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Viertes Kapitel.

Hans leitete seit zwei Tagen die Mähmaschine in den wenigen Morgen Wiese, die Herrn Hourdequin am Ufer der Aigre gehörten. Vom Morgengrauen bis zum Sonnenuntergang vernahm man das regelmäßige Klappen der Schneiden. Heute aber nahte die Arbeit ihrem Ende; die letzten Schwaden reihten sich hinter den Rädern der Maschine in einer Schicht dünner Hälmchen von einem zarten, wie ausgeblaßten Grün. Da es in dem Gute keine Wendemaschine gab, so hatte man dem Burschen erlaubt, zwei Mädchen anzunehmen, Palmyre, die sich quälte, in der Arbeit noch mehr als ein Mann zu leisten, und Franziska, die sich aus Laune zu dieser Verrichtung gemeldet hatte. Alle beide waren früh fünf Uhr mit Korporal auf der Wiese erschienen und hatten mit ihren langen Heugabeln die Häufchen halbtrockenen Grases auseinandergebreitet, die man am Vorabend aufgeschichtet, um sie vor dem Nachttau zu schützen. Die Sonne erhob sich an dem klarblauen Himmel; ein frischer Windzug strich über das Land. Ein treffliches Wetter zum Heuen.

Als Hans nach dem Frühstück mit den beiden Dirnen zur Arbeit zurückkehrte, war das Heu der zuerst gemähten Wiese bereits fertig. Er befühlte es, fand es trocken und knusperig.

»Hört,« rief er den Mädeln zu, »wir wollen es nochmal umlegen, und heut abend bringen wir es in die Schober.«

Franziska trug ein graues Leinenkleid und hatte um den Kopf ein blaues Tuch geknüpft, dessen einer Zipfel ihren Nacken bedeckte, während zwei andere ihr frei um das Gesicht flatterten und so ihre Backen gegen die Strahlen der Sonne schützten. Mit einer Schwenkung der Gabel ergriff sie das Heu und schleuderte es in den Wind. Die Halme flogen; ein durchdringender würziger Geruch stieg daraus empor: der warme Geruch geschnittenen Grases und welkender Blumen. Auch dem Mädchen ward warm, wie es inmitten der lustig tanzenden Gräser dahinschritt.

»Kleine,« bemerkte Palmyre mit ihrer wehmütigen Stimme, »man sieht wohl, daß du jung bist ... Aber wart', heut abend wirst du deine Arme fühlen!«

Sie waren nicht allein hier am Fluß; ganz Rognes war in den Wiesen rings um sie her mit dem Heumachen beschäftigt. Schon vor Sonnenaufgang hatte sich Delhomme eingefunden; in dieser Nachmittagsstunde vernahm man deutlich, wie die widerspenstigen Halme mit hart sausendem Schnitt von dem schaukelnden Hin und Wieder der Sense Delhommes abgemäht wurden.

Ganz nahe unmittelbar neben dem zum Gute gehörenden Grund lagen zwei Parzellen, deren eine Macqueron gehörte, die andere Lengaigne. Auf der ersteren befand sich Berta, die zu ihrer Zerstreuung die Mägde hierher begleitet hatte; sie war wie ein Fräulein angezogen, trug ein mit Spitzen besetztes Kleid und einen Strohhut. Die Arbeit gefiel ihr bereits nicht mehr, und sie lehnte im Schatten einer Weide müde an ihrer Heugabel. In dem zweiten Felde mähte Viktor für seinen Vater. Er hatte sich gerade auf einen Stein gesetzt, hielt das Dängeleisen zwischen den Knien und schärfte seine Sense. Seit zehn Minuten vernahm man in dem tiefen Schweigen der schwingenden Luft nichts wie dieses eigensinnig wiederholte Hämmern, diesen hurtigen Schlag auf das Eisen.

Franziska kam in die Nähe von Bertas Weidenbaum.

»Na? Du hast genug?«

»Beinah' ... Wenn man's nicht gewöhnt ist!«

Sie plauderten, sprachen von Susanna, der Schwester Viktors, welche die Lengaignes in eine Damenschneiderei nach Chateaudun gegeben hatten und die sechs Monate später nach Chartres durchgegangen war, um ein lustiges Leben zu führen. Es hieß, sie sei von dem Gehilfen eines Notars entführt worden; alle Mädchen von Rognes flüsterten davon und malten sich die Sache aus. Unter »sich amüsieren« stellten sie sich Orgien mit Johannisbeersaft und Selterswasser vor unter einer Schar von Männern, die in den Hinterstübchen der Weinhändler zehn, zwölf hintereinander über das Mädchen herfallen.

»Ja, meine Liebe, so ist es!... Die hat Liebhaber!«

Franziska riß die Augen auf.

»Ist das ein eigenes Vergnügen!« versetzte sie endlich. »Wenn sie nicht wiederkommt, bleiben die Lengaignes allein; Viktor muß doch zum Militär?«

Berta, die ihres Vaters Haß gegen die Nachbarn teilte, zuckte die Achseln: Lengaigne sei es gleichgültig, was aus seiner Tochter werde, meinte sie; ihm tue es nur leid, daß sie ihr liederliches Leben nicht bei ihm zu Hause führe, was wenigstens seinem Geschäft zugutekommen würde. Von der Susanne übrigens dürfe nichts wundernehmen, sie sei bereits daheim von ihrem Onkel, einem vierzigjährigen Alten, verführt worden. Sie dämpfte die Stimme und sagte Franziska, wie die Sache sich zugetragen. Diese lachte.

»Ist es möglich, daß man solche Torheiten treibt!«

Einige Minuten später befand sich Franziska in der Nähe des klopfenden Viktor.

»Also du gehst zum Militär?«

»Im Oktober, das hat noch gute Weile.«

Sie empfand ein lebhaftes Verlangen, ihn nach seiner Schwester zu fragen. Zwar versuchte sie ihre Neugier zu bekämpfen; doch wider ihren Willen platzte sie heraus:

»Ist es wahr, was man erzählt, daß Susanne gegenwärtig in Chartres lebt?«

Er antwortete gleichmütig:

»Es scheint! ... Wenn's ihr Freude macht!«

Im selben Augenblick tauchte der Schulmeister Lequeu in der Ferne auf und kam, wie zufällig spazierend, näher heran.

»Sieh,« hub Viktor wieder an, »der kommt wegen der Tochter Macquerons ... Da, habe ich's nicht gesagt, er geht hin und schnüffelt an ihr herum ... alter Hanswurst!«

Jetzt zog er auf beide los. An dem Schulmeister sei nichts dran; ein Wüterich, der die Kinder schlage, ein Duckmäuser, der imstande sei, der Tochter einen Pudel abzugeben, um den Vater für sich zu gewinnen. Berta sei auch nicht katholisch trotz ihrer zimperlichen Manieren. »Ja, die kann zehnmal Röcke mit Spitzen tragen und samtene Leibchen und kann sich das Hinterteil mit Servietten ausstopfen, was darunter steckt, ist darum nicht besser, im Gegenteil; denn in der Pension in Chateaudun lernen die Mädchen mehr Schlechtigkeiten, als wenn sie daheim bleiben bei den Kühen. Bei der ist keine Gefahr, daß sie sich ein Kind werde machen lassen. Die zieht es vor, sich selber die Gesundheit zugrundezurichten.«

»Wieso denn?« fragte Franziska.

Er machte eine Gebärde; daraufhin wurde nie nachdenklich und sagte ohne Scheu:

»Darum also hört man aus ihrem Munde immer Schweinereien.«

Viktor hatte wieder begonnen, seine Sense zu schärfen; zwischendrein fuhr er mit seinen Späßen fort:

»Du mußt auch wissen: sie hat keine ...

»Wie?«

»Ei freilich!... Berta hat keine... Die Burschen heißen sie auch ›Ohnedas‹, weil ihr keine gewachsen sind.«

»Was denn?«

»Nun, Haare überall; ihr Leib ist so kahl wie meine Hand.«

»Geh, Lügner!«

»Aber ich sage dir's!«

»Hast du es denn gesehen?«

»Ich will nicht, aber andere.«

»Wer?«

»Burschen, die darauf schwören.«

»Wo und wie hätten sie sie gesehen?«

»Es kommt ja vor, daß Frauenzimmer sich die Röcke aufheben, nicht?«

»Freilich; da müssen sie ihr aufgepaßt haben.«

»Gleichviel; es muß sehr häßlich sein, wie ein nackter Spatz... Zum Drauf speien...«

Franziska lachte von neuem; der nackte Spatz schien ihr zu drollig. Sie bemerkte auf der Chaussee ihre Schwester, die zur Wiese herankam. Lise näherte sich Hans und teilte ihm mit, sie sei im Begriff, sich zu ihrem Onkel zu begeben, um mit ihm über Buteau zu sprechen, ein Schritt, den sie beide seit drei Tagen beschlossen; sie werde auf dem Heimwege vorüberkommen und ihm das Ergebnis der Unterredung mitteilen. Und sie entfernte sich.

Viktor schlug noch immer auf seine Sense los; Franziska, Palmyre und die anderen Weiber machten sich wieder an ihre Arbeit, das Heu zu wenden, während der Schulmeister Lequeu mit der Heugabel in der Hand Berta zeigte, wie es zu machen sei. Die Heumäher in der Ferne gingen unaufhörlich vor immer mit der nämlichen gleichmäßigen Bewegung, wobei der Rumpf auf den Lenden sich wiegte und die Sense beständig hin und her geführt wurde. Delhomme hielt einen Augenblick inne, um mit raschem Griffe seine Sense zu schärfen. Er schien sehr groß unter den übrigen; dann sah man ihn wieder den Rücken krümmen und hörte den scharf sausenden Schnitt seiner Sense.

Als Lise zu den Fouans kam, glaubte sie zuerst, es sei niemand zu Hause; so ausgestorben erschien das Gehöft. Rose hatte ihre beiden Kühe verkauft, der Alte sein Pferd zu Markte geführt; kein Tier, keine Arbeit, nichts bewegte sich in den Gebäuden oder im Hof. Doch die Tür des Eßzimmers öffnete sich, und in dem Räume, der trotz des hellen, munteren Sonnenlichtes stumm und schwarz ausschaute, gewahrte Lise Papa Fouan, der stehend ein Stück Brot und Käse verzehrte, während sein Weib danebensaß und ihm zusah.

»Guten Tag, Tante ... Geht's dir gut?«

»Aber ja«, versetzte die Alte, deren Gesicht bei dem willkommenen Besuch aufleuchtete. »Jetzt, wo wir Bürgersleute sind, haben wir ja nichts zu tun, als es uns gut sein zu lassen von früh bis spät.«

Lise wollte auch dem Onkel etwas Angenehmes sagen.

»Du bist auch bei gesundem Appetit, wie ich sehe?«

»0,« erwiderte er, »nicht, daß ich gerade Hunger hätt' ... Aber hier und da etwas essen, beschäftigt einen und hilft über die Zeit hinweg.«

Der alte Mann blickte so trübe drein, daß Rose sich veranlaßt sah, das Glück zu preisen, nicht mehr arbeiten zu müssen. Wahrhaftig, sie hatten es ehrlich verdient, und es kam nicht zu früh, daß sie zuschauen durften, wie die anderen schafften, während sie von ihren Renten lebten. Spät aufstehen, die Hände in den Schoß legen, sich nicht um warm noch kalt scheren, keine Sorge haben ... wie herrlich! Ein wahres Paradies! Auch ihr Mann, durch diese Worte ermuntert, schilderte wie sie in übertriebenen Ausdrücken ihr beneidenswertes Los. Doch fühlte man unter dieser gemachten Freude in der Überschwenglichkeit und dem Fieber ihrer Rede die furchtbare Langeweile heraus, ahnte man, wie diese gezwungene Beschäftigungslosigkeit den beiden alten Leuten zur entsetzlichsten Qual ward; wie ihre plötzlich zum Nichtstun verurteilten Arme abstarben und sich verdarben gleich ausgemusterten Maschinen, die man ins alte Eisen geworfen.

Endlich berührte Lise den Gegenstand ihres Besuches.

»Onkel, ich höre, daß du letzthin mit Buteau gesprochen hast.«

»Buteau ist ein Schuft«, fiel ihr der Greis ins Wort, und geriet plötzlich in Zorn. »Hätt' ich diesen Ärger mit der Fanny, wenn er nicht störrig wäre wie ein Esel?«

Es war das Geständnis einer ersten Mißhelligkeit zwischen ihm und seiner Tochter, das ihm unbewußt entschlüpft. Als er den Anteil Buteaus nämlich an Delhomme verpachtet, hatte er für den Hektar einen Schilling von achtzig Franken beansprucht, während ihm sein Schwiegersohn nur eine doppelte Pension zahlen wollte, zweihundert Franken für seinen Teil und zweihundert für den anderen. Delhomme war im Rechte, und das vermochte der Alte nicht zu verwinden.

»Welchen Ärger?« fragte Lise. »Zahlen die Delhommes nicht?«

»O, gewiß!« entgegnete Rose. »Alle drei Monat, Schlag zwölf Uhr ist das Geld auf dem Tische ... Allein es gibt verschiedene Arten zu zahlen, nicht wahr? Der Vater, der empfindlich ist, wünscht, daß man wenigstens liebenswürdig mit ihm ist. Aber seit dem Streite wegen des Anteils von Buteau, kommt Fanny jedesmal mit einem Gesicht hierher, als wenn man ihr was gestohlen hätte.«

»Ja,« bestätigte der Mann, »sie zahlen, und das ist alles. Ich finde, daß es nicht genug ist. Man sollte Rücksicht haben ... Tragen sie mit ihrem Gelde die Schuld der Dankbarkeit ab? Wir sind nichts anderes als ihre Gläubiger ... Man kann sich nicht einmal beklagen ... Wenn wenigstens alle zahlten!«

Er brach ab, ein verlegenes Schweigen herrschte. Seine letzten Worte waren eine Anspielung auf Jesus gewesen, der seinen Anteil mit einer Hypothek nach der anderen belastete, alles vertrank und ihnen noch nicht einen Sou gezahlt hatte. Die Mutter, die ihr Herzenskind immer so gern in Schutz nahm, war tief bekümmert über sein Benehmen; weil ihr bange ward, die Sache könne wieder einmal zur Sprache kommen, fiel sie hastig ein:

»Ärgere dich doch nicht, du bist glücklich; was geht dich alles andere an? Wenn man genug hat, hat man genug.«

Niemals hatte sie ihm so energisch die Stirn geboten. Er blickte sie scharf an.

»Du sprichst zuviel, Alte ... Gern will ich glücklich sein, aber man darf mich nicht reizen!«

Sie wurde ganz klein auf ihrem Stuhle, schrumpfte förmlich in sich zusammen. Er verzehrte sein Brot, langmöglichst an dem letzten Bissen kauend, um den Zeitvertreib des Essens in die Länge zu ziehen. Das trübe Gemach schien einzuschlummern.

»Also,« nahm Lise wieder das Wort, »ich hätte gerne gewußt, was Buteau betreffs meiner Person und des Kindes zu tun gedenkt. Ich hab' ihn nicht viel beunruhigt seither; aber es ist Zeit, daß die Sache sich entscheidet.«

Die beiden Alten antworteten keine Silbe. Sie wandte sich direkt an Fouan:

»Du hast mit ihm gesprochen, es muß doch die Red' auf mich gekommen sein ... Was sagt er?«

»Nichts, mit keinem Worte hat er deiner Erwähnung getan ... Ich mein', da gibt's auch nichts zu reden. Der Pfarrer quält mich, ich soll es schlichten; als wenn es sich schlichten ließe, solange der Bursche sich weigert, sein Teil anzunehmen!«

Das Mädchen überlegte.

»Glaubst du, daß er es eines Tages nehmen wird?«

»Das ist immer möglich.«

»Und du meinst, daß er mich dann heiratet?«

»Kann sein.«

»Also rätst du mir zu warten?«

»Ja, das hängt von dir ab ... Jeder tut, wie er denkt.«

Lise schwieg. Sie mochte nicht den Antrag des Hans zur Sprache bringen und wußte doch nicht, wie eine endgültige Antwort zu erlangen. Endlich machte sie den letzten Versuch:

»Du begreifst, mich macht es krank, daß ich nicht weiß, woran ich bin. Ich will ein Ja oder Nein ... Wenn du, Onkel, den Buteau fragen wolltest! ... Ich möcht' dich sehr darum bitten!«

Fouan zuckte die Achseln.

»Zunächst sprech' ich nicht mehr mit diesem Lumpenkerl ... Und dann, mein Kind, ist nicht einmal schlau von dir, was du vorhast. Willst du dem Starrkopf Gelegenheit geben, nein zu sagen, damit er nachher aus reinem Trotz bei seinem Nein bleibt? Laß ihm doch die Möglichkeit, einst ja zu sagen, wenn es dein Interesse ist!«

»Gewiß«, bestätigte Rose, die wieder das Echo ihres Mannes geworden.

Lise vermochte nichts anderes aus ihnen herauszubringen. Sie verließ sie, schloß die Tür des wieder in seine schlummernde Starre versunkenen Zimmers; und von neuem schien das Haus verödet.

Auf der Wiese am Ufer der Aigre hatten Korporal und die beiden Mädchen den ersten Heuschober zu errichten begonnen. Franziska baute ihn. Im Mittelpunkt auf einem Bündel stehend, empfing sie die Ballen Heu, die Hans und Palmyre ihr auf den Gabeln reichten, und verteilte sie rings um sich her im Kreise. Nach und nach wuchs dieser Kreis, schwoll empor; das Mädchen füllte, sobald die steigende Mauer ihr bis ans Knie ging, den hohlen Raum in der Mitte ebenfalls mit Heu aus und erhöhte so ihren Standpunkt. Allmählich gewann der Schober Form. Schon maß er zwei Meter in der Höhe. Palmyre und Hans mußten ihre Gabeln emporstrecken, um Franziska zu erreichen. Lautes Lachen begleitete die Arbeit; denn die frische, freie Luft weckte den Frohsinn, und all die gepfefferten Scherze, die man durch das würzige Heu einander zuwarf, entfachten die Laune der drei.

Zumal Franziska, deren Kopftuch hinabgeglitten, schwelgte, das Haupt in der Sonne, das flatternde Haar mit Gräsern und trockenen Blumen bestreut, wie eine Überglückliche in dieser duftenden, schwankenden Mulde, in der sie sich badete bis an die Hüften. Ihre nackten Arme vergruben sich; jedes Bündel, das man ihr von unten heraufwarf, berieselte sie mit einem Regen von Halmen und Hälmchen; zeitweise verschwand sie ganz und tat scherzend, als wenn sie in dem Strudel ertrinke.

»O! la, la, es piekt mich!«

»Wo?«

»Unter meinem Rock, da oben.«

»Das ist eine Spinne, halt' sie fest, kneif die Beine zusammen!«

Heller erscholl das Lachen, kecker wurden die Spaße.

Delhomme blickte einen Augenblick nach diesem Lärm herum, ohne den schaukelnden Gang seiner Sense zu hemmen. Die lose Kleine mag was Rechtes arbeiten bei dem Schäkern! Ja, heute sind die Mädchen nichts mehr wert, haben nur Dummheiten im Kopfe! ... Weiter streckte er mit hurtigem Arm die Schwaden auf das geschorene Feld; hinter ihm zeichnete die Furche hellgrüner Stoppeln seinen Weg durch das Meer der Halme. Am Horizont sank die Sonne; immer breiter wurde der frische Schnitt der Mäher in den Wiesen. Viktor hatte aufgehört den Stahl zu klopfen; doch er beeilte sich nicht, seine Arbeit fortzusetzen; er hatte Dreckbatzen mit ihren Gänsen bemerkt und schlich ihr nach; beide verschwanden hinter einer Weidengruppe am Rande des Flusses.

»Aha, er geht wieder wetzen!« rief Hans. »Die Schleiferin erwartet ihn schon.«

Bei dieser Anspielung brach Franziska von neuem in ein Lachen aus.

»Er ist zu alt für sie.«

»Zu alt? Horch nur, ob sie nicht zusammen wetzen?«

»Mit einem Pfeifen seiner Lippen ahmte er das Geräusch der über den Stein laufenden Klinge nach, so daß selbst Palmyre sich vor Lachen den Bauch hielt und ausrief:

»Was Korporal heut nur hat! Er steckt voller Dummheiten.«

Das Heu wurde immer höher hinaufgeworfen, und der Schober ward immer größer. Man scherzte jetzt über den Schullehrer Lequeu und Berta, die sich schließlich ins Gras gesetzt hatten. Er konnte »Ohnedas« von der Ferne mit einem Strohhalm kitzeln, hieß es; und er konnte ihr getrost »einschießen«, der Fladen werde nicht für ihn gebacken.

»Ist das eine Schweinerei!« sagte Palmyre, die nicht mehr lachen konnte und schier erstickte.

»Tut nicht so, Palmyre, wer glaubt Euch denn, daß Ihr zweiunddreißig Jahre alt geworden seid und nichts von der Liebe wißt?«

»Nichts.«

»Wie, Ihr habt nie einen Geliebten gehabt?«

»Niemals.«

Sie war blaß geworden. Ernst blickte ihr verhärmtes, welkes Gesicht, das die Arbeit stumpf und müde gemacht, und darin sich nichts erhalten wie zwei Augen voll grenzenloser, aufopfernder Hingabe und Treue, wie man sie bei guten Hunden sieht. Vielleicht flog in diesem Augenblick ihr trauriges Leben an ihrem Geiste vorüber, ein Leben ohne Freundschaft, ohne Liebeslust, das Sklavendasein eines Lasttieres, das nie der Peitsche entwöhnt worden, das sich Abend für Abend todmüde in seinen Stall geschleppt. Sie ließ die schlaffen Arme über ihre Heugabel hängen und stierte hinaus in die weiten Gefilde, in die sie nie den Fuß gesetzt.

Es entstand eine Pause. Franziska wartete unbeweglich hoch oben auf ihrem Heuschober. Auch Hans verpustete sich lächelnd, als habe er noch einen Scherz auf den Lippen. Er zögerte; dann plötzlich legte er los:

»Also ist's eine Lüge, was die Leute sagen, daß Ihr die Frau Eures Bruders seid?«

Palmyres bleiches Gesicht übergoß sich mit einem purpurnen Rot, das ihm den Schimmer der Jugend zurückgab. Sie ward verblüfft, erbittert, stotterte und fand nicht den Widerspruch, den sie suchte.

»O, die schlechten Menschen ... ist es möglich ...«

Franziska und Hans gewannen ihre übermütige Laune wieder. Neckend fielen sie über die Arme her, bestürmten sie mit Fragen, mit zotigen Scherzen ... Es wäre kein Wunder, wenn sie in dem engen, verfallenen Stalle, wo sich zwei Menschen nicht rühren konnten, aufeinanderfielen. Ihre Strohsäcke lägen auf der Erde dicht nebeneinander; wie leicht irrt man sich da in der Dunkelheit! ...

»Aber ja, es ist wahr, gesteht's ein ... Alle sagen es.«

Ein scheuer Schreck, ein unsäglicher Schmerz malte sich in den Zügen des verkommenen Wesens; starr aufgerichtet stand sie da; mit gebrochener Stimme rang sich das furchtbare Geständnis von ihren Lippen:

»Und wenn es wahr wäre ... was geht's die anderen an? ... Er hat nichts auf der Welt, gar nichts; er ist unglücklich und elend! ... Ich bin seine Schwester, warum könnte ich nicht auch seine Frau sein, wenn keine andere ihn mag?«

Zwei Tränen rannen über ihre hageren Wangen, wie man ihr so bitterweh an ihre mütterliche Liebe zu dem armen Krüppel rührte, diese Liebe, die bis zur Blutschande ging. Sie verdiente ihm sein täglich Brot, arbeitete sich zu Tode für ihn; warum sollte sie ihm nicht auch noch das geben, was dem armen Narren keine andere gab? Und erinnerte sie sich denn, wie es gekommen? Hatten diese Parias überhaupt ein klares Bewußtsein dessen, was sie taten? Den geistesumnachteten Trottel mochte einst ein dunkler Trieb mit bestialischem Verlangen erfüllt haben; sie in ihrer großen Güte tat ihm den Willen, und schließlich überließen sich beide dem Glücke, bei dieser engen Gemeinschaft wenigstens weniger zu frieren in dem erbärmlichen Unterschlupf, in dem sie hausten.

»Sie hat recht«, versetzte Hans, von ihrer Zerknirschung gerührt, mit ernster Stimme. »Was kümmert es uns? Das ist ihre Sache, und es schadet niemandem.«

Übrigens lenkte etwas anderes ihre Aufmerksamkeit von dem armen Weibe ab. Jesus kam vom »Schloß« herunter, von dem Kellerloch, das er unter dem Gestrüpp am Abhang bewohnte, und rief mit weit schallender Stimme nach seiner Tochter, die seit zwei Stunden verschwunden war, ohne sich um die Suppe zum Abendessen zu bekümmern.

»Dreckbatzen schaut mit Viktor dort unter den Weiden nach dem Mond aus«, berichtete ihm Korporal.

Jesus hob drohend die Fäuste.

»Die Elende entehrt meinen Namen! ... Wart', ich hol' die Peitsche.«

Er meinte die lange Fuhrmannspeitsche, die für derlei Gelegenheiten hinter der Tür seiner Behausung hing.

Flugs rannte er den Berg hinauf, sie zu holen.

Doch Dreckbatzen mußte den Vater gehört haben; die Zweige der Weiden bewegten sich; einen Augenblick darauf kam Viktor zum Vorschein, prüfte seine Sense und machte sich wieder an die Arbeit.

»Hast du Kolik?« fragte ihn Korporal.

»Getroffen!«

Der Bau des Heuschobers nahte seinem Ende. Er war vier Meter hoch, fest geschichtet und rund gleich einem Bienenkorbe. Palmyre schleuderte mit ihren dürren Armen die letzten Bündel hinauf. Franziska schien hoch oben auf der Spitze unter dem bleichen Himmel in dem rosigen Lichte der Abendröte zu wachsen. Sie rang nach Atem; alles bebte an ihr infolge der großen Anstrengung; sie war in Schweiß gebadet, das Haar klebte ihr am Nacken; ihr Leibchen öffnete sich halb über dem harten, kleinen Busen; der Rock hing an den teilweise zerrissenen Schnürbändern über die Hüfte hinab.

»Ist das hoch, mich schwindelt!«

Sie lachte erschaudernd, zögerte, wagte nicht hinunter zu steigen, schob einen Fuß vor und zog ihn furchtsam wieder zurück.

»Nein, das ist zu hoch. Hol' eine Leiter.«

»Aber Kind, setz' dich doch nieder und laß dich hinabgleiten«, ermunterte Hans.

»Nein, nein, ich habe angst, ich kann nicht!«

Es wurde hin und her geschrien, man ermunterte sie und machte allerlei grobe Späße. Sie solle nur herunterrutschen; aber nicht auf dem Bauche, der könne davon anschwellen; lieber auf dem Hintern, wenn sie keine Frostbeulen daran habe. Während aber der Bursche zu dem halbentblößten Mädchen emporblickte, empfand er mit einmal eine heftige Sehnsucht, das schöne Kind an seine Brust zu reißen.

»Wenn ich dir sag', dir geschieht nichts! ... Rutsch' zu, ich fang' dich auf.«

»Nein, nein.«

Er hatte sich vor den Heuschober gestellt und breitete die Arme auseinander. Als sie sich aber mit plötzlichem Entschluß von der glatten Wand hinabließ und rittlings an seinen Leib prallte, war der Stoß ein so heftiger, daß er den starken Mann umriß. Jetzt lachte sie laut auf und versicherte, sie habe sich nichts getan. Aber wie er das halbentblößte, glühende Mädchen an seiner Brust fühlte, umfing er es mit beiden Armen. Der starke Geruch, der diesem Leib entströmte und die heudurchwürzte kräftige Luft spannten alle seine Muskel in unzähmbaren Verlangen. Und noch etwas anderes war es, das den Burschen so unvermutet hinriß: es war das Aufbrechen einer ungeahnten Liebe zu diesem Kinde, einer zärtlichen Leidenschaft des Herzens und der Sinne, deren dunkler Ursprung weit in der Vergangenheit lag, die sich großgesogen an ihren Spielen und Scherzen und in diesem Augenblick mit herrischer Gewalt Sättigung begehrte.

»O, Hans, genug! Du zerdrückst mich!«

Sie lachte immer noch in der Meinung, er scherze. Sein Blick aber begegnete den runden Augen Palmyrens; erschreckt ließ er das Mädchen fahren und erhob sich zitternd und mit dem verdutzten Gesicht eines Trunkenboldes, den der Anblick eines gähnenden Abgrundes ernüchtert. Wie?! Nicht Lise wollte er, sondern diese Kleine. Niemals hatte ihm bei dem Gedanken, mit der andern Leib an Leib zu liegen, auch nur das Herz geklopft, und gegenwärtig brachte die Vorstellung eines Kusses von Franziska all sein Blut in Wallung. Aber sie war so jung! Er war verzweifelt und beschämt.

In diesem Augenblick kam Lise von den Fouans zurück. Unterwegs hatte sie überlegt. Ihr wäre doch Buteau lieber gewesen, denn immerhin war er der Vater ihres Kindes. Die Alten hatten recht, warum sich überstürzen? An dem Tage, wo Buteau nein sage, war ja immer noch Hans da, der ja sagte.

Sie trat an den Burschen heran und begann ohne Umschweife:

»Keine Antwort! Der Onkel weiß nichts. Warten wir.«

Noch bebend vor Aufregung, blickte Hans sie verblüfft an, ohne zu verstehen. Dann erinnerte er sich: die Heirat, das Kind, die Einwilligung Buteaus, diese ganze Angelegenheit, die ihm zwei Stunden früher für Lise und für ihn selbst vorteilhaft erschienen. Rasch antwortete er:

»Ja, ja, warten wir, es ist besser.«

Es wurde Abend; schon glänzte ein Stern an dem veilchenblauen Himmel. Aus dem wachsenden Dämmern, welches die Erde umschleierte, ragten in weichen Umrissen die rundlichen Hügel der Heuschober über den flachen Strich der Wiese empor. In der bewegungslosen Ruhe der Luft entströmten kräftiger die Gerüche dem warmen Erdboden; die Geräusche hallten weiter, klangen mit musikalischer Reinheit über das Gelände; es waren Männer- und Weiberstimmen, ersterbendes Lachen, das Wiehern eines Pferdes, das Klappern eines Werkzeuges an einen Stein. In einem Winkel arbeiteten noch ein paar Schnitter; unaufhörlich pfiff, regelmäßig und stetig, das sausende Zischen der Arbeit, die man nicht mehr sah.


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