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Schon eine Stunde vor Tag stand Kreszenz andern Morgens auf, fütterte ihr Vieh und verrichtete still die Hausarbeit. Sie blickte einmal schmerzlich auf, als sie inne ward, daß sie nicht mehr sang; sie ging hinaus ins Feld.
Mit einem Bündel Frühklee auf dem Kopfe kam Kreszenz von der Halde herauf, sie sah herrlich aus, die geschmeidigen Formen ihres Körpers hoben sich straff hervor. Mit der rechten Hand hielt sie den Kleebündel, mit der linken den Rechen, der, über die Schulter gelegt, auch als Stütze der Last diente. Sie ging still und ruhig; die roten Blumen schauten in ihr rotes Antlitz. Nicht weit von des Jakoben Kreuz hörte sie plötzlich die Stimme Florians, der »Grüß Gott, Kreszenz« sagte; sie stand wie festgebannt.
»Komm!« fuhr Florian fort, »ich will dir ablupfen.«
»Ich bitt' dich, Florian, ich darf mich jetzt da nicht aufhalten, da sehen uns alle Leut'. Guck, du siehst, ich kann mich jetzt nicht wehren, ich kann dir nicht davonspringen: aber wenn du nicht willst, daß ich mein Lebtag kein Sterbenswörtle mehr mit dir red', so geh jetzt fort. Heut abend nach dem Nachtläuten komm zu des Melchiors Lenorle, da will ich dir alles sagen.«
»Gib mir nur auch eine Hand.«
Kreszenz schlug den Arm über den Rechen und reichte die linke Hand, indem sie tief atmend sagte:
»B'hüt di Gott bis heut abend.«
Jetzt erst im Weitergehen empfand Kreszenz, wie schwer die Last auf ihrem Kopfe war; sie stöhnte im Weitergehen, als ob sich der Mocklepeter am hellen Tage als erdrückender Geist an sie geklammert hätte. An dem Kreuze legte sie die Last auf die hohe Bank, die zum Auf- und Abladen schwerer Traglasten hier aufgerichtet ist.
Bei dem Sinnbilde des Glaubens steht dieser stumme Diener allzeit hilfreich bereit. Zu Füßen dessen, der die schwerste Last auf sich genommen – die Menschen frei und liebend zu machen – legen die Menschen eine Weile ihre Tagesbürde nieder, um dann ausgeruht weiter zu schreiten.
Kreszenz blickte lange nach dem Kruzifix, sie wußte aber nicht, daß sie es that, denn in ihr bebte nur die Furcht vor dem Florian, nach dem sie sich nicht umschauen wollte; endlich aber that sie es doch, und ihr Antlitz erheiterte sich sichtbar, als sie den flinken Burschen so durch das Feld dahinwandeln sah.
Den ganzen Tag über war Kreszenz ernst und wortkarg. Noch ehe es Nacht war, nahm sie ein Koller, um es, wie sie sagte, dem Walpurgle zum Waschen zu bringen; sie ging aber nicht zu dem Walpurgle, sondern zu dem Lenorle; dieses kam ihr entgegen und sagte:
»Geh nur durch die Scheuer, hinten im Garten ist er.«
»Geh mit,« bat Kreszenz.
»Ich komm' schon, geh nur derweil.«
Als Kreszenz unhörbar durch die Scheune in den Garten trat, sah sie den Florian, wie er auf einem Blocke gebückt dasaß und mit einem stilettartigen Messer etwas in das Holz grub; seine langen, schön gescheitelten braunen Haare hingen weit über seine Stirn.
»Florian, was treibst?« fragte Kreszenz.
Der Angeredete warf das Messer weg, schüttelte sich die Haare zurecht und faßte Kreszenz, küßte und herzte sie; sie widerstand nicht. Endlich aber sagte sie:
»Nun, jetzt ist genug, du bist halt grad noch, wie du gewesen bist.«
»Ja, aber du nicht.«
»Kein Brösele anders. Gelt, du bosgest, weil ich mit dem Geometer geh'? Wir hätten uns ja doch nie heiraten können. In Dienst lassen mich meine Leut' nicht, und bei ihnen bleiben mag ich auch nicht, bis ich graue Haar' krieg'.«
»Wenn das so ist, wenn du den Geometer magst, hab' ich nichts mehr mit dir zu reden; das hättest du mir heut morgen sagen können. Ich weiß eine Zeit, da hätt' der König kommen können, dem das ganze Land gehört und der's nicht bloß vermessen hilft, und du hättest gesagt: Groß Dank, mein Florian ist mir lieber, und wenn er nichts hat, als was er auf dem Leib trägt.«
»Ei, wie schwätzst du jetzt? was nutzt das? wir können uns ja nicht heiraten.«
»Ja, ja, da hört man's, das ist das erzig rot' Schneiderle. Wenn ich dich nur mein Lebtag mit keinem Aug' mehr gesehen hätt', wenn ich nur all' beid' Füß' brochen hätt', eh' ich wieder heim kommen wär'.«
»Ei, mach jetzt keine so Sachen, gelt, du lugst mich doch auch als noch freundlich an und lachst ein bißle mit mir, wenn du mir verkommst?«
Mit einem Blick voll heiterer Liebeslust sah Kreszenz Florian an, sie lächelte, aber das Weinen stand ihr näher als das Lachen. Florian hob sein Messer auf, steckte es ein und wollte fortgehen; da faßte Kreszenz seine Hand und sagte:
»Trutz mir nicht, Florian, gang, mach, red auch. Lug, ich hab' ja doch den Geometer noch nicht geheiratet, aber laufen lassen kann ich ihn jetzt nicht; meine Leut' thäten mich im Schlaf erwürgen, wenn ich von ihm ließ'. Es dauert aber noch wenigstens zwei, drei Jahr', bis was draus wird, wer weiß, wie's noch geht, kann sein, ich sterb' vorher – das wär' mir das Liebst'.«
Die Stimme der Kreszenz stockte.
Plötzlich erwachte in Florian ein ganz andres Leben, die unerklärbare Schlaffheit verschwand; er stand da wie neu erwacht, und freudetrunken blickten sich die beiden an.
»Lug,« sagte er, »wie ich da gesessen bin und auf dich gewartet hab', ist mir's grad gewesen, wie wenn mir einer alle Glieder zerschlagen hätt'. Ich hab' so darüber nachdenkt, wie elend wir daran sind, und einmal über's andre ist mir's gewesen, wie wenn ich mir mein Messer ins Herz stoßen müßt'. Wenn mir einer unter die Hand kommen wär', ich weiß nicht – und fort mag ich auch nicht, und hier bleiben muß ich, und dich muß ich haben.«
»Ja, das wär' schon recht, wir können doch aber nicht auf den alten Kaiser 'nein leben; ich wüßt' wohl einen, der uns helfen könnt', er müßt' es mir thun.«
»Red mir nichts von ihm, er darf dich nichts angehen, ich will's nicht, und er geht dich nichts an; du bist deines Vaters Kind, und wer anders sagt, den stech' ich wie ein achttägig Kalb. Guck, mein Vater hat mich schon halb ausgebeutelt, ich hab' aber wohl noch ein Geld; ich bleib' jetzt vorderhand hier und arbeit' auf meines Vaters Meisterrecht. Ich will einmal denen Nordstettern zeigen, was der Florian kann, sie sollen Respekt vor mir haben.«
»Du bist ein Schöner,« sagte Kreszenz, »hast mir denn gar nichts mitgebracht?«
»Ja doch, da.«
Florian langte in die Tasche und gab Kreszenz einen breiten silbernen Ring und ein gemaltes flammendes Herz, darin ein Spruch stand.
Nach dem ersten Jubel des Entzückens wollte Kreszenz den Reim lesen, Florian aber sagte: »Das kannst du, wenn ich auch nicht dabei bin, jetzt wollen wir schwätzen.«
»Ja, erzähl mir einmal. Ist es wahr, hast du Bekanntschaft mit deines Meisters Tochter in Straßburg?«
»Kein Gedanke, ich thät' ja sonst nicht hier bleiben, und hier bleib' ich. Alle Nordstetter müssen sagen: der Florian ist ein Kerle, wie's keinen mehr gibt.«
Noch lange blieben die beiden zusammen. Als Kreszenz wieder nach Hause kam, traf sie den Geometer und mußte freundlich und liebreich gegen ihn sein. Mit schwerem Herzen las sie noch spät in ihrem Kämmerlein den Spruch auf dem gemalten Herzen:
Besser Stein zur Mauer graben,
Als lieben und doch nicht haben. |
Weinend legte sie das Blättchen in ihr Gesangbuch.
Da haben wir nun eines jener Verhältnisse, wie sie zu tausenden in Stadt und Land sich finden, vielleicht nicht so grell, die Farben sind mehr ineinander vertuscht. Kreszenz hatte den Florian gern und wollte doch die Versorgung durch den Geometer nicht drangeben; dort hielt sie die Liebe, hier der Verstand. Es müßte sonderbar zugehen, wenn daraus nicht schweres Unglück entstünde.