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Fünfzehntes Kapitel

Bürgerlichkeit saß nun schon auf den königlichen Thronen. Nicht mehr Glanz und Kühnheit galten als königliche Tugenden, sondern Sparsamkeit und Bescheidenheit. Hinter ihnen versteckte sich die doppelte Moral, die Haupteigenschaft des kommenden Spießers.

Friedrich Wilhelm III., der noch einem Napoleon ins Auge hatte sehen müssen, war nun «der liebe alte Herr». Seine vollkommenste Eigenschaft war die Sparsamkeit geworden. Sie war sichtbar und in ihrer Anschaulichkeit dem einfachsten Bürger verständlich, sein König trug grob geflickte Stiefel, quer über dem Fußblatt saß der dicke Lederflicken. Diese Tatsache wurde so hoch bewertet, daß sie der Bildhauer Rauch, der des Königs Denkmal meißelte, nicht vergaß. Der rechte Marmorstiefel des Königs trägt deutlich modelliert einen Riester. Solange Hohenzollern regierten, wurden die Schulkinder Berlins einmal im Jahr vor dieses Denkmal im Tiergarten geführt, kein Lehrer durfte verfehlen, auf diese Stiefel aufmerksam zu machen.

Aber die Sparsamkeit des «lieben alten Herrn» zeigte sich auch im Geistigen. Selten, daß er sich im Theater bei ernsthaften Stücken amüsierte. Er pflegte dann zu sagen:

«Das ist ja beinah so langweilig, als wenn es vom jroßen Joethe wäre, wo man immer gähnen muß, daß einem die Kinnbacken knacken.»

Die Probe; eine um 1860 entstandene «Stereoskop-Photographie nach der Natur».

Wiederum hatte die Sparsamkeit auch ihre Grenzen da, wo sie nicht jedermann offen vor Augen war. Der «liebe alte Herr» hatte eine unbändige Vorliebe für das Ballett. Da fehlte er bei keiner Probe im Opernhaus, sein Platz war auf dem Souffleurkasten. Für die persönliche Bekanntschaft der niedlichen Kleinen sorgte «ein alter Biedermann», der Kämmerer Timm. Eilhard Erich Pauls gibt uns in seinem Buch «Der Beginn der bürgerlichen Zeit» eine Schilderung solcher kleinen Unterbrechung königlicher Sparsamkeit:

«Das war der Kämmerer Timm, der dann und wann einzelne der Kleinen zu sich zum Abendessen einlud. Da gab es ausgesuchte Leckerbissen und vortreffliche Weine, und wenn sie in bester Stimmung waren, öffnete sich die Tür, und ein freundlicher Zufall führte den König in den lieblichen Kreis. Natürlich wollte der alte Herr durchaus nicht stören und blieb bis gegen Mitternacht. Die lieben Kinder durften aber keine Liebhaber haben, denn das mochte der alte Herr nicht, und mußten sehr tugendhaft sein. Dann bekamen sie auch schöne Kleider und andere gute Sachen zur Belohnung ihres reinen Wandels ...»

 

In Paris im Luxemburg-Garten spazierte der «Bürgerkönig» Louis Philippe mit seinem roten Regenschirm herum, ein freundlicher Kinderonkel, der die Bescheidenheit als Schild führte. Aber während er lächelnd zu Fuß ging und sich allein billig zu beschirmen schien unter rotem Tuch, trieb seine Deputiertenkammer Geld ein, Geld und wieder Geld. Alles wurde käuflich, Mandate, Titel, Orden, in dieser Deputiertenkammer, von der Prosper Mérimée sagte: «In diesem Laden gehört der Patriotismus dem Höchstzahlenden.»

Daß man die Sparsamkeit so übertrieben hoch stellte, war nur ein unbewußter Beweis für die sich immer steigernde Hochschätzung des immer mehr zum Absolutismus wachsenden Herrschers: Geld, Kapital.

«Das Gewissen der Welt heißt heute Geld», sagte BALZAC. Er, der diesen Teufelshang zum Gelde selber im Leibe hatte und alle Rollen, die dieser Dämon im Bürgerleben zu spielen vermag, niederschreiben mußte, der in achtzehnstündiger Tagesarbeit, angefeuert durch schwarzen Kaffee, viertausend zeitgenössische Bürger in seinen Romanen lebendig werden ließ. In siebenundneunzig Romanen, diesem riesengroßen Epos «der Geschäfte und des Geldes» hat er «dem bürgerlichen Leben Konkurrenz gemacht».

Sein eigenes Leben setzt allen diesen tausend erdichteten Dasein die Krone auf; wenn er es nicht gelebt hätte, er hätte es erdichten müssen. Er war bis zum letzten Augenblick gehetzt, gejagt und angespornt von der bürgerlichsten Triebkraft, der Geldsucht.

HIPPOLYTE TAINE als Zeitgenosse gibt uns einen Einblick:

«Er stand um Mitternacht auf, trank Kaffee und arbeitete in einem Zug zwölf Stunden hintereinander; dann lief er zur Druckerei und korrigierte seine Korrekturbogen, wobei er schon von neuen Plänen träumte, gründete zwei Zeitschriften, redigierte eine von ihnen fast allein und versuchte es drei oder viermal mit dem Theater ...

Geriet er ins Schwärmen, glaubte er schließlich selbst an seinen Traum, sah sich schon als Abgeordneten, als Mitglied der Akademie, als Minister, alles nur, um einen Augenblick später, aus seinen Träumen wieder auf die Erde gestürzt, in sein Büro oder zum Faktor zu laufen und seine Arbeit wie ein Holzhauer oder wie ein Riese zu erledigen. Und wieder ein andermal hielt er plötzlich mitten im Gespräch inne und fluchte sich selber: ‹Scheusal, Ekel, du solltest die Kopie machen statt zu schwatzen.› Dann berechnete er das Geld, das er in den verlorenen Stunden gewonnen hätte; so viel Zeilen, so viel für die Zeile, so viel bei der Zeitung, so viel beim Verleger für den ersten Druck, so viel für neue Auflagen; natürlich vergrößerte sich die so gewonnene Summe ins Ungeheure. Das Geld, überall das Geld, immer nur das Geld! Aus Not und Ehrenhaftigkeit und aus Phantasie und Hoffnungsseligkeit war er zeit seines Lebens diesem Tyrann, der ihn ewig verfolgte, Opfer und Sklave. Herrscher und Henker zugleich, bog es ihn auf seine Arbeit nieder, fesselte ihn an sie, preßte ihm Einfälle ab, verfolgte ihn in seinen Gedanken und Träumen, gab seinen Augen ein Ziel und seiner Hand Meisterschaft, war der Feuerhauch seiner Dichtung, der Lebensatem seiner Gestalten und breitete über sein ganzes Werk seine rauschenden Prächte. Von seinen Erfahrungen gejagt, begriff er das Geld als die große treibende Kraft des modernen Lebens und rechnete darum das Vermögen seiner Personen nach, erklärte sich Ursprung, Wachstum und Verwendung desselben, verglich Einnahmen und Ausgaben und brachte die Verrechnungen eines Budgets in den Roman. Im Roman setzte er auch seine Spekulationen über Haushaltungen, Einkäufe, Verkäufe, Kontrakte, über die abenteuerlichen Wege des Handels, die Erfindungen der Industrie und die Möglichkeiten der Geld- und Wuchergeschäfte auseinander, zeichnete er Sachwalter, Gerichtszeugen und Bankiers und führte überall den CODE CIVIL und das Wechselrecht ein. Die Geschäfte wurden bei ihm poetisch, und Kämpfe schuf er wie die der antiken Heroen, nur daß sie diesmal einer Erbschaft oder Mitgift galten, Rechts gelehrte für Soldaten standen und das Gesetzbuch ein Arsenal vertrat. Unter seiner Feder häuften sich die Millionen, sah man die Vermögen, mit denen er umherwarf, anwachsen, ihre Nachbarn verschlingen und sich in monströsen Größen ausbreiten, um schließlich alles mit Luxus und Macht zu überschwemmen und die Leser wie über einen goldenen Teppich zu führen ...»

 

Man war schon weit entfernt von jenen Salons, wo ein schöner Brief, ein leichtes Gesangstück, ein geistreiches Wort interessant genug waren für eine ganze Gesellschaft, ja die Quelle alles Vergnügens sein konnten.

Alle Pläne, alle Gedanken Balzacs galten im Grund nur dem Wunsch, «jene Million zu verdienen, die ihm immer fehlte». Er schrieb mit dem Genuß, daß jeder Federzug Geld hervorbrachte oder wenigstens Schulden tilgte. Er kam nie aus den Schulden heraus, man könnte glauben, er wollte es eigentlich gar nicht. Er brauchte diese Ungeordnetheit als Schutz gegen das Heer von Spießbürgern, das sich in seine Phantasie zwängte und geschildert werden wollte. Selbst der Kaffee, der ihn zur Überkraft anfeuerte, wuchs, immer unbezahlt, zur großen Schuldmasse an.

Er sagt von sich, er sei ein «schreibender Mönch». Er arbeitet in einer weißen Dominikanerkutte, um den Leib als Gürtel eine lange Kette aus venetianischem Gold, an der ein goldenes Falzbein, ein goldenes Messer und eine goldene Schere hängen, an den Füßen trägt er goldgestickte Pantoffeln aus rotem Maroquinleder.

Nun, Mönche sind noch keine Heiligen. Es gibt trotzdem zarte Herzensbande und sogar lebendige Pfänder davon. Aber die große Leidenschaft seines Lebens wurde auch von der Feder geführt. Achtzehn Jahre wirbt er in Briefen um die ferne Geliebte. Sie ist Gattin eines polnischen Grafen. Mit einem verzückten Brief von ihr als unbekannte Verehrerin und Leserin beginnt hochpoetisch diese Bekanntschaft. Balzacs Briefe «an die Fremde», ausführlicher als das offenherzigste Tagebuch, sind Selbstgespräche eines rastlos rechnenden Geschäftsmannes, dessen Handelsobjekt selbstgeschriebene Romane sind. Auch in ihnen kommt fast auf jeder Seite das Wort «Geld» vor. Es steht zwischen den zartesten Beteuerungen und der freudigsten Erwartung:

«Mein süßes reines Lieb, ich werde in wenigen Tagen in Neuchâtel sein! Ich hatte schon beschlossen, im September hinzugehen; doch nun bietet sich mir der herrlichste Vorwand. Denn ich muß vom 20. bis zum 25., vielleicht noch früher, nach Besançon gehen und dann ... Sie verstehen: ich kann, eh man sich's versieht, in Neuchâtel sein. Ich werde Sie von meiner Abreise durch ein paar Worte verständigen ...

Nun ja, ich habe Geldsorgen gehabt; aber wenn Sie wüßten, mit welcher Geschwindigkeit acht Tage Arbeit sie beseitigen. Ich kann in zehn Tagen mindestens hundert Louis verdienen. Aber diese letzte Misere war mir eine Warnung, nicht mehr bloß wie der Vogel auf dem Zweig dahinzuleben, der sich nicht um sein Futter kümmert, nur den Regen fürchtet und wenn es schön ist, singt. Dann aber werde ich, da man nun einmal das Gold braucht, um seine phantastischen Wünsche zu befriedigen, mit einem Schlage reich werden. (Sie sehen, daß ich Ihren Brief, in dem Sie sich über das Leben beklagen, über Ihr Leben, das ich mit Glück erfüllen möchte, erhalten habe.)

Oh, mein geliebter Engel, in diesem Augenblick lesen Sie, wie ich hoffe, den zweiten Band und finden auf jeder Seite einen Namen, den ich voll Liebe niederschrieb. Es war mir ein solcher Genuß, mich mit Ihnen zu beschäftigen, zu Ihnen zu sprechen! Seien Sie nicht traurig, mein guter Engel; ich will versuchen, Sie ganz mit meinen Gedanken zu umgeben. Ich möchte, daß meine Gedanken Sie wie ein Bollwerk gegen Kummer und Sorgen schützen. Leben Sie für mich, liebes, stolzes Herz, und ich werde für Sie leben, weil mich das glücklich macht. Ja, ich werde, nachdem ich Sie in Neuchâtel gesehen habe, nach Genf gehen und dort vierzehn Tage arbeiten. Oh, meine liebe, innig geliebte Evelina, tausend Dank für das Geschenk Ihrer Liebe. Sie wissen nicht, mit welcher Treue ich Sie, meine Unbekannte, liebe, deren Seele ich doch kenne, und wissen nicht, mit welcher Glückseligkeit ich Sie erträume! Oh! könnte ich doch jedes Jahr so eine süße Wallfahrt machen, und sollte ich auch nur einen Blick erhaschen, mit welchem Glück ohne Grenzen ginge ich ihn nicht suchen! Warum ärgern Sie sich über eine Frau von achtundfünfzig Jahren, die meine Mutter ist, die mich in ihrem Herzen trägt und mich vor allem, was mich verletzen könnte, schützt? Seien Sie nicht eifersüchtig auf sie; sie wäre über unser Glück so glücklich. Sie ist ein erhabener Engel. Es gibt Engel, die von der Erde sind, und Engel, die vom Himmel sind; sie ist vom Himmel!

Ich habe dieselbe Verachtung für das Geld wie Sie. Aber Geld muß man haben, und deshalb betreibe ich mit solchem Feuereifer das gewaltige und außergewöhnliche Unternehmen, das im Januar zum Austrag kommt. Sie werden sich über sein Gelingen freuen. Denn ihm werde ich die Möglichkeit verdanken, jederzeit zu meinem Vergnügen schnell reisen und öfter zu Ihnen kommen zu können ...»

 

Auch Rothschild kommt in den Liebesbriefen vor. Man hat das Gefühl, als erwähne Balzac diesen öffentlichen Stellvertreter, diesen Papst des Kapitalismus mit dem Genusse eines Rauchers, der an einer echten Havanna zieht, mit der Wonne des Weinkenners, der einen alten Burgunder schluckweise trinkt:

«Gestern noch stand alles in Frage, und in zwei Stunden ist alles erledigt gewesen. Ich wollte meinen Arzt, einen alten Freund der Familie, aufsuchen, und da ich sah, daß ich von den Bankiers nichts zu erhoffen hatte ... Ah! mitten in meinen Gängen begegne ich Rothschild, der mich bei der Hand nimmt und mich zu seiner Frau führt. Sie waren eben im Begriff, in ihren Wagen zu steigen. Austausch von Liebenswürdigkeiten und Artigkeiten warum man mich nicht mehr sähe, warum ...

Siehst Du mich, mein Lieb, wie ich mit dem Geldfürsten konferiere, ich, der nicht imstande war, einen Sou aufzutreiben? Gibt es etwas Phantastischeres? Ich hätte nur ein Wort zu sagen brauchen, und meine 12 000 Fr. Wechselschulden wären in dem Rothschildschen Schlund verschwunden. Ich habe das Wort nicht gesagt, und dabei hätte er mir sicherlich keinen Sou Diskont berechnet. Als ich ihn verließ, lachte ich wie ein Verrückter über die komische Situation.

Ich nehme den Faden wieder auf; da ich also sah, daß ich von den Bankiers nichts zu erhoffen hatte, fiel mir ein, daß ich meinem Arzt 300 Fr. schulde; ich gehe zu ihm, um sie ihm mit einer Tratte zu bezahlen, und er gibt mir 700 Fr. abzüglich des Diskonts heraus. Von da gehe ich zu meinem Hausbesitzer, einem alten Getreidehändler von den Hallen; ich bezahle ihm meine Miete, und er gibt mir auf meine Wechsel, die er akzeptiert, weitere 700 Fr. abzüglich des Diskonts. Von da gehe ich zu meinem Schneider, der mir ganz gutmütig einen meiner 1000 Fr.-Wechsel abnimmt, ihn in sein Wechselportefeuille legt und mir 1000 Fr. herausbezahlt.

Nachdem ich mich so vom Glück begünstigt sehe, steige ich in einen Wagen, fahre zu einem meiner Freunde, der zweifacher Millionär und mein Freund seit zwanzig Jahren ist. Er ist gerade von Berlin zurück. Ich treffe ihn also an, er läuft an seinen Sekretär, gibt mir 2000 Fr. und nimmt dafür zwei meiner Wechsel von der Witwe Béchet, ohne sie auch nur anzusehen. Oh! Oh – Ich komme nach Haus zurück; ich lasse meinen Holzlieferanten und meinen Krämer kommen, um ihnen meine Rechnungen zu begleichen, und jedem von ihnen hänge ich vermittelst einer Banknote von 500 Fr. weitere 500 Fr. in Wechseln auf. Bis um 4 Uhr war ich alle meine Verbindlichkeiten los, und meine Zahlungen für heute lagen bereit. Nun habe ich einen Monat Ruhe und kann mich wieder auf meine schwankende Schaukel setzen und mich von meinen Phantasien wiegen lassen. Ecco, Signora!

Meine liebe, treue Gattin, war ich Ihnen nicht dieses getreue Konterfei Ihres Pariser Hauswesens schuldig? Ja, aber dabei sind 5000 Fr. von den 27 000 vertan, und ich habe noch, ehe ich nach Genf gehe, 10 000 Fr. zu zahlen: 3000 meiner Mutter, 1000 meiner Schwester und 6000 an Entschädigungen. Potztausend, mein Herr, wo werden Sie das hernehmen? Aus meinem Tintenzeug, meine teure Liebes-Eva. Hierauf machte ich mich fein wie ein Kavalier und dinierte mit Frau Delphine, und nachdem ich mir das Todesröcheln der EUROPE LITTERAIRE angesehen, ging ich kreuzfidel zu Gérard, wo ich der Grisi Komplimente machte, die ich am Abend vorher in LA GAZZA LADRA mit Rossini gehört hatte, der mich am Dienstag, als er mich auf dem Boulevard traf, aufgefordert hatte, in seine Loge zu kommen, um un poco zu plaudern; und da Dein armer Honoré am Dienstag bei Frau Abrantes dinierte, die ihm über die große Entschädigungsverhandlung Aufschlüsse zu geben hatte (eine Sache, die gescheitert ist), so ertränkte Dein armes Kind seinen Kummer im Strom der Harmonien! Was für ein Leben, mein Schätzchen! Was für seltsame Mißklänge! Was für Kontraste!»

Ist es nicht wie ein Berauschtsein an Summen und Ziffern? – Geld blieb Balzacs Steckenpferd. Nur er war imstande, die ungeheuer schauerliche und doch beinah faszinierende Gestalt des Geizhalses und Geldanbeters Grandet zu schildern und damit der Geldgier aller Bürgerlichkeit götzenartig ein ehernes drohendes Standbild zu setzen für alle Zeiten. Nur einige Proben aus diesem Meisterwerk:

Der Sohn, Grandets Bruder, weint um diesen seinen Vater, der sich selbst getötet hat. Grandet: «Man muß den ersten Anfall zwar vorübergehen lassen, aber dieser junge Mensch taugt trotzdem zu nichts, er kümmert sich um den Toten mehr als um das Geld.»

Seine Frau bittet ihn um etwas in Gottes Namen, er schreit: «Der Teufel soll deinen lieben Gott holen.»

Als seine Tochter das Dokument unterschreibt, nach dem Tod der Mutter, das den Verzicht enthält auf der Mutter Erbe, wird er beinah blaß und ohnmächtig, Schweißtropfen perlen auf seiner Stirn. Er umarmt sie plötzlich, daß sie fast erstickt. «Mein gutes Kind, du gibst deinem Vater das Leben wieder. So muß man Geschäfte machen. Das Leben ist ein Geschäft. Sei gesegnet. Du bist eine brave Tochter, die ihren Vater liebt.»

«Auf, hole mir ihn, den Liebling! Du solltest mich auf die Augen küssen, daß ich dir in den Talern die Geheimnisse verkünde des Lebens und des Todes. Glaub mir, die Taler leben und bewegen sich wie die Menschen. Das kommt und geht und plagt sich und schwitzt und vermehrt sich wie unsereins.»

Stundenlang saugen sich seine Augen fest an den Haufen seines Geldes. «Das wärmt mich», sagt er.

Er stirbt im höchsten Alter im Genuß seines Besitzes, ohne je Entbehrungen erduldet, ohne je sich Vorwürfe gemacht zu haben.

Balzac hat alles erschöpft, was an bürgerlichen Lastern im Menschen steckt. Es scheint, wie wenn sich die entschleierten Dämonen hatten rächen wollen an ihrem Bloßsteller, als ob sie sich plötzlich aufreckten, um ihren Bemeisterer zu vernichten, im Augenblick, wo er von dem Wahn geblendet war, selbst das Glück erfaßt zu haben.

Balzac war beinah ein Fünfziger, als die geliebte Frau, der «Stern», das «Engelchen» seiner Briefe, in Wirklichkeit eine schon ein wenig müde, scharfblickende Mondäne, Mutter erwachsener Kinder, seine Gattin wurde.

Die «junge Frau» schreibt von der Hochzeitsreise recht kühl und gleichgültig überlegen über den dicklichen Gatten an die erwachsene Tochter. Ganz, wie wenn von einem beliebigen Durchschnittsehemann die Rede wäre. Balzac ist schon leidend. Das ist unbequem.

Balzac, obwohl die Psychologie sein Metier ist, spürt nichts davon. Oder blendet er sich gewaltsam, er, der unbewußt immer nur konträre Lebensströmung zur Arbeit brauchte? Er schreibt von dieser Reise:

«Das Geschenk ihrer Liebe entschädigt mich für all meinen Kummer, meine Mühen und meine Arbeit. Ich habe den Preis für diesen Schatz im Übermaß zum voraus bezahlt, nach dem Wort Napoleons: Man muß alles hienieden bezahlen, nichts wird einem geschenkt. Ich bin sogar der Meinung, daß ich sehr wenig bezahlt habe. Fünfundzwanzig Jahre Arbeit und Kampf sind nichts im Vergleich zu einer so glänzenden, herrlichen, vollkommenen Liebe. Seit vierzehn Monaten bin ich hier, in einer Wüste – denn es ist eine Wüste –, und es kommt mir vor, als seien sie wie ein Traum verflogen, ohne eines Augenblicks Ermüdung, ohne ein Wort des Streites.»

Das neue Haus, das die neuen Hochzeitsleute erwartete, von Balzac aufs sorgfältigste vorher eingerichtet, lag in der Rue Fortunée. Aufs zärtlichste hatte Balzac alle Vorkehrungen für einen festlichen Empfang vorausbestimmt von unterwegs.

An einem Maitag spät abends stand das Ehepaar vor der festlich erleuchteten Wohnung. Man sah den Blumenflor hinter den Scheiben. Aber niemand öffnete. Ein Schlosser erst mußte Eintritt verschaffen. In der prachtvollen, festlich geschmückten Wohnung tobte des Dichters Diener im plötzlichen Wahnsinn. Des kranken Balzacs erste Pflicht war die Überführung des Dieners in eine Irrenanstalt.

Balzacs Leiden verschlimmerte sich rasch. Er hoffte trotzdem auf Besserung. Er hielt es nicht für möglich, fortgeholt werden zu können, bevor sein Lebenswerk beendet wäre.

Victor Hugo war der letzte, der ihn besuchte. Er war extra nach Paris geeilt, um nach dem Freunde zu sehen. Bei dem Sterbenden war niemand, außer einer Wärterin. Seine Gattin hielt sich in ihren eigenen Zimmern auf. Es war der Todestag Balzacs, denn in der folgenden Mitternacht, es war ein Sonntag, verlöschte sein Leben.

Seine Witwe überlebte ihn um zweiunddreißig Jahre, indem sie mancherlei erlebte, was hätte von Balzac erdichtet sein können. An ihrem Todestage aber mußten ihre Tochter und deren Gatte, die bis dahin mit ihr gewohnt, Balzacs Haus räumen. Die Gläubiger stürzten sich auf ihre Beute, Briefe und Manuskripte wurden aus den Fenstern geworfen. Die Geschäftsleute der Nachbarschaft suchten sie sich zusammen als Einwickelpapier. Kunstwerke und Altertümer, von Balzac geliebt und gesammelt bis zum Fanatismus, wurden öffentlich versteigert.

Bis weit hinter das letzte Zuletzt noch höhnte der Alpdruck Geld dieses Schicksal.

Balzacs Leben, in seinem Werk leidenschaftlich weiterwirkend noch heute, ist ein markanter Meilenstein in der Entwicklung der Spießbürger.

Daß sich der Spießbürger immer nachdrücklicher in die Mentalität der kommenden Epochen zwängte, beweist uns GUSTAVE FLAUBERT, der seine Hauptwerke im dritten Viertel des gleichen Jahrhunderts schaffen mußte.

Dieser Romankünstler, der das malerische leuchtende Werk «Salambo» schreiben konnte, kam in seinem Geheimdenken nicht mehr von der Bürgerlichkeit los trotz aller Gegenanstrengungen.

Sein Haß wuchs bis zur Krankhaftigkeit. Wenn er mit Theophil Gautier über die Bourgeois zu debattieren anfing, konnten beide so in Hitze geraten, daß sie in Schweiß gebadet wurden. Sie mußten beständig nach einer Definition des Bürgers suchen. Flaubert sagte: «Bürger ist einer, der niedrig denkt. Ein Mann, der die Literatur haßt.» Oder ein andermal: «Die Ursache unseres Verfalls, die Geißel, ist der Spießbürger.»

Sein Grimm richtete sich natürlich am heftigsten gegen seine «Mitbürger», die Bewohner von Rouen, wo er lebte. Diesen war er in der Sonderheit seiner Berühmtheit unbehaglich, vielleicht auch um seiner vielen Orientreisen willen. Sie hielten ihn für halb verrückt, und man sagte zu den Kindern: «Wenn du nicht artig bist, holen wir Herrn Flaubert.» Sie kümmerten sich sogar um den Inhalt seiner werdenden Werke mit kleinbürgerlicher Schnüffligkeit. Seine Werke, die einen Stil haben, dessen Präzision noch heute vorbildlich sein könnte, und die er ganz zurückgezogen «in maßloser Hingebung» schrieb und zu denen er doch – obwohl er wie «mehrere Ochsen arbeitet» – für hundert Seiten sechs Monate brauchte.

Im «Figaro» steht plötzlich, sein kommendes Buch «Madame Bovary» gebe die Geheimnisse einer Familie in Rouen preis. Läppische Advokatenbesuche, täppische Familienvisiten müssen erduldet werden.

Auch künstlerisch kommt er nicht von dem Spießbürger los. Er schreibt an George Sand: «Ich hasse die Poesie des Bürgertums, die Familienkunst, obwohl ich selbst welche schreibe.»

Und ein andermal:

«Ich werde ihn nicht mehr los, den Spießbürger, wie ich es auch anfange, ich muß ihn immer wieder schildern.»

Flaubert kämpfte hier mit sich selbst. Er, der «unter Beduinen leben möchte», der Schrecken und Angst vor Revolution und Krieg empfindet, verrät sich in seinen vielen Schreiben an George Sand mehr als einmal ungewollt:

«Das Elend kündigt sich schon an. Jeder Mensch ist in Geldverlegenheiten, bei mir angefangen! Aber wir waren vielleicht zu sehr an die Bequemlichkeit und die Ruhe gewöhnt. Wir waren tief in das Materielle versunken. Man muß zur großen Tradition zurückkehren, nicht mehr am Leben, am Glück, am Geld, an nichts mehr hängen; sein, was unsere Großväter waren, leichte, sprühende Menschen.»

Sein Haß ist Angst. Ist Furcht vor der eigenen Feigheit jener Macht gegenüber, die allein in materiellen Kämpfen die Siegende sein kann.

Als er das Mißgeschick hat, sein Vermögen zu verlieren, bekämpft er seine Niedergeschlagenheit immer wieder damit, daß er sich die Schlußzeilen aus George Sands Brief vorliest, die ihm zurufen: «Ich hoffe, lieber Freund, daß Du um Dein Geld nicht etwa jammern wirst wie ein Bourgeois!»

Aber sobald sich Flaubert vor der Öffentlichkeit zu verteidigen hat, greift der Bourgeoishasser zu allen Waffen der Bürgerlichkeit. Er beruft sich auf seine Herkunft aus guter Familie, auf vornehme Verbindungen, er schmückt sich lobend mit Tugenden der Bourgeoisie.

Gegenwart und Zukunft besiegten das Zeitlose ...


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