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Es war kein Vergnügen, es war eine Strapaze, von Plovdiw nach Sofia zu reisen. Die Wagen, die zumeist schon die Balkankriege mitgemacht hatten, waren sehr verwahrlost. Glasscheiben an den Fenstern gab es fast nirgends mehr. Ungeziefer aller Art hatte sich so fest eingenistet, daß es nicht mehr zu vertreiben war. Die Untergestelle der Wagen wackelten und schleuderten. Die Lokomotiven waren so mitgenommen, daß die Reise jetzt doppelt, ja dreifach so lange dauerte als in früheren Zeiten.
Trotzdem hatte sich Katharina Gantschew sofort entschlossen, nach Sofia zu fahren. Wenn sogar ihre Mutter über Leda beunruhigt war, dann handelte es sich um eine ernsthafte Angelegenheit.
Immer wieder fuhr sie sich über die Stirn, während sie den Brief der Mutter in der Hand hielt. Als wache sie auf nach einem langen Schlaf. Als müsse sie allerhand Gedanken hinter ihrer Stirn erst fortstreichen, bevor sie wieder richtig zu sich selbst kam.
Ihr Mann wollte sie nach Sofia begleiten, aber das lehnte sie schroff ab, schroffer und energischer, als es sonst ihre Art war.
Ihr selbst fiel es erst bei dieser Gelegenheit auf, wie apathisch und gleichgültig sie eigentlich seit diesem Jahr in Plovdiw geworden war. Wenn sie es sich recht überlegte, hatte sie sich überhaupt für nichts mehr ernsthaft interessiert. Sie hatte so dahinvegetiert in der verbissenen Hoffnung, daß alles so am schnellsten vorübergehen würde, bis sie tot war.
Merkwürdig, daß Leda selbst ihr nicht geschrieben hatte. Erst jetzt kam ihr zum Bewußtsein, wie fremd sie einander in dem Jahr geworden waren, die bis dahin so innig und eng miteinander gelebt hatten, wie es bei Schwestern nicht häufig der Fall ist.
Sollte am Ende auch Leda an irgendeinen Parteigenossen verheiratet werden, den sie nicht leiden konnte? War ihr dasselbe Schicksal zugedacht wie der Schwester?
Da reckte sich Katharina und richtete sich hoch auf und ballte die Fäuste in leidenschaftlicher Erregung. Nie und nimmer sollte das noch einmal geschehen!
Aber wenn die Dinge so lagen, hätte die Mutter vermutlich gar nicht geschrieben, fiel ihr ein. Oder mutete sie ihr jetzt sogar zu, die Schwester mit verkuppeln zu helfen?
Katharina lachte schrill. Möglich war hier alles. Aber die Mutter täuschte sich, wenn sie annehmen sollte, Katharina würde bei einem solchen Spiel mithelfen. Zur Wehr würde sie sich setzen, viel heftiger, viel unermüdlicher, als sie es ihrem eigenen Schicksal gegenüber getan hatte, denn sie wußte ja nun, was es damit auf sich hatte, einen Mann zu heiraten, der einem aufgeschwätzt wird aus irgendwelchen äußeren Gründen, während man einen andern liebhatte. Gewiß, es kam oft genug vor, die meisten Menschen fanden gar nichts Besonderes dabei, und es gab auch Mädchen genug, denen das ganz recht war, und die es gar nicht anders haben wollten. Aber es gab auch Naturen wie sie und Leda, die ein solches Schicksal zerbrach, und Leda sollte wenigstens nicht auf diese Weise zerbrochen werden. An einer in der Familie war es genug.
Vielleicht ging es Leda schon wie ihr damals, als sie sich überreden ließ, vielleicht war auch sie schon des Kampfes müde geworden und wollte nichts weiter mehr vom Leben als Ruhe.
Katharina lachte wieder. Als ob man dann je wieder Ruhe haben könnte. Sie drängte ihren Mann und ließ nicht nach, bis er so schnell wie möglich alle Papiere herbeigeschafft und alle Formalitäten erledigt hatte, bereit es jetzt bedurfte, um auch nur von einer Stadt in die andere zu reisen. Nun soll er wenigstens zeigen, was er kann als angesehenes Mitglied der herrschenden Partei, dachte sie höhnisch.
Er erledigte in wenigen Tagen, was sonst Wochen dauern konnte, wie er ihr immer und immer wieder versicherte.
Also ist diese Heirat doch wenigstens zu etwas gut, dachte sie bitter und wunderte sich selbst über ihre Bitterkeit.
Alles war wieder aufgewacht, alles regte sich wieder und nagte und quälte, was sie längst als tot und gestorben angesehen hatte.
Je näher sie Sofia kam, um so erregter wurde sie. Hatte sie sich nicht doch zuviel zugemutet mit dieser Reise? Wunden, die sie geschlossen glaubte, brachen wieder auf. Sie war ja noch so jung. Wie wenig bedeutet da ein Jahr.
Sie hatte den Eltern nur telegraphiert, daß sie sobald als möglich eintreffen werde, aber nicht den Tag genannt, absichtlich nicht. Sie wollte allein in Sofia eintreffen, sie wollte nicht am Bahnhof empfangen werden. Hoffentlich war es wenigstens Abend, wenn sie ankam, daß sie niemanden sah und nichts wiedererkannte. Sie fürchtete sich vor all den Erinnerungen, die wieder lebendig wurden und doch tot und begraben bleiben sollten, bleiben mußten, damit sie stark sein konnte um Ledas willen.
Es war zehn Uhr abends, als der Zug endlich in den Bahnhof von Sofia einlief. Soldaten, wohin man sah. Überall lagen und standen sie in Gruppen, die schweigend rauchten, zu Knäueln zusammengeballt, die in den unmöglichsten Gliederverrenkungen schliefen und schnarchten.
Katharina hatte für alle Fälle den Schleier heruntergelassen, daß sie niemand erkennen könne. Sonst würden sie ja auch sofort wieder daran denken, woran sie jetzt auch wieder unausgesetzt denken mußte, an jenen Tag, an ihren Hochzeitstag, an dem sich Dobri Petkow erschoß.
»Dobri, Dobri!« jammerte sie leise, während sie dem Ausgang zuschritt, um einen Phaeton zu suchen. Nur fort von hier, möglichst schnell fort von hier! Sie nahm den ersten Einspänner, den sie traf. Erst jetzt fiel ihr ein, daß noch alle möglichen Formalitäten erledigt werden mußten, wie ihr Mann ihr noch besonders eingeschärft hatte, bevor sie den Bahnhof verlassen durfte, daß sie beim Bahnhofskommandanten sich hätte melden und dort ihre Papiere abgeben müssen und dergleichen. Sollte sie deshalb wirklich wieder aussteigen? Ach was, wofür war sie die Frau einer kommenden Parteigröße, auf die man schon Rücksicht nehmen würde. Sie nannte dem Kutscher die Adresse ihrer Eltern und fuhr ab.
Nur sehr langsam und mühsam kam das magere Pferdchen von der Stelle, soviel der Kutscher auch brüllte und auf das Tier einhieb.
Rechts und links von ihr endlose Büffelkarawanen, die langsam und stetig Proviant und Waren für das Heer schleppten.
Als der Wagen die Löwenbrücke erreichte, schloß sie die Augen. Nun kam sie in bekanntere Gegenden, von denen sie nichts sehen wollte.
Es war eine Qual, so langsam durch die ganze Stadt zu müssen. Sie hätte doch lieber auf einen Zweispänner warten sollen.
Sie brauchte die Augen gar nicht zu öffnen, sie brauchte nur ein wenig zu blinzeln, um sofort zu sehen, wo sie gerade war, um tausend Erinnerungen in sich aufsteigen zu fühlen, die über sie herfielen wie stechende Hornissen.
Es war ihr wie ein Spießrutenlaufen, trotzdem sich die wenigen Leute, die noch auf der Straße waren, gar nicht um sie kümmerten und nicht einmal in den Wagen sahen.
Nun war es gar nicht mehr weit bis zum Borispark. Ihr Herz krampfte sich zusammen. Wieviel Liebe hatte er werden und vergehen sehen. Im Borispark, an ihrer Lieblingsstelle, hatte sich Dobri Petkow damals erschossen.
Der Wagen bog ab zur Schipkastraße. Nur nichts mehr sehen, hören, denken.
Selbst Frau Adda erschrak, als sie ihrer Ältesten ansichtig wurde. Ganz verstört sah sie drein mit wilden, flackernden Augen. Ihre Pulse jagten, als sei sie auf der Flucht.
Man gab ihr gleich Tee zu trinken und etwas zu essen. Ein Glück, daß Leda und Eveline noch bei Petrows waren. Bis sie zurück kamen, würde sich Kathrine hoffentlich wiedergefunden haben. Auch Frau Adda sprach den Namen ihrer Ältesten englisch aus, wie man es dem Robert College schuldig war.
Ganz entsetzt war Christo über das Aussehen seiner Tochter. Adda hat ihr wieder einmal zuviel zugemutet, dachte er besorgt und unruhig. Man hätte sie noch ein Jahr ungestört in Plovdiw lassen sollen. Die Zeit heilt ja, wie man sagt, alle Wunden, nur muß man ihr auch Zeit lassen.
Katharina zündete sich eine Zigarette an.
»Du rauchst?« fragte der Vater erstaunt, denn früher hatte sie das nicht getan.
»Ja,« erwiderte die Tochter, »sogar ziemlich viel.«
»Wie geht es Alexander?« fragte die Mutter.
»Danke, gut, er läßt euch vielmals grüßen.«
»Hätte er dich nicht begleiten können?« fragte der Vater.
»O ja, aber ich wollte nicht.«
Die Eltern schwiegen einen Augenblick. Sie fühlten sich befangen und unbehaglich ihrer Tochter gegenüber.
Erst jetzt fiel es Katharina auf, daß Leda gar nicht da war.
»Wo ist denn Leda?«
»Noch bei Petrows. Sie wird gleich kommen. Auch Eveline ist wieder einmal bei uns. Du erinnerst dich ihrer noch?«
Katharina nickte. »Trotzdem Eveline da ist, braucht ihr mich auch noch?«
»Mein Gott, Eveline ist doch nur eine Freundin, aber keine Schwester«, meinte Frau Adda etwas ungeduldig. Die Art der Ältesten fiel ihr auf die Nerven.
»Leda weiß gar nicht, daß ich dir geschrieben habe, daß du kommst. Sonst wäre sie gewiß zu Hause.«
»Warum hast du uns deine Ankunft nicht telegraphiert, daß wir dich abholen konnten?« fragte der Vater leise und unruhig.
»Es wird doch allmählich Zeit, daß ich selbständig werde«, erwiderte Katharina, ohne zu bemerken, wie bitter das klang.
»Ich möchte nicht, daß du Leda sagst, ich habe dich gebeten herzukommen. Sie braucht das gar nicht zu wissen.«
Katharina nickte. Sie kannte das, dies Intrigenspinnen, dies Verfügen über den andern hinter seinem Rücken.
»Was soll ich nun eigentlich?« fragte sie nach einer Weile.
»Gar nichts Besonderes sollst du,« erwiderte die Mutter etwas gereizt, »mit deiner Schwester sollst du einmal wieder beisammen sein, wieder vertraut mit ihr werden, auch mal wieder an jemand anders denken als an dich.«
Ehe Katharina etwas erwidern konnte, wurde draußen geschellt.
»Das ist sie«, sagte Katharina und erhob sich. »Bleibt ihr nur ruhig hier, ich will ihr draußen guten Tag sagen.«
Katharina verließ das Zimmer. In höchster Erregung sagte Frau Adda: »Ich finde, sie benimmt sich unglaublich!«
»Wir müssen Geduld haben, Adda, viel Geduld. Anders geht es nicht. Du siehst doch, wie sie immer noch angegriffen ist.«
»Unsere Tochter, meine Tochter, ich verstehe das nicht! Ich gebe mir alle Mühe, aber ich verstehe es nicht!«
»Du wirst es verstehen müssen, wie ich es auch versuche. Ich verstehe es vielleicht auch nicht, aber ich sehe, wie elend sie ist, und das genügt mir. Es sollte auch dir vorläufig genügen, Adda.«
Die Mädchen traten in das Zimmer. Leda und Katharina Arm in Arm, Leda strahlend. »Ist das eine schöne Überraschung, Kathrine, ich kann mich noch gar nicht beruhigen.«
Leda küßte ihre Schwester wieder und immer wieder. Eveline sah lächelnd von einer zur andern. Wie ähnlich waren sich die beiden und doch wie verschieden. Sie waren fast gleich groß, aber Katharina wirkte zierlicher, fast jünger. Sie war die schmiegsamere, weichere Natur, sie war in Moll, was Leda in Dur war.
Leda hielt die Hände ihrer Schwester, als sie sich gesetzt hatten, und streichelte sie. »Du siehst nicht gut aus, Kathrine, mager bist du geworden. Findet ihr nicht auch?«
Die Eltern nickten.
»Man sollte in allem Ernst daran denken, dich ein wenig zu nudeln, Kathrine«, meinte Eveline mit einem Versuch, zu scherzen. Für ihren Geschmack war die Situation zu elegisch und drohte, es noch mehr zu werden.
»Ich finde auch, es sieht fast so aus, als hättest du in Plovdiw Hunger leiden müssen«, meinte Frau Adda, froh, daß Eveline einen andern Ton angeschlagen hatte. »Geht es in Plovdiw schon so knapp zu?«
»An Reis und Milch und Brot und Eiern ist wirklich kein Mangel, Mama.«
Wieder fiel Eveline ein: »Ich weiß schon, der Mensch lebt nicht von Brot allein, das wissen wir alle, Kathrine, das haben wir morgens, mittags und abends im Robert College zu hören bekommen. O Gott, war der Reverend und Professor Smiths komisch, wenn er die Augen verdrehte und die Hände vor seinem dicken Bauch faltete, der gar zu deutlich sagte, daß ihm jedenfalls nur am täglichen Brot lag, mochten die schmalen Lippen da oben noch so oft behaupten, daß der Mensch doch nicht vom Brot allein lebe. Erinnerst du dich nicht, Kathrine?«
Leda lachte, auch Katharina lächelte, und Eveline fuhr fort, alte Schulerinnerungen auszugraben. Unermüdlich redete sie drauflos, erzählte Witze, karikierte gemeinsame Lehrer und ruhte nicht früher, als bis die Stimmung wieder menschlich und möglichst untragisch geworden war.
So plauderte man von diesem und jenem; und wollte doch wieder jemand nachdenklich oder ernsthaft werden, gleich riß Eveline das Gespräch an sich und hatte ihm in wenigen Augenblicken wieder eine Wendung ins Harmlose und Oberflächliche gegeben. Frau Adda und ihr Mann fühlten wohl zum erstenmal so etwas wie eine fast rührende Dankbarkeit gegen einen fremden Menschen, der weder zur Verwandtschaft noch zur Partei gehörte.
Endlich war es an der Zeit, zu Bett zu gehen.
»Ich mache es mir in Kathrines früherem Mädchenzimmer bequem«, bestimmte Eveline. »Ihr beiden Schwestern bleibt heute zusammen, das ist doch selbstverständlich. Nur wenige Augenblicke müßt ihr mich noch bei euch dulden, damit ich meine Sachen mitnehmen kann.«
Die Mädchen gingen auf ihr Zimmer, und während Eveline ihre Sachen an sich nahm, sagte sie: »Ich bin wirklich sehr froh, Kathrine, daß du gekommen bist. Ich muß nämlich schleunigst wieder nach Hause, der elterliche Zorn hängt schon längst mit seiner ganzen Schwere über meinem Haupte, daß ich immer noch hier bin. Aber ich verschob die Abreise immer wieder Ledas wegen. Das Mädchen gefällt mir gar nicht mehr, Kathrine. Vielleicht ist sie gegen dich etwas offenherziger, Kathrine. Nimm sie nur tüchtig ins Gebet, Kathrine, sie hat es nicht besser verdient.« Sie machte einen Knicks. »Wünsche eine geruhsame Nacht.«
Die beiden Schwestern entkleideten sich stumm und gingen zu Bett.
»Soll ich das Licht noch brennen lassen, Leda?«
»Meinetwegen kannst du es ruhig abdrehen.«
Es war dunkel und still in dem Zimmer. Leda streckte ihre Hand nach der Schwester aus und streichelte sie.
»Du bist immer noch sehr unglücklich, Kathrine?«
Kathrine drehte das Licht wieder an. »Ich kann nicht so im Dunkeln liegen, wenn du mich daran erinnerst, Leda. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie mir zumute ist, seitdem ich wieder hier bin ... Wie da alles wieder auf mich einstürmt. Grausig ist das ... Hätte ich das vorher gewußt ...«
»Dann wärst du nicht gekommen, Kathrine?«
Katharina nickte. »Verzeih, ich bin ungerecht, es fuhr mir nur so heraus.«
»Warum sollst du dich nicht geben, wie du bist? Ich nehme es dir gewiß nicht übel, ich verstehe dich ganz gut, Kathrine.«
»Wir wollen nicht mehr davon reden, Leda, heute wenigstens nicht, ich kann noch nicht, es regt mich zu sehr auf.«
»Schön, Kathrine. Drehe das Licht wieder aus, und wir wollen versuchen zu schlafen. Morgen ist ja auch noch ein Tag.«
Wieder war es dunkel und still in dem Zimmer.
»Schläfst du, Leda?«
»Nein, Kathrine.«
»Kannst du nicht schlafen, Leda?«
»Ja, Kathrine.«
Nun griff Katharina nach der Hand ihrer Schwester und streichelte sie.
»Was fehlt dir, Leda?«
Leda lachte bitter. »Was soll mir fehlen? Gar nichts fehlt mir!«
Katharina rückte der Schwester näher. »Was wollte Eveline denn damit sagen, du gefielst ihr nicht?«
»Da mußt du sie schon selbst fragen, ich weiß es nicht.«
»Du bist nicht aufrichtig gegen mich, Leda.«
Leda versuchte, sich von der Hand ihrer Schwester frei zu machen. »Du hast gerade genug mit dir selbst zu tun, Kathrine, mehr als genug, du armes Lamm. – Quäl' dich nicht auch noch mit anderer Leute Ungelegenheiten.«
»Aber du bist doch meine Schwester!« Katharina schlang die Arme um den Nacken ihrer Schwester. Ihr war, als zitterte Leda.
»Ich mache mir Sorgen um dich, du siehst nicht gut aus, Leda.«
Leda fuhr herum. »Ich sehe vorzüglich aus, du siehst Gespenster, Kathrine!«
»Aber Leda, sei doch nicht so aufgeregt.«
»Ich bin gar nicht aufgeregt!«
Katharina zog die Schwester ganz dicht zu sich und ließ sie nicht aus den Armen. »Wer hat dir was getan, Leda?«
»Niemand.«
»Die Mama?«
»Ach, die Mama, vielleicht möchte sie, aber sie kann nicht, ich bin kein Lamm wie du, Kathrine.«
»Hat in Mamas Augen auch für dich ein Politiker Gnade gefunden?«
»Das wäre das wenigste, was ich mir daraus schon machen würde.«
»Ist dir einer zu nahe getreten, Leda, hat dir jemand weh getan?«
Leda schwieg, aber ihr Atem ging schneller.
»Ich kann kein Auge zutun, wenn du es mir nicht sagst, Leda.«
»Ach, die ganze Sache ist nicht so schlimm, wie du dir einbildest. Ich habe mich für jemanden interessiert und habe mir eingebildet, er interessiere sich auch für mich. Dann habe ich erkannt, daß ich mich geirrt habe, das ist alles. Was mich am meisten wurmt, ist, daß ich mich von ihm habe küssen lassen. Das ist ekelhaft.«
Sie schluchzte leise.
Jetzt kam sich Katharina denn doch als die sehr viel ältere und erfahrenere vor. Sie lächelte sogar leise. Wie kindlich erschien ihr Ledas Kummer mit einem Male.
»Er hat mir den Hof gemacht, und ich dummes Ding habe mir eingebildet, es gälte mir, es galt aber natürlich nur der Stellung Papas.«
»Wissen die Eltern davon?«
»Natürlich, er ist ja ein Politiker. Es war ihnen ganz recht so. Er ist ja sogar ein Deutscher, und deutsch ist jetzt Trumpf, nichts wahr?«
Katharina schwieg.
»Es wäre ihnen ganz recht gewesen, wenn aus der Sache etwas geworden wäre. Er braucht die Mazedonier, sie brauchen einen Deutschen als Vertrauensmann. Was liegt an mir, wenn sie nur ihren Zweck erreichen. Aber ich lasse mich nicht verkaufen! Ich bin nicht so weich und nachgiebig wie du, Kathrine.«
Wieder begann sie, leise vor sich hin zu schluchzen.
Sie liebt ihn ja, sie liebt ihn immer noch, dachte Katharina, und er lebt, er ist wenigstens nicht tot, es läßt sich noch alles wieder in Ordnung bringen. Das ist doch nicht hoffnungslos.
»Ich hasse ihn! Und Gott sei Dank, er ist auch wütend, daß ich ihm das Konzept verdorben habe.«
»Seht ihr euch denn?«
»Natürlich, das läßt sich ja gar nicht vermeiden in diesem Nest. Oh, wir verstehen es, einander zu ärgern und zu kränken!«
Katharina dachte eine Weile nach. Dann meinte sie: »Du sagst, er braucht die Mazedonier?«
»Für sie ist er ja von Berlin hierhergeschickt worden.«
»Wenn du das nur nicht überschätzt, Leda. Ein Deutscher, der die Mazedonier braucht? Das glaube ich einfach nicht. Was bedeuten wir hier für die Deutschen?!«
»Aber dann brauchte er mir doch nicht den Hof zu machen!«
»Du kannst ihm doch auch gefallen, obgleich du Mazedonierin bist. Das braucht doch gar nichts miteinander zu tun zu haben.«
»Aber er hat es mir doch deutlich genug zu verstehen gegeben, Kathrine. Ich versichere dir, es ist so.«
Katharina schwieg. Leda löste sich leise aus ihren Armen. »Nun weißt du alles, jetzt wollen wir schlafen. Es ist wirklich nicht der Mühe wert, deshalb noch langer wach zu liegen.«
Katharina küßte die Schwester und tat, als ob sie müde sei und wirklich schlafen wolle.
Aber sie lag noch lange wach, und sie merkte wohl, daß es Leda nicht anders ging.
Ich werde mit Mama sprechen, dachte Katharina, ob sie wirklich irgendwelche Absichten mit diesem Deutschen haben. In solchen Dingen war sie ja stets offenherzig. Sie wird mir sicherlich die Wahrheit sagen ... Wie heißt dieser Deutsche eigentlich, was ist er? ... Am liebsten hätte sie die Schwester gleich gefragt. Aber sie wollte ja schlafen, sie wollte nicht mehr davon reden, morgen war ja auch noch ein Tag.
Nun mußte sie wieder an sich selbst und ihr Schicksal denken. Wieviel schlimmer war das doch. Sie zwang sich, wieder an Leda und ihren Kummer zu denken. Aber es gelang ihr immer nur für wenige Ausblicke. Dann irrten ihre Gedanken wieder zu ihrem Hochzeitstag und Dobri Petkow.
Erst spät schlief sie ein, und als sie gegen Morgen aus unruhigem Schlummer in die Höhe fuhr, hätte sie am liebsten laut aufgeschrien, denn ihr war, als blicke Dobri Petkow mit den glühenden schwarzen Augen, mit leidenschaftverzerrten, bleichen Mienen dort aus der Ecke auf sie.
Nur an Leda denken, nur nicht an etwas anderes denken!
Sobald es irgend ging, ohne aufzufallen, erhob sie sich und kleidete sich leise an, um Leda nicht zu stören, die noch schlief.
Frau Adda war schon aufgestanden. Katharinas Aussehen hatte sie mehr erschreckt, als sie vor sich selbst zugeben wollte. Sie hatte eine schlechte Nacht hinter sich.
»Du bist auch schon auf, Kathrine?«
»Ich brauche wenig Schlaf, Mama. Auch mache ich mir Sorgen Ledas wegen.«
»Du findest also auch, daß sie schlecht aussieht?«
Katharina nickte.
»Hat sie schon mit dir darüber gesprochen, was sie bedrückt?«
»Nur ganz wenig, Mama.« Nach einigem Zögern fuhr sie fort: »Ich möchte dich etwas fragen.«
»Ich werde dir gern antworten, Kind.«
»Da muß irgend etwas mit einem Deutschen vorgefallen sein.«
»Mit Herrn von Kaufmann? Das glaube ich nicht mehr.«
»Ist das der deutsche Vertrauensmann für die Mazedonier?«
»Das war er, aber bald wird er es nicht mehr sein.«
»Hattet ihr nicht irgendwelche Absichten mit ihm und Leda?«
»Aber Kind, ich sage dir doch, er ist die längste Zeit unser Vertrauensmann gewesen, er wird abberufen, und dein Vater tut alles, um das zu beschleunigen. Das täte er doch gewiß nicht, wenn wir irgendwelche Pläne mit ihm hätten. Wie kommst du überhaupt darauf?«
Katharina war verwirrt. Nun wußte sie gar nicht mehr, was sie von der Sache halten sollte. Sie hatte angenommen, die Mama wünsche diese Partie und habe Leda gegenüber entsprechende Bemerkungen fallen lassen. Sie war ja groß darin. Das hatte Leda kopfscheu gemacht und abgeschreckt, trotzdem sie den Mann gern hatte. Aber wenn der Vater, wie die Mama sagte, den Mann gar nicht länger hier haben wollte, dann konnte das gar nicht sein.
Es bleibt nichts anderes übrig, ich werde diesen Herrn selbst sprechen müssen, nahm Katharina sich vor.