Xenophon
Anabasis
Xenophon

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1.

Während ihres hiesigen Aufenthalts verschafften sie sich ihre Lebensmittel theils durch Einkauf auf dem Markte, theils durch Streifzüge ins paphlagonische Gebiet. Doch auch die Paphlagonier überfielen sehr häufig die hier und da umherstreifenden Griechen und beunruhigten des Nachts auch diejenigen, die weiter vorwärts vom Lager ihre Zelte hatten. Dies vermehrte noch die feindliche Stimmung beider Theile gegen einander. Korylas aber, der derzeitige Regent von Paphlagonien, ließ den Griechen durch Gesandte, die Pferde und schöne Kleidungen mitbrachten, die Eröffnung thun: er sei geneigt, gegen die Griechen keine Feindseligkeiten auszuüben, wenn er nicht von ihnen dazu gereizt würde. Die Feldherrn antworteten: sie würden hierüber mit der Armee zu Rathe gehen. Unterdessen zogen sie die Gesandten zur Tafel nebst noch andern Personen, die, nach ihrem Urtheil, billiger Weise eingeladen werden mußten. Nachdem man nun einige der erbeuteten Ochsen und andres Schlachtvieh geopfert hatte, wurde ein reichliches Mahl aufgesetzt, wobei man auf Binsenlagern ruhte und aus hölzernen Bechern, dergleichen man in dieser Gegend gefunden hatte, trank. Nach dem Trankopfer und dem Schlusse des Päan standen zuerst die Thrazier auf und begannen nach dem Takte der Flöte einen Waffentanz, 185 worin sie mit Leichtigkeit hohe Sprünge machten und ihre Seitengewehre schwangen: zuletzt hieben sie auf einander los, so daß Jedermann glaubte, sie träfen einander; es war aber blos ein Kunstgriff. wenn der Eine niedersank. Die Paphlagonier schrieen hierbei laut auf. Wenn der Sieger seinem Gegner die Rüstung abgenommen hatte, so ging er, den Sitalkas singend, von dem Platze hinweg: andre Thrazier aber trugen den Besiegten, als ob er todt wäre, davon, obschon ihm nicht das Geringste fehlte. Jetzt erhoben sich die Aenianen und Magneten und führten einen Waffentanz auf, den sie Karpäa nennen. Er wurde auf folgende Art gehalten: der Eine legte seine Waffen neben sich, säete und pflügte und sah sich dabei, als ob er sich fürchtete, oft um. Da kam ein Räuber heran; beim Anblick desselben ergriff er die Waffen, ging ihm entgegen und kämpfte mit ihm vor dem Pfluggespann. Der Flötentakt leitete hierbei ihre Bewegungen. Endlich fesselte der Räuber den Mann und führte die Stiere davon. Bisweilen band auch der Pflüger dem Räuber die Hände auf den Rücken, spannte ihn neben die Stiere und trieb ihn zum Ziehen an. Nun trat ein Mysier auf, beide Hände mit leichten Schilden bewaffnet. Bald nahm er im Tanze eine Stellung an, als ob er mit zwei Gegnern zu thun hätte, bald that er, als ob er sich mit den Schilden gegen Einen deckte, bald drehete er sich im Kreise herum und stürzte sich, die Schilde in den Händen, über den Kopf. Ein Schauspiel, dem man mit Vergnügen zusah. Zuletzt tanzte er persisch, wobei er die Schilde zusammenschlug, auf die Kniee fiel und wieder aufstand. Dies Alles that er nach dem Takte der Flöte. Hierauf 186 kamen die Mantineer und andre Arkadier, so schön, als sie es nur vermochten, ausgerüstet, auf den Platz, schritten unter Begleitung von Flötenmusik im Takte einher, sangen den Päan und tanzten, wie in den feierlichen Aufzügen zu den Tempeln der Götter. Die Paphlagonier erklärten es für etwas Außerordentliches, daß alle diese Tänze in den Waffen ausgeführt würden. Als der Mysier ihr Erstaunen wahrnahm, führte er eine Tänzerin mit Bewilligung des Arkadiers, dem sie gehörte, vor: aufs Schönste von ihm gerüstet und mit einem leichten Schilde versehen, tanzte sie den pyrrhithischen Tanz mit vieler Leichtigkeit. Das Beifallklatschen war groß und die Paphlagonier fragten, ob denn auch die Weiber zugleich mit ihnen gekämpft hätten? Diese eben sind es, war die Antwort, die den König aus dem Lager vertrieben. Hiermit beschloß man die Nacht.

Am folgenden Tage führte man die Gesandten in die Versammlung der Armee, und diese beschloß, daß unter den Griechen und Paphlagoniern keine Feindseligkeiten stattfinden sollten. Nach dieser Erklärung traten die Gesandten ihre Rückreise an. Da jetzt die Anzahl der vorhandnen Fahrzeuge groß genug schien, so schifften die Griechen sich ein und fuhren, Paphlagonien zur Linken, mit gutem Winde einen Tag und eine Nacht hindurch. Am andern Tage erreichten sie Sinope und liefen in den sinopischen Hafen Harmene ein. Sinope liegt in Paphlagonien und ist eine Colonie von Milet. Die Einwohner schickten den Griechen Gastgeschenke, dreitausend Scheffel Gerstenmehl und fünfzehnhundert Eimer Wein. Hier stieß auch Chirisophus mit dreirudrigen Schiffen zu ihnen. Die Griechen hatten erwartet, daß er ihnen etwas mitbringen würde: allein er brachte nichts als die Nachricht, daß der Admiral Anaxibius und Andre sie lobten, und daß Ersterer das 187 Versprechen gegeben habe, so bald sie aus dem Pontus heraus wären, sollten sie Löhnung erhalten.

In Harmene verweilte das Heer fünf Tage. Da sich die Soldaten Griechenland nun näher sahen, fiel ihnen der Gedanke, doch nicht mit leeren Händen nach Hause zu kommen, schon mehr als vorher aufs Herz. Sie glaubten daher, ein Oberfeldherr, den sie sich wählten, würde besser als mehrere Anführer die Kräfte der Armee bei Tag und Nacht leiten und benutzen können: denn auf diese Art blieben Dinge, die Verschwiegenheit forderten, eher geheim; und Angelegenheiten hingegen, bei denen es aufs Zuvorkommen ankäme, würden weniger verzögert, da man keine Rücksicht bedürfte, wie vorher, wo sich die Feldherrn in der Ausführung nur immer nach der Stimmenmehrheit richteten, sondern das Gutachten eines Einzigen vollzogen werden müßte. Von diesen Gedanken geleitet, wendeten sie sich an Xenophon. Die Hauptleute kamen zu ihm, eröffneten ihm die Gesinnungen der Armee, und Jeder suchte ihn unter Aeußerungen seiner Zuneigung zur Annahme des Oberbefehls zu bewegen. Xenophon war dem Vorschlage insofern nicht abgeneigt, als er sich davon größere Ehre bei seinen Freunden und einen wichtigen Ruf in seiner Vaterstadt versprach und auch der Armee vielleicht nützlich werden zu können hoffte. Diese Gedanken also reizten ihn, sich das Obercommando zu wünschen. Ueberlegte er aber wieder, in Hinsicht auf die Unbekanntschaft aller Menschen mit der Zukunft, die Möglichkeit der Gefahr, auch den vorher erworbenen Ruhm zu verlieren, so wurde er unschlüssig. In dieser schwankenden Gemüthsstimmung hielt er es fürs Beste, die Götter um Rath zu befragen. Er brachte also zwei Opferthiere dar und opferte Zeus dem Könige: denn die Verehrung dieser Gottheit war ihm von dem Orakel zu Delphi empfohlen worden; und von hier leitete er auch jenen Traum her, der ihm kurz zuvor erschien, ehe ihm eine der Feldherrnstellen übertragen wurde. 188 Auch erinnerte er sich jenes Adlers, der ihm, als er von Ephesus abreiste, um sich den Cyrus vorstellen zu lassen, zur Rechten schrie und der Auslegung des Sehers, der ihn begleitete: diese Vorbedeutung sei zwar wichtig, deute auf Macht und Ruhm, aber auch auf Arbeit und Mühe, denn die Vögel wären einem sitzenden Adler am meisten aufsässig; auch verspräche der Umstand des Sitzens keine Vortheile, denn der Adler finde seinen Unterhalt besser im Fluge. Da Xenophon also opferte, gab ihm die Gottheit sehr deutliche Winke, weder um den Oberbefehl anzuhalten, noch ihn, wenn er ihm auch übertragen würde, anzunehmen. Dies Letztere geschah wirklich. Die Soldaten versammelten sich und stimmten einmüthig für die Wahl eines Oberfeldherrn, und nach diesem Beschlusse wurde Xenophon in Vorschlag gebracht. Sobald es für entschieden angesehen werden konnte, daß man ihn wählen würde, wenn Jemand die Stimmen sammelte, so stand er auf und sagte: »Soldaten, ich freue mich zwar, denn ich bin ein Mensch, über eure für mich so ehrenvolle Gesinnung, danke euch dafür und bitte die Götter um die Kraft, zu eurem Glücke etwas beitragen zu können. Allein, daß ihr mich vor Andern zum Feldherrn erwählt, da ein Lacedämonier gegenwärtig ist, dies ist, meiner Meinung nach, weder für euch, noch für mich vortheilhaft, sondern würde es euch erschweren, im Nothfall von den Lacedämoniern Unterstützung zu erhalten und meine eigne Sicherheit, wie ich glaube, in einige Gefahr setzen. Denn es ist mir bekannt, daß sie auch den Krieg gegen mein Vaterland nicht eher endigten, bis die ganze Stadt sich darein fügte, den Lacedämoniern auch über sich den Oberbefehl einzuräumen. Nach dieser Erklärung endigten sie sogleich den Krieg und belagerten Athen nicht länger. Wenn ich nun, durch diese Erfahrung belehrt, dennoch mich dem Verdachte aussetzte, ihr Ansehn, wie ich nur könnte, zu verringern, so begreife ich wohl, daß sie mich sehr bald in meine Grenze zurückweisen 189 würden. Was eure Erwartung anbelangt, unter dem Commando eines Einzigen weniger dem Parteigeiste ausgesetzt zu sein, als unter mehreren Anführern, so seid überzeugt, nie werdet ihr mich, wenn ihr einen andern Oberfeldherrn erwählt, gegen ihn aufsässig finden; denn ich bin der Meinung, daß derjenige, der sich im Kriege dem Oberanführer widersetzt, sich gegen seine eigne Sicherheit auflehnt: übertragt ihr mir aber das Commando, so würde mich es gar nicht befremden, wenn manche Personen euch und mir ihre Unzufriedenheit bemerklich machten.«

Nach dieser Erklärung standen sie auf und drangen noch weit mehr in ihn, das Obercommando zu übernehmen. Der Stymphalier Agasias sagte: »Es wäre lächerlich, wenn das so weit gehen sollte, daß die Lacedämonier es zum Beispiel auch übel nähmen, wenn bei einer Gasterei die Gesellschaft zu ihrem Zechkönige keinen Lacedämonier wählte. Wenn das gelten sollte,« fuhr er fort, »dann müßten wir auch wol, dem Ansehn nach, keine Compagnien anführen, weil wir Arkadier sind.« – Ein lautes Getöse bezeugte den Beifall, den Agasias sich durch diese Rede erwarb. Da nun Xenophon sah, daß es einer noch stärkern Erklärung bedurfte, trat er hervor und sagte: »Soldaten, um euch völlig zu uberzeugen, so schwöre ich euch heilig, bei allen Göttern und Göttinnen, ich suchte, sobald ich eure Gesinnungen merkte, durch ein Opfer zu erforschen, ob es vortheilhaft sei, für euch, mir den Oberbefehl zu übertragen und für mich, ihn anzunehmen: allein die Götter gaben mir in den Opfern so deutliche Anzeigen für die Ablehnung dieses Oberbefehls, daß sie sogar ein Laie verstanden hätte.«

Nun endlich wurde Chirisophus gewählt. Hierauf trat dieser hervor und sagte: »Seid überzeugt, Soldaten, ich würde mich nicht aufgelehnt haben, wenn ihr auch einen 190 Andern gewählt hättet. Für Xenophon ist es vortheilhaft, nicht gewählt worden zu sein, da Dexippus ihn sogar jetzt schon beim Anaxibius nach bestem Vermögen verleumdete, von mir aber zum Schweigen gebracht wurde. Ich glaube, sagte er, Xenophon wollte lieber den Dardanier Timasion, der unter das Klearchische Corps gehört, als mich, einen gebornen Lacedämonier zum Mitanführer haben. Da ihr also mich gewählt habt, so werde auch ich mich bemühen, nach meinem Vermögen euch nützlich zu sein. Haltet euch nun bereit, morgen, wenn uns der Wind günstig ist, abzusegeln. Die Fahrt geht nach Heraklea: ihr Alle müßt daher streben, mit einander dort anzukommen. Das Uebrige wollen wir nach unserer Ankunft daselbst überlegen.«

 


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