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Zu Hause war Franzseph voll Unruhe, die Mutter überraschte ihn, als er sich eben ein großes Stück Brot abschnitt und in die Tasche steckte; er erwiderte auf ihre Frage, was er damit wolle, daß ihn oft in der Nacht ein Jähhunger plage, dem er vorsorgen müsse. Die Mutter schüttelte den Kopf über das so auffällig veränderte Wesen ihres Sohnes und sprach wieder vom Arzt, aber Franzseph hörte nicht darauf und hatte noch allerlei in der Scheune herzurichten, als ob es früher Morgen wäre und nicht einbrechende Nacht. Er wich den Fragen hierüber aus und bat um die Kappe des verstorbenen Vaters, die er zum Andenken in seiner Kammer haben wolle; die Mutter brachte sie schnell, setzte sie ihrem Sohn aufs Haupt und beteuerte, daß sie ihm viel besser stehe, als die steife Soldatenmütze, der sie höchst unehrerbietige Namen gab. Franzseph riß hierauf rasch die Kappe ab und setzte seine gewohnte auf, aber er gab die alte doch nicht wieder zurück. Er ging mehrmals durch das ganze Dorf, und es kam ihm wunderlich vor, daß die Leute noch immer zögerten, zur Ruhe zu gehen. Wie gern hätte er den Zapfenstreich schlagen lassen und den Leuten kommandiert: »Licht aus! ins Bett!« Aber hier führte jeder sein eigen Regiment und kannte kein allgemeines Gebot. Jedem, der noch eine Weile vor dem Hause gesessen und sich dann hinein unter Dach begab, wünschte Franzseph in besonders nachdrücklicher Weise eine gute Nacht. Es war, als ob er jedem besonders dankte, der nur die Augen schloß, um sein Vorhaben nicht zu sehen.
Endlich war Stille im Dorf, über dem eine sternglitzernde Nacht stand, der Mond kam heute erst um Mitternacht herauf. Die Thüre an Franzsephs Hause, die nach dem Garten ging, öffnete sich unhörbar, aber es trat niemand heraus, nur eine tuchumwickelte Sense wurde behutsam und geräuschlos auf den Boden gelegt; erst nach geraumer Weile kam ein Mann zum Vorschein, schloß die Thüre, stand eine Weile still horchend, nahm die Sense auf und schlich durch den Garten hinaus ins freie Feld. Es war Franzseph; er hatte aber, wohl um sich nicht so rasch kenntlich zu machen, eine andere Kopfbedeckung, als gewöhnlich, und zwar die pelzverbrämte Pudelkappe seines Vaters. Er atmete laut und hielt auf seinem raschen Gang oft an, hinaus lauschend, oh er nicht fremde Schritte höre; aber es ließ sich nichts erkunden, nur Heimchen und Heuschrecken in Busch und Gras hörten in der milden Nacht nicht auf zu zirpen. Gegen Norden stand die Nachtdämmerung, deren lichter Schein von der Mitte Mai bis Mitte August am Himmel nicht verschwindet. Franzseph ging nach dieser Seite hin, und es war ihm, als schritte er hinein in den Tag, und nur wenn er sich umkehrte, sah er die volle Nacht. Franzseph nahm die Sense, die er bisher in der Hand tief am Boden gehalten hatte, frei auf die Schulter und schritt mutig vorwärts. Wie leise flüsternd wiegte sich das Korn am Weg und sog den Nachttau ein, der ihm nur auf kurze Zeit noch beschieden war; das wächst und gedeiht still, während die Menschenhände ruhen, die es gesäet und bald wieder einsammeln. Was raschelt dort in den Halmen und kollert jetzt den Wegrain hinab? Es ist wohl ein Igel, der nächtig auf seine Nahrung ausgeht. Dort im Gebüsch winselt und klagt es, das sind Stimmen verscheuchter Vögel, denen ein Marder, ein Wiesel Eier oder Junge geraubt. Das ganze Leben der Tiere ist Suchen nach Nahrung, der Mensch aber bereitet sich diese durch Arbeit. Franzseph faßte seine Sense fester. Jetzt ging der Weg eine Strecke über die Landstraße, wo hüben und drüben reichgestützte Obstbäume standen, und wie von unsichtbarer Hand gepflückt, fiel bald da, bald dort ein frühreifer oder wurmstichiger Apfel nieder, kollerte auf der harten Straße oder fiel dumpf in das weiche Gras. Die Obstbäume, deren fester Stamm das Menschenleben überdauert, bedürfen nur Schutz und Stütze von Menschenhand und erzeugen von selbst die Frucht; das Brot aber, des Menschen vielbereitete Speise, reift nur auf mühsam bearbeitetem Boden am alljährlich sich erneuenden Stengel.
Wie war's jetzt in einsam stiller Nacht, als ob alles Gewohnte rings umher seltsame Worte spreche, und eine Offenbarung ging aus von Halm und Zweig, die das Herz erbeben machte. Denn des Menschen Sinn fühlt ein Beben beim Nahen des Allgeistes. Worte und Gedanken, die Franzseph ehedem wie halb träumend von Faber vernommen hatte, erwachten jetzt wie mit heller Stimme und klaren Augen. Franzseph pfiff nur sich selber hörbar vor sich hin. Endlich führte der schmale Fußweg mitten durch die Kornfelder. Franzseph kühlte bald die eine, bald die andere Hand im Tau, der auf den Halmen lag; er sah hinüber nach dem Hopfenacker, dessen lange Stangen wie ein getöteter Wald mitten im Felde standen. Er mußte lächeln bei der Erinnerung an die Prophezeiung des Dorfschützen, daß diese Stangen noch zu einer Generalprügelei verwendet würden – aber plötzlich hielt er an, er hörte in der That Schritte, die hinter ihm drein kamen; schnell sprang er in das Kornfeld, kauerte in den hohen Halmen nieder und hielt den Atem an. Die Schritte kamen immer näher, und jetzt hielt der unsichtbare Wanderer an der Stelle, wo Franzseph verschwunden war, und dieser überlegte rasch, wie er sich verhalten müsse, wenn er entdeckt würde; aber der Suchende ging vorüber, und der Versteckte atmete frei. Der Flurschütz hatte wohl noch seinen nächtlichen Rundgang gehalten; es war nun sicher, daß er in der heutigen Nacht nicht mehr in diese Gemarkung käme. Noch eine Weile verharrte Franzseph in seinem Versteck, dann wendete er sich sorglos rechts nach dem Speckfeld. Im Umschauen deuchte es ihn einmal, als ob die Stangen im Hopfengarten sich bewegten und ein Knistern und Knarren von dorther dringe; aber das war gewiß nur Täuschung, wie sollten die festen Pfähle sich jetzt beugen, da ein leiser Windhauch kaum die Spitzen der Halme bewegte. Franzseph schritt fürbaß und gelangte endlich zu seinem Ziel, er nickte mehrmals, denn er fand die Merkzeichen, daß er am Gerstenacker des Schlägelbauern war. Er nahm die Einhüllung von der Sense und strich mit dem Wetzstein so leise als möglich über die Schneide. Als aber jetzt die Turmuhr im Dorfe zehn zu schlagen begann, wagte er es, gedeckt von diesem Klange, kecker die Sense zu wetzen, und nun ging's frischer ans Mähen, daß die Halme rauschend zu Boden fielen; dabei war er aber noch so hastig, daß er mehrmals die Sensenspitze in den Boden bohrte, er zwang sich nun zu gemäßigter Thätigkeit, und ruhig vorwärts schreitend, legte er die Halme nieder. Die Schwingung hin und her ging so geruhig und fast mühelos, es war, als ob in die Sense ein eigen Leben gefahren wäre, sie bewegte sich wie von selbst in seiner Hand, mähte die Halme und zog ihn allmählich nach. Vom Wald herüber hörte man das Krächzen und Winseln junger Eulen, die sich wohl um eine Beute balgten. Was kümmert den Thätigen all' das Geschrei um ihn her? Nur der Arbeitsledige horcht überall hin und findet darin willkommene Zerstreuung. Erst als Franzseph die volle Ackerlänge durchgemäht hatte, gönnte er sich ein Aufatmen, und die Art, wie er sich reckte, zeigte jetzt, daß nicht Müdigkeit ihn lähmte, sondern neue Lebenskraft seine Glieder durchströmte. Es duldete kein langes Ausruhen, und rückwärts ging's in gleicher Thätigkeit, die so gleichmäßig im Takt fortschritt, daß sich Franzseph eine Art Melodie dazu dachte. All das Denken, das am Tage und jetzt in der Nacht durch seinen Sinn gezogen, ruhte nun im tiefsten Grunde seiner Seele wie ein verborgenes Labsal.
Wie bald aber ändert sich Denken und Thun. Wieder auf dem ersten Ausgangspunkt angekommen, fühlte Franzseph einen Hunger, wie er ihn seit lange nicht gekannt hatte, aber er blieb bei seinem Vorsatz, erst nach drei vollen Mahden sich eine Erholung zu gönnen, und nun dünkte ihn nicht mehr, daß die Sense sich von selbst bewege, und pfiff er auch keine Melodie mehr zur Arbeit; als gälte es, einen Widersacher zu legen, so ernst und mit angespannter Kraft schritt er mähend vorwärts. Die Aehren rauschten nieder, und es sumste und schwirrte gar seltsam am Boden. Franzseph hatte gegen seine Mutter mit dem Jähhunger gespaßt, jetzt schien er ihn wirklich zu überkommen, jedes Ausholen mit der Sense ward zur Beschwerde, aber er ließ nicht ab und langte endlich, von Schweiß triefend, zum drittenmal an seinem Ziel an. Er setzte sich auf den Markstein nieder und wischte den Schweiß von der Stirn. Das ist ein Tau, der die Menschenkraft gedeihen macht, und das Brot, das der Einsame jetzt zum Munde führte, war nährenden Segens voll. So hatte noch nie ein Bissen geschmeckt.
»Fleiß ist Tugend,« hat Faber einmal gesagt, und jetzt tönte das Wort wie ein Segensspruch von unsichtbaren Lippen um den jungen Mann, der allein in stiller Nacht sein Brot verzehrte. Wohl gibt es einen Fleiß, der der Habgier und allen schlechten Trieben dienen muß, und doch ist Fleiß, die lebendige Betätigung der Kraft, Grundlage alles echten Thuenden, aller Tugend.
Vom Dorf herüber schlug es zwölf Uhr, und der Nachtwächter rief die Stunde. Franzseph konnte es kaum glauben, daß er schon so lange gearbeitet habe, er hatte ja keinen Glockenschlag gehört; aber hört denn der Emsige die Stunde schlagen, und rinnt ihm die Zeit nicht ungezählt dahin?
Franzseph kam sich wie verzaubert vor. Das war ein Klingen und Singen und Summen in der Luft und auf den Feldern, wie von zahllosen unsichtbaren Wesen. Franzseph fühlte eine unwiderstehliche Schlafsucht, aber er bewältigte sie doch; umherschauend zwang er sich, die ganze Umgebung im lichten Sonnenschein zu denken, und jetzt kam der Mond rund und groß hinter dem Wald heraus und übergoß alles mit mildem Schein. Feld und Wald und Dorf lag im weichen Dämmerlicht ausgebreitet, und aus dem Bach blinkte es da und dort hell herauf. Franzseph richtete sich rasch auf, und die Sense glitzerte im Mondschein, wie er sie aufhob und untersuchte, er verbarg das verräterische Blinken schnell unter den Halmen, und mit neuem Mut ging's an die Vollführung des Werkes. Er gedachte, wie der Schlägelbauer und mit ihm das ganze Dorf staunen werde, wenn es sich zeigt, daß der Faulenzer, während alles ruhte, einen Morgen Gerste niedergemäht, und wie freudig Madlene jauchzen müsse, daß ihre Zuversicht sich so bestätigte. Er bedurfte dieser Aufmunterung sehr, denn immer mühsamer wurde ihm diese Arbeit und solch einsame Verkehrung der Nacht in Tag. Er wetzte die Sense öfter als sonst und nicht mehr so behutsam. Der Nachtwächter, dachte er, glaubt freilich nicht mehr an den Dengligeist, aber er wird doch morgen allen berichten, daß er ganz gewiß in vergangener Nacht den verschollenen Erntegeist im Felde habe die Sense wetzen hören. Er wird dann dem Orte nachforschen, von wo er den Klang vernommen, und dadurch wird die Sache am schnellsten offenbar, denn selbst kann ich sie doch nicht verraten, und bis zum Montag warten könnte ich auch nicht.
Wieder wetzte Franzseph die Sense anhaltender als je und ließ sie dann noch fast geflissentlich im Mondschein blinken, er fürchtete nicht mehr, vom Flurschützen überrascht und gestört zu werden, dies wäre ihm wohl eher erwünscht gewesen. Er hatte ein gut Teil des Ackers gemäht und war so überaus müde, aufhören konnte er aber nicht, denn was sollte die halbe Arbeit? Wurde er aber verscheucht, so war es ja nicht seine Schuld, daß noch etwas rückständig blieb, auch dieses mußte ihm als vollbracht angerechnet werden, er hätte es ja ohne die Störung gewiß vollendet. So sehr auch Franzseph wetzte und endlich sogar zu dengeln anfing, es ließ sich niemand sehen noch hören, der ihn stören wollte, und eine Zeitlang mähte er im Zorne fort und horchte auf jede Viertelstunde, die es im Dorfe schlug. Endlich aber wurde er auch dieser Mißstimmung Meister, und je mehr es gegen Morgen ging, desto mehr erfreute er sich seines Thuns. Mit dem ersten lichten Grau, das im Osten aufdämmerte, belebte ihn ein neuer Gedanke, der sich immer mehr geltend machte: nicht das Staunen und die Bewunderung des ganzen Dorfes erquickte ihn, er freute sich über sich selber, er hatte vor sich bewiesen, daß er einen schweren Vorsatz vollführen könne. Jetzt war er auch des Zweifels ledig, ob er in den Tag hinein arbeiten wolle, bis man ihn bemerke, er war entschlossen, sich davon zu machen, ehe man ihn sah. Die Morgenwolken, die sich immer mehr lichteten, warfen ihre Strahlen hinein in den Mond, und es war, als ob zu diesem Sonntag eine doppelte Sonne über der Welt aufgehe. Hier und da zwitscherte eine Lerche am Boden, und ein Rabe flog krächzend waldaus, als wäre er der Bote der Nacht, der ihren Rückzug verkünde. Jetzt schwang sich dort aus der Ferne eine Lerche keck empor, und aus den taufeuchten Halmen schwirrten ihr andere nach, vom Walde her und in den Hecken begann es zu zwitschern und zu singen, die Sonne stieg in voller Pracht empor, und mit freudigem Siegesgefühle schaute Franzseph zu ihr auf. Er hatte in stiller Nacht ein frisches Herz gewonnen. Er mähte noch den Acker bis zu Ende. Nur noch eine Spreite stand. Sollte er sein Werk im Tageslicht vollenden? Er hob die Sense hoch hinauf ins Sonnenlicht, und in ihm sprach der Vorsatz, daß die Sonne immerdar seine emsige Arbeit erschauen und sie segnen möge; dann verbarg er die Sense in einem noch hell grünenden Haberfelde und eilte davon; aber er kehrte nicht ins Dorf zurück, er schritt nach dem Walde, er suchte nicht lange und hatte den Schlaf nicht anzurufen, bald war er auf dem Moose unter einer mächtigen Tanne eingeschlummert.