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In einem Winkel von Arragon lebte gegen das Jahr 1300 auf seiner weltabgeschiedenen Burg ein berühmter Ritter, namens Don Dionys, der, nachdem er dem Könige im Kriege gegen die Ungläubigen gedient hatte, jetzt von den harten Mühsalen der Schlachten rastete und sich dem fröhlichen Vergnügen des edlen Waidwerkes hingab.
Eines Tages geschah es, daß dieser Ritter, ganz von seiner Lieblingsbeschäftigung eingenommen, in Begleitung seiner Tochter, der die seltene und außergewöhnliche Weiße den Namen ›Lilie‹ eingetragen hatte, daß er also des weitvorgerückten Tages nicht achtend und vertieft in die Verfolgung des Wildes auf den Bergen seines Gebietes sich während der Rast in einem Waldtale aufhielt, durch das ein Bächlein rieselte und mit leisem, lieblichen Geräusch von Stein zu Stein hüpfte.
Es mochte schon an zwei Stunden sein, seit Don Dionys an diesem entzückenden Orte weilte, lang ausgestreckt auf dem weichen Rasen, im Schatten einer Schwarz-Erle, mit seinen Jagdgenossen von alltäglichen Dingen freundlich plaudernd. Eben unterhielten sie sich über verschiedene, mehr oder minder merkwürdige Begebnisse aus dem Jägerleben, als von der Höhe des sehr steilen Bergabhanges, abwechselnd mit dem Windesbrausen, das durch die Blätter der Bäume strich, Schellengeläute erklang und immer näher und näher kam. ...
Eine kleine Weile darauf, nachdem man dieses Geklingel gehört hatte, begann durch das dichte Brombeergestrüpp und die Thymian- und Lavendelstauden ein Trupp Schafe zum jenseitigen Ufer des Baches herabzuspringen; es mochten deren etwa hundert sein, weiß wie Schnee, hinter denen, den Hut tief in die Stirn gedrückt, um die Augen vor den senkrecht fallenden Sonnenstrahlen zu schützen, und den Rock auf der Schulter an der Spitze des langen Steckens tragend, der Hirt erschien, der die Herde betreute.
»Just zur rechten Zeit für die sonderbaren Vorkommnisse!« rief ihn erblickend ein Waidgesell des Don Dionys, indem er sich zu seinem Herrn wendete, »hier habt Ihr den Hirten Esteban, der, was diese Sache betrifft, seit einiger Zeit noch viel dümmer ist, als ihn Gott von Natur aus gemacht hat, was viel besagen will. Der könnte Euch eine angenehme Unterhaltung bieten, wenn er von der Ursache seiner ewigen Bedrängnisse erzählen würde.«
»Und was ist's mit diesem armen Teufel?« frug Don Dionys im Ton erweckter Neugier.
»Eine Kleinigkeit!« erwiderte der Jäger scherzend, »es ist sicher, daß der Kerl zaubern kann, obgleich er weder an einem Charfreitag geboren, noch mit einem Mal gezeichnet ist, auch nicht in Verbindung mit dem Teufel steht, wie sich aus seinem Benehmen urteilen läßt, das einen wahren Christen verrät. Ohne daß er weiß warum, wohnt ihm eine Zaubermacht inne, wie sie noch kein Mensch besessen hat, ausgenommen Salomon, von dem man berichtet, daß er sogar die Vogelsprache verstanden habe.«
»Und worin besteht diese Zaubermacht?« ...
»Nach dem, was er behauptet,« fuhr der Jäger fort, »und er schwört darauf und beteuert es beim Heiligsten der Welt, besteht sie darin, daß er gesehen habe, wie die Hirsche, die hier auf den Bergen herumlaufen, einander mit den Augen Zeichen gegeben hätten, ihn nicht in Ruhe zu lassen und – das ist das Drolligste daran! – daß er sie mehr als einmal überrascht habe, als sie unter sich Späße verabredet, die sie sich mit ihm machen würden, und nachdem sie den Jux vollführt, hörte er, wie sie vor Freude laut gelacht hätten.«
Während der Jäger dies erzählte, näherte sich Don Dionys' schöne Tochter Konstanze den Jägern, und einer von ihnen, als ob er seine Neugier, Estebans merkwürdige Geschichte zu erfahren, zeigen wolle, eilte dahin, wo der Hirt seine Herde tränkte und führte ihn zu seinem Herrn, der, um die Verwirrung und offenbare Verzagtheit des armen Burschen zu vertreiben, ihn begrüßte, indem er ihn beim Namen nannte und seinen Gruß mit gutmütigem Lächeln begleitete. ...
Esteban war ein stämmiger Bursch von etwa neunzehn oder zwanzig Jahren, mit einem kleinen, in die Schultern gedrückten Kopf, kleinen, blauen Augen, von Ansehen furchtsam und verschlafen, wie hellwimprige Menschen zu sein pflegen, stumpfnasig, mit dicken halbgeöffneten Lippen, niedriger Stirn und weißem, aber von der Sonne schon angesengtem Gesicht. Seine Haare, die ihm zum Teil bis in die Augen herabfielen, zum Teil das Antlitz umrahmten, waren kraus und rot, ähnlich der Mähne eines Rotrosses.
Das war so beiläufig Esteban, was das Äußere anbelangt. Seine geistigen Zähigkeiten betreffend, durfte er sicher sein, wegen seiner etwaigen Lügen weder von Don Dionys gestraft zu werden, noch überhaupt von jemand, der ihn kannte, war er doch ein vollständiger Dummkopf, wenn auch etwas argwöhnisch und böswillig.
Um den Hirten ein für allemal von seiner Verwirrung zu befreien, sprach ihn Don Dionys von neuem an und mit einem so ernsten Ton, als es überhaupt möglich war und ein ungewöhnliches Interesse an der Bekanntschaft mit den Einzelheiten jenes Abenteuers vorschützend, dessen der Jäger erwähnt hatte, überschüttete er ihn mit einer Menge von Fragen, worauf Esteban ausweichend zu antworten anfing, als wolle er ein Gespräch über diesen Gegenstand vermeiden.
Aber in die Enge getrieben durch die Fragen des Herrn und die Bitten Konstanzes, die übermäßig begierig zu sein schien, daß der Hirt seine seltsamen Erlebnisse erzähle, entschloß er sich endlich zu reden; zuvor aber sah er mißtrauisch um sich, als fürchte er noch von anderen, als den Anwesenden gehört zu werden, und sich drei oder viermal in den Haaren kratzend, wie wenn er seine Erinnerungen sammeln oder das Ganze nur oberflächlich abtun wollte, begann er also:
»Das ist sicher, Herr, daß, wie es mir ein geistlicher Herr aus Tarazona gesagt hat, bei dem ich vor kurzem war, um mich mit ihm in meinen Zweifeln zu beraten, daß es mit dem Teufel nicht gut Kirschen essen ist ... sondern daß es besser ist, fein still zu sein und hübsch viele Gebete zum heiligen Bartholomäus zu beten, der am besten weiß, wo der Satan kitzlig ist, und weiter zu gehn, denn der gerechte Gott dort droben kümmert sich um alles!
Bestärkt in diesem Gedanken habe ich mir vorgenommen, niemand – auch nicht um ein Schloß! – von dieser Sache ein Wort zu sagen; aber heute tu ich's, um Eure Neugier zu stillen, und meiner Treu! ich werde, wenn der Teufel käme, um mich zur Strafe für meine Schwatzhaftigkeit zu quälen, das heilige Evangelium in meiner Wolldecke eingenäht tragen, und mit dessen Hilfe, denke ich, wird mich auch wie sonst der Knüppel nicht im Stich lassen!«
»Nun weiter, weiter!« rief Don Dionys, mit Ungeduld diese Abschweifung des Hirten hörend, welche nicht zu enden drohte. »Laß diese Umwege und gehe geradewegs zum Ziel!«
»Das tu ich ja!« entgegnete Esteban ruhig und brüllte laut auf, sein Brüllen mit einem Pfiff begleitend, worauf die Schafe, die er nicht aus den Augen ließ und die schon auf dem Bergabhang auseinander zu laufen begannen, wieder zusammentrotteten, dann kratzte er sich abermals in den Haaren und fuhr fort:
»Zum Teil lassen Eure ewigen Jagden, zum Teil dann auch die Raubschützen, sei es nun durch Fallen oder durch den Wurfspieß, auf gut zwanzig Meilen in der Runde kein Wild am Leben; sie rotten in nicht zu langer Zeit alles Wildzeug in diesen Bergen mit Stumpf und Stiel aus, so daß man zuletzt hier auch nicht ein einziges Edelwild treffen wird, nicht einmal für ein Auge aus dem Kopf! Ich sprach just davon im Dorf, vor der Kirche sitzend als die Sonntagsmesse beendet war, wo ich mit einigen Arbeitern zusammenkam, welche Erde in Veratón graben und einer von ihnen sagte zu mir:
»Wahrlich lieber Junge, ich weiß nicht wie es kommt, daß du kein Edelwild siehst, aber wir können dir versichern, daß wir nicht ein einziges Mal aufs Feld kommen, ohne Spuren zu finden, und vor drei oder vier Tagen sind wir gar nicht weit gegangen und fanden Spuren von einer ganzen Herde und deren konnten, nach den Fährten zu schließen, gegen zwanzig sein ... Vor kurzer Zeit haben sie ein ganzes Stück Feld abgegrast dem, der Gaben einsammelt für die heilige Mutter Gottes von Romeral.«
»Und bis wohin gingen diese Fährten?« frug ich die Arbeiter, um zu erfahren, ob ich das Wild beisammen fände.
»Bis ins Tal, wo die Brombeeren wachsen,« entgegneten sie.
Ich steckte die Nachricht in keinen löchrigen Sack, und schon in derselben Nacht stand ich hier zwischen den Erlen. Während der ganzen Nacht hörte ich auf allen Seiten, bald da, bald dort, fern und nah die Hirsche schreien, wie einer den andern rief, und auf einmal fühlte ich, daß sich knapp hinter meinem Rücken ein Geweih bewegte. Aber obgleich ich ganz Auge war, erblickte ich dennoch nichts.
Jedoch, als es Tag geworden war und ich die Schafe zum Wasser hier ans Bachufer trieb ... von dem Orte, wo wir just sind, etwa zwei Schleudersteine weit, erblickte ich im Schatten der Erlen, wohin nicht einmal mittags ein Sonnenstrahl dringt, frische Hirschfährten, ein paar abgerissene Zweiglein, den Quell etwas getrübt und – was dabei das merkwürdigste ist ... es waren dort zwischen den Spuren dieser Tiere auch kurze Stapfen außerordentlich kleiner Füßchen, so groß etwa wie – ich übertreibe nicht! – die Hälfte meiner Handfläche!«
Dies sprechend blickte er instinktmäßig um sich, als ob er etwas suche, womit er die Stapfen vergleichen könnte, bis sein Auge auf Konstanzes Füßen haften blieb, die in kostbare Schühlein aus gelbem Saffian gekleidet, unter dem Seidengewande hervorsahen. Aber mit den Blicken Estebans fielen gleichzeitig auch die des Don Dionys und der übrigen Jäger, die den Erzähler umringten, auf ihre Füßchen, und das schöne Mädchen rief, indem sie ihre Füße rasch versteckte, mit wunderlieblicher Stimme:
»Oh nein! leider habe ich nicht so kleine Füße, denn die sind bloß bei den Feien zu finden, von denen uns die Dichter erzählen!«
»Dabei blieb es aber nicht,« fuhr der Hirt fort, als Konstanze schwieg, »jedoch zum zweiten Male verbarg ich mich in einem anderen Schlupfe, wo die Hirsche sicherlich vorüber mußten, wenn sie ins Tal wollten, dort – so etwa gegen Mitternacht – überraschte mich auf ein Weilchen der Schlaf, obgleich nicht so tief, daß ich nicht die Augen aufgemacht hätte, just im Augenblick, als ich in meiner Umgebung ein Knistern der Zweige zu hören glaubte.
Wie gesagt, ich machte die Augen auf, erhob mich mit größter Vorsicht und aufmerksam jenem verworrenen Geräusch lauschend, das immer näher und näher kam, hörte ich im Windeswehn etwas wie Rufen und wunderseltsamen Gesang, dann Lachen und drei oder vier verschiedene Stimmen, die miteinander redeten und das mit solchem Geplapper und Geplantsch, wie wenn die Mädchen aus dem Dorfe, die Krüge auf den Köpfen, lachend und lärmend in Haufen zum Quell vorübertrotten. ...
Wie ich aus der Nähe der Stimmen und dem Geknister der Zweige schloß, die unter den Füßen dieses zungenfertigen Trupps knatternd zerbrachen, gingen sie mitten durch das Dickicht zu einem versteckten Winkel, den der Berg dort, wo ich grade verborgen stand, bildet ... und da – hinter meinem Rücken, ganz nahe, so weit wie von mir zu Euch, hörte ich ein neues Stimmchen, gar fein und glockenhell, – das da sagte ... und glaubt mir, ihr Herrn, bei meiner Seele! das ist so sicher, als ich sterben werde ... das da laut und verständlich diese selben Worte sagte:
»Nur herzu, nur herzu, Gefährtinnen! Es ist bloß der dumme Esteban!«
Als der Hirt mit der Erzählung soweit gekommen war, konnten sich die Umstehenden des Lachens nicht länger enthalten, das ihnen schon lange in den Augen kribbelte, und ihrer guten Laune den Zügel schießen lassend, brachen sie in lärmendes Gelächter aus.
Der erste, der zu lachen anfing und der letzte, der aufhörte, war Don Dionys, der trotz seiner angenommenen Bedachtsamkeit doch nicht umhin konnte, an der allgemeinen Lustigkeit teilzunehmen, und seine Tochter Konstanze, die immer, sobald sie den verwirrten und verlegenen Esteban ansah, wie närrisch zu kichern begann, bis ihr die Augen übergingen.
Was den Hirten betrifft, so stand er, obgleich er den Eindruck, den seine Erzählung erweckt hatte, nicht viel beachtete, denn doch ganz verdonnert und unruhig da, und während die Hörer nach Lust seine Kindlichkeit belachten, sah er mit offenbaren Anzeichen von Furcht von einer Seite zur andern und als ob er jemanden zwischen den verborgenen Baumstämmen suchen würde.
»Was ist das, Esteban, was ist dir geschehn?« frug ihn einer der Jäger, die wachsende Unruhe des armen Teufels bemerkend, der seine entsetzten Blicke bald auf die allerliebste Tochter des Don Dionys heftete, bald wieder mit dem Ausdruck der Angst und des Schreckens um sich sah.
»Etwas Außergewöhnliches ist mir widerfahren,« rief Esteban. »Als ich die Worte, die ich eben erzählt habe, hörte, wandte ich mich schnell um, damit ich die Person, die sie gesprochen, überraschen könnte – und ein weißes Reh, ... weiß wie Schnee, sprang gerade aus dem Gesträuch, in dem ich versteckt war, und nach einigen großen Sprüngen zum Hügel, wo Steineichen und Mastixe stehn, entfernte es sich, gefolgt von einem Trupp Rehe von ganz gewöhnlicher Farbe, und auch diese, wie das weiße, das ihnen vorantrabte, fingen im Laufen nicht zu schreien an, sondern – zu lachen, mit solchem Gekicher, daß dessen Echo, ich möchte darauf schwören, mir heute noch in den Ohren klingt.«
»Bah! ... Bah! ... Esteban!« rief Don Dionys spöttischen Tones, »folge dem Rate des geistlichen Herrn von Tarazon! Sprich von deiner Begegnung mit den Rehen nicht vor Freunden guter Laune, damit sich der Teufel nicht irgendwie hineinmische, ... und du am Ende nicht das bißchen Verstand verlierst, das dir noch übriggeblieben ist. Du bist schon versorgt mit dem heiligen Evangelium und kennst die Gebete zum heiligen Bartholomäus, ... wende dich also deinen Schafen zu, die schon über das Tal auseinanderspringen! Sollten dich die bösen Geister belästigen, so kennst du schon das Mittel: ein Vaterunser und den Knüppel!«
Nachdem der Hirt einen halben Laib Weizenbrot und ein Stück Eberfleisch in seinen Ranzen gepackt und einen ordentlichen Schluck Wein, der ihm auf Befehl des Herrn von einem Diener gegeben worden, zu sich genommen hatte, nahm er Abschied von Don Dionys und dessen Tochter und etwa vier Schritte weitergehend, begann er mit der Schleuder zu drehen und mit Steinwürfen die auseinandergelaufenen Schafe zusammenzutreiben.
Als dann Don Dionys bemerkte, daß inzwischen die schwülen Tagesstunden vorüber waren und das Abendlüftchen die Blätter der Erlen zu bewegen und die Landschaft abzukühlen begann, gab er dem Gefolge den Befehl, die Pferde zu satteln, die entfesselt unweit des Waldes weideten. Und nachdem es geschehen war, gab er den einen das Zeichen, die Meute loszukoppeln und den anderen, in die Waldhörner zu stoßen, und im Trab den Schatten der Erlenbäume verlassend machte er sich von neuem an die unterbrochene Jagd.
Von den Jägern des Don Dionys hieß einer Garcés, der Sohn eines alten Dieners der Familie, der darum bei seiner Herrschaft sehr beliebt war.
Garcés befand sich in fast gleichem Alter mit Konstanze und schon von zartester Jugend auf gewöhnte er sich, auch ihre geringsten Wünsche zu erfüllen, ja er erriet sozusagen und tat bis ins Kleinste nach allen ihren Launen.
Er schliff in freien Stunden mit eigener Hand die scharfen Pfeile ihres elfenbeinernen Köchers, er zähmte die Füllen, auf denen seine Herrin reiten wollte, er bildete ihre liebsten Hetzrüden in Jägerlisten aus und übte ihre Falken ein, denen er auf dem Markte zu Castilla rote Hauben mit goldenen Bramen gekauft hatte.
Diese erlesene Fürsorge, wie auch die Gunst, die er bei der Herrschaft genoß, erwarb ihm bei den übrigen Jägern, Pagen und niedern Dienstleuten des Don Dionys eine fast allgemeine Mißbilligung und nach der Meinung der Neidischen und Eifersüchtigen zeigte sich in allen Aufmerksamkeiten, womit er den Launen seiner Gebieterin zu willfahren sich bemühte, sein schmeichlerischer und kriechender Charakter. Es fehlten auch nicht solche, die über die Maßen klug und argwöhnisch in dem Eifer des vorsorglichen Jünglings gewisse Anzeichen schlecht verhehlter Liebe zu erblicken glaubten.
Wenn es wirklich so war, fand Garcés verborgene Neigung eine mehr als erklärliche Entschuldigung in Konstanzens unvergleichlicher Schönheit. Er hätte notwendigerweise eine Brust von Stein und ein Herz aus Eis haben müssen, um auf die Dauer gefühllos an der Seite dieses Weibes zu bleiben, das einzig war in ihrer Anmut und ihren seltenen Reizen.
›Die Lilie von Moncayo‹ wurde sie auf zwanzig Meilen im Umkreise genannt und sie verdiente diesen Beinamen, weil sie so zart, so weiß und so goldblond war, als hätte sie Gott, so wie es bei der Lilie zu sein scheint, aus Schnee und Gold erschaffen.
Nichtsdestoweniger flüsterte man unter den benachbarten Herren, das schöne Burgfräulein von Veratón sei nicht so reinen Blutes, als sie schön sei, und habe trotz ihrer goldenen Flechten und ihrer Alabasterhaut eine – Zigeunerin zur Mutter gehabt!
Wie viel wahres an diesem Geflüster war, konnte niemand sagen, aber die Tatsache stand fest, daß Don Dionys in seiner Jugend ein ziemlich unglückliches Leben führte und nachdem er lange Zeit unter dem Könige von Aragon gekämpft hatte, wofür er unter anderen Belohnungen auch mit dem Feudalgut von Moncayo belehnt wurde, nach Palästina ging, woselbst er einige Jahre herumschwärmte, bis er schließlich zurückkehrte, um sich auf seiner Burg Veratón mir seinem kleinen, ohne Zweifel in fernen Ländern geborenen Töchterlein niederzulassen.
Der einzige, der etwas Näheres vom geheimnisvollen Ursprung Konstanzens sagen konnte, weil er Don Dionys auf dessen weiten Fahrten treulich begleitet hatte, war Garcés Vater, aber dieser war schon vor langer Zeit gestorben, ohne darüber ein einziges Wort verlauten zu lassen, selbst nicht einmal seinem eigenen Sohne gegenüber, der ihn oft mit den Anzeichen großen Interesses darüber befrug. ...
Konstanzens Charakter, eben so scheu und melancholisch, als lebhaft und heiter, der eigentümliche Flug ihrer Ideen, ihre ungewöhnlichen Launen, ihre unerhörten Gewohnheiten, bis zur Besonderheit, daß sie nachtschwarze Augen und Augenbrauen hatte, sonst aber weiß und rotblond wie Gold war, alles trug bei, das Geschwätz der Nachbarn zu nähren und selbst Garcés, der so emsig um sie besorgt war, kam zur Überzeugung, seine Herrin sei irgendwie merkwürdiger Natur und nicht so, wie die übrigen Mädchen.
Jetzt, bei Estebans Erzählung, war unter allen Jägern Garcés vielleicht der einzige, der mit aufrichtiger Neugier den Einzelheiten jenes unglaublichen Abenteuers lauschte, und wenn er auch nicht umhin konnte, in das Lachen mit einzustimmen, als der Hirt die Worte des weißen Rehs wiederholte, begann er dennoch, während sie den Wald verließen, in dem sie gerastet, bei sich über die ungereimte Begebenheit nachzugrübeln.
Es kann kein Zweifel sein, daß all das vom Gespräch der Rehe eine bloße Einbildung des Esteban ist, der ja als vollkommener Narr gilt, sagte der junge Jäger zu sich, auf seinem starken Braun im Schritt hinter Konstanzen reitend, die auch sehr zerstreut und nachdenklich zu sein schien und weit hinter den Jägern trabend, keinen Anteil an deren Unterhaltung nahm. ...
Wer aber kann sagen, daß an dem, was dieser Simpel erzählt, nicht doch etwas wahres ist? fuhr der Jüngling in Gedanken fort. Wir haben auf der Welt schon außerordentlich wunderbare Dinge gesehen, und ein weißes Reh könnte auch ganz gut reden, denn, wenn man den Liedern des Volkes glauben darf, besaß der heilige Hubert, der Patron der Hirten ein solches ... Oh, wenn ich eines weißen Rehes habhaft werden könnte, natürlich eines lebendigen, um es meiner Herrin zu schenken! ...
Den in solche Gedanken versunkenen Garcés überfiel der Abend, und als schon die Sonne sich hinter die nachbarlichen Berggipfel niederzusenken begann und Don Dionys seinen Leuten die Rosse gegen die Veste zu wenden befahl, trennte er sich unbemerkt vom Gefolge, und eilte durch Gestrüpp und Bergschluchten, um den Hirten aufzusuchen.
Es war fast vollständig Nacht geworden, da Don Dionys an das Tor seines Heims gelangte. Sogleich wurde das einfache Abendessen angerichtet und Don Dionys setzte sich mit seiner Tochter zu Tisch.
»Und wo ist Garcés?« frug Konstanze, da sie ihren Jäger nicht zugegen sah, damit er sie bediene, wie es seine Gewohnheit war.
»Wir wissen es nicht,« erwiderten die Diener. »Er verlor sich unweit des Tales und wir haben ihn bis jetzt nicht gesehen.«
In diesem Augenblick kam Garcés herbeigerannt, ganz abgejagt und schweißtriefend, aber mit freudigem und über alle Vorstellung zufriedenem Gesicht.
»Verzeiht, Herrin,« rief er zu Konstanze gewendet, »verzeiht, daß ich auf einen Augenblick meiner Pflicht abspenstig geworden bin, aber dort, woher ich komme, so schnell, als es überhaupt zu Pferde möglich ist, war ich gerade wie hier in Eurem Dienste beschäftigt!«
»In meinem Dienste!« erwiderte Konstanze. »Ich begreife nicht, was du damit sagen willst.«
»Ja, Herrin! Um Euch zu dienen,« wiederholte der Jüngling. »Ich habe nämlich geforscht, ob es wahr ist, daß ein weißes Reh existiert. Außer Esteban behaupten es auch viele andere Hirten, die sich verschwören, sie hätten es mehr als einmal gesehen, und mit ihrer Hilfe hoffe ich auf Gott und meinen Patron, den heiligen Hubert, daß ich es, bevor noch drei Tage vergehen, Euch lebendig oder tot in die Burg bringe.«
»Bah! ... Bah! ...« rief Konstanze spöttisch, und alle, die ringsum standen, stimmten ihren Worten mit mehr oder weniger spöttischem Lachen bei: »Laß ab von der nächtlichen Jagd hinter weißen Rehen und gedenke, daß der Teufel am liebsten die Toren versucht, und wenn du dich verpflichtest ihm auf die Kappen zu gehn, so gib acht, auf daß dich dann nicht alle auslachen, wie den armen Esteban!«
»Oh Herrin!« gab Garcés entschlossen zur Antwort, indem er den Zorn, so weit es ging, unterdrückte, den in ihm die höhnische Freude der Gefährten erweckt hatte, »ich bin noch nie dem Teufel begegnet, und weiß also auch nicht, wie sich's damit verhält! Aber ich schwöre Euch bei meiner Seele, daß es hier ungemein wenig zu lachen gibt und daß ich bloß Euch solch ein Vorrecht einräume.«
Konstanze erkannte den Eindruck, den ihr Spott auf den verliebten Jüngling gemacht hatte. Aber willens, seine Geduld bis zum äußersten zu prüfen, sagte sie im gleichen Tone wie früher:
»Und wenn dich das weiße Reh beim Schusse mit demselben Lachen begrüßt, wie es Esteban gehört hat, oder wenn es dich unter deinen Augen auslacht? Wenn dir bei dem übernatürlichen Kichern der Bogen aus den Händen fällt und das weiße Reh, bevor du dich von deiner Überraschung erholt hast, schon über alle Berge ist –?!«
»O,« rief Garcés, »was dies betrifft, so könnt Ihr sicher sein, daß, wie es mir in die Schußlinie kommt, und wenn es aus mir einen größeren Narren machen würde, als ein Hanswurst selbst, und, wenn es mich nicht spanisch anspräche, sondern auf lateinisch, wie der Herr Abt von Munilla, – daß es dann ohne Pfeil im Leibe nicht entfliehen wird!«
Hier gesellte sich Don Dionys hinzu und mit einem verzweifelten Ernst, in dem sich der Spott malte, begann er dem schon ohnehin erregten Jüngling ungemein eigenartige Ratschläge zu erteilen, für den Fall, daß dieser mit dem Dämon selbst, der sich in ein weißes Reh verwandelt, zusammenträfe. Bei jedem neuen Einfall ihres Vaters heftete Konstanze ihre Augen auf den bedrängten Garcés, und brach immer wieder in närrisches Lachen aus, indes die Dienstmannen die Worte ihres Herrn mit verständnisinnigen Blicken und schlecht verhehlter Freude bekräftigten.
Während der Mahlzeit verlängerte sich noch dieser Vorgang, in dem die Leichtgläubigkeit des jungen Weidmannes den ständigen Gegenstand der allgemeinen Fröhlichkeit bildete, so, daß, als das Geschirr abgetragen worden war und Don Dionys und Konstanze in ihre Gemächer gegangen waren, wie auch alles Burgvolk sich zur Ruhe bereitete, Garcés lange Zeit unentschlossen sitzen blieb und nachdachte, ob er trotz der Späße seiner Herrschaft auf seinem Vorhaben fest beharren oder davon gänzlich ablassen solle.
»Der Teufel noch einmal!« rief er endlich, aus der Unschlüssigkeit, in der er sich befand, emporschreckend. »Ärgeres kann mir doch nicht mehr zustoßen, als mir soeben widerfahren ist, und wenn hingegen nur etwas Wahres an dem ist, was mir Esteban erzählt hat ... ach! wie will ich dann meinen Triumph auskosten!«
Dies sprechend bewaffnete er sich mit seiner Armbrust, nicht ohne zuvor über den Pfeilspitzen das Zeichen des Kreuzes gemacht zu haben, hing die Wehre über die Schulter und schritt zu einem Pförtchen der Burg, um einen Seitenpfad ins Tal einzuschlagen. ...
Als Garcés den Platz im Waldtal erreichte, wo er nach Estebans Angabe warten sollte, ob die Rehe erscheinen würden, begann der Mond allgemach über die nächsten Berggipfel heraufzusteigen. ...
Da Garcés ein guter Jäger und in seinem Berufe erfahren war, ging er eine Zeitlang, bevor er die Stelle wählte, wo er dem Wilde auflauern könnte, in der Niederung hin und her, die Wege und nächsten Steige, die Bäume, Talböschungen und Abhänge, die Krümmungen des Baches und sogar die Tiefe seines Gewässers sorgsam prüfend.
Endlich, nachdem er die genaue Musterung seiner Umgebung beendet hatte, verbarg er sich hinter einer kleinen Erdböschung nahe bei einigen Erlen mit hohen, dunklen Wipfeln, zu deren Füßen Mastixsträuche wuchsen, genügend hoch, um einen zur Erde gekauerten Menschen zu verbergen.
Das aus bemoosten Felsen heraus sprudelnde Bächlein wand sich durch die krummen Schluchten des Moncayo ins Tal hinab, wo es über einen steilen Hang niederbrauste, um dann mit leisem Raunen die Wurzeln der die Ufer beschattenden Birken bespülend und zwischen den abgerundeten Felsblöcken des Berges Wellen schlagend dahinzufließen, bis es in einen Abgrund fiel, unweit des Ortes, wo sich der junge Jäger versteckt hielt.
Dort hatten verschiedenartige Bäume eine dichte Laubwand um die Bucht des Bächleins gezogen. Erlen, mit deren silberglänzenden Blättern der Wind in süßem Rauschen spielte, weit über die klare Strömung hingeneigte Weiden, die Spitzen ihrer schwanken Zweige in diese tauchend und knorrige Eichen, an deren Stämmen Geißblattranken und blaue Winden hinaufkrochen.
Der Wind im dichten Baldachin des Grüns, der ringsum seinen schwimmenden Schatten warf, ließ zeitweilig in das Laubgitter einen verstohlenen Mondstrahl dringen, der wie ein Silberblitz über die Oberfläche des unbeweglichen, tiefen Gewässers hinflimmerte.
Im Buschwerk gekauert, mit angestrengtem Gehör auf jedes, auch das kleinste Geräusch achtend und den Blick dahin geheftet, wo seiner Berechnung nach die Rehe erscheinen mußten, harrte Garcés vergebens eine geraume Zeit. ...
Alles rings um ihn war in tiefes Schweigen versunken.
Allgemach, – die Nacht war ziemlich weit vorgerückt, ja, es mochte schon über Mitternacht sein, – begann ihn das Gefühl zu verlassen; das leise Raunen des Wassers, das berauschende Duften der Waldblumen und das Säuseln des Windes teilten seiner Seele die süße Schläfrigkeit mit, die über die ganze Natur ausgegossen zu sein schien. Des verliebten Jünglings, der bisher in seinem Geiste mit Erwägungen lieblichster Art beschäftigt war, bemächtigte sich die Empfindung, als ob seine Ideen irgendwie allgemach sich verwirklichten und seine Gedanken nahmen zerflatternde und unbestimmte Formen an.
Eine Zeitlang im unsicheren Zustande zwischen Wachen und Schlafen hin und her schwankend, schloß er allgemach die Augen, der Bogen fiel ihm aus den Händen und er sank in einen tiefen Schlaf. ...
An zwei oder drei Stunden waren schon vergangen und der Jäger schlief noch immer, schlief friedlich und sorglos, nach seinem Wunsch den schönsten Traum seines Lebens träumend, als er plötzlich erschreckt auffahrend die Augen öffnete und sich halb emporrichtete, in jener Betäubung, die uns stets erfaßt, wenn wir jäh aus tiefem Schlaf erwachen.
Im Windeswehen, vermischt mit jenem sanften Raunen der Nacht, glaubte er ein ungewöhnliches Geräusch von feinen Stimmen zu hören, süß und geheimnisvoll, die untereinander sprachen, lachten oder sangen, jede für sich und ganz verschiedene Lieder, die sich zu einem geräuschvollen und verworrenen Tumult vereinten, ähnlich dem Gezwitscher der Vögel, wenn sie beim ersten Sonnenschimmer in den Zweigen der Pappeln erwachen.
Dieses wunderseltsame Stimmgewirr war nur einen Augenblick zu hören, und dann war alles wieder still. ...
Ohne Zweifel habe ich von den Torheiten geträumt, von denen der Hirt erzählt hat, sagte Garcés, indem er sich beruhigt die Augen rieb, in der festen Überzeugung, daß das, was er gehört zu haben glaubte, nichts anderes, denn der verworrene Rest des Traumes war, der beim Erwachen in der Seele zurückbleibt, gleich wie im Ohr der letzte Takt einer Melodie, wenn die letzte Note zitternd verklang. ... Und beherrscht von einer unwiderstehlichen Mattigkeit, die seine Glieder beschwerte, wollte er von neuem das Haupt auf den erquickenden Rasen senken, als er abermals den entfernten Hall jener geheimnisvollen Stimmen vernahm, die, mit dem Rauschen des Windes, des Wassers und der Blätter sich mischend, sangen. ...
Und sie sangen im Chor:
»Der Bogenschütze, der da Wache hielt auf der Zinne der Burg, hat sein müdes Haupt auf die Mauer gesenkt ...
Der versteckte Jäger, der da gehofft das Wild zu fangen, wurde vom Schlummer erfaßt ...
Der Hirt, der des Tages harrte, zählend die Sterne, schlummert anjetzt und wird schlafen bis daß es dämmert ...
Königin der Nixen, folge unseren Schritten!
Komm, dich zu wiegen auf den Gezweigen der Weiden über dem Spiegel des Wassers ...
Komm, dich trunken zu machen am Dufte der Veilchen, die ihren Kelch im Schatten erschließen.
Komm, dich zu freuen der Nacht, die der Tag für die Geister ist!«
Während die süßen Tonwellen dieser entzückenden Musik durch die Luft klangen, blieb Garcés ohne Regung.
Als sie verhallt waren, schob er mit großer Vorsicht die Zweige auseinander und erblickte nicht ohne zu erzittern die sich nähernden Rehe. In wirrem Rudel sprangen sie jetzt federleicht über die Gebüsche, hielten inne wie um zu lauschen, miteinander mutwillig spielend, indem sie sich bald im Dickicht versteckten, bald wieder von neuem auf den Fußsteig hüpften und so vom Berge dorthin gelangten, wo der Bach in den Abgrund mündete.
Den Gefährtinnen voran, viel schneller und schöner, viel mutwilliger und fröhlicher als alle anderen springend, laufend, ein Weilchen still stehend und dann wieder aufs neue hüpfend, in einer Weise, daß es schien, als berühre es mit seinen Füßen gar nicht den Boden, trabte das weiße Reh, dessen seltene Farbe sich wie ein phantastisches Licht vom dunkeln Hintergrunde der Bäume abhob. –
Nachdem der junge Jäger vollkommen vorbereitet war, etwas Übernatürliches und Wunderbares zu erblicken, erstaunte er darüber, daß abgesehen von der augenblicklichen Betäubung, die auf eine Weile sich seiner Sinne bemächtigte und ihm Musik, Lachen und Worte vorgespiegelt, weder an der Gestalt der Rehe, noch an ihren Bewegungen, ebensowenig an dem kurzen Schreien, womit sie einander anzurufen schienen, etwas war, was ein in derlei nächtlichen Ausflügen erfahrener Jäger nicht gekannt hätte.
Sobald der erste Eindruck vorüber war, begann er, innerlich seiner Gutgläubigkeit und seines Schreckens lachend, von da ab nur noch zu grübeln, wo eben die Rehe sein könnten, da er die ungefähre Richtung ihres Weges kannte.
Mit seiner Berechnung im reinen, nahm er den Bogen zwischen die Zähne, kroch wie eine Natter zwischen den Mastixen hindurch und blieb etwa vierzig Schritte vom Ort liegen, wo er sich anfänglich befunden hätte.
Nachdem er sich in seinem neuen Versteck eingerichtet hatte, erwartete er die geeignete Zeit, um, wenn die Rehe zum Ufer des Baches kämen, einen sicheren Schuß zu haben.
Nur mit Mühe war jenes eigenartige Geräusch zu hören, das vom wellenschlagenden Wasser verursacht wird, ... und Garcés stand allgemach mit der größten Vorsicht vom Boden auf, indem er sich anfänglich auf die Fingerspitzen und dann auf ein Knie stützte.
Schon auf den Füßen stehend und, nachdem er im Dunkel die Waffe geprüft hatte, ob sie in Ordnung sei, machte er einen Schritt nach vorwärts, streckte den Hals bis zu den Wipfeln der Sträucher aus, um die Bucht zu übersehen und spannte den Bogen.
Aber in demselben Augenblick, als er den Bogen spannend, mit den Augen die Beute suchte, die er erlegen wollte, entschlüpfte seinem Munde ein unwillkürlicher, leiser Ruf des Erstaunens.
Der Mond stand hoch auf dem weithinblauen Horizont, reglos, als hinge er inmitten des Himmelsgewölbes. Sein milder Schein übergoß den Wald und beglänzte den schaukelnden Spiegel des Baches, so daß alles wie durch einen feinen Schleierflor zu sehen war.
Die Rehe waren verschwunden – – –
Anstatt ihrer erblickte er voll Verwunderung und beinahe mit Furcht eine Anzahl wunderschöner Mädchen, von denen die einen schäkernd ins Wasser hüpften, indes die andern ihre weißen Gewänder ablegten, die bisher dem gierigen Blick die köstlichen Schätze ihrer Formen verbargen.
Noch keiner jugendlichen Vorstellungskraft war es vergönnt, so leichte und schöne Morgenträume zu haben, reich an lachenden und entzückenden Bildern, an durchscheinenden und himmlischen Gesichten, ähnlich dem Sonnenstrahl, der eben in den Wolken dämmert und durch die weißen Vorhänge des Bettes blinzelt, daß sie mit den Farben der Phantasie die Szene malen könnte, die entfernt jener gleichen würde, welche sich nun vor den Augen des verblüfften Garcés abspielte.
Bereits ihrer Gewande und tausendfarbigen Schleier entledigt, die überall im Hintergrund an den Bäumen hangend sich im Wasser spiegelten, oder nachlässig auf dem Rasenteppich bunt durcheinander geworfen lagen, liefen die Mädchen nach Lust und Laune durch den Wald hin und her, auf diese Weise verschiedene malerische Gruppen bildend, sprangen und tauchten ins Gewässer, daß es in leuchtenden Funken, wie feiner Regentau, auf die Blumen am Ufer niederfiel.
Hier tauchte eine von ihnen, weiß wie die Wolle eines Lämmchens, mit ihrem goldigroten Haar zwischen dem schaukelnden Blattgrün der Wasserpflanzen empor, ähnlich einer zur Hälfte erschlossenen Blüte, deren schmiegsamer Stiel vom durchsichtigen Wasser verraten unter den endlosen Kreisen der flitternden Wellen hin und her bebt.
Dort schaukelte eine andere mit über die Schulter herabfallendem Haar, am Zweige einer Birke über der Strömung hangend, und ihre kleinen rosenfarbigen Füßchen zerteilten diese in silberne Ringe, indem sie den glatten Wasserspiegel berührten.
Während noch die einen geschlossenen Auges am Borde des Wassers lagen, mit Wollust den Duft der Blumen einatmend, und beim Anhauch des erquickenden Lüftchens schwach zusammenschauernd, tanzten die anderen in schwindligem Reigen, die Hände launig ineinanderflechtend, mit lieblicher Nachlässigkeit den Kopf nach rückwärts geneigt und den Erdboden mit den äußersten Fußspitzen im abwechselnden Takte berührend.
Es war unmöglich, ihren schnellen Bewegungen zu folgen, unmöglich, mit einem Blick die zahllosen Schattierungen der Bilder zu umfassen, die sie gestalteten, die einen mit fröhlichem Lachen durch das Wirrsal der Bäume laufend, schäkernd und scherzend, die andern wie Schwäne das Wasser mit ihren weißen wogenden Brüsten teilend, und wieder andere in die Tiefe hinabtauchend, wo sie eine Zeitlang verblieben, bis sie wieder an die Oberfläche emporschwebten, in den Händen jene wunderseltsamen Blumen, die aus dem Grunde tiefer Gewässer verborgen sprießen.
Die Augen des gleichsam angedonnerten Jägers schweiften trunken dahin und dorthin, bis sie am Hintergrunde haften blieben. Dort bildeten die dichtbelaubten Zweige einen prächtigen Baldachin, in dem er mitten im Kreise von Mädchen, von denen eines schöner war als das andere und die ihr halfen, das luftige wie aus Dunst gewobene Kleid abzulegen, eine Gestalt erblickte, in der er den Gegenstand seiner stillen Verehrung zu sehen glaubte –: die Tochter des edlen Don Dionys, die unvergleichliche Konstanze.
Aus einem Staunen ins andere stürzend wagte es der verliebte Jüngling selbst dem Zeugnis seiner Augen nicht mehr zu glauben, und vermutete, er stehe unter dem Banne eines bezaubernden und betrügerischen Traumes.
Dennoch war er vergebens bestrebt sich zu überreden, daß alles, was er sähe, nur das Erzeugnis seiner trunkenen Einbildungskraft wäre. ... Denn je länger und aufmerksamer er hinsah, desto mehr wurde er davon überzeugt, jenes Weib sei – Konstanze. ...
Er konnte nicht länger zweifeln, nein, nein!
Das waren ihre Augen, die schwarzen Augen, beschattet von langen dunklen Wimpern, die kaum hinreichten, das Feuer ihrer Augensterne abzuschwächen; das war ihr Haar, das goldigrote, reiche Haar, das die weiße Stirn umkränzend über ihren schneeigen Busen und die gerundeten Schultern herniederfiel, wie ein goldener Wasserfall. ... Ja! das war ihr gleichsam durchsichtiger Hals, der den träumerischen Kopf trug, den anmutig geneigten, einem Blumenkelche gleich, unter der Last der Tautröpfchen sich niedersenkend; ihr gehörten jene entzückenden Formen, von denen er bisweilen träumte, und jene Hände, ähnlich einem Sträußchen Jasminblüten, und jene wunderkleinen Füßchen, die sich bloß mit Schneestückchen vergleichen ließen, welche zu zertauen die Sonne nicht ausgereicht hat und die am Lenzmorgen zwischen dem Grün der Blätter hervorschimmern. ...
Im gleichen Augenblick, als Konstanze den Hain betrat, ohne einen Schleier, der die verborgenen Kleinode ihrer Schönheit den Augen ihres Anbeters verheimlicht hätte, begannen ihre Gefährtinnen aufs neue in entzückender Melodie zu singen.
Und sie sangen im Chor:
»Genien der Luft, die ihr den strahlenden Äther bewohnt, steigt hernieder, in die Säume silbernen Nebels gehüllt!
– Unsichtbare Sylphen, lasset den Kelch der halberschlossenen Lilien und steiget hernieder zu uns in Wagen aus Perlen von winzigen Faltern gezogen! ...
– Geister der Quellen, lasset euer Lager von Moosen und schwebet hernieder zu uns im schmeichelnden Regen des Nachttaus! ...
– Smaragdene Käferchen, flammende Leuchtwürmchen ... nächtliche Falter ... flieget nieder zu uns!
– Steigt herab zu uns, ihr alle, ihr Geister der Nacht, wie ein Schwarm grüngoldiger Bienen summend!
– Oh, steiget nieder zu uns! ... Kommt, o kommt! schon leuchtet der schützende Stern der Geheimnisse in seiner ganzen Schönheit!
–
– Kommt, o kommt, die ihr uns gewahrt bei unseren wundersamen Verwandlungen! ...
– Kommt, o kommt!
– zu denen, die euch lieben, eurer harrend in Sehnsucht!«
Der regungslos dastehende Garcés fühlte, als er den geheimnisvollen Gesang hörte, wie ihn die Natter der Eifersucht ins Herz stach, und der Leidenschaft gehorchend, die weit stärker, als sein Wille war, und im Glauben, mit einem Schlage diesen berückenden Zauber zu zerstören, der seine Sinne fesselte, schlug er mit krampfhaft zitternder Hand die hehlenden Baumzweige auseinander, und sprang mit einem Satz auf das Ufer des Baches heraus. – –
Der Zauber verschwand! ...
Alles zerfloß wie Rauch, und als Garcés um sich sah, erblickte er nichts und hörte nur das schnelle Getrabe, womit die mitten in ihrem nächtlichen Spiele überraschten Rehe, von seinem Auftauchen geängstigt, flüchteten, die eine hierhin, die anderen dorthin, diese mit einem Satz die Büsche überfliegend, jene so schnell als möglich auf dem Saumpfad zum Gipfel hinanspringend. ...
»Oh, ich wußte gut, daß all das nur Vorspiegelungen des Teufels waren!« rief der junge Jäger. »Aber zum Glück ging es diesmal ein wenig langsam. ... Die beste Beute ist mir in den Händen geblieben.«
Und in der Tat, es war so.
Das weiße Reh, willens aus dem Wäldchen zu fliehen, warf sich in die Wirrnis der Bäume, verstrickte sich jedoch in die Brombeerranken und war nun vergebens bemüht, daraus zu entkommen. ... Garcés hob den Bogen und zielte.
Aber als er den Pfeil abschnellen wollte, wendete sich das Reh zu ihm und rief mit heller, durchdringender Stimme:
»Garcés, was tust du?« –
Der Jüngling taumelte erschrocken zurück und der Bogen fiel zur Erde. Der Gedanke, daß er seine Geliebte verwunden könnte, überwältigte ihn.
Da schlug ein volltönendes schmetterndes Spottgelächter an sein Ohr und schreckte ihn aus seiner Erstarrung auf. ...
Das weiße Reh hatte den Augenblick benützt, sich aus dem Garn der Brombeeren herausgewunden und floh eben mit Blitzesschnelle davon, indem es den jungen Jäger höhnisch verlachte.
»Ah! verfluchte Teufelsbrut!« rief dieser mit zornbebender Stimme, und raffte seinen Bogen mit fliegender Eile auf: »Viel zu früh hast du triumphiert! Viel zu bald hast du geglaubt, mir zu entgehen!«
Und dies rufend, schoß er den Pfeil ab, der zischend von hinnen flog, und im Waldesdunkel verschwand, von wo im gleichen Augenblicke ein Aufschrei ertönte, dem erstickte Seufzer folgten.
»Mein Gott!« rief Garcés, das ängstliche Wimmern vernehmend.
»Mein Gott! Wenn es wahr wäre!« Und außer sich, wie ein Toller, ohne zu bedenken, was ihm widerfahren könnte, rannte er in der Richtung, nach der er den Pfeil abgeschossen hatte ... und woher das Schluchzen kam. ...
Endlich war er dort angelangt!
Aber da stieg ihm vor Entsetzen das Haar zu Berg, das Wort blieb ihm in der Kehle stecken und er mußte sich an einem Baumstamm klammern, um nicht zu Boden zu fallen.
Konstanze, von seiner Hand getroffen, verröchelte vor seinen Augen, in ihrem Blute sich windend, zwischen dem scharfen Brombeergesträuch der Anhöhe. –