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Giuseppe Mansana war in Borghis Wohnung gewesen, ohne ihn zu treffen, im Offizierskaffeehaus gewesen, ohne ihn zu treffen, und dann unter den festlichen Menschenscharen; doch Luigi hatte er nirgends gefunden. Dagegen war er vielen Offizieren begegnet, manchen darunter in bürgerlicher Gesellschaft, und alle schienen zu schweigen, wenn sie ihn erblickten, und zu flüstern, wenn er vorbei ging.
Wie immer auch das Spiel stand, in welches er sich eingelassen, – verlieren durfte er nicht. Seine Ehre verbot es.
Erschöpft an Leib und Seele saß er des Abends auf der Lauer vor dem Kaffeehaus, welches gegenüber von der Brandinischen Wohnung lag. Bei Amanda brannte Licht. Sie packte die wenigen Gegenstände, welche sie mitnehmen wollten; denn um der Sache den Anstrich einer kleinen Reise zu geben, beabsichtigten sie alles Wesentliche zurückzulassen.
Doch Mansana dachte: »Dies Licht ist vielleicht ein Zeichen!« Und richtig. Als Amanda von der Anspannung ihrer Kräfte und der Arbeit ermüdet war, trat sie, um ein wenig Luft zu schöpfen, auf den Balkon; man sah sie deutlich in dem Lichte, welches von rückwärts auf sie fiel; sie blickte die Straße hinab.
Erwartete sie jemanden von dieser Richtung her?
Ja, man vernahm Schritte.
Dieselben näherten sich.
Es war ein Mann.
Er folgte der Häuserlinie von Amandas Balkon.
Nun ging er an einer Laterne vorbei; Mansana sah eine Offiziersmütze und ein bartloses Gesicht; er sah auch Amanda sich tiefer herabbeugen.
Ein junges Mädchen, das liebt, glaubt den Geliebten zu jeder Zeit, an jedem Ort zu sehen, besonders, wenn sie mit Angst liebt.
Als der Offizier sie bemerkte, ging er langsam unter den Balkon, blieb stehen und schaute hinauf.
Amanda eilte hinein und schloß hinter sich zu; der Offizier ging weiter.
War ein Stelldichein verabredet worden?
In einem Sprung war Mansana über den Platz hinüber; aber der Offizier war schon um die Ecke gebogen, und als Mansana diese erreichte, nicht mehr auf der Gasse.
In welches Haus hatte er sich versteckt?
Er konnte doch nicht die ganze Straße aufwecken, um zu suchen; – er mußte es aufgeben.
Dieser unbedeutende Vorfall, daß nämlich ein Offizier, welcher in der Nachbarschaft wohnte, unter einem Balkon hielt, auf welchem er eine junge Dame ganz allein stehen sah, – dieser unbedeutende Vorfall entschied über Mansanas Geschick.
Er legte sich diese Nacht nieder, nicht um zu schlafen, sondern um in seiner Herzensqual wieder und immer wieder aufzuspringen und sich zuzuschwören, daß Amanda am nächsten Morgen ihm angehören solle oder er wolle nicht länger leben.
Allein am nächsten Morgen war Amanda nicht auf der Anhöhe. Er wartete eine ganze Stunde, ohne daß jemand kam.
Da ging er in ihr Haus. Hier, vor der Thür zu Brandinis Wohnung, stand eine alte Frau mit dem Frühstück und einem Zettel in der Hand. Als Mansana nach dem Thürklopfer greifen wollte, sagte die alte Frau:
»Es ist niemand daheim, wie es scheint. Aber lesen Sie mir diesen Zettel, welcher an dem Hammer hing.«
Mansana nahm denselben: »Verreist. Näheres folgt. B.«
Er ließ den Zettel fallen und ging fort.
Die Frau rief ihm nach und fragte, was denn auf dem Zettel stehe.
Allein er antwortete nicht.
Als Fürstin Leaney am nächsten Morgen nach Ancona kam und Mansana nicht auf dem Perron traf, wurde sie, sie wußte selbst nicht warum, von großer Angst ergriffen. Sie begab sich selbst zur Telegraphenstation und sandte ihm einen herzlichen Gruß, der zugleich ihre Furcht ausdrückte. Sie ging nachhause und wartete; ihre Furcht stieg von Stunde zu Stunde. Endlich kam der Bote und brachte das für das Antworttelegramm bezahlte Geld zurück; Kapitän Mansana habe jene Stadt verlassen.
Die Furcht überwältigte sie. Die Selbstvorwürfe, in welchen sie all diese Tage gelebt, wuchsen zu Bergen und raubten ihr alle freie Aussicht. Sie mußte dorthin, wo er war, ihn finden, mit ihm reden, ihn pflegen; sie ahnte das allerschlimmste.
Am Abend stand sie in Begleitung eines einzigen Dieners auf dem Perron.
In der Morgendämmerung ging Teresa vor der Kreuzungsstation der südlichen und westlichen Züge auf und ab. Es waren nicht viele Reisende da und die wenigen, welche hier waren, schaute sie nicht an. Aber desto mehr schauten die Reisenden sie an, wenn sie an ihnen vorbei strich, in einen weiten Pelzmantel gehüllt, welchen sie um die Schultern geworfen, so daß die Aermel frei herabhingen, auf dem Kopf eine Pelzmütze, unter welcher das offene Haar und der Schleier sich verwickelt hatten. Die großen Augen und das ganze Antlitz sahen aufgeregt und überanstrengt aus.
Bei ihrem Auf- und Abwandeln ging Teresa öfters an einer hochgewachsenen Dame in ärmlicher Kleidung vorbei, welche dastand und unablässig auf den Güterwagen blickte, um welchen mehrere Leute beschäftigt waren. Als die Fürstin wieder einmal vorbeikommt, ist ein Offizier gerade hinzugetreten, welcher mit der Dame spricht und auf eine Frage vom Gepäckwagen her laut antwortet:
»Mansana!«
Die Fürstin stürzt herbei.
»Mansana?« ruft sie.
»Fürstin Leaney?« flüstert der Offizier und grüßt ganz erstaunt.
»Major Sardi!« antwortet diese, fügt aber rasch hinzu: »Mansana? Sie nannten Mansana!«
»Ja; dies ist seine Mutter!«
Während Sardi die beiden Damen einander vorstellte, zog die Mutter ihren Schleier beiseite und der Anblick dieser edlen Züge traf das Herz der Fürstin mit solcher Zutrauen weckender Gewalt, daß sie sich in ihre Arme warf, als fände sie hier einen schützenden Hafen vor aller Not und allen Gedanken, und sie brach in heftiges Weinen aus. Die Mutter hielt sie still an sich; doch schien sie zu warten. Sie streichelte ihr liebreich die Wangen, sagte aber nichts.
Sobald Teresa wieder sprechen konnte, fragte sie: »Wo ist er?«
»Dies weiß keiner von uns,« antwortete ruhig die Mutter.
»Aber wir hoffen es bald zu erfahren,« ergänzte Major Sardi.
Die Fürstin sprang auf, starrte kreideweiß die beiden an: »Was ist geschehen?« rief sie.
Die bedachtsame Mutter, welche in so vielen Stürmen fest gestanden, sagte mit gefaßtem Sinn:
»Vermutlich haben wir die gleiche Reise vor. Laßt uns ein Coupé für uns allein nehmen; dann können wir einander erzählen und überlegen.«
Und so geschah es.