Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Erst im September kamen die Vetseras nach Wien zurück. In England, wo Mary viele Erfolge gehabt hatte, war sie weniger heiter gewesen, als es sonst ihre Art war. Ihre Mutter fand sie oft schweigsam und befragte sie um den Grund, aber sie war weit davon entfernt, ihn zu erraten. Vielleicht aus Furcht, verspottet zu werden, hütete Mary vor Mutter und Schwester ihr Geheimnis. »Meine Tochter«, meinte die Baronin, »wird mich gewiß eines Tages mit der Mitteilung überraschen, daß sie sich verlobt habe. Ja, so ist die Jugend von heutzutage!«
Marys Schönheit erreichte zu jener Zeit ihre Vollendung. Die Reize zweier Altersstufen mengten sich in ihr und schenkten ihr den größten Zauber; noch war sie ein Kind, das sich im Ausdruck des Gesichtes, in mancher zögernden Geste verriet, und doch trat schon das seiner Macht bewußte Weib immer stärker in ihr hervor. Das Geheimnis, das sie in ihrem Herzen hütete, lag wie ein Schleier über ihrem Blick und gab ihrem Lächeln einen neuen Reiz.
Wenn man ihr Schmeicheleien sagte, verbarg sie nicht ihre Freude darüber. »So kann ich also noch sicherer sein, ihm zu gefallen«, dachte sie dann.
Rudolfs Bild war während des Sommers nicht verblaßt. Im Gegenteil, aus der Ferne betrachtet schien er ihr, wie das bei hohen Bergen manchmal der Fall ist, noch größer. Er war so lebendig in ihr, daß sie jeden Mann, der sich um sie bemühte, mit ihm verglich. Und keiner konnte sich mit ihm messen. Wie hätte sie ihn nicht vergöttern sollen! Sie hatte schon um ihn geweint, war seinetwegen vor Glück und Verwirrung rot geworden. Als sie ihre alte Amme umarmte und endlich wieder von Rudolf reden konnte, rief sie: »Ich liebe ihn noch mehr als im Frühjahr!« Der Ton, in dem sie diese einfachen Worte sprach, ließ die Alte aufhorchen; sie wiegte nachdenklich ihren Kopf, doch sie schwieg.
Der Kronprinz war bei den großen Herbstmanövern, als Mary in Wien ankam. Durch vierzehn Tage mußte sie sich mit der traurigen Freude begnügen, Nachrichten über ihn bloß aus den Zeitungen zu erhalten. Sie war unglücklich, nicht schon im August zurückgekehrt zu sein, denn da hatte er noch in Laxenburg residiert und war fast täglich in die Stadt gekommen.
Auch sonst war Wien noch nicht zu dem gewohnten Leben erwacht. Die Aristokraten waren auf ihren Schlössern, wo große Jagden abgehalten wurden. Die Damen Vetsera fühlten sich also recht vereinsamt. Mary hatte fast niemand, von dem sie über den Geliebten etwas erfahren konnte. Niedergeschlagen spazierte sie mit Mutter und Schwester durch die verlassenen Prateralleen, wo sie so oft dem schönsten aller Reiter begegnet war. Sie dachte nur an ihn. Jetzt würde er sie sicher vergessen haben. Mehr als drei Monate waren seit ihrer letzten Begegnung verflossen; es brauchte wohl nicht einmal so viel, um ein Bild zu verwischen, das nicht allzu stark in ihm gelebt haben konnte.
Damals brachte sie ein Zufall mit einer Dame in Berührung, von der sie nicht ahnen konnte, daß sie bestimmt war, eine bedeutsame Rolle in ihrem Leben zu spielen.
Eines Mittags kehrte die Baronin von einigen Besorgungen, die sie allein in der Stadt gemacht hatte, mit einer guten Freundin zurück, die sie längere Zeit aus dem Auge verloren hatte. Diese elegante, noch junge Frau, hatte Mary seit ihrer Rückkehr aus dem Kloster nicht gesehen. Die Schönheit des jungen Mädchens machte einen tiefen Eindruck auf sie; ihr Name aber auf Mary einen noch viel tieferen. Es war die Gräfin Marie Larisch-Wallersee, die als Tochter des Herzogs Ludwig in Bayern, des älteren Bruders der Kaiserin, und einer Schauspielerin, Henriette Mendel, die er morganatisch geheiratet hatte, eine richtige Kusine des Kronprinzen war. Als junges Mädchen hatte sie sich der besonderen Huld der Kaiserin erfreut und war häufig Gast der kaiserlichen Familie gewesen. Später hatte sich Elisabeth, aus Gründen, die nie ganz entschleiert wurden, von ihr zurückgezogen. Aber mit Rudolf war die Gräfin immer noch befreundet, sie wußte tausend Dinge von ihm und seinem Privatleben zu erzählen und hatte, so oft es ihr gefiel, die Möglichkeit, ihn zu sehen, mit ihm zu sprechen. Mary betrachtete diese Frau mit begeisterten Blicken.
Während des größten Teils des Frühstücks wurde von Rudolf gesprochen. Seine Ehe, die nie gut gewesen war, schien jetzt ganz in die Brüche zu gehen, wie die Gräfin nicht sehr wohlwollend berichtete. Aber wenn sie auch für die Kronprinzessin kein gutes Wort fand, von Rudolf sprach sie in ganz anderem Ton. Seit ihre Beziehungen zum Kaiserpaar gelockert waren, war Rudolf der einzige geblieben, an den sie sich halten mußte, um mit dem Hof nicht ganz außer Fühlung zu kommen. Darum hütete sie sich, ihrer angeborenen Bosheit nachzugeben, wenn von ihm die Rede war. An jenem Tage nahm sie die Kaiserin, den Kaiser und Frau Schratt in die Arbeit, aber für Rudolf fand sie nur wohlwollende Worte. Gerade dies, obwohl es ja durchaus nicht aus der Berechnung geschah, auf das junge Mädchen einen günstigen Eindruck zu machen, beschleunigte den Lauf der tragischen Ereignisse. Hätte Mary damals aus ihrem Munde herabsetzende Worte über Rudolf gehört, dann hätte sie die Gräfin gemieden; doch da sie so herzlich und nur Gutes von Rudolf sprach, erschien sie dem armen Kind als die reizendste und ehrenwerteste Frau, und Marys versiegeltes Herz war bald bereit, sich zu erschließen.
Ein neuer Zufall fügte es, daß Mary nach Tisch mit der Gräfin einige Augenblicke allein blieb. Die Gelegenheit war zu verlockend; Mary konnte sich nicht zurückhalten, weiter von Rudolf zu sprechen. Sie tat es unbewußt mit einer solchen Schwärmerei, daß es der Gräfin, die in mehr als zwanzigjährigem Hofleben ihre Menschenkenntnis geübt hatte, nicht schwer fiel, das Geheimnis dieses Mädchens zu durchschauen. Einige geschickt in herzlichem Ton gestellte Fragen gaben ihr volle Klarheit. Mary war bezaubernd, und es wäre schwer gewesen, sie nicht ins Herz zu schließen. Auch die Gräfin konnte so vieler Anmut nicht widerstehen. Sie brauchte sich keine große Mühe zu geben, um das Vertrauen des jungen Mädchens zu gewinnen, denn Mary hatte ja bis dahin nur zu ihrer Bonne offen sprechen können und litt unter dem Schweigen, zu dem sie verurteilt war. Und da die Gräfin gewohnt war, aus allen Umständen Nutzen zu ziehen, freute sie sich schon, ihrem so oft verstimmten Vetter einige frohe Augenblicke zu bereiten, wenn sie ihm von der großen Leidenschaft erzählen würde, die er in dem Herzen des schönsten Mädchens von Wien erweckt hatte. Wie blasiert er auch sein mochte, dies konnte ihm nicht gleichgültig bleiben.
Als die Gräfin sich verabschiedet hatte, konnte sich Mary kaum vor Freude fassen. Würde sie doch mit Hilfe dieser neuen liebenswürdigen Freundin immer rechtzeitig von Rudolfs Ankunft in Wien unterrichtet werden, manches über seine Pläne, sein Leben erfahren.
Schon dies erschien ihr als unschätzbares Glück – aber mit der Geschwindigkeit des Blitzes sprangen ihre Gedanken einen Schritt weiter: vielleicht konnte sie ihm auf diesem Wege eines Tages sogar eine Botschaft zukommen lassen! Die Vermessenheit dieses Gedankens raubte ihr den Atem. Sobald ihr Herzschlag wieder ruhig geworden war, bedachte sie alle Möglichkeiten der neuen Lage. Der unendliche Abstand, der sie von Rudolf getrennt hatte, war auf einmal geschwunden. Er war ihr so nahe gekommen, daß er fast erreichbar wurde. Er hatte den fernen Planeten, auf dem er aufgetaucht war, verlassen, um seine Füße in die gleiche Welt zu setzen, in der auch sie stand. Und die Gräfin Larisch war es, der sie dies verdankte! Vielleicht würde die eines Tages sogar Mary mit ihm zusammenbringen, vielleicht würde Mary mit ihm sprechen können …! Alles das grenzte an ein Wunder. Mary versank in ihre verzückten Gedanken, und die Unterhaltung ihrer Mutter und ihrer Schwester gelangte nicht mehr an ihr Ohr. Sie wagte sich immer weiter vor; plötzlich erbebte sie …
Der Kronprinz hielt sich in Prag auf und war, wie stets, von Audienzen, Jagden und Empfängen in Anspruch genommen und von Festen, die noch ermüdender waren als alle seine übrigen Pflichten. Und jeden Abend versammelte er einen Kranz schöner Frauen um sich, und seine Gelage währten bis in die frühen Morgenstunden. Es gab Zeiten, in denen Rudolf an einem solchen Leben scheinbar restlose Befriedigung fand. Er nahm es mit den stärksten Trinkern auf, er verstand es, den Frauen in einer Weise den Hof zu machen, die ihn nicht vielen Spröden begegnen ließ. Seine Kräfte schienen unerschöpflich. Wie spät auch die Stunde sein mochte, zu der er sein Bett aufsuchte, zeitig am Morgen war er schon wieder bereit, sein offizielles Tagewerk zu beginnen.
An andern Tagen aber schüttelte ihn der Ekel über das Leben, zu dem er sich entwürdigte. Er hatte dann das Gefühl, als wäre er im Begriff, alles Wertvolle zu töten, das es in ihm gab. Mit einem Freund sprach er einmal über den Selbstmord, den, wie er sich ausdrückte, das Altertum zu einem vernünftigen und edlen Akt erhoben hatte. »Warum sollte man davor zurückschrecken?« meinte er. »Wenn man es genau betrachtet, ist mein Leben nichts anderes als ein ununterbrochener Selbstmord.«
Auf politischem Gebiet wurde das Ideal, das ihm als jungem Mann vorgeschwebt hatte, täglich morscher. Statt sich für hohe, edle Gedanken begeistern zu können, hieß es, sich täglich der banalsten Dinge wegen mit bösartigen oder dummen Menschen herumzuschlagen. Wie konnte man der schrecklichen Abnutzung eines solchen Kampfes Widerstand leisten? Was hätte er tun können? Fliehen? – Sich betrinken! Das erfüllte den gleichen Zweck.
Sein Liebesleben brachte ihm keinerlei Trost. Zu Hause gab es Mißverständnisse und Streit. Und sonst? Konnte man bei den flüchtigen Verhältnissen, die zufälligen Begegnungen folgten, von Gefühlen sprechen? Und am tiefsten drückte ihn das Bewußtsein nieder, wie zwischen Mühlsteine gepreßt zu sein, von einem fremden Willen den Gebrauch jeder Stunde im voraus diktiert zu sehen, ohne eine menschliche Möglichkeit, den Lauf seines inhaltlosen Lebens zu ändern, der unverrückbar, gleich dem der Sterne war. Es gab Tage, an denen er gar nicht mehr versuchte, gegen die dunklen Gedanken anzukämpfen, die in seinem Kopf erwachten. »Die Vorfahren melden sich«, sprach er trübsinnig, »ich kann sie nicht zum Teufel jagen. Sie sind es vielmehr, die mich in seine Arme treiben!« In solchen Krisen gab es nur ein Heilmittel, das er erprobt hatte: Einsamkeit und Rückkehr zur Natur. Was in diesem zerklüfteten, nervösen Wesen noch an gesunder Kraft vorhanden war, lebte auf, sobald er aus dem Kreise der Menschen flüchtete, um die Ruhe eines Landaufenthaltes zu genießen.
Vor seiner Rückkehr nach Wien verbrachte er, nur von seinem Büchsenspanner begleitet, einige Jagdtage auf einer einsamen Donauinsel. Er lebte in einer Blockhütte, sein Begleiter kochte für ihn. Welcher Friede umgab ihn hier! Keine Geheimagenten, die seine Schritte bewachten, keine Schnüffler, die ihm folgten, keine Akten, die der Erledigung harrten, kein neugieriges, verliebtes Weib! Freunde, Familie, das Reich mit seinen Sorgen verflüchtigten sich wie Schatten. An ihre Stelle aber traten die wilden Gräser, die Büsche, Bäume, das Wasser; in der Ferne die Berge mit dem jungfräulichen Schnee und dem Himmel darüber mit seinen Wolken. Hier fühlte er auch in sich das harmonische Wirken der geheimnisvollen Kräfte der Natur, die die Espenblätter bei Sonnenuntergang erschauern lassen, die morgens die Grashalme aufrichten. Er lauschte dem dumpfen Seufzen, das mittags, wenn die Hitze sich über die zusammengedrängten Häupter der Tannen senkt, aus den Wäldern aufsteigt. Manchmal, beim Anschleichen eines Wildes, drückte er sich reglos an den duftenden Stamm eines Baumes. Bei dieser Berührung vergaß er wohl den erwarteten Hirsch, frei wie er selber, Gast dieser Wälder, er vergaß sich selbst und umfing mit seinen Armen den brüderlichen Baum, dessen Nähe ihm neue Kraft gab.
Im Oktober wurde Wien lebendig. Der Hof war zurückgekehrt, in den kaiserlichen Theatern wurde wieder gespielt, das Restaurant Sacher versammelte jeden Abend seine aristokratischen Gäste. Dieses Haus war ebenso berühmt wie verschwiegen, denn neben den öffentlichen Speisesälen gab es dort auch Séparés, in denen die höchsten Herrschaften Wiens, die Erzherzoge und selbst der Kronprinz häufig ihre Abende zu beschließen pflegten. Auch die zahlreichen Schenken der Stadt waren des Nachts wieder gefüllt, man sang dort nach dem Theater die gemütvollen Wiener Lieder und trank sein Pilsner Bier oder ein Glas des herben Grinzinger Weins.
Rudolf stand bald wieder ganz im Banne seines Dienstes, seiner Beschäftigungen, Vergnügungen und Verdrießlichkeiten. Freude und Ärger waren in seinem Leben so eng verknüpft wie die endlose Kette eines Rosenkranzes, und ein unerbittliches Schicksal zwang ihm ein Glied nach dem andern auf, ohne ihren Lauf jemals zu unterbrechen. Das Gewicht dieser Kette zog ihn immer tiefer, doch er konnte sich nicht von ihr befreien.
Die Arbeit, die Beschwerlichkeiten des Repräsentierens und die Eintönigkeit des militärischen Zwanges nahm er ergeben auf sich, denn alles dies diente mehr oder weniger einem höheren Zweck, dem er sich willig unterordnete. Doch in der gewitterschwülen Atmosphäre seiner Ehe erstickte er. Dieser bald verborgene, bald offene, nie aber erlahmende Kampf, den seine Frau gegen ihn führte, war ihm unerträglich.
Manchmal gab es anzügliche Worte, dann wieder ein mit stummen Drohungen erfülltes Schweigen oder bittere Vorwürfe – niemals aber fand er Ausruhen bei ihr.
In jenem Herbst machte ihn ein kleiner Zwischenfall besonders zornig. Er hatte eines Abends eine entzückende Dame der polnischen Gesellschaft, die Gräfin Gzewucka, besucht. Bei solchen Gelegenheiten, bei denen er unerkannt bleiben wollte, pflegte er nicht seinen Hofwagen zu benutzen, sondern seinen Leibfiaker Bratfisch zu bestellen, einen verschwiegenen verläßlichen Mann, der ihm ganz ergeben war. Dieser Bratfisch, ein lustiger Geselle, hatte durch seine Pfeifkunst eine Art Berühmtheit erlangt. Es geschah nicht selten, daß seine nächtlichen Fahrgäste, die fast ausschließlich Aristokraten waren, ihn ins Séparé holen ließen, wo sie speisten, um sich daran zu ergötzen, wie meisterhaft er die Volkslieder und die Gassenhauer pfiff, die gerade in Mode standen. An jenem Abend nun erwartete Bratfisch den Kronprinzen vor dem kleinen Palais der Waaggasse, das die schöne Gräfin bewohnte. Da es zahlreiche gute Freunde am Wiener Hof gab, die sich bei der Kronprinzessin beliebt zu machen glaubten, indem sie ihr von den Abenteuern Rudolfs berichteten, war sie nicht in Unkenntnis davon, daß er zu jener Zeit die schöne Gräfin mit seiner besonderen Gunst auszeichnete. An jenem Abend war es ihr aufgefallen, daß Rudolf sich mit einer recht matten Ausrede entschuldigt hatte, sie nicht ins Theater begleiten zu können. Sie gab auf dem Rückweg vom Wiedner Theater ihrem Hofwagen Befehl, einen Umweg durch jene Gasse zu machen. Da sah sie Bratfisch vor dem Palais stehen, sie wußte auch, bei welchen Gelegenheiten ihr Gemahl ihn zu benützen pflegte. Eins zum andern reimend, wurde ihr Verdacht zur Gewißheit, daß Rudolf sich dort hinter den geschlossenen Fensterläden des Palais aufhielt.
Ohne zu zögern, ließ sie ihren Hofwagen anhalten. Sie stieg aus, nahm in dem Wagen des erschrockenen Bratfisch Platz und befahl ihm, sie in die Hofburg zurückzuführen. Der arme Bratfisch war in großer Verlegenheit. Konnte er anderes tun, als dem Befehl der Kronprinzessin entsprechen? Mußte es nicht den Skandal vermehren, wenn er sich weigerte? Vielleicht wäre sie sogar imstande, in das Palais der Gräfin Einlaß zu begehren! Im Augenblick hatte er alle Möglichkeiten überdacht und mit einem resignierten Lächeln griff er nach den Zügeln.
Die Kronprinzessin gab ihrem eigenen Wagen, dessen Kutscher und Diener die Hoflivree trugen, Befehl, vor dem Hause auf den Kronprinzen zu warten, und fuhr mit Bratfisch davon.
Man wird sich unschwer ausmalen können, welches Aufsehen diese Episode erregte. Am ganzen Hof und in der halben Stadt wurde von nichts anderem gesprochen. Selbst der Kaiser erfuhr davon und er verurteilte das Vorgehen seiner Schwiegertochter. Muß doch der Leibspruch jener, die in hoher Stellung alle Augen auf sich ziehen, das Wort des Evangelisten sein: »Wehe über den, der das Ärgernis verbreitet!« Rudolf hielt die Spielregeln ein, er deckte Schleier über sein Privatleben. Aber eine Fürstin, die ihre ehelichen Zerwürfnisse der Öffentlichkeit preisgab und Hof und Stadt Grund zum Lachen bot, war nur zu tadeln.
Rudolf verlor seiner Frau gegenüber kein Wort von diesem Abenteuer. Was hätte es auch geholfen! Er betrachtete das Zerwürfnis als endgültig. Sein einziger Wunsch war, mit der Kronprinzessin nur noch bei offiziellen Gelegenheiten zusammenzukommen und nach außenhin den Schein der Ehe zu wahren. Diese letzte Taktlosigkeit, die sie begangen hatte, besiegelte seine Meinung von ihr. Sie hatte gegen alles verstoßen, was eine Dame ihres Ranges sich selbst schuldig ist; dafür gab es keinen Pardon.
Die Entfremdung des kronprinzlichen Paares war nach dieser Affäre nicht mehr zu verschleiern, und neuerlich gerieten alle Kreise in Bewegung, in denen man schon früher den Plan erwogen hatte, eine kluge, geschickte und verläßliche Frau in die Umgebung des Kronprinzen zu bringen, die imstande wäre, sein Vertrauen zu gewinnen, und auf die man selbst Einfluß behielte. Auch im Neuen Wiener Tagblatt wurde über diese Frage hinter verschlossenen Türen eifrigst debattiert.
Bei dem großen Fest, das einige Zeit später anläßlich der diamantenen Hochzeit der Eltern Kaiserin Elisabeths, des Herzogs Max in Bayern und seiner Gemahlin Ludovika in Tegernsee stattfand, und zu dem die ganze Wiener Aristokratie geladen war, begegnete der Kronprinz, der mit seiner Frau erschienen war, zum erstenmal nach seiner Rückkehr aus Prag seiner Kusine, der Gräfin Larisch-Wallersee. Er schätzte sie nicht eben sehr, aber hielt immerhin einen freundschaftlichen Verkehr mit ihr aufrecht, denn sie war ihm stets voll herzlicher Ergebenheit begegnet und konnte ihm vielleicht eines Tages nützlich sein; die Hofpolitik bleibt die gleiche für die Großen wie für die Kleinen: niemand vor den Kopf stoßen und sich Verbündete werben.
Rudolf war an jenem Abend von besonders strahlender Laune. Die Weine, die man ihm vorgesetzt hatte, und besonders der Champagner, hatten ihm geschmeckt, es gab schöne Frauen ringsum, die ganze Stimmung des Festes behagte ihm. Mit der Geschicklichkeit einer Frau, die dem Hofleben alle Kniffe abgelernt hat, gelang es der Gräfin Larisch, einige unbelauschte Worte mit dem Kronprinzen zu sprechen.
»Mein lieber Vetter«, sagte sie, »was bist du doch für ein beneidenswert glücklicher Mensch! Du begnügst dich nicht damit, die Hoffnung der Monarchie zu sein, du übst dich auch in der Rolle des Don Juan! Und deine Erfolge bei den Frauen sind so märchenhaft, daß es mich gar nicht wundert, wenn du anfängst, blasiert zu sein. Trotzdem glaube ich, daß es dich freuen wird, von einer neuen Eroberung zu erfahren, die du ganz ahnungslos gemacht hast.«
Wie oft hatte Rudolf schon ähnliche Anspielungen zu hören bekommen, die ihn meist in recht unverhüllter Weise zu einem galanten Abenteuer verleiten sollten. Darum fand er es gar nicht sehr erstaunlich, daß auch seine Kusine, die immer einen Hang zu Intrigen gehabt hatte und darauf brannte, sich eine einflußreiche Stellung zu verschaffen, an der Treibjagd teilnehmen wollte, bei der er das Wild war.
»Wo soll das hinaus, Marie?« fragte er, nicht sehr erbaut.
»Lieber Rudolf, du kannst ganz beruhigt sein. Was ich dir erzählen will, ist die harmloseste Geschichte der Welt. Das reinste Kindermärchen! – Ein entzückendes junges Mädchen, das dich bloß von weitem sehen konnte, hat sich in dich verliebt! Ist das nicht schmeichelhaft? Und wenn du bloß ein simpler Ordonnanzoffizier wärst, würde sie dich nicht weniger lieben, denn hier ist wirklich Liebe im Spiel, die richtige große Liebe! Julia …«
»Und wer ist diese romantische Schöne?«
Die Gräfin wollte sich bitten lassen.
»Ein junges Mädchen aus der Gesellschaft, mein lieber Vetter, du wirst begreifen, daß ich unmöglich …«
»Aber Marie, du brennst ja darauf, mir ihren Namen zu sagen! Du bist ja nur aus diesem Grunde heute abend hier!« unterbrach sie der Kronprinz gutgelaunt.
»Du bist doch immer ein Despot gewesen«, gab die Gräfin zurück, »und ich bin nur ein schwaches Weib. Nun, dieses junge Mädchen ist die Baronesse Mary Vetsera.«
Als er diesen Namen hörte, machte der Kronprinz eine überraschte Bewegung. Mary Vetsera! Reine und zauberhafte Erinnerungen an eine geheimnisvolle Unbekannte stiegen in ihm auf, an stumme Zwiesprachen von wenigen Augenblicken in einem festlichen Theatersaal, unter dem grünen Laub der Praterbäume …
»Sie ist ein bezauberndes Mädchen!« entfuhr es ihm.
»Ich sagte dir ja, daß sie ganz reizend sei.«
»Reizend! Schön ist sie, bezaubernd ist sie«, Rudolf sprach es mit starker Betonung. »Es ist das wundervollste Mädchen in Wien. Nur zwei- oder dreimal und nur von weitem habe ich sie gesehen, aber ich habe sie nicht vergessen. Das kannst du ihr von mir bestellen.«
»Sie wird vor Freude außer sich sein. Sie ist ja noch ein Kind. Wie stolz wird die Mitteilung sie machen, daß der Kronprinz sie bemerkt hat!«
Damit endete das Gespräch. Rudolf verließ seine Kusine und trat an eine Gruppe von Gästen heran, in deren Mitte die schöne polnische Gräfin saß.