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Die Taler im Mahlwerk

Karl Stoeber

Am Fuße des Nagelberges, nicht weit von der Mündung des Forellenbaches in die Altmühl und eine Viertelstunde von der weißen Straße, auf der die schweren Frachtwagen zwischen Augsburg und Nürnberg hin- und herfahren, stand vor etwa dreihundert Jahren eine baufällige Mahlmühle. Das Schieferdach war ganz mit Moos überzogen, der Schornstein halb eingestürzt, die Mauer, gegen den Bach zu, voll arger Risse, und die Radstube in sich zusammengesunken. Jedermann, der das Wasserrad gehen sah, wunderte sich über die kühnen Leute, die zwischen solchen Mauern, und unter einem solchen Dache, schlafen mochten. Dies waren aber nur zwei Personen, die Besitzerin der Ruine, ein altes blindes Weib, und ihr einziger Sohn, ein gesunder, rüstiger Bursche. Und diese würden gar gerne gebaut haben, wenn sie nur Geld gehabt hätten, die Maurer und Zimmerleute zu bezahlen. Eine junge und reinlich gehaltene Kuh im kleinen Stalle focht aber der Greuel der Verwüstung nicht im geringsten an, und sie tat daran fast weislicher, als der vorüberziehende Krämer aus Schwaben, welcher meinte, in dieser Hütte müsse der Geiz oder die Liederlichkeit wohnen. Denn der selige Müller war weder von jenem, noch von diesem Laster ein Freund gewesen, aber von den vorüberziehenden feindlichen Scharen zweimal rein ausgeplündert worden und zum Teil aus Kummer über das Herabkommen seines Hauswesens gestorben. Der Pfarrer von Treuchtlingen hielt ihm umsonst eine Leichenpredigt über die Textesworte: »Er heißet Herr, und freuet euch vor ihm, der ein Vater ist der Waisen und ein Beschirmer der Witwen.« Er tröstete, aus dieser Verheißung, die Witwe mit ihrem Sohne und betete für sie. Sein Gebet wurde von dem Herrn auf eine ganz besondere Weise erhört.

Ehe sich die alte Müllerin mit ihrem Sohne zu Tisch setzte, pflegte sie immer mit lauter Stimme zu beten: »Komm, Herr Jesu, sei unser Gast, und segne, was du bescheret hast«, und zwar so, daß man leicht merken konnte, sie wisse und denke daran, mit wem sie spreche, wenn sie den Mund zum Gebet aufgetan habe. Und da erging es ihr denn auch, wie weiland der Witwe von Sarepta.

Ritter Ulrich von Treuchtlingen, der in der ganzen Umgegend nur der goldene genannt wurde, weil er durch eine christliche Wirtschaft reicher geworden war, als alle seine freiherrlichen Nachbarn weit und breit, ging an einem Herbstabend an dem offenen Fenster vorüber, gerade als die Müllerin in ihrer Stube wieder wie gewöhnlich betete: »Komm, Herr Jesu, sei unser Gast, und segne, was du bescheret hast.« Der goldne Ritter war aber allein und hatte, um nicht in seinem Vergnügen, der Jagd, gestört zu werden, seine Leute mit den vielen und schönen Sachen vorausgehen lassen, die er zur Aussteuer seiner einzigen Tochter und Erbin in der Reichsstadt Weißenburg gekauft hatte. Darum hinderte ihn auch nichts, stehen zu bleiben und bei sich zu sprechen: »In manchem Hause, an dem ich vorüberging, habe ich schon beten hören, aber gegen dieses Beten war es nur immer ein Plappern der Heiden, und es gelüstete mich nie, unter solche Beter zu treten. Mit den Leuten in diesem Hause muß ich näher bekannt werden. An meinem Wams werden sie mich nicht erkennen. Denn es sieht aus wie eine Wiese im November.« Und er schob die hölzernen Riegel der Haus- und Stubentüre zurück, trat an den Tisch und sagte in der freien Weise eines Forstmannes: »Guten Abend! Der Herr Jesus kann heut nicht selber kommen und schickt mich statt seiner.« Dann setzte er sich ohne Umstände auf die Bank an der Wand. Auch die Witwe und ihr Sohn fragten nicht erst lange, wohin oder woher? sondern der junge Müller reichte ihm einen sauberen hölzernen Löffel aus der Tischlade zu dem Mehlbrei, und die Alte sagte: »Esset, so viel Euch beliebt, und tut wie zu Hause.« Und während nun der Brei, unter den langsam schöpfenden Löffeln, immer tiefer fiel, wie das Wasser in einem abgelassenen Fischteiche, meinte der goldene Ritter, den die guten Leute wirklich für einen wandernden Forstmann ansahen: »Mit Gunst, gute Mutter, verstehet Ihr denn auch, was Ihr betet, wenn Ihr so zum blauen Himmel hinaufruft: »Komm, Herr Jesu, sei unser Gast?«

»O, freilich, verstehe ich das,« entgegnete die Alte, die schon lange zu essen aufgehört, und den Rest der Speise den Männern überlassen hatte, »wenn ich das nicht wüßte, und wenn dieses Wort nicht aus meinem Herzen käme, so oft es über meine Lippen kommt, dann säßest du nicht an meinem Tische und noch wenige hungrige Wanderer wären daran gesessen. Ich weiß es wohl, der droben sitzt zur Rechten seines und unsers Vaters, wird sich nicht mehr an den Tisch der Sünderin setzen, wie er sich einst, da er noch im Fleische wandelte, an den Tisch von Sündern und Zöllnern gesetzt hat. Aber es stehet geschrieben: »Was ihr tut einem unter diesen meinen geringsten Brüdern, das tut ihr mir. Und ich möchte gern einmal zu seiner Rechten stehen, wenn er so von seinem Gnadenthrone herab sprechen wird: Kommet her, ihr Gesegneten meines Vaters! denn ich bin hungrig gewesen, und ihr habt mich gespeiset.« Und während nun bei dem goldenen Ritter und der Müllerin ein Wort das andere gab, hängte der Sohn die Armbrust und die Pelzmütze des Gastes an die Stange über dem Ofen und begab sich dann in die Dachkammer des Hauses zur Ruhe. Auch die Alte tappte sich bald darauf hinaus in das Gemach neben der Stube, und der Ritter tat, als wollte er dem Exempel der guten Leute folgen und die Ofenbank zu seinem Nachtlager erwählen. Aber er legte sich nicht, sondern nahm, indem ihm der Vollmond dazu leuchtete, aus seiner Jagdtasche die Taler, die ihm von dem Einkaufe in Weißenburg übrig geblieben waren, steckte sie uneingewickelt in den Beutel des stillestehenden Mahlganges und verließ so stille, als ginge er pirschen, die gastliche Mühle, um nach Treuchtlingen zu seiner Tochter zurückzukehren, die schon dreimal voll Sorgen gefragt hatte: »Wo bleibt denn heute der Vater?« Der Sohn der Witwe schlief aber nur zwei oder drei Stunden und kam dann aus seinem luftigen Schlafgemach wieder herab, um den Weizen des Wirts von Dettenheim zur bevorstehenden Kirchweih vollends zu mahlen. Und nun geschah, was der goldene Ritter gewollt hatte. Kaum war der Mahlgang angelassen, kaum fing der Kasten an zu klappern, als Taler um Taler klingend aus dem Beutel in den Vorkasten fiel. Der junge Müller blieb lange, wie eine Bildsäule, davor stehen, bis er endlich zulangte und die großen gewichtigen Münzen aus der Kleie in seine Mütze klaubte, um sie seiner Mutter in der Kammer zu bringen.

Und diese Taler – setzte der alte Schulmeister von Zimmern hinzu – verwandelten sich nicht in Kohlen, wie es bei Teufelsmünzen der Fall sein soll, sondern ein neues Haus, das sich, den nächsten Sommer darauf, auf dem Platze des alten erhob, zeigte, wozu sie verwendet worden waren. Noch ehe sie starb, legte die Witwe ihre Hand segnend auf das Haupt einer wackern Schwiegertochter, und der Krämer aus Schwaben ging nie mehr des Weges, ohne einzukehren und seinen Löffel in die gastliche Schüssel zu tauchen oder unter dem sicheren Dache zu schlafen.


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