor ihm betrifft … man wird ihm irgendeinen Auftrag erteilen, meinetwegen diesem Al Flagg oder, besser noch, jenem Strolch »Sherry« etwas ans Bein zu hängen; man muß ihm hierfür eine Anzahlung leisten. Aber was redet der Bursche bloß? Wie kommt er auf den Namen Adda Montez? Und was hat Donald hierbei zu suchen? Zäh und regelmäßig wie aus einer Pipette tropfen die Worte aus dem Mund dieses Menschen, der eigentlich kein Gesicht hat, sondern nur einen Fleischkeil, der aus Nase, schmalem Mund und vorgeschobenem Kinnwulst besteht.
Diese Adda Montez sei mit ihrer Schwester Beß – beide Angestellte im hiesigen Betrieb – in jener Nacht bei ihrem Onkel geblieben, bei jenem Mr. Lee, in dessen Kleiderbox man antiamerikanische Flugblätter gefunden habe. Allerdings seien in jener Nacht auch harmlosere Gebilde wie diese auf den Straßen gefunden worden. Und um seinen findigen Eifer zu beweisen, legt der Agent aus seiner Tasche einen runden Pappdeckel auf den Tisch, eine jener Fliegenden Untertassen mit dem Zehncentsrabatt auf das halbe Kilo Wurst in Blanks Market.
Was das bedeute? fragt Clerk immer noch mit halber Aufmerksamkeit.
Eine ziemlich winzige Fliegende Untertasse als Reklame von einem Flugzeug abgeworfen. Aber die kommunistische Reklame und ihre Flugblätter hätten einen andern Ursprung. Denn bei dem Alarm habe ihn ein älterer Monteur aus der vorher genannten Werkstatt auf jenen Mr. Ernest Lee und dessen Quartier aufmerksam gemacht, wo sich des Monteurs Sohn, der jetzt zum Militär einberufen sei, ebenfalls aufgehalten habe.
Was er denn zum Teufel mit der ganzen Sache zu tun habe? fragt Clerk ungeduldig.
Mr. Clerk wisse zweifellos, wie die Kommunisten heute ihre Tätigkeit verstärkten. Bei jenem Ernest Lee aber sei eine kommunistische Zelle, und dessen Nichten Adda und Beß seien Angestellte der C.C.C. Es könne also dem Betriebsinhaber der C.C.C, Mr. Clerk, nicht gleichgültig sein, ob nicht auch in seinem Werk solche Geheimzellen existierten?
Clerk übersieht im Augenblick nicht klar, ob es sich hier um eine der üblichen Erpressungen handelt oder um eine reale Information, mit der dieser Beamte ihm seine Hilfe anbietet. Und obschon dieser Bursche kaum durch »The Lord« geschickt wurde, dankt Clerk für die Mitteilung, zieht sein Scheckbuch, versieht ein Blatt mit einer angemessenen Summe und reicht es seinem Gegenüber.
Dieser bemerkt nochmals – gleichsam als Gratisleistung –, es wäre bedauerlich, wenn der junge Mr. Donald Clerk, nicht erfahren in solchen Dingen, als Offizier in jene dunkle Affäre hineingezogen würde. Er habe beobachtet, wie Mr. Donald Clerk jene Miß Adda Montez an einer Abendschule erwartete, wobei es zu einem heftigen Wortwechsel gekommen sei.
»Über was?«
»Soviel ich hören konnte, ging es mehr um Persönliches. Mr. Clerk wollte Miß Montez veranlassen, ihn in seinem Wagen zu seinem Quartier beim Flugfeld zu begleiten.«
»Ich danke Ihnen, Mr. Pigeon«, bricht Clerk die Unterredung ab, indem er sich erhebt. »Falls Sie weitere wissenswerte Informationen haben, halten Sie mich auf dem laufenden!«
Dieser Donald! In seiner Hemmungslosigkeit und erotischen Reizbarkeit ist er Dorothys echter Sohn. Wenn es wirklich stimmte, daß diese sonst so besonnene Adda, ähnlich vielen heutigen jungen Köpfen und Enthusiasten, sich von den Kommunisten hat fangen lassen, dann kann auch Donald in seiner Liebestollheit ganz schön in Teufels Küche geraten. Man muß noch heute oder spätestens morgen mit ihm reden.
Und auch mit »Sherry«, diesem Pressepiraten, diesem korrupten Strolch, muß man ein Hühnchen rupfen! Natürlich wird dieser Spectator, dieser anonyme Held, sich bei ihm selbst nicht mehr sehen lassen. Aber – sei es, daß die Unterredung mit dem F.B.I.-Mann oder die Erinnerung an »The Lord« ihn in Stimmung versetzten – er möchte Sherry, diese Kröte, jetzt einmal von einer entschlossenen Person »unter die Fittiche nehmen« lassen, wie der Fachausdruck lautet. Er möchte diesen Widerling nach Gangsterart jemandem richtig ans Messer liefern. Und ohne zu langes Nachdenken sieht er die Person, die dazu fähig ist: Sherrys Patronin, Dorothy, seine eigne Frau. Dorothy – in ihrer Erotik ein gefährlicher »mankiller« – wird als beleidigtes Weib diesen Talmikavalier entscheidend zur Kasse rufen und erledigen. Er ahnt bereits die Grundlinie seines Planes.
Aber noch hat er andre Sorgen. Er steht an einem Kreuzweg.
Er muß sich unbedingt mit seinem Chefingenieur, seinem Materialbeschaffer und Kalkulator beraten, einmal, inwieweit die mit Schamotte gedeckten Stahlbunker ernsterer Belastung und Erhitzung standhalten, zweitens, wieweit bei Massenabsatz die Gestehungskosten zu senken sind, und schließlich, ob sich heute der Betrieb – wenn auch bloß teilweise – auf stärkere Panzerplatten für die Heereslieferung umstellen läßt? So spricht die Vernunft.
Aber dann hebt in ihm »Cel, the bull« aus der Tiefe sein stiernackiges Haupt: er hat nun den Weg mit diesen Stahlmänteln und Panzertüren begonnen; er wird ihn zu Ende gehen. Verspielt rollt er den runden Pappdeckel, den der F.B.I.-Agent liegenließ, über den Tisch und fängt ihn grade noch an der Kante auf. Was war doch damit? Er liest:
FLIEGENDE UNTERTASSE
hat Wert einer 10-Cents-Ermäßigung
auf ½ Kilo Wurst in Blanks Market
Das ist vom Reklamestandpunkt noch attraktiver als eine Zeitungsannonce. Das haftet. Und plötzlich steht wieder »The Lord« vor ihm mit seinen Ideen. Doch diesmal hat er, Clerk, selbst eine Idee. Wie ein leuchtender Blitz ist sie seinem Haupt entsprungen. Wie wäre es, wenn – nein, er, Cecil Clerk, ist noch lange nicht altes Eisen – ›wie wäre es, lieber Old Josh, wenn man zum Beispiel in ein- bis zweitausend Spielautomaten an Stelle der kindischen Pferderennen, Baseballmatchs und Niagarafälle jetzt Menschen in einer Wolkenkratzerstadt in die je nachdem aufleuchtenden Tiefenbunker rennen sieht, während beim Kontakt der inneren, schwierigsten Ziffer die Atombombe aufblitzt, viele Lämpchen der Tiefenbunker erlöschen und nur einige von diesen und zahlreiche kleine der C.C.C.-Bunker ihr Licht behalten? Hiermit könnte man ganz andre psychologische Effekte erzielen wie mit einer Zeitungsreklame. Clerk ist über sich selbst begeistert.
Man muß schon morgen mit »The Lord« sprechen! Das ist auch für den Automatenchef eine zügige Variante im abgeleierten Schema der Apparate. »The Lord« wird darauf springen. Das Publikum aber wird in die richtige Atombombenstimmung gebracht und auf das Bunkerproblem hingestoßen; natürlich müssen an den Spielautomatenständern überall kleine Prospekte hängen, daß nur die C.C.C.-Hausbunker aus Stahlasbest eine schnelle und wirksame Sicherheit gewähren. Selbstverständlich wird die Reklame im »Citizen« und in der großen Presse dennoch laufen.
Clerk ruft Benny Burns, seinen Chefsekretär, heran. Burns ist ein zwerghafter Vierziger mit einem großen kahlen Schädel und einem Gorillagebiß. Dabei ist er die Sanftheit in Person. Die einzige Leidenschaft dieses seit über zwanzig Jahren der Cecil Clerk Meteor Steel Corporation einverleibten Junggesellen ist die Musik und eine stille, heiße Verehrung für die junge Beß Montez.
Für Clerk existiert dieser Gnom nur als sein – des Chefs – verlängerter Arm. »Also, Burns, notieren Sie: erstens arrangieren wir für morgen zum Fife o'clock eine Besprechung mit Mr. Wilcok – ›The Lord‹, Sie wissen – im Van-Dyck-Club; zweitens möchte ich Mr. Donald Clerk heute oder morgen zum Dinner sehen; drittens, ist Ihnen in letzter Zeit an Miß Adda und Beß Montez etwas aufgefallen?«
Burns schaut zu Clerk auf; er spürt, wie ihm eine Blutwelle ins Gesicht hinaufschlägt.
»Nanu, was haben Sie?« fragt Clerk.
»Ich habe nie mit den Damen etwas zu tun gehabt, Mr. Clerk, noch auch die Damen mit mir.«
Clerk lacht auf. »Glaube ich Ihnen, Benny, glaube ich Ihnen auch ohne Eid! Darum geht's ja nicht. Sondern – Sie wissen, die Hafenarbeiter wollen streiken, und da sind diese Friedensapostel, die legen überall ihre faulen Eier ab, ich meine diese Unterschriftensammlung gegen die Atombombe und ähnliches, wohinter die Roten stecken; es sind an den verschiedensten Stellen Flugblätter gefunden worden, Burns!«
Clerk will bei dem Erschrockenen bloß auf den Busch klopfen. Der streckt abwehrend die Hände von sich: »Bei uns?«
»Ich bitte Sie, Burns«, mahnt Clerk, »auf die Schwestern Montez unauffällig zu achten und mir zu berichten. Sie wissen, Moskau hat seine Hände überall.«
Benny Burns steht perplex da.
»Der Fall bleibt selbstverständlich unter uns! Ich kann mich auf Sie verlassen, Mr. Burns?«
»Gewiß, Mr. Clerk.«
*
Hier nun tat Clerk das Falscheste, was er tun konnte, natürlich ohne es zu ahnen. Denn konnte er oder ein andrer es ahnen, daß Benny Burns, dieser vierzigjährige verwachsene Zwerg, die junge Beß mit einer geradezu verzehrenden Liebe verehrte, und daß Benny ebenso eine stille, glühende Liebe für die russische Musik empfand? Wie viele solcher Mißgestalteten, lebte Benny zwei Leben. Der einsiedlerische Kauz hatte ein von der Armee abgelegtes Kurzwellengerät – einen Hallicrafters – erworben.
Ganze Abende bis tief in die Nacht hinein saß er vor seinem Radio, tanzte sitzend, mit kaum sichtbaren Bewegungen seiner Zehen und Hacken, die wildesten Masurkas, Krakowiaks und Kosakentänze, hörte verzückt den Rausch großer Konzerte oder genoß feinschmeckerisch ein Haydn- oder Mozartquartett. Im letzten Jahr schaltete er mehr und mehr zu bestimmten Stunden Moskau ein, um das Moskauer oder Leningrader Philharmonische Orchester zu hören. Völlig hingerissen war er von Schostakowitschs 7. Symphonie und seiner »Kantate von den Wäldern«. Da brauste ein völlig unbekanntes neues Leben auf, in dem die dissonanten Klagen wie in weiter Ferne verklangen. Nach längerem, äußerst vorsichtigem Suchen war es Benny Burns auch gelungen, in der Gesellschaft für amerikanisch-sowjetische Freundschaft einen biographischen Aufsatz über den Komponisten und sein Werk zu finden. Und aus diesem zuerst rein musikalischen Erlebnis seines zweiten, freieren Ichs war dann eine innere Opposition gegen die »Dummköpfe und Sowjetfresser«, wie er's im stillen nannte, erwachsen. Er kaufte sich im geheimen alle mögliche Literatur über die Sowjetunion, las sie und verbrannte sie dann vorsorglich. Aber vor allem hatte die russische Musik von ihm Besitz ergriffen. Und grade in diesen Tagen waren es in einer Moskauer Sendung zwei Musikstücke, die ihn so begeisterten: Das Adagio aus dem Streichquartett Opus 73 von Schostakowitsch und das Andante cantabile aus Tschaikowskis Streichquartett F-Dur Opus 11. Hier schwang die ganze unendliche Sehnsucht und der glühende Glaube dieses großen Volkes hinein in die Fülle und Zartheit der musikalischen Sprache. Alles, was sonst in der Tiefe des Menschen ruhte, fand hier seinen Weg.
Auch Bennys Sehnsucht nach Glück. Dieser vierzigjährige Zwerg trägt in sich ein leuchtendes Bild menschlicher Schönheit, das für ihn in der jungen Beß sich erfüllt. In Beß, diesem achtzehnjährigen Kind mit der Statur einer Frau. Benny empfindet beim Anblick des Mädchens jedesmal eine Rührung, als würde das runde Kindergesicht die Menschen um Geduld und Schonung bitten.
Und nun kommt jener Mr. Clerk, jener plumpe Dummkopf und Sowjetfresser, und fordert grade von ihm – von Benny Burns –, daß er Beß und ihre Schwester Adda bespitzeln soll, wegen Friedensflugblättern aus Moskau. Natürlich muß er scheinbar seinen Auftrag ausführen, wenn er sich nicht selbst verdächtig machen will. Bloß, was heißt das, »scheinbar«? Wird er Beß warnen können? Vielleicht ist es sogar gut, daß Mr. Clerk sich gerade an ihn wandte, an ihn, diese »existenzlose Null«, wie der Chef ihn einmal im Zorn nannte. (Er, Benny Burns, hat das nicht vergessen und wird es bis in sein Grab nicht vergessen, dies: Sie existenzlose Null!) Aber wenn er doch keine Null ist?
Benny hat sich in seinem Büro das Sonderkontobuch mit den Spezialüberweisungen aus dem Safe genommen. Hierbei darf ihn niemand stören. Er kontrolliert pro forma die einzelnen Posten. Im Sturm seiner Gedanken wirbeln Namen und Zahlen durcheinander. Ruhe, Ruhe! Das Problem, das vor ihm steht, ist wie die Quadratur des Kreises. Kann eine »existenzlose Null« damit fertig werden?
Moment! Beß wird die Eins vor dieser Null sein; das bedeutet schon zehn. Die russische Musik ist eine weitere Eins, und das ist schon Einhundertundzehn.
An einem der nächsten Tage bemerkt Benny Burns, wie er durch das Vorzimmer der Stenotypistinnen geht, das auffallend blasse Gesicht von Beß. Er ruft sie in sein Büro und gibt ihr ein unwesentliches Konto zur Durchschrift. Dann fragt er, ob sie sich nicht wohl fühle?
»Oh, durchaus.«
»Sie sollten etwas Blutbildendes nehmen, Miß Montez, vielleicht ein Kalk- oder Vitaminpräparat.« Weiter wagt er sich nicht.
Um Beß' Mundwinkel zuckt in dem bleichen, kindlichen Gesicht ein hilfloses Lächeln; sie geht mit dem Kontobogen hinaus.
Was wissen die Menschen voneinander?
Natürlich kann auch Benny Burns nicht wissen, daß Beß die beiden letzten Nächte Abschied von Robby genommen hat. Robby Cass, der Autoschlosser, ist nun doch eingezogen worden. Seine Verwünschungen und Kraftworte verflogen machtlos im Wind. Old Bill, der Vater, den nach der Alarmnacht der »Zahnstocher« und Pop Matthews in die Zange nahmen, sieht schon für den Sohn das Zuchthaus im Falle des Zerreißens des Gestellungsbefehls; so gibt er den Druck, den man auf ihn ausübte, auf den Sohn weiter.
In einem allerdings zeigt Robby einen mutigen Trotz. Er trifft sich jeden Abend mit Beß. Für die letzten Nächte haben sie ein Zimmer in einem kleinen Hotel beim Hafen genommen. Dort leben sie nach Betriebsschluß wie zwei junge Eheleute, essen und trinken, schlendern Arm in Arm wortlos die Kais mit den gewaltigen Verladerampen entlang, sehen die hunderte Lichter der ankernden Schiffe mit ihren Reflexen auf dem öligen, opalisierenden Wasser, hören aus den Kneipen das Tingeltangel der Musikautomaten, und jeder denkt für sich über dies unverständliche seltsame Leben nach.
Zu sagen ist kaum noch etwas. Schon hundertmal haben sie sich in diesen Tagen immer wieder dasselbe gesagt. Robby kommt in das Trainingslager, von dem in kurzen Abständen die Transporte nach Korea fahren. Was ist zu machen? Die Andeutungen des Studenten Pat, nach Kanada zu fliehen oder einfach den Gestellungsbefehl zu zerreißen, sind nach der Alarmnacht undurchführbar. Man würde danach auch den Vater zur Verantwortung ziehen. Ein paarmal hat Adda auf Beß eingeredet; aber schließlich, welchen brauchbaren Rat kann sie denn geben? Jeder Mensch ist ja bloß ein Sandkorn.
So tun die beiden jungen Menschen das, was ihnen noch zu tun bleibt. Sie verbringen die beiden Nächte in dem dürftigen Hotelzimmerchen am Hafen beieinander und werden unter viel Liebe und Tränen der kleinen Beß dort Mann und Frau. Und sind sie ermattet, so redet Robby ihr immer wieder gut zu als seiner »wirklichen kleinen Frau«, und dann preßt ihn Beß an sich mit verzweifelten Küssen und einer atemberaubenden Kraft ihrer jungen Arme, die niemand bei ihr vermuten kann. »Du kommst mir wieder, Liebling?« Sie blickt zu ihm aus weiten, dann hinter den Lidrand nach oben verschwindenden Pupillen, so daß sie plötzlich mit weißen Augen daliegt, kalt und schlaff wie eine Tote.
Früh um fünf schleicht sie heim ins Gartenhaus und kriecht droben leise in ihr Bett. Doch selbst durch die über den Kopf gezogene Decke dringt ihr Schluchzen.
Adda nimmt sie zu sich und wärmt die vor Kälte und Nervenfieber schnatternde Schwester mit ihrem ruhigen, starken Körper. Zart streichelt sie die Verzweifelte, bis sie schließlich die Atemzüge der Schlafenden spürt. Auch die nächste Nacht fragt sie die Heimkehrende nicht.