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Laura schlief mit dem schmalen Goldreifen am Finger so fest und schön, daß sie erst erwachte, als sich der dunkle Wintermorgen ein wenig zu erhellen bequemte, um den Weg zum Mittag anzuzeigen.
Frau Hempel betrat in Hut und Mantel vorsichtig das halbdunkle Zimmer und stellte ein Paar neue Stiefel vor Lauras Bett. Sie hatten einen feuchten Streifen auf der Sohle, denn Frau Hempel hatte sie mit auf Hempels Grab genommen, dort ausgepackt und einen Augenblick lang auf den verschneiten Hügel gestellt. Sie waren Fabrikware, auf die Hempel zeitlebens gescholten hatte. Aber sie wollte keine Geheimnisse vor ihm haben. Laura richtete sich schlaftrunken auf. In dem Dämmerlicht des Zimmers leuchtete nichts als der Goldstreifen an ihrem Finger. Frau Hempel mahnte zum raschen Aufstehen. Auf der Eisbahn schurrten schon ein paar Kinder, aber niemand war an der Kasse. Beim Hinausgehen rief sie zurück, daß vor dem Bett ein Paar neue Stiefel ständen. Die andern wären zerrissen.
»Danke schön,« sagte Laura leise, aber sie wußte nicht, ob die Mutter es noch gehört hatte. So war man auch über diesen Punkt gekommen.
Nicht lange darauf saß Laura an der Kasse mit den 199 neuen Stiefeln, aber ohne den neuen Ring. Der war wieder verborgen und verschlossen, wie heimliche Gedanken. –
Es war richtiges Weihnachtswetter. Die messinggelbe Sonne stand an einem zarten, wolkenlosen Himmel, das Eis war fest und ohne Risse, auf den Bäumen glitzerte der gefrorene Schnee.
Hempels sollten heute viele Bekannte wiedersehen.
Zur Kaffeestunde kam Herr Otto um die Ecke. Er war in feiertägliches Schwarz gekleidet, wovon eine blutige Schramme unter dem Auge und eine dicke Uhrkette aus blankem Gold auffallend abstachen. Beide hatte er von einem Patienten erster Klasse zu Weihnachten erhalten.
Er wärmte sich mit zwei großen Tassen Kaffee an, und als er sich die Zigarre anzündete, fragte er, wo denn eigentlich Hempel stecke. Er hatte ein Paar Stiefel mitgebracht, für die er aus alter Freundschaft ein paar neue Absätze gemacht haben wollte.
Ida flüsterte ihm seinen traurigen Aufenthaltsort zu, aber er wollte es nicht glauben, weil er es nicht in der Zeitung gelesen hatte.
Nach einem langen und unbehaglichen Schweigen stand er auf, um sich sein Badewasser im festen Zustand anzusehen.
An der Kasse fand er Laura. Aber ihr schmal gewordenes Gesicht, das blaß aus dem schwarzen Trauerkleide leuchtete, machte ihn auch nicht fröhlich. Heute 200 dir, morgen mir. Hempel war ein Mann in seinen Jahren gewesen. Es war, als zog ihn jemand am Rockzipfel. Er mußte sich fortwährend umdrehen. Wenn er das gewußt hätte, würde er sich ein anderes Weihnachtsvergnügen ausgesucht haben. Vorsichtig betrat er die Eisfläche.
Indessen hatte Frau Hempel neuen Besuch erhalten. Wer ein Freund ist, hat Pflichten, und so waren ihre früheren Nachbarn Kempkes hinausgekommen, um Frau Hempel und Laura aufzuheitern und hier Verlobung zu feiern. Zu diesem Zweck hatte Fritz an einem Arm eine Dame mit starkem Busen und auf der anderen Seite eine Flasche mit Punschextrakt.
Die jungen Leute gingen erst auf das Eis hinaus. Die Frauen blieben allein in der Küche, wo im Kessel das heiße Wasser für den Punsch zu summen begann. Frau Kempke berichtete, daß Fritz nun sein Gasthaus sicher habe. Die Braut sei viele Jahre Gouvernante gewesen. Bei einem einzelnen Herrn. Er hatte ihr eine hübsche Summe gegeben, als er sich eine andere Gouvernante nahm. Es war einer von den Menschen, die immer Abwechslung haben mußten.
Das Wasser im Kessel zischte jetzt gegen den Deckel und wollte hinaus. Der Punsch wurde aufgegossen und verbreitete einen angenehmen Duft. Draußen war es dämmrig und kälter geworden, und so kam das Brautpaar gerade im rechten Augenblick zurück. Herr Otto begleitete es und erkundigte sich, wie der neue 201 Gasthof heißen werde. Fritz sagte, er sei noch nicht schlüssig darüber; denn er hatte es sich von jeher in den Kopf gesetzt, ihn einmal nach den Augen seiner Braut zu nennen. Diese aber habe ein blaues und ein braunes Auge, und nun sei ihm die Wahl sehr schwer gemacht.
»Die Natur hat ein seltenes Spiel mit mir getrieben,« lispelte die Schwere entschuldigend, aber auch nicht ohne Stolz. Nicht jeder ist anders als die andern.
Frau Hempel ging hinaus und holte Laura. Kälte und Dunkelheit nahmen zu, die Kasse konnte geschlossen werden. In der warmen Küche saß man wartend um den Tisch, um den ersten prüfenden Schluck zu tun, aber ehe man die Lippen am Glase hatte, mußten noch zwei andere Gläser gefüllt werden. Es hatte an die Türe geklopft, und Specks waren gekommen. Es gibt Menschen, die sich des Guten immer bewußt sind. Sie waren erfreut, den Bademeister wiederzusehen, und stießen kräftig mit ihm an. Frau Speck schätzte seit einigen Tagen die Zeitungen beinahe ebenso wie Herr Otto. Sie hatte erfahren, daß nichts wärmer hielt als Druckerschwärze und trug viele Bogen davon unter den Kleidern. Sobald sie sich bewegte, raschelte es, wie wenn mehrere eifrige Zeitungsleser umblätterten. Herr Otto hatte schon verschiedene Male lauschend den Kopf gehoben, aber sein Beruf hatte ihm das Sichwundern abgewöhnt.
Frau Hempel berührte nicht ihr Glas. Sie war gewohnt, nur ein wenig zu kosten, wenn es Alkohol gab, 202 und dann das volle Glas ihrem Hempel zuzuschieben. Frau Kempke sagte, daß es schade sei um den guten Punsch, den niemand trank. Sie erinnerte sich, daß sonst Hempel das Glas seiner Frau geleert hatte und meinte, daß es traurig sei, wenn einer aus der Ehe fort müsse und man allein bliebe. Sie trank ein paar warme Schlucke und fuhr sich mit der Zunge um den Mund.
»Aber natürlich, alles hat seine zwei Seiten,« sagte sie dann. »Man hört auch keine Grobheiten mehr und lebt in Frieden.«
Frau Hempel sagte, daß sie niemals Grobheiten zu hören bekommen hatte und immer in Frieden gelebt hatte.
Frau Kempke seufzte und sagte, daß die Männer sehr verschieden ausfielen, und wenn in ihrer Ehe einer sterben müßte, würde sie sich ganz vom Geschäft zurückziehen, um endlich Ruhe zu haben.
Fritz sagte, das seien keine Gespräche vor Bräuten, und fragte Herrn Otto, wieviel Uhr es sei.
Es war höchste Zeit, um den letzten Abendzug zu erreichen.
Rasch trank man die Gläser leer und nahm Abschied. –
Ida begann, langsam den Tisch abzuräumen. Ihre Augen glänzten, und sie sagte:
»Er ist der stattlichste von allen.«
Laura erriet, von wem sie sprach, und murmelte ein paar freundliche Worte. Dann gab sie der Mutter einen 203 kurzen Kuß und verschwand in ihrem Stübchen, um endlich wieder ungestört an jemand zu denken, von dem sie vielleicht morgen einen Brief haben werde.
Frau Hempel goß Hempels nicht geleertes Glas langsam in die Wasserleitung. Sie dachte, daß ihm diese fremden Menschen am liebsten auch dieses bißchen weggetrunken hätten und daß alle nur sich selbst im Sinn führten. Sie hatte sich heute Abend recht als Hälfte gefühlt. Laura, das Kind, durfte man durch Worte nicht noch trauriger machen. Ihr Leben sollte erst anfangen. –
Ida klirrte mit den Gläsern. Frau Hempel wandte den Kopf und sagte, daß sie ins Bett gehen könne, sie selbst wolle alles in Ordnung stellen, weil sie nicht müde sei.
»Ich wünschte, daß ich jetzt Bombachs Haus von oben bis unten zu scheuern hätte,« sagte sie.
Ida, die daran dachte, daß viele Schutzmänner morgen Urlaub haben, sah verwundert auf und sagte, daß morgen auch noch Feiertag sei. Dann nahm sie ihr Kind in den Arm und ging lächelnd in ihre Schlafkammer.