Otto Julius Bierbaum
Pankrazius Graunzer
Otto Julius Bierbaum

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IV.
Ein Kapitel, das einige Tagebuchblätter enthält, die Herr Pankrazius Graunzer im Februar des Jahres geschrieben hat, in dem diese Geschichte spielt.

Den 5. Februar.

Heute fand ich in den alten Papieren, die die gute Tante von mir aufgehoben hat, einen Aufsatz, den ich als Quartaner geschrieben habe. Er handelt vom »Lobe des Landlebens«.

Wie so ein altes Stück beschriebenen Papieres Einem doch an die Nieren gehen kann! Ich sah mit einem Male die ganze brave Quarta, Coetus B., vor mir, diese Welt voll Cornelius Nepos, die doch den Zuckerstengel noch nicht ganz überwunden hat. Noch ein paar Jahre weiter, und wir hatten schon ein literarisches Kränzchen und lasen »Sturm und Drang« von Klinger.... Beim Lob des Landlebens erinnere ich mich, daß der kleine Isidor Meyer, der jetzt so ernsthaft und Mitglied des Protestantenvereins ist, damals wegen eines genialen Einfalls in's Karzer gesperrt wurde. Er lieferte nichts ab, als ein Blatt mit folgenden Worten: »Ich, Isidor Meyer, Quartaner aus Berlin, bin in Berlin geboren worden, lebe in Berlin und bin niemals aus Berlin herausgekommen, denn der Grunewald gehört auch zu Berlin. Berlin aber besitzt kein Landleben. Deshalb kann ich nichts zum Lobe dieser Beschäftigung sagen.« Schade, daß unser guter Ordinarius so wenig Humor hatte. Er hätte Isidor'n nicht in's Karzer sperren, sondern um seiner Ehrlichkeit willen, die obendrein Witz besaß, belobigen sollen. Sein Präzeptorenzorn aber erblickte in diesem kurzbündigen Aufsatz nur die Aeußerung frivoler Faulheit, und Isidor mußte schmachten. Das bestärkt mich in meiner alten Forderung, daß zu Pädagogen nur Leute von Humor zugelassen werden sollten.

Aber Pankrazi! Dann müßten ja wohl auch die Schulräthe Humor haben! Oh! Und schließlich gar die Kultusminister! Bist Du bei Sinnen?!

Mein Aufsatz war ein einziger Triller auf der bukolischen Flöte: »Wie herrlich, wenn des Morgens der mit vielen Federn ausgestattete Hahn kräht und uns mit seinem lieblichen Gesange hinauslockt in das frische Grün der Wiesen, wo die Schafe blöcken und wovon die Dichter singen! O, wie rein ist da die Luft! Wie duften die Blumen!« (Dazu die Bemerkung des Ordinarius: »Welche Blumen? Es genügt nicht, in Allgemeinheiten zu reden; mindestens hätte ein Adjektiv zu »Blumen« hinzugfügt werden müssen«.) Der Schluß des Aufsatzes aber ist direkt hymnisch: »Nur auf dem Lande fühlen wir uns frei und erhoben zu Gott, der alles dieses geschaffen hat und in seiner Güte erhält. Nur hier sind wir Menschen, wie die alten Germanen!« (Dazu Bemerkung des Ordinarius: »Unsinn!«)

Ich kann wiederum dem Ordinarius nicht Recht geben. Ich finde, daß Pankratius Graunzer da als guter Quartaner gut quartanerisch geschwärmt hat, und daß es ganz richtig ist, was seine Seele in Quarta schrieb, wenigstens für Quarta. Ich wäre sehr glücklich, wenn ich heute noch so unmittelbar und idealisch empfände.

»Menschen, wie die alten Germanen!«... Bravo, kleiner Graunzer! Recht hast Du! Pfeif' auf den alten Ordinarius und halt's mit Hermann, dem Cherusker!

Und ich sehe mich im Geiste als ferienkühnen Gymnasiasten, ich sehe mich mit der grünen Botanisirtrommel und der scharlachrothen Schülermütze, wie ich durch das Gebiet von Kiebitzhof galoppire, wie ich mich als großen Herren fühle und endlos Phantasieen spinne, während ich über die Wiesen renne. Dort hinten am Krebswasser, wo die alte Weide mit dem gespaltenen Stamme steht, da war mein Sinnirplätzchen. Da war die Höhle der Fabelwinde, auf denen ich hinausritt in's Unmögliche. Daß ich ein verwunschener Prinz war, das stand ganz fest. Ich und bloß Quartaner? Haha! Laßt nur erst 'mal Tag und Stunde kommen, wo der alte Mann im weißen Barte erscheint, der nach dem Leberfleck auf meinem linken Schulterblatt fragt und der dann, wenn er ihn gesehen hat, ein alter Pergament herauszieht und der erstaunten Christiane verkündet, daß ich jetzt auf einem großen Schimmel in's Schloß meiner Väter reisen werde! Christiane wir's bereuen, daß sie mich fortwährend einen dummen Jungen nennt! Aber ich bin gnädig. Ich könnte sie an einen Baum binden und, mit Honig beschmiert, den Bienen zum Fraße lassen, oder ich könnte sie rösten lassen, und es stände mir auch frei, daß ich sie siebentausend Fuß unter die Erde in eine Höhle verbannte, in der sie von Kröten mißhandelt würde. Aber nein: Ich nehme sie mit in's Schloß, und da soll sie Augen machen, wenn sie die goldenen Thürme sieht und meine Leibmohren! Dem Ordinarius aber werde ich einen Brief auf Goldpapier schreiben: Hiermit thun wir kund und zu wissen, Ihnen, Herr Professor, daß Sie uns hinfüro nichts mehr zu sagen haben! Sie Jammerpeter, Sie! Sie Blindschleiche! Wenn Sie gescheidter wären, hätten Sie längst entdeckt, wer wir eigentlich sind. Aber Sie sind ein ahnungsloser Esel!

Ach Gott, ja, es war schön! Schön! Schön! Schön! Schade, daß die Seelen so kümmerlich werden, wenn man älter wird.

Wann hab' ich eigentlich aufgehört, zu fabuliren? Wann begann ich, mich dabei zu beruhigen, daß ich ein ganz gewöhnlicher Pankraz sei, ein Pankraz, der Hunderttausendste, ein Männlein Packedich?

Es ist nicht so schnell gekommen, dieses schnöde Thatsachenbegreifen. Viel Wind mußte vorher an der schönen grünen Fahne meiner Hoffnung reißen, bis ich schließlich nur den Schaft in der Hand hatte, den ich dann auch zerbrach. Bis auf ein Stück. Und daraus hab' ich mir eine Flöte gemacht, die Flöte meiner einzigen Melodie:

Geh' an der Welt vorüber, es ist nichts!

Anfangs blies ich diese schöne Weise in einem düsteren Tone, dann ward er melancholisch-gelassen, dann gleichmüthig mit einem kleinen Ansatze von Gassenhauer, und schließlich trillerte sich's ganz behaglich:

Lach' an der Welt vorüber, es ist nichts!

Und das ist der Humor davon.

* * *

Den 12. Februar.

Alle diese Tage hin hat mir was an der Seele gesogen, so ein unbestimmtes Gefühl des Suchens in mir selber, als müsse da irgendwo irgendwas liegen wie ein Schlüssel, der eine köstlich geheime Kammer aufthun könnte, in der's Einem sehr wohl sein müßte.

Suche ich vielleicht eine Erinnerung?

Oder eine Hoffnung?

Oder etwas, das Beides zugleich wäre?

Was könnte das sein?

Ich bin doch Pankrazius Graunzer, das Männchen Packedich mit der einweisigen Flöte? Der Mann mit dem abgeschlossenen Gemüthe? Ich habe doch alle derartigen Schlüssel weggeworfen, weil ihre krausen Bärte mich genugsam genarrt haben?

Wäre ich nicht hier mir ganz allein gegenüber, ich würde mich schämen, es auszusprechen, daß ich auf lächerlichen Serpentinen mich immer und immer wieder in jene schöne Gegend begebe, von der die geschäftigen Versemacher wünschen, daß sie ewig grünen bliebe.

Der Teufel hole mich; ich muß an die jammervolle Episode mit Ida, der jetzt verehelichten Kunze, denken.

Die jetzt verehelichte Kunze....

Bestie!

Pfui! Nicht!! Ruhiges Blut! Blamir' Dich nicht, Pankraz! Auch nicht vor Dir selber!

Kalkulire: Die jetzt verehelichte Kunze ist ein Frauenzimmer von der schlechten Mittellage. Ihr Mann hat, seit er sie geheirathet, die Gelbsucht. Ihre Kinder (acht!) sind boshafte, dumme Rangen mit mangelhaft geputzten Nasen. Sie wechselt aller vier Wochen das Dienstmädchen. Sie ist, höflich gesprochen, nicht gerade eine von den Reizendsten...

Also: Nimm an, die verehelichte Kunze wäre eine verehelichte Graunzer...

Es steigt das Haar, kalt strömt der Schweiß...

Nun?

Gewiß! Ich habe im Grunde Glück gehabt mit meiner unglücklichen Liebe.

Aber?

Kein Aber, wenn ich bitten darf!

Was abert sich hier! Einfältig!

Aber das ist ja das Schlimme, daß mich ewig ein Aber behelligt!

Ich muß diesem Aber die Wurzel abdrehen! Ich muß dieses feige, klettige, klebrige, schleimige Monstrum, das in mich hineinkriecht und sich in meiner Seele herumwälzt wie eine haarige Raupe, ausschwefeln!

Ausschwefeln!

* * *

Den 20. Februar.

Axiom: Das Weib ist ein jammervoller Nothbehelf der Natur, die vom Werdewahnsinn besessen ist und im Delirium...

Da bin ich also wieder 'mal im schönsten Fahrwasser.

Wo ist meine Flöte? Warum schimpfe ich denn auf einmal wieder? Was geht mich denn »das Weib« an.

Axiom: Ein Mann, der an's Weib überhaupt nur denkt, ist schon besudelt. Höllenstein her, wenn diese Stelle beißt!

Nein! Bloß Lachen hilft. Die ganze Geschichte dieses jappenden Kampfes zwischen Nan und Nü, wie die alterfahrene schlitzäugige Großvaternation im Osten sagt, ist wohl tragisch, aber alle Tragik läßt sich mit Humor überwinden.

Flöte her!

Lach' auch am Weib vorüber! Es ist nichts!

* * *

Den 25. Februar.

Christiane bringt mich zur Verzweiflung. Seit drei Tagen paradirt sie mit der alten Familienwiege von Kiebitzhof. Erst mußte sie gewaschen werden. Schon überflüssig. Dann mußte sie gar neu gemalt werden. Rosen und Tulpen darauf, in der hübschen altmodischen Art. Meinetwegen, weil's ein altes gutes Kunstgewerbestück ist. Nun aber stellt sie mir den Kasten in meine Schlafstube, »weil's schade d'rum ist auf dem Boden.«

Das ist Alles tantische Anstiftung, und blos aus Pietät schmeiß' ich das Ding nicht zum Tempel hinaus.

Bin überhaupt ärgerlich die ganze Zeit. Man kommt in der Einsamkeit blödsinnig in's Grübeln.

Geradezu langweilig.

Und dabei hinten und vorne Dinge, die ich bestimmen soll und nicht verstehe. Die Leute fangen an, sich lustig über mich zu machen. Voran natürlich Christiane, die wahrhaftig ein Bischen zu sehr auf ihr Altersrecht pocht.

Und – unglaublich! – Rückfälle in die Kinderkrankheit des Versemachens. Das kommt vom Bukolosiren.

Und ewig das unbehagliche Gefühl mit dem Suchen nach Was.

Es ist die reine Mauser, in der ich mich befinde.

Vierzig Jahre alt und noch immer solch' eine schwabbelige Seele!

Ich kann mich auf dem Jahrmarkt sehen lassen oder unerschrockenen Romanschreibern als psychologisches Modell stehen.

Unerquicklich!

* * *

Den 28. Februar.

Mein Zustand wird bedenklich. Es ist keine Frage mehr: Ich befinde mich in einer Krise.

Es ist ein psychisches Fieber von sehr hartnäckiger Art. Wechselfieber. Bald ist meine verzehrte Seele heiß, bald ist sie kalt. Irgend was zerrt an ihr, wie böse Buben am Maikäferbein.

Wer ist der böse Bube?

Wenn ich ihn erwische, nehme ich ihn an den Ohren und beutle ihn, daß er genug haben soll.

Aber erst haben!

Erst haben!

Ich bin hinter ihm her wie der Bauer hinter den Aeppeldieben. Aber nicht einmal seinen Hemdenzipfel krieg' ich zu sehen.

* * *

Den 29. Februar.

Hat ihm schon! Der Bengel heißt Sehnsucht und ist aus der Familie Langeweile.

Schäm' Dich, Pankraz! Bist Du ein Wortefänger geworden? Todte Käfer aufspießen, ist mehr werth, als das.

Jawohl! Ja, freilich! – Sehnsucht! Das will wohl was heißen! Aber sage mir doch, mein bied'rer Käscherschwinger: wonach sehnt sich Deine allerliebste Seele?

Wonach?

Da kraut sich der Lümmel hinterm Ohr.

* * *

Ich muß systematisch und exakt vorgehen.

Wenn die Aerzte soweit sind, daß sie den Magen beleuchten können, dann sollten wir Psychologen (wie stolz das klingt!) doch gefälligst so weit sein und die Seele beleuchten können.

Also leuchten wir!

Hm! Das Ding hat viele Runzeln... Und zwischen den Runzeln steckt viel Staub... Und der Staub ist von mancherlei Art... Und es ist Bewegung in dem Staube... Und auch die Runzeln liegen nicht stille, sondern gehen auf und gehen ab, reiben sich, rühren sich, zucken, zittern... Es ist, als ob sie nach Luft schnappten...

Das Ding sieht bedenklich aus. Sicherlich: Normal ist das nicht!

Eine normale Seele, sollte ich meinen, ist sehr glatt, sehr still und staubfrei.

Was muß ich also thun?

Sehr klar. Erstens: glatt machen; zweitens: auskehren; drittens: Ruhe!

Köstlich! So verschreibt der Herr Doktor dem Bettelweib Madeira.

Wo soll ich alter Kerl die Courage hernehmen und meine Seele erst glatt bürsten, dann reinfegen und am Ende zur Beruhigung einölen!

Schließlich geht sie mir dabei in die Brüche, meine Seele, und dann sitz' ich da mit Bürste, Besen und Oel...

Verfluchte Geschichte!


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