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Zehnter Abend.
Herakles.

Als die neunte der Arbeiten des Herakles wird sein Zug gegen die Amazonen genannt. Dies war ein gar seltsames Volk im nördlichsten Teile von Kleinasien, an den Ufern des Thermodon wohnhaft. Es bestand der Sage nach bloß aus Weibern, die so kriegerisch gesinnt waren, daß sie sich die rechte Brust ausbrannten, um den Bogen beim Spannen fester dagegen stemmen zu können; und eben von dieser Verstümmelung sollten sie ihren Namen (die Brustlosen) erhalten haben. Auch erzogen sie nur die Mädchen; die Knaben töteten sie entweder oder schickten sie ihren Vätern zurück. Begreiflich, daß jeder, den Handelseifer oder Wandertrieb in jene Gegenden geführt hatte, immer neue und immer abenteuerlichere Kunde von ihnen erzählte. Hippolyte, hieß es, sei gegenwärtig die Königin dieses weiblichen Heldenvolkes, und Ares (Mars) selber sei ihr so gewogen, daß er ihr einen kostbaren Gürtel geschenkt habe, den sie immer ihm zu Ehren trage. Eurystheus' Tochter Admete hatte den Einfall sich von dem Manne, der alles vermochte, diesen Gürtel auszubitten, und ihr Vater, der sich freute hier wieder eine neue Aufgabe für Herakles erhalten zu haben, bestätigte die Forderung auf der Stelle.

Ein solches Unternehmen hatte der Held bisher noch nicht gewagt. Er bedurfte dazu eines Schiffes und mehrerer Gefährten, und als er dieselben zusammengebracht hatte auch Theseus und Telamon waren unter ihnen stach er mutig in die See. Schon in Paros, der wegen ihres Marmors berühmten Insel, hatte er sein erstes Abenteuer zu bestehen. Die Einwohner widersetzten sich nämlich der Landung und töteten ihm zwei Genossen. Da ergriff den Herakles die Wut; seine Keule schwingend stürzte er unter die Parier, erschlug ihrer viele und schenkte den übrigen nur unter der Bedingung das Leben, daß die zwei Tapfersten von ihnen zu ihm überträten und an Stelle seiner beiden ermordeten Gefährten die Reise mitmachten. Sie stellten sich hierauf alle der Reihe nach vor ihm dar, und er wählte aus ihnen zwei rüstige Jünglinge, Enkel des berühmten Königs Minos von Kreta, als Ersatzmänner aus.

Von Paros aus schlug er denselben Weg ein, den bald nachher die Argonauten nahmen. Nach seiner Einfahrt ins schwarze Meer wandte er sich gleichfalls rechts und stieg an der Küste von Mysien aus. Hier empfing ihn Lykos, der König der Mariandyner, mit offenen Armen; denn er erwartete Hilfe von ihm gegen seine wilden Nachbarn, die Bebryken, die wir ihr erinnert euch schon früher als gewaltige Faustkämpfer kennen gelernt haben.

»Ach ja!« rief Wilhelm; »ihr König forderte den Pollux so übermütig heraus.«

»Ganz recht.« Damals nun regierte dieser König noch nicht, sondern sein älterer Bruder Mygdon, der die Mariandyner unaufhörlich durch feindliche Einfälle und Plünderungen beunruhigte. Ihr könnt wohl denken, daß Herakles es als eine Pflicht des Dankes erkannt haben werde, seinem Gastfreunde Lykos gegen diesen bösen Feind beizustehen. Er führte sogleich die Mariandyner in das Land der Bebryken, riß alle Hütten nieder, trieb die Herden weg und jagte das Volk in die Flucht, nachdem er den König Mygdon getötet hatte. Auf dem öden Platze, wo die Hütten der Bebryken gestanden hatten, legte Lykos nachher eine Stadt an, die er zum ehrenden Andenken an seinen Wohlthäter Heraklea nannte. Diese Stadt ward in der Folge als ein reicher Handelssitz berühmt. Hier steht sie mit großen Buchstaben auf der Karte, hier an der Küste von Bithtynien.

»Was heißt denn Heraklea?« fragte Wilhelm.

»Heraklesstadt«, antwortete der Lehrer.

»Aber was bedeutet eigentlich der Name Herakles?«

»Der durch die Here oder Hera Berühmte«, fuhr der Lehrer fort. »Dieser Name aber ward dem Helden von dem delphischen Orakel gegeben, als es ihn an Eurystheus wies; es sollte eine Hindeutung darauf sein, daß der Träger desselben seinen Ruhm der Here verdanken werde, sofern der Haß der Göttin ihn antreiben würde alle die großen Thaten zu verrichten, die er sonst vielleicht, ohne den Antrieb äußerer Schwierigkeiten, nicht vollbracht haben möchte. Bei seiner Geburt war er Alkides, Sohn des Alkäos, d. h. Sohn der Stärke genannt worden.«

»Nun, von den Mariandynern ?«

– kam er zu Schiffe zur Stadt Themiskyra, hier in Pontos. Dicht darüber leset ihr »Promontorium Herakleum«, ein wiederum nach ihm benanntes Vorgebirge. Ihr mögt daraus erkennen, daß einst ein Mann dieses Namens dort zu Lande durch große Thaten die Erinnerung an seine Verdienste bis in späte Zeiten lebendig erhalten haben muß. Herakles ließ sein Schiff in die Mündung des Flusses Thermodon einlaufen und stieg im Angesichte der Stadt ans Ufer. Eben sie war nämlich der Hauptsitz der Amazonen und die Residenz der Königin Hippolyte. Als letztere von der Ankunft der Fremden benachrichtigt ward, kam sie selbst ihnen entgegen und redete mit Herakles. Er brachte seinen Auftrag an und hoffte schon die Sache friedlich zu beendigen, als auf einmal Here, die unversöhnliche, ihm einen neuen Fallstrick legte. Diese eilte nämlich in der Gestalt einer Amazone von Haus zu Haus und rief die andern alle zusammen. »Die Königin ist in Gefahr!« schrie sie. »Auf! kommt ihr zu Hilfe!« Sogleich griffen die Weiber alle zu den Waffen und stürzten nach dem Schiffe hin. Noch ehe sie dasselbe erreichten, schwirrten ihre Pfeile schon den Griechen ums Haupt. Die Königin eilte zu ihnen zurück, um sie zu besänftigen; aber in dem wilden Kampfgeschrei ward ihre Stimme nicht gehört, und Herakles, der die Ursache des Mißverständnisses nicht kannte und sich so unerwartet und heftig angegriffen sah, säumte auch keinen Augenblick Krieg mit Krieg zu erwidern. So hatte sich im Nu das blutigste Gefecht entsponnen. Der große Haufe der Amazonen fiel über Herakles' Begleiter her; auf ihn selbst aber zielten die edleren Weiber, die schon in andern Schlachten rühmliche Siege über Männer davon getragen hatten. Aber mit hoch geschwungener Keule jagte er sie bald auf dem weiten Blachfelde umher, und indem er hier und da eine ereilte und zu Boden schlug, vermied er zu gleicher Zeit die Geschosse der Entfernteren oder fing sie mit seinem trefflichen Schilde auf. Aëlla selbst, die »sturmfüßige« geheißen, entging dem Verderben nicht. Herakles war schneller als diese Tochter des Windes und schlug sie nieder. Nicht anders erging es der Prothoë, die sich rühmte sieben herausgeforderte Gegner erlegt zu haben. Jetzt deckte sie vergebens ihren Kopf mit dem ehernen Schilde, denn die fürchterliche Keule zerschmetterte Schild und Kopf zugleich. Keläno, Phöbe, Eurybia, die unerschrockensten unter allen, stellten sich umsonst zusammen und schossen umsonst ihre Pfeile zugleich ab. Alle drei Pfeile hafteten in Herakles' Schilde, aber ehe die Weiber neue auflegen konnten, folgte der Schreckliche ihnen schon auf dem Fuße, rannte sie alle drei zugleich nieder und tötete dann eine nach der andern. Vergebens, daß die übrigen nun nach der Stadt flüchteten; denn auch dahin drang jener mit seinen Gefährten, zündete ihre Häuser an und zerstreute das ganze Völkchen. Mehrere nahm er gefangen, um sie als Sklavinnen fortzuschleppen. Unter diesen war auch die Königin Hippolyte und eine andere vorzüglich schöne Fürstin Namens Antiope. Doch schenkte er die letztere seinem Gefährten Theseus; jene aber gab er wieder frei, sobald er ihren Gürtel erhalten hatte.

Auf seinem Rückzuge landete er auch bei Troja, das damals von Laomedon, Priamos' Vater, beherrscht war. Dieser, als ein treuloser und geiziger Mann bekannt, hatte soeben durch eine Unredlichkeit sein ganzes Land in großes Elend gestürzt. Bis zu seiner Regierung hatte die Stadt, obgleich groß und volkreich, noch schutzlos und ohne Mauern da gestanden. Da, erzählt die Sage, nahmen sich einst Poseidon und Apollon vor, diesen Mann auf die Probe zu stellen. Sie gingen verkleidet als fremde Männer zu ihm, gaben sich für Bauleute aus und erboten sich, ihm eine hohe, unbezwingliche Mauer um die Stadt zu bauen. Er ging gern auf den Vorschlag ein, ward über den Lohn der Arbeit mit ihnen einig, und sie griffen sogleich das Werk mit Eifer an. Fest und sicher stieg die Mauer empor, und endlich stand sie zur Freude aller Trojaner vollendet da. Da gingen die beiden Männer zum Könige und verlangten den bedungenen Lohn, aber Laomedon wollte von keinem Lohne wissen. Sie zürnten, er lachte; sie drohten, er trotzte auf seine Macht; da schwiegen sie und gingen zur Stadt hinaus. Darauf verheerte eine verderbliche Pest die ganze Stadt: das kam vom Apollon; Poseidon aber sandte den Troern eine Überschwemmung, die alle ihre Saaten zerstörte, und ein grimmes Seeungeheuer, das die am Ufer Vorübergehenden angriff und sie lebendig verschlang. In solcher Not ließ der bedrängte König durch die Priester das Orakel befragen. Dieses gab ihm die Antwort: zwei Götter seien schwer von ihm beleidigt; und er werde sie anders nicht versöhnen, als wenn er seine Tochter dem Ungeheuer freiwillig zum Fraß gäbe. Die unglückliche Hesione ward hierauf mit Händen und Füßen an einen Felsen geschmiedet, der dem Meere zunächst lag, und ihrer entsetzlichen Todesangst überlassen.

An dem nämlichen Tage geschah es, daß Herakles bei Troja landete. Er sah das jammernde Mädchen, fragte nach ihrem Schicksal und faßte auf der Stelle den Entschluß sie zu retten. Er sprach mit dem Könige, erbot sich mit Gefahr seines Lebens das Untier am Ufer zu erwarten und, wenn es erscheine, den Kampf mit ihm zu versuchen. »Aber«, setzte er hinzu, »verlange dies Opfer nicht umsonst! Erlege ich das Ungeheuer, so sei mein Siegespreis jenes Zwiegespann unsterblicher Rosse, das Zeus einst deinem Ahnherrn Tros für den durch den Adler geraubten Ganymedes geschenkt hat.« »Wohl«, sprach Laomedon, »tötest du das Tier, so sind die Rosse dein!«

»Unsterbliche Pferde?« fragte Anton.

»Ja«, antwortete der Lehrer. »Sie gehören mit zu den Schöpfungen des Mythus, der auch das Tierreich so gern in seine Kreise zog. Feuerschnaubende Stiere, vielhäuptige Drachen und Schlangen, redende Vögel, Hirsche mit goldenen Hörnern und nun gar unsterbliche Pferde, Auch die mittelalterlichen Sagen erzählen von dem berühmten Rosse Bayard, das, von Schlangen gefüttert, mit mehr als menschlichem Verstand, aber nicht mit dem Vermögen der Sprache begabt war. Bei dem Kampfe mit Malagis zeigte es Thränen in den Augen, ehe es sich ergab. mit denen sich reden läßt wie mit vernünftigen Menschen: das alles war dem Glauben und Dichten jener Zeiten nicht zu kühn. Die Sage übrigens, auf die hier angespielt wird, ist folgende: Tros, ein uralter König von Troja, hatte einen Sohn, Namens Ganymedes, der der schönste Knabe auf Erden war. Zeus sah ihn, ward entzückt von dem unvergleichlichen Bau der Glieder und dem blühenden, freundlichen Antlitz, und nur das eine bekümmerte ihn, daß dieser Knabe altern und seine Schönheit einmal verlieren sollte. Daher beschloß er ihn lebend von der Erde wegzunehmen und ihm im Olymp ewige Jugend gleich den Göttern zu schenken. Er sandte seinen Adler, als der Knabe eben auf dem Ida bei seiner Herde eingeschlafen war; der mußte ihn sanft ergreifen und in seinen Klauen durch die Lüfte tragen. Aber Vater und Mutter des Geraubten und alle Trojaner trugen Leid; denn alle hatten Ganymedes geliebt. Da empfand Zeus Mitleid mit den Wehklagenden, und wie um sie zu trösten, erfolgte nun das oben erwähnte Geschenk. Ganymedes aber lebte im Olymp in immer heiterer Jugend, und sein Geschäft war, dem Vater der Götter, abwechselnd mit der gleichfalls ewig jungen Hebe, den Becher mit Nektar zu füllen.«

»Und wie wurde es mit dem Ungeheuer?«

Es schoß in demselben Augenblicke aus den Wellen empor, als Herakles wieder am Ufer anlangte. Eben im Begriff auf das gefesselte Mädchen loszustürzen, empfing es einen Schlag von Herakles' Keule, so daß es zurück taumelte. Darauf ergriff der Held einen Spieß und rannte ihm denselben mit solcher Heftigkeit in den weitaufschnappenden Rachen, daß ein dicker Strom schwarzen Blutes hervorbrach, und dann stieg er selbst in den Schlund des Ungetüms hinab, zerschnitt ihm alle Eingeweide und arbeitete sich endlich wieder heraus. Das Jubelgeschrei des ganzen Volkes begleitete diese kühne That. Hesione ward von ihren Fesseln gelöst und fiel dem Retter zu Füßen, der allen weiteren Dank, außer den versprochenen Pferden, ablehnte. Aber der geizige Laomedon zeigte sich jetzt ebenso treulos, wie früher in dem ganz ähnlichen Falle gegen die beiden Götter. Nachdem ihm einmal die verlangte Hilfe gewährt war, glaubte er nicht mehr nötig zu haben sich eines wertvollen Kleinods zu berauben, nur um sein Wort zu halten. Zudem schien es ihm sehr leicht die Arglosigkeit des Herakles durch eine List zu täuschen. Er schob also ein Paar gewöhnlicher Pferde unter, und als dennoch Herakles den Betrug erkannte und alles Leugnen nichts mehr half, behauptete er plötzlich mit unerhörter Frechheit, bei seinem Versprechen jene unsterblichen Pferde gar nicht im Sinne gehabt zu haben. Schon fuhr dem Helden unwillkürlich der Arm nach der furchtbaren Waffe, und sicher hätte er den Unverschämten auf der Stelle bestraft, wäre nicht die Stadt so ungemein volkreich und seine eigene Begleitung so unbedeutend gewesen. Zürnend ging er von dannen, indem er drohte zurückzukehren und kein Haus in Troja stehen zu lassen. Laomedes lachte und behielt seine Pferde. Herakles aber schiffte sich nach Mykenä ein, um der Admete den Gürtel der Amazonenkönigin zu bringen. Sie nahm ihn gleichgültig an; daß dieser Gegenstand einer leicht aufwallenden Weiberlaune so viel Mühe, Gefahren und Menschenblut gekostet habe, schien sie wenig zu rühren.

Die nächste Reise, welche Herakles auf Eurystheus' Befehl antrat, führte ihn auf ganz entgegengesetzten Pfaden nach der fruchtbaren Insel Erytheia. Sie war nahe am Okeanosstrome gelegen, und dies heißt bei den damaligen Menschen so viel als am Ende der Welt. Denn ihr werdet euch dessen wohl noch erinnern, was ich euch sonst schon über die Vorstellungen des homerischen Zeitalters von der Gestalt der Erde gesagt habe. Man dachte sich nämlich dieselbe wie eine Scheibe, um die ringsher der mächtige Okeanos ströme. Er machte somit gleichsam den Rand des Tellers aus. Daß man von den Bewohnern einer so entfernten Insel allerlei Seltsames gefabelt haben werde, begreift sich wohl. Der Beherrscher des Eilandes hieß Gernones, ein Sohn des Chrysaor (Goldschwerts) und der Kallirrhoë (der Schönfließenden), einer Tochter des Okeanos. Er hatte drei Köpfe, drei Leiber, sechs Arme und sechs Füße, und selbst Orthros, der Hund seines Hirten, des Riesen Eurytion, war zweiköpfig. Dieser Hirte weidete täglich des Geryones Herden, lauter große braunrote Rinder, die schönsten, die man sehen konnte. Sie zu entführen war diesmal die Aufgabe, und Herakles unterzog sich derselben mit seinem gewohnten Gehorsam.

Er nahm seinen Weg durch Libyen.

» Libyen? Wo liegt das?«

Es ist der älteste Name von Afrika, oder vielmehr von dem, außer Ägypten, damals bekannten nördlichen Küstenstriche dieses Weltteils. Der Held durchwanderte die heißen Sandwüsten der heutigen Berberei, bis er an den Felsen Kalpe kam und hier die Küste von Spanien ganz nahe vor sich erblickte. Hier war es nun auch, wo er angeblich, als ruhmwürdige Zeugen seiner kühnen Fahrt, die beiden Felsen an der Meerenge von Gibraltar aufgerichtet haben soll, die man im ganzen Altertums nach ihm die Säulen des Herakles genannt hat. Als er sich auf seiner Wanderung eines Tages durch die Strahlen des Sonnengottes schwer belästigt fühlte, legte er ohne Zaudern seinen Bogen gegen denselben an und sandte einen Pfeil ab. Helios, weit entfernt zu zürnen, bewunderte einen Mut, der selbst Göttern zu trotzen wagte, und lieh dem Helden jenen goldenen Nachen, in welchem er selbst allnächtlich vom Lande des Niedergangs zu dem des Aufgangs zurück segelte. So setzte Herakles über das Meer. Aber kaum war er auf der Insel Erytheia gelandet, so begannen schon die Kämpfe und Gefahren. Zuerst ersah ihn der doppelköpfige Hund Eurytions und wollte ihm mit grimmigem Gebell den Zutritt verwehren. Herakles schlug ihn samt dem Hirten mit seiner Keule tot und entführte die Rinder. Aber Geryones eilte ihm nach. Es kam zwischen beiden zu einem hitzigen Kampfe, in welchem nicht nur Geryones erschlagen, sondern selbst die zu seinem Beistande herbeigeeilte Here in der Brust verwundet wurde. Herakles ruderte nun erst nach Tartessos, einer uralten Küstenstadt des südlichen Spaniens. Dann kam er nach Sizilien und Italien, um auch hier noch manchen Kampf zu bestehen. So besonders mit dem großen Riesen Kakus, der Feuer aus seinem Rachen spie. Dieser hatte dem Herakles acht seiner Rinder geraubt, und um jede Spur des Diebstahls zu verbergen, dieselben an den Schwänzen rückwärts in seine Höhle gezogen. Aber dennoch entdeckte der Held durch List den Raub. Er trieb nämlich die ihm gebliebenen Stiere an dem Felsengeklüft vorüber, und als nun dieselben, die Nähe der gefangenen witternd, ein Gebrüll erhoben, erschollen alsbald auch die Stimmen der letzteren aus ihrem Versteck, und nun beschloß Herakles das Geraubte mit Gewalt zurückzufordern. Es entspann sich ein langer, heftiger Kampf, indem der feuerspeiende Riese den Eingang zu der Höhle verwehrte; dennoch drang Herakles durch und würgte den Kakus, den er tot aus seinem Schlupfwinkel hervorzog. Darauf setzte er die Reise zu Lande längs der Küste des adriatischen Meeres fort, von Illyrien durch Thrakien nach des Eurystheus Heimat. Und als ob es nicht schon eine bewundernswürdige Arbeit für einen einzigen Mann gewesen wäre, eine Herde wilder Stiere durch so viele fremde und unwegsame Länder, durch Flüsse, Seeen und Meerengen hindurch von Gibraltar bis nach Mykenä zu treiben, setzt die sich überbietende Sage gar noch hinzu, die ganze Herde sei ihm in Makedonien und Thrakien toll geworden, aber dennoch habe er sie glücklich so gebändigt, daß sie zuletzt alle bei dem Eurystheus angekommen und dort der Here geopfert worden seien.

Mit dieser Fahrt nach dem fernen Westen wäre nun eigentlich Herakles aller ferneren Dienstpflicht gegen den Eurystheus erledigt gewesen. Denn nicht bloß, daß die ihm zugemessene Zeit verflossen war, sondern er hatte auch die ursprünglich auf zehn festgesetzte Zahl der ihm zu übertragenden Arbeiten erreicht. Aber der eigenwillige Eurystheus beruhigte sich dennoch nicht.

»Hattest du«, sagte er ihm, »die Hydra von Lerna nicht mit Hilfe des Iolaos besiegt und die Ställe des Augeias nicht für Lohn gereinigt, so möchte es darum sein. So aber kann ich dir diese Arbeiten unmöglich anrechnen, und du mußt mir an ihrer Stelle noch zwei andere und zwar ganz allein verrichten.«

»Nun, so laß hören!« rief Herakles.

»Wohl!« sprach Eurystheus. »Es ist eine Kunde zu mir gekommen von den goldenen Äpfeln der Hesperiden. Here soll dieselben dem Zeus bei der Hochzeit nach altem Brauch als Liebesgabe dargeboten haben. Nun aber hütet ein Drache mit hundert Köpfen den Eingang zu dem Garten, in welchem diese wunderbaren Äpfel wachsen, und da du schon so manches Untier getötet hast, so gehe hin und erlege auch dieses und bringe mir die Äpfel.«

»Aber wo wohnen die Hesperiden?«

»Sie aufzufinden ist deine Sache und mag mit zur Aufgabe gehören.«

Ihr seht, das war eine üble Lage für unsern Helden, Bisher hatte er doch immer noch gewußt, wohin; aber diesmal war er unschlüssig, ob er zu Wasser oder zu Lande reisen, nach Süden oder nach Norden ziehen solle. Vorläufig überließ er sich dem blinden Zufall und wandte sich zunächst nach Thrakien und Illyrien. Aber schon in Thessalien gab es Arbeit für den Herakles. Denn hier sperrte ihm den Weg der Räuber Termeros. Das war ein gewaltiger hartköpfiger Gesell, der jedem ihm Begegnenden mit seiner Stirn den Schädel einrannte. Doch an Herakles' Stärke zerschellte endlich selbst das plumpe Haupt des Unholds. Nicht lange darauf kam ihm auf demselben Wege Kyknos entgegen, ein Sohn des Ares und der Pyrene, und diesen beschloß er zu fragen. Jedoch der Sohn der Kriegsgöttin antwortete mit einem Faustschlage, der den Herakles, wenn er nicht ausgewichen wäre, vielleicht für immer stumm gemacht hätte. Auch hier kam es sofort zum Kampfe, und auch hier ging Herakles als Sieger hervor; da erschien Ares selbst, um den Tod seines Sohnes zu rächen, und wer weiß, welches das Ende dieses gefährlichsten aller Kämpfe gewesen wäre, wenn nicht Zeus die beiden Ringer durch einen plötzlich zwischen sie geworfenen Blitzstrahl getrennt hätte.

Herakles ging sinnend weiter und fragte manchen Vorübergehenden, aber niemand konnte ihm den Weg zu den hesperidischen Gärten zeigen. So kam er durch Illyrien (einen Teil des heutigen Königreichs Ungarn) und endlich an den Eridanus. Dieser Name, mit dem später, wie schon erwähnt, der Po benannt wurde, bezeichnet hier nur einen fabelhaften Strom. Nicht also an den Po, sondern an jenen Eridanus der Sage kam Herakles und suchte die freundlichen Nymphen auf, welche das Ufer des Flusses bewohnten. Diese Töchter des Zeus und der Themis hatten von ihrer Mutter die Gabe der Weissagung geerbt, und daher legte ihnen Herakles die Frage nach den gesuchten Wundergärten vor; allein auch sie bekannten ihm ihre Unwissenheit. Nereus aber, meinten sie, ein alter Flußgott, der in der Nähe seine Höhle habe, wisse alles, was gegenwärtig, vergangen und zukünftig sei. Wenn er diesen überrasche und binde, so werde er alles erfahren.

»Ihr seht, dieses Märchen ist dem andern von dem ägyptischen Flußgott Proteus nachgebildet, der auch erst geknebelt sein wollte, ehe er zum Weissagen zu bringen war.«

Herakles suchte nun den schlafenden Nereus auf und verfuhr gerade so mit diesem wie Menelaos mit jenem. Dennoch vernahm er von ihm noch nicht, was er wissen wollte, sondern erhielt bloß die Weisung zum Prometheus zu gehen, der werde ihm Auskunft geben können.

Prometheus lag noch immer am Kaukasus angeschmiedet, und noch täglich wühlte ihm der gierige Aar in seiner Leber. Durch Herakles war ihm jedoch vom Schicksal Erlösung zugedacht. Daher mußte der Held jetzt die weite Reise machen, um jenen Schicksalsbeschluß zu erfüllen. Auf mühevollen Pfaden zog er durch die makedonischen und thrakischen Wälder und Gebirge, setzte über den Bosporos und durchwanderte dann, mit Keule und Bogen gewaffnet, dieselben wilden Küsten Kleinasiens, an denen er vormals mit seinem Schiffe entlang gefahren war. Er hielt sich nirgends auf, nur daß er bei einigen Gastfreunden übernachtete. Unfern des Kaukasus sah er einen Adler über sich hinfliegen. Es war des Prometheus Adler, der eben von dort herkam. Herakles spannte den Bogen und legte einen seiner niemals fehlenden Pfeile darauf. Durchbohrt fiel der mächtige Vogel herunter, und in demselben Augenblicke ertönte ein Freudengeschrei aus dem fernen Felsen hervor. Der Held ging der Stimme nach und fand den unglücklichen Göttersohn in seinen Qualen an der brennenden Felsenwand. »Freue dich, du Göttlicher!« rief er ihm entgegen. »Die Stunde deiner Erlösung ist gekommen! Der Adler liegt in seinem Blute, und jetzt sollen auch diese Bande fallen.« Er riß hierauf ein Eisen nach dem andern mit starker Hand heraus und hob zuletzt den Entfesselten sanft herunter.

Dieser stand sprachlos staunend da, schlug einen Blick zum Himmel auf und versuchte dann seine Glieder, ob ihnen noch Regung und Leben innewohne wie einst. Herakles bat den Befreiten, ihm statt alles andern Dankes eine sichere Kunde von den Gärten der Hesperiden zu geben. Hierauf wies Prometheus denselben nach dem westlichen Ende Afrikas hin; dort am Fuße eines Berges, wo der Riese Atlas das Himmelsgewölbe trage, werde er die goldenen Äpfel finden. Die Töchter des Hesperos seien von der Here zu Hüterinnen derselben gesetzt, und unter dem Laubdache des wunderbaren Fruchtbaumes hause ein Drache. Doch zeigte Prometheus zugleich die Kunstgriffe, durch welche der Drache überwunden werden könne, und verkündigte kraft seiner göttlichen Sehergabe dem Herakles einen vollkommenen glücklichen Ausgang.

Beide schieden freudig und dankbar. Prometheus, nun mit Zeus versöhnt, ward zum Olymp emporgehoben, wo er seiner Unsterblichkeit wieder froh ward; Herakles aber durchstreifte Asien, bis er über die Erdenge bei Suez nach Ägypten gelangte. Hier war ihm einmal wieder eine Handlung der Gerechtigkeit aufbehalten. Busiris, der damalige König des Landes, hatte einem Seherspruche zufolge geboten, daß alle Fremde, die sich innerhalb seiner Grenzen betreten ließen, den Göttern geopfert würden.

Auch Herakles ward ergriffen und in Fesseln vor den König gebracht, um in dessen Gegenwart den Tod zu erleiden. Schon war alles zum Opfer bereit, aber plötzlich zerriß er seine Bande, wie morschen Bast, ergriff die nächste Waffe und erschlug damit in demselben Augenblick den König, des Königs Sohn und den Herold, der das Opfermesser gegen seinen Nacken geschwungen hatte. Einer der königlichen Knechte hatte ihm Bogen, Köcher und Keule nachgetragen, und so kam Herakles wieder in Besitz seiner alten Waffen und eilte raschen Laufs von dannen, ehe seine That ruchbar ward.


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