Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Lettisch-Litthauische Volkspoesie.


I.

Es nahm der Mond die Sonne;
'S war eine große Hochzeit;
Es schwamm in eitel Wonne
Der hochbeglückte Mond.

Ein herrliches Exempel
Der ehelichen Treue
Den Gatten auf der Erde
Gab dazumal der Mond.

Nicht von der Stelle wich er,
So lang die Sonn' im Hause;
Doch ging die Sonn' auf Reisen,
So ging mit ihr der Mond. –

Der Ehebund ward älter,
Der Gatte wurde kälter,
Und ging die Sonn' auf Reisen,
Zu Hause blieb der Mond.

Doch wenn die Sonne ruhte,
Da schlich die leisen Pfade,
Den Morgenstern zu küssen
Die ganze Nacht der Mond.

Darob ergrimmte Perkun
Und hieb mit seinem Eisen
Entzwei ohn' alle Gnade
Das Angesicht dem Mond.

———
I. V.
Perkun, der Gott des Donners.

*

II.

Eine Scene sah ich,
Eine wunderschöne,
Spähend aus der Büsche
Dicht belaubter Hut.
Kam zu einer Quelle
Eine hohe, helle,
Hehre Sonnentochter,
Badete das Antlitz,
Spielte mit der Welle;
Unter ihrem Spiele
Streifte sich vom Finger
Ihr der Ring, der goldne;
In die Fluth verloren
War das edle Gut.
Sonnentochter weinte;
Gottes Söhne hörten's,
Kamen im Momente,
Hielten in den Händen
Feine Seidennetze,
Holten ihr das Kleinod
Fischend aus der Fluth.

*

III.

Die Sonne scheint so finster heut?
Was hat man ihr zu Leid gethan?
Die Söhne Gottes fuhren ihr
Die Töchter auf der Schlittenbahn
Und warfen um, die heftigen,
Im Fahren überkräftigen,
Und schleuderten die Mägdelein,
Die zarten, in den Schnee hinein.

*

IV.

Ich hör' im Himmel Rosse traben;
Drauf sitzen Gottes schöne Knaben,
Die keine Rast und Ruhe haben
In ihrer Minne heißem Brand.
Sie reiten über die blaue Heide,
Aufsuchend ihre süße Weide,
Der Sonne Töchter, die blanken Maide,
Und bieten ihnen Herz und Hand.

*

V.

Perkun wetterte,
Perkun schmetterte
Nieder die Eiche, so grün und breit –
Ach, wie leid
Ist mir um die Gute!
Mir besprengt
Kranz und Kleid
Wurde von ihrem Blute.

*

VI.

Nichts geht über den Fleiß der Biene;
Ohne zu ruh'n,
Sammelt sie Gold;
Selig ihr Thun,
Selig ihr Sold;
Nichts geht über den Preis der Biene.

*

VII.

Singt, o singt mit frohem Munde!
Oder harrt ihr eurer Stunde?
Wenn ihr eurer Stunde harrt,
Leben euch und Lied erstarrt.

*

VIII.

Heutigen Tags,
Heutigen Tags,
Ueberall ist der Tanz los;
Diese beschuht,
Jene bestrumpft,
Einige tanzen ganz bloß.

*

IX.

Es kam der Lenz, der vielschöne,
Die Wälder und die Au'n grünten;
Da weilt' ich auf der Roßweide,
Da flötet' ich, ein Nachthüter;
Da kam zu mir mein Herzpüppchen,
Wie schnelle da mein Lied stockte!

*

X.

Lieber Hirte, zarter Jüngling,
Wenn du deine Rosse hütest,
Längs der Straße treibe sie!
Deiner auf der Weide harren,
Wo die schöne Quelle rieselt,
Werd' ich, o mein Leben, hie.

*

XI.

Eine blanke Blume,
Eine hochgestengelte,
Schaukelt auf der Fluth.
Steig' ich in den Kahn ein,
Halt' ich in den Händen
Einen abgebrochenen
Blüthenast und rudere
Hin damit in sehnlicher
Minne kühnem Muth,
Hin zu jenem zarten Lieb,
Welchem ich mein Sein verschrieb,
Das mir aus der Fluth winkt,
Das sich auf mit Lust ringt,
Das sich in den Kahn schwingt,
Das mir an die Brust sinkt.
Eine blanke Blume,
Eine hochgestengelte,
Raubt' ich aus der trotzigen,
Ungefügen Fluth.

*

XII.

Du mit deinem weißen Fuße!
Scheust du dich, hindurchzutraben,
Wo wir etwa bald zur Buße
Liegen in der Fluth begraben?
Stähle, Rößchen, deinen Sinn!
Alle Wogen auszuringen,
Alle Bogen auszuspringen,
Mußt du deine Hufe zwingen,
Denn es geht zum Liebchen hin.

*

XIII.

So frisch, so frisch ist Morgenhauch,
So roth, so roth, so glühend schön
Der Säume Pracht, der himmlischen,
Auflichtet die Morgensonne.
Gleich diesen ist der Wange Gluth,
Gleich diesen ist der Purpurmund,
Gleich diesen ist der Labekuß
Der Maid, die meine Wonne.

*

XIV.

Komm, Geliebte, komm, Geliebte,
      Ein zu mir in's Haus tritt!
Blicke meiner Stube Boden,
      Blicke meinen Pfühl an!
Deinetwegen ist der Boden,
Ist der Pfühl, worauf ich lagre,
      Thränenüberfluthet.

*

XV.

Der Söhne Mutter ruft mir:
»O Dirne, liebe Tochter!«
Nicht rufe mir, o Weib, so!
Nicht meine Gunst erfocht er,
Nicht meine Hand ertrotzt' er,
Dein Sohn, der ungeliebte Fant.

*

XVI.

Die Eiche, die verwitterte,
Sie trat daher, die plumpstolze;
Sie wollt' um meine Hüfte her
Befestigen ihre Baumäste;
Ich stieß sie mit dem Fuße weg;
Ich hasse jede Mißheirath.

*

XVII.

Handschuhe strickt' ich,
Ein feines Paar;
Nicht in die Höhe,
Die Fleißige, blickt' ich,
So lange, bis ich
Im Reinen war.
Und nun, wer soll sie,
Das ist die Frage,
Wer soll sie haben? –
Der junge Bruder? –
Und wird er sie
Gehörig schätzen,
Die Schwestergaben? –
Sie werden, scheint's,
Weit inniger
Dem blaugeaugten,
Dem holden Knaben,
Der mir so rührend
In's Auge schmachtet,
Der selbst der Mutter
Das Herz bezwungen,
Die Blicke laben,
Das Herz erfreu'n.

*

XVIII.

»Wirst du wohl, o meine Wonne,
Deine Zweifel überwinden;
Wirst du heute, wenn der Abend
Seine Schatten niedersenkte,
Leise, leise zu mir kommen,
Kommen in die grüne Blüthe,
Daß wir uns im Dunkeln finden,
Daß wir jauchzen im Gemüthe,
Daß wir ohne Bange kosen,
Daß wir in der Stille küssen,
Wie am Himmel in vertraulich
Süßer Ruhe Stern und Stern?« –

Wenn nur nicht das Herz so schlüge,
Wenn nur nicht die Kniee bebten,
Wenn nur nicht vor meinem Auge
Alle Ding' im Kreise schwebten,
Glaube mir, ich käme gern.

*

XIX.

In's Dörfchen hinein
Vom Quelle daher
Hinwallt' ich und trug
Die Welle so schwer,
Ging sacht und sinnend
Am Stalle hin;
Es wieherte helle
Der Braune drin.
Mir däuchte zugleich,
Als höret' ich einen
In ringender Qual
Aufseufzen und weinen.
Und hin den Eimer
Zur Erde gesetzt,
Aufthat ich leise
Die Thüre jetzt.
Ihn, dem ich hold,
In Thränen erblickt' ich;
Um seinen Hals
Die Arme strickt' ich.
»Was weinst du, mein Lieb,
Was stöhnst du, mein Reiter?
Was meinst du, mein Trieb,
Er trage mich weiter?
Dein ist, wie es war,
Mein Herze noch immer;
Untreue befleckt
Das redliche nimmer.
Wie Fluthen im Quelle,
So lauter und licht,
So ist mein Lieben;
O zweifle nicht!«

*

XX.

Ich hörete den Apfelbaum; er betete:
»Laß, gütiger Himmel, laß sie, jene Liebliche,
Die Früchte sammeln, welche mir die Sonne kocht,
Und trocknen ihre Garne hier auf meinem Ast!«

*

XXI.

Neulich auf der schönsten Aue
Klettert' ich auf einen Hügel,
Blickte sehnlich in die Runde,
Spähte scharf in alle Ferne,
Ob vielleicht zu sehen wäre
Irgend eine goldne Liebste,
Mir bestimmt von einem endlich
Nach so mancher stillen Zähre
Zugewandtem Huldgeschick.
Siehe da, mit einem Male
Naheten von allen Seiten
Goldne Mädchen, schöne Sterne,
Wie geboren aus dem Strahle,
Den die warme Sonn' im Lenze
Sendet auf die Erde nieder;
Wimmelten zu meinen Füßen
Allzuhauf im grünen Thale;
Schlangen allerliebste Tänze,
Sangen allerliebste Lieder;
Ja die schönste von den Schönen,
Welche sich versammelt hatten,
Hob sich in die Luft und schwebte
Sacht herauf zu meiner Höhe,
Ihre sanften Arme breitend
Mit der Liebe heißem Blick.
Welch ein Taumel des Entzückens!
Wie ich glühte, wie ich bebte!
Immer näher kam der Engel,
Der geliebte; schon gedacht' ich
Ihn zu fassen, ihn zu halten
Selig in der Arme Strick;
Aber in dem Augenblick –
Denn die Nacht mit ihrem Traume
Neckte mich – da, weh, erwacht' ich,
Und zu einem leeren Schatten
Und zu einem hohlen Schaume
War geworden all mein Glück.

*

XXII.

Soll man allzu bald nicht
Meinen Leib begraben,
Jenes schönen Fischers
Liebe muß ich haben;
Doch wie nah' ich ihm,
Der mir allzu ferne?
Doch wie spring' ich ihm
In die Augensterne?
Doch wie dring' ich ihm
In die süßen Kerne
Seines Liebelebens?
Doch wie fah' ich ihn? –

Nicht mit rechten Dingen
Wird es hier gelingen;
Zauberische Mächte
Müssen es vollbringen.
Nun so will ich kühnlich
Meine Künste brauchen,
Laufen nach dem Meere,
Mich hinuntertauchen,
Hier mich in ein Hechtlein
Listig umgestalten,
Heimlich unter'm Meergras
Meine Wache halten,
Und der Scene harren,
Die da Heil bescheere,
Die da lind beschwöre
Meiner Sehnsucht Weh. –

Sieh, da ist der Schöne,
Welchen ich begehre,
Mit dem Garn zur Stelle,
Wirft es in die Welle,
Lauschet in die See,
Meint, er hab' ein Hechtlein,
Schwärzlich anzuschauen,
Doch es ist ein Wesen
Stammend aus der Frauen
Zierlichem Geschlechtlein;
Eingekrümmt im Netzlein
Liegt ein Minneschätzlein,
Lugt mit hellen Augen
Schelmisch in die Höh'.

*

XXIII.

Ich will, ich arme Dirne,
Im Lenze, wenn im Garten
Die Rauten um die Beete,
Die Lilien in der Mitten
In ihrer Blüthe steh'n,
Ich will sodann ein Sträußchen,
Ein Pfand der Liebe, binden,
Und will es in die Ferne,
Ihm, den ich liebe, senden;
Nicht kann ich es selber bringen
Und nicht durch Andre spenden;
Ich will die Stürme bitten,
Daß sie's hinüberweh'n.

*

XXIV.

Komm, theuere Maid,
Die Alle schelten;
Komm, Blümchen am Pfad,
Das Alle treten;
Nicht thaue hinfort
So bittere Zähren;
Nein, dufte du künftig
Am Busen mir.

*

XXV.

Süßer Art ist Heidelbeerchen,
Süßerer Art ist Erdbeerchen.
Diese Feine lacht mich an;
Aber jene, jene Kleine,
Jene hat mir's angethan.

*

XXVI.

Wohl vor allen Vögelein
Singt die Lerche holdselig;
Süßer unser Schwesterlein,
Malt sie mit der Handmühle.

*

XXVII.

Rauschet, rauschet,
Ihr Mühlensteine! –
Es schien mir, ich mahle
So ganz alleine;
Es schien mir, ich wäre
So ganz in Ruh';
Ich mahlt' und sang mir
Ein Lied dazu.

Nicht mahlt' ich aber
So ganz alleine;
Denn nahe trat
Mir jener Feine.
Da hat vor Freude
Mein Blick gestrahlt,
Da hab' ich leise
Mein Glück gemahlt.

*

XXVIII.

Eine holde Sängerin,
      Blümelein am Bache sucht sie,
Gleitet aus und fällt hinein;
      Hin zum Meere spült der Bach sie.
Von dem Meere wird sie drauf
      Wogend an den Strand getrieben;
Alsofort am Strande wächst
      Eine dichtbelaubte Linde.
Brüderlein aus ihrem Holz
      Schnitzet eine feine Harfe.
»Ach, wie lieblich, ach, wie schön
      Klingt sie, meine Lindenharfe!« –
»Lindenharfe wäre das?«
      Also spricht die Mutter weinend,
»Dein verlornes Schwesterlein,
      Meine süße Tochter ist es.
O wie deutlich in mein Ohr
      Hör' ich ihre Stimme klingen!
O wie zärtlich an mein Herz
      Fühl' ich ihre Seele dringen!«

*

XXIX.

Rede mir von Scheiden und von Meiden nicht,
Allzu hart uns ohne Noth zu peinigen!
Deine Wege, seien es die rauhsten auch,
Bleiben ohne Widerruf die meinigen.
Denn wo du, der Bruder meiner Seele, gehst,
Geh' auch ich, das Schwesterchen der deinigen.
Wo du weilend deine Waffe hängen wirst,
Hangen hier, die Treue zu bescheinigen
Meiner Brust, soll meines Hauptes Kränzchen auch;
Trennen nichts, es soll uns Alles einigen.

*

XXX.

»Wer über meinem Haupte,
Wer weinet und wer schluchzet?
Wer sitzet in Verzweiflung,
Die Ruhe meines Schlummers,
Die tiefe, tiefe störend,
Auf meinem Hügel wer?« –

»»Ich, deine Tochter, bin es;
Ich sitze hier und weine.
Wie sollt' ich auch nicht weinen?
Ich bin allein, alleine,
Bin ohne Stab und Stütze,
Bin ohne Hab' und Hoffnung,
Nicht Friede blüht und Freude
Mir auf der Erde mehr.«« –

»Beschwichte, liebe Tochter,
Beschwichte deine Zähre
Und wandele nach Hause
Mit neu belebter Brust!
Es blüht ein neues Dasein,
Dir eine holde Zukunft,
Dir süßer Heilbescheere
Niemals gefühlte Lust.
Es harret dein ein Kränzchen,
Ein bräutliches, ein stolzes,
Dein eine zweite Mutter,
Die deine Haare strählen
Mit linden Händen wird.
Es harret dein ein Knabe,
Ein lieblicher, ein feiner,
Der zarte Minneworte
Dir in die Seele flüstern,
Der alle deine Klagen
Holdselig enden wird.«

*

XXXI.

»Erwach', erwache, Fischer,
Und leihe mir dein Fahrzeug!
Denn angewandelt hat mich
Ein mächtiges Gelüsten,
Zu schaukeln auf der See.
Die Spange hier von Silber,
Die Zierde meines Busens,
In deine Hände leg' ich;
Den Fingerreif von Golde
Nicht allzuwerth eracht' ich,
Zu bieten und zu schenken,
Woferne du gehorchest;
Drum säume nicht, ersteh'!« –

Begierig horcht der Fischer,
Der dürftige, der alte;
Er hebt sich auf, er tappet,
Entzündet eine Lampe,
Kommt, leuchtet und betrachtet;
Das edle Gut, es lacht ihn
Mit hellen Augen an.
Sofort die blanke Spange,
Die von der Brust gelöste,
Den Fingerreif von Golde,
Den von der Hand gestreiften,
Ergreifet der Vergnügte,
Und spendet ihr den Kahn.
Sie steigt hinein, sie rudert
Nach einer Stell' im Meere,
Wo neulich in die Wogen
Ein Knabe fischend einsank;
Dorthin die schwanke lenkt sie,
Die schauerliche Bahn.
»Nun lebe wohl, o Vater,
Nun lebe wohl, o Mutter,
Nun Schwestern und Gebrüder
Und alle, die mir gut!
Ade, Ade auf ewig,
Mond, Sternenlicht und Sonne!
Nie mehr zu schau'n gedenk' ich
In eure schöne Gluth.
Denn jener hier Gesunkne,
Her winket er bei Tage,
Her winket er im Dunkeln
Die ihm verlobte Seele,
Und sie gehorcht mit Freude,
Die nur zu ihm gebettet
Von ihrem Leide ruht.
In deine feuchten Arme
Empfange mich, Geliebter!«
Sie ruft es in die Tiefe,
Sie stürzet in die Fluth.

*

XXXII.

Ich bitte dich, o Mutter,
Ich bitte flehentlich:
Nicht huldige dem Stolze
Mit ungebeugtem Sinne,
Nicht opfere die Tochter
Unseligem Gewinne,
Nicht einem ungeliebten
Gemahl vereine mich!

Zwar werd' ich oft, o Mutter,
Vereinst du diesem mich,
Dir zum Besuch erscheinen,
Doch nicht zu meines Herzens
Ergötzen und des deinen;
Ich werde Thränen weinen
Des Grames und des Vorwurfs
Viel tausend bitterlich.

Doch giebst du mich, o Mutter,
Dem Manne meiner Wahl,
Ich komme nicht so häufig,
Die allzu rein Beglückte;
Wofern ich aber komme,
Nicht eine Thräne wein' ich;
Ich komme mit des Dankes,
Der Freude hellem Strahl.

*

XXXIII.

Ach, Schwesterlein, ach, Schwesterlein,
Wie hast du dich so weit hinaus
Versprochen aus dem Vaterhaus!
Die Brüder haben ein groß Begehr
Und möchten gerne bei dir sein,
Und tragen es nicht länger mehr
Und reiten in die Welt hinein,
Und kennen, ach, die Wege nicht,
Und finden, ach, die Stege nicht,
Und irren fragend im Land umher.

*

XXXIV.

Wohin, o Gott, soll ich die Schritte richten?
Womit soll ich mein krankes Herz beschwichten?
Es giebt nur einen Weg; ich muß ihn gehen,
Bis sterbend alle meine Pulse stehen.

*

XXXV.

Tief in Nacht und Dunkel
Lag ein Hort verborgen;
Ferne meinem Ahnen,
Meinem Auge weit,
Lebte tief im Walde,
Dienet' in der Wildniß
Eine zarte Maid.

Ausgejagt von Unmuth –
Denn Verlust erlitt ich
Bitterlich und schwer –
Durch die Lande ritt ich,
Mied bekannte Wege,
Suchte wilde Stege,
Schweifte weit umher.
Das behende, gute
Rößchen und die eigne,
Junge Kraft ermüdend,
Linderung dem Herzen
Zu erreiten, hofft' ich,
Aber meine Schmerzen
Brannten nur noch mehr.

Allgemach anitzo
Seine graue Schwinge
Breitete der Abend
Ueber das Revier;
Meine Blicke suchten
Lang nach einem Schirme
Vor der Nacht Bedrohniß,
Endlich in das Auge
Fiel mir ein Quartier.
An die Krippe hier
Stellet' ich den Renner,
Trat in eine Stube,
Eine dämmerhelle,
Barg in einen Winkel
Hinter einen Tisch mich,
Und begann zu seufzen,
Und begann zu weinen;
Heiß vom Auge träufte
Zähr' auf Zähre mir.

Hin zu mir, dem Düstern,
Der sie nicht bemerkte,
Spähte von der Seite,
Blickte scharf und sinnend
Jenes schöne Kind;
Brachte mir ein Glas nun,
Ein von Schaume weißes,
Und ich sah in's Aug' ihr,
Und es traf ihr Blick mich
Wie ein Strahl des Himmels
Tröstlich und gelind.

Alsofort ein Dringen
Im Gemüthe spürt' ich,
Daß ich ihr die Spende,
Die sie reichte, zutrank
Und mit ihr vertraulich
Holder Rede pflag.
Und erklingen hört' ich
Ihre süße Stimme,
Und entschweben fühlt' ich
Meiner Seele Trübsal,
Aufgefunden war mir,
Was das Herz bedurfte,
Aufgegangen war mir
Tief in Nacht und Dunkel
Der ersehnte Tag.

*

XXXVI.

Wie doch verfielst du,
Du guter Knabe,
Dem alle Mädchen
So wohlgewogen,
Der ihnen allen –
So reich an Habe,
So vorgezogen
Sie immer seien –
Das Herz entrückt,
Wie doch verfielst du
Zu deinem Schaden
Auf mich, die Arme,
Die tief zu Boden
Sich unter'm Drucke
Der Schmach, der Sorge,
Des Kummers bückt?

Du siehst ja doch,
Herzlieber Knabe,
Daß ich nicht habe,
Was Andre haben,
Daß ich nicht prange,
Wie Andre prangen,
Und Freude blitze,
Mit schönem Schmucke
Den Leib geschmückt.

Du siehst ja doch:
Es fehlt mir Alles.
Den Fuß zu bergen,
Den oft verletzten,
Gebrechen Schuhe,
Gebrechen Strümpfe;
Bis an die Kniee
Muß ich in Sümpfe,
Muß ohne Ruhe
Die Glieder regen,
Von Qual und Mühe,
Von Noth und Plage
All meine Tage
Die Brust gedrückt.

*

XXXVII.

Ein Dirnchen ist so hochgemuth,
Als sollte sie der ganzen Welt
Obherrschen und gebieten.
Zu vornehm, um zu singen,
Zu adlig, um zu springen,
Ja um zu sprechen, viel zu gut,
Was hat sie bei allem edlen Blut
Für ein Geschäfte? – Ferkelchen zu hüten.

*

XXXVIII.

Spottweise, als ein junger Mann den Vater eines lettischen Mädchens beleidigte.

Auf Krieg und Schlachten
Und großer Thaten
Erhabne Prachten
Vernehmt ihr Leute
Mein Preisgedicht!

Es kam ein Häschen
Und hob das Näschen
Und hob das Pfötchen –
Es war kein Späßchen –
Und traf den grausam
Erschreckten Vater
Mit hartem Schlage
Und schonte nicht.
Ich wollte retten,
Ich wollte rächen,
Es war ja Pflicht;
Ich wollte brechen
Aus meinem Hage,
So wie ein Krieger,
Ein Held wohl bricht;
Ich konnt' es aber,
Ich arme Dirne –
Vor Lachen nicht.

*

XXXIX.

Sonne, warum so lange
Hinter dem Berge zögerst du?
»Hinter dem Berg, ihr Guten,
Sitzet ein verlassenes
Waisenmädchen, ein armes;
Euere Blicke seh'n sie nicht,
Eurem Ohre tönen
Ihre tiefen Seufzer nicht;
Ich allein, ich schaue sie,
Ich allein, ich tröste sie,
Ihre Thräne trocknend.«

*

XL.

Fort von der Heimath
Muß ich in's Schlachtfeld;
Keiner ist,
Ach, es ist keine,
Die da befreundeten
Herzens um mich
Trauer' und weine;
Trauere denn –
Hier mein Beil
Werf' ich in dich –
Trauer' und weine,
Eiche, du einzig
Freundliche, du!

*

XLI.

Keine Seele, keine
Weiß es auf der Erde,
Wie ich Armer weine,
Dessen Harm ohn' Ende
Glühend aufgefrischt.
Nur am Arm der Aermel
Weiß es, er alleine,
Der vom heißen Auge
Meine Thräne wischt.

*

XLII.

Fröhlich in der vielgeliebten Heimath,
Eine rothe Preiselbeere, sproßt' ich;
In der Fremde liebeleerem Lufthauch,
Weh, zu welkem Birkenlaube ward ich.

*

XLIII.

Helle blinkt der Wasserspiegel,
Mitten in der Spiegelhelle
Hebt sich aus der Fluth ein Hügel,
Mitten auf der Hügelwelle
Einer Eiche grüne Pracht.
Und ich arme, kleine Waise
Schwimme zu dem Hügel über,
Zu der Eich' in meinem Jammer,
Werfe meiner Arme Klammer
Um sie her mit heißer Macht.
Werden nicht zu Freundes-Armen
Diese grünen Aeste werden,
Nicht zu trauten Koseworten
Diese linden Laubgesäusel,
Hold beschwichtend alle Sorgen,
Alle Schrecken, alle Pein?
Wirst du nicht, geliebter Eichbaum,
Einem allverlaßnen Kinde
Vater und Versorger sein?

*

XLIV.

Ich armes Mädchen,
Ich arme Waise,
Gewohnt, zu darben
Im Jammergleise!
O wenn mir noch
Die Mutter lebte,
Ihr sanftes Herz
Entgegenbebte,
Von Trost und Treue
Der reinste Quell!
Ach, schon so lange,
Bedeckt vom Hügel,
Du Gute, ruhst du!
Es blinkt und zittert
Auf deinem Grabe
Der Thau der Blume
Wie Silber hell.

*

XLV.

Tief aufstöhnet die Ficht' im Wald,
Die der Sturm daniederringt;
Tief aufseufzet ein armes Kind,
Welchem Vater und Mutter starb.

*

XLVI.

Arme Waise, kleine Waise!
Schwer verdienst du deines Leibes
Arme Deck' und karge Speise.
Nimmer rastend, nimmer ruhend,
Keuchend deine Dienste thuend,
Hart gescholten unter'm Fleiße,
Trocknend in behendem Lauf
Deine Thränen, deine Schweiße,
Reibst du Kraft und Leben auf.

*

XLVII.

Hinter dem Hügel, da säet' ich Gerste,
Meinte, der listige deutsche Hopfen
Würde die lettische Saat nicht seh'n.
Aber der listige deutsche Hopfen,
Baumhoch stieg er, hinüber zu lugen;
Nichts kann seiner Entdeckung entgeh'n.

———
XLVII.
»Mitten in das poetische Land der Letten haben sich fremde Leute eingenistet, die Deutschen, die in prächtigen Schlössern und wunderreichen Städten wohnen, stets herrlich und in Freuden leben und oft mit grausamer Prosa in das poetische Leben der Letten eingreifen.«

Kohl.

*

XLVIII.

Der Tanne Zapfen auflesend,
      O sei nicht faul,
Und lecke dazu Morastwasser,
      Du armer Gaul!
Wohl blinken silberne Quellfluthen
      Im Herrenschloß,
Die schlürft zu seinem Kleefutter,
      Das Herrenroß.

*

XLIX.

Es weinen und schrei'n
Die Kindelein;
Die Hunde kriechen
In's Loch hinein.
Was naht so gefähr?
Der Wolf, der Bär? –
O nein, es dräuet
Ein Deutscher her.

*

L.

Deutscher, allzu edler Gast!
Was in unsre Hütte lenkst du?
Nicht in unsrer Mitte senkst du
Dein Gemüth in linde Rast.
Nicht im Hofe magst du bleiben,
Regen ist und Wind da draußen;
'S qualmt im Innern Rauchgewölke,
Nicht im Innern magst du hausen.
Weißt du was? Zur Hölle fahre,
Wo man helle Flammen schürt,
Dort von allem Rauche bist du,
Allem Regen ungenirt.

*

LI.

»Sage mir, wie mag es kommen,
Daß so gute Stiefel frommen,
Schreitet er durch Dick und Dünn,
Deutscher Herr, die Lande hin?« –

Ei, darüber ist kein Zweifel,
Denn sein Schuster ist der Teufel.


 << zurück weiter >>