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Viertes Kapitel.

Helleuchtend hob sich seit fünf Uhr früh der brennende Ball der Augustsonne am Horizont, die reifen Kornfelder glühten in diesem flammenden Licht. Seit den letzten Regengüssen hatte sich die wachsende grüne Flut der Saaten gelber und gelber getönt; jetzt war's eine blonde, brennende See, in der das Flimmern der Luft sich zu spiegeln schien, ein Ozean, der sich beim leisesten Windhauch in loderndem Gischt entzündete. Man sah nichts wie Getreide, sah kein Haus, keinen Baum, allüberall Kornfelder. Zuweilen schläferte in der Hitze eine bleischwere Ruhe die zitternden Ähren ein; ein Geruch fruchtbarer Reife entströmte dem Boden und quoll hervor. Die Niederkunft der Mutter Erde nahte heran; die warme, schwere Frucht drängte ans Licht. Dieser weiten Ebene aber, dieser riesengroßen Ernte gegenüber erwachte eine Bange, die Besorgnis nämlich, daß der Mensch mit seinem neben dieser Unendlichkeit so winzig kleinen Leib nimmermehr all die Arbeit werde bewältigen können.

Seit einer Woche war der Roggen eingebracht; jetzt begann Hourdequin mit dem Weizen. Im vergangenen Jahre hatte man ihm seine Mähmaschine verdorben: Der schlechte Wille seiner Leute nahm ihm die Geduld, sein Vertrauen in die Ersprießlichkeit der Maschinenarbeit begann zu wanken; darum hatte er seit dem Himmelfahrtstag einen Trupp Ernteleute angeworben. Dem Herkommen gemäß nahm er sie aus Mondoubleau in der Perche; es waren ein Vormäher, ein langer, dürrer Mensch, fünf andere Mäher, sechs Binderinnen, darunter vier Frauen und zwei Mädchen. Ein Wagen brachte die Leute nach Cloyes, woselbst sie das Fuhrwerk der Borderie abholte. Sie schliefen im Schafstall, Männer, Frauen und Mädchen durcheinander und fast unbekleidet, wegen der großen Hitze.

In dieser Zeit war's, wo Jacqueline am meisten zu tun hatte. Frühmorgens um drei Uhr erhoben sich die Leute, um abends gegen zehn Uhr wieder ihre Streu aufzusuchen. Sie aber mußte die erste auf den Beinen sein, um die Suppe anzurichten, die um vier Uhr eingenommen wurde; ebenso war sie die letzte, die zur Ruhe ging, nachdem sie das aus Speck, Rindfleisch und Kohl bestehende große Abendessen um neun Uhr besorgt. Zwischen diesen beiden Mahlzeiten gab es drei andere, um die achte Stunde früh Brot und Käse, zu Mittag eine zweite Suppe, Milch und Brot des Nachmittags: alles in allem fünf reiche Mahlzeiten, die mit Most und Wein angefeuchtet wurden, denn die hart arbeitenden Ernteleute verlangen eine nahrhafte Kost.

Ihr aber war dies alles ein Spaß, dieser geschmeidige Körper barg stählerne Muskel. Ihre nie müde Elastizität aber war um so erstaunlicher, als sie nämlich in jener Zeit den großen Tölpel Tron bis zur Erschöpfung mit ihrer Liebe aufrieb; die rosige Haut dieses Kolosses reizte ihre Sinne. Der ungeschlachte Kuhjunge ward ihr Pudel; überall mußte er ihr zu Willen sein, in den Scheuern, am Heuboden, auch im Schafstall, denn der Schäfer, dessen Spionieren sie fürchtete, war jetzt Tag und Nacht mit seinen Schafen im Freien. Besonders nachts feierte sie ihre Orgien, aus denen sie hübscher und frischer hervorging, als je und voll prickelnder Arbeitslust. Hourdequin sah und ahnte nichts. Er war im Fieber der Ernte, jener jährlich wiederkehrenden Krisis seiner Leidenschaft zum Landbau, einem Fieber, das ihn bis ins Mark durchschüttelte, ihn den Kopf erglühen und das Herz rascher schlagen ließ.

Die Nächte waren so heiß, daß Hans es oft in seinem Hängeboden neben dem Pferdestall nicht aushielt; dann ging er ins Freie und legte sich angekleidet auf die Fliesen im Hof. Es waren nicht bloß die unerträglich dunstende Wärme der Pferde und die gärende Ausdünstung der Streu, die ihm den Schlaf raubten und ihn von seinem Lager emporrissen; es war sein fortwährendes Denken an Franziska, die immer wieder vor seinen Augen wach werdende Vorstellung, wie sie zu ihm komme, wie er sie an seine Brust schließe und mit seinen Küssen verzehre. Jetzt, wo Jacqueline ihm Ruhe gab, verwandelte sich seine herzliche Zuneigung zu dem geliebten Mädchen in ein rasendes Verlangen. Hundertmal nahm er sich in diesem marternden Halbschlummer vor, er wolle am nächsten Tage hingehen und nicht ruhen, bis sie sein geworden; doch sobald die Sonne aufgegangen und er sich das Haupt in einem Eimer kalten Wassers erfrischt hatte, schämte er sich dieses Gedankens, fand, daß er zu alt für sie sei, und in der nächsten Nacht begann die Qual von neuem.

Als die Ernteleute in die Borderie kamen, erkannte Hans unter den Weibern die Frau eines Mähers, die er zwei Jahre früher, als sie noch Mädchen war, besessen hatte. Eines Nachts war er von dem Gedanken an Franziska wieder einmal übermäßig erregt; plötzlich sprang er auf, schlich sich in den Schafstall zu der Frau hin, die dort zwischen ihrem Mann und Bruder schlief, und zog sie am Fuß. Das Weib ergab sich ihm ohne Sträuben. Sie wechselten kein Wort: in der grabesstillen schwülen Finsternis der langgestreckten Schäferei, deren ausgekratzter Fußboden vom Mist des Winters einen beißenden Ammoniakgeruch ausströmte, versuchte Hans sein kochendes Blut zu dämpfen, und während der zwanzig Tage, welche die Arbeiter bereits auf dem Hof verweilten, fand er sich allnächtlich dort ein.

In der zweiten Woche des Monats August war schon ein gut Stück Feldarbeit geschafft. Die Mäher hatten in den nördlichen Äckern begonnen und kamen allmählich zum Rand des Aigretales heran. Garbe um Garbe fiel der riesige Wald der Ähren; jeder Sensenhieb streckte mit rundem Ausschnitt ein Büschel Halme zu Boden: die winzigen Insekten wurden ihres Riesenwerkes Herr. Hinter dem stetigen Schritt der Männer strich die gerade Flucht des geschorenen Feldes dahin, starrten die harten Stoppel empor, auf denen gebückten Ganges, die Hinterbacken hoch, die Binderinnen sich bewegten.

Es war dies die Zeit, in welcher die leere und traurige Öde der Felder sich am meisten belebte, wo ein Volk von Arbeitern, wo Wagen und Pferde sich dort tummelten. Soweit das Auge blickte, sah man Gruppen von Mähern; seitwärts geneigt, schoren sie beim wiegenden Hinundwieder der Arme den Acker. Die einen waren so nah, daß man das zischende Sausen des Stahles vernahm. Andere bewegten sich weit hinten in Reihen nebeneinander gleich einem Zug Ameisen. Auf allen Seiten entstanden Einschnitte in dem Getreidefeld, wie ein alter Stoff Löcher und Risse bekommt. Stück um Stück verlor die Beauce ihr Staatsgewand mit goldiger Schleppe, ihren einzigen Sommerschmuck, bis sie vollständig entkleidet, armselig und nackt wurde.

Die Hitze nahm immer mehr zu. Besonders an jenem Tage war sie unerträglich, als Hans mit einem zweispännigen Wagen frischgemähter Garben nach einem Felde fuhr, das neben Buteaus Acker lag, wo das Getreide in Schober gebracht werden sollte. Es galt einen acht Meter hohen Schober zu errichten, der dreitausend Bund faßte. Die Sonnenglut spaltete die dürren Stoppel, und auf den noch ungemähten Flächen rösteten die feurigen Strahlen die unbeweglichen Ähren. Ein heißes Flimmern zitterte über den Halmen, als brannten sie. Kein Baum spendete Frische, keinen anderen Schatten gab's wie den kurzen Streif neben den Männern. Seit dem frühen Morgen arbeitete Hans unter dem flammenden Himmel; in Schweiß gebadet belud er seinen Wagen, leerte ihn wieder, und bei jeder Fahrt warf er einen Blick zum Nachbarfelde hinüber, wo Franziska in gebückter Stellung die Ähren aufraffte, die der vor ihr dahinschreitende Buteau abgemäht.

Buteau hatte Palmyre zur Aushilfe nehmen müssen, denn Franziska vermochte die Arbeit nicht zu bewältigen, und auf Lise, die seit acht Monaten schwanger war, durfte er nicht rechnen. Dieser Familienzuwachs war ihm im höchsten Grade unwillkommen. Er war so sorgsam bemüht gewesen, solch einen Vorfall zu vereiteln! Wo nur kam der Bankert her? Er war grob zu seiner Frau, warf ihr vor, sie habe es absichtlich getan; jammerte stundenlang, als habe ein Bettler oder ein verlaufenes Tier sich in sein Haus gestohlen, um alles zu verzehren. Noch heute nach acht Monaten war er nicht imstande, einen Blick auf sein Weib zu werfen, ohne sie zu beschimpfen: verwünschter Bauch! Dumme Gans! Da muß man natürlich zugrunde gehen! Am Morgen hatte sie versucht, beim Binden zu helfen, doch er ward aufgebracht über ihre unbeholfene Schwere und schickte sie nach Hause. Um vier Uhr sollte sie wieder herauskommen, um den Nachmittagimbiß zu bringen.

»Teufel!« fluchte Buteau, der sich abquälte, um ein angefangenes Stück Feld fertig zu bringen. »Mein Rücken brät, und meine Zunge ist dürr wie ein Stück Holz.«

Er trug nur einen offenen Leinenkittel über seinem Hemd, durch dessen Schlitz die schweißbeperlte haarige Brust bis zum Nabel hervorsah.

»Ich muß noch eins trinken!« setzte er, sich reckend, hinzu.

Am Fußboden hatte er unter seinem Rock einen Liter Apfelwein versteckt. Er trank einen Schluck.

»Du hast keinen Durst?« wandte er sich an Franziska.

»Doch!«

Sie nahm die Flasche und tat einen langen Zug. Während sie so mit eingebogenem Kreuz und straffer Brust das laue Getränk schlürfte, schielte er seitwärts zu ihr hinüber. Auch sie troff von Schweiß. Ihr Kattunkleid war nur halb geschlossen, aus dem oben geöffneten Leibchen schaute ihre weiße Haut hervor. Unter dem blauen Tuch, mit dem sie Haupt und Nacken umschlungen hatte, blickten ihre Augen merkwürdig groß und schön aus dem überhitzten stummen Gesicht hervor.

Ohne ein Wort hinzuzusetzen, machte er sich wieder an seine Arbeit und streckte wiegenden Leibes die Schwaden aufs Feld; das Gezisch der Sense begleitete den ausgreifenden Schwung seines Armes. Sie schritt gebückt, die Hinterbacken hoch, hinter ihm drein, faßte mit der Sichel in der Rechten die Ähren zwischen den Disteln hervor, legte sie von drei zu drei Schritt in kleine Häufchen zusammen. Als er einen Augenblick innehielt, um mit dem Rücken der Hand die Stirne zu trocknen, und sie so gebeugt dastehen sah, das Haupt zur Erde, das Gesäß emporgestreckt wie ein brünstiges Tier, schien ihm seine Zunge noch trockener zu werden.

»Vorwärts! vorwärts!« rief er dem Mädchen zu. »Du wirst doch keine Perlen fassen.«

Palmyre war in dem nebenliegenden Acker beschäftigt, die seil drei Tagen in der Sonne getrockneten Schwaden zu binden. Buteau überwachte sie nicht, denn sie mußte auf Akkord arbeiten und wurde, obwohl es nicht Brauch war, nach der Zahl der von ihr gebundenen Garben bezahlt. Buteau hatte gemeint, sie sei schon zu alt und abgearbeitet, er finde nicht seine Rechnung, wenn er ihr wie jungen Mädchen dreißig Sous Tagelohn gebe. Selbst zu diesen harten Bedingungen hatte er sie nur nach langem Bitten aufgenommen: mit der Miene eines Mannes, der ein gutes Werk tut, beutete er die bedrängte Lage der Unglücklichen zu einem Extraprofit aus. Das arme Weib griff drei, vier Ährenhäufchen, soviel ihre dürren Arme fassen konnten, dann umschlang sie das Bündel mit einem bereitgehaltenen Strohband. Diese meist den Männern vorbehaltene, harte Arbeit erschöpfte das elende Weib; die schweren Bunde drückten ihr die Brust zusammen; das Ringen und Winden des Schnürstrohes brach ihr die Arme. Am Morgen hatte sie eine Flasche mitgebracht; von Zeit zu Zeit füllte sie diese in einer fauligen, stinkigen Pfütze und trank gierig diese ungesunde Flüssigkeit trotz des Durchfalles, der seit Beginn der Hitze im Verein mit der übermäßigen Arbeit ihre Kräfte aufrieb.

Das Blau des Himmels war erloschen, eine weißglühende Decke spannte sich über die Flur; feurige Strahlen schossen aus dem glutentbrannten Sonnenball auf die Felder. Es war die erstickende, müde Ruhestunde nach dem Imbiß zu Mittag. Delhomme und seine Leute richteten unweit die Garben in »Körbe«: vier wurden aufrecht nebeneinander gestellt, und eine fünfte als Dach darüber gelegt; die Leute ließen ihre Arbeit ruhen und verkrochen sich in den Schatten einer Vertiefung. Einen Augenblick lang sah man auch den alten Fouan, der, seit er vor zwei Wochen sein Haus verkauft, bei dem Schwiegersohne lebte und mit seiner unversiegenden Leidenschaft die Erntearbeit verfolgte; hernach fühlte er ebenfalls das Bedürfnis, sich niederzustrecken, und verschwand. Jetzt hob sich in dem leeren Horizont aus dem wie Kohlenglut flimmernden Grunde der Stoppel nur noch in der Ferne der hagere Schattenriß der Großen, die prüfend einen Schober betrachtete, den ihre Leute inmitten der halbzerrissenen »Körbe« zu bauen begonnen hatten. Sie glich einem vom Alter ausgedörrten Baumstamm, dem die Sonnenstrahlen nichts mehr anhaben können; gerade aufgerichtet stand sie da; kein Schweißtropfen perlte an ihrer Haut; sie schaute streng und finster drein, aufgebracht darüber, daß ihre Mannschaft ausruhte.

»Alle Wetter!« stöhnte Buteau. »Es geht nicht mehr.«

Er drehte sich nach Franziska um:

»Legen wir uns schlafen, komm!«

Sein Auge spähte nach einem schattigen Fleck aus und fand keinen. Scheitelrecht prallte die Sonne aufs Erdreich; kein Strauch bot Schutz. Endlich gewahrte er, daß das am Ende des Feldes noch stehende Getreide einen schmalen, braunen Streif warf. Dorthin lenkten beide ihre Schritte.

»He, Palmyre, ruhst du auch aus?« rief Buteau.

Sie war auf fünfzig Schritte entfernt. Mit einer erloschenen Stimme, die wie ein schwacher Hauch über den Acker tönte, gab sie zurück:

»Nein, nein, keine Zeit!«

In der brennend heißen Ebene arbeitete nur sie allein noch. Wenn sie abends Hilarion nicht die dreißig Sous heimbrachte, schlug er sie; er hatte sich in letzter Zeit das Trinken angewöhnt und verlangte herrisch, daß sie ihm Geld schaffe, dieser Leidenschaft zu frönen. Doch ihre Kräfte verließen sie. Dieser knochendürre Leib ohne Brust, ohne Schenkel, den die Arbeit abgeschliffen hatte wie ein altes Brett, knackte, als wolle er brechen bei jeder Garbe, welche die Ärmste ergriff und band. Mit ihrem aschfahlen Gesicht, dessen Züge verwischt waren wie die Prägung eines alten Sou, und das aussah wie sechzig Jahre alt trotz ihrer fünfunddreißig, ließ sie die brennende Sonne ihre letzte Lebenskraft aufsaugen und verzehren, quälte sich, mit tödlicher Erschöpfung ringend, gleich einem Lasttier, das während der Arbeit zusammenbricht und stirbt.

Buteau und Franziska hatten sich nebeneinander hingestreckt. Sie dampften vor Schweiß, seit sie sich nicht mehr bewegten. Die Wimpern fielen ihnen zu, ein bleischwerer Schlaf umfing sie; immerfort quollen in der unbeweglichen Schwere der heißen Luft die kochenden Tropfen aus ihren Körpern. Als Franziska eine Stunde später erwachte, überraschte sie Buteau, wie er, auf der Seite liegend, sie mit dem gelb funkelnden Blick anstarrte, der ihr seit einiger Zeit Furcht einflößte. Sie schloß von neuem die Lider und tat, als schlafe sie noch. Ohne daß er es ihr gesagt, fühlte sie, daß dieser Mann, unter dessen Augen sie aufgewachsen und ein Weib geworden, nach ihr verlangte. Wird er es wagen? Wird er, der Gatte ihrer Schwester, mit der er sich jede Nacht gütlich tat, den Mut haben, sich ihr zu nähern? Sie wartete, wünschte es unbewußt, entschlossen, ihn zu erwürgen, wenn er sie berühre.

Plötzlich fühlte sie sich von ihm ergriffen.

»Verwünschtes Schwein!« schrie sie auf und stieß ihn zurück.

»Dummes Ding, laß doch!« flüsterte er wilden Blickes. »Alle schlafen, es sieht uns niemand.«

In diesem Augenblick blickte das todmüde Gesicht Palmyres über das Getreide. Doch sie zählte nicht, bedeutete nicht viel mehr, als wenn eine Kuh herübergeschaut hätte. In der Tat machte sie sich unbekümmert wieder an ihre Arbeit; man vernahm von neuem das Knacken ihrer Lenden bei jeder Bewegung.

»Kind, sei nicht so dumm! Versuch' es doch! Lise erfährt nichts.«

Doch beim Namen ihrer Schwester raffte sich Franziska, die fast ihrem aufgeregten Lustgefühl erlegen wäre, empor und verteidigte sich hartnäckiger als vorher. Mit beiden Fäusten hieb sie auf den Verführer ein, stieß mit den nackten Füßen nach ihm, die er schon bis zu den Hüften aufgedeckt hatte, schrie, er sei ein elender Hund, sie wolle ihn nicht, sei zu gut für die Reste einer anderen. Er möge seine Frau zu Paaren treiben und ihr jeden Abend ein Kind machen.

Er meinte immer nur, sie habe Bange vor den Folgen; er beschwichtigte diese Angst und versprach ihr hoch und teuer, er werde ihr kein Kind machen.

Aber plötzlich wußte sie ihm einen derben Tritt in den Bauch zu versetzen; mit roher Kraft stieß er sie von sich, so daß sie vor Schmerz aufschrie.

Es war Zeit. Als Buteau sich erhob, gewahrte er Lise, die das Vesperbrot brachte. Er ging ihr entgegen und hielt sie zurück, um Franziska Zeit zu lassen, ihre Röcke in Ordnung zu bringen. Ihm fiel jetzt ein, das Mädchen könne ihn verraten, und bedauerte, sie nicht mit einem Fußtritt unschädlich gemacht zu haben. Doch sie schwieg. Trotzig und herausfordernd ließ sie sich zwischen den Schwaden nieder und blieb auch, nachdem er wieder zu mähen begonnen, mit den Händen im Schoß dort sitzen.

»Wie?« fragte Lise, die ebenfalls Platz nahm. »Du arbeitest nicht?«

»Nein, mich langweilt's«, versetzte sie ungestüm.

Buteau, der nicht wagte, sie zurechtzuweisen, fiel über seine Frau her.

»Was brätst du denn da wie eine Zuchtsau deinen Bauch in der Sonne? Ein netter Kürbis!«

Das rundliche, feiste Weib, das immer noch wohlgemut und guter Laune war wie früher, lachte bei diesen Worten. Vielleicht sei es nicht einmal so dumm, meinte sie, sich hier den Leib zu sonnen; es mochte dem Kleinen zugute kommen. Sie streckte sich behaglich einem riesigen, geschwollenen Saatkorn vergleichbar, das aus dem fruchtbaren Schoß der Mutter Erde hervordrängt. Ihr Mann aber scherzte nicht. Mit roher Stimme gebot er ihr, ihm zu helfen. Schwerfällig stand sie auf und versuchte die Schwaden zu sammeln; die mächtige Fülle ihres Leibes zwang sie, dies kniend zu verrichten; zur Seite gebogen, raffte sie mit unbeholfener Schwere pustend die Ähren auf.

»Wenn du nichts tust,« rief sie der Schwester zu, »geh wenigstens nach Haus' ... Du kannst die Abendsuppe kochen.«

Wortlos entfernte sich Franziska.

In der immer noch drückenden Schwüle war die Beauce wiederum lebendig geworden. Die kleinen schwarzen Punkte der arbeitenden Menschen bewegten sich von neuem auf der endlosen Fläche. Delhomme mähte mit seinen beiden Knechten, während die Große das Wachsen ihres Schobers bewachte, auf ihren Stock gelehnt, den sie zu schwingen bereit schien, falls sie einen Säumigen ertappte. Auch Fouan tauchte wieder auf, schaute der Arbeit seines Schwiegersohnes zu und irrte mit seinem müden Schritt durch die Felder, in stillem Weh über Vergangenes grübelnd. Franziska aber schritt, noch betäubt von der aufregenden Szene, träumend die neue Chaussee dahin.

»Pst! Franziska!« rief es plötzlich.

Es war Hans, halb hinter den Garben versteckt, die er seit dem Morgen hierher fuhr. Er hatte eben wieder seinen Wagen entladen; wartend standen die Rosse unbeweglich in der Sonne. Erst am nächsten Tage sollte der Schober errichtet werden, der Bursche hatte einstweilen die Bunde in drei Reihen aufgestellt, zwischen denen im Stroh versteckt wie eine Kammer sich ein lauschiges Plätzchen buchtete.

»Komm herüber! Ich bin's!«

Mechanisch folgte sie der Aufforderung, ohne zu ahnen, wie Buteau ihr nachspähte, der überrascht war, daß sie die Straße verließ.

»Wie kann man so stolz vorübergehen, ohne seinen Freunden guten Tag zu sagen?« scherzte Hans.

»Du verbirgst dich ja so, daß man dich nicht sieht.«

Er begann über den unfreundlichen Empfang zu klagen, der ihm jetzt bei den Buteaus zuteil wurde.

Doch ihre Gedanken schienen abwesend, sie antwortete einsilbig oder überhörte gar seine Rede. Ohne Aufforderung war sie wie übermüde in dem Versteck im Stroh niedergesunken. Ihr ganzes Wesen erfüllte eins: der Angriff jenes andern dort drüben am Rain des Feldes; ihr war's, als fühle sie noch den kecken Griff seiner heißen Hand, als verfolge sie immerfort die Ausdünstung des Mannes, der sie umarmen wollte. Mit geschlossenen Wimpern und wogender Brust lag sie da, und ihr gewaltsam zurückgedämmtes Lustgefühl schien noch immerfort dieser Umarmung zu harren.

Als Hans sie so hingebend dort liegen sah, erstaunte er: sein Blut geriet in Wallung und hämmerte ungestüm in seinen Schläfen. Er hatte diese Lage nicht absichtlich herbeigeführt und versuchte sich zu beherrschen; es schien ihm unwürdig, diese wehrlose Lage des Kindes zu mißbrauchen. Doch das Klopfen seines Herzens betäubte ihn. Er hatte sie so lange, so heiß begehrt! Die Vorstellung, sie zu besitzen, berückte seine Sinne wie in jenen schlaflosen Nächten auf dem Hofe. Er streckte sich an ihrer Seite ins Stroh, ergriff erst ihre eine Hand, dann beide Hände, die er drückte, als wolle er sie zerquetschen. Sie zog die Hand nicht zurück: ihre schweren Lider öffneten sich und blickten leer wie abwesend auf ihn hin ohne ein Lächeln, ohne Verlegenheit; eine nervöse Spannung verlängerte das Oval ihres Gesichtes. Dieser stumme, fast schmerzhafte Blick machte ihn plötzlich brutal, er fuhr ihr unter die Röcke und packte sie mit nerviger Faust an den Schenkeln, wie es Buteau getan.

»Nein, nein,« stammelte sie; »ich beschwöre dich ... das ist gemein ...«

Aber sie verteidigte sich nicht. Ein jäher Schrei –dann war's ihr, als wanke und schwanke der Boden unter ihr; wie ein Schwindel erfaßte sie's, sie wußte nicht mehr: war's der andere, der zurückgekehrt? Es war derselbe eiserne Arm, der sie umklammerte, derselbe starke Geruch, der den in der heißen Sonne arbeitenden Männern entströmt. Ihre Verwirrung, ihre Betäubung in der schwindelnden Nacht der fest geschlossenen Augen ward so groß, daß ihr stammelnd, unfreiwillig und ohne Bewußtsein, die Worte entschlüpften: »Kein Kind! Ich will kein Kind!«

Hans riß sich aus ihren Armen. Franziska öffnete die Augen. Wie? War's schon vorüber, und hatte sie so wenig Vergnügen dabei? Ihr war nur ein Schmerz zurückgeblieben, und sie dachte unwillkürlich an Buteau. Daß Hans an ihrer Seite saß, ärgerte sie; warum nur hatte sie ihm nachgegeben? Sie liebte ihn doch nicht, diesen Alten! Er blieb unbeweglich und erstarrt wie sie, suchte, was er ihr sagen könne, und fand kein Wort; seine Verlegenheit wuchs, er entschloß sich, sie zu küssen. Sie aber wandte das Gesicht ab und wollte nicht erlauben, daß er sich ihr nähere.

»Ich muß fortgehen«, murmelte er. »Du bleib' noch hier.«

Sie antwortete nicht, ihre Augen schauten gedankenlos in den Himmel.

»Nicht wahr? Warte fünf Minuten, damit man dich nicht mit mir zusammen fortgehen sieht.«

Sie öffnete endlich die Lippen:

»Gut, geh!«

Das war alles. Er knallte mit der Peitsche, schalt seine Pferde, das Fuhrwerk setzte sich in Bewegung; er ging daneben schweren Schrittes und mit gesenktem Haupt.

Buteau lugte noch immer aus der Ferne herüber. Als er Hans neben den Garben hervorkommen sah, hinter denen Franziska verschwunden, schöpfte er Verdacht. Ohne sich seiner Frau anzuvertrauen, schlich er hinzu und stand plötzlich vor dem Versteck im Stroh, darin das Mädchen in seiner immer noch anhaltenden Betäubung mit entblößten Beinen dalag und in die Wolken stierte. Ein Leugnen war unmöglich; sie versuchte es nicht.

»Du schmutzige Dirne! Du hältst es mit dem da und willst mich mit Fußtritten traktieren? ... Zum Teufel, das wollen wir mal sehen!«

Von neuem warf er sich auf sie; deutlich las sie in seinen verzerrten Zügen, daß er die Gelegenheit benutzen wollte. Kaum fühlte sie sich wieder von ihm ergriffen, so lehnte sich wie vorher ihr ganzes Ich dagegen auf. Sie mochte ihn nicht mehr; ohne sich Rechenschaft zu geben über die Launen ihres Willens, stieß sie ihn, dessen sie eben noch mit Reue gedacht, von sich und wehrte sich mit Händen und Füßen.

»Schwein, willst du gehn? ... Ich beiße!«

Ein zweitesmal mußte er sie fahren lassen; doch seine Wut, daß sie ihm einen andern vorzog, war grenzenlos.

»Ich ahnte, daß du es mit dem Lümmel hieltest. Lange hätte ich ihn hinauswerfen sollen ... Verdammte Dirne, mit solch einem hergelaufenen alten Schuft gibt sie sich ab!«

Der Schandreden ward kein Ende. In schamlosester Sprache warf er ihr die Sache vor; kein Ausdruck schien ihm kräftig genug, sie zu beschämen und zu vernichten. Sie aber geriet ebenfalls in Zorn, stand bleich und starr vor ihm und versetzte in keckem, kurzem Tone:

»Geht's dich was an? Ich tu's, mit wem ich will!« ... Bin ich nicht frei, kann ich nicht tun, was mir beliebt?«

»Gut, aber ich werd' dich hinauswerfen! Jawohl und sofort! Ich werde der Lise erzählen, wie ich dich getroffen habe.

»Erzähl' ihr's, was macht mir das? ... Wenn's mir gefällt, geh ich meiner Wege.«

»Wenn's dir gefällt? ... Das wollen wir mal sehen ... Hinausgeworfen wirst du, Metze; mit Fußtritten in den Hintern davongejagt!«

Um den Weg abzukürzen, trieb er sie über das den Geschwistern gehörende Feld, jenen Acker, dessen Teilung er bisher immer noch aufgeschoben. Ein plötzlicher Gedanke durchzuckte sein Gehirn: er erblickte wie in einem Bilde dieses Land in zwei Stücke zerschnitten, deren eines sie nahm und es vielleicht ihrem Geliebten gab. Diese Vorstellung besänftigte auf der Stelle seinen Jähzorn. Nein, es wäre zu dumm gewesen, alles aufzugeben, weil ihm dies Mädchen eine Nase gedreht. Dergleichen Gelegenheiten finden sich wieder: ein Stück Land aber, das man einmal hat, muß man festhalten.

Buteau sprach kein Wort mehr; zögernd ward sein Schritt; mit sich selbst unzufrieden, überlegte er, wie er seine Drohungen widerrufen könne. Endlich sagte er einlenkend:

»Ich hab' kein boshaftes Herz; daß du mich nicht magst, bringt mich so auf ... Sonst erspar' ich gern der Lise in ihren jetzigen Umständen einen Kummer.

Sie meinte, er fürchte, seinerseits verraten zu werden.

»Sei überzeugt, wenn du sprichst, red' ich auch.«

»Mir ist nicht bang davor,« versetzte er mit sicherer Keckheit, »ich sag' einfach, du lügst aus Rache, weil ich dich überrascht habe.«

Während sie sich Lise näherten, schloß er hastig:

»Also die Sache bleibt unter uns ... Wir reden ein andermal davon.«

Lise war verwundert, die Schwester mit Buteau zurückkommen zu sehen. Er erzählte ihr, die Faulenzerin habe dort drüben hinter einem Schober geschmollt. Aber ein heiserer Schrei unterbrach ihr Gespräch.

»Was gibt's? Wer schreit?« riefen sie, den Vorfall vergessend.

Es war ein furchtbarer Ton gewesen; ein langgezogenes, heulendes Stöhnen, gleich dem Todesröcheln eines Schlachttieres drang es empor und versiegte in der flammenden Glut der Sonne.

»Was ist das? ... Ein verendendes Pferd vermutlich!«

Sie wandten sich nach der anderen Seite und gewahrten Palmyre in dem benachbarten Stoppelfelde, wie sie noch aufrecht stand inmitten der Schwaden. Ihre versagenden Arme preßten eine letzte Garbe an die Brust und versuchten sie zu schnüren; doch ein zweiter Todesschrei brach aus ihrer Kehle; sie ließ den Bund zur Erde fallen und stürzte kopfüber ins Getreide. Ein Sonnenstich hatte sie zu Boden gestreckt.

Lise und Franziska rannten hinüber; lässig folgte Buteau; von den nächsten Feldern kamen andere herbei, die Delhommes, dann Fouan, der dort herumgestrichen und die Große, die mit ihrem Stock die Steine von ihrem Acker geschleudert.

»Was gibt's?«

»Palmyre ist gestürzt.«

»Ja, ja, ich hab' sie fallen sehen.«

»Großer Gott!«

Von dem geheimnisvollen Schrecken gepackt, den jede Krankheit den Landleuten einflößt, standen sie im Kreise herum und wagten sich nicht hinzu. Ausgestreckt lag Palmyre da, das Gesicht zum Himmel gewandt, die Arme auf der Brust verschränkt, gleichsam gekreuzigt auf der Erde, die sie mit saurer Arbeit so früh erschöpft, die sie getötet hatte. Ein Blutgefäß mochte ihr geborsten sein; ein dünner roter Faden floß aus ihrem Munde. Doch noch mehr war es die Entkräftung, die sie hinraffte; elend, mager, fleisch- und geschlechtslos, so in nichts zusammengetrocknet lag sie dort inmitten der Stoppel wie ein mit Hadern behangenes Skelett.

Endlich näherte sich die Großmutter, die das arme Weib verstoßen und niemals ein Wort für sie gehabt.

»Mir scheint, sie ist tot.«

Sie tippte mit ihrem Stock an die Verunglückte. Der Körper mit den ins brennende Sonnenlicht starrenden leeren Augen, mit dem breit verzerrten, offenen Munde bewegte sich nicht. Der Blutstreif auf dem Kinn gerann.

»Natürlich ist sie tot«, fuhr die Große fort. »Besser das, als anderen zur Last fallen.«

Ergriffen standen die Männer und Frauen da, ohne eine Bewegung zu machen. Durften sie die Leiche berühren, bevor man den Schulzen benachrichtigte? Sie begannen flüsternd ihre Meinungen auszutauschen, sprachen lauter und lauter und schrien endlich, um sich zu verständigen.

»Ich werd' meine Leiter holen, die dort beim Schober steht,« meinte Delhomme, »wir können sie als Tragbahre brauchen. Einen Toten darf man niemals auf der Erde liegen lassen, das geziemt sich nicht.«

Doch als er mit der Leiter kam und man eine Garbe Stroh darüber breiten wollte, um den Leichnam darauf zu legen, brummte Buteau.

»Wir geben dir dein Korn schon wieder!«

»Das will ich meinen!«

Lise, die sich dieses gefühllosen Geizes schämte, fügte noch einige Handvoll Ähren hinzu, um den Kopf darauf zu betten; dann hob man die Entseelte auf dies Lager. Franziska vermochte nicht den Blick von der Leiche zu wenden. Eine seltsame Bestürzung und Traurigkeit überkam sie bei dem Gedanken, daß dies Unglück gerade in der Stunde geschehen, wo sie zum erstenmal einen Mann an ihrer Brust gefühlt. Sie und der alte Fouan blieben bei der Toten, während die anderen an ihre Arbeit zurückkehrten. Keines von den beiden sprach ein Wort: das junge Mädchen fragte sich, wie es möglich sei, daß dieser armselige Klumpen jemals ein Weib gewesen; der Greis dachte darüber nach, daß die, welche heimgegangen, am glücklichsten sind.

Als gegen Sonnenuntergang die Feldarbeiter sich zum Heimgang rüsteten, kamen zwei Männer, um die Bahre ins Dorf zu tragen. Die Last war nicht schwer, sie hatten kaum nötig, sich ablösen zu lassen; doch andere schlossen sich ihnen an, es bildete sich ein ganzer Zug. Man schritt quer übers Feld, um die Biegung der Chaussee abzuschneiden. Die Tote lag steif und starr auf ihrem Strohbett; hinter dem Kopfe hingen ein paar Ähren herab und schaukelten wiegend hin und her.

Jetzt hatte sich der heiße Dunst des Tages in einer rotgelben Wolke unterm Himmel gelagert. Die jenseits des Loirtales wie in Dampf verschleierte Sonne warf nur noch eine dünne Schicht gelber Strahlen knapp über den Boden und überspann alles mit diesem Gelb, mit dieser zarten Vergoldung. Die noch aufrecht stehenden Ährenhalme trugen rötlich schimmernde Flammenbüschel; an den Stoppeln blinkten zinnoberfarbene Kristalle. Auf allen Seiten aber bis zum Horizont hoben sich, übergroß erscheinend, die Schober aus diesem goldig durchglühten Meere; die einen noch leuchtend im Abendrot, die anderen vom Dämmern verschleiert, warfen weithin, bis ans andere Ende der Flur ihre Schatten. Ein hehrer Friede senkte sich über die Felder; in lichter Höhe trillerte einsam eine letzte Lerche. Demütig, mit hängenden Köpfen, gleich einer Herde, folgten die müden Arbeiter der Leiche. Niemand sprach ein Wort; man vernahm nichts als das Knacken der Leiter unter der Last der Toten, die sie heimtrugen, gebettet auf reifen Ähren.

An jenem Abend zahlte Hourdequin die Ernteleute aus; die vereinbarte Arbeit war beendet. Die Männer bekamen hundertzwanzig Franken für die vier Wochen, die Weiber sechzig. Es war eine glückliche Ernte gewesen: gering war die Zahl der vom Sturm umgelegten Ährenfelder, an denen die Sense sich schartig reißt; kein Gewitter näßte das geschnittene Getreide. Deshalb erhob sich auch, wie der Vormäher, von seinen Leuten gefolgt, Jacqueline, als der Herrin des Hauses, die in ein Kreuz geflochtene Ehrengarbe darbrachte, ein vielstimmiger Jubelruf, und das herkömmliche Abschiedsmahl der Ernteleute ward in frohester Stimmung eingenommen: Man aß drei Hammelkeulen und fünf Kaninchen; man trank soviel und so lange, daß alle vollständig berauscht ihr Lager aufsuchten. Jacqueline war so angeheitert, daß sie sich auf ein Haar von Hourdequin hätte am Halse Trons überraschen lassen.

Betäubt warf sich Hans auf die Streu im Hängeboden. Trotz seiner Ermüdung fand er keinen Schlummer; Franziskas Bild erwachte quälend vor seinen Sinnen. Ihn überraschte und verdroß es. Nach so zahllosen in Sehnsucht durchträumten Nächten hatte er so wenig Glück in ihren Armen genossen und sich darauf so leer gefühlt und losgelöst, daß er gemeint, es sei für immer zu Ende. Kaum ruhte er auf seinem Lager, so erschien sie ihm wieder, verlangte es ihn heißer denn je nach ihrer Umarmung. Die Szene am Nachmittag, die ihn so unbefriedigt gelassen, ward wieder lebendig, entflammte mit hundert Einzelheiten seine Sinne. Wie es anfangen, um sie wieder an die Brust zu schließen, morgen, übermorgen, und Tag für Tag? Ein Geräusch schreckte ihn auf; ein weiblicher Körper schmiegte sich an seine Seite: es war die Frau des Mähers aus der Perche, die ihn aufsuchte, erstaunt, daß er sie in dieser letzten Nacht vergesse. Zuerst wehrte er sie ab; dann plötzlich riß er das Weib an seine Brust, glühend, leidenschaftlich; ihm war's, als halte er die Geliebte umfangen, und er berauschte sich überselig und unersättlich in ihrer Umarmung.

Zur selben Stunde erwachte Franziska jählings aus dem Schlummer, erhob sich und öffnete die Dachluke ihrer Kammer. Sie hatte geträumt, daß man sich unten raufe, daß heulende Hunde das Haus umschwärmten. Sobald die Luft sie ein wenig erfrischt, dachte sie an die beiden Männer: an den einen, der sie mit ungestümem Verlangen verfolgt, und an den andern, der sie besessen. Sie erwog die Sache, die Erinnerung zog einfach an ihrem Geiste vorüber, ohne daß sie irgendwelche Gedanken daran knüpfte oder einen Entschluß faßte. Plötzlich fuhr sie auf. Es war kein Traum: ein Hund heulte unten am Ufer der Aigre. Jetzt erst erinnerte sie sich: es war Hilarion, der seit Sonnenuntergang wehklagend neben der Leiche seiner Schwester Palmare kauerte. Man hatte versucht, ihn zu verjagen; er klammerte sich an die Leiche, biß um sich und wollte nicht lassen von ihr, die ihm Schwester, Weib, alles gewesen. Immer wieder und unaufhörlich tönte sein bellendes Heulen durch die Nacht.

Lange Zeit saß Franziska schauernd und horchte.


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