Heinrich Zschokke
Die Rose von Disentis
Heinrich Zschokke

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17.
Eine Scene im Hauptquartier.

An der reichbesetzten Tafel des Hauptquartiers, zu welcher das öde Ursernthal nur Gemsen und Murmelthiere der hohen Alpen und die feinen Käse seiner Sennhütten hatte liefern können, während von Altdorf und Luzern, aus zehn und zwanzig Stunden weiter Ferne, Leckerbissen und Weine aller Art herbeigeschafft waren, machte Flavian die nähere Bekanntschaft des republikanischen Feldherrn und seiner Offiziere; sowie er auch folgenden Tages das wilde Kriegsleben der Soldaten in den ausgeplünderten Hütten der Thalbewohner kennen lernte. Beim zuchtlosen Schalten und Walten dieser Heerbanden, befiel ihn abwechselnd Ingrimm und Entsetzen. So arg hatte ihm seine Phantasie, selbst in den dunkelsten Stunden, die Gräuel des Kriegslebens nicht vorgestellt. Er glaubte sich zu einer mächtigen Räuberhorde verirrt, die von einer gewöhnlichen Bande raublustiger Strolche nur durch ihre Uniformen und den geregelten Waffendienst verschieden war. Fast gereute ihn der Schritt, der ihn hieher gebracht. Aber nun einmal gemacht, konnte er ohne Gefahr und Schmach nicht zurück gethan werden. Auch war es ihm zuletzt vollkommen recht, das Menschengeschlecht einmal in seiner vollen scheu- und schamlosen Nacktheit zu sehen. Es macht um eine ernste Erfahrung reicher, dachte er, das Höllengewebe solcher disziplinirter und privilegirter Länderverwüster in der Nähe zu beobachten, für deren Glück man in den Kirchen Gottes Beistand anruft; die man Helden nennt; denen man Ehrensäulen baut; deren Verkehrtheit oder Käuflichkeit der Geschichtschreiber Lorbeeren und Weihrauch spendet.

Schon der erste Abend, im hellerleuchteten Saale des Hauptquartiers, inmitten des glänzenden Kreises der Brigadechefs und Hauptleute, füllte seine ganze Seele mit heiligem Zorn, je greller der Gegensatz war, welchen der feine, gemessene Ton dieser Gesellschaft von sogenannten gebildeten Männern, gegen ihr grausames Handwerk und ihre verwilderten Begriffe von Ehre, Pflicht und Menschenwerth, machte. Flavian begnügte sich dabei mit der stummen Rolle des Zuhörers, und entschuldigte sich mit Ermüdung, wenn der General ihn zur Theilnahme an dem fröhlichen Leben aufforderte. Loison selbst trug diesen Abend, voll heiteren Humors, das Meiste zur Unterhaltung bei; begleitete, auf einer Flöte phantasirend, die schöne Stimme eines jungen Offiziers, der die rührenden Klagen einer Waise am Grabe ihrer Mutter sang, oder er deklamirte gefühlvoll und bewegt, die Ekloge Virgil's in lateinischer Sprache, in welcher Meliboeus trauert, die heimischen Fluren verlassen zu müssen. Wie er, so thaten auch die Andern. Bald blitzten muntere Witze, bald verlor sich das Gelächter im stillen Anhören der Geschichte edelmüthiger Thaten, deren Zeuge dieser oder jener Offizier gewesen sein wollte.

Der Frohsinn der Abendgesellschaft wurde in diesem Augenblicke auf eine Weise gestört, die über alle Gesichter Unmuth und Verdruß verbreitete. Vom Wirth des Hauses, der zugleich Unterstatthalter, oder Ammann des Thales, war, begleitet, trat eine alte Bauernfrau in den Saal, in halbzerrissenen Kleidern, zitternd und weinend. Sie hob, stumm flehend, die Hände zum General empor, und sank zu seinen Füßen auf die Knie nieder.

Was soll das? Was wollt Ihr? fuhr der General ärgerlich den Wirth an, der jedoch jetzt die demüthige, freundliche Wirthsmiene abgelegt hatte, und, wenn auch bescheiden, doch fest und ernst, als Thalammann, vor dem Feldherrn sprach.

Gönnen Sie, sagte der pflichtstrenge Mann (er hieß Meyer und sein Name ist werth, genannt zu werden), gönnen Sie der unglücklichen Wittwe, und den Kindern derselben, einen Augenblick Ihr Mitleid. Seit drei Wochen schon lebt das arme Weib, aus seiner eigenen Hütte verstoßen. Ein Dutzend Ihrer Soldaten haben sich eigenmächtig darin eingenistet, Alles verzehrt, Alles ausgeraubt und verwüstet; haben die einzige Kuh der schutzlosen Frau vor wenigen Tagen geschlachtet. Seit drei Wochen hatte die Unglückliche mit ihren Kindern, in Nacht und Frost, kein Obdach, als einen baufälligen Heustall. Und, Bürger General, in diesem Augenblick werden Mutter und Kinder auch aus dem Heustalle vertrieben. Ihre Soldaten reißen ihn nieder, um sich daraus Ueberfluß an Brennholz zu schaffen. Retten Sie, weil es noch möglich ist, die letzte Habe dieser Frau, damit die Bejammernswürdige nicht gezwungen ist, sich des Nachts unterm kalten Himmel, im Schnee zu betten.

Der General erwiederte verdrossen: Es thut mir leid. Soll ich etwa meine Leute im Schnee schlafen lassen? Ist nicht die Schuld Eurer faulen, böswilligen Bauern, daß sie am Tage herumlungern, statt Holz, aus den unten befindlichen Wäldern, den Berg herauf zu tragen? Sind ihre Rücken zu zart dafür?

Dieser Vorwurf, General, kann Ihr Ernst nicht sein, entgegnete der Thalammann. Sie selbst sind Zeuge, wie unsere Männer und Weiber alltäglich vom Morgen bis zum Abend, in langen Schaaren, mühsam bergab, bergauf ziehen, das nöthige Holz herbei zu schleppen; Sie selbst – –

Es ist genug! unterbrach ihn Loison. Fort mit dem Weibe! Es gehört nicht meiner, sondern Ihrer Sorge an. Ich habe in dem vermaledeiten Thale hier, für meine Truppen, nicht für Eure alten Weiber, Erbarmen zu fühlen.

General, rief der unerschrockene Wirth von Andermatt, ich fordere nicht Ihre Gnade und Barmherzigkeit für die Geplünderten, sondern Ihre Pflicht und Schuldigkeit gegen sich selbst.

Was Teufel! schrie der General mit lauter Stimme, unterstehet Euch, Mensch, noch einmal dieses Wort, und ich lasse Euch mit Eurer Thalammannswürde auf dreimal vierundzwanzig Stunden in's Gefängniß werfen, bis Ihr zu Verstande kommt. Dann that er einige hastige Schritte; blieb wieder einen Augenblick nachdenkend stehen; winkte einem Offizier und sagte: Begleiten Sie das Weib; erkundigen Sie sich, was vorgeht? Schaffen Sie Ordnung.

Als dieser Befehl vollzogen wurde, schlich auch Prevost, ohne Abschied zu nehmen, davon, und begab sich, vom Thalammann begleitet, nach der abgelegenen Hütte des jammernden Weibes. Ein großes Feuer leuchtete ihnen durch die Finsterniß dunkelroth entgegen. Der Heustall war zum Theil schon niedergerissen, und was davon übrig geblieben war, stand in Flammen. Soldaten standen lachend umher und wärmten sich; vor ihnen trippelten einige vor Kälte schlotternde, zerlumpte Kinder, die sich des Flammenspieles und der wohlthätigen Gluth freuten. – Hier war nichts mehr zu retten. Flavian murmelte Flüche, gab dem Thalammann einige Geldstücke, um damit der hülflosen Familie Herberge und Nahrung zu verschaffen; ebenso drückte er der neben ihm weinenden Frau heimlich ein Almosen in die Hand, mit dem Winke, es zu verbergen und zu schweigen. Dann wandte er sich um und verschwand in der Dunkelheit.


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