Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Georg stürmte in den Wald. Ihm war, als würde er von Flügeln getragen; Wendula sah erstaunt in sein verklärtes Gesicht, als er an ihr vorübereilte, zwar ohne sie zu grüßen, ohne ein Wort zu sagen, aber eine Fülle von Herzensgrüßen und jubelnden Worten in dem einen Blick, den er ihr zusandte. Ihr klopfte das Herz, ohne daß sie wußte warum.
Er ging nach seinem gewohnten Platz, nahm, wie er immer zu thun pflegte, sein Buch heraus, öffnete es auch, als wollte er lesen, aber die Buchstaben tanzten und flimmerten vor seinen Augen. Unbestimmte Ahnungen des die Seele erleuchtenden, tief beglückenden Gefühls der Liebe hatten ihn längst durchzittert, er hatte von dem Glück derselben geträumt, ohne ihm einen Namen zu geben. Erst jetzt gestand er es sich ein, daß er Wendula liebe, daß sie erst Bedeutung in sein Leben gebracht, daß ihre Erscheinung ihm die tiefsten, schönsten Räthsel des Daseins geoffenbart habe. Bis zu den Sternen empor wuchs er in dem Bewußtsein dieser Liebe, ihm war zu Muthe, als könne er eine Welt auf den Schultern tragen, von so neuem, glühendem, kraftvollem Leben fühlte er sich durchströmt. Wie auferstanden kam er sich vor, wie gestählt gegen alles Weh. Ein Ziel sah er vor sich, über sich, und alle Energie seines Wesens drängte ihn hin, es zu erwerben, zu erkämpfen.
Erkämpfen! Als das Wort ihm in den Sinn kam, erwachte plötzlich der Gedanke an seine Mutter, und für einen Augenblick verdunkelte sich der Horizont.
Seine Mutter würde, konnte diese Liebe nie billigen. Er kannte sie genug, um sich das zu sagen. Er hatte sie nie hochmüthig, nie despotisch, nie unbeugsam genannt und er nannte sie auch jetzt nicht so, aber die Wirkung all' dieser Eigenschaften fühlte er vorahnend, als er seiner Mutter stolze Ansprüche mit den niederen Verhältnissen Wendula's verglich und sich vergebens zu überreden versuchte, daß die liebreizende Persönlichkeit des Mädchens denselben zauberischen Eindruck auf seiner Mutter Herz hervorbringen müsse, mit dem sie das seinige willenlos sich zu eigen gemacht.
Ueber die Blätter seines Buches hinweg folgten seine Augen jeder Bewegung des Mädchens. Wie vornehm sah sie aus! Welch echter Adel war in jeder ihrer anmuthigen Bewegungen, welche Unschuld und Reinheit in den kindlichen Zügen ihres Antlitzes! Wie lieblich tönte ihre Stimme, wie verständnißreich und treffend fand sie das Wort für ihre klaren, Geist und, Herz verrathenden Gedanken!
Warum denn sollte sie nicht für ihn passen? Was war er denn mehr als sie? Er arbeitete im Auftrag und unter der Aufsicht seiner Mutter, den angeerbten Reichthum zu erhalten und zu vermehren, sie that es auf das Geheiß Fremder und um ein freudenloses Dasein dürftig aber in Ehren von einem Tag zum andern zu fristen. Arbeit hier wie dort, Dienstbarkeit hier wie dort, wo war denn da der Unterschied, der den Einen weit über den Andern erhob?
War es nicht nur die Anmaßung, die Thorheit der Menschen, die auf falscher Wage die Vorzüge eines glücklicheren Geschickes abwägen wollen gegen die ungünstigere Laune des Schicksals, das Verdienst da suchend, wo die Schale schwer vom Gewicht des Reichthums sinkt?
»Wendula, Wendula!« rief Frau Wallner mit dem schneidenden Tone, den ihre Stimme leicht annahm, wenn sie, in aufgereizter Ungeduld die Anwesenheit von Zeugen vergessend, sich ihrem Temperament rücksichtslos überließ.
»Wendula, Herr Gott, Du bist auch immer so weit wie möglich, gerade wenn man Dich braucht. So spute Dich doch und komm!«
Wendula war wirklich am entgegengesetzten Ende des Platzes, als Frau Wallner rief, aber es war unmöglich, mit mehr Gemessenheit und mit unzerstörbarerer Ruhe einem Befehl Folge zu leisten, als sie es that. Sie stellte zwar die Schüssel mit Gemüse, das zu putzen sie beschäftigt war, augenblicklich hin und stand auf, aber mit wahrhaft königlichem Anstand ging sie langsam über den Grasplatz dem Hause zu, als habe sie keineswegs nöthig, dem Gebote zu gehorchen, als sei es nur der eigene gnädige Wille, der sie dem mißtönenden Rufe Folge leisten hieß.
Georg war entzückt! Wovon ist ein Verliebter es denn nicht! Hüllen Trotz und Widerspruchsgeist sich in den königlichen Purpur der Schönheit, so bringt das Herz willig der Majestät den Tribut der Huldigung. Wie eine Königin kam ihm das Mädchen vor. Wie kam sie zu dem Anstand, zu dieser reizenden Vereinigung weiblicher Würde und weiblicher Anmuth?
Wieder mahnte sie ihn an seine Mutter, nur die Elasticität der Jugend, die ihren Schritt bei aller Gemessenheit noch leicht und schwebend machte, hatte sie vor jener voraus. Seltsam, daß ihm zum zweiten Male bei dem Anblick Wendula's die Mutter einfiel, obgleich Beide doch sonst keine Aehnlichkeit hatten. Und das Mädchen hieß Wendula!
Sein Herz schlug hoch auf. Wenn es dennoch möglich wäre, wenn er Richard's Tochter gefunden hätte, dann – o, in welcher schönen, heiligen, beglückenden Weise ließ sich dann die Versöhnung zwischen den Manen des Todten und der Mutter stiften und das alte, in Haß und Groll zerrissene Band durch einen neuen Bund der Liebe unauflöslich verknüpfen!.
Georg jauchzte in Gedanken über diese Vorstellung, die dennoch gar keinen andern Grund hatte, als die zufällige Gleichheit eines allerdings seltenen Namens und die auffallende, der Einwirkung niederer, gedrückter Verhältnisse widersprechende, selbstbewußte Haltung des Mädchens, die ihn an die stolze, kalte Steifheit der Mutter mahnte.
Er begriff sich selbst nicht, daß er sich so rasch mit der geringen Auskunft begnügt, die ihm Wendula bei ihrem ersten Gespräch über ihre Herkunft gegeben hatte. Er beschloß auf's Neue näher darnach zu forschen. War sie seiner Mutter Enkelin, o, so durfte er sie ja lieben, so besaß sie die Rechte schon, die für sie zu erkämpfen sein Leben ihm nicht zu kostbar gewesen wäre.
So schnell wie die romantische Idee in ihm aufgetaucht war, so ohne alles Besinnen trieb es ihn, ihr augenblicklich die nöthige Folge zu geben. Er mußte Wendula sprechen, gleich und allein.
Er holte seine Schreibmappe hervor und schrieb in fliegender Hast, mit glühenden Wangen und ohne nur aufzusehen, rasch ein paar Worte auf das weiße Blatt. Dann faltete er es zusammen, ging in's Haus, ließ sich von Frau Wallner ein Licht geben, das Schreiben zu siegeln, und bat, ob Wendula wohl nach Häringsdorf gehen dürfe, um den Brief auf die Post zu tragen. Es liege ihm viel am Abgange desselben, er würde ihn selbst besorgen, es sei ihm aber leid, jetzt schon den Wald zu verlassen.
Frau Wallner gewährte natürlich augenblicklich seinen Wunsch. Die regelmäßigen Besuche des jungen Mannes, die doch eine Anerkennung der schönen Lage der Försterei aussprachen, schmeichelten ihr. Dabei bezahlte Georg reichlich seinen Kaffee oder seine Milch, der Vortrefflichkeit von beiden bereitwillige Lobsprüche spendend Er ließ sich auch zuweilen in Unterhaltungen mit der Alten ein, liebkoste die Kinder, was auch Rosettens Herz gewann, und grüßte Letztere immer sehr höflich und achtungsvoll, wenn er an ihrem Fenster vorüberging oder sie draußen antraf. Um Wendula kümmerte er sich scheinbar gar nicht, und auch das gewann ihm die Gunst der Alten.
»Der Brief ist wohl an das Fräulein Braut?« fragte sie schmunzelnd, nachdem Georg sein Anliegen vorgetragen und sie es gewährt hatte.
Georg erröthete, die Alte lächelte verschmitzt und gebot Wendula ja zu eilen, des jungen Herrn Verlobte dürfe nicht vergebens auf Nachricht warten.
»Ich muß den Brief noch adressiren, Du holst ihn wohl im Vorübergehen ab,« rief Georg dem Mädchen obenhin zu, sprach dann Frau Wallner seinen Dank aus, liebkoste die kleinen Mädchen, strich selbst Willfried über die durcheinander gewirrten Haare und versprach den Kindern, ihnen das nächste Mal etwas mitzubringen. Dann ging er auf seinen Platz zurück.
Wendula erwartete ihn dort schon. Den Hut auf die dunkeln Flechten gedrückt, stand sie da und sah ihn sinnend an, während er schrieb.
»Lies die Aufschrift,« sagte er bedeutungsvoll, indem er ihr den Brief gab, »und sage, ob Du ihn besorgen willst, liebe Wendula?«
Ihre Augen glitten über das Couvert, dann leuchtete wieder jener helle Strahl in ihnen auf, der den ernsten Zügen augenblicklich den Reiz holder Kindlichkeit verlieh, und zarter Rosenschimmer flog über ihre Wangen.
Liebe Wendula! War doch ihr Name lange nicht mit dieser Innigkeit des Gefühls ausgesprochen worden! Wie ein Echo ihrer glücklichen Kindheit tönte er ihr entgegen. So hatte ihn nur die Mutter, nur der Vater ausgesprochen, das wußte sie jetzt, damals hatte sie die Musik dieses Tones noch nicht verstanden. Sie sagte kein Wort, um den Klang nicht aus der Seele zu verlieren, sie nahm den Brief, wendete sich hastig um und verschwand hinter den Bäumen, die den Weg begrenzten.
Eine geraume Weile blieb Georg noch in der Försterei, dann schlug auch er den Weg ein, der nach Häringsdorf führte. Aber er blieb nicht auf demselben. Als das Försterhaus ihm aus dem Gesicht war, bog er ab, und einen der sich vielfach kreuzenden und nach allen Richtungen durch den Wald führenden Pfade einschlagend, umging er das Haus von einer andern Seite, bestieg eine von demselben nicht sehr fern liegende Anhöhe, die, von allen Seiten durch Gebüsch und Laubwerk geschützt, ein gar schönes heimliches Plätzchen denen darbot, die einsamen Träumereien nachgingen oder ein trauliches Zwiegespräch vor unberufenen Zeugen zu bewahren wünschten.
Der Platz war derselbe, auf dem vor Jahren einst Wendula's Vater die arme Elisabeth belauscht, wo sein Erscheinen sie aus dem Rausch der Leidenschaft emporgerissen und das kurze, im Taumel erfaßte und verbotene Glück geendet hatte, von dessen strahlender Sonnenhöhe der nächste Augenblick sie in den Abgrund der Verzweiflung stürzte.
Der Platz war derselbe. Dieselben Buchen krönten die Höhe, wie damals schmückte Blaubeergesträuch und Moos den Boden, und einzelne Blumen wanden sich durch das Grün. Weithin rauschte unten das Meer, die Sonne schien auf die sandigen Anhöhen der gegenüberliegenden Küste, blickte links und rechts auf die Dächer der ländlichen Häuser von Häringsdorf und Swinemünde und vergoldete den stattlichen Leuchtthurm und den üppigen Wiesenteppich zu den Füßen der Anhöhe.
Nur die Kirche, die seitdem erbaut war, veränderte das Bild, und statt des leidenschaftlichen Sturmes der Gefühle, der damals Elisabeth in die Arme des Geliebten gerissen hatte, folgten jetzt zwei junge Herzen in Unschuld und Reinheit dem geheimnißvollen Zuge, der sie willenlos zu einander geführt hatte, ahnungsvoll, andächtig, liebeglühend, vertrauend, hoffend und selig in der namenlosen Wonne erwachender Liebe.
Als Georg die Anhöhe betrat, war Wendula schon da. Sie hielt Georg's Brief entfaltet in der Hand, sie hatte die Zeilen, die nur die Bitte aussprachen, sie möge ihn hier erwarten, er habe ihr etwas zu sagen, wieder und wieder gelesen, bis sie ihn kommen hörte. Sie stand da, liebliches Erröthen auf den Wangen, Freude und Hoffnung in den strahlenden Augen, holde Erwartung in jedem Zuge ihres sprechenden Gesichtes. Die Hände waren herabgesunken, und im Herabsinken hatte sie sie gefaltet, den Kopf hielt sie hoch erhoben, wie im unbewußten Stolz über den Reichthum in ihrem klopfenden Herzen. Kraft und Würde und die weichste Milde und Demuth zugleich war durch ihre halb hingebende, halb selbstbewußte Stellung ausgedrückt, sie war wunderbar schön. Wie gebannt von dem Alles überstrahlenden Reiz ihrer Erscheinung blieb Georg vor ihr stehen.
Da erhob sie das Blatt.
»Ich bin gekommen,« sagte sie leise, seine Zeilen gleichsam beantwortend, »was willst Du von mir, Georg?«
Ganz unwillkürlich hatte sie ihn Du, hatte sie ihn bei seinem Taufnamen genannt. Das vertrauliche Du, der Klang seines Namens von ihren Lippen brachte Georg um alle Besinnung. Er vergaß, was er von Wendula gewollt, er dachte nicht an ihre Herkunft, ihre mögliche Verwandtschaft mit ihm, nicht an das Geheimniß, das zu lösen er sie hierher beschieden hatte. Er sah nichts vor sich als das liebestrahlende Antlitz des Mädchens, hörte nichts als das Du, das wie ein Ruf der Liebe in sein Herz drang. Statt aller Antwort breitete er nur die Arme aus. Sie stürzte hinein, ihr Kopf lag an seiner Brust, er küßte ihr die Stirn, Wangen und Lippen, er drückte sie an sich, als müßte er sie festhalten für's Leben. Wie glücklich waren sie, wie stumm und beredt die Sprache ihres Glückes!
Dann setzten sie sich Hand in Hand auf den grünen Teppich, und die Sonne schien durch die Zweige und lachte auf das glückliche junge Paar herab. Und sie plauderten miteinander von ihrer Kindheit, ihrer Jugend, ihrer Liebe, ihrem Glück und dem seligen Augenblick, der sie zuerst zu einander geführt, dem noch seligeren, der sie heut zum Bewußtsein, zum Geständniß ihrer Liebe gebracht hatte. Weiter hinaus schweiften sie nicht, in die Zukunft reichten ihre Gedanken nicht hinein. Die Liebe hat nur eine Gegenwart, so wie heut empfunden, so beglückend, so aufwärts tragend, so unaussprechlich reich an seliger Wonne, so wird, so muß sie immer sein, vor ihrem wehenden Panier sinkt jede Trübsal des Lebens! Was dachten sie Beide an Trübsal! Hand in Hand, wie sie dasaßen, die Blicke in einander versenkt, die Herzen für einander schlagend.
»Seit wann lieben wir uns eigentlich?« fragten sie einander, und dann machten sie die Entdeckung, daß ihre Liebe gar keinen Anfang gehabt habe, daß sie mit ihnen geboren sei, mit ihnen sterben und auferstehen müsse.
Er erzählte ihr, wie er ihre Fußstapfen entdeckt, wie er ihnen nachgegangen sei in den Wald und sie dort gefunden habe. Sie jubelte in dem Gedanken, daß Gott ihn geführt habe.
»Es sind zahllose Fußstapfen im Sande,« sagte sie andächtig, »daß Du die meinen herausfandest, war Gottes Wille. Ich werde nun immer glücklich sein. Mögen sie mich nun verspotten, so viel sie wollen. Es giebt nichts, was mein Glück antasten könnte. Wer liebt, ist gefeit, heißt's in einem Märchen, das mein Vater mir erzählte.«
»Wer liebt, ist gefeit,« wiederholte er laut und drückte Wendula an sich, »denn die Liebe kommt von Gott, die Treue ist ihr Schild und das Glück ihr Glaube.«
»Wir bringen dem Platz hier den Frieden wieder,« sagte Wendula nach einer Weile, »hier sind einmal viel Thränen vergossen worden, von hier aus verirrte sich einmal ein Kind, während die Mutter hier oben mit einem Freunde plaudernd saß und die Kleine vergessen hatte. Mein Vater traf sie hier in Verzweiflung und Angst und half die ganze Nacht nach der Verlorenen suchen. Meine Mutter fand das Kind schlafend im Walde, und in ihrem Bett schlief es weiter bis zum Morgen, wo der Vater es zurückbrachte.«
Georg horchte hoch auf.
»Die Frau war meine Schwester,« sagte er lebhaft, »Dein Vater ist's also, dem sie für die Auffindung des Kindes, für Errettung aus der tiefsten Seelenpein, für Erlösung von dem Elend gerechter Selbstvorwürfe zu danken hatte. Sieh, Wendula, da ist ja schon ein Band zwischen uns gewoben, denn die Schuld der Dankbarkeit, der ihr früher, plötzlicher Tod sie entzog, übernehme ich als heiliges Vermächtniß, und an Deines Vaters Statt empfängst Du sie von mir.«
Sie lächelte, er fuhr fort:
»Es besteht aber vielleicht noch ein anderes Band zwischen uns, laß mich hoffen, daß es so ist. Ich meine, Du gehörst ganz wo anders hin, als in die niedere Waldhütte, deren reizendster Schmuck Du bist, ich meine, Du bist vielleicht ein Kind unseres Hauses. Dein Name, Dein ganzes Wesen spricht für die Annahme. Sage, läßt nichts Dich glauben, daß Deines Vaters Brust ein Geheimniß verbarg? Trug er nicht einen falschen Namen, sprach er nie von früheren glänzenden Verhältnissen, nie davon, daß seine Mutter noch lebe, daß Mißverständnisse ihn von dieser getrennt, daß er Versöhnung hoffe, eine Versöhnung, der der Tod ihn entriß?«
»Nein,« sagte Wendula, »von alledem weiß ich nichts. Das sind Träume, wie kommst Du darauf, und was läge Dir daran, vermöchten wir es, sie zu verwirklichen?«
»Was mir daran läge?« wiederholte Georg, »o, wahrlich, noch mehr als die Erfüllung eines Lieblingswunsches, vielleicht hinge mein und Dein Glück davon ab. Könnte ich es herausfinden, daß Du Richard's Tochter, daß Du meiner Mutter Enkelin bist –«
Wendula sah ihn erstaunt an. Er fuhr fort:
»Ich hatte einen Bruder, einen viel älteren Bruder, der, als ich noch nicht lebte, die Heimath verlassen hatte, von dessen Dasein ich nichts wußte, selbst da noch nichts von ihm erfuhr, als er, nach Jahren zurückgekehrt, sich auf's Neue mit der Mutter entzweite und dann für immer der Heimath den Rücken kehrte.
Ich habe ihn nur einmal gesehen. Zornglühend stand er vor der Mutter, mit einem so flammenden Blick, wie Du ihn hast, wenn Du von den kleinlichen Verfolgungen der alten Frau sprichst, die Dich zum Opfer ihrer üblen Laune erkoren. Du hast keinen Zug seines Gesichts, aber das leicht und heftig erregte Gefühl, das in hellen Flammen zu den Augen hinausschlägt, das könnte Zeugniß von Deiner Abstammung geben. Ich muß an Richard denken, so wie der finstere Dämon des Zornes in Dir die Flügel regt. Ich vergesse nie diesen ersten und einzigen Augenblick, in dem ich meinen Bruder sah, weiß heut noch, wie rasch mein Schreck, meine Furcht vor ihm wich, als er, mich gewahrend, plötzlich allen Zorn abwarf, mich zu sich emporhob und mich mit einer Wärme und Innigkeit umarmte, die ihm augenblicklich mein Herz gewann.
Fühlte ich doch das seinige klopfen, fühlte seine Thränen auf meinen Wangen – ich habe das nie, nie vergessen! Als ich später, viel später hörte, der Unglückliche sei mein Bruder gewesen, mein älterer Bruder, der aus unüberwindlichem Widerwillen vor dem Kaufmannsstande, dem er sich gleichwohl widmen sollte, das Vaterhaus verlassen hatte, den Wünschen, den Befehlen der Mutter trotzend und lieber sie als seinen Willen aufgebend, da erwachte die glühende Sehnsucht in mir, den armen Verirrten wiederzufinden, ihn mit der Mutter versöhnt, ihn zu gleichen Rechten an das Herz meiner Mutter, in den Besitz unserer äußeren Glücksgüter erhoben zu sehen.
Dieser Gedanke, dieser brennende Wunsch hat mich nie verlassen, und als ich Deinen Namen hörte –«
»Du weißt ja, wo ich den Namen herhabe,« unterbrach Wendula den Redenden. »Möglich, ja sogar wahrscheinlich ist es, daß mein Vater ihn hat in Liebe und Verehrung von seiner Mutter nennen hören und ihn mir deshalb gab, möglich, daß Deine Mutter und die Dame, der zu Ehren ich so heiße, eine und dieselbe ist. Das wäre immer schon seltsam genug. Frage einmal Deine Mutter, ob nicht in früheren Jahren eine Ernestine Arnold eine Stelle in ihrem Haushalt bekleidet hat. Das ist dann meine Großmutter gewesen, und das Räthsel meines auffallenden Namens ist damit gelöst. Gottlob, daß Deine Voraussetzung eine irrige, daß mein Vater nicht Dein Bruder ist. Es möchte mir eben so weh thun, ihn einer Schuld anklagen zu hören und vielleicht gezwungen zu sein, die Anklage gerecht zu finden, als es mir schwer werden würde, seiner Mutter eine gegen ihn begangene Härte und Ungerechtigkeit zu vergeben.«
»Ich denke, Wendula, wir würden es Beide Gott überlassen, über die Schuld unserer Eltern zu richten und ihnen zu verzeihen,« sagte Georg sehr ernst, »als Kinder haben wir nur die schöne Pflicht, sie zu lieben.«
»Ich meinen Vater und Du Deine Mutter,« fuhr sie finster fort, »nichts, was ihnen feindlich entgegensteht. Ich vermöchte es nicht, Deine Mutter zu lieben, wüßte ich, daß mein Vater durch ihre Schuld auch nur eine Thräne des Kummers vergossen hat.«
»Du würdest Versöhnung bringen und empfangen,« beharrte Georg.
Sie schüttelte leise mit dem Kopf und sagte dann:
»Gottlob, es ist nur ein Hirngespinnst, ein Traum, daß wir in dieser Weise verwandt sein sollen. Mein Vater hieß Robert Arnold, ich habe seinen Taufschein noch. Nie hat die leiseste Andeutung verrathen, daß er je bessere oder auch nur andere Tage gesehen habe als solche, die in Arbeit um den Unterhalt des Lebens dahingeflossen. Würde er gestorben sein, ohne mir, die ich allein und verlassen in der Welt zurückblieb, das Geheimniß seiner Geburt zu vertrauen?«
»Der Tod läßt uns oft nicht Zeit, die heiligsten Verpflichtungen des Lebens zu erfüllen,« bemerkte Georg, »auch warst Du ein Kind, als Dein Vater starb.«
»Ich war vierzehn Jahre alt, war kein Kind mehr, sondern meines Vaters Hausfrau,« entgegnete sie mit Selbstgefühl, in dem jedoch keine Anmaßung, sondern nur die innige Herzensbefriedigung lag, die sie mit demselben Stolz würde haben sagen lassen: ich war meines Vaters Magd.
»Seinen Tod sah er lange voraus,« fuhr sie fort, »er bereitete mich oft auf das Leben ohne ihn vor. Solche Gespräche, wie er sie führte, die klaren, tiefen, ernsten Gedanken, von denen sie durchleuchtet, durchwärmt waren, dazu unser abgeschlossenes Leben, das Alles brachte meine Kinderjahre zu raschem Abschluß. Ich wäre reif gewesen, ein Geheimniß zu empfangen und zu bewahren, und das wußte mein Vater.«
»Was Du mir von Deinem Vater erzählst,« sagte Georg, »dient nicht dazu, meine Voraussetzungen zu vernichten. Wie kam der schlichte Jägersmann zu seiner Bildung, seiner Tiefe und Klarheit der Anschauung, wo empfing er die Erziehung, die er auf Dich übertrug? Woher hast Du den Anstand, die angeborene Würde, die Dich weit über alle Mädchen Deines Standes erhebt? Weckte er Deinen Geist, lehrte er Dich die schöne, anmuthige Form finden für Deine frischen, ursprünglichen Gedanken, die Form, die man sonst nur sorgfältiger Erziehung verdankt, wo lernte er die Kunst, wenn er nicht in höheren Kreisen der Gesellschaft aufgewachsen?«
»Ich weiß nicht was Du willst,« entgegnete sie fast ungeduldig. »Kann man denn nicht aus sich heraus erzogen sein, muß es denn durchaus ein Schulmeister thun? Sein gütiges Herz hatte mein Vater vom lieben Gott, und seine beiden Augen, mit denen er um sich schaute und die Dinge so sah wie sie sind, auch, und das ist die beste Klugheit und die beste Bildung, und man braucht nicht in einem reichen Hause geboren zu sein, um sie zu finden, sie wächst auch wild im Walde.«
Sie schwieg. Georg sah sie noch immer sinnend, forschend an, als wolle er die Bestätigung seines Wunsches in ihren Zügen finden. Jetzt aber, wo ihr Blick nicht flammte, sondern ihn nur mit einem hellen Strahl neu erkannten Glückes anlachte, erinnerte ihn nichts an die finsteren Züge des Bruders, auch nichts an seine Mutter, denn die stolze Haltung Wendula's war sanfter, inniger Hingebung gewichen, und wie sie, ihr Haupt an seine Schulter lehnend, so neben ihm saß, war sie in seinen Augen nichts als das liebende, in weicher Zärtlichkeit sich an ihn schmiegende Mädchen, da fragte er nicht mehr, wo sie her sei und wie sie zu ihm passe, sondern empfand nur ihre beglückende Gegenwart, sah in ihr nur die Ergänzung seines Ichs.
Plötzlich hob sie ihr Haupt empor und sagte:
»Wenn mein Vater Dein Bruder wäre, würde er doch in der Frau, deren verirrtes Kind er ihr zurückbrachte, die Schwester erkannt haben, denn er sah sie, sie sprachen sich, das weiß ich, oder hatte Deine Schwester auch noch nicht gelebt, als er das Haus verließ?«
»Sie war nur wenige Jahre jünger als er, sie müßten sich erkannt haben, wenigstens er sie am Namen,« entgegnete Georg gedankenvoll.
»Siehst Du!« triumphirte Wendula. »Mein Vater ist Dein Bruder nicht, Du hast keinen andern Grund, kein anderes Recht mich zu lieben, als weil Dein Herz nicht anders kann, es verbindet uns kein anderes Band als das der Liebe!«
»Es bedarf auch keines andern,« entgegnete er feurig und in ihr Beschauen versunken, alle Stürme vergessend, die seiner Liebe drohten, »es bedarf keines andern, Menschenmacht und Menschenwille reichen nicht aus, es zu zerreißen. Sterben kann man aus Liebe, aber lebend sie aufgeben nicht.«
»Sterben aus Liebe,« wiederholte Wendula mit tiefem Ernst, »es mag auch leichter sein als leben ohne Liebe; sie sagten damals, Deine Schwester sei aus Liebe gestorben,« fuhr sie fort, »ist das wahr?«
Georg antwortete nur mit den Augen.
»Die Arme!« sagte sie. »Sie hat mir immer leid gethan, obgleich sie um ihrer Liebe willen gescholten wurde und ich noch recht gut weiß, wie die Leute sie schmähten und ihre Liebe Sünde nannten. Ich habe es nie begriffen. Kann denn Liebe Sünde sein, ist die unsere Sünde?«
»Frage Dein Herz!« sagte Georg.
»O, mein Herz jubelt und dankt Gott!« rief sie.
Georg schloß sie an seine Brust
»Ich habe recht dumm gefragt« lachte sie, »ich fühle ja, daß Liebe selig macht, das kann die Sünde nicht.«
So kamen sie in ihrem Gespräch immer wieder auf den einen Punkt, auf ihre Liebe zurück, wie es schon unzählige glückliche Paare gethan und noch thun werden. Dabei entfloh die Zeit auf Sturmesflügeln, aber der Sturm wehte ihnen ein Meer von Blüthen zu. Wendula kehrte zuerst in die Gegenwart zurück.
»Ich muß nach Hause,« sagte sie, »was werden sie sagen, daß ich so lange geblieben bin!«
Sie gaben sich noch einmal die Hand, dann flog sie den Waldpfad hinab, er ging weiter über die Höhen. Ihr letztes Wort hatte einen Sturm von Empfindungen in seiner Brust erweckt.
»Auch ich muß nach Hause, und was wird die Mutter sagen!« Das war das Hauptthema seiner Gedanken, und wie er es auch überdachte und wenden wollte, seine tiefen Athemzüge bewiesen nur zu sehr, wie inhaltschwer der Gedanke war.
»Ich entbot sie nicht hierher, von meinem Herzen mit ihr zu sprechen,« tröstete er sich endlich, »ich wollte in ihr der Mutter ein verlorenes Kind zuführen. Statt der Enkelin bringe ich ihr nun die Tochter. Riß mich der Augenblick hin zum Geständniß, so gilt das ausgesprochene Wort doch für das Leben. Ich liebe sie, ich liebe die Mutter, Liebe wird uns alle Drei vereinen.« –
Mit den bittersten Vorwürfen wurde Wendula empfangen; sie hörte sie kaum, sie hatte nichts als Jubel im Herzen und Lächeln auf den Lippen.
»Was ist dem Mädchen?« fragte Frau Wallner erstaunt.
»Gott sei Dank, wenn sie einmal ein vergnügtes Gesicht macht,« bemerkte Rosette. »Das arme Ding hat keine sehr fröhliche Jugend, und manchmal kommt es mir vor, als wären wir zu streng gegen sie.«
Friedrich, eben im Begriff fortzugehen, hörte die Worte, kehrte noch einmal in's Zimmer zurück und küßte Rosetten herzlich; sie erwiderte lachend die Liebkosung.
»Ich habe es ja lange nicht gesehen, daß Dein Mann Dich geküßt hat, nun weißt Du ja, wie Du ihn zärtlich machen kannst,« höhnte Frau Wallner.
Friedrich hörte es nicht mehr, und Rosette war gerade gut gelaunt und nahm die bittere Bemerkung als harmlosen Scherz auf. Von draußen herein tönte Wendula's Gesang. Wie damals, als sie Georg zum ersten Mal begegnete, ließ sie ihre Herzensempfindung in einem fröhlichen Liede ausströmen.
Da kam Willfried in die Stube gestürmt. Lag es in den reizbaren Nerven des Knaben, war es ein seiner Gemüthsrichtung bezeichnender Zug, der ihn jedesmal eine derartige Aeußerung freudiger Stimmung fliehen ließ, kurz er kam herein, das Mädchen deshalb zu verklagen.
Es war früher vorgekommen, daß Wendula gesungen hatte, aber da es den armen, schwachsinnigen Willfried meist ärgerlich machte, oft sogar Thränen bei ihm veranlaßte, war nicht erst ein Verbot nöthig gewesen, sie, wenigstens in seiner Gegenwart, davon zurückzuhalten, bis ihr im Lauf der Jahre und unter dem schweren Druck der Verhältnisse überhaupt die Lust zum Singen vergangen war.
Als heute aber unwillkürlich die innere Herzensfreude überströmte und sie, ohne Rücksicht auf die Anwesenheit des Knaben, losjubelte, da faßte er sie heftig an der Schürze und sagte mit weinerlichem Gesicht:
»Du sollst nicht singen, Wendula, Du sollst still sein, ich will aber, daß Du still bist!«
»Geh fort, wenn Du es nicht hören kannst,« antwortete sie, ärgerlich über die Unterbrechung, in etwas rauhem Tone, »geh fort, denn heut muß ich singen,« und unbekümmert setzte sie ihr Lied fort.
»Sie will nicht aufhören, die häßliche Wendula, ich habe es ihr gesagt, und sie will nicht,« klagte Willfried mit Thränen in den Augen und einem Zittern, das deutlich bewies, wie er unter dem Gesange litt.
Rosette strebte ihn zu beruhigen.
»That sie es Dir zum Possen, mein armer Junge,« sagte sie in liebkosendem Tone, »warte nur, dann wollen wir ihr auch etwas zum Possen thun, nicht wahr, mein Herzblatt?«
Des Knaben Augen flammten, er lachte.
»Ja, was sie verbietet, thue ich nun auch gerade!« sagte er.
Rosette streichelte ihm die Wangen. Es lag ihr nur daran, das Kind zu beruhigen, in welcher Weise das geschah, galt ihr gleich.«
»Ja, ja, wenn sie Dich ärgert, ärgerst Du sie wieder, die häßliche Wendula,« fuhr sie fort, im Grunde ohne allen Zorn gegen diese und nur bestrebt, Willfried's Aufregung zu beschwichtigen.
»Sie sagt, sie muß singen, warum muß sie denn?« fragte Willfried.
»Man muß, wenn man vergnügt, wenn man glücklich ist,« antwortete Rosette gedankenvoll und ohne zu überlegen, wem sie die Frage beantwortete; »ich habe auch einmal aus solchen Gründen gesungen.«
»Weißt Du, was ich glaube?« sagte Frau Wallner, näher an Rosetten herantretend und in geheimnißvollem Tone, »ich glaube, daß sie verliebt ist.«
Rosette lachte.
»In wen? In den Wald?«
»Sie ist verliebt,« beharrte Frau Wallner, »sie könnte es zwar eher in den Wald sein, der ihr doch noch ein Echo zurückruft, als in den jungen Menschen, der lieber gar nicht hört, was sie sagt, und sie höchstens ansieht, wenn sie ihm einen Brief auf die Post tragen oder irgend einen andern Dienst leisten soll. Ich habe es aber schon lange bemerkt und nur nicht sagen wollen. Seit der junge Herr alle Morgen hierher kommt, ist sie wie umgewandelt. Es ist nicht zu sagen, wie viel Mühe sie sich giebt, ihm zu gefallen, der sie doch kaum ansieht«
»Mutter, wer weiß!« bemerkte Rosette, nun auch aufmerksam werdend, »und er kommt vielleicht gar ihretwegen hierher. Wenn er auch nicht mit ihr spricht, es giebt solche blöde Schäfer, die erst lange aus der Ferne anbeten, sich gelegentlich einmal durch einen Blick verständigen, bis zuletzt doch die Zeit kommt, wo sie reden.«
»Das fehlte, daß er sich das unterstände!« fuhr Frau Wallner auf.
»Warum denn nicht, Mutter?« sagte Rosette. »Das wäre ja gar nicht so übel. Er ist ein reicher Mann, wie ich gehört habe, er könnte sie heirathen, und dann hörte hier das Zanken auf. Du kannst sie ja gar nicht und Friedrich kann sie nur zu sehr leiden, mir wäre es schon recht, wenn sie fortkäme.«
»Daran ist nicht zu denken,« entgegnete Frau Wallner mürrisch, »er wird sich hüten, sie zu heirathen, er soll es auch nicht. Das wäre doch zu ungerecht vom Schicksal, wenn sie es gut und bequem haben und in die Stadt ziehen sollte, und Du müßtest Dich hier weiter plagen und quälen!«
»Ja, Mutter, gerecht ist das Schicksal nun einmal nicht, und wir werden's nicht bessern. Adele ist auch eine reiche und glückliche Frau, und ich muß mich plagen und quälen und mein Mann zeigt mir selten ein gutes Gesicht.«
»Um so schlimmer für ihn,« brummte Frau Wallner, »es wird ihm aber schon nachkommen, es giebt eine Vergeltung. Und die Wendula soll keine reiche Frau werden Dir zum Possen, und eine Liebelei hinter unserm Rücken soll sie vollends nicht anfangen. Will sie uns um unsern guten Namen bringen?«
»Aber Mutter, wir wissen ja noch gar nicht, ob es so ist,« wandte Rosette ein.
»Ich werde es schon erfahren, ich werde ihr schon aufpassen,« fuhr Frau Wallner fort, »und dem jungen, albernen Menschen, der so unschuldig aussieht, als könne er nicht bis drei zählen, auch. Wenn sie mich Beide betrügen, soll es ihnen schlecht gehen. Und Dein Mann soll erfahren, wie das Zuckerpüppchen eigentlich ist, dem zu Liebe wir uns einschränken und plagen müssen, o, ich will ihm schon ein Licht anzünden! Hell soll es ihm in die Augen brennen und ihm zeigen, an wen er seine Liebe verschwendet hat!«
»Großmutter, ärgert sich die Wendula, wenn es hell brennt?« fragte Willfried leise.
»Das will ich meinen,« entgegnete sie, »sie scheut solch' Licht wahrhaftig, das thut sie!«
»Kann ich es anstecken?« fragte der Knabe weiter.
»Mutter, rede dem Kinde nichts vor,« sagte Rosette hastig, und sich zu Willfried wendend, fuhr sie eindringlich fort: »Du verstehst nicht, was die Großmutter meint. Du weißt wohl, daß Du nicht mit Licht spielen, daß Du keins in die Hand nehmen darfst. Kinder wissen damit nicht umzugehen. Du kannst mit den Haaren, mit den Kleidern ihm nah kommen, und dann brennst Du lichterloh. Mit Licht muß man sehr vorsichtig sein.«
»Thut es weh, wenn man brennt?« fragte Willfried.
»Gewiß, sehr,« antwortete die Mutter.
Der Knabe schwieg, kehrte auch im Laufe des Tages nicht mehr zu dem Gegenstand zurück. Selten haftete eine und dieselbe Vorstellung dauernd in seinem Kopf, und als Wendula's Gesang verhallte, verflogen auch seine Rachegedanken.
Für Wendula entsprach der Nachmittag nicht dem leuchtend begonnenen Tage. Am Nachmittag kam Georg nie in die Försterei, und heut war es ihr lieb, daß es nicht geschah. Sie wurde flammend roth, wenn sie daran dachte, daß sie vor seinen Augen die Magd spielen sollte. Für ihn, ja, da wäre sie durch's Feuer gegangen, auf sein Geheiß wäre sie geflogen, ihm herbeizuholen, was er begehrte, knieend hätte sie es ihm überreicht, und stolz schlug ihr Herz auf in dem Gedanken, ihm dienstbar sein zu können, aber die anderen Alle – o wie lästig war ihr diesen gegenüber ihre Stellung!
Sie that auch nur halb im Traum, was man von ihr verlangte, sie war froh, als der Abend anfing den Wald zu beschatten, als der Thau fiel, kühlere Lüfte wehten und die Gäste sich entfernten.
Sobald sie konnte, eilte sie in ihre Kammer im Schuppen. Der Mond schien hell hinein, sie öffnete das Fenster und setzte sich an dasselbe. Alles war still im Wald, sie sah sehnend hinaus, ihr Blick prüfte jeden Schatten, sie lauschte jedem noch so leisen, die nächtliche Stille unterbrechenden Tone. Erwartete sie Georg? Aber er kam nicht, dennoch fühlte sie, daß auch seine Gedanken sie suchten, und war glücklich in dem Bewußtsein.
»Morgen,« sagte sie leise, »morgen sehe ich ihn wieder, o wie schön, daß jeder Tag einen Morgen hat!«
Noch vor Kurzem hatte sie gesagt: »O wie schön, daß jedem Tage eine Nacht folgt!«
Ehe sie zur Ruhe ging, nahm sie ihres Vaters Bibel, um, wie sie gewohnt war, noch einen Spruch darin zu lesen.
Sie stutzte und erschrak, als sie das Buch aufschlug.
Hundertmal hatte sie die Worte auf dem Titelblatt gelesen, heute fielen sie ihr zum ersten Mal auf's Herz.
»Des Vaters Segen bauet den Kindern Häuser, aber der Mutter Fluch reißt sie nieder.«
Die Worte waren von einer festen, etwas steilen und, wie es Wendula zum ersten Mal vorkam, Härte und Schroffheit verrathenden Hand geschrieben. Ein Name stand nicht darunter. Wendula konnte die Augen nicht von dem Spruch wenden, er paßte hinein in die Geschichte einer Mutter, die ihren Sohn erbarmungslos in die Welt gejagt, weil er sich nicht knechten ließ durch eine ihm mißliebige Beschäftigung.
So wenigstens ergänzte Wendula, was Georg ihr nur in schwachen Umrissen gegeben hatte.
»Sollte es möglich sein, sollte Georg recht haben?« dachte sie.
Sinnend weilte ihr Blick noch auf einem andern ihr räthselhaften Zeichen. Es war nur die Bezeichnung eines Tages und einer weit in die Vergangenheit zurückgehenden Jahreszahl, von ihres Vaters Hand geschrieben.
»Was hatte Beides zu bedeuten, stand es im Zusammenhang mit jenem Spruch? Sie sann und grübelte, sie las die Worte wieder. Mein Gott, könnte es denn so sein! War ihr Vater wirklich der tiefgekränkte oder auch der schuldbeladene Sohn, war er durch's Leben gegangen, belastet mit dem drückenden Geheimniß, war der Name, den sie von ihm geerbt, nicht einmal der seine?
Ihr liefen die Thränen über die Wangen. Endlich sagte sie leise:
»Er hat es nicht gewollt, daß ich die Geschichte wisse, er hat sie mir nicht erzählt, ich will sie auch von keinem Andern erfahren!«