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3.

Im trauten Heim der Liebe selig so
Ruht' Buddha, unser Herr, und wußte nichts
Von Weh, von Mangel, Krankheit, Alter, Tod;
Nur wie ein Schläfer, der in Träumen streift
Auf trüber Meeresflut, und der erwacht
Bekümmert landet an des Tages Strand
Und seltne Ware bringt von dunkler Fahrt:
So oftmals, wenn sein edles Haupt gewiegt
Am braunen Busen lag Yasôdharas,
Und Kühlung leise ihre zarte Hand
Den schlummerschweren Lidern fächelte,
Sprang er empor: »O Welt! O meine Welt!
Ich weiß! Ich hör'! Ich komme!« Aber sie,
Erschreckt, mit großen Augen, fragt' ihn: »Was
Bekümmert meinen Herrn?« Denn wunderbar
Zu solchen Zeiten lag in seinem Blick
Unendlich Allerbarmen, und er war
Von Angesicht zu schauen wie ein Gott.
Dann lächelt' er wohl wieder, um die Thrän'
In ihrem Aug' zu hemmen, und gebot
Daß Saitenspiel ertöne; aber einst
Setzt' einen Kürbis, der mit Saiten war
Bezogen, auf die Schwelle man, so daß
Der Wind hinstreichen konnte über ihn
Und ihm entlocken eigne Melodei, –
Gar seltsam spielt ein Saitenspiel der Wind; –
Die bei ihm waren, hörten dies allein;
Doch Prinz Siddârtha andern Klang vernahm,
Er hört' im Winde tönen den Gesang
Der Devas und verstand die Worte klar:

»Wir sind die Stimmen, die im Winde wehn,
Die, Ruh' ersehnend, nie zur Ruh' eingehn;
Des Menschen Leben ist als wie der Wind,
Nach Sturm und Streit ins Nichts es seufzend rinnt.

Nicht wisset ihr, woher, wohin der Weg, –
Woher kommt Leben? Wohin führt sein Steg?
Wir sind, was, ihr seid, Geister aus dem All, –
Was frommt uns wohl die nimmermüde Qual?

Was frommt wohl dir dein nimmermüdes Glück?
Der Liebe Freuden schwinden Stück für Stück;
Das Leben wie der Wind dahin sich schwingt,
Wie leiser Ton des Saitenspiels verklingt.

O Mayas Sohn! Wie wir durchziehn die Welt,
Freudlos die Saiten unsre Klag' durchgellt,
So vieles Weh sehn wir in jedem Land,
Und Thränenströme und gerung'ne Hand.

Doch klagen spottend wir! sie wissen's nicht,
Daß leerer Schein des Lebens Glanz und Licht;
Es weilt nicht, wie die Wolken nimmer stehn,
Und wie die Ströme unaufhaltsam gehn.

Du bist der Heiland, nah' ist deine Zeit!
Es wartet dein die Welt in bitt'rem Leid,
Die blinde Welt wankt hin in Nöten schwer;
Auf, Mayas Sohn! Wach' auf! nicht schlummre mehr!

Wir sind die Stimmen, die im Winde wehn:
Auch du wirst Ruhe suchend wandern gehn;
Laß Lieb' aus Liebe, und dem Leid zu lieb
Tausch' ein die Sorg', Erlösung allen gieb!

So seufzen klagend durch die Saiten wir;
Noch blieb verhüllt das Weh der Erde dir;
Drum spotten wir, wie wir jetzt eilig fliehn,
Der Liebesträume, die dich noch umziehn.«

Danach begab sich's, als der Tag sich neigt',
Daß um ihn war in lichter Schönheit Glanz
Sein Hofstaat, und er lauschte, Hand in Hand
Mit Schön Yasôdhara, den Märchen, die
Ein Mädchen vorerzählte, – und Musik
Fiel ein, wenn sich die Stimme senkt' am Schluß; –
Wohl alte Sagen waren's, die man sich
Erzählt, wenn Dämm'rung auf die Welt sich senkt:
Von Liebe, und vom Zauberrosse, und
Von Ländern in der Ferne, wundervoll,
Wo weiße Menschen wohnen, und zu Nacht
Die Sonne niedersinkt ins weite Meer.
Da sprach er seufzend: »Chitra bringt zu Sinn
Mit ihrem Märchen wieder mir den Sang
Des Winds im Saitenspiel; zum Danke gieb
Dein Perlenhalsband ihr, Yasôdhara.
Doch sprich, mein Kind! Ist denn die Welt so weit?
Giebt es ein Land, das niederrollen sieht
Die große Sonne in des Meeres Flut?
Giebt es dort Herzen, so wie unsre sind,
Zahllos und unbekannt, – nicht glücklich auch
Vielleicht –, und Hilfe könnten bringen wir,
So sie bedrängt, – wenn wir nur kennten sie?
Oft denk' ich sinnend, wenn im Ost der Herr
Des Tages Die Sonne. seine goldne Bahn betritt,
Wer wohl zuerst begrüßt hat seinen Strahl
Da, wo die Welt beginnt, des Ostens Volk;
Und oftmals selbst in deinen Armen und
An deiner Brust, geliebtes Weib, empfand
Ich schmerzlich Sehnen, wenn die Sonne sich
Zum Scheiden neigen wollt', ihr nach zu ziehn,
In jenen purpurfarbnen Westen hin,
Und dort des Abends Völker zu erschaun.
Wohl manche mag's dort geben, die uns wohl
Gefallen würden – wie sollt's anders sein?
In dieser Stund' erfaßt mich sehnsuchtsvoll
Ein Schmerz, den deine weichen Lippen nicht
Fortküssen können mehr: o Mädchen sprich,
O Chitra, kennst du jenes Zauberland?
Wo steht im Stall das schnelle Wunderroß,
Von dem du sagst? Mein Schloß für einen Tag
Auf seinen Rücken, und zu reiten dann
Und immer reiten, und zu sehn, wie weit
Die Welt sich breitet; oder hätt' ich nur
Die Schwingen jenes Geiers dort, der sich
Zwar nährt von Aas und kahl ist, aber doch
Der Erbe weitrer Reiche ist als ich!
Wie wollt' ich meine Flügel spannen, und
Nach Himalayas Gipfel stürmen, wo
Mit rosig lichtem Schimmer auf dem Schnee
Des Abends Strahl verweilt! Wie ließ' ich weit
Die Blicke fliegen, alles zu erspähn,
Was in der Runde ist! Warum hab' ich
Das nie gesehn und nie gesucht? O sagt,
Was liegt denn jenseits unsres erz'nen Thors?«

Da sagte Eine: »Holder Prinz, zuerst
Die Stadt, die Tempel, Gärten, und der Wald,
Die Felder weiter, andre Felder dann,
Mit Nullahs Nullah ist ein Wasserlauf; gewöhnlich ein trockenes Flußbett., Maidâns S. Seite 36 Anm. 1., Dschungel S. Seite 24 Anm. 1., Koß auf Koß Längenmaß, etwa 1½-2 Meilen.;
Darauf kommt König Bimbisâras Bimbisâra, der König des den Sâkya benachbarten Maghadareiches, das in der Nähe von Benares lag. Reich,
Dann Scharen andren Volks in weiter Welt.«
»Gut,« sprach Siddârtha, »laßt ergehn Befehl,
Daß Channa Channa, der treue Wagenlenker und Vertraute Siddârthas, war nach der Überlieferung zu derselben Zeit geboren wie sein Herr. mit dem Wagen sei bereit, –
Denn morgen um die Mittagsstunde will
Hinaus ich fahren, sehn, was draußen ist.«

Drauf meldet' man dem König: »Unser Herr,
Dein Sohn, gebot, daß um die Mittagszeit
Sein Wagen sei bereitet, denn er will
Ausfahren, um zu sehn die Menschenwelt.«
»Ja,« sprach der König sorglich, »es ist Zeit,
Daß er die Welt sieht; laßt den Herold gehn
Und mein Gebot verkünden, daß die Stadt
Sich schmücken solle, so daß nirgend sich
Ein ekler Anblick bietet; niemand auch,
Der blind ist oder lahm, der hoch bejahrt,
Kein Kranker, oder den der Aussatz plagt,
Und kein gebrechlich Volk sich zeigen soll.«
Drum fegte man das Pflaster; auf und ab
Von Wasserträgern mit durchbohrtem Schlauch
Besprengt die Straßen wurden; und die Frau'n
Bestreuten ihres Hauses Schwelle neu
Mit rotem Staube, wanden Kränze frisch,
Und schmückten vor der Thür den Tulsi-Busch Tulsi ( Ocymum sacrum Wat., Basilienkraut), ein Strauch, welcher Verehrung genoß, weil eine der von Krishna geliebten Gopîs oder Hirtenmädchen in diese Pflanze von ihm verwandelt wurde..
Den Anstrich aller Mauern frischte man
Mit Bürsten auf, schmückt' auch mit Fahnen dicht
Die Bäume festlich aus, vergoldete
Die Götterbilder, und es leuchteten
Auf Laubaltären, wo der Weg sich kreuzt,
Die großen Götter, Suryadeva Der Sonnengott. auch;
So daß die Stadt erschien als Mittelpunkt
Von einem glücklichen, zufriednen Land.
Mit Gong Metallene Schalen, die angeschlagen einen dröhnenden Ton von sich geben und in Indien und China statt der Glocken benutzt werden. und Trommel ging der Herold um,
Verkündend, laut: »Ihr Bürger, höret all,
Der König will, daß heute nirgend sich
Ein übler Anblick bietet; niemand auch,
Der blind ist oder lahm, der hoch bejahrt,
Kein Kranker, oder den der Aussatz plagt,
Und kein gebrechlich Volk sich zeigen soll.
Laßt niemand auch bis zu der Nacht Beginn
Verbrennen seine Toten oder sie
Bestatten. Dies Suddhôdanas Befehl.«

So waren schön bereitet Straß' und Haus
In ganz Kapilavastu, als der Prinz
Sich im bemalten Wagen nähert, den
Zwei Stiere zogen, weiß wie Schnee, die stolz
Die Wampen schüttelnd, dem geschnitzten und
Lackierten Joch des Rückens Polsterfett Die im Orient (jetzt vielfach auch in Italien) zum Ziehen von Lasten verwendeten Büffelochsen haben auf dem Rücken ein erhöhtes Fettpolster.
Entgegenstreckten. Schön war's, anzusehen
Das Volk, wie es den Prinzen jubelnd grüßt!
Wie fühlte sich Siddârtha stolz und stark,
Als er erblickte all dies frohe Volk
Ihm unterthänig, festlich schön geschmückt
Und lachend, als ob Lust das Leben sei.
»Schön ist die Welt,« sprach er, »sie sagt mir zu!
Wie heiter gütig diese Menschen all,
Die doch nicht Kön'ge sind! Wie lieblich sind
Hier meine Schwestern, die ums liebe Brot
Arbeiten und sich mühn, was habe ich
Gethan für sie, daß sie mir wohlgesinnt?
Wie sollte kund sein diesen Kindern hier,
Ob ich sie liebe? Bitte, nimm doch auf
Den hübschen Sâkya-Jungen da, der mir
Die Blumen warf, daß er begleite mich.
Wie gut ist's König sein in solchem Reich!
Wie leicht erfreut man, wenn sich diese schon,
Weil ich mich zeige, freun! Wie manches doch,
Was ich besitze, ist von nöten nicht,
Wenn so ein kleiner Haushalt schon genug
Enthält, die Stadt mit Frohsinn zu erfüll'n.
Nur vorwärts, Channa, durch das Thor! Ich will
Mehr sehn von dieser schönen, fremden Welt.«

So kamen sie durchs Thor, es drängte froh
Das Volk sich um die Räder; mancher lief
Voraus den Stieren, Kränze werfend; doch
Ein andrer strich ihr seidenweiches Fell;
Noch andre brachten Reis und Kuchen dar,
Und alle riefen: »Heil dir, edler Prinz!«
So war mit frohen Blicken rings erfüllt
Der Weg und heiter anzuschaun, – denn so
Gebot der König –, als inmitten jetzt
Der Straße, aus dem Schuppen, wo er sich
Verborgen, langsam wankend kroch hervor
In schmutz'gen Lumpen, abgezehrt, ein Greis,
Ein elend Menschenbild, des welke Haut,
Gerunzelt und gebräunt von Sonnenglut,
Wie eines wilden Tieres mag'res Fell
Sein fleischloses Gebein umschlotterte.
Gebeugt sein Rücken von der Jahre Last,
Gerötet seiner Augen Höhlung war
Von längst vergoss'nen Thränen, und von Gicht
Die trüben Augen triefend; wie im Krampf
Bewegte sich der zahnberaubte Mund,
Aus Angst vor all dem froh erregten Volk.
Es faßte seine dürre Knochenhand
Den alten Stab, zur Unterstützung für
Die zitternde Gestalt; die andre Hand
War auf die Rippen ihm gepreßt, woher
Mit schmerzlich schwerem Zug der Atem kam.
»Almosen!« fleht' er, »gute Leute, gebt!
Sonst sterb' ich morgen oder tags darauf!«
Dann schüttelt' ihn der Husten, aber doch
Streckt' er die Hand noch aus und blinzelte
Und flehte trotz dem Krampf: »Almosen gebt!«
Die um ihn waren, wollten schnell beiseit
Den Schwachen zerren, aus dem Weg ihn ziehn:
»Der Prinz! Siehst du ihn nicht? Verbirg dich, schnell!«
Allein Siddârtha rief: »Laßt sein! laßt sein!
Channa! was für ein Ding ist dies? Es scheint
Ein Mensch zu sein, doch ist dies wohl nur Schein;
Es ist ja so gebeugt, so jammervoll,
So traurig anzuschauen, daß mir graut.
Kommt es wohl vor, daß so ein Menschenkind
Geboren wird? Was meint er, wenn er stöhnt:
›Ich sterbe morgen oder tags darauf‹?
Fehlt's ihm an Nahrung, daß die Knochen so
Hervorstehn? Oder welcher Schmerz befiel
Den Mitleidswerten?« Da erwiderte
Der Wagenlenker: »Holder Prinz, dies ist
Nichts andres als ein greisenhafter Mann.
Vor achtzig Jahren war sein Rücken straff,
Sein Auge glänzend und sein Körper stark;
Jetzt haben ihm die Jahre diebisch weg
Den Saft gesogen, und des Lebens Mark
Geraubt, entwendet Willen und Verstand;
Der Lampe fehlt das Öl, trüb brennt der Docht;
Was er noch hat an Leben, ist nicht mehr
Als nur ein Funke, der zum Ende hin
Zu flackern zögert. So das Alter ist;
Nicht Eure Hoheit kümm're sich darum!«
Da sprach der Prinz: »Allein, – muß dies geschehn
Mit andern auch, vielleicht mit allen gar?
Ist's selten, daß ein Mensch so wird wie er?«
»Erlauchter Prinz,« gab Channa ihm zurück,
»Wie er, so werden alle diese, wenn
So lang' sie leben.« – »Doch,« erwiderte
Der Prinz, »wenn mir so lang' das Leben währt,
Werd' ich auch so? Und wenn Yasôdhara
Die achtzig Jahre lebt, ist dann auch ihr
Beschieden greisenhaft zu sein? Und wird
Jalînî, Hasta, Gotami, wird auch
Ganga und all die andern Mädchen so?«
»Ja, edler Herr!« Channa antwortete.
Da sprach der Prinz: »Kehr' um und fahre mich
Zu meinem Hause wieder! Was ich nicht
Zu sehn erwartet, hab' ich heut gesehn.«

So kehrt' an seinen heitern Hof zurück
Siddârtha, sinnend und gedankenvoll,
Den Blick umflort, und Trauer im Gemüt;
Nicht rührte er die weißen Kuchen an,
Noch auch die Früchte, die zum festlichen
Gelag' am Abend man ihm bot, noch blickt'
Er auf nur einmal, wie die Tänzerin,
Die best' im Schloß, ihn zu erfreu'n sich müht;
Noch sprach er; einmal nur wehmütig, als
Betrübt und weinend ihm Yasôdhara
Zu Füßen sank und seufzte: »Findet denn
Mein Herr nicht Freude mehr und Trost in mir?«
»Ach wohl, Geliebte,« sprach er, »allzusehr,
So daß mir der Gedank' im Herzen frißt,
Daß all dies enden muß! Ja, enden wird's,
Zu Greisen werden wir, Yasôdhara!
Lieblos und ungeliebt, und schwach und alt,
Vom Greisentum gebeugt. Ja, wollten wir
Auch Lieb' und Leben mit den Lippen fest
Verschließen, daß uns jeder Atemzug
Bei Tag und Nacht vereinte, würde doch
Die Zeit sich zwischen drängen, um hinweg
Die heiße Liebe mir zu stehlen, dir
Die Schönheit, wie von jenem Gipfel stiehlt
Die schwarze Nacht des Abends ros'gen Schein,
Der dort, unmerklich fast, zu Grau verblaßt.
Heut ging mir schmerzlich die Erkenntnis auf,
Und meine Seel' ist dunkel, bang in Furcht,
Und meine Seel' ist nur in eins versenkt,
Zu denken, wie die Liebe retten kann
Vom Tod des Alters ihre Seligkeit.«
So saß er da die lange Nacht hindurch
Schlaflos und ohne Trost.

Dieselbe Nacht
Lag auch der König bang, in Träumen schwer.
Zuerst erschien im Traum ihm ein Panier,
Glorreich und groß, die Sonne strahlte drauf,
Das Zeichen Indras Indra, der Himmelskönig, ist eine der ältesten Gottheiten Indiens.; doch ein starker Wind
Erhub sich, daß es mächt'ge Falten schlug,
Und riß es in den Staub; da kam ein Heer
Von schattengleichen Wesen und ergriff
Das hingesunkne Banner, trug es weg
Fernab vom Thor der Stadt, gen Osten hin. –
Darauf begann ein andres Traumgesicht:
Zehn hohe Elefanten nahten sich,
Mit Silberrüsseln; unter ihrem Tritt
Die Erd' erdröhnte, wie von Süden her
Sie kamen; aber auf dem vordersten,
Da saß des Königs Sohn; es folgten ihm
Die andern alle. – Wieder änderte
Der Traum sich, und ein Wagen rollt' einher,
In hellem Licht erstrahlend, und es zog
Ein Viergespann von Rossen ihn, das schnob
Lichthellen Dampf, und feurig glänzt' ihr Schaum;
Und in dem Wagen Prinz Siddârtha saß. –
Als viertes Traumgesicht erschien ein Rad,
Das dreht' und drehte sich ohn' Unterlaß,
Die Nabe glüh'ndes Gold, und Edelstein
Die Speichen, doch am äußern Umkreis war
Seltsame Schrift geschrieben, die zu glühn
Bald schien und bald zu klingen, wie das Rad
Dahingerollt im Wirbelsturme ward. –
Von einer Trommel träumt' der König dann,
Die stand inmitten zwischen seiner Stadt
Und dem Gebirg'; es schlug sie an der Prinz
Mit eh'rnem Schlägel, daß sich dröhnend hub
Wie des Gewitters Grollen lauter Schall,
Zum Himmel auf und in die Lande weit. –
Darauf erschien ein Turm, der wuchs und wuchs
Hoch ob der Stadt, bis sein gewaltig Haupt
Die Wolken kränzten; auf den Zinnen stand
Der Prinz und schüttet' hier und dort herab
Mit beiden Händen Edelsteine dicht,
Als ob es regnet' Hyacinthe und
Rubinen; und es kam die ganze Welt
Und stritt sich um die Schätze, wie herab
Sie fielen allerseits. – Doch endlich kam
Das siebte Traumgesicht, und er vernahm
Ein klagend Tönen, und erblickte drauf
Sechs Männer, weinend, zähneknirschend, die
Auf ihre Lippen legten ihre Hand
Und langsam fürder schritten, trostberaubt.
Dies sind die sieben Traumgesichte, die
Im Schlaf der König sah; doch ihren Sinn
Vermochten von den Traumauslegern selbst
Die Weisesten zu deuten nicht. Da ward
Der König zornerfüllt und sprach: »Es naht
Sich Unheil meinem Haus, und keiner kann
Von euch mir helfen, daß ich sehe klar,
Was mir die großen Götter machen kund.«
So breitet' in der Stadt sich Sorge aus,
Weil Schreckensträume nachts der König sah,
Die niemand deuten konnte; doch es kam
Zum Thor ein Greis, von niemandem gekannt,
Gehüllt in Tierfell wie ein Eremit,
Der rief: »Laßt mich zum König! ich vermag
Zu lesen seine Träume«; wie er nun
Den siebenfachen Rätseltraum vernahm,
Neigt' er sich tief und sprach: »Gepries'ner Herr,
Gesegnet ist dein Haus, aus ihm ersteht
Ein Glanz, der selbst die Sonne überstrahlt.
Die sieben Schrecken sieben Freuden sind:
Denn siehe, breit und glorreich das Panier
Verziert mit Indras Zeichen, doch in Staub
Gezogen und hinweggeführt, das zeigt
Des alten Glaubens Ende an, und daß
Ein neuer wird beginnen; denn es sind
Dem Wechsel unterworfen Gott und Mensch.
Und wie ein Tag vergeht, vergeht zuletzt
Auch ein Jahrtausend. Doch es deutet an
Die Elefantenschar, von deren Tritt
Die Erde bebt, der Weisheit zehnfach Gut,
Durch deren Kraft der Prinz verlassen wird
Die ird'sche Herrlichkeit und mit dem Schritt
Der Wahrheit beben machen wird die Welt.
Der flammensprüh'nden Rosse Doppelpaar
Sind die vier Tugenden, die furchtlos ihn
Aus trübem Zweifel zum beglückten Licht
Geleiten; doch das umgerollte Rad,
Des Nabe glüht wie von geschmolznem Gold,
War des vollkommenen Gesetzes Rad,
Das rollen soll durch die erstaunte Welt.
Die Trommel, die der Prinz gewaltig schlug,
Bis alle Lande füllt' ihr Schall, sie ist
Der Donner der Verkündigung des Worts,
Das er verkünden soll, der hohe Turm,
Gen Himmel wachsend zeigt das Wachsen an
Des Evangeliums, das Buddha uns
Wird lehren; und die Edelsteine, die
Hernieder fielen: seiner Lehre sind's
Die Schätze ungezählt, den Göttern und
Den Menschen teuer und begehrenswert.
Dies ist des Traumes Deutung; doch die Sechs,
Die weinend irrten mit geschloss'nem Mund,
Sechs große Lehrer sind es, die dein Sohn
Unwiderleglich mit der Wahrheit Spruch
Des Irrtums überführen wird Die Gespräche, in denen Buddha frühere Religionslehrer ihrer Irrtümer überführt, nehmen in der buddhistischen Litteratur einen breiten Raum ein.. O Herr,
Nun freue dich! denn meines Herrn Geschick,
Des Prinzen, höher ist als Königtum;
Kostbarer ist sein schlichtes Büßerkleid,
Als goldene Gewänder! Dies dein Traum!
In sieben Tag' und Nächten wird's erfüllt.«
So sprach der heil'ge Mann und machte tief
Die acht Verbeugungen, berührte dann
Dreimal die Erde, wandte sich und ging.
Doch als der König ihm ein reich Geschenk
Nachsandte, kam der Bot' erstaunt zurück
Und sagt': »Ich folgt' ihm nach, bis er betrat
Den Tempel Chandras Der Mond., doch war niemand drin
Als eine Eule, die vom Altar flog.«
Oft kommen so die Götter.

Doch erstaunt
Und traurig war der König, und gebot,
Daß neue Freuden man ersänne in
Dem Lustschloß, um mit Sang und Spiel und Tanz
Siddârthas Seele zu beherrschen; und
An jedem eh'rnen Thor verdoppelt' er
Die Wachen.

Doch wer wehret dem Geschick?

Denn einst aufs neue regte sich's im Geist
Des Prinzen, draußen jene Welt zu sehn,
Ihr Leben, freudig heiter, als ob nicht
Zum Ende seine Wogen rännen und
Zur schmerzlichen Vernichtung hin, und nicht
Versiegten in dem dürren Sand der Zeit.
»Ich bitt' euch, laßt mich sehn die Stadt, so wie
Sie wirklich ist,« so bat den König er.
»Fürsorgend zärtlich warntet ihr das Volk
Zu bergen Übles und des Alltags Schein,
Und froh zu blicken, mich nur zu erfreu'n.
So war'n die Straßen heiter; aber jetzt
Hab' ich erfahren, dies ist nicht die Welt
Des Alltags; drum erkennen möcht' ich gern,
Da ich der nächste doch dem Thron und dir,
Das Volk, die Straßen, wie sie wirklich sind,
Wie sie sich Werktags zeigen, was sie thun, –
Wie Menschen leben, die nicht Kön'ge sind.
Gieb mir Erlaubnis, Vater, unerkannt
Hinauszugehen aus dem Hain der Lust.
Vielleicht, daß ich zufriedner dann zurück
In seinen Frieden kehre, oder auch,
Wenn nicht zufriedner, so doch weiser; drum
So laß mich morgen gehn, ich bitte dich,
Nach meinem Wunsch mit Dienern durch die Stadt.«
Da sprach der König zu der Räte Schar:
»Vielleicht daß heilet diese zweite Fahrt,
Was jene erste schlimm gemacht. So schrickt
Zusammen jedesmal der Edelfalk,
Wenn man die Kappe lüftet; ruh'gen Blick
Giebt nur die Freiheit; laßt ihn alles sehn,
Und sendet Nachricht mir, wie er es nimmt.«

Am andern Tage, als der Mittag naht',
Schritt Channa mit dem Prinzen durch das Thor,
Das vor des Königs Siegel sich erschloß;
Doch die zurückgerollt das Flügelthor,
Nicht wußten sie, daß jener Handelsmann
Des Königs Sohn war, und der Schreiber dort
Sein Wagenlenker. Also schritten sie
Auf der belebten Straße hin zu Fuß,
Inmitten aller Sâkya-Bürger, und
Beschauten Freud' und Leid sich in der Stadt:
Die Straßen, von des Tags Gesumm erfüllt,
Die Händler mit gekreuzten Beinen bei
Den Waren, die sie führten, Würz' und Korn;
Die Käufer, in dem Kleid ihr Geld verwahrt,
Den Zungenkrieg beim Feilschen um den Preis,
Den Ruf »macht Platz!«, der Karren steinern Rad,
Die starken Ochsen, wie die knarr'nde Last
Sie fort bewegten mit geduld'gem Schritt,
Der Sänftenträger singendes Geschrei,
Die kräft'gen Hamals hâmal (arab. Wort) = Lastträger. schwitzend in der Glut,
Die Frauen, Wasser holend aus dem Quell,
Den Krug im Gleichgewichte haltend, und
Dabei doch schwatzend, tragend noch dazu
Schwarzäug'ge Kinder; von der Fliegen Schar
Umschwärmt des Zuckerbäckers Laden auch;
Am Webstuhl dann den Weber, der im Takt
Sein Schiffchen durchs Gewebe emsig schwingt;
Die Mühle Korn zermahlend; Hunde auch
Im Kehricht schnuppernd; und den Waffenschmied,
Wie er mit Zang' und Hammer sehr geschickt
Die Ringe fügt' zu einem Panzerhemd;
Den Grobschmied dann (es lag in seiner Glut
Des Landmanns Karst, des Kriegers Speer vereint);
Um ihren Lehrer saß im Halbkreis ernst
Die Schule, und das junge Sâkyavolk
Übt' ein die Mantras S. Seite 43 Anm. 1., lernt' auch wohl die Zahl
Der Götter, groß und klein; es breiteten
Die Färber in der Sonne aus ihr Tuch,
Naß, aus der Kufe, gelb und rot und grün;
Soldaten klirrten hin mit Schwert und Schild;
Kameele trugen schwankend ihre Herrn;
Stolz nahte der Brahman' und kriegerisch
Der Kshatriya; der Sudra Drei der indischen Kasten; die oberste (Brahmanen) ist der Priesterstand, die zweite (Kshatriyas) der Kriegerstand, die unterste (Sudras) sind die Tagelöhner. demutsvoll,
Arbeitend schwer; hier gafft die Menge an
Den Schlangenbänd'ger, wie er schwatzend steht
Und um das Armgelenk lebend'gen Schmuck
Von Schlang' und Natter sich gewunden hat;
Auch zwingt er zaubernd zu unwill'gem Tanz
Mit der Musik das giftige Gewürm;
Dann sahn sie Trommeln, Hörner lang gereiht,
Die neuvermählte Braut in stolzem Zug
Mit hellen Rossen, seidnem Baldachin,
Ins eigne Heim zu führen. Hier jedoch
Schlich eilig sich ein Weib zum Götterbild
Und brachte Blumen, Opferkuchen dar,
Zu bitten, daß ihr Gatte heil zurück
Von Handelsfahrten kehre, auch vielleicht
Ums nächste Kind, daß es ein Knabe sei;
Dann gingen an den Buden sie vorbei,
Wo schwarze Spängler hämmern ihr Metall
Zu Lamp' und Schalen; dann vorbei am Wall
Und Thor des Tempels hin zum Fluß und zu
Der Brücke unterm Stadtwall.

Diese war
Schon überschritten, als sie seitlich her
Vom Weg ein traurig jammervoller Laut
Erreicht: »O helft mir auf die Füß', ihr Herrn,
Helft mir, sonst sterb ich, eh' ich kam nach Haus!«
Ein armer Teufel war's, der zitternd dort
Sich wand im Staube, tödlich schwer erkrankt,
Mit purpurn glüh'nden Schwären ganz bedeckt:
Es perlt' ihm auf der Stirn der kalte Schweiß,
Im Krampf des Schmerzes war verzerrt der Mund,
Das wilde Auge schwamm vor innrer Pein.
Um aufzustehn, griff ächzend er ins Gras,
Erhob sich halb, sank dann zurück, vor Angst
An allen Gliedern bebend, rief und schrie:
»Weh! diese Pein! Ihr guten Leute, helft!«
Worauf herzu Siddârtha lief und von
Der Erd' erhob mit liebevoller Hand
Den Schmerzgeplagten, legt' in seinen Schoß
Des Kranken Haupt und blickt' ihn gütig an.
Und, wie den Ärmsten lindernd er berührt,
Fragt' er: »Was ist dir, Bruder? Welches Leid
Befiel dich? was versagt das Aufstehn dir?
Was, Channa, ist's, warum er schnauft und klagt
Und ächzend ruft und so erbärmlich seufzt?«
Da sprach der Wagenlenker: »Edler Prinz!
Geschlagen von der Pest ist dieser Mann,
Und alle seine Elemente sind
In Aufruhr; in den Adern selbst das Blut,
Sonst ein gesunder Strom, es springt und kocht,
Ein feurig Naß; sein Herz, sonst wohl im Takt,
Klopft wie ein schlecht gespieltes Trommelfell
Bald schnell, bald langsam; seine Sehnen sind
Schlaff wie ein abgespannter Bogenstrang;
Aus Hals und Lend' und Bein die Kraft entwich,
Der Mannheit Lust und Schönheit ist dahin:
Ein kranker Mann in seinem Anfall ist's.
Sieh', wie er zuckt und zuckt nach seinem Schmerz,
Die blutig unterlaufnen Augen rollt
Und mit den Zähnen knirscht, und Atem holt,
Als wär' erstickend schwerer Rauch die Luft.
Jetzt wär' er gern wohl tot; doch stirbt er nicht,
Eh' ganz ihr Werk an ihm die Krankheit that,
Eh' jene Nerven sie getötet, die,
Bevor das Leben endet, sterben. Dann,
Wenn alle Lebensfasern ihm zerriß
Der Todeskampf, und sein Gebein befreit
Von allem Schmerzgefühl, – dann läßt ihn los
Die Krankheit, macht bei einem andern Halt.
O Herr! Nicht gut ist's ihn zu halten so!
Leicht wird das Unheil übertragen und
Ergreift dich selber, grade dich vielleicht.«
Doch ruhig weiter tröstend jenen Mann
Der Prinz erwidert: »Und giebt's andre noch,
Die also leiden, oder viele gar?
Kann es auch mir ergehn, wie jetzo ihm?«
»Erhabner Herr!« entgegnet' ihm darauf
Der Wagenlenker, »allen Menschen naht
Die Krankheit vielgestalt; als Wunden, Schmerz,
Als Siechtum, Aussatz, Lähmung, böser Grind,
Als heißes Fieber, Fistel, Wassersucht,
Als Schwären, – so befällt sie alles Fleisch
Und naht sich überall.« – »Allein,« so frug
Der Prinz, »kommt solches Unheil unbemerkt?«
Und Channa sprach: »Wie Schlangen listig naht's,
Die stechen, ehe man sie sieht; gleichwie
Der streif'ge Mörder Der Tiger., der sich seitlich birgt
Am Dschungelpfad, und im Karunda-Busch Karunda ( Carissa carandas Wat.), Corinde, eine Strauchart.
Die Zeit zum Sprung erwartet; oder wie
Der Blitz, der diesen trifft und jenen schont,
So wie es kommt.« –

»So lebt denn alle Welt
In Furcht?« –

»So ist's, mein Prinz!« –
»Und niemand auch
Kann sagen: ›abends schlaf' ich ein gesund
Und glücklich, so werd' ich erwachen auch?‹« –
»Es sagt es niemand.« –

»Und das Ende von
So vielem Leid, das unvorhergesehn
Die Welt beschleicht und kommt zu seiner Zeit,
Ist dies ein siecher Leib, ein trüber Geist:
Das Alter?« –

»Ja, wenn man so lange lebt.« –
»Doch wenn man nicht den Schmerz ertragen kann,
Ihn nicht ertragen will, das End' ersehnt?
Wenn man ihn trägt und ist, wie dieser hier,
Zu schwach für alles andre außer für
Die Klage? Wenn man so nun weiter lebt
Und alt und älter wird – was kommt am Schluß?«
»Dann stirbt man.« –

»Stirbt?« –

»Ja, denn es kommt zuletzt
Der Tod, wie immer auch und welches Tags.
Nur wen'ge werden alt, die meisten krank
Und leidend vor dem Alter, allen doch
Ist eins gewiß: der Tod – blick' auf und sieh,
Da kommt ein Toter schon entgegen uns!«

Siddârtha thät erheben seinen Blick
Und sah, ganz nahe schon des Flusses Rand,
Wehklagend schreiten eine Schar heran;
Zu vorderst einer schwang ein irdenes
Gefäß mit glüh'nden Kohlen; hinter ihm
Geschornen Hauptes die Verwandten, mit
Der Trauer Zeichen, ungegürtet, laut
»O Rama« Rama, ein berühmter Held der spätern indischen Sage, dessen Thaten das Gedicht Ramajana erzählt. Er galt für eine Inkarnation des Gottes Vishnu, und man pflegte ihn bei feierlichen Gelegenheiten anzurufen. Noch heutzutage hat sich der Glaube an ihn im Volke erhalten, und sein Name in der Form »Ram! Ram!« ist eine häufige Art der Begrüßung., rufend, »Rama, höre uns!
Zu Rama fleht, ihr Brüder!« Weiterhin
Die Bahre, aus vier Stangen festgefügt,
Mit Bambusrohr durchflochten, und darauf
Lag starr und steif und dürr, nach vorn gewandt
Die Füße, mit herabgesunk'nem Kinn,
Die Zähne zeigend, mit verglastem Blick,
Die Lenden eingefallen, und bestreut
Mit rot und gelbem Staub, – der Tote da.
Am Kreuzweg wandten sie ihn um, das Haupt
Nach vorn, und »Rama, Rama!« scholl ihr Ruf,
Wie sie dahin ihn trugen, wo am Strom
Der Scheiterhaufen sich erhob. Darauf
Ward er gelegt, und über ihn gethan
Die Scheite – süß wohl schlafen mag und tief,
Wer schlummern kann auf flammumlohtem Bett!
Er wacht nicht auf vor Kälte, ob er gleich
Nackt liegt in freier Luft, – bald zünden sie
Die rote Flamm' an allen Ecken an;
Die schleicht und leckt und flackert, bis sie fand
Sein Fleisch und sich an ihm laut zischend nährt
Mit schnellem Züngeln; die gedörrte Haut
Zerplatzt, und krachend das Gelenk zerbirst;
Doch endlich dünner wird der fette Qualm,
Die Asche, grau und scharlach, nieder sinkt,
Nur hier und da sieht aus dem Grau hervor
Ein weiß Gebein, – des Menschen ganzer Rest.

Da sprach der Prinz: »Ist dies das Ende, das
Erwartet alles was da lebt?« –

»Dies ist
Das Ende, das uns all' erwartet,« sprach
Der Wagenlenker, »er da oben, des
Armsel'ger Rest so wenig ist, daß selbst
Die Krähen hungrig krächzen und hinweg
Vom magern Mahl entfliehn, – er aß und trank,
Er lachte, liebte, freut' am Leben sich.
Dann kam – wer weiß es? – gift'ger Fieberwind,
Ein Straucheln auf dem Weg, ein Fall im Sumpf,
Ein Schlangenbiß, ein mörderischer Stahl,
Ein Stückchen Grät', ein Frost, ein Ziegelstein, –
Vorbei das Leben, und der Mensch ist tot.
Nicht Wünsche mehr, nicht Freude und nicht Schmerz
Hat Solcher; nichts ist seiner Lipp' ein Kuß,
Die feur'ge Lohe nichts; er spüret nicht
Den Rauch, der ihm vom eignen Fleische steigt,
Das Sandelholz, die Spezereien nicht,
Die mitverbrennen; aus dem Munde schwand
Ihm der Geschmack, verstopft ist sein Gehör,
Der Blick in seinem Aug' erblindet; die
Er liebte, klagen einsam; denn auch das,
Was blieb im Tode, jener Leib muß fort,
Des Lebenslichtes Lamp' und schirmend Haus,
Weil Würmern sonst zum grausen Fraß er wird.
Dies ist der Menschheit allgemeines Los:
Hoch und Gering, und Gut und Böse muß
Zuletzt doch sterben; dann, so wird gelehrt,
Beginnt ein neues Leben, irgendwo
Und irgendwie, – wer weiß es? – und aufs neu'
Kommt Krankheit, Scheiden, und der Scheiter Glut: –
Dies ist der Menschheit Kreislauf.«

Aber sieh!
Erst auf zum Himmel wandte seinen Blick
Siddârtha, und im Auge glänzte ihm
Der Thränen göttlich Naß; dann wiederum
Zur Erde blickt' er, und es leuchtete
Erbarmen himmlisch aus den Augen ihm.
So von dem Himmel schaut' er erdenwärts,
Und von der Erd' empor zum Himmelsdom,
Als schwänge auf vom Körper sich der Geist,
Einsamen Flugs, verbindend mancherlei
Gedanken, fern in der Erinnerung
Nach einem Traum zu suchen, – längst verweht,
Verloren, – und erreichbar dennoch, einst
Gesehen, einst gekannt. Dann rief er aus,
(Und sein emporgewandtes Angesicht
Durchglüht' unsäglich liebend Mitgefühl
Und Hoffnung, schrankenlos und ungestillt):
»O Welt voll Leiden! Ach dich kenn' ich wohl,
Ob auch dich noch nicht kennt mein ird'scher Leib,
Der doch gefangen ist im großen Netz
Von Tod und Weh, und in dem Leben auch,
Das beiden eng verbunden! Nur zu gut
Fühl' ich und seh' der Erde ganzes Leid,
Wie ihre Freuden leer, wie eitler Spott
Sind ihre besten Gaben, Angst und Not
Die schlimmen; Freude wandelt sich in Leid,
In Alter Jugend, Lieb' in Trennungsschmerz,
Und Leben in den haßerfüllten Tod,
Und Tod in unbekanntes Leben, das
Aufs neu' den Menschen fesselt an sein Rad,
Und ihn umhertreibt in dem alten Kreis
Vom Trug der Lust, vom Weh, das nimmer trügt.
Auch mich erst lockt' es, und das Leben schien
Gar lieblich, wie ein sonnbeglänzter Strom,
Der immer fließt in wandelloser Ruh';
Doch tanzt das lust'ge Kräuseln seiner Flut
Nur darum hell an Blum' und Wiese hin,
Um desto schneller sein krystall'nes Naß
Ins salz'ge Meer zu tragen. Doch es riß
Der Schleier, der mich blendete! Ich bin,
Wie diese alle, die in Nöten schrein
Zu ihren Göttern, die sie hören nicht,
Vielleicht auch nicht beachten, – doch indes
Muß eine Hilf' es geben! Und für sie
Und mich und alle muß Erlösung sein!
Wer weiß, ob nicht die Gottheit selbst bedarf
Der Hilfe, und so kraftlos ist vielleicht
Daß wenn der Kummer zu ihr schreit, sie nicht
Vermag zu retten! Nimmer riefe mir
Vergebens einer, den ich retten kann!
Wie kommt es nur, daß Brahma Brahma, der oberste Gott der späteren Hindureligion; in den Veden noch nicht in dieser Eigenschaft, sondern als Weltprinzip neben dem âtman, der Seele. eine Welt
Erschaffen konnte, und im Elend nun
Sie schmachten läßt? Wenn er allmächtig ist
Und läßt sie so, dann ist er doch nicht gut,
Und wär' er machtlos, wär' er ja kein Gott!
Channa, laß uns nach Haus! es ist genug!
Was heut mein Auge sah, ist voll genug!«

Als dies der König hörte, setzt' er an
Das Thor dreifache Wachen und gebot,
Es sollte niemand, tages oder nachts,
Passieren, nicht hinaus und nicht herein,
Bis jenes Traumes Tage sich erfüllt.


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