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Auf der Schnitzelbank vor seinem Hause saß rittlings ein junger Bursch und hob von Zeit zu Zeit aus einer großen Schichte zu seiner Rechten einen langen Tannenzweig auf, preßte ihn zwischen den Kloben und drehte ihn zu leichter Biegsamkeit, schnitzelte das dicke Ende und flocht einen Strohzopf daran; was zubereitet war, legte er sorgfältig zu seiner Linken nieder, wo bereits mehrere solcher Garbenbänder, sogenannter Wieden, wohlgeordnet lagen. Trotz des lustigen Parademarsches, den der Bursche pfiff, hatten seine Mienen doch etwas Verdrossenes, und er warf oft wie unwillig das Haupt zurück, auf dem eine Soldatenmütze mit rotem Vorstoß prangte.
Der Dorfschütz, ein alter Soldat, der ein kupfernes Ehrenzeichen auf seinem blauen Rock trug, kam vom Rathaus herunter; er hielt bei dem Arbeitenden still und sagte:
»Buschur, Kamerad.« Der Angeredete dankte stumm, und der Schütz fuhr fort: »Warum bist du nicht bei der Zehntversteigerung gewesen?«
»Ich bin noch nicht Bürger,« erwiderte der junge Soldat, »das Sach gehört noch meiner Mutter und meinen Geschwistern.«
Der Schütz setzte sich auf die fertigen Wieden und berichtete: »Es ist ein Generalspaß gewesen. Seit Jahren haben die drei fetten Schwäger den Zehnt gepachtet, sie mögen's nicht leiden, daß der Zehntknecht auf ihre Aecker kommt, und wollen da freie Herren sein. Aber diesmal hat der Wasserstiefel immer höher geboten, und zuletzt ist ihm der Zehntbestand zugeschlagen worden. Dein Schwäher, der Schlägelbauer, der hat seinen Koller kriegt vor Zorn und Gift, daß man gemeint hat, er erstickt, und mit Fluchen und Schelten sind sie alle davon. Das führt noch einmal zu bösen Häusern, du wirst sehen, Franzseph.«
Franz Joseph oder, wie er in der Abkürzung hieß, Franzseph nahm eine neue Wiede auf und entgegnete:
»Es ist und bleibt nicht recht, daß das ganze Dorf und vorab der Schlägelbauer so einen hirnwütigen Haß auf den Faber geworfen hat, und weiß kein Mensch recht, warum. Der Faber ist hier fremd, er hat des Luzians Gut um sein ehrlich Geld gekauft und thut niemand was zu leid; daß er sich herrisch kleidet, geht ja niemand was an, und er kann darüber lachen, daß sie ihn den Wasserstiefel heißen. Der Schlägelbauer ist auch schon an mir gewesen, ich soll' nichts mit dem Faber reden: aber ich weiß selber, was ich zu thun hab', und ließ' mir von meinem eigenen Vater, wenn er noch leben thät', nichts drein reden, mit wem ich Freundschaft haben darf oder nicht. Und gerade weil sie ihn alle den Wasserstiefel heißen und niemand gut gegen ihn ist –«
»Du bist halt ein guter, guter Kerle, das sagen alle Leut'!« unterbrach der Schütz.
Dem jungen Mann schoß bei dieser Anrede alles Blut zu Kopfe, er würgte eine Wiede ganz ab, warf die Stücke weit weg und rief voll verbissenen Ingrimms: »Sag das nicht. Ich bin kein guter Kerl, ich will nicht. Fahnenmalefitzdonner! Ich möcht' euch zeigen, daß ich ein guter Tralle bin. Sag das nicht noch einmal, oder ich vergreif' mich an dir zuerst.«
»Das wär' am unrechtesten Orte angefaßt. Du bist ja wie ausgewechselt. Was hast denn? Gibt des Schlägelbauern Madlene nach, und heiratet das bildsaubere Mädle des Schultheißen Klaus?«
»Wenn die Kuh einen Batzen gilt,« entgegnete Franzseph plötzlich lachend, und über sein Antlitz zog eine Besänftigung des Friedens, daß es zu leuchten schien.
»Du bist aber doch seit Ostern,« fuhr der Schütz fort, »seit du mit dem Abschied vom Regiment heimkommen hist, wie verhext. Was hast denn? Freilich, kann mir's denken, du kannst dich nicht wieder ins Bauernleben gewöhnen; mußt den Paradeschritt verlernen und den Ochsenschritt einexerzieren. Hab' ich recht? Ist's das, warum du immer so maßleidig aussiehst?«
»Kann sein,« erwiderte Franzseph nach langer Pause und fuhr dann sich aufrichtend fort: »Ja, du hast mit meinem Vater in einer Kompanie gestanden und bist sein bester Kamerad gewesen; ich will mich dünken lassen, ich red' zu meinem Vater. Guck, wie ich mit dem Abschied heim bin, da hab' ich gemeint, ich könnt' es gar nicht erwarten, und das ganze Dorf muß grad so sein wie ich, und jedes muß weiter nichts denken und sagen als wie: der Franzseph ist da. Ich hab' mir oft denkt, daheim da ist das helle Paradies, und ich hab mir mit Gewalt wieder vorrechnen müssen, wie viel Feindschaft und Hajard auch da ist und wie eines ein Auge drum gäb', wenns andre keins hätt'. Ich bin freilich nie gern Soldat gewesen, aber es ist doch eigentlich das schönste Leben, und jetzt wünsch' ich mir des Tags tausendmal, daß ich's noch wär'.«
»Ja, es ist jetzt schlimmer hier als je. Denk daran, was ich sag': es thut kein gut, bis die Hopfenstangen draußen an der Geißhalde noch zu einer Generalsprügelei verwendet sind.«
»Wegen dem Hopfengarten,« nahm Franzseph wieder auf, »haben meine ersten Händel mit dem Schlägelbauer angefangen. Ich hab' mich gefreut, daß der Faber den verrutschten Berg so gut ausnutzt, und der Schlägelbauer hat grad darüber losgezogen; er versteckt seinen einfältigen Haß hinter der Gemeindeehre. Früher, sagt er, sei unser Dorf berühmt gewesen, daß wir den besten Spelz bauen, jetzt werde sich's umkehren, und man wird sagen: die Weißenbacher bauen den schlechtesten fuchsigen Hopfen. Und wenn ich meine Aecker krieg', bau' ich selber auf dem Buckel im Speckfeld auch Hopfen; es ist dort gerade der rechte warme Lehmboden und liegt prächtig gegen Mittag. Die alten Bauern, die nie über ihres Vaters Miste 'nauskommen sind, die meinen: schaffen wie ein Vieh, damit sei alles gethan; man muß schaffen wie ein Mensch, mit Verstand und Bedacht. Ich bin nicht umsonst beim Regiment gewesen und weiß von der Welt. Der Schlägelbauer giftet auch darüber, weil ich den Knecht nicht aus dem Haus thue, den meine Mutter für meine Soldatenzeit genommen hat; ich kann ihn nicht so von heut auf morgen fortschicken, und ich muß mich auch erst wieder ins Feldgeschäft gewöhnen, und ich bin ein Kerl, der Ehre im Leibe hat, und wenn mich einer zum Schaffen ermahnt, da thu' ich grad nichts; ich weiß selber, was ich zu thun hab', und es soll keiner meinen, ich hätt' darauf gewartet, bis er mich richtig anstellt, und das Lob gehört ihm.«
Unter diesem Gespräch war die Herrichtung der Wieden vollendet. Franzseph rief seinem Knecht, der auf der Hausschwelle die Sense dengelte, und befahl ihm, die Wieden nach dem Bach zu tragen; er selber folgte mit der Hakengabel, und die Art, wie er diese nicht auf die Schulter nahm, sondern als Spazierstock gebrauchte, zeigte die seltsame Stimmung des sich stolz tragenden stattlichen jungen Mannes.
Viele Menschen, wenn sie zu einem Rechtsanwalt kommen und ihren Streit vortragen, wollen von den Gegengründen ihrer Widersacher fast gar keine Kunde oder doch nur augenscheinlich unhaltbare mitteilen; sie meinen dadurch ihren Streit bereits gewonnen zu haben. Aehnlich erging es dem Franzseph bei seinen Mitteilungen an den Dorfschützen.
Aus dem Soldatenleben zurückgekehrt und nicht unter der Botmäßigkeit eines Vaters stehend, fand der junge Mann sich nur schwer in die Obliegenheiten der mühseligen Arbeit. Er schloß sich um so lieber an Faber, den sogenannten Wasserstiefel, an. Faber war weder ein bloßer Gutsbesitzer noch ein Bauer, und schon seine Kleidung zeigte seine Stellung zwischen beiden. In der Ackerbauschule gebildet, mit mäßigem Vermögen ausgerüstet, das sich durch die Heirat einer Wirtstochter aus der Hauptstadt noch beträchtlich vermehrte, gehörte Faber zu jenen Männern, denen keine sogenannte niedere Arbeit zu gering ist, die aber auch mit überschauendem, offenem Geist ihre Thätigkeit erweitern und wohl mit der Zeit die Erneuerung des starken in sich gefesteten Bauerntums darstellen. Faber sah es gern, daß Franzseph an seinen Versuchen und Studien zur bessern Ausnutzung der vorhandenen Bodenkräfte teilnahm, und Franzseph war gern mit ihm, teils um der besondern Ehre willen, teils auch weil Faber mit einer noch immer fremd bleibenden Zurückhaltung nie ermahnend in seine Angelegenheiten eingriff, während er sonst überall mehr oder minder grobe Stichelreden über seinen halben Müßiggang hören mußte.
Lässige Menschen – und ein solcher war Franzseph – suchen vornehmlich Umgang mit Halbfremden oder unterthänig Schmeichlerischen; für Franzseph gehörte Faber zu den ersteren und der Dorfschütz zu den letzteren. Darum schloß er sich fast nur diesen an und schien heiter und wohlgemut. Dennoch fehlte ihm die rechte Herzensfreudigkeit, alles war ihm wie mit einem trägen Nebel verdeckt, durch den nur die Liebe zu des Schlägelbauers Madlene zuweilen wie ein heller Stern hindurch schimmerte; manchmal fürchtete er aber fast die Vereinigung mit Madlene und sah sich einer Sklaverei entgegengehen, in der er über jede Stunde und ihre Arbeitspflicht Rechenschaft geben müsse, manchmal hoffte er auch wieder, wenn er erst Madlene ganz sein nennen werde, müsse wieder frische Regsamkeit in ihn kommen und die oft unerklärliche Trübsinnigkeit schwinden. Diese Hoffnung stand nun aufs neue im weiten Feld, denn der Schlägelbauer wurde von Tag zu Tag unwirscher, wollte von Verspruch nichts wissen und verlangte vor allem ein Aufgeben der Kameradschaft mit Faber. Franzseph sah darin nur eine Beschönigung der Feindseligkeit, da der Schlägelbauer behauptete, ein Bauersmann, der keine Kapitalien habe und von der Ernte leben müsse, könne sich nicht in solche Sachen einlassen wie der Wasserstiefel. Franzseph antwortete hierauf kaum, er wußte es ja besser, daß er mit seinem jetzigen scheinbaren Nichtsthun mehr gewinne, als wenn er sich Schwielen an die Hände und Schweiß auf die Stirn arbeite. In lässigem Trotz ritt und fuhr er um jede Kleinigkeit in die Stadt und machte daheim immer ein saures Gesicht, als suche er etwas oder als plage ihn ein geheimes Leiden. In der That hatte er immer einen so roten Kopf, daß man meinte, das Blut würde ihm zu den Adern herausspritzen. Die Mutter wollte den Arzt darüber befragen, und als sie dies einst ihrem Vetter Schlägelbauer klagte, hörte Franzseph, der in der Kammer seine Cigarre rauchte, diesen sagen:
»Schneid ihm die Pulsadern aus seiner Soldatenmütze heraus, dann ist dein Franzseph gesund. Leid's nicht, daß er Cigarren raucht; dazu braucht man eine dritte Hand und kann nichts dabei schaffen. Aber da ist alles kurz bei einander, dein Franzseph ist halt ein Faulenzer, der kehrt sich morgens siebenmal im Bett: und wendet dem Teufel den Braten.«
Schnell riß Franzseph die Kammerthüre auf und rief:
»Saget mir das noch einmal ins Gesicht hinein, frei heraus.«
»Kannst's haben; ja, du bist ein Faulenzer.«
»Wenn Ihr nicht der Vater von der Madlene wäret, läget Ihr jetzt am Boden.«
»Da müßt' ich auch dabei sein. Freilich, du hast deine Kräfte gespart, du bist ausgeruht; aber wegen meiner Madlene, da thu dir keinen Zwang an, auf die Art ist's mit euch aus, daß du's nur weißt.«
Der Schlägelbauer begann wieder seinen schweren Husten, und die Mutter beschwichtigte den Streit und hieß Franzseph wieder in die Kammer gehen; sie geleitete dann den Vetter bis vor das Haus, und Franzseph hörte noch, wie sie sagte:
»Mein Franzseph ist ja der beste Mensch von der Welt.«
»Das ist wahr,« erwiderte der Schlägelbauer, »er wär' mir lieber ein bißle schlimm. Ich brauch' keinen so Gutedel.«
»Ich bin ein Faulenzer!« rief noch Franzseph zum Fenster hinaus und hoffte mit diesem Selbstbekenntnis einen großen Sieg gewonnen zu haben, und die ganze Welt sollte es hören, welch ein himmelschreiend Unrecht ihm geschah, und alles, vorab der Schlägelbauer, sollte ihm Abbitte thun.
Aber der Schlägelbauer schaute sich nicht um, und Franzseph betrat die Schwelle seines Vetters nicht mehr; er sah nur noch verstohlen seine Madlene, die aber meist schweigsam und betrübt war. Was sollte aus der Feindseligkeit Franzsephs mit dem Vater werden? und wenn ihr jener klagte, daß ihm alles so schwarz vorkäme und er keine rechte Lustbarkeit in sich spüre, mußte sie die wahre Tröstung verschweigen, denn sie hatte einst gesagt:
»Ich mein' auch, du schaffst nicht genug.«
»Ich bin halt ein Faulenzer,« knirschte Franzseph.
»Das sag' ich nicht,« entgegnete Madlene, »aber« –
»Genug,« unterbrach Franzseph, »da drüben wohnt die Vroni, frag deinen Vater, woher sie Witwe ist. Ihr Mann liegt in der Ernte krank im Bett, da geht sie zu ihrem Vater und sagt: ›In der harten Arbeitszeit will er jetzt ins Bett liegen.‹ – ›Da will ich schon helfen,‹ sagte der Alte, nimmt seine Peitsche und haut auf den kranken Mann los, bis er zum Bett herausspringt – und zwei Tage darauf hat man ihn begraben. Wie meinst, Madlene, sollt' ich mir's auch so machen lassen?«
»Du bist ja nicht krank,« entgegnete Madlene.
»Das ist all eins, es darf mir niemand sagen, ob ich schaffen soll.«
Von jener Zeit an hatte Madlene hierüber kein Wort mehr gesprochen, und Franzseph fühlte wohl selber, wie er sich anders rühren müsse, aber konnte sich nicht dazu bringen, daß er den Schein auf sich lade, auf fremde Ermahnung arbeitsam zu sein; fast nie ging er mit dem Geschirr ins Feld, trug nie etwas über die Straße, ging immer los und ledig einher und gebarte sich überhaupt, als wäre er nur auf Urlaub daheim und als sei jede Arbeit, die er verrichte, besondern Dankes wert.
Ein geheimer Segen der Arbeit ist allerdings zerstört, wenn sie nicht aus eigenem Antrieb, sondern auf fremde Ermahnung erfolgt; aber Franzseph konnte nicht über den kindischen Stolz hinauskommen, der ihn eben darum auch gegen seine Pflicht widerspenstig machte. – Wie er eben jetzt wieder nicht selber die Wieden nach dem Bach trug, sondern mit der Hakengabel spazierend daherschritt, kam ihm der oft unterdrückte Gedanke, geradeswegs zu dem Schlägelbauer zu gehen und ihm zu sagen: »Vetter, Ihr habt recht, und Ihr werdet sehen, ich bin fleißig . . .« Aber sein Atmen ging schneller schon vor Zorn über diesen Gedanken, den er doch nicht bannen konnte, und heftig schlug er mit der Hakengabel auf, denn es wurde ihm klar, daß seine bisherige Lässigkeit ihn in eine verkehrte Lage gebracht: wie tapfer er auch künftig sich rühren möge, der Schlägelbauer wird ihm immer mißtrauisch aufpassen, und er gerät dadurch in eine unerträgliche Botmäßigkeit, über die alle Menschen spotten müssen; hätte er nie den Namen eines Müßiggängers auf sich geladen, da stünde er ganz anders da. Der Schlußpunkt dieser Wahrnehmung waren folgerecht immer Zorn und Reue über die vergangenen und schlaffer Mißmut, ja Verwünschungen über die kommenden Tage, wobei er sich jedesmal wünschte, wieder unter den Soldaten zu sein; da steht man doch unter einem festen Kommando, dem folgt man und hat sich nicht von dem Blick eines jeden befehlen zu lassen. Diesmal aber konnte er nicht hierbei beharren: am Montag begann die Ernte, und die verschlossene Trutzigkeit, der Hader mit sich und der Welt mußte auf eine oder andere Weise geändert werden.
Franzseph schickte den Knecht nach Haus und weichte mit der Hakengabel die Wieden im Bach ein. Er hatte sich hierzu eine recht bequeme Stelle ausgesucht, da, wo auf eingerammtem Balken ein Brett befestigt war und eine Art Landungsbrücke bildete. Von hier aus konnte man auch ungesehen beobachten, wer beim Schlägelbauern aus- und einging. Jetzt sah Franzseph Madlene mit dem Vater daher kommen, sie konnten ihn nicht bemerkt haben, er hatte sich schnell hinter den Weiden versteckt; dennoch hörte er, wie der Schlägelbauer über den Bachsteg gehend und oft vom Husten unterbrochen sagte:
»Ein gesunder Mensch, der faul sein kann, ist der liederlichste. So ein lotteriger Tagdieb meint wunder, wie gut er sei, weil er niemand was stiehlt, er legt sich auf die faule Haut und schreit immer: Ich bin ja so gutmütig, ich bin ja so brav.«
Franzseph ballte beide Fäuste und wollte schreien und fluchen, aber der Laut erstickte ihm in der Kehle und drohte, ihn fast zu erwürgen. Er starrte in den Bach hinein und wußte nicht, wie ihm geschehen, ihm war so dumpf, als hätte plötzlich ein schwerer Hammerschlag ihn auf den Kopf getroffen. Endlich raffte er sich auf, und nur der eine Gedanke lebte in ihm, wie er Rache nehmen könne für die erlittene Unbill; er konnte nichts finden, und doch wollte er durch eine gewaltige That zeigen, wie himmelschreiend unrecht ihm geschehen sei. Noch einmal durchblitzte ihn der Gedanke, durch rastlose Emsigkeit darzuthun, wie sehr man ihn verkannt habe; aber schnell verwarf er diese Demut wieder. Sollte er jeden zum Zeugen seiner Rührigkeit aufrufen und sich von ihm den Stempel seiner Geltung aufprägen lassen? – Franzseph war ein Soldat, dürfen diese versessenen Bauerntölpel über seine Ehre richten? Freilich mußte er unter diesen Menschen leben, aber sie mußten einsehen lernen, daß er etwas Besseres sei als sie. Darum erschien es ihm zuletzt am genehmsten, in trotziger Verachtung den Unverstand herauszufordern. Mitten in der Ernte, die übermorgen beginnen sollte, wollte er, sonntäglich geschmückt, müßig und Cigarren rauchend, auf den Feldern und im Dorf umherschlendern, bis alle ihm Abbitte thun, daß sie das ihm inwohnende Streben nach Arbeitsamkeit so grausam verkannt hatten. Aber woher sollten die Menschen an eine Tugend glauben, von der sich ihnen gerade das Gegenteil unter die Augen stellte? Sie müssen es dennoch, denn was ist das für eine Achtung und Liehe, die erst Beweise verlangt, daß man sie verdiene?
In der Seele dieses jungen Mannes erhob sich ein Widerstreit, den er in Worten nicht hätte darlegen können, und doch bewegte sich's in ihm, und die Leidenschaft erschloß ungeahnte Quellen.
Weit hinein stieß Franzseph die Wieden, daß sie den Bach hinabschwammen, als stieße er damit jeden Gedanken an Arbeit von sich, und er freute sich seines Nichtsthuns auch für die kommenden Tage wie einer Lustbarkeit.
Es liegt in der Trägheit eine eigene Wollust, ja man möchte sagen, eine Art Leidenschaft voll unergründlicher Macht; wie im halbwachen Schlummer überstürzen sich in ihr Gestalten und Empfindungen und begraben in ihren Wellen das selbstmörderisch hingegebene Leben. Auch von Madlene wollte Franzseph nichts mehr wissen, wie von sich selbst nichts mehr. Eben wollte er auch die Gabel den davonschwimmenden Wieden nachwerfen, da rief eine Stimme:
»Franzseph, was machst?« und Madlene stand vor ihm.
»Ich faulenze,« entgegnete der Angeredete trotzig; das Mädchen aber faßte seine Hand und wehrte ab:
»Sag' das nicht, du thust dir unrecht.«
»Ich? wer thut mir unrecht? Ich heiß' das Liederlichste auf Gottes Erdboden und will's auch sein. Glaubst du nicht auch, daß ich faul bin?«
»Nein, Gott ist mein Zeuge, daß ich das nicht glaube. Laß du die Leut' sagen, was sie wollen, ein Wort beißt nicht. Ich weiß besser, wie du bist. Du kannst dich nur vom Soldatenleben her noch nicht wieder ins Bauerngeschäft finden. Ich seh' dir's schon seit ein paar Tagen an, du willst jetzt in der Ernt' zeigen, was du vermagst; aber ich bitt' dich, überschaff' dich nicht, du bist's ungewohnt, und man hat eine Krankheit weg, man weiß nicht wie, thu's mir zulieb und schon' dich.«
Im Innersten betroffen und erschreckt schaute Franzseph auf. Noch vor wenigen Augenblicken hatte er in selbstzerstörendem Unmut diese Liebe verleugnet, und ihre Zuversicht richtete ihn jetzt straff auf; er blinzelte mehrmals rasch mit den Augen, und wie angerufen sprang er dann plötzlich den davon geschwommenen Wieden nach, watete in den Bach und holte sie auch richtig ein. Jetzt konnte er sich das Angesicht von den aufgespritzten Tropfen abwischen, und alle Düsterheit war plötzlich davon weggenommen. Madlene hatte diesem verwunderlichen Thun betroffen zugesehen; sie litt unsäglich unter der Feindseligkeit zwischen Franzseph und ihrem Vater. Sie verkannte das herrschsüchtige und geizige Wesen ihres Vaters nicht, aber auch das müßige Gehenlassen Franzsephs war ihr klar, und so sehr auch Feindschaft zwischen den beiden waltete, sie wußte doch, daß sie in Gedanken nicht voneinander lassen, denn beide waren stolz, und das verband sie doch. Der Vater verbot ihr nie ausdrücklich den Umgang mit Franzseph und that, als ob er von den heimlichen Zusammenkünften nichts wüßte, und Franzseph suchte trotz allen Tobens doch bloß nach einer Gelegenheit, um in Lob und Ehre vor dem Vater dazustehen. Lachend stand Franzseph bald wieder bei seiner Madlene, und sie sprachen traulich, wie in vergangenen Tagen, miteinander. Sie mußte ihm, obgleich widerstrebend, jedes harte Wort berichten, das der Vater über ihn gesagt, und diese Vorwürfe, die ihn sonst zum Toben und Rasen gebracht hätten, hörte er jetzt so heiter lächelnd an, als wären es lauter Lobeserhebungen. Nur als das Mädchen berichtete, daß ihr Vater nichts von ihm wissen wolle, solange er die Soldatenmütze auf dem Kopf habe, da preßte er die Lippen zusammen, nahm die Mütze ab, betrachtete sie eine Weile und setzte sie wieder keck auf. Madlene erzählte hierauf, daß des Schultheißen Klaus, der sie immer von ihm abspenstig machen wollte, sich bei ihrem Vater gut Kind mache, besonders dadurch, daß er dem Wasserstiefel, wo er nur könne, eine Tücke anthue, und daß der Vater sie immer bereden wolle, der Werbung des Klaus nachzugeben. Selbst das hörte Franzseph mit unveränderter Miene an und sagte endlich, er wolle den Schlägelbauer auf einmal zu ganz anderer Meinung über ihn bringen. Er ließ sich aber nicht bewegen, zu erklären, wodurch er dies bewirken wolle.
»Wohin ist dein Vater gegangen?« fragte Franzseph zuletzt.
»Auf das Speckfeld, dort wollen wir am Montag – will's Gott – anfangen Wintergerste zu schneiden.«
Die Sonne stand eben im Scheiden, und ihr roter Widerschein glänzte im Bach und im Antlitz der Liebenden, die Hand in Hand dastanden. Die Lippen Franzsephs zitterten, es lagen Worte darauf, die er nicht aussprechen durfte, und ehe ers gekonnt hätte, schied er schnell von Madlene, denn sie sahen den Schlägelbauer von der Höhe jenseits herabkommen. Franzseph nahm die Wieden auf und trug sie nun selbst nach Haus; dennoch machte er einen Umweg, um dem Schlägelbauer nicht zu begegnen.