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Draussen blies ein kalter Wind. In der Kinderstube war es warm und gemütlich. Das Schwesterlein schlief im Korbwagen; Werner stand daneben und guckte zu. Von Zeit zu Zeit lachte er auf. Marianne, die mit Lotti Kleider für die Papierpüppchen schnitt, winkte ihm, dass er das Schwesterlein nicht wecke.
»Ich tu es nicht wecken«, flüsterte Wernermann. »Ich lach nur ein bisschen, wenn die Fliege wieder kommt. Sieh einmal, Marianne!«
Um des Schwesterleins Gesicht summte eine grosse Fliege und setzte sich auf das winzige Näschen; das zog sich kraus, als ob das Schwesterlein niesen müsste. Dann fuhr die kleine Faust über das Näschen, und die Fliege flog ärgerlich brummend fort. Das Schwesterlein aber schlief ruhig weiter.
Wie die drei dastanden und in den Korbwagen guckten, stürmte Hans zur Türe herein.
»Wisst ihr etwas –? Etwas Wundervolles? In 23 Tagen ist Weihnacht! In 23 Tagen!«
Marianne und Lotti sahen sich an. Seit man hier im Winterhause wohnte, hatte man ja schon immer das heimliche frohe Gefühl von Weihnacht. Aber wie nun Hans sagte: »In 23 Tagen!« da war's, als käme man der Herrlichkeit um einen ganzen Ruck näher.
Lotti fasste Werner und tanzte jauchzend mit ihm in der Stube herum. So musste das Schwesterlein denn doch erwachen. Es machte die Augen weit auf und zappelte mit den Armen.
»Du! In 23 Tagen ist Weihnacht!« rief Werner in den Korbwagen hinein. »Verstehst du?«
Hans lachte.
»Wernermann, tu du nicht so grossartig. Du weisst ja selber nicht, wieviel 23 Tage sind!«
»Doch, das weiss ich gut! Ein Tag ist, wenn man aufsteht, und 23 Tage ist, wenn man vielmal aufsteht, und dann kommt Weihnacht!«
Lotti aber lief ins Schlafzimmer, um an ihr und an Mariannes Bett mit Kreide 23 lange Striche zu zeichnen.
»Oder ich mach mir 24, Sophie! Dann kann ich heute abend schon einen auswischen.«
Marianne war am Wagen des Schwesterleins stehen geblieben. Es hatte seinen wollenen Hasen erwischt und schlug ihn auf das Deckbettchen, dass die kleine Schelle klingelte. Wie sonderbar, dachte Marianne, gar nichts weiss es noch von Weihnachten und kann sich kein bisschen darauf freuen! Dann aber kamen ihr selber so viel Weihnachtsgedanken, dass sie rasch an den Tisch ging und ihre Papierpuppen zusammenpackte.
»Zum Spielen habe ich jetzt keine Zeit mehr«, sagte sie zu Lotti, als diese wieder eintrat. »Denk, bis alle Weihnachtsarbeiten fertig sind!«
Die Turnachkinder hatten immer sehr viele Leute zu beschenken. So wurde jetzt am Abend bei der Lampe mit aller Macht gestrickt und gestickt, geschnitten und gekleistert. Hans, der an einem Nebentische hübsche Schachteln pappte, hatte um seine Arbeit eine ganze Mauer von Büchern gebaut. Jedesmal, wenn Mama vorbeiging, erhob er einen Lärm:
»Mama, Mama, nicht! Bitte, tu den Kopf weg!«
Die arme Mama wusste gar nicht mehr, wohin sich wenden. Denn Marianne arbeitete ebenfalls hinter einer Schanze aus zwei aufgestellten Teebrettern, die jeden Augenblick umstürzten:
»O, Mama, nicht hersehen –!«
Und Lotti schrie zum Vergnügen mit, obgleich sie an den Pulswärmern für Ulrich war. Das Buchzeichen für Daniel hatte ihr Marianne auch schon zugeschnitten.
Onkel Alfred hatte sich ausdrücklich ein Geschenk von den beiden Nichten erbeten.
»Hört«, hatte er gesagt, »für den Ritterdienst, den ich euch tat bei der fürchterlichen Hippenbäckerin, erwarte ich irgend etwas Gesticktes, etwa eine Schärpe, die ich Sonntags tragen könnte.«
»Ach, Onkel!« lachte Lotti; aber sie machte sich dann mit Eifer an den Tintenwischer, dessen Zeichnung Marianne entworfen hatte und der nun mit Blau und Gold ausgenäht wurde.
Das war das Hübscheste und Interessanteste bei den Weihnachtsarbeiten, sich die Stoffe und Farben, die Muster und Verzierungen selber auszudenken. Hans suchte in drei Läden, bis er das richtige mattgraue starke Papier fand, aus dem er für Marianne zwei Büchereinbände machen wollte. Sie wurden zugeschnitten und gefaltet; dann besann sich Hans über die Ausschmückung und kam auf die hübsche Idee, einen Kreis zu ziehen und da hinein ein Steinschiff zu malen mit grossem weissem Segel, rotem Steuer und blauem Wasser. Das wurde sorgfältig mit Tusch und Farbe ausgeführt und dann gefirnisst. Für Lotti hatte er eine kleine Wandtafel mit Gestell gearbeitet, die sie vor ihre Papierpuppenschule stellen konnte.
»Nobel!« sagte Ulrich, als Hans ihm den Einband zeigte, und Hans nahm sich vor, Ulrich ein Notizbuch zu schenken mit ähnlicher Ausstattung: Ringsum eine farbige Borte und in der Mitte die Namenszüge in Schwarz und Gold.
Marianne war auch mit beim Buchbinder gewesen und hatte weisse Karten gekauft, die sie geschickt mit kleinen Kränzen und Sträussen aus winzigen Blümchen beklebte. Sie hatte im Sommer allerlei gesammelt: Augentrost, Vergissmeinnicht, Guldenkraut, Klee, feine Gräser und Moose. Den verblichenen Blumen gab sie mit dem Pinsel wieder etwas Farbe. Die Karten sahen sehr niedlich aus und waren für Grossmama bestimmt, welche kurze Briefe darauf schreiben konnte.
So herrschte eine grosse Geschäftigkeit unter den Turnachkindern, ein Hin und Her mit Stickgarn und Farbkasten, mit Leim und Schere. Werner wollte auch etwas tun. Er warf das Leimglas um und zerschnitt Lottis Seidenfäden. Da gab ihm Mama einen mit Wachs gesteiften Bindfaden und grosse Glasperlen, damit er für Balbine ein Armband mache. Aber der ungeschickte Bub liess die Perlen fallen und lief immer wieder zu Marianne, dass sie ihm helfe.
»Wenn ich doch gar keine Zeit habe!« wehrte sich Marianne.
Sie hatte ein Täschchen für Mama angefangen, eine etwas zu grosse Arbeit. Wann sollte sie fertig werden? Um halb acht Uhr musste man immer ins Bett.
»Weisst du, Lotti«, flüsterte Marianne leise, damit der kleine Werner nichts ausplaudern könne, »heut abend geht Mama ins Konzert, und da bleib ich auf. Ich glaube, das darf man schon einmal, weil es eine Weihnachtsarbeit ist.«
Wirklich zog sich Marianne, als sie abends mit Lotti ins Schlafzimmer kam, nicht aus. Sie hatte, ohne dass es Sophie und Balbine bemerkten, statt dem Wachslicht die alte kleine Küchenlampe mitgenommen und setzte sich mit ihrer Stickerei hin.
»Du hättest eigentlich auch zu tun«, sagte sie. »Du könntest an dem Nadelbüchlein für Sophie weitersticken.«
»O«, gähnte Lotti in ihrem Bett, »das wird schon noch fertig. Arbeiten mag ich nicht mehr; aber ich will dir eine Geschichte erzählen.« Sie besann sich. »Ich will dir Jorinde und Joringel erzählen.«
»Nein«, sagte Marianne, »das ist so schrecklich traurig.«
»Ja, und eigentlich weiss ich es auch gar nicht mehr recht. Aber das Rumpelstilzchen?«
»Also!« sagte Marianne.
»Es war einmal ein Müller«, fing Lotti an. »Der sagte zum König, er habe eine Tochter, die Gold spinnen könne aus Stroh. Da liess der König die Tochter auf das Schloss holen und gab ihr einen Bund Stroh, dass sie daraus Gold spinne. Aber die Müllerstochter weinte – weil – – sie das gar nicht konnte – –«
»Und da?« fragte Marianne. »Weiter! Du wirst doch nicht schon einschlafen?«
»Nein, bewahre!« versicherte Lotti. »Ich bin noch ganz wach. Und da kam ein graues Männlein und fragte die Tochter, warum sie weine, und sagte, er wolle ihr das Stroh zu Gold spinnen, wenn sie ihm ihr Halsband gebe. Und da spann das – da spann das –«.
»Das Männlein!« half Marianne, während sie einen neuen Faden nahm.
»Das Männlein«, sagte Lotti nach; aber weiter fuhr sie nicht.
»Lotti, das soll jetzt die ganze Geschichte vom Rumpelstilzchen sein?« rief Marianne.
Da drehte sich Lotti noch einmal und sagte:
»O, wie gut, dass niemand weiss,
Dass ich Rumpelstilzchen heiss'.«
»Ach Lotti«, erwiderte Marianne. »Du machst alles durcheinander. Das gehört ja erst an den Schluss!«
Aber Lotti war bereits eingeschlafen.
Da erzählte sich Marianne in Gedanken selber weiter, wie der König immer mehr Gold wollte und wie er die Müllerstochter heiratete und diese dem grauen Männlein ihr erstes Kind geben sollte, wenn sie nicht erraten konnte, wie das Männlein hiess. Aber ihr Bote hörte dann im Walde, wie das Männlein den Spruch sang, und sie durfte ihr Kind behalten.
Es war jetzt ganz still im Zimmer. Marianne stickte fleissig; die eine Ecke wollte sie fertig bringen, durchaus. Sie konnte ihre Augen schon zwingen, offen zu bleiben. Jetzt schlug es draussen auf der Turmuhr halb neun. Drüben überm Hof in dem grossen Hause brannten Lichter; andere Leute arbeiteten also auch noch …
Marianne fuhr zusammen. War sie jetzt eingeschlafen? Nein, das durfte sie nicht. Sie rückte zurecht und stichelte weiter. Die Lampe leuchtete aber auch schlecht. Marianne schraubte den Docht höher. Sie dachte, um sich wach zu halten, an das Rumpelstilzchen, wie es nachts in dem Walde beim Feuer auf und ab tanzte:
»O, wie gut, dass niemand weiss,
Dass ich Rumpelstilzchen heiss'.«
Marianne sah das Feuer … Ein grauer Dunst stieg davon auf und erfüllte alles … Und Marianne hatte nicht mehr das Täschchen in der Hand, sondern Stroh, und das sollte zu Gold werden. Aber Marianne konnte die Hände nicht bewegen, und vor ihr das Rumpelstilzchen hörte nicht auf, seine seltsamen Sprünge zu machen. Dann kam auch die Müllerstochter und nahm Marianne das Stroh aus den Händen … Oder war es Sophie, die ihr half sich ausziehen –? Marianne strengte sich an, die Augen aufzumachen, um zu sehen, wo sie eigentlich war, im Walde bei dem Rumpelstilzchen oder in ihrem Zimmer. Aber als sie fühlte, dass sie im Bette lag, vergingen ihr alle Gedanken.
Am andern Morgen wusste sie gar nicht, wie das gestern zugegangen war.
»Ja, Marianne«, sagte Mama, »seltsam ist es zugegangen. Wie Sophie hereinkam um neun Uhr, war das ganze Zimmer erfüllt von dickem greulichem Lampenrauch, und du lagst eingeschlafen am Tisch. Wenn du die Lampe umgestossen hättest! Sophie hat dich dann ins Bett gebracht. Du hast es gut gemeint, Marianne. Aber tu so etwas nicht wieder! Du sollst schlafen nachts, nicht sticken. Weit bist du doch nicht gekommen, wie mir scheint.«
»Nein, Mama!« gestand Marianne beschämt.
Aber wie freudig überrascht war sie am Abend, als sie die beiden unteren Ecken an ihrer Arbeit fertig fand. Wer hatte geholfen –?
»Das Rumpelstilzchen vielleicht«, sagte Sophie. »Wenn es versteht, aus Stroh Gold zu spinnen, wird es wohl auch den Kreuzstich können.«
Marianne erfuhr nie, wer sich der Arbeit angenommen; aber mit dem Rumpelstilzchen wurde sie oft noch geneckt, und das Täschchen hiess, so lange es Mama hatte, das Rumpelstilzchen.
Am Tage nach Mariannes verunglücktem Aufbleiben war Sankt Nikolaus. In der Gegend, wo Grossmama aufgewachsen, feierte man den Nikolaustag; Grossmama hatte diese Sitte beibehalten und bereitete jedes Jahr den Turnachkindern eine kleine Festfreude, einen Vorgeschmack von Weihnacht.
Lotti und Werner standen erwartend am Fenster und sprachen vom Christkind. Werner hatte heute auf der Schwelle einen Faden Goldflitter gefunden. »Werner, da ist das Christkind vorbeigegangen!« hatte Sophie gesagt. »Sei nur ja ganz brav. Es ist jetzt oft in der Nähe!«
Der Kleine sah mit Lotti hinaus.
»Ich guck recht, Lotti. Dann seh ich es vielleicht fliegen. Es hat ein silbernes Kleid, gelt? und goldene Haare?«
Lotti nickte. Wenn man es wirklich einmal sehen könnte mit seinen schimmernden Flügeln und dem Stern auf der Stirne! Nur einen Augenblick –! In der Schule hatten gestern ein paar Kinder gesagt, es gebe kein Christkind.
»Mama«, war Lotti heimgekommen. »Es ist aber so schön, das vom Christkind! Ich glaube doch, dass es eines gibt.«
»Ja, Lotti, glaub du das nur«, hatte Mama geantwortet.
So spähte denn Lotti mit dem kleinen Bruder zum dunkeln Himmel hinauf.
Plötzlich aber läutete es draussen. Es war Grossmamas Friederike, die den »Nikolaus« brachte; auf einem mit weissem Tuch bedeckten Brette lagen vier schöne, braungelbe Nikolausmänner aus mürbem Teig gebacken, mit Rosinenaugen und einer Rute aus weissem Zucker. Und über den Nikolausmännern lagen vier grüne Tannenzweige.
Jedes Jahr wurden die gebackenen Männer mit Jubel empfangen; Mama musste immer wieder erzählen, wie einst bei Grossmama, als diese noch klein war, ein wirklicher lebendiger Nikolaus gekommen sei mit langem Bart und Pelzrock und einer grossen Rute, über dem Rücken einen Sack mit Nüssen und Äpfeln. Aber die kleinen Mädchen und Buben im Haus hätten sich so gefürchtet und so entsetzlich geschrien, dass das nächste Mal dann statt des lebendigen Nikolaus kleine Nikolausmänner aus Kuchenteig gekommen seien.
»Ich mag auch lieber nur einen kleinen«, sagte Werner und sah seinen Nikolaus zärtlich an, nachdem er ihm ein Stück vom Bein abgebissen und das rechte Rosinenauge herausgeklaubt hatte.
Hans aber hielt die Tannenzweige über die Lampe, so dass die Nadeln leise zu knistern begannen und durch den ganzen Raum ein feiner, lieblicher Duft zog, der Duft des Christbaumes –!
»Weihnacht, Weihnacht!« riefen die Kinder und liefen, ihre Tannenzweige schwingend, durch das Haus, zu Ulrich hinunter, zu Papa und wieder hinauf.
»Weihnacht, Weihnacht!« drangen sie zum Schwesterlein ins Zimmer, damit die Kleine ebenfalls den Tannenduft atme.
»Nächstes Jahr bekommst du auch einen Nikolaus!« rief Lotti.
»Mum, mambam«, machte die Kleine und lachte die Geschwister zufrieden an, als ob sie sagen wollte: »Ja, ja, ich kann schon noch warten.«
Näher und näher rückte Weihnacht heran. Bereits fünfzehn Striche hatten Marianne und Lotti an ihren Betten ausgewischt. Die Tage waren jetzt ganz mit Weihnachtsgedanken erfüllt. Schon früh am Morgen, wenn es fast noch dunkel war, begannen die Kinder ihre Lieder zu lernen. Mama nebenan hörte zu und half. Marianne war immer die erste.
»Mama«, rief sie leise. »Schläfst du noch?«
»Nein«, antwortete Mama.
»Dann kann ich aufsagen?« Und sie begann:
»Du lieber, heil'ger, frommer Christ,
Der für uns Kinder kommen ist,
Damit wir sollen gut und rein
Und rechte Kinder Gottes sein …«
Die zwei ersten Strophen konnte sie schon. Nun sprach Mama ihr die schöne dritte vor:
»Du lieber, heil'ger, frommer Christ,
Weil heute dein Geburtstag ist,
Drum ist auf Erden weit und breit
Bei allen Kindern frohe Zeit.«
Dann kam Lotti an die Reihe. Während sie ihr Lied aufsagte, blieb Marianne aufrecht sitzen und sprach leise mit:
»Wenn die Weihnachtsglocken klingen,
Wenn die Engel Gottes singen …«
Wie ahnungsvoll das war! – Draussen fing der Strassenlärm an; man hörte die Wagen rasseln; der Bäckerjunge und der Briefträger läuteten am Hause. Es ging wie alle Tage im Jahr. Und doch fühlte man in sich innen, dass jetzt eine besondere Zeit war, eine ganz einzig schöne Zeit!
Hans, der oben schlief, sagte seine Weihnachtsverse am Abend, bevor man die Lampe anzündete. Mama lehrte ihn ein Stück aus dem Weihnachtsevangelium:
»Und es waren Hirten auf dem Felde bei den Hürden, die hüteten des Nachts ihre Herde. Und siehe, des Herrn Engel trat zu ihnen, und die Klarheit des Herrn leuchtete um sie, und sie fürchteten sich sehr. Und der Engel sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht, siehe ich verkündige euch grosse Freude, die allem Volke widerfahren wird. Denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus der Herr, in der Stadt Davids. Und das habt zum Zeichen, ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegend.
Und alsobald war da bei dem Engel die Menge der himmlischen Heerscharen, die lobten Gott und sprachen: Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen …«
Mama erzählte den Kindern dann noch weiter, wie die Hirten das Jesuskind gefunden im Stall zu Bethlehem, und wie die Könige kamen, ihm Geschenke zu bringen. Das hörte sich so schön und feierlich an in der Abenddämmerung.
Am Mittwoch der letzten Woche kam das Backen. Mama und Balbine hatten schon am Abend vorher Mehl, Zucker und Eier, Zitronat, Zimmet und Mandeln abgewogen.
»Heut nachmittag dürft ihr helfen!« rief Sophie den Kindern nach, als sie zur Schule gingen.
Der würzige Geruch aus der Küche und die freudige Ungeduld verfolgte die drei bis in die Unterrichtsstunden hinein. Dass Lotti nicht recht aufpasste und nach allen Seiten mitteilte, es werde heute zu Haus gebacken, war nicht erstaunlich. Sie musste sogar ein bisschen in den Winkel stehen. Aber Hans – ein Bub und ein Fünftklässler –! Zweimal gab er im Rechnen eine ganz falsche Antwort, weil er an die Verzierung seiner Lebkuchen dachte. Herr Altschmid runzelte die Stirne.
»Was ist denn heut mit dem Turnach! Erst behauptet er, wenn neun Maurer zu einer Arbeit drei Tage brauchen, so müssten achtzehn Maurer sechs Tage haben! Und jetzt kann er nicht einmal mehr 135 durch 15 teilen! Ich möchte wirklich wissen, wo seine Gedanken sind.«
Hans wurde feuerrot. Es wäre doch geradezu entsetzlich, wenn Herr Altschmid und die Buben errieten, an was er gedacht hatte! Das ganze Jahr müsste er in der Klasse »der Zuckerbäcker« heissen –! Mit Gewalt verscheuchte er den Zitronat und die Mandeln aus dem Kopfe und strengte sich an, die folgenden Rechnungsaufgaben richtig zu lösen.
Die ganze Familie, Papa ausgenommen, war nachmittags in der Küche beschäftigt. Lotti stand mit aufgestülpten Ärmeln an einer Schüssel mit warmem Wasser, in dem die Mandeln geschält wurden. Hoppla! da sprang wieder eine über Lotti weg, eine ganz kleine, krumme; die durfte man essen.
»Mama, der Backtag ist doch zu nett!« rief Lotti einmal über das andere.
Mama strich mit Balbine den Lebkuchenteig auf grosse Oblaten, worauf Hans und Marianne die Ausschmückung vornahmen. Es wurden aus Zitronat und geschnittenen Mandeln Sterne, Halbmonde, Buchstaben und Blumen gebildet, immer künstlicher, bis Mama zur Eile trieb. Die Springerlein mussten auch noch gemacht werden. Da kamen die hübschen Formen, in die man den Teig drückte: die Ente, der Hase und das Obstkörbchen, das Dampfschiff und die Windmühle. Auch ein Kaiser Karl war da mit Krone, ein Tiroler und eine Frau, die ein Taufkind trug. Es ging sehr munter und laut zu mit Rühren und Klopfen, mit: »Ei, wie fein!« und »O weh! jetzt ist dem Kaiser Karl der Kopf weg –!«
Werner arbeitete an einem niedrigen Stuhl; er war voll Mehlstaub wie ein Müller, und schrecklich viel Mehl knetete er auch in seinen Teig, der allmählich zu einem grauen festen Klumpen wurde. Höchst befriedigt drückte ihn aber Werner zuletzt in die Schwanenform hinein.
»Den hab ich gemacht!« rief er strahlend. »Den schenk ich Sophie, und dem Papa mach ich ein Dampfschiff!«