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Als Fürstin Teresa Leaney wieder zur Besinnung kam, waren ihre Kräfte förmlich gebrochen. Sie stand nicht auf; sie aß fast nichts; niemand durfte um sie sein.
Lautlos ging ihre Freundin durch den großen Spiegelsaal, welcher neben dem Vorzimmer lag, lautlos wieder zurück, wenn sie ihr Geschäft verrichtet. Ebenso lautlos in die schmalen gotischen Gemächer mehr im Innern des Palastes, in welchen die junge Fürstin sich aufhielt. So wie jene, auch die Diener.
Die Freundin war aus dem Kloster, in welchem sie erzogen worden, auf Grund ihres Ranges und ihrer Kenntnisse mit hohen Ansprüchen herausgekommen, Ansprüchen, welche sie zehn, und dann noch fünf Jahre lang, stets verletzt durch das schonungslose und habsüchtige Wesen der Jugend, aufrecht hielt. Ging dann als Gesellschaftsdame zu einer hochvornehmen Familie, bewahrte auch ferner die Verletztheit, aber nur für sich; – wurde dabei älter und fand sich, jedoch ohne die innere Verletztheit aufzugeben, in gar mancherlei, über alles schweigend, legte es aber dabei darauf an, sich in aller Stille ein Vermögen zu sammeln. Dies erreichte sie am besten, indem sie ihre hohen Herrschaften genau studierte und dies Studium zu beiderseitigem Vorteil benutzte.
Also: über jenes Abenteuer wurde geschwiegen.
Nach Verlauf einiger Tage kam aus dem gotischen Gemache der Fürstin das kleine kurze Wort: »Einpacken!« Aus einigen späteren Zusätzen entnahm man, daß die Reise weit fort gehen sollte. Wieder nach ein paar Tagen kam die Fürstin selbst zum Vorschein, ging langsam und stumm umher, ordnete einige Kleinigkeiten und schrieb einige Briefe. Verschwand hierauf wieder.
Am nächsten Tage wieder ein Befehl:
»Heute abends um sieben Uhr!«
Schlag sechs erschien sie selbst in schwarzer Reisetracht, begleitet von ihrem Kammermädchen, welche auch im Reiseanzug war. Die Freundin stand fertig neben den Koffern, welche der gleichfalls fertige Diener nun, nachdem die Fürstin noch einen zustimmenden Blick auf den Inhalt geworfen, zuzuschließen begann.
Das erste Wort, welches die Freundin seit jener Spazierfahrt an die Fürstin richtete, sprach sie nun. Wie zufällig stellte sie sich neben Teresa und äußerte, indem sie in den Hof des Palastes hinabschaute:
»In der Stadt weiß man bloß, daß unsere Pferde scheu geworden, – nicht mehr!«
Ein erzürnter Blick traf sie: derselbe verwandelte sich bald darauf in einen verwunderten und dieser wieder in einen entsetzten.
»Ist er tot?«
Jedes Wort atmete Angst.
»Nein, ich sah ihn erst vor einer Stunde.«
Die Freundin mied den Blick der Fürstin, jetzt wie vorher; sie schaute in den Hof auf den Stall hin, aus welchem schon die Wagen gezogen waren und aus dem nun die Pferde geführt wurden. Als sie es endlich geraten fand sich umzudrehen (und dies dauerte lange, so wie auch die Fürstin schwieg und der Diener sich nicht rührte; er mußte wohl etwas vor sich sehen, was ihn an den Fleck band;) – als die Freundin es endlich geraten fand sich umzudrehen, bemerkte sie im Nu, daß die Wirkung ihrer Mitteilung eine vollständige gewesen. Die gereizte Phantasie hatte der Fürstin in diesen Fiebertagen all den jubelnden Spott ausgemalt, von welchem die Stadt jetzt erfüllt sein mußte; sie hatte sich denselben bis nach Rom verpflanzt, ja, durch die Zeitungen über die ganze Welt verbreitet gedacht; sie hatte ihren bisher ungebeugten glänzenden Trotz in wenigen fürchterlichen Minuten vernichtet gefühlt; es war ihr zumute, als wäre sie an den Haaren durch den Kot geschleppt worden. Und nun wußte niemand außer ihm und ihnen beiden, was geschehen? Er hatte vollkommen geschwiegen? Welch ein Mann!
Die großen schönen Augen der Fürstin flammten durch den Raum; doch nach und nach bekamen sie lächelnden Glanz: sie erhob den Kopf und die ganze Gestalt, ging ein paarmal auf und ab, so weit dies nämlich die Koffer und die übrigen Reisesachen zuließen, und hierauf, indem sie lächelnd den Sonnenschirm schwang:
»Packt aus! – Wir reisen heute nicht!« Und verließ hurtig das Zimmer.
Eine Weile später kam das Kammermädchen und bat die Freundin, sich zu einem Spaziergange anzukleiden.
So oft und so lange auch die Fürstin in Ancona weilte, so geschah es doch zum erstenmale, daß sie an der Abendpromenade der eleganten Welt teilnehmen wollte. Die Freundin hätte Gelegenheit gehabt durch ein paar verwunderte Worte den verwunderten Blick zu beantworten, mit welchem die Zofe diese Botschaft ausrichtete: allein schon dieser Blick war eine Naseweisheit; daher wurde nichts erwidert.
Als Teresa fertig gekleidet in den hohen, säulengeschmückten Spiegelsaal trat, blickte sie durch die offene Thür in das schwach erleuchtete Vorgemach und sah hier die Freundin bereit stehen. Schon die Toilette der Fürstin allein hätte die Miene zu rechtfertigen vermocht, mit welcher das Kammermädchen ihr folgte, um zu öffnen und zu schließen; aber die Freundin schloß sich ihr an, als sei sie jeden Tag an diesen Spaziergang, jeden Abend an diese elegante Toilette der Fürstin gewöhnt gewesen.
In einem lila, reich mit Spitzen besetzten Seidenkleide rauschte sie die Treppe hinab. Ihre kraftvolle Gestalt, obgleich sie schon etwas zur Üppigkeit neigte, machte nichtsdestoweniger den Eindruck der Geschmeidigkeit, weil sie zu gleicher Zeit einen hohen Wuchs und lebhafte Bewegungen besaß; gegen ihre Gewohnheit trug sie das Haar in Flechten aufgesteckt und es schwebte ihr ein langer Spitzenschleier nach, welcher an der einen Seite des Kopfes mittels einer Agraffe, auf der anderen durch Rosen festgehalten war. Die Ärmel waren so weit und offen, daß die langen Handschuhe, wenn Teresa den Fächer gebrauchte, nicht vollkommen die schönen Arme verbargen. Sie wartete gar nicht auf die Freundin, sondern schritt rasch vorwärts; es war die Sache ihrer Begleiterin, stets an ihrer Seite zu bleiben.
Es war ein sehr belebter Abend; denn zum erstenmal nach einigen Sturmtagen hatte man wieder hübsches Wetter. Doch wohin die Fürstin auch schritt, überall stockte das Gespräch, um, sobald sie vorbei war, wie eine zurückgedrängte und wieder losgelassene Flut ihr nachzuströmen. Fürstin Teresa Leaney bei der Abendpromenade! Fürstin Teresa Leaney auf dem Korso! Und wie!
Strahlend vor Schönheit, Reichtum, Holdseligkeit blickte sie freundlich alle an, grüßte alle Damen, welche sie von Kind auf gesehen, alle Kaufleute, mit denen sie zu thun gehabt, die Offiziere und Edelleute, mit welchen sie je gesprochen.
In dieser Stadt, welche sich der schönsten Frauen Italiens rühmte, trug sie allerdings nicht den ersten Preis davon; allein sie führte doch nah und fern den Beinamen »die Schönheit von Ancona« und die Stadt selbst hatte ein paar Jahre lang bereit gestanden, die Fahnen zu senken und in den Huldigungshymnus einzustimmen, – wenn sie nur gewollt hätte.
Und nun wollte sie!
Es lag etwas von einer einschmeichelnden Bitte in den Blicken, mit welchen sie »ihr« Volk begrüßte, etwas von einer Abbitte in der Verbeugung, welche, den Gruß der Augen begleitete.
Schon als sie wieder umkehrte, merkte sie die veränderte Stimmung ihrer Unterthanen, und sie wagte daher stehen zu bleiben und eine der ältesten Adelsfamilien der Stadt anzusprechen. Dieselbe hatte sich vor einem Kaffeehause mitten auf dem Korso niedergelassen. Man nahm ihre Annäherung überrascht, aber artig auf; und für den Rest sorgte sie selbst.
Der alte Herr, welcher das Oberhaupt der Familie war, wurde immer mehr bezaubert, je länger sie dasaß, und er machte sich eine Ehre und ein Vergnügen daraus, ihr alle Welt vorzustellen. Freundlich grüßte sie, war witzig, heiter, teilte sich gleichmäßig zwischen Herren und Damen, so daß eine Stimmung entstand, welche sich bis zur Lustigkeit steigerte. Daher vergrößerte sich die Schar um sie unaufhörlich, und als sie sich erhob, folgte ihr dieselbe in langem Triumphzug, mit lautem Gespräch. Man konnte sagen, der Korso wurde an diesem Abend der Schauplatz eines Versöhnungsfestes zwischen der besten Gesellschaft und dem schönsten Kinde dieser Stadt, und es schien als wären beide Teile darüber gleich vergnügt.
Es war schon ziemlich spät, als sie sich von Champagner und Eis erhob, und die ganze Gesellschaft mit ihr; – zum drittenmal geschah es. Sie hatte nirgends lange Ruhe. Nun ging es lustig, aber ganz langsam wieder die Straße hinauf. Drei Offiziere kamen ihnen ziemlich bestaubt und raschen Schritts entgegen; sie schienen von einer weiten Partie zurückzukehren. Wie zufällig trat die Freundin neben die Fürstin und flüsterte etwas; diese blickte auf und erkannte sogleich diese Figur. Da kam Mansana!
Ganz natürlich glitt die Freundin auf die andere Seite hinüber und Teresa noch weiter auf jene, welche die Freundin verlassen; – so nahe an die Offiziere, daß der nächste von ihnen mit dem Säbel an ihr Kleid hatte streifen müssen, wenn er es nicht vorgezogen hätte auszuweichen; – der nächste war aber eben Mansana.
Teresa sah, daß er sie erkannte; das Licht fiel gerade sehr hell auf diese Stelle. Sie bemerkte, daß er überrascht war. Aber sie bemerkte auch, daß das kurze, kraftvolle Gesicht sich gleichsam zuschloß, die kleinen Augen einen Schleier vorzogen; – er hatte den rücksichtsvollen Takt sie nicht erkennen zu wollen. Für dieses und auch für sein Schweigen sandte sie ihm einen Blick zu, – die großen dunklen Augen sprühten, – einen Blick, welcher ihn ins Herz traf. Derselbe entzündete in ihm ein Feuer, dessen Flammen ihm über die Wangen schlugen. Er konnte seine Gedanken nicht mehr sammeln, dem Gespräch der Kameraden nicht mehr folgen, sondern verließ sie. Er sollte ja auch diese Nacht noch den Eilzug erreichen, um am nächsten Tage die Gebeine seines Vaters, vom Verbrecherkirchhofe zum Ehrengrabe in seine Geburtsstadt zu geleiten.
Niemand fand es daher sonderbar, daß er frühzeitig nachhause ging.