Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Der Mondstrahl.

Ich kann nicht sagen, ob das, was ich erzählen will, eine wahre Geschichte ist, die einem Märchen ähnlich sieht, oder nur ein Märchen, das einer wahren Geschichte gleicht – ich kann nur sagen, daß es eine Wahrheit enthält, eine tieftraurige Wahrheit, von der ich bei der Artung meiner Phantasie wohl zuletzt irgend welchen Nutzen ziehen werde.

Ein anderer hätte aus dem gleichen Gegenstande vielleicht ein Buch voll tränenreicher Philosophie verfaßt; ich habe daraus eine Legende gedichtet, die wenigstens jene, die in ihr nichts weiter als eben eine Legende erblicken, auf ein Weilchen unterhalten mag.

 

I

Er stammte aus einem altadeligen Hause und war unter dem Geklirr ritterlicher Waffen geboren worden, aber selbst der muterweckende Klang einer Kriegsdrommete hätte ihn nicht vermocht, seine Augen auch nur für eine Weile von dem verblichenen Pergamente zu erheben, in dem er den Schwanengesang eines Troubadours las.

Wer mit ihm zusammentreffen wollte, durfte ihn nicht im geräumigen Hofe seiner Burg suchen, wo die Reitknechte die Füllen zähmten und die Pagen die Falken zur Beize anleiteten, während die Söldner sich in der Friedenszeit damit unterhielten, unter Lachen, Plaudern und Streiten ihre Waffen zu putzen.

»Wo weilt Manrique, wo ist euer Herr?« fragte gar oft seine Mutter.

»Wir wissen es nicht, o Herrin,« entgegnete der Diener.

»Vielleicht ist er im Kreuzgang des Klosters am Felsen, am Rande eines Grabes sitzend und lauschend, als ob er ein Wort von den Reden der Toten erhorchen wolle –«

»Oder auf der Brücke, den Wellen zusehend, wie sie nacheinander unter dem Bogen schäumend und bubbelnd hindurchfließen –«

»Oder auf einem Felsgrat, in sich versunken und damit beschäftigt, die Sterne zu zählen und den Wolken mit den Augen zu folgen oder die Irrlichter zu betrachten, die in sinnverwirrendem Tanze ob dem Spiegel der Sümpfe hinflirren –«

»Immerdar, edle Donna, wird er am wenigsten dort zu finden sein, wo alle andern Menschen anwesend sind –«

»Wie jammervoll! Die Rosse werden steifbeinig!«

»Die Hunde verlieren den Spürsinn!«

»Die Falken verblinden!«

»Die Waffen frißt der Rost!«

»Und uns selbst – –«

»Fallen die Knochen auseinander –«

»Vor lauter Nichtstun. – Welch ein Jammer, hochedle Frau Gräfin!« – –

In der Tat! Manrique liebte die Einsamkeit, er liebte sie so sehr, daß er oft und oft wünschte, keinen Schatten zu haben, damit ihm dieser nicht überallhin nachfolgen könne.

Er liebte die Einsamkeit, da er in ihrer Umarmung seiner ausschweifenden Phantasie so recht die Zügel schießen lassen und sich eine Wunderwelt ersinnen konnte, die er mit seltsamen Wesen, den Geschöpfen seiner Einbildung und seiner dichterischen Träume, bevölkerte; denn Manrique war so sehr Dichter, daß ihm einerseits keine Form genügte, um seine Gedanken auszudrücken, und daß er andererseits diese während der Niederschrift niemals zusammen zu halten vermochte.

Es war ihm, als ob zwischen den glühenden Kohlen des Herdes feurige Geister von tausenderlei Farben lebten, gleich goldigen Insekten über die flammenden Holzscheite hin und her huschend oder im flimmernden Reigentanze der Funken auf den Spitzen der Flammen tanzend, und er verbrachte viele tote Stunden auf einem Fußbänkchen vor dem hohen Kamin in gotischer Form regungslos und die Augen auf das vielgestaltige Feuer geheftet.

Es war ihm, als ob in den Wellen der Ströme, zwischen dem Moosgeflechte der Quellen und in den Nebeldünsten über den Seen, geheimnisvolle Frauen lebten, Feen, Sylphen und Undinen, Klagen und Seufzer aushauchend oder im eintönigen Takte des Wassers singend und lachend, und er lauschte all dem in tiefem Sinnen, um es einmal in Worte zu kleiden.

Er glaubte, in den Wolken, im Winde, in den Tiefen des Tannichts, in den Spalten der Felsen – allüberall Gestalten zu sehen, wunderseltsame Laute zu vernehmen, Gestalten von überirdischer Wesenheit, Worte voll himmlischen Wohllauts, die er nicht zu begreifen imstande war.

Lieben! Er war dazu geschaffen, von Liebe zu träumen, nicht aber, um sie zu fühlen. Er liebte alle Frauen, die ihm begegneten, jedoch nur einen Augenblick lang: diese, weil sie goldblond war, jene, weil sie Lippen wie Granaten hatte, und eine andere wieder, weil sie im Gehen wie eine Binse anmutig schwankte.

Manchmal ging seine Verzückung so weit, daß er eine ganze Nacht im Freien blieb, um den Mond zu betrachten, wie er in silbernem Dunstgewölk am Himmel schwebte, oder die Sterne, die gleich dem schillernden Glanz kostbarer Kleinode aus der Ferne ihr zitterndes Licht herabgossen. In solchen Nächten poesievoller Schlaflosigkeit rief er wohl aus: »Wenn es wahr ist, was mir der Prior vom Kloster am Felsen gesagt hat, daß jene Lichtpünktchen möglicherweise Welten sind, wenn es wahr ist, daß auf jener Kugel aus Perlmutter, die durch die Wolken dahinrollt, Menschen leben – wie schön müssen dann die Frauen jener strahlenden Regionen sein! Und ich kann sie nicht sehen ... ich kann sie nicht lieben! ... wie mag ihre Schönheit beschaffen sein? ... Wie ihre Liebe? ...«

Manrique war noch nicht wahnwitzig genug, daß ihm die Straßenjungen nachgelaufen wären, aber er war so weit, mit sich allein zu reden und Gebärden zu machen, und das ist der Anfang vom Ende.

 

II

Über den Duero, welcher die düsteren, verfallenen Mauern von Soria bespült, ist eine Brücke gespannt, die aus der Stadt zu dem altersgrauen Kloster der Tempelherren hinüberführt, deren Besitzungen sich längs des jenseitigen Ufers hinziehen.

Zu jener Zeit hatten die Ordensritter ihre berühmten Vesten bereits verlassen, aber die Überreste der stolzen Warttürme, mit Efeu und weißen Winden bedeckt, die mächtigen Bogen der Kreuzgänge, die schier unabsehbaren Spitzbogenreihen der Waffenhöfe, durch welche der Wind, das hohe Gras bewegend, mit Seufzen hinstrich, ragten noch in die Höhe, wie zum Teil auch noch heute.

In den Wirtschaftsgärten wie in den Lustgärten, deren Wege die Füße der ritterlichen Mönche seit vielen Jahren nicht mehr betreten hatten, entfaltete die Natur, sich selbst überlassen, all ihre Pracht, ohne Besorgnis, daß je eine Menschenhand diese zerstören würde, in der Absicht, sie zu verschönern. Die Schlingpflanzen kletterten an den Stämmen der alten Bäume hinauf, die düsteren Alleen der Pappeln, deren Wipfel einander berührten und schon ineinander verwuchsen, waren hoch mit Gras bedeckt; wilde Disteln und Nesseln sproßten inmitten der versandeten Wege hervor, und von den verfallenden Bruchstücken der Backsteine verkündeten die wie Federbüsche auf einem Helme auf und nieder wallenden Ranken und die blauweißen Winden, die sich auf ihren langen und biegsamen Stengeln wie auf einer Schaukel wiegten, den Sieg der Zerstörung und des Verfalles.

Es war in tiefer Nacht, einer milden Sommernacht, voll Duft und melodischer Klänge; mitten am blauen, leuchtend durchsichtigen Himmel stand heiter und weiß die Mondesscheibe.

Manrique, dessen Einbildungskraft in einem Taumel von Poesie schwelgte, überschritt die Brücke und nachdem er von hier aus einen Augenblick den schwarzen Schattenriß der Stadt betrachtet hatte, wie sie sich vom Hintergrund der leichten, weißen Wolken abhob, trat er in die verödeten Räume des Klosters der Tempelherren.

Mitternacht war nahe. Der Mond, der allgemach emporgestiegen war, stand schon hoch am Himmel und als Manrique in die dunkle Allee der Pappeln trat, die vom zertrümmerten Kreuzgang bis an das Ufer des Duero führte, stieß er einen Schrei aus, einen leisen, kaum unterdrückten Schrei, in dem sich Überraschung, Furcht und Entzücken seltsam vermischten.

Tief im Hintergrund der schattenumdunkelten Allee hatte er etwas Weißes gesehen ... eine Sekunde lang strich es zitternd hin und ... verschwand dann wieder im Dunkel ... es war – kein Zweifel! der Saum eines Gewandes, wie es Frauen tragen –; eine Frau hatte den Weg zwischen den Pappeln betreten, sich aber im Laubwerk verborgen, im gleichen Augenblick, als der trunkene Mensch, der nur von Einbildungen und Unmöglichkeiten träumte, in die Gärten eingetreten war.

Ein unbekanntes Weib! ... An diesem Ort! ... Zu dieser Stunde! –

»Das, das ist das Weib, das ich suche,« rief Manrique und stürzte pfeilschnell nach jener Richtung.

 

III

Er kam zur Stelle, wo er die geheimnisvolle Frauengestalt im Dickicht der Zweige aus den Augen verloren hatte, – das Weib war verschwunden, Wohin? Dort, weit, sehr weit, glaubte er zwischen den wirr über- und durcheinanderwachsenden Baumstämmen etwas Lichtes zu erblicken ... eine weiße Gestalt, die sich bewegte.

»Sie ist's, sie ist's, sie trägt Flügel an den Füßen und flieht wie ein Schatten!« rief Manrique aus und stürzte ihr hastig nach, auf seinem Wege die Efeuranken, die sich wie ein Teppich von einer Pappel zur andern ausspannten, mit den Händen auseinanderreißend. ...

So kam er, durch Gestrüpp und Gesträuch den Weg sich bahnend, atemlos auf eine Lichtung, die der Mondschein voll bestrahlte. ... Er fand nichts.

»Ah! Dort, dort schreitet sie!« rief er dann, »ich höre ihren Schritt auf dem trockenen Laub, ich höre das Rauschen ihres Gewandes, wie es auf dem Boden nachschleift und an die Büsche schlägt.« ... Und er rannte und rannte wie wahnsinnig bald nach der, bald nach jener Richtung und fand – nichts!

»Aber noch sind ihre Schritte zu hören,« murmelte er verzweifelt, »es war mir, als hätte sie gesprochen – kein Zweifel, sie hat gesprochen! – der Wind, der in den Zweigen säuselt, die Blätter, die gleichsam Gebete flüstern, haben mich durch ihr Geräusch verhindert, deutlich zu hören, was sie gesagt hat, doch es kann kein Zweifel bestehen: sie ist hier gegangen, sie hat gesprochen! ... In welcher Sprache aber? ... Ich weiß es nicht, aber es muß irgend eine fremde Zunge sein. ... Ha! dort ... dort geht sie wieder ...« Und er lief so schnell, als es ihm nur immer möglich war, weiter in der Richtung, die er sich eingebildet hatte, glaubte sie jetzt zu hören, dann wieder zu sehen; bald bemerkte er, daß die Zweige sich bewegten, zwischen denen sie verschwunden sei, bald meinte er, im Sande die Spuren ihrer kleinen Füßchen zu entdecken, dann war er wieder fest überzeugt davon, daß der balsamische Duft, den er zwischenhin einatmete, von jener Frau ausgehe, die ihn neckte und ein Vergnügen darin fand, ihm immer wieder in dem unentwirrbaren Dickicht zu entschlüpfen. Vergebliche Mühe!

Außer sich schweifte Manrique noch viele Stunden lang umher, bald stille haltend, um zu lauschen, bald mit der größten Vorsicht über den Rasen schleichend, bald in wilder, verzweiflungsvoller Hast vorwärtsstürmend.

So ging's weiter, immer weiter, durch die schier endlosen Gärten dem Flußufer entlang, bis er allendlich an den Fuß der Felsen gelangte, worauf sich die Einsiedelei von San Saturio erhebt. ...

»Vielleicht kann ich mich von oben aus zurechtfinden, um meine Nachforschungen in dieser unbeschreiblichen Wirrnis fortzusetzen,« meinte Manrique zu sich und haspelte sich, mit Hilfe seines Dolches, von Fels zu Fels hinauf.

So kam er auf den Gipfel, von dem man die Stadt in der Ferne sehen kann und einen weiten Überblick über den Duero hat, der ungestüm und düster zu ihren Füßen hinbraust, zwischen den gewundenen einengenden Ufern.

Als Manrique auf der Höhe angelangt war, sah er angestrengt und emsig forschend rundum über alles, was seinen Augen sich darbot, und indem er so die Gegend musterte – da plötzlich, auf eine bestimmte Stelle äugend, vermochte er nicht, einen Fluch zu unterdrücken.

In langen silbernen Streifen bestrahlte der Mond auf den Wellen des Duero die Spur, die ein Nachen hinter sich ließ, der mit aller Kraft der Ruder dem gegenüberliegenden Ufer zustrebte.

In diesem Boote aber sah, oder glaubte er eine schlanke, weiße Gestalt zu sehen ... ohne Zweifel die Gestalt eines Weibes ... jenes Weibes, das er in den Gärten der Templer aufgestört, das vor ihm neckend geflohen war und das er mit eiserner Zähigkeit, doch immer umsonst, verfolgt hatte ... das Weib seiner Träume, die Verwirklichung seiner wahnwitzigen Hoffnungen. ...

Mit der Schnelligkeit eines Damhirsches glitt Manrique an dem Felsen hinunter, wobei er sein Barett von sich schleuderte, dessen reicher Federnschmuck ihn in seiner Eilfertigkeit hindern mußte, und eilte, unten angekommen, mit Windeseile der Brücke zu, nachdem er den weiten Rittermantel aus Samt der leichteren Beweglichkeit halber von sich geworfen hatte. ...

Er dachte die Brücke zu erreichen und in die Stadt zu gelangen, noch ehe der Nachen das Ufer, dem er zusteuerte, erreicht haben würde.

Wahnwitz! Als Manrique keuchend und schweißbedeckt zum Stadttore kam, waren schon diejenigen, die bei San Saturio über den Duero gesetzt waren, zu einer der Pforten nach Soria hineingegangen, denn zu jener Zeit reichten die Stadtmauern bis hart zum Ufer des Duero hinab, so daß die grauen Zinnen sich in seinen Wellen widerspiegelten.

 

IV

Obzwar er nun darauf verzichten mußte, jene noch einzuholen, die zum Pförtchen von San Saturio hineingegangen waren, gab Manrique denn doch nicht die Hoffnung auf, das Haus zu entdecken, in dem die geheimnisvollen Nachtwaller herbergen mochten. Mit diesem unerschütterlichen Vorsatz betrat er die Stadt und wendete sich jenem Teile zu, den man San Juan nennt, dessen Gassen er aufs Geratewohl abzuschreiten anfing, die Häuser mit der größten Aufmerksamkeit musternd.

Die Straßen von Soria waren dazumal und sind noch heute schmal, düster und winkelig. Weitum lag ein tiefes, dumpfes Schweigen gebreitet, ein Schweigen, das nur selten bald vom fernen Gebell eines Hundes, bald vom Lärm einer in die Angeln geworfenen Tür oder vom Schnauben eines Pferdes unterbrochen wurde, das im unterirdischen Stalle an der Kette riß. ...

Manrique strengte sein Gehör aufs äußerste an, die nächtlichen Laute genau zu unterscheiden – bald klangen sie ihm wie Schritte, die um die nächste Ecke eines verlassenen Gäßchens bogen, bald wie verworrene Stimmen von Leuten, die in seinem Rücken zueinander redeten, so daß er jeden Augenblick glaubte, die Sprechenden neben sich zu sehen – in dieser Weise irrte er ziel- und planlos mehrere Stunden hierin und dorthin. ...

Endlich hielt er vor einem düster aussehenden, uralten Palast aus Granitquadern an und nach einer sehr eingehenden Musterung leuchteten seine Augen in unbeschreiblicher Freude auf. In einem der hohen Bogenfenster dieses Gebäudes, das jedenfalls einem großen Herrn zu eigen gehörte, sah er den milden, gedämpften Schimmer eines Lichtes, das durch florartige Vorhänge aus rosafarbener Seide hindurchfallend auf die dunkle, vielfach geborstene Mauer des gegenüberliegenden Hauses einen im leichten Nachthauche zitternden Schein warf.

»Kein Zweifel mehr! ... Hier, hier lebt meine Unbekannte!« murmelte der Jüngling, ohne seine Augen auch nur für einen Augenblick von dem gotischen Fenster abzuwenden, »hier, ja hier lebt sie. Sie ist durch das Pförtchen von San Saturio in die Stadt gegangen ... durch das Pförtchen von San Saturio kommt man ja in diesen Stadtteil ... in diesem Stadtteil aber ist ein Haus, wo nach Mitternacht noch Leute wachen ... wachen? Wer wohl könnte außer ihr, die von ihren nächtlichen Ausflügen heimkehrt, noch zu dieser Zeit wach sein? ... Es ist nicht anders, dies ist ihr Haus!« ...

In dieser felsenfesten Überzeugung harrte er, in seinem Hirn die tollsten und phantastischsten Bilder umherwälzend, dem gotischen Fenster gegenüber auf den Tag und – seltsam! während der ganzen langen Nacht verschwand nicht das Licht aus dem Fenster. ... Und wie der Schimmer jenes Lichtes in dem Fenster haftete, so hafteten auch seine Augen auf ihm.

Als der Tag nahte, drehten sich die mächtigen Türflügel unter dem Bogen, der den Eingang des Palastes bildete und auf dem das Wappen des Hausherrn in Stein gemeißelt zu sehen war, mit langem, heiseren Geknarre schwerfällig in ihren Angeln. Auf der Schwelle zeigte sich ein Knappe mit einem großen Schlüsselbunde in der Rechten, rieb sich mit der anderen Hand die Augen und gähnte herzhaft, wobei er eine Zahnreihe wies, um die ihn ein Krokodil beneidet hätte.

Diesen zu sehen und auf ihn zuzustürzen, war für Manrique das Werk eines Augenblicks.

»He du! Wer bewohnt diesen Palast! ... Wie heißt sie? ... Woher stammt sie? ... Weshalb ist sie nach Soria gekommen? ... Ist sie verheiratet? ... Antworte, antworte doch, du verdammte Bestie!« Das war die hastig herausgesprudelte Ansprache, die er, den armen Teufel heftig am Arme schüttelnd, an den Verschlafenen richtete, der, nachdem er den Fremdling eine gute Weile mit seinen dummen, erschrockenen Augen hilflos angeglotzt hatte, mit stockender Stimme entgegnete:

»In diesem Hause ... wohnt ... der sehr ehrenwerte Sennor Don Alonso de Valdecuellos, Oberstjägermeister unseres Herrn, des Königs. ... Er hat sich hierher zurückgezogen ... weil er im Kampfe mit den Mauren schwer verwundet worden ... er will hier von den Mühsalen ausruhen ...«

»Aber ... und seine Tochter?« unterbrach ihn der ungeduldige Jüngling, »seine Tochter ... oder seine Schwester ... oder seine Gattin ... oder was sie sonst ist! Antworte doch, du Schlafmütze!«

»Es ist aber gar keine Frau da!«

»Was? ... Es ist keine Frau da!? ... Aber wer schläft denn dort in dem Gemach, in dem die ganze Nacht über ein Licht gebrannt hat?« ...

»Dort? ... Dort schläft unser Herr ... der sehr ehrenwerte Sennor Don Alonso de Val –«

»Verdammter Papagei ... was macht denn dein Herr während der Nacht?!« ...

»Er läßt die Lampe brennen, bis es Tag wird ... seine Wunde läßt ihn nicht schlafen ...«

Ein Blitzstrahl, der aus blauem Himmel vor seinen Füßen eingeschlagen hätte, würde Manrique keinen größeren Schrecken eingejagt haben, als diese Aufklärung. ... Mit einem wilden Fluch ließ er den Arm des Knappen fahren und rannte in mächtigen Sätzen davon. ... Der Knappe des sehr ehrenwerten Sennor Don Alonso riß den Mund bis zu den Ohren auf und sah dem Forteilenden mit hervorgequollenen Augen nach. ...

 

V

»Ich muß sie finden! Ich muß mit ihr zusammentreffen! Und wenn ich sie treffe, werde ich sie ganz gewiß erkennen ... Woran?. .. Das kann ich nicht sagen ... aber ich werde Sie erkennen. Der Widerhall ihrer Schritte, ein Wort von ihr, das an mein Ohr schlägt, ein Stück von ihrem Gewande, ein ganz kleines Stückchen, würde mir, wenn ich es sähe, genügen, sie daran zu erkennen. ... Alltäglich und allnächtlich sehe ich jene Falten aus durchsichtigem Gewebe, so weiß wie Schnee, vor meinen Augen vorübergaukeln; alltäglich und allnächtlich ertönt mir hier drinnen, drinnen im Kopf das Rauschen ihres Gewandes, die verworrenen Laute ihrer mir nicht verständlich gewordenen Worte. ... Was mag sie doch nur gesagt haben? ... Was? ... Ach, wenn ich es wüßte, was sie gesprochen hat, dann würde ich möglicherweise ...

Aber selbst ohne es zu wissen, werde ich sie finden ... muß sie finden ... das Herz sagt es mir, und mein Herz hat mich noch niemals getäuscht. ... Gewiß, ich habe schon alle Gassen von Soria umsonst durchforscht, ich habe Nächte und Nächte im Freien zugebracht, als wäre ich der Pfeiler einer Straßenecke, ich habe mehr als zwanzig Golddublonen verschwendet, um Duennen und Knappen schwatzen zu machen ... ich habe zu San Nicolas einer Alten Weihwasser gereicht, die so kunstvoll in ihren Schleier aus Serge gehüllt war, daß sie mir wie eine Göttin vorkam, und beim Heraustreten aus der Stiftskirche nach der Frühmette bin ich wie toll der Sänfte des Archidiakons nachgerannt, weil ich das Ende seiner langen Schleppe für das Gewand meiner unbekannten Dame hielt – aber trotz alledem ... ich muß sie allendlich doch finden und die Seligkeit, sie zu besitzen, wird gewiß größer sein, denn die Mühsale des Suchens ...

Wie nur ihre Augen sein mögen? ... Ich meine, sie müßten blau sein, tiefblau und feucht, wie der nächtliche Himmel im Frühling ... ich liebe die Augen von solcher Farbe zumal ... sie sind so voll Ausdruck, so melancholisch, so. ... Ja, kein Zweifel! Sie werden blau sein, sie sind blau, ganz gewiß! ... und ihre Flechten schwarz, tiefschwarz und lang, bis zu den Knöcheln ... ich glaube, ich habe sie in jener Nacht hinter ihr flattern gesehen in Gemeinschaft mit ihrem Gewande ... und sie waren schwarz – nein! Ich täusche mich nicht: sie waren schwarz ...

Und wie gut passen doch blaue, weit offene, träumerische Augen und gelöstes, lang herabfallendes, schwarzes Haargelock für eine große, schlanke Frau. ... Denn sie ist groß, gewiß! groß und schlank, ähnlich den Engeln in den Nischen über den Portalen unserer Kirchen ... jenen Engeln, deren herrliches Antlitz von den Schatten der granitenen Baldachine in ein geheimnisvolles Zwielicht eingesponnen erscheint!

Ihre Stimme! ... Ihre Stimme habe ich ja doch vernommen ... ihre Stimme ist sanft wie Windessäuseln in den Blättern der Pappeln und ihr Gang voll Majestät, und lieblich wie der Takt der Musik. ...

Und dieses Weib, schön wie der schönste meiner Jugendträume, die genau so denkt, wie ich denke, die da liebt, was ich liebe, und haßt, was ich hasse, dies Weib, das der Zwillingsgeist meines Geistes, die Vervollkommnung meines Wesens ist – sie sollte nicht gerührt sein, wenn ich mit ihr zusammentreffe? ... Muß sie mich nicht lieben, wie ich sie lieben werde, wie ich sie schon jetzt liebe, mit allen Kräften meines Lebens, mit allen Fähigkeiten meiner Seele? ...«

Wohlan! Ich gehe an den Ort, wo ich sie zum ersten und ach! zum einzigen Male gesehen habe. ... Wer kann mir denn sagen, ob sie nicht just so launenhaft ist wie ich, ob sie nicht, wie alle träumerisch veranlagten Gemüter, eine Freundin der Einsamkeit und des Geheimnisvollen ist, und sich darin gefällt, im Schweigen der Nacht durch alte verfallene Bauwerke zu schweifen?«

*

Zwei Monate waren hingegangen, seit der Schildknappe des sehr ehrenwerten Sennor Alonso de Valdecuellos den betörten Manrique enttäuscht hatte; zwei Monate, während welcher er zu jeder Stunde ein Luftschloß um das andere erbaut hatte, Bauten, die die Wirklichkeit mit einem Hauche zu nichte machte; zwei Monate, innerhalb welcher er jenes unbekannte Weib gesucht hatte, zu der sein Herz – dank seiner unbegreiflichen Einbildungen – immer mehr von sinnloser Leidenschaft entflammt wurde, als er, in seine Gedanken versunken, die zu den Tempelherren führende Brücke überschritt und in den verschlungenen Pfaden jener Gärten sich verlor.

 

VI

Die Nacht war klar und schön, die volle Scheibe des Mondes leuchtete hoch vom Himmel und der Wind rauschte mit traulichem Seufzen durch die Blätter der Bäume.

Manrique, der eben zum Kreuzgange gekommen war, spähte zwischen den Strebepfeilern der Arkaden hindurchblickend, aufmerksam umher ... alles war leer. ...

Mißmutig verließ er seinen Platz und lenkte seine Schritte nach der düsteren Pappelallee, die an den Duero führt. Da – er hatte sie noch nicht betreten, entfuhr ein Jubelschrei seinen Lippen. ...

Eine Weile nur, einen kurzen Augenblick sah er das Ende eines weißen Gewandes vor sich erschimmern, das im nächsten verschwand ... es war das weiße Gewand des Weibes seiner Träume, jenes Weibes, das er mit wahnsinniger Glut liebte. ...

In höchster Erregung eilt er, so schnell als möglich, eilt er ihrer Spur nach, und gelangt außer Atem bald auch dahin, wo er sie verschwinden gesehen – doch als er dort ankommt, hält er an, heftet die entsetzten Blicke stier auf den Boden, bleibt eine Weile regungslos, dann aber durchzittert ein leises Beben seine Glieder, ein Beben, das stärker und stärker wird, bis es einem wirklichen Krampfe gleicht, und zuletzt bricht er in Gelächter aus, ein durchdringendes, furchtbares Gelächter. ...

Jenes leichte, weiße, flatternde Etwas war ihm wieder vor den Augen erschienen, aber nur einen Augenblick, kaum eine Sekunde hatte es knapp vor seinen Füßen aufgeschimmert:

Es war ein – Mondstrahl, ein Mondstrahl, der zeitweilig, wenn der Wind die Zweige bewegte, die grüne Wand der Bäume durchbrach.

 

VII

Einige Jahre waren vergangen, fast ohne jede Regung und mit dem leeren, ruhelosen Blick eines Blödsinnigen auf einem Fußschemel vor dem hohen gotischen Kamin seines Gemaches sitzend, achtete Manrique weder auf die Liebkosungen seiner Mutter, noch auf die Zureden seiner Knappen.

»Du bist edelgeboren und reich, du bist jung und schön gewachsen,« sagte seine Mutter, »warum verzehrst du dich in der Einsamkeit? Warum suchst du dir nicht ein Weib, um es zu lieben, ein Weib, das durch ihre Liebe zu dir, dich beglücken könnte, dein Leben verschönern würde?«

» Liebe! ... Die Liebe ist ein Mondstrahl!« murmelte der Jüngling.

»Warum rafft Ihr Euch nicht auf aus dieser entsetzlichen Schlaffheit!« sprach sein Lieblingsknappe, »o, kleidet Euch vom Wirbel bis zur Sohle in glänzendes Eisen, gebeut, daß die Kriegsstandarte Eures berühmten Hauses vom höchsten Turm flattere und laßt uns in den Krieg ausziehen – im Kriege erwirbt man Ruhm!«

» Ruhm! – Der Ruhm ist ein Mondstrahl

»Wollt Ihr, daß ich Euch ein Lied zur Laute singe? Den Schwanengesang des provençalischen Troubadours Arnoldo?«

»Nein! nein!!« rief der Jüngling heftig und sprang von seinem Sitze empor. »Ich will nichts, gar nichts ... das heißt, ich wünsche ... ich verlange, daß Ihr mich allein laßt ... Lieder ... Frauen ... Ruhm ... Glück – alles Mondstrahlen, Lügen, erbärmliche Lügen, leere Phantome, die wir uns in unserer Einbildung erschaffen und nach unseren Launen kleiden, die wir lieben und verfolgen – weshalb? wozu? um schließlich einen Mondstrahl zu finden!«

Manrique war wahnsinnig geworden, wenigstens hielt ihn alle Welt dafür. Mir – im Gegenteil, mir will es scheinen, als habe er den Verstand just wieder gewonnen. ...


 << zurück weiter >>