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Der Adlerwirt und seine Leute saßen eines Mittags in der Erntezeit bei Tisch. Es wurde fast gar nicht gesprochen, denn die Essenszeit dient zugleich als Ruhepunkt, und in diesen Kreisen ist das Sprechen eine Arbeit; man wird nicht finden, daß es nur als etwas Beiläufiges einem andern Thun sich zugesellt, die Seele wendet sich ihm ganz zu, und die fast immer begleitenden Bewegungen ziehen den Körper nach.
Bärbele, die Adlerwirtin, sagte, als man eben abräumte:
»Der Bäck hat heut eine neue Magd kriegt, sie ist im Zuchthaus gewesen und ist ihm von dem Verein übergeben worden. Die dauert mich im Grund des Herzens, die kommt vom Prügele an den Prügel, ich mein' –«
Konrad stieß seine Frau an, sie solle still sein, und winkte mit den Augen nach Jakob. Durch das plötzliche Abbrechen und die eintretende Stille gewannen die Worte Bärbeles erhöhte Bedeutsamkeit; jedes sprach sie gewissermaßen im stillen nach. Jakob schien indes wenig davon berührt, er schnitt sich einen tüchtigen »Ranken« Brot, steckte ihn zu sich, klappte sein Taschenmesser zu und verließ schon bei den letzten Worten des Schlußgebets das Zimmer. Die Rücksichtnahme durch das plötzliche Verstummen ärgerte ihn mehr als die vernommenen Worte; er wollte, daß man von seinen Schicksalsgenossen in seinem Beisein ohne Rückhalt spreche. Dieses Verstummen bewies ihm, daß man ihn noch nicht für gereinigt hielt; er zürnte.
So verletzlich und anspruchsvoll ist ein gedrücktes Gemüt.
Kaum war Jakob eine Weile fort, als sich die Thür wieder öffnete; ein fremder Mann, der einen Quersack über der Schulter trug, zerrte Jakob am Brusttuche nach.
»Komm mit,« rief er, »du mußt ein Bufferle mittrinken. Sind wir nicht alte Bekannte? Haben wir nicht drei geschlagene Jahr' miteinander im Gasthof zum wilden Mann logiert?«
Jakob setzte sich endlich verdrossen auf die Bank.
Der Fremde ist uns gleichfalls bekannt, es ist der wohlgemute Frieder. Jakob war auch jetzt noch schweigsam, sein Kamerad ersetzte seine Stelle vollauf.
»Bist noch immer der Alte, hm! hm!« sagte er; »hältst das Maul wie ein **scher Landstand – Guck, ich hab' heut schon mehr geschwätzt als sieben Weiber und drei Professor. Ich bin aber auch jetzt bei denen, die das große Wort führen. Was meinst, was ich da drin hab'? Lauter Purvel« (Pulver). Er öffnete seinen Sack und warf eine große Masse von – Lumpen heraus: »Lug, da draus macht man Papier, und da drauf exerzieren ganze Regimenter von schwarzen Jägern. Ich muß das Lumpenvolk da zusammentreiben, sonst können meine Herren keinen Krieg führen, und Krieg muß sein, alles muß untereinander. Es geschieht ihnen recht. Warum haben sie mir keine Anstellung geben.«
»Was brauchst aber soviel schwätzen bei deinem Lumpensammeln?« fragte Bärbele.
»Das ist das allerschwerste Geschäft,« erwiderte Frieder; »du glaubst nicht, wie die Leut' an ihren Lumpen hangen. Wenn alles noch so kreuzweis zerrissen und zerfetzt ist, wollen sie's doch nicht hergeben; sie meinen immer: es wär' noch ein bravs Lümple dabei, das man noch zu was brauchen kann, zum Ausflicken oder Charpie daraus zu zupfen. Her damit, sag' ich, wenn auch noch ein gut Lümple dabei ist, schad't nichts, eingestampft muß werden. Lumpenbrei. Jetzt hol noch ein Bufferle und denk derweil drüber nach, daß du das Taufen vergißst.«
Frieder leerte schnell noch auf einen Zug den Rest; Jakob wollte aber nicht mehr trinken, als die zweite Ladung kam.
»Was?« rief Frieder, »du willst keinen Schnaps trinken? Ja, du hast recht, ich sag's auch: das Best' auf der Welt ist Wasser und – Geld genug und – Gesundheit. Freilich, das Schnapstrinken ist eine Sünd', aber ich muß es thun. Guck, jeder Mensch muß ein' Portion Sünden und ein' Portion Schnaps trinken, soviel eben auf sein Teil kommt. Ich trink' jetzt aus Frömmigkeit: für meine Mitmenschen. Ich bin mit meinem Teil fertig, und jetzt trink' ich für andre. Es soll dir wohl bekommen, Jakob, das ist dein Teil!« schloß Frieder und nahm einen tüchtigen Zug.
Jakob sprach noch immer nicht, und jetzt endlich sagte er aufstehend, daß er ins Feld müsse. Frieder machte sich schnell auf, um ihn zu begleiten.
Frieder war im ganzen Dorfe bekannt wie bös Geld; er sprach jedermann an und hielt Jakob dabei an der Hand. Diesem war es gar erschrecklich zu Mute, daß er mit einem so allbekannten Gauner vor den Leuten erscheinen mußte; er sagte sich aber wieder: du bist ja selber ein Gezüchtigter und wie würde dir's gefallen, wenn man dich meidet? Er duldete daher die Vertraulichkeit Frieders.
Der Studentle begegnete ihnen und fragte: »Lebst auch noch, alter Sünder?«
»O du!« entgegnete Frieder, »mit deinen Knochen werf' ich noch Aepfel vom Baum 'runter.«
Konstantin lachte und fragte wiederum: »Was treibst denn jetzt?«
»Lumpensammeln.«
»Geht's gut dabei?«
»'s ging schon, aber die verdammten Juden verderben den Handel. Wenn die Regierung was nutz wär', müßt sie den Juden das Lumpensammeln verbieten.«
Jakob war während dieses Gesprächs fortgegangen, und Frieder rannte ihm nach. An dem Bäckenhaus lehnte sich ein Mädchen aus der Halbthüre, es ward »ritzerot«, als es die beiden sah. Jakob blickte das Mädchen scharf an, sah aber gleich darauf zur Erde. Frieder pfiff unbekümmert ein Lied vor sich hin.
Erst am letzten »einzecht« stehenden Hause des Dorfes wurde Jakob seinen Gefährten los, der zu dem hier wohnenden Hennenfangerle ging. Die alte Frau, die diesen Beinamen hatte, war als Hexe verschrieen, obgleich niemand mehr recht daran glaubt; soviel war gewiß: gestohlenes Gut, das in ihre Hände kam, war wie weggehext. Jener Name rührt allerdings von etwas Dämonischem her, das der Frau innewohnte: sie konnte mit ihrem Blicke die Hühner bannen, daß sie sich wie vor einem Habicht zusammenduckten und greifen ließen. Gerupfte Hühner kennt kein Mensch mehr, und zu Asche verbrannte Federn zeigen keine besonderen Farben. Dieser Geruch verbrannter Federn mochte auch immer die Hühner erschrecken, wenn das Hennenfangerle sich ihnen näherte, so daß sie laut aufgackerten.
Die Leute ließen die alte Frau in Ruhe, denn sie war ihnen unheimlich; man sagte, sie werde deshalb so alt, weil sie sich nur von Hühnersuppe nähre. Man traf Vorsorge, verfolgte sie aber nicht weiter, wenn sie sich unversehens ihren Tribut holte.
Die Luft beengt den Atem hier im Hause; lassen wir Frieder allein bei seiner Vertrauten.
Draußen im Felde, wo Jakob den Klee mit seinen verdorrten Blumen mäht, da ist's freier. Wie stattlich sieht Jakob aus bei dieser Arbeit, wie schön sind seine Bewegungen. Von allen Feldarbeiten ist das Mähen die schönste und am meisten kräftigende. Da bückt man sich nicht zu Boden, da steht man stolz und frei, und im weiten Umkreis fallen die Halme nieder. Wir können aber Jakob nichts helfen, denn das Mähen will wohl gelernt und geübt sein, und die Schichten müssen liegen bleiben, wo sie gefallen sind, bis sie ganz verdorren. Könnten wir ihm nur in seinen Gedanken helfen! Die Sense scheint heute nicht recht scharf und Jakob etwas mißmutig. Das Zusammentreffen mit Frieder peinigt ihn, aber noch etwas anderes, er weiß nicht recht was. So oft er den Wetzstein nimmt und die Sense schärft – und das geschieht oft – denkt er an das Mädchen, wie es zur Halbthüre herauslehnte und wie es errötete; er hat herzliches Mitleid mit. Jakob war kein Neuling in der Welt, er wußte, wie Unglück und Verbrechen kein Alter und kein Geschlecht verschont, aber jetzt war es ihm, als ob er's hier zum erstenmal erführe. Ein Mädchen mit dem Stempel des Verbrechens auf der Stirn ist doppelt und ewig unglücklich; was soll aus ihm werden? – Jakob mähte, um seine Gedanken los zu werden, so emsig fort, daß er unvermerkt einen scharfen Schnitt in den Stamm eines Bäumchens machte, das mitten im Klee stand.
Nun hatte er Grund genug zum Wetzen.