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Diese verschiedenen Versuche, sich am Schicksal vorbeizudrücken, bringen uns den munteren KARL SCHWARTZE, den «reisenden Berliner», in Erinnerung, der seine «wahre und abenteuerliche» Lebensgeschichte niederschrieb und ein pfiffiges Seitensprüngchen des braven Bürgertums von damals repräsentiert. Schwartze wanderte gerade, als die Franzosen nach der Schlacht von Jena in Berlin einziehen wollten, zufällig zum Tor hinaus mit einem Paß, der zwar auf einen Pommer lautete, aber doch immerhin ein Paß war. Er durchwanderte zuerst die Schweiz, das Mutter- und Musterland allen Spießbürgertums von jeher, und schreibt darüber:
«Die Bewohner der Schweiz, von deren Gastfreundschaft, Biedersinn und Unschuld ich früher so viel gehört und gelesen, erschienen mir nicht besser als die anderen Menschen, welche ich bis jetzt kennen zu lernen Gelegenheit gehabt hatte, höchstens kam mir der Bürger etwas mehr an alten Gebräuchen klebend und der Landmann ein wenig roher vor.»
In einem Werbewirtshaus läßt sich Schwartze trotzdem für ein «Schweizer» Regiment anwerben (diese sogenannten «Schweizer» Regimenter bestanden höchstens aus einem Drittel Schweizer, die übrigen waren größtenteils Deutsche), das nach Spanien zu marschieren hatte und auch marschierte. Obwohl doch Schwartze, um sich kriegerisch zu betätigen, nicht hat in die Ferne zu schweifen brauchen. Erst nachdem im Heimatland die Freiheitskriege vorüber sind und überall die behagliche Biedermeierzeit aufzublühen beginnt, kehrt der Muntre zurück, sucht und findet Mutter und Geschwister wieder und wird ein zufriedener, biederer, doch durchaus nicht wenig schlauer Familienvater.
Seine Anlage dazu verrät sich schon in mancher seiner kühnen Schilderungen, in denen Essen und Trinken und kleine Pfiffigkeiten keine geringe Rolle spielen. Wir lassen ihn selbst erzählen:
«Das Leben im Werbe-Wirtshause war für einen armen Teufel ein herrliches. Um acht Uhr standen wir aus unseren warmen Betten auf und aßen eine kräftige Rindfleischsuppe, etwas später weißes Brodt und guten Käse mit einem Gläschen Kirschwasser; zu Mittag gab es wieder gute Suppe, schmackhaftes Gemüse, gekochtes Rindfleisch, irgend eine Art Braten und einen Schoppen Wein, später Brodt und einen Schoppen Birnen- oder Äpfel-Wein, und des Abends ein dem Mittagsessen fast ganz ähnliches Mahl; nur Freitags und Sonnabends, als katholischen Fasttagen, gab es kein Fleisch, dagegen aber gut zubereitete, schmackhafte Milch- und Butter-Speisen. Täglich ausgehen konnten wir auch, jedoch nicht einzeln, sondern gewöhnlich Alle zusammen, um etwa beabsichtigte Desertion zu verhüten. Unsere Pässe waren übrigens in den Händen des Herrn Officiers. Als ich engagiert wurde, bestand unser Trupp aus zehn Mann, und es war beschlossen, daß unser Marsch nach Spanien vor sich gehen sollte, sobald wir fünf und zwanzig bis dreißig Mann stark sein würden. Nach zwei Wochen war es so weit und zu unserer übermorgenden Abreise Alles in Bereitschaft. Da wurde ich plötzlich krank; ein heftiges Fieber ergriff mich so sehr, daß ich das Bett hüten mußte und des andern Tages von zwei Kameraden in das Hospital geführt ward ...
Ich kann hier nicht umhin, die Methode anzuführen, welche in diesem Hospitale, das zu einem Frauenkloster gehörte und worin, den Arzt ausgenommen, nur Weiber Dienstleistungen verrichteten, bei den Kranken befolgt wurde. Die Schweizer, besonders die Luzerner, müssen das Essen auch für ein Haupt-Bedürfnis des Kranken halten: denn Einer wie der Andere bekam viel und kräftiges Essen, fast eben so, wie im Werbehause, den Wein abgerechnet. Vermuthlich hatte der Arzt den Grundsatz: wer krank ist, wird nicht essen, sich also keinen Schaden zufügen, und wer Appetit hat, ist gesund, und dem schadet es auch nicht. Dem sei nun, wie ihm wolle: so matt und elend ich in's Krankenhaus kam, so gesund war ich nach drei Wochen ...
Als ich nun wieder in dem Wirtshause bei neuen Kameraden war und der Tag unseres Aufbruchs nach Spanien sich näherte, betraf mich ein neuer Unfall. Ich trat nämlich beim Aufstehen von der Abendmahlzeit einem unter meinem Stuhl einen Knochen verarbeitenden Hund auf die Pfote, und wurde von ihm mit einem tüchtigen Biß an meinem rechten Fuße nahe dem Knöchel bezahlt. Mein Lieutenant war darüber ordentlich erschrocken, und meinte: ich würde, wenn ich wieder hier bleiben müßte, ihm ein kostspieliger Rekrut werden. Auf seinen Rath wurde der Hund ergriffen, ihm ein Büschel Haare ausgerupft, und diese mußten mir dann, als man die stark blutende Wunde vorher mit Branntwein ausgewaschen, auf selbige gelegt werden: es sollte das probateste Mittel zur Heilung eines Hundebisses sein ...»
Nicht übel ist auch die kleine Episode, die Schwartze durchzufechten hat, weil der evangelische Biedre auf den vorteilhafteren Paß eines Katholiken reist:
«Seine Ehrwürden befanden sich noch in den Federn, waren aber so gnädig, uns vor Ihrem Himmelbette zu empfangen. Zum Unglück kam ich so zu stehen, daß ich schon die dritte Person war, welche vor dem Bett, oder vor dem geistlichen Feder-Thron, erscheinen mußte; und meine beiden Vorgänger sprachen nicht laut genug, um etwas von ihnen profitieren zu können. Seine Ehrwürden waren Feldprediger beim Schweizer-Regimente von Wimpfen und sprachen als geborner Spanier ein gebrochenes Deutsch. Ich trat wirklich etwas ängstlich vor. Mein Lieutenant stand nicht weit davon. Die wohlgemästete Gestalt im Bette frug mich: ‹Wo seins geboren?› – In Breslau. – ‹Wo iss Breslau?› – In Schlesien. – ‹Ah! iss der Römisch Kaiser?› – Nein, es gehört dem Könige von Preußen. – ‹So? sinds Ketzer in Schlesken! Seins Römsch-katholisch?› – Ja. – Mein Examinator fing nun an, mich ein wenig aufs Korn zu nehmen und verlangte das Kreuzmachen und den englischen Gruß von mir; aber wer von Allem nichts gehörig wußte und durchaus für einen Nicht-Katholiken erkannt werden mußte, war meine Wenigkeit. – ‹Ah! seins nicht Römsch-katholisch! seins Ketzer!› brummte der Seelenhirt. Ich aber faßte mich wieder, und setzte meinem Manne mit ziemlicher Suada auseinander, wie meine Eltern früh gestorben, wie ich als kleines Kind schon unter lauter Evangelische gekommen, wie ich also in der katholischen Religion schlechte Fortschritte gemacht, und wie ich darnach streben würde, das Versäumte nachzuholen. Der dicke Herr beruhigte sich nun und sprach: ‹Iss gut, kann Sie gehn!›
Ich glaubte nicht, von aufgeklärten Personen darüber Vorwürfe zu bekommen, daß ich mich für einen Katholiken ausgab ... Was ich that, um meinen Zweck zu erreichen, haben – wie die Geschichte lehrt – die größten und berühmtesten Männer schon gethan, sie sind sogar, um zum Ziele zu gelangen, Türken und Heiden geworden.»
Wir sehen, es steckt schon der echte Biedermeier in diesem Berliner, diesem braven Mann, der, die Hand auf dem Herzen, sein Buch beendet mit den feierlichen Worten:
«Ich habe eine brave Frau, und deshalb ist es mir ein angenehmes Geschäft, für sie und unsere vier Kinder – drei andere ruhen auf dem Kirchhofe – zu sorgen, und ich habe Vertrauen zur göttlichen Vorsehung, daß sie mir Kräfte und Mittel dazu verleihen wird und daß Menschen von GEIST UND HERZ mir, wie früher, dabei ihre Hand reichen werden.»
Daß die Allgemeinheit überhaupt den praktischen Nutzen der Ehe einzusehen begann, beweisen die ersten Heiratszeitungen, die damals auftauchten. Wie beispielsweise der «Allgemeine Heiratstempel», wo etwa «ein honettes Frauenzimmer» einen Ehegefährten, guten Doktor oder Advokaten, zur «Aufmachung einer Erbschaft» suchte. Oder «ein Mann mit Aussichten auf ein gutes Gewerbe» wünscht sich eine Frau, «die wenigstens eintausendfünfhundert Taler besitzt».