Björnstjerne Björnson
Kapitän Mansana
Björnstjerne Björnson

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VI.

Zwei Tage später stand Mansana hoch oben an der Mauer, welche den alten Dom von Ancona umschließt. Er sah nicht die nasenlosen roten Marmorlöwen, welche die Säulen des Portales tragen und auch nicht die herrliche Bucht, welche gerade zu seinen Füßen lag. Zwar schweiften seine Augen über die Schiffsdecke und Lastboote, über das Gewimmel in den Arsenalen und beiden Brücken; doch seine Gedanken waren in der Kirche zurückgeblieben; denn hier hatte er sie gesehen! Eine große Feierlichkeit hatte die Fürstin hergeführt. Er hatte sie knieen gesehen, und was noch mehr war, sie hatte ihn gesehen! Ja, sie war sogar erfreut ihn zu sehen und hatte ihm den gleichen unbeschreiblichen Blick zugeworfen wie an jenem Abend. Er konnte sie nicht mehr anschauen ohne zudringlich zu erscheinen oder Aufmerksamkeit zu erregen, und so wurde die rauchdumpfe Dämmerung des Domes ihm unerträglich. Hier war es doch frisch und frei und die Gedanken durften in all dieser Schönheit das Schönste umschweben. Er hörte hinter sich die Menge die Kirche verlassen; er sah dieselbe wieder in den Schlingungen des Weges, zu Fuß und zu Wagen; er wollte sich nicht umschauen, sondern wartete, bis er auch sie hier unter sich erblicken würde. Da hörte er rückwärts Schritte von eins, zwei Personen; sein Herz pochte; vor seinem Auge dunkelte es; nicht um alles in der Welt hätte er gewagt sich umzudrehen. Man blieb neben ihm stehen, gleichfalls an der Mauer. Er fühlte, wer es war, und ohne Unhöflichkeit konnte er es nun nicht mehr unterlassen sich umzuwenden. Auch sie stand da und blickte auf die Schiffe, die Bucht, das Meer, aber merkte doch gleich, daß er sich umschaute. Sie war rot; allein sie errötete noch mehr, als sie lachend sprach:

»Verzeihen Sie, daß ich die Gelegenheit sogleich ergreife. Ich sah Sie und ich muß Ihnen danken.«

Sie hielt ein. Sie wollte noch mehr sagen; er fühlte es. Es kam aber nicht gleich; es dauerte eine ganze Ewigkeit, ehe es kam. Aber dann hörte er die Worte:

»Schweigen ist oft der größte Hochsinn, den man zeigen kann. Ich danke Ihnen!«

Sie verneigte sich und er wagte wieder aufzublicken. Welches Neigen! Welcher Gang, welche Gestalt! Der lange Schleier wogte im Winde und umspielte das rote Samtgewand.

Der Weg führte in vielen Windungen zur Stadt hinab; nun fuhr der Wagen, welcher in einiger Entfernung gewartet, der Fürstin entgegen und wendete unter der obersten Mauer um. Allein noch hatte Teresa denselben nicht erreicht, als auch sie hinter sich Schritte hörte, fast laufende Schritte; sie blieb stehen und drehte sich um; sie wußte, wer es war.

Sie lächelte über seine Hast, vielleicht um ihm zu helfen.

»Ich faßte es nicht gleich«, sprach er grüßend; sein dunkles Gesicht war braunrot. »Allein ich habe ja gar nicht aus Rücksicht geschwiegen, sondern um den ganzen Stolz für mich allein zu haben. Ich will keine Ehren, die ich nicht verdiene. Und vergeben Sie mir auch meine Rohheit!«

Seine tiefe Stimme bebte; die Worte überstürzten sich; er war kein Meister der Rede. Als er nach der Mütze griff, um sich wieder zu empfehlen, da zitterte seine Hand; und durch dieses und durch das, was vorhergegangen, machte er dennoch auf die Fürstin den Eindruck großer Beredsamkeit.

Und so geschah es, daß Teresa von dieser Offenheit sich angezogen fühlte und Lust bekam, dieselbe zu belohnen; denn welche Entdeckungen hatte sie nun nicht selbst in ihrem Inneren gemacht! Und so geschah es fernerhin, daß Fürstin Teresa nicht in den Wagen stieg, sondern an demselben zwischen Kapitän Mansana und der Freundin vorbeiging. So geschah es auch, daß sie, immer noch an seiner Seite, zurückkam und daß sie nun eine volle Stunde lang unter der oberen Umfassungsmauer, mit der herrlichen Aussicht vor den Augen, auf und nieder ging.

Und als sie endlich im Wagen saß und, ehe derselbe die Krümmung erreichte, welche zu dem unteren, parallel laufenden Wege führt, sich noch einmal herausbeugte und seinen erneuerten Gruß erwiderte, – da ging auch er noch eine Stunde auf und ab.

Die scharfe Linie der Bucht, die kühne Steigung des Gebirgs, die blauende Unermeßlichkeit des Meers, die Segel auf demselben und die Dampfsäulen am Horizonte, – – sie ist schön, die Bucht von Ancona!

Theresa hatte aus der unfreiwilligen Begegnung jenes Abends etwa dasselbe gelernt wie er; die Geschichte ihrer Vergangenheit war ungefähr die gleiche gewesen wie bei ihm; das hatte sie ihm nun gesagt, indem sie auch ihren hohlen Trotz, ihren kampfsüchtigen Ehrgeiz zugestand; – mit unterdrücktem Jubel hatte er dies, Wort für Wort, ihrem eigenen Munde entnommen!

Jenes Schönheitsbild, so hoch, so hoch über seinem Dasein, nun umschwebte es ihn lächelnd, mit Fehlern und Wünschen gleich den seinigen, aber in einem Kranze von Anmut und Herrlichkeit, in welchen er sich hinaufgerissen fühlte.

Ach, diese Bucht von Ancona, wie kühn sie sich wölbet; wie scharf blauschwarz die Meeresfläche in der Brise; welche weichen Farbenschattierungen über das Wasser hin, bis sie im Lichtnebel enden!


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