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Das Kind vor der Kirche.

Wir müssen über den Kirchhof gehn,
Wo im Schnee die schwarzen Kreuze stehn
Und die Steine im finsteren Grunde:
Der alte Priester kehrt heim in's Haus,
Der Mond bricht aus drohenden Wolken heraus,
Es schlägt die Mitternachtsstunde.

Schon streift die Mauer der Mondenschein,
An der Thüre steht ein Kindlein klein.
Das hat so blasse Wangen;
Der alte Priester tritt ihm nah':
»Wer bist du, und was willst du da?
Wie bist du hergegangen?«

»»O thu' mir nichts, o laß' mich sein.
Nicht wissen darf es mein Mütterlein,
Sonst würde noch mehr sie weinen!««
»– Nein, Kind! dir soll nichts Böses geschehn!
Wie blutet die Hand dir? Gieb her! Laß sehn!
Sag' an, wer sind die Deinen?«

»»Ach Gott! Wie hab' ich geweint so sehr!
Doch darf ich's dir sagen nimmermehr,
Weshalb ich hergekommen!
Weil Vater Nichts bezahlen kann,
D'rum hat uns Alles ein böser Mann,
Selbst unsere Bibel genommen!««

»»Und weil wir Hunger leiden und Noth,
Weint Mutter sich die Augen roth
Vor lauter Weh und Sorgen!«« –
– »Du armes Kind! Komm' her zu mir!
Doch zeige mir das Stück Papier,
Das du vor mir verborgen?«

»Komm', gieb es mir, ich bin dir gut –
Doch ha! Was seh ich! Das ist dein Blut!
Was hast du da geschrieben?«
»»O Gott! o halt' mich nicht für schlecht,
Ich weiß es wohl, es ist nicht recht,
Doch hat mich Noth getrieben!««

»»Denn immer weinte mein Mütterlein,
Und sagte dann: Von Gott allein
Kann Trost ich noch erlangen.
Doch, da auch Gott uns nicht befreit,
So bin ich nun bei später Zeit
Zur Kirche hergegangen.««

»»Ich schnitt mich, bis das Blut mir rann –
Dem lieben Gott verschrieb ich dann
Mich ganz, doch nicht dem Bösen.
Gott will ja gern die Kleinen sehn;
Für ewig will ich zu ihm gehn,
Um sie nur zu erlösen.««

»»Doch sag's nicht meinem Mütterlein:
Sie darf nun nicht mehr traurig sein;
Sonst klagt und weint sie immer –!««
Der Priester ihn im Arme hält:
»Dich segne Gott im Himmelszelt,
Nun sollst du weinen nimmer!«


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