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25. Juni.
Gott verläßt keinen Junggesellen: ich habe mein Bauernhaus gefunden.
Hier sitzt ich auf meiner Altane zwischen hellen Weinblattwänden und blicke über Wiese und Busch weg zum See.
Gesegnet seist Du, o Gerschle-Peppi, die Du zwar nicht schön bist unter den Jungfrauen, aber Du hast mir gegeben, was ich gesucht habe, und dafür preist Dich meine Dankbarkeit. Dir zum Ruhme sei dies Buch genannt, in das ich meine einsamen Freuden eintragen will.
Ich fange an, zuzunehmen an jener Weisheit, die zugleich eine Kunst ist. Lebensweisheit: Lebenskunst.
Das ist die Weisheit, an Gott zu glauben, und die Kunst, sich wohl zu fühlen.
In ein Kompendium kann man sie nicht fassen, und auf Akademien läßt sie sich nicht lehren. Zu ihr wie zu allen Weisheiten und Künsten muß man Talent haben. Auch schenkt sie sich uns erst in einem gewissen Alter, denn sie liebt die Strudelköpfe nicht. Es ist Alte-Leut-Weisheit und Alte-Leut-Kunst. Drum machen sich die Jungen bös lustig über sie.
Ach, die armen jungen Schnäbel! So lange man noch küssen will, ist man dumm; die Weisheit wohnt nicht bei Frau Venus. Daher sind die Lyriker ihr Leibgesinde, – nämlich der Frau Venus.
Man braucht übrigens deswegen kein Weiberfeind zu sein. Man muß nur das Weib nicht mehr wollen. Das ist das Kunststück.
Ich hab's bisher verkehrt angefangen. Ich hab' mich über das Volk geärgert und bin doch drauf angewiesen, mich mit ihm einzulassen. Das war die letzte Lockung. Sie wollten mich mit meiner Abneigung ködern, und ich hab' wirklich ein paarmal zugebissen.
Aber jetzt bin ich sicher. Ich hasse sie nicht mehr, also sind sie mir nicht mehr gefährlich.
Ein schönes Gefühl das, – es hat 'was von Frömmigkeit.
Du bist wieder eine Sünde los, Pankrazi!
* * *
26. Juni.
Wundervoll: ich bin jetzt so frei vom Weibe, daß ich sogar eine Freude an ihm haben kann.
Es ist also wahr: Frömmigkeit hat ihren Lohn.
Früher, wenn ich eine hübsche Larve sah, war mein nächster Gedanke: Hüte dich! Laß dich nicht fangen! Das Bischen Schönheit ist bloß der Speck für Mäuse, und dahinter lauert der Reinfall.
Und ich machte ein schief Gesicht, wie der † † † Kunstgelehrte vor einem schönen Bilde.
Wie anders jetzt! Sah ich da heute ein hübsches Kind im Vorübergehen da unten, – richtig: ich kann das Haus von hier aus sehen, dort war's, hinter den Nußbäumen! – sah es und – freute mich! Sagte sogar Grüß Gott! Sie aber wurde roth und schoß in's Dunkel der Hausflur zurück.
Ein reizendes Ding! Augen, wie, – ja, wie denn? Gleichviel: schöne Augen! Und Bewegungen wie eine Eidechse, so, so – kurzum: schöne Bewegungen!
Beinah' wär' ich umgekehrt, sie noch einmal zu sehen. Es war eine Art onkelhaftes Interesse. Aber ich ließ es doch bleiben.
Man muß seine Freiheit nicht mißbrauchen, und auch seine Frömmigkeit nicht.
* * *
27. Juni.
Die Kleine ist wirklich allerliebst. Ich habe sie durch Zufall wieder gesehen. Im Kloster oben.
Es war da so eine Art Tonleiterkletterübung von einem Gesangsverein. Und während die wackeren Mannen baßgründig und tenorverwegen zum Himmel riefen:
Heil Dir, o König, Heil! Heil, Heil, Heil, Heil, Heil, Heil!« |
(mehr ist mir von dem Texte nicht geblieben), stand sie auf einmal schräg vor mir neben einem Fliederbusch.
Guter Himmel: wie reizend sah sie aus!
Ja, ja: Jugend!
Und irgend ein Reim-Flügelbübchen mit rosarothen Hinterbäckchen ließ sich von der blühenden Akazie herab auf meine Schulter und skandirte mir in's Ohr:
Ein Mädchen gedrechselt fein wie ein Figürchen Auf Rokokotischen galanter Marquisen... |
Nun sag' mir aber eins: wie kommt so was Feines hierher?
Eine Städterin ist sie nicht. Gestern sah ich sie ja, wie sie mit der Wäsche hantirte.
Aber schon da fiel es mir auf, wie ihre ganze Art im Gegensatze war zu ihrer Hantirung.
Und wieder das Reimgottchen:
Prinzessin hab, halb Zofe, Ein reizend Wunderchen... |
Wenn ich sie nur einmal reden hören könnte. Das Schwäbeln muß... aber ich will schon wieder »allerliebst« schreiben.
Wenn ich jetzt nicht so gewiß wüßte, daß ich frei bin, würd' ich denken, ich wäre verliebt.
* * *
28. Juni.
Es regnet.
Wundervoll, dieses nasse Gespinst vom Himmel zur Erde. Man fühlt sich so sicher hinter dieser grauen Gardine.
Ganz leise rauscht sie, und in ihren Falten sind frische Gerüche. Es ist eine liebliche Musik zum Träumen.
Was steckt Alles hinter dem Vorhange?
Du lieber Gott: ich kenne das Theater. Lass' ihn unten, Meister vom Schnürboden, lass' ihn unten! Ich will ihn nicht, den Krawall der Helden und das Liebesgegacker der Heroinen. Die Komödie ist mir fade geworden. Rüpelspiel und Tragödie, – sie wissen alle beide nichts weiter, als Hunger und Liebe.
Es wird zu viel gewollt hinter dem Vorhange. Als ob's nicht genug wäre, da zu sein. Das Wollen muß man sich auskastriren lassen. Das Wollen ist aller Laster Anfang.
Ah, wie ist es köstlich, mit allen Wünschen fertig zu sein!
Das kleine Mädchen da unten mit den braunen lustigen Augen, – was wäre sie mir jetzt für ein unbequemes Möbel, wenn ich sie wollte.
Ewig würde ich mich an ihr stoßen, es wäre ein Gezerre zu ihr, ein unausgesetztes Unbehagen.
So aber genieße ich sie wie einen schönen Vers, eine liebe Melodie, ein Stückchen Morgenhimmelbrand. All Derlei lernt man erst genießen, wenn man die Jugend hinter sich hat, die im Grunde eine große Kinderkrankheit ist.
Merkwürdig ist es, wie mein lächerlicher Wunsch nach einem Sohne von mir abgefallen ist, wie eine morsche Rinde vom Stamme. Ich denke gar nicht mehr daran. Ich denke nicht einmal an Kiebitzhof.
Wenn das die gute Tante wüßte...
Herrgott: vielleicht astralt sie hinter dem Regenvorhang und guckt mir zu, wie ich hier sitze und auf alle Nachkommenschaft pfeife.
Der Windstoß eben kam sicher von ihr.
Ich kenne Dich, Tante! Möchtest mich ein Bischen ausschimpfen?
Wart', ich werde Dich wegärgern.
Kannst Du Dich auf den »gräßlichen Scheerbart« erinnern? Auf den »Phantasten«? Auf den »Bureauvorstand des Verlages deutscher Phantasten«? Der aus dem Thee immer Grogk machte und dann zu schwärmen anfing, daß Du schriest: »Die Milch wird sauer! Die Milch wird sauer!«
Dieser Mann, Tante, den ich nicht umhin kann für einen Dichter zu halten, obwohl von seinen Phantasien nicht allein die Milch, sondern auch die deutsche Kritik sauer wird, dieser Mann hat mir heute eine große Freude gemacht, indem er mir ein Gedicht (bleib' da, Tante!) geschickt hat.
Und das sollst Du hören! Warum hast Du mir das Blumenglas vorhin umgeworfen mit Deinem Geblase.
Höre! Es heißt »Loscha« und lautet wie folgt:
»Weitab vom Gefilde der langweiligen, eklen, stumpfen Quarkgewalten rauscht ein dunkelgrünes großes Meer – das dunkelgrüne Meer des ewigen Vergessens.
Am Gestade dieses Meeres ragen wilde schroffe Gebirge hoch in den dunkelblauen Himmel hinauf.
Und am Fuße dieser Gebirge lagern weiße Paläste.
Die Paläste glänzen, denn sie sind aus weißem Milchglase gebaut; sie haben nur glatte Flächen an den Wänden und viele scharfe rechtwinklige Kanten – aber nur rechtwinklige Kanten – nicht andre.
Glatt und regelmäßig wie das Durcheinander von vielen großen Treppenstufen liegen die Paläste da – – nur ein paar viereckige Thürme mit Burgzinnen streben zwischen den Dachterrassen empor. Die Dachterrassen sind auch mit Burgzinnen gekrönt.
Abgeglättete Ruhe spiegelt sich in den weißen Palästen am Gestade der dunkelgrünen See, in der Alles – Alles vergessen wird...
– – –
Die Märchenengel schweben herbei... in langen weißen Gewändern – ein langer Zug.
Sie haben kleine Pauken in den Händen – und lange dünne Posaunen, alte Geigen und alte Flöten.
Und die Sonne geht auf – drüben im grünen Meer.
Eine silberne Sonne geht auf.
Silberne zierliche Wolken umkränzen die silberne Sonne.
Es sieht feierlich aus – der Himmel, die See und das Gestade.
– – –
Und Loscha, die stille Priesterin, sitzt jetzt hoch oben auf einem Thurm.
Die blanken Burgzinnen glänzen und blenden.
Das dunkelgrüne Meer rauscht.
Aber unten zwischen den Palästen rauscht noch ein anderes Wasser – das strudelt und brandet und gurgelt so – denn es kommt vom Gebirge herunter – von den höchsten Bergspitzen strömt es hernieder...
Und dieses Wasser ist dunkelroth, so roth wie das Blut wilder Thiere.
Das rothe Wasser umspült die sämmtlichen weißen Paläste.
Loscha sitzt hoch oben auf ihrem Thurm, schaut die silberne Sonne nachdenklich an, fährt mit der Hand über die Stirn, steht auf – berührt einen runden silbernen Knopf, der aus dem weißen Milchglase der Burgzinne hervorragt, drückt ihn – und horcht...
Da klingen in allen Palästen helle, feine Glocken durcheinander – wie tausend Spieluhren klingen die Glocken – wundersame lustige Lieder hallen in Glockentönen durch die weißen Paläste.
Loscha weckt die Tollköpfe – die Tollköpfe, die jetzt weitab vom Gefilde der langweiligen, eklen, stumpfen Quarkgewalten ihr Leben verträumen – – –
Gierige, heiß und hastig aufstrebende Menschen sind's, die Loscha weckt – ihnen will sie zeigen, wie alle wilden, feurigen Wünsche – die blutrothen Wasser – im Meere des Vergessens – spurlos versinken. Ob die Wünsche gut oder schlecht genannt werden, ist ganz gleich.
Dieses ewige Versinken schauen sich nun die trotzig begehrenden Menschen an – sie schauen sich das jeden Tag an – – –
Durch dieses Anschauen erzieht die stille Loscha die unbändigen Krallengeister zur Ruhe – zur ewigen Ruhe im Glanze der silbernen Sonne, die im dunkelblauen Himmel von hochgestiegenen Silberwolken umkränzt wie eine alte Weltuhr dahängt.
Alle die guten und bösen Tollköpfe, die's auf Erden gab und giebt, stehen nun auf den Dachterrassen der Milchglaspaläste, stehen da in ihren verschiedenen Trachten – in guten und schlechten Kleidern – mit freundlichen und mit verzerrten Zügen – stehen da und schauen in die rothen Wasser und in die grünen Wasser.
Die Glocken klingen nicht mehr.
Aber die Pauken und Posaunen der Märchenengel tönen jetzt milde herüber – mit Geigen- und Flötenspiel.
Die Märchenengel fliegen langsam immer um die Paläste herum, so daß alle die heißblütigen Menschen, die da oben auf den Dachterrassen stehen und schauen – auch die feine Märchenmusik hören – die bald feierlich – bald lustig klingt....
Währenddem kommt Loschas Page zu seiner Herrin und meldet einen Menschen, der ganz besonders wild aussieht, einen schäbigen Rock trägt und Loscha durchaus und durchum zu sprechen wünscht.
Longulano heißt der Fremde.
Loscha, die stille Priesterin, hat nichts dagegen, daß der Fremde näher kommt.
Sie empfängt ihn hoch oben auf ihrem Thurm.
Longulano stürzt der Loscha zu Füßen und küßt ihr die Hand.
Sie entzieht ihm ihre Hand.
Er aber begehrt die Loscha, die stille Priesterin, zum Weibe – ungestüm – rauh – sehnsüchtig.
Sie soll kommen mit ihm in die Welt.
Sie soll mit ihm zusammen alle Menschen in der Welt glücklich machen – alle Menschen – alle Menschen.
Doch Loscha lacht den Schwärmer aus.
Sie sagt:
»Du bist nicht der Erste, bist auch nicht der Letzte, der mich zum Weibe begehrt. Doch ich werde weder dem Ersten noch dem Letzten noch einem Andern die Hand zum Ehebunde reichen. Ich bleibe hier hoch oben auf meinem Thurm. Ich bin an's Geliebtwerden schon gewöhnt. Komm'! setz' Dich still hier neben mir auf meine weiße Bank. Du sollst nicht traurig von dannen gehen.«
Longulano gehorcht.
Loscha fährt fort:
»Sieh', auch der Wunsch, mich als Eh'frau heimzuführen, strudelt dort unten mitten unter den anderen heißen Wünschen ganz gemüthlich weiter. Er wird auch wie die andern gleich in's grüne Meer stürzen und dort spurlos versinken. Du willst, daß ich mit Dir zusammen alle Menschen auf Erden glücklich machen soll – aber ist das nicht auch bloß ein Wunsch, der im rothen Strudelwasser dahinbraust? Du willst die Menschen glücklich machen? Mußt nicht so viel wollen – Du weißt ja gar nicht, ob die Menschen auch glücklich werden möchten. Die meisten Menschen wissen gewöhnlich gar nicht, wenn sie glücklich und wenn sie unglücklich sind. Wenn sie aber letzteres zu sein glauben, dann können sie ja stets hierher kommen und von meiner Dachterrasse aus niederschauen in die rothen Fluthen, in denen auch die heißen Wünsche der Unglücklichen weiterströmen – dem Meere des ewigen Vergessens entgegen – – immerfort. Unaufhaltsam strudelt's da unten – sieh' nur, wie schnell die rothen Wasser an den weißen Palästen vorüberschäumen –. Longulano, willst Du nun noch, daß ich Ja und Amen zu Deinen so vergänglichen Wünschen sage?«
Longulano erwidert:
»Du scheinst nur Freude am Neinsagen zu haben.«
Loscha, die stille Priesterin, nickt und meint:
»Ja – Neinsagen zu Allem und sitzen bleiben, wo man gerade sitzt – das scheint mir das Beste zu sein – – so geht's, wenn man alt wird. Sieh! Und her kann man bei Märchenklang ohne Aerger sehen, wie auch das Wildeste, und wie auch das Größte in uns spurlos vergeht – spurlos!«
Da ruft Longulano:
»Loscha, Du bist alt und faul!«
Und er stürmt rasch davon.
Und er verschwindet unten in der Menge, die jetzt, da die silberne Sonne untergeht, auch wieder verschwindet; die Thatmenschen tauchen nieder durch große Lucken – versinken da – spurlos – so wie die heißen rothen Wünsche spurlos im grünen Meere versinken.
Die stille Loscha ist wieder allein, wird nicht mehr von Longulano gestört.
Longulano hat draußen in der Welt schon wieder andere Wünsche.
Die rothen Wasser aber stürzen unaufhörlich in's grüne Meer und kümmern sich nicht darum, ob die Menschen und Geister alt sind oder jung, faul oder fleißig, gut oder schlecht...
Loscha sitzt ruhig hoch oben auf ihrem Thurm, den die blutrothen Strudel wildschäumend umrauschen.«
* * *
Ein Donnerschlag.
Wie meinst Du, Tante? Die Milch wird sauer?
Aber Recht hat sie doch, die gute Loscha. Nur glaub' ich nicht recht an dieses milchgläserne Mädchen, denn der Weiber Art ist es gar nicht, resignirt auf einem Thurm zu sitzen und stürmische Longulanos abzuweisen.
Die Kleine da unten sieht sicherlich nicht darnach aus. Donnerwetter, was hat sie mir gestern für ein paar braune Blicke zuspedirt.
Bescheer' ihr Gott einen rechtschaffenen Longulano!
Ich denke: das ist onkelhaft und würdig gesprochen.
* * *
29. Juni.
Sie hat eine Tante, und diese Tante ist dick. Sie hat einen Bruder, und das ist ein ungeschlachter Patron. Sie hat eine jüngere Schwester, und die ist passabel. Ihr Name aber ist sehr hübsch und lautete Brigitte.
Von wem ich das weiß? Von ihr weiß ich es.
Ich habe nämlich mir ihr gesprochen.
Mein Gott, ich bin ein älterer Herr...
Es kam aber so: Im Kloster war Schützenball, und ich sah nicht ein, warum ich nicht einem Schützenball in einem Kloster beiwohnen sollte. Es hat das unleugbar was Merkwürdiges. In dem Saal, in dem er abgehalten wurde, haben die Väter Benediktiner ehemals ihr Coenaculum gehabt. Es ist ein schöner, heller Raum mit großen, hohen Fenstern, die auf den wundervollen Klostergarten hinausgehen. Ein italienisches Gemälde aus der Raphaelzeit, ganz angeschwärzt von Tabaksqualm, hängt dort. Es stellt die Fußwaschung dar, und Jesus Christus ist so pompös angezogen, daß man meinen möchte, sein irdischer Vater sei nicht ein Zimmermann gewesen zu Galiläa, sondern ein Zollpächter in Jerusalem. Die mächtigen Wirthstische, auf denen derbe Bauern- und Ackerbürgerfäuste emsig mit Maaßkruglupf und anderen nicht eben heiligen Dingen beschäftigt sind, sind noch dieselben, doch von denen die Chorherren gespeist haben.
Also da ein Schützenball. Ein Bischen zu pseudo-honoratiorenhaft, um wirklich lustig zu sein. Aber die kleine Braune, die hatte, was den Anderen fehlte: Natur und Grazie.
Schon wie sie herein kam, verselte es mich:
Wie sieht das Mädchen reizend aus Am großen Tantenbusen. |
Die Tante aber verführte mich zu dem gewagten Bilde einer schwitzenden Eule.
In des Mädels Nähe machte sich ein Jüngling mit verliebten Gebärden und bachstelzenschwippigen Bewegungen bemerkbar, der als Hauptzierde einen überaus wohlgerundeten Popo in knapp anliegender Umhosung förmlich kokett zur Schau trug. Der Herr Apothekerlehrling, wenn ich bitten darf!
Auch die Literatur des Ortes war vertreten: der Buchbindermeister und Redakteur des Lokalblattes, ein sehr schüchterner junger Mann, der beständig an seinem Halskragen rückte, als hege er die Sehnsucht, ihn mit der Shlipsseite auf dem Nacken zu plaziren, und ein Rahmkäsegesicht hatte, – womit ich ihm nicht zu nahe treten will. Ich wüßte aber nicht, wie ich seinen Teint besser kennzeichnen sollte.
Dann war noch eine Anzahl höchst absonderlich häßlicher Leute da, wie ich mit physiognomischem Interesse bemerkte, häßliche Gesichter mit vertauschten Geschlechtern, vor denen man sich die Frage stellte: Sahst Du je ein so häßliches Frauenzimmer wie dieses Mannsbild, eine so wüste Mannsperson, wie diese ausgerutschte Weiblichkeit?
Aber ich stellte diese Frage ohne Bosheit. Es wäre schnöde von mir, wollte ich boshaft sein. Ich fühlte mich ja so wohl auf diesem Schützenball.
Ich habe sogar getanzt.
Was? Jawohl: mit Brigitten!
Aber richtiger wäre, zu sagen, sie hat mit mir getanzt. Ich wurde gewissermaßen getanzt.
Und, merkwürdig, es machte mir Vergnügen. O himmlische Ki-Katharina, wie mein Pennaltanzlehrer zu seufzen pflegte, wenn ich den Walzer verpolkate. Ihre achtzehn Jahre schwangen meine vierzig in dem alten Coenaculo herum, daß es eine Lust war, und mein verehrter Leichnam fragte meine Seele: Werden wir schon vom Teufel geholt? Oh du thörichter Leichnam, wann wirst du Himmel und Hölle unterscheiden lernen?
Bei der Gelegenheit erfuhr ich ihren Namen und das Uebrige. Das Schwäbeln steht ihr wirklich gut zu Munde. Wenn sich's nur wiedergeben ließe.
Eine Frische geht von dem Dinge aus! Ich habe derlei noch nicht erlebt.
Ein weibliches Wesen, das ganz und gar Natur ist, – Wunder! Unnatürlich scheint mir an ihr nur, daß sie Spaß daran findet, sich mit einem angegriselten Doktor der Philosophie abzugeben, wie ich bin, einem Menschen, der zum Tanzen nicht viel mehr Geschick hat, als ein Sack voll Mehl, und der wahrhaftig in puncto Schnäbeln von jedem, auch dem melancholischsten, Kettenhunde übertroffen wird. Der Apothekerlehrling und der Buchbinder sind ja gewiß keine Adonisse, wenn sie's auch sicherlich glauben, aber im Vergleich mit mir sind sie einer achtzehnjährigen Brigitte gegenüber doch Potenzen, sollt' ich meinen.
Es muß das Onkelhafte sein, das mir so gut steht.