Alice Berend
Frau Hempels Tochter
Alice Berend

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Furcht und Hoffnung treiben das Leben. Laura mußte wahr machen, was Frau Hempels Geistesgegenwart Herrn Bombach vorgegeben hatte.

53 Heute nachmittag sollte sie das elterliche Haus verlassen, um in die Wohnung des jungen Paares überzusiedeln. Am Abend kehrten die Neuvermählten zurück. Aus Italien oder von sonst irgendwoher, wo es schön war und arme Leute nicht hinkommen.

Laura saß neben dem hämmernden Vater und nähte sich kleidsame Niedlichkeiten für den neuen Posten. Frau Hempel half treulich bei Bombachs. Aber diesmal spürte auch ihr kräftiger Körper den Frühling.

Als sie den Balkon in Ordnung brachte und die Blumentöpfe aus dem Keller zu Licht und Sonne heraufholte, dachte sie lebhafter als je an ihren heimlichen Zukunftstraum. Das war eine Wohnung, still und klein, aber mit großen Fenstern, durch die Licht und Helle hineinkommen konnten, soviel sie wollten. Da säße man ruhig hinter den Scheiben, besah sich die Straße und dachte dabei an Laura, die eine feine Dame geworden war.

Doch bis dahin wird sich der Hausschlüssel noch manches Mal im Schloß drehen müssen. Nachdenklich reihte sie die kahlen Töpfe auf den Rand des Balkons.

Warten ist eine schwere Kunst.

Bei besonderen Gelegenheiten nahm Frau Hempel der künftigen Wohlhabenheit schon etwas vorweg. Dann verirrte sich eine Bratgans auf ihren Herd oder ein Bündel Spargel, oder sie schaffte irgendein feines Kleidungsstück an, das in Seidenpapier gewickelt hinter den Vorhang kam.

54 Lauras Auszug aus dem elterlichen Heim war wieder ein Anlaß zu solcherlei Ausschweifungen. Ein feines Lederköfferchen war besorgt worden, und die Abfahrt sollte im Automobil vor sich gehen.

Hempel fragte, ob ihre Stiefel nicht mehr gut genug zum Laufen wären. Aber Frau Hempel sagte:

»Wie man fährt, kommt man an. Das Mädchen soll seinen Weg machen.«

Als das Automobil herangetöfft war und der Kutscher den Koffer der jungen Dame holte, stand Frau Hempel in einem seidenen Umhang und mit einem grünen Samthut, der mit großen gelben Rosen verziert war, so unbeweglich da, als ob sie niemals im Leben gewohnt gewesen wäre, eine Hand zu rühren.

Gerade in der Tür stieß der feine Lederkoffer mit einem gewöhnlichen Kollegen aus Segeltuch zusammen. Der junge Mann, der ihn trug, entschuldigte sich vielmals. Es war der Graf, der zu den Ferien heimkam. Erst als er tief gegrüßt hatte, erkannte er in den Damen die ihm bekannten Mitglieder der Portierfamilie.

Laura war über und über errötet. Ihre Gedanken blieben bei dem kleinen Vorgang, und sie hatte nicht die rechte Freude an dem flinken Sauselauf des Wagens. Frau Hempel lehnte sich weit zurück gegen das glänzende Leder und genoß die kostbare Fahrt mit Andacht.

Wie alles Gute ging sie rasch vorbei. In einer 55 Straße des neuen westlichen Stadtteils hielt der Wagen vor einem großen Haus, das sich Frau Hempel bewundernd von oben bis unten ansah, bevor sie es betrat. Den Eingang bildeten hohe Marmorsäulen, als ginge es in eine Kirche hinein. Das erste Stockwerk mit der Galerie sah aus wie ein vornehmes Schweizerhaus. Die anderen Wohnungen darüber hatten große Glasfenster zwischen glatter Mauer und erinnerten an ein schönes Warenhaus. Oben auf dem Dach aber waren noch lustige bunte Türme, wie auf einem Vergnügungsrestanrant. Es war ein wunderschönes Haus.

Schweigend glitten Mutter und Tochter im Fahrstuhl hinauf.

Ida öffnete ihnen die Wohnungstür, und als sie den bekannten braunen Krauskopf des Mädchens über der derben roten Wollbluse sahen, die sie von Frau Bombach zu Weihnachten bekommen hatte, verlor sich die unsichere Befangenheit, und sie begannen sich heimischer zu fühlen. Frau Hempel untersuchte alles mit neugieriger Kennermiene. Die Küche war ein Prachtstück. Der Herd stand in der Mitte, wie in einer Hotelküche. An den Wänden blinkten blanke Löffel, blanke Teller, blanke Deckel, bunt bemalte Töpfe, kupferne Geräte in allen Formen. Aus blanken Hähnen kam kaltes und warmes Wasser, so viel man haben wollte. Neben der Tür hing ein Telephon, das ging ins Speisezimmer, woher die gnädige Frau ihre Befehle elektrisch geben konnte. Frau Hempel bemerkte noch ein anderes 56 Sprachrohr, in das sie neugierig hineingucken wollte, aber sie prallte entsetzt zurück.

Ida erklärte ihr lachend, daß dies eine Rutschbahn für den Müll sei, der ganz allein und rasch auf den Hof sauste. Und hier war auch eine Maschine, die das Gemüse klein hackte.

Frau Hempel schüttelte den Kopf und sagte, wovon die Armen leben sollten, wenn sich alle Arbeiten allem machten, und begann durch die Zimmer zu gehen.

Als sie alles gesehen und geprüft hatte, mußte sie schließlich die Wohnung und Laura verlassen. Aber ihre Gedanken blieben noch dort, und sie folgte ihnen wieder und wieder, als sie nun heimfuhr in der voll besetzten Straßenbahn, wo niemand ahnte, auf wie vornehme Weise sie den Hinweg zurückgelegt hatte.

Als sie nach Hause kam und sofort mit dem Erzählen beginnen wollte, sagte Hempel, daß bei Bombachs etwas nicht in Ordnung sein müsse. Der Hauswirt sei ohne Mantel aus der Türe gestürzt und eben mit dem Arzt von gegenüber zurückgekommen.

Frau Hempel war schon draußen und auf dem Weg zur Treppe.

Oben öffnete Herr Bombach selbst. Sein Gesicht war weiß wie gutes Mehl. Er schob Frau Hempel schweigend in die Küche und flüsterte:

»Der Junge hat einem Chauffeur den Kopf abgebissen. Gott steh' uns bei.«

57 Frau Hempel stierte sprachlos auf die neuen Haare des Hausherrn, die sie zum erstenmal sah.

»Gott steh' uns bei,« murmelte Herr Bombach wieder. »Ich wag' mich nicht hinein.«

Frau Hempel wurde es unheimlich. War es auch drinnen in seinem Kopf nicht mehr richtig?

Drohend vor Angst rief sie:

»Sagen Sie doch deutlich, was geschehen ist.«

Aber es dauerte noch eine Weile, ehe sie erfuhr, daß Herr Bombach ein kleines Auto aus Holz mitgebracht hatte, an dessen Chauffeur Hans Friedrich so grausam dem natürlichsten Triebe des Menschen nachgegeben hatte.

Endlich kam der Doktor aus dem Zimmer, um fortzugehen. Er lächelte Herrn Bombach, der wie ein Raubtier auf ihn zustürzte, zähmend an.

»Es ist nichts,« sagte er freundlich. »Seien Sie unbesorgt, mein Herr. Ihre Frau Gemahlin durchsuchte mit mir das Zimmer, und wir fanden das vermißte Köpfchen unter einem Sessel. Es wäre auch anders nicht denkbar gewesen.«

Er meckerte ein Lachen, stülpte den Hut auf und eilte die Treppen hinunter.

Das war ein inhaltsreicher Tag für Frau Hempel gewesen.

Als sie endlich am späten Abend herunterklapperte und die Haustüren verriegelt hatte, war sie kaum noch 58 imstande, an Hempel den gewohnten Anteil ihrer Erlebnisse weiterzugeben.

Aber es mußte sein. Diese vielen Neuigkeiten hätten sie des Nachts gedrückt wie ein Stück Käse, das man zu hastig gegessen hat.

So erfuhr Hempel doch noch einige Einzelheiten der schönen Wohnung, die Geschichte vom Chauffeurkopf und vor allen Dingen das Dasein der neuen Haare auf dem alten Kopf des Hauswirts.

Sie fragte, ob Hempel glaube, daß sie durch eine teure Medizin hervorgewachsen wären.

Aber Hempel sagte, daß nichts wieder neu würde, was einmal abgenutzt sei. Höchstens könne man einen guten Flicken draufsetzen. –

Sie löschten die Lampe aus, gingen zur Ruh, dachten an Laura, die zum erstenmal unter einem fremden Dach schlief, und fielen in den festen Schlaf des Arbeitsamen und Gerechten.


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