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Ob du es glaubst oder nicht glaubst, darum kümmere ich mich wenig. Mein Großvater hat es meinem Vater erzählt, mein Vater mir, und ich berichte es jetzt dir, sei's auch nur um des Zeitvertreibs willen
Schon begann die Dämmerung ihre leichten Nebelflügel über die malerischen Ufer des Segre auszubreiten, als wir nach anstrengender Wanderung gen Bellver, das Ziel unserer Reise, kamen.
Bellver ist eine kleine Ortschaft und liegt am Abhange einer Anhöhe, hinter der man gleich Stufen eines riesigen Amphitheaters aus Granit die hohen, steilen, im Nebel verschwimmenden Spitzen der Pyrenäen aufsteigen sieht.
Die weißen, rings in der Niederung sich ziehenden, und auf dem schwellenden Teppich des Grüns zerstreuten Gehöfte sehen von weitem wie ein Flug von Tauben aus, die sich hier am Ufer niedergelassen haben, um ihren Durst am Wasser des Baches zu löschen.
Eine kahle Felswand, an deren Fuß diese Gewässer dahinwirbeln, und auf deren Spitze noch vereinzelte Spuren eines Bauwerkes zu erkennen sind, bezeichnet die uralte Grenze zwischen der Grafschaft Urgèl und deren wichtigstem Lehen.
Rechts vom Schneckenpfade, der den krummen und dichtbewachsenen Wendungen des Flußufers folgend zur Ortschaft führt, ragt ein Kreuz auf.
Mast und Querbalken sind aus Eisen, der rundbehauene Sockel, in den es festgerammt ist, aus Marmor, und die Stufen, die hinanführen, aus dunklen, schlecht gefügten Quaderstücken.
Die verheerende Zeit hat das Metall mit Rost bedeckt und den Stein des Males rissig gemacht und verwittert, und aus den Rissen wachsen rankenartige Pflanzen empor, die sich am Kreuze hinauf winden und es bekränzen, während eine alte und mächtige Eiche gleichsam seinen Baldachin bildet.
Ich war meinem Reisegefährten um ein paar Schritte vorausgeritten und meine ausgemergelte Mähre anhaltend, betrachtete ich schweigend das Kreuz, dieses schlichte und sinnige Sinnbild des Glaubens und der Frömmigkeit vergangener Zeiten.
Eine ganze Welt von Gedanken tauchte urplötzlich vor meiner Phantasie auf. Flüchtige Gedanken, ohne bestimmte Form, die wie an einem unsichtbaren, leuchtenden Faden, in sich die tiefe Einsamkeit jenes Ortes, das Schweigen der hereinbrechenden Nacht und die unbestimmte Melancholie meines Gemütes vereinigten.
Getrieben von einem weihevollen Gefühl, mächtig und unerklärlich, stieg ich unwillkürlich ab, entblößte das Haupt und begann in meinem Gedächtnis nach einem von jenen Gebeten zu suchen, die man mich als Kind lehrte; ... eines von jenen Gebeten, die, wenn sie dann mechanisch unsere Lippen verlassen, die bedrängte Brust gleichsam erleichtern und wie Tränen die Schmerzen lindern, welche diese Gestalt annehmen, um zerfließen zu können.
Schon fing ich an, ein Gebet zu sprechen, als ich auf einmal fühlte, wie mich jemand mit aller Kraft an den Schultern faßte. ...
Ich wendete den Kopf: ein Mann stand an meiner Seite.
Es war einer von unseren Führern, aus dieser Gegend gebürtig, der mit einem unsäglichen Ausdruck des Entsetzens im geisterhaft-bleichen Antlitz sich bemühte, mich fortzuziehen und mein Haupt mit dem Hute zu bedecken, den ich noch immer in den Händen hielt.
Mein erster, zum Teil erschrockener, zum Teil zorniger Blick glich einer energischen, wenn auch stummen Frage.
Der arme Mensch, ohne von seiner Bemühung abzulassen, mich von diesem Platze wegzubringen, erwiderte mir darauf mit folgenden Worten, die ich damals zwar nicht begreifen konnte, die aber mit so lichter Überzeugung gesprochen wurden, daß ich sehr überrascht war:
»Beim Andenken Eurer Mutter! ... Bei allem auf dieser Welt, was Euch das Heiligste ist, bedeckt Euer Haupt, junger Herr, und flieht so schnell, als möglich dieses Kreuz! Wie, seid Ihr denn so verzweifelt, daß Euch die Hilfe Gottes nicht mehr genügt und Ihr zum Teufel Zuflucht nehmt?«
Ich sah ihn eine Weile stumm an. Offen gesagt, ich glaubte, er sei wahnsinnig; aber er fuhr mit der gleichen Heftigkeit fort:
»Ihr wollt die Grenze erreichen; nun denn, wenn Ihr vor diesem Kreuze den Himmel anflehet, damit er Euch seinen Beistand gewähre ... so werden sich die Gipfel der benachbarten Höhen in einer einzigen Nacht bis hinauf zu den unsichtbaren Sternen aufrichten, nur damit wir die Grenze während unseres ganzen Lebens nicht erreichen!«
Ich konnte mich eines Lächelns nicht enthalten.
»Ihr lacht? ... Glaubt Ihr denn, daß dies Kreuz geweiht ist, wie das über dem Eingang unserer Kirche? ...«
»Wer könnte das bezweifeln? ...«
»Dann irrt Ihr Euch ganz und gar! Denn dieses Kreuz ist, obwohl das Zeichen des Herrn – verflucht! ... Dieses Kreuz gehört dem bösen Geiste zu eigen, und darum heißt es auch: – – – das Kreuz des Teufels! ...«
»Das Kreuz des Teufels!« wiederholte ich, seinem Drängen nachgebend, ohne mir die unwillkürliche Furcht erklären zu können, die sich meiner Seele zu bemächtigen anfing und die mich mit einer unbekannten Gewalt von diesem Orte wegtrieb.
Das Kreuz des Teufels! Noch niemals wurde meine Phantasie durch die Verbindung zweier so im Grunde feindlicher Vorstellungen verletzt! ...
Ein Kreuz und dem Teufel zu eigen! ...
»Geh! geh! Es ist nötig, daß du mir, sobald wir im Dorfe sein werden, diesen greulichen Unsinn erklärst!«
Während dieses kurzen Zwiegespräches kamen meine Gefährten, die ihre Pferde mit den Sporen angetrieben hatten, herbei und vereinten sich mit uns am Fuße des Kreuzes. Ich sagte ihnen kurz, was mir eben widerfahren war, sprang wieder in den Sattel meiner elenden Mähre ... und die Glocken der Pfarrkirche riefen gerade zum Abendgebet, als wir vor der verstecktesten und trübseligsten aller Herbergen zu Bellver abstiegen.
Rote und blaue Flammen zuckten funkensprühend über die ganze Länge eines starken Eichenklotzes, der im geräumigen Herde brannte.
Unsere auf den verrauchten Wänden hinzitternden Schatten verkleinerten oder verlängerten sich zu gigantischer Größe, je nachdem die Flammen des Scheites mehr oder minder hell aufleuchteten.
Der Becher aus Hollunderholz, gleich leer und gleich wieder voll, freilich nicht mit Wasser, war schon wie ein Brunneneimer dreimal im Kreise herumgegangen, den wir um den Herd bildeten, und alle warteten ungeduldig auf die Geschichte vom Kreuze des Teufels, die uns als Nachspeise des eben verzehrten, sehr mangelhaften Abendessens versprochen worden war, als unser Führer, nachdem er zweimal gehustet und noch einen letzten Schluck Weines hinabgegossen hatte, sich mit der Handfläche den Mund wischte und also begann:
»Es ist schon lang her, unmäßig lang; ich weiß zwar nicht, wie lang, aber die Mauren hatten dazumal noch den größeren Teil Spaniens in ihrer Gewalt, unsere Könige nannten sich noch Grafen, die Städte und Dörfer gehörten als Lehen bestimmten Herren, die ihrerseits wieder dieses Lehen anderen mächtigen Herren verliehen, – als das geschah, was ich Euch jetzt erzählen will ...«
Nach dieser kurzen geschichtlichen Einleitung schwieg unser Held für einige Sekunden, als wollte er seine Erinnerungen ordnen, und fuhr alsdann fort:
»In jenen alten Zeiten gehörte diese Ortschaft und noch einige andere zu den Besitzungen eines erlauchten Barons, dessen stolze Veste sich durch viele Jahrhunderte auf dem Felsrücken erhob, den der Fluß Segre bespült und von dem er seinen Namen erhielt.
Noch heut bezeugen die Wahrheit meiner Worte unförmliche Ruinen, mit Heidekraut und Moos bedeckt, die vom Fußwege in dieses Dorf aus gesehen werden können.
Ich weiß nicht, ob zum Glück oder Unglück das Schicksal wollte, daß jenen Herrn, den wegen seiner Grausamkeit alle Vasallen haßten, und den ob seiner schlechten Eigenschaften weder der König zum Hofe, noch die Nachbarn zu ihrem Herde zuließen, ... daß es also jenen Herrn anwiderte, einsam mit seiner üblen Laune und mit seinen Bogenschützen auf dem Felsgipfel zu hausen, auf den seine Ahnen sich dieses steinerne Nest hingebaut hatten.
Tag und Nacht zerbrach er sich den Kopf mit der Suche nach irgend einer Unterhaltung, die seiner Natur entspräche, was freilich schwer genug war, seitdem er überdrüssig geworden, mit seinen Nachbarn zu raufen, die Dienerschaft zu peitschen und die Leibeigenen zu hängen.
Bei dieser Gelegenheit fiel ihm, wie die Chroniken melden, ein zwar beispielloser, aber dennoch glücklicher Gedanke ein.
Er wußte, daß die Christen anderer mächtiger Völker zu einem ungeheuren Heere vereint sich bereiteten, ins heilige Land einzufallen, um das Grab unseres Herrn Jesu Christi, das die Mauren in ihrem Besitz hatten, zu erobern, und er beschloß ebenfalls dahin zu ziehen.
Ob er diesen Gedanken mit der Absicht ausführte, seine Sünden, deren es nicht wenig gab, durch Vergießen seines Blutes in einem so heiligen und gerechten Unternehmen abzuwaschen, oder vielleicht deshalb, damit er in ein anderes Land käme, wo man von seinen Schändlichkeiten nichts wußte, ist nicht bekannt.
Aber so viel ist sicher, daß er zu hoher Genugtuung der Großen und Kleinen, der Vasallen und Gleichgestellten so viel Geld zusammenbrachte, als er eben vermochte und gegen ein hübsch großes Lösegeld seine Dörfer der Vasallenpflichten entband und sich nicht mehr vorbehielt, als die hohe Felswand am Segre und jene vier Schloßtürme, das Erbe seiner Väter, und plötzlich gen Osten zu verschwand.
Die gesamte Umgebung atmete für einige Zeit leichter, als wäre sie von einem schweren Alp befreit worden.
Von den Bäumen der Wälder hingen nicht mehr anstatt der Früchte, Klumpen von Menschen herab; die Dorfmädchen fürchteten sich nicht mehr, wenn sie mit dem Krug auf dem Kopf zum Quell am Fußsteige gingen, um Wasser zu schöpfen, und die Hirten trieben ihre Schafherden nicht mehr auf versteckten, ungangbaren Wegen zum Segre, bei jeder Biegung des Pfades vor Angst zitternd, daß sie auf die Rüstmeister ihres teuren Herrn stoßen könnten.
So verrannen drei Jahre. Die Geschichten vom ›bösen Ritter‹, der bloß unter diesem Namen bekannt war, begannen schon ausschließliches Eigentum der alten Weiber zu werden, die von ihnen in den langen Spinngesellschaften zur Winterszeit mit hohler, vor Entsetzen zitternder Stimme den bestürzten Kindern erzählt wurden, und die Mütter ängstigten ihre unfolgsamen und schreienden Rangen mit den Worten: ›Wart – gleich kommt der Herr vom Segre!‹
Da plötzlich, ich weiß nicht, ob an einem Tage oder in einer Nacht, wie vom Himmel gefallen oder aus der Hölle gespieen, erschien abermals dieser schreckliche Herr, so, wie er leibte und lebte, mitten unter seinen früheren Vasallen.
Ich will den Eindruck dieser angenehmen Überraschung nicht schildern. Ihr könnt ihn euch besser vorstellen, als ich ihn zu beschreiben vermöchte, wenn ich bloß sage, daß er seine verkauften Rechte zurückforderte, dann daß er, wenn er schon seinerzeit schlecht war, noch schlechter wiederkehrte, daß er, wenn er verlassen und jedes guten Rufes ermangelnd, bevor er in den Krieg zog, jetzt auf keine fremde Hilfe hoffen durfte, als auf seinen Speer und auf ein halbes Dutzend Abenteurer, die gerade so gottverlassen und verderbt waren, wie er selbst.
Wie sich von selbst versteht, sträubten sich die Dorfleute, die Steuern zu zahlen, von denen sie sich ja für eine so hohe Summe gelöst hatten, aber der gnädige Herr zündete ihnen die Scheunen und die Häuser über dem Kopfe an.
Da begannen sie die Gerechtigkeit des Königs anzurufen, aber dieser entsetzliche Mensch lachte über die schriftlichen Befehle der edlen Grafen, schlug die Schriftungen an die Tore seiner Türme und hing die armen Dummköpfe von Herolden an die Eichen. ...
Verzweifelnd und ohne ein anderes Mittel zu ihrer Rettung, beschlossen sie schließlich, sich zusammenzutun; und sich Gottes Willen befehlend, griffen sie zu den Waffen; aber jener Tyrann trommelte alle seine Anhänger zusammen, rief den Teufel um Hilfe an, kletterte in seinen Horst und rüstete sich zum Kampfe.
Entsetzlich und blutig fing der Krieg an.
Es wurde mit allen Waffen, an allen Orten und zu jeder Stunde gekämpft, mit Schwert und Feuer, auf Bergen und in Tälern, bei Tag und Nacht.
Das war kein Kampf ums Leben, das war ein Leben um zu kämpfen!!
Endlich siegte das Recht. Hört, wie das geschah!
In einer düstern, furchtbar düstern Nacht, in der weder ein Ton auf Erden zu hören war, noch ein einziger Stern am Himmel blinkte, teilten sich die von einem neuen Siege erhitzten Herren auf der Veste in die erjagte Beute und berauscht von der Stärke der Getränke begannen sie, inmitten einer wahnwitzigen und lärmenden Orgie, gottvergessene, lästerliche Lieder zu Ehren ihres höllischen Schutzpatrons zu singen.
Wie ich schon sagte, war rings um die Burg nichts anderes zu hören, als das Echo der schändlichen Gesänge, die hinzitternd sich im Dunkel der Nacht verloren, gleichwie die Seelen der Verdammten, eingehüllt in den Mantel eines höllischen Orkans durch die Hölle hinzittern.
Die nachlässigen Schildwachen warfen manchmal ihre Blicke hinunter auf die schlafende Stadt und duselten dann ein, auf die schweren Schäfte ihrer Spieße gelehnt, ohne Furcht vor einem Überfall; als da einige Bauern, entschlossen zu sterben und begünstigt von der Finsternis, es wagten, hinauf zu klimmen zum Felsgipfel des Segre, auf dessen Spitze sie gegen Mitternacht anlangten.
Einmal oben, war, was ihnen noch zu tun übrig blieb, das Werk eines kurzen Augenblickes. Mit einem Satze übersprangen die Wachen den Grenzstein, welcher den Schlaf vom Tode trennt.
Ein mittelst Pechfackeln auf der Brücke und unter dem Fallgatter angerichtetes Feuer verbreitete sich blitzschnell über die Veste.
Unterstützt von der Verwirrung und den Flammen bahnten sich die Stürmenden den Weg und machten den Bewohnern dieser Räuberhöhle in der Zeit, in der man die Augen schließt und öffnet, ein Ende. Alle kamen um!
Als der nahende Tag die hohen Wipfel der Wacholderbäume silbern zu färben begann, rauchte es noch immer aus den verbrannten Resten der schiefstehenden Türme, durch deren mächtige Breschen man leicht die Rüstung des gefürchteten Herrn auf einer der schwarzen Säulen des Festsaales hängen und im Lichte des bleichen Morgens gleißen sah.
Der Leichnam des Barons, mit Blut und Staub bedeckt, lag auf zerrissenen Teppichen und der noch glühenden Asche, inmitten seiner übrigen ruchlosen Spießgesellen. ...
Die Zeit verging. Auf den verlassenen Höfen sproß Dorngesträuch empor, Efeu wand sich um die dunklen Pfeiler und Schwibbogen, und die blauen Glöckchen der Winde hingen, schaukelten und nickten von den Schloßzinnen.
Veränderliches Windgestöhne, Gekreisch von Nachtvögeln und Rascheln der durch das hohe Gras gleitenden Kriechtiere unterbrachen zeitweilig das Todesschweigen dieser verfluchten Stätte.
Die unbegrabenen Knochen der ehemaligen Bewohner schimmerten im Mondstrahl, und noch immer konnte man die Rüstung des Herrn von Segre auf dem schwarzen Pfeiler des Festsaales hangen sehen. ...
Niemand getraute sich, das Gewaff zu berühren, aber tausend Fabeln waren schon darüber verbreitet, voll unerschöpflichen Stoffes zu allerlei Geschichten, um Furcht allen jenen einzujagen, die tagsüber diese schrecklichen Rüststücke im goldigen Glanze des Sonnenlichtes sahen oder in später Nachtstunde davon träumten, daß sie den ehernen Klang des vom Winde hin und her bewegten, mit langem, traurigen Stöhnen zusammenschlagenden Eisens vernähmen.
Trotz allem, was man von dieser Rüstung erdacht hatte, und was mit gedämpfter Stimme die einen den andern zuraunten, waren es schließlich dock nur Geschichten, und das einzige Tatsächliche beschränkte sich bloß auf ein hübsches Teil übertriebener Furcht, die jedermann auf alle mögliche Art zu verbergen trachtete.
Wäre es nur dabei geblieben, es hätte nichts geschadet!
Aber der Teufel, der allem Anschein nach mit seinem Werke nicht zufrieden war, begann sich, ohne Zweifel mit Zulassung Gottes, damit die Bewohner ihre Sünden abbüßten, in diese Angelegenheit selbst einzumischen.
Von diesem Augenblick nahm das Gerede, das bisher nichts anderes, als ein leeres und eitles Gerücht ohne alle Wahrscheinlichkeit war, bestimmte Formen an und wurde von Tag zu Tag glaubhafter.
In der Tat konnte das ganze Dorf seit einigen Nächten eine merkwürdige Erscheinung beobachten.
Fern im Dunkel, bald auf den zackigen Abhängen des felsigen Segre, bald in den Ruinen des Schlosses, scheinbar in der Luft ließen sich geheimnisvolle, phantastische, umherschweifende Lichter sehen, fliegend, sich kreuzend, emporschwebend und wiederum herabfallend, die in verschiedenen Richtungen aufleuchteten und verschwanden und deren Herkunft niemand erklären konnte.
Das wiederholte sich durch drei oder vier Nächte während eines Monats.
Die in Verwirrung gebrachten Dorfleute erwarteten mit Unruhe die Folgen dieser Begebenheiten, die auch wirklich nicht lang auf sich warten ließen.
Als drei oder vier Gehöfte in Feuer aufgegangen waren, als einige Stücke Vieh in Verlust gerieten und in Schluchten und Abgründen Leichen von Wanderern gefunden wurden, geriet die ganze Landschaft auf zehn Meilen im Umkreis in hellen Aufruhr.
Es war kein Zweifel mehr: Eine Rotte von Übeltätern verbarg sich in den Kellergewölben der zerstörten Burg.
Diese Räuber zeigten sich anfänglich bloß von Zeit zu Zeit an bestimmten Stellen des Waldes, der sich heute noch längs des Flußufers hinzieht, aber endlich besetzten sie alle Hohlwege in den Bergen, legten sich an den Wegen in Hinterhalt und stürzten wie ein Wildbach in die Ebene, wo sie niemand den Kopf zwischen den Schultern ließen.
Die Mordtaten mehrten sich zusehends. Mädchen verschwanden spurlos, Kinder wurden, ungeachtet des Wehgeschreis der Mütter aus den Wiegen gerissen, um den teuflischen Festen zu dienen, bei denen, wie man allgemein wußte, heilige, aus entweihten Kirchen gestohlene Kelche als Becher benützt wurden.
Angst und Entsetzen bemächtigte sich aller Gemüter so sehr, daß nach dem Abendläuten niemand aus seiner Hütte zu gehen wagte, in der man übrigens ja auch nicht sicher war vor den Banditen vom Felsen.
Wer aber waren sie? ... Woher kamen sie? ... Wie hieß ihr geheimnisvoller Führer? ...
Das war ein Rätsel, das alle aufzulösen wünschten, das aber dazumal keiner erklären konnte, obgleich man bald bemerkte, daß die Rüstung des Lehensherrn de Segre von ihrem früheren Platze verschwunden war und späterhin viele Arbeiter behaupteten, der Hauptmann jener gottverdammten Rotte sei an ihnen vorübergegangen, gekleidet in, wenn nicht denselben, so doch wenigstens einen ganz und gar ähnlichen Panzer.
Soweit man dies einfach nacherzählt und des Phantastischen entkleidet, womit die Furcht ihre Lieblings-Schöpfungen vergrößert und vervollständigt, soweit ist nichts Übernatürliches, noch Wunderbares an der Sache.
Was ist denn bei Räubern gewöhnlicher, als Grausamkeit, durch die sie sich auszeichnen, und was ist natürlicher, als daß sich ihr Haupt der verlassenen Waffen des Herrn de Segre bemächtigt?! ...
Aber die Aussagen eines jener Gesellen, der im letzten Scharmützel sterbend gefangen worden war, verstärkten weit über das Maß hinaus das Grauen, das sich selbst der Ungläubigsten bemächtigte.
Das Bekenntnis des Räubers war im Ganzen etwa folgendes:
»Ich bin aus einer vornehmen Sippe,« sagte er. Die Verirrungen meiner Jugend, meine tolle Schwelgerei und endlich auch meine Verbrechen lasteten auf meinem Haupt mit dem Zorn meiner Verwandtschaft und dem Fluche meines Vaters, der mich auf seinem Sterbebette enterbte ... Dem allein ohne Hilfe und Zuflucht Dastehenden gab gewiß der Teufel selbst den Gedanken ein, junge Männer um sich zu scharen, die in gleicher Lage waren wie ich, und die durch Versprechungen künftiger Freuden, Freiheit und Überfluß sich verführen ließen und keinen Augenblick zögerten, meine Pläne gut zu heißen.
Diese bestanden nun darin: eine Rotte lustiger, vorurteilsloser und keine Gefahr scheuender Jünglinge zu bilden, die von Stund ab vom Ertrag ihrer Waghalsigkeit und auf Kosten des Landes lustig leben sollten, bis es einmal Gott gefiele, über einen jeden nach seinem eigenen Gutdünken zu verfügen, so, wie es nun mir widerfahren ist.
Zu diesem Zwecke ersahen wir diese Gegend als Schauplatz unserer künftigen Unternehmungen und wählten als zumeist geeignet für unsere Verbrüderung die verlassene Veste Segre, einen sicheren Schlupfwinkel, nicht so sehr wegen ihrer starken und vorteilhaften Lage, sondern auch, weil sie gegen das Volk durch Aberglauben und Furcht verteidigt wurde.
In einer Nacht, als wir unter den zertrümmerten Arkaden ums Feuer versammelt saßen, das mit seinem roten Schein die öden Galerien beleuchtete, entbrannte ein hitziger Streit darüber, wer von uns zum Anführer gewählt werden sollte.
Jeder rühmte seine Verdienste. ...
Auch ich setzte meine Rechte und Ansprüche auseinander. ...
Schon murrten einige bei sich, mit drohenden Mienen umherblickend, schon erhoben andere ihre vom reichlichen Trinken heiseren Stimmen und legten die Fäuste auf die Hefte ihrer Dolche, um durch den Stahl die Streitfrage zu entscheiden, als wir urplötzlich ein seltsames Waffengeklirr hörten, von dumpf dröhnenden Schritten begleitet, die immer näher und näher kamen.
Wir blickten beunruhigt und voll Mißtrauen um uns. Wir sprangen auf und zückten die Schwerter, entschlossen, unser Leben so teuer als möglich zu verkaufen.
Aber trotzdem blieben wir ohne Regung stehen, als wir einen Mann festen, gemessenen Schritts auf uns zukommen sahen, einen Mann von hoher Gestalt, vom Wirbel bis zur Zehe vollständig geschient, dessen Gesicht durch das herabgelassene Visier verdeckt ward, der sein Schwert, das zwei Männer kaum handhaben würden, zog und es auf die verwitterten Reste der auseinandergefegten Arkaden legend mit hohler und tiefer, dem Brausen unterirdischer Gewässer gleichender Stimme ausrief:
›Wagt es einer von euch der Erste zu sein, so lange ich auf der Veste des Segre hause, so nehme er dieses Schwert zum Zeichen seiner Gewalt!‹
Wir schwiegen insgesamt. ...
Als aber der erste Augenblick des Schreckens vergangen war, riefen wir ihn mit großem Geschrei zu unserem Führer und Herrn aus und reichten ihm den Weinpokal. Aber er lehnte mit einer Handbewegung ab, vielleicht um sein Antlitz nicht zeigen zu müssen, das wir vergebens unter dem bergenden Eisengitter zu erkennen uns bemühten.
Nichtsdestoweniger legten wir in dieser Nacht einen fürchterlichen Schwur in seine Hände ab, und in der darauffolgenden begannen wir unsere nächtlichen Ausfälle.
Unser unbekannter, geheimnisvoller Anführer ging dabei stets voran. Das Feuer hält ihn nicht auf, die Gefahr schreckt ihn nicht, die Tränen rühren ihn nicht.
Niemals öffnet er seine Lippen. Aber wenn unsere Hände vom Blute rauchen, wenn die Kirchen in der Flammenlohe einstürzen und die erschrockenen Weiber mit Wehklagen durch die Ruinen laufen, wenn die Kinder in Schmerzen schreien und die Greise unter unseren Hieben sterben, da beantwortet sein wildes, triumphierendes Gelächter ihr Stöhnen, Seufzen und Wehklagen. ...
Niemals legt er seine Waffen ab, niemals hebt er das Visier seiner Sturmhaube, niemals nimmt er teil an unseren Schwelgereien, ... niemals legt er sich zum Schlafe nieder.
Die Schwerter, die ihn treffen, bohren sich zwischen die Platten seines Harnisches, aber sie verwunden ihn nicht und sind, sobald sie aus der Wunde gerissen werden, nicht mit Blut gefärbt.
Das Feuer übergießt mit Rostfarbe seinen Panzer und seinen Helm, aber er dringt furchtlos durch die Flammen, um nach neuen Opfern zu suchen. Er verschmäht das Gold, verachtet die Schönheit und kennt keinen Ehrgeiz.
Einige von uns halten ihn für einen Sonderling, andere für einen verarmten Edelmann, der infolge eines Restes von Scham sein Antlitz verbirgt, ja es fehlen auch nicht solche, die fest überzeugt sind, daß es der Teufel in eigener Person ist!! –
Der Mann, der dieses sagte, gab seinen Geist mit einem höhnischen Lachen auf den Lippen auf, ohne seine Sünden zu bereuen.
Viele seiner Genossen folgten ihm in verschiedenen Fristen vor den Richterstuhl Gottes, ... aber der furchtbare Anführer, dem sich stets neue Parteigänger anschlossen, hörte in seinen unheimlichen Raubzügen nicht auf!
Die unglücklichen Bewohner der benachbarten Landschaften wurden immer trostloser und verzweifelter. Sie fanden nirgendwo Rat, wußten nicht, was beginnen, um ein für allemal diesen Zuständen abzuhelfen, die von Tag zu Tag unerträglicher und trauriger wurden.
Unweit des Dorfes wohnte zu jener Zeit in einer kleinen Einsiedelei verborgen, im tiefen Waldesdickicht ein Ordensbruder, der sich dem heiligen Bartholomäus geweiht hatte, ein ungewöhnlich frommer Mann, mitleidig und musterhaft von Sitten, der bei den Leuten im Geruch der Heiligkeit stand wegen seiner heilbringenden Ratschläge und Vorhersagungen, die stets eintrafen.
Dieser ehrwürdige Siedler, dessen Freundlichkeit und sprichwörtliche Weisheit die Bewohner von Bellver die Lösung dieser schweren Sache übertrugen, riet, nachdem er die Gnade Gottes angerufen, durch Vermittlung seines heiligen Patrons, der, wie euch wohl bekannt sein dürfte, den Teufel aus der Massen gut kennt, und ihn bei mehreren Gelegenheiten gezähmt hat, ... dieser ehrwürdige Mönch also riet, sie möchten sich in der Nacht am Fuße des steinigen Pfades aufstellen, der sich zwischen den Felsen hindurchschlängelnd bis zum Schlosse hinaufführt. Dort angelangt, sollten sie keiner anderen Waffe sich bedienen, als eines wundertätigen Gebetes, das er sie auswendig lehrte und durch dessen Hilfe, wie Chroniken berichten, der heilige Bartholomäus den Teufel zu seinem Gefangenen gemacht hatte.
Der Vorschlag wurde zur Tat und der Erfolg übertraf alle Hoffnungen, die man hegen mochte.
Die Sonne des nächsten Tages hatte noch nicht den hohen Kirchturm von Bellver bestrahlt und schon erzählten einander die Bewohner, in Trupps auf dem Marktplatz stehend, mit geheimnisvollen Mienen, wie in dieser Nacht, an Händen und Füßen fest gebunden, der berüchtigte Führer der Banditen vom Segre auf dem Rücken eines starken Maultieres nach Bellver geführt worden sei.
Auf welche Weise es geschah, daß die Männer jene Tat vollbringen konnten, vermochte niemand zu erklären, ja sie selbst wußten es nicht zu sagen.
Soviel aber stand fest, daß, dank dem Gebete des Heiligen, oder der Tapferkeit seiner Verehrer, dem wirklich so war, wie man es erzählte. Kaum hatte sich die Neuigkeit von Mund zu Mund, von Hütte zu Hütte verbreitet, stürzten auch schon die Volksmassen mit wildem Freudengeschrei auf die Gassen und sammelten sich vor dem Tore des Gefängnisses an. – –
Die Glocke der Pfarre rief zur Ratsitzung, die würdigsten Bürger fanden sich im Rathause ein, und alle erwarteten ungeduldig aber auch ängstlich den Augenblick, wo der Schuldige vor seinen unverhofften Richtern erscheinen würde.
Diese, im Besitz der Bevollmächtigung der Grafen de Urgèl, nach ihrem eigenen Dafürhalten rasch und streng über jene Verbrecher zu richten, berieten eine Weile, worauf sie den Verurteilten vorzuführen befahlen, um ihm das Urteil zu verkünden.
Wie bereits gesagt, wimmelte auf dem Marktplatze, wie auch in den Gassen, durch die der Verbrecher geführt werden mußte, um vor seinen Richter zu erscheinen, die ungeduldige Menge wie ein zusammengedrängter Bienenschwarm durcheinander. Zumal am Gefängnistore selbst wuchs die Aufregung der Leute fortwährend von Augenblick zu Augenblick.
Das lebhafte Gespräch, das dumpfe Tosen und die drohenden Ausrufe begannen schon die Wachen mit Besorgnis zu erfüllen, als da zum Glück der Befehl kam, den Schuldigen vorzuführen.
Als dieser in voller Rüstung, das Antlitz vom herabgelassenen Visier bedeckt, unter dem mächtigen Bogen des Portals erschien, erhob sich im gedrängten Volkshaufen ein gedämpftes, lang anhaltendes Summen des Staunens und der Überraschung. Und nur mit Mühe konnte sich der Trupp den Weg durch die Menge bahnen.
Alle erkannten in der Rüstung den Harnisch des furchtbaren Herrn de Segre, jenen Harnisch, der Gegenstand so vieler, unheimlicher Geschichten war, so lang er noch an den zertrümmerten Wänden des verfluchten Schlosses hing.
Die Rüstung war dieselbe, darüber konnte kein Zweifel bestehen. Alle hatten diesen schwarzen Busch von seiner Sturmhaube in den Kämpfen wallen gesehen, die sie dereinst gegen ihren Herrn geführt; alle hatten ihn gesehen, wie er im abendlichen Windhauche von der Säule auf und nieder flatterte, auf der er nach dem Tode des Herrn hängen blieb, ähnlich dem um verbrannte Säulen sich windenden Efeu.
Wer mochte aber der Unbekannte sein, der nun die Rüstung trug?
Das würden sie, sobald als möglich, erfahren, so glaubten wenigstens alle.
Endlich war der geheimnisvolle Räuberhauptmann im Saale des Rathauses angelangt und tiefes Schweigen folgte der Bewegung, die unter den Anwesenden Platz gegriffen hatte, als sie den Metallklang seiner goldenen Sporen an den Wölbungen des weiten Raumes widerhallen hörten.
Einer von denen, die das Richterkollegium bildeten, frug ihn mit schwacher und unsicherer Stimme nach seinem Namen und alle lauschten aufmerksam, um ja nicht ein einziges Wort der Antwort zu verlieren.
Aber der eiserne Mann beschränkte sich bloß darauf, leicht mit den Achseln zu zucken, als Zeichen der Gleichgiltigkeit oder der Geringschätzung, was die Richter, die ihn erstaunt anblickten, nur ärgern mußte.
Dreimal ward ihm dieselbe Frage gestellt, aber stets empfingen sie dieselbe oder doch eine ähnliche Antwort.
– Er soll das Visier aufschlagen! Er soll das Gesicht entblößen! – Er muß sich zu erkennen geben! begannen die Dorfleute zu rufen. ... Er soll sich zeigen! Wir werden sehen, ob er sich dann noch erfrechen wird, uns mit seiner Verachtung zu beschimpfen, wie er es jetzt tut, darauf bauend, daß er unerkannt ist! –
Schlagt das Visier auf! sagte abermal der Vorsitzende.
Der Eiserne rührte sich nicht.
– Ich befehle es Euch im Namen unserer Gewalt!
Dieselbe Antwort.
– Im Namen der regierenden Grafen!
Nicht einmal jetzt! ...
Die Entrüstung erreichte den Gipfel. ... Einer von seiner Begleitungsmannschaft stürzte sich auf den Trotzigen, dessen Störrigkeit auch die Geduld eines Heiligen erschöpft hätte und öffnete mit Gewalt sein Visier.
Ein Aufschrei der Überraschung entrang sich dem Munde sämtlicher Anwesenden, die einen Augenblick von unfaßbarer Furcht ergriffen, dastanden.
Der Helm, dessen eisernes Visier zur einen Hälfte bis zur Stirn aufgeschlagen war, zur andern auf den glänzenden Halsberg fiel, war leer ... vollkommen leer!
*
Als man nach dem ersten Schreckens-Anfall die eiserne Rüstung berührte, erbebte sie leicht und zerfiel in Stücke, die mit dumpfem, gespenstischem Gerassel zu Boden sanken. ...
Die Mehrzahl der Zuschauer, das neue Wunder sehend, drängte sich schreiend aus dem Rathause und jagte entsetzt auf den Marktplatz.
Die Neuigkeit verbreitete sich mit Gedankenschnelle durch den Haufen, der ungeduldig den Erfolg des Gerichtes erharrte.
Und es war das Entsetzen, das Geschrei, die Angst und Furcht so groß, daß niemand mehr daran zweifelte, was die allgemeine Stimme versicherte: der Teufel selber hätte nach dem Tode des Herrn de Segre das Lehen von Bellver geerbt.
Endlich hatte sich die Aufregung gelegt und es ward beschlossen, jene merkwürdige Rüstung in einen der unterirdischen Kerker einzusperren.
Alsdann sandte man vier Boten aus, die im Namen der bedrängten Stadt diesen Vorfall dem Erzbischof und den Grafen von Urgèl anzeigen sollten ... schon nach einigen Tagen kehrten sie mit dem Bescheid der edelgeborenen Herrn zurück, mit einem Bescheid, der, wie man sagt, Hand und Fuß hatte.
– Die Rüstung möge, so sagte man ihnen, auf dem Marktplatze aufgehängt werden. Wenn der Teufel darinnen steckt, wird er genötigt sein, aus ihr herauszufahren oder mit ihr aufgehängt zu werden! ...
Die Bürger von Bellver, in Begeisterung über die so sinnvolle Entscheidung, kamen nochmal zur Beratung zusammen, befahlen einen hohen Galgen auf dem Marktplatze aufzustellen, und, als das Volk alle Zugänge besetzt hatte, gingen sie, in festlichem Zuge und mit der Würde, wie es die Wichtigkeit der Sache erheischte, zum Kerker, um jenes rätselhafte Rüstzeug zu holen.
Als der ehrenwerte Zug unter die mächtige Wölbung des Eingangs kam, warf sich ein Mensch, aschfahl und ganz verwirrt, vor der erschrockenen Versammlung zu Boden und rief mit Tränen in den Augen:
– Gnade, ihr Herren, Gnade!
– Gnade!? Wem? schrieen einige. ... Dem Gottseibeiuns, der in der Rüstung des Herrn de Segre steckt? ...
– Mir! fuhr mit zitternder Stimme der Unglückselige fort, in dem alle den Schließer des Gefängnisses erkannten. ... Mir! ... denn, ... denn die Rüstung – ist verschwunden! ...
In den Mienen aller, die in der Toreinfahrt standen, offenbarte sich Schrecken, als sie diese Worte hörten und stumm, regungslos wären sie, Gott selbst weiß, wie lange, in derselben Stellung geblieben, wenn die Erzählung des ganz vernichteten, mit schmerzlicher Stimme fortfahrenden Schließers sie nicht genötigt hätte, um ihn herumzutreten und mit Spannung zu lauschen.
– Erbarmt euch, ihr Herren, sagte der arme Kerkermeister, ich will nichts vor euch verheimlichen, auch wenn es mir zum Schaden gereichen sollte.
Alle sahen ihn stumm an und er fuhr fort:
– Ich kann nicht sagen, weshalb, aber es ist gewiß, daß mir die Geschichte vom leeren Harnisch immer als Fabel vorkam, zu Gunsten irgend einer vornehmen Person erdichtet, die vielleicht aus wichtigen Rücksichten des öffentlichen Wohls weder entdeckt, noch bestraft werden dürfe.
Diese Vermutung beherrschte mich fortwährend, worin mich die Unbeweglichkeit, in der das eiserne Rüstzeug verharrte, seit es zum zweiten Mal aus dem Rathause in den Kerker gebracht worden war, noch mehr bestärkte.
Umsonst schlich ich leise eine Nacht um die andere, willens das Geheimnis zu lüften, – wenn dahinter überhaupt ein Geheimnis steckte! – zur eisernen Tür des unterirdischen Gefängnisses und legte mein Ohr an dessen Gitter. Nicht ein Ton war zu vernehmen!
Umsonst versuchte ich, die Rüstung durch eine kleine, in die Tür gebohrte Öffnung zu beobachten! – In einem der dunkelsten Winkel hingeworfen auf einer Handvoll Stroh lag sie fortwährend lang ausgestreckt und ohne Regung.
Endlich, in einer Nacht, getrieben von Neugier und vom Wunsche, mich zu überzeugen, ob in Wirklichkeit an jenem Gegenstande des Schreckens nichts Geheimnisvolles sei, zündete ich ein Licht an, stieg zum Kerker hinab, schob die zwiefältigen Riegel zurück und nicht einmal daran denkend (denn so groß war mein Glaube, daß all das nichts mehr als ein bloßes Märchen sei!) – hinter mir die Pforte zu schließen, trat ich ins Innere ...
Ach, hätte ich es doch nie getan! ...
Kaum, daß ich ein paar Schritte gemacht hatte, verlosch urplötzlich das Licht meiner Laterne von selbst, die Zähne begannen mir zu klappern und meine Haare stiegen zu Berge.
In der tiefen Stille, die mich umgab, hörte ich einen Ton wie von Eisenplatten, wenn sie aneinander anklingen.
Meine erste Bewegung war, auf die Tür hinzustürzen und den Ausgang zu vertreten. Aber indem ich den Türflügel erfaßte, fühlte ich in meinem Genick eine schreckliche, mit Eisen bekleidete Hand, die mich zuerst heftig schüttelte, um mich sodann auf die Schwelle zu schleudern.
Dort blieb ich bis zum Morgen liegen, wo mich meine Diener bewußtlos fanden, und als ich meiner Sinne wieder mächtig wurde, konnte ich mich nur noch verworren erinnern, daß es mir war, als hätte ich verhallende Schritte gehört und gleichzeitig den läutenden Klang von Sporen, die sich immer mehr und mehr entfernten, bis sie endlich ganz verklangen. ...
Als der Kerkermeister geendigt hatte, herrschte tiefes Schweigen, dann aber erhob sich ein höllischer Lärm und ein Durcheinander von Klagen, Schreien und Drohungen.
Es kostete den Friedliebenden große Mühe, das Volk zurückzuhalten, das durch die Nachricht aufgewiegelt, mit wildem Geschrei den Tod dessen verlangte, der dies neue Unheil verschuldet hatte.
Endlich gelang es, den Sturm zu beschwichtigen und man fing an, Vorkehrungen zu neuer Verfolgung zu treffen.
Auch diese war von Erfolg begleitet.
Nach wenig Tagen befand sich die Rüstung abermals in den Händen der Bürger von Bellver. Das war nicht gar so schwer, da man ja die Formel kannte und da der heilige Bartholomäus mithalf.
Damit war aber noch nicht alles beendet!
Vergebens hing man sie, um sie endlich zum Bleiben zu zwingen, auf den Galgen, vergebens wandten die Bürger alle Vorsicht an, um sie aller Möglichkeit zu berauben, sich irgend wohin auf dieser Welt zu retten. Sobald die Strahlen des Mondlichts auf die auseinandergefallenen Waffenstücke fielen, fügten sie sich wieder zusammen und machten sich stracks auf und davon, und begannen von neuem ihre Ausfälle in Bergen und Tälern, daß es eine Lust war! ...
Es schien eine Geschichte ohne Ende zu werden.
In so trauriger Lage teilten sich die Nachbarn in die Stücke der Rüstung, die wohl zum hundertsten Male wieder in ihre Hände gelangt waren, und baten den frommen Siedler, der sie schon einmal mit seinem Rat erleuchtet hatte, ihnen zu sagen, was sie damit zu tun hätten.
Der heilige Mann ordnete zuerst einen allgemeinen Bußtag an. Dann blieb er drei Tage hindurch in der tiefen Höhle, die ihm zum Asyl diente, eingeschlossen und befahl endlich, diese teuflischen Waffen zu zerschmelzen und daraus, im Verein mit einigen Felsblöcken des Segre ein Kreuz zu verfertigen. ...
Das Werk wurde vollendet, freilich nicht ohne neue und furchtbare Wunder, welche das Gemüt der geängstigten Bewohner von Bellver abermals mit Furcht erfüllten.
Sobald die ins Feuer geworfenen Stücke der Rüstung zu glühen anfingen, schienen lange, tiefe Seufzer aus den Flammen des breiten Feuerherdes zu ertönen, immer mehr und mehr, je glühender das Eisen wurde und die Eisenstücke wälzten sich zwischen den Holzscheiten hin und her, wie wenn sie lebendig wären und die Wirkung der Lohe fühlen würden.
Ein Schwarm von roten, grünen und blauen Funken tanzte auf der Spitze der Flammenzungen, die sich wanden und krümmten, als kämpfe eine Legion von Teufeln für ihren Herrn, willens ihn aus diesen Marterqualen zu befreien.
Furchtbar, schrecklich war die Arbeit, bevor das zerfließende Eisenwerk seine Form verlor, um die Gestalt des Kreuzes anzunehmen.
Mit wildem Gedröhne fielen die Hämmer auf den Amboß, wo zwanzig Arbeiter mit aller Kraft das glühende Metall festhielten, das bebend und zitternd unter den Schlägen unheimlich stöhnte.
Schon breiteten sich die Arme des Sinnbildes unserer Erlösung aus, schon begann der obere Teil diese Gestalt anzunehmen, als der teuflische, rauchende Stoff aufs neue in schrecklichen Zuckungen sich krümmte, und die Körper der Unglücklichen umschlang, die Mühe hatten, sich dieser tötlichen Umarmung zu entziehen. Das seltsame Schmiedeeisen wand sich wie eine Schlange in ihren Ringen und züngelte wie ein Blitz nach allen Richtungen.
Der beständigen Arbeit, dem Vertrauen, dem Gebete und dem geweihten Wasser gelang es endlich, den Höllengeist zu bewältigen und die Rüstung verwandelte sich in ein Kreuz.
Und dies ist jenes Kreuz, das Ihr heute gesehen habt, und an das der Teufel gefesselt ist, der ihm den Namen gegeben.
Unter dieses Kreuz legen die Mädchen im Mai keine Lilienzweige, die Hirten entblößen nie ihr Haupt, wenn sie vorüberziehen, die Greise knieen nicht nieder und die strenge Ermahnung der Geistlichkeit ist kaum imstande, zu verwehren, daß es von den Buben nicht gesteinigt werde.
Gott schenkt keiner Bitte Gehör, die zu ihm unter diesem Kreuze hinaufgesendet wird.
Im Winter laufen die Wölfe unter dem Wacholderbaum, der es beschattet, in Meuten zusammen und werfen sich auf die Heerden; Mörder lauern den Wanderern in seinem Schatten auf und vergraben an seinem Fuße die Ermordeten und, wenn ein Gewitter tobt, so fahren die Blitze zischend in seinen Stamm und zersplittern die Steine seines Sockels ...«