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»Drei Menschen«

Der Direktor des Kleist-Theaters, Herr Hohlbaum, saß abends, während gerade »Fräulein Julie« von Strindberg gespielt wurde, in seinem prunkvollen Privatbureau und stritt mit seinem ersten Dramaturgen, Dr. Weisl aus Wien.

»Lieber Doktor Weisl, öden Sie mich nicht an! Was heißt, der Name Kleist-Theater verpflichtet? Soll ich pleite gehen, weil das Theater den Namen vom seligen Kleist hat? Ich pfeif' Ihnen etwas auf Ihre Literatur! Zugstücke und ausverkaufte Häuser brauch' ich, nicht literarische Schmonzes, die in den Zeitungen gelobt werden und keine Katz' ins Theater locken! Verpflichtet ist gut gesagt! Wer ist aber verpflichtet, die Pacht und die Gagen zu bezahlen? Kleist oder ich? Na also, wenn ich verpflichtet bin, so sind Sie verpflichtet, gute, das heißt kräftige Stücke herbeizuschaffen!«

Ein Diener kam und brachte den Kassenbericht.

»Nu, da schauen Sie sich die Einnahmen von heute an! Nicht einmal genug, um den halben Tagesetat zu decken. Lieber Weisl, wenn ich pleite machen werde, so habe ich eine Genugtuung: Sie gehen mit mir mechulle!«

Dr. Weisl war wütend und schrie:

»Meinethalben geben Sie den »Schinderhannes«, vielleicht ist das ein Geschäft!«

»Den ›Schinderhannes‹ gerade nicht, aber wenn ich jemanden finden würde, der mir innerhalb von drei Tagen den Fall Hartwig dramatisiert – Wäre keine schlechte Idee! ›Der Romancier als Mörder‹ oder ›Der blutige Roman‹ oder einfach ›Kämpfende Seelen‹, wie sein Roman heißt.«

Weisl machte eine wegwerfende Bewegung, nahm in einem unbeobachteten Augenblick drei Zigarren aus der Kiste und sagte:

»Also, wollen wir als nächste Novität den neuen Unruh bringen?«

Aber Hohlbaum antwortete nicht. Stierte mit weit aufgerissenen, glasigen Augen vor sich hin, ließ die Zigarrenasche auf seine Weste fallen und begann so schwer zu atmen, daß Weisl fürchtete, der Name Fritz von Unruh werde bei seinem Direktor einen Schlaganfall verursachen.

Plötzlich sprang Direktor Hohlbaum auf, machte einen Satz gegen den Dramaturgen und keuchte heiser:

»Sie, Weisl, entweder bin ich total meschugge oder – Vor ein paar Monaten ist jemand, der Thomas Hertwig oder Hartwig oder Hartung heißt, bei mir mit einem Stück gewesen. Ich habe es gar nicht angeschaut, sondern da in den Kasten geschmissen! Aber so wahr ich Hohlbaum heiße, der Mann war blond und genau so, wie die Zeitungen den Mörder beschreiben – vielleicht ist er es gewesen!«

Auch Weisl wurde von der Erregung des Direktors ergriffen und beide begannen in einem großen Bureauschrank mit Rolltüre zu wühlen, daß die Staubwolken den Raum verdunkelten und Niesanfälle verursachten.

»Die träumende Göttin« – »Elsas Hochzeit« – »Das bittere Ende« – Titel und Namen, begrabene Hoffnungen kamen zum Vorschein und Weisl schrie wütend:

»Warum halten Sie das bei sich, statt es mir zu geben? Bin ich Ihr Dramaturg oder nicht?«

Ein gellender Aufschrei Hohlbaums folgte statt einer Antwort:

»Da ist es, Doktorchen, da – das ist das Stück – ›Drei Menschen‹ von Thomas Hartwig! Und da steht die Adresse: Novalisstraße zehn – stimmt! Weisl, das ist der große Treffer, das ist die Rettung, das ist die Sensation! Weisl, ich lege Ihnen zur Gage zu – das heißt, wenn das Stück zieht!«

Sauber, in Maschinenschrift, lag das geheftete Manuskript vor ihnen.

Drei Menschen, ein Drama aus dem bürgerlichen Leben von Thomas Hartwig.

Und der Direktor ließ Bier und belegte Brötchen kommen, gab Auftrag, niemand vorzulassen, und Dr. Weisl las langsam das Drama des Mannes vor, der demnächst fünf ruchlose Mordtaten vor den Geschwornen verantworten sollte. Als er fertig war, wischte er sich den Schweiß aus der Stirn und war sehr bleich. Und Direktor Hohlbaum lehnte sich, während es um seine wulstigen Lippen zuckte, mit geschlossenen Augen zurück und gedachte vergangener Zeiten, da er noch ein Mensch gewesen und das Feuer ehrlicher Begeisterung für Theater und Literatur in seiner Brust getragen.

Weisl sagte leise:

»Es ist ein gewaltiges Werk, das verdient hätte, aufgeführt zu werden, auch wenn der Autor nicht des Mordes angeklagt ist.«

»Ja, es ist ein großes Stück! Weisl, das geht die ganze Saison, und wenn der Hartwig geköpft wird, so werden wir die Tantièmen dem Verein zur Rettung entlassener Sträflinge widmen. Das macht einen guten Eindruck!«

Am nächsten Morgen um neun Uhr erschien der Anwalt des Kleist-Theaters im Landgericht, ließ Hartwig vorführen, dessen Augen aufleuchteten, als er hörte, daß sein Stück aufgeführt werden sollte. Er gab ohne weiteres die Einwilligung, nur stellte er zur Bedingung, daß die Erstaufführung an dem Tage stattfinden müsse, an dem sein Prozeß vor den Geschwornen begänne. Auch behielt er sich eine beratende Stimme bei der Rollenbesetzung vor. Nach kurzem telephonischen Hin und Her war das in Ordnung gebracht, mittags enthielten die Zeitungen die ersten Nachrichten von dem kommenden sensationellen Theaterereignis, am Nachmittag wurden die Rollen ausgeschrieben, am nächsten Tag war die erste Leseprobe und bald wartete das sogenannte ganze Berlin mit fieberharter Spannung auf den Prozeß und die Premiere der »Drei Menschen« im Kleist-Theater.


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