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Einleitung

Steen Steensen Blicher
geb. 11. Oktober 1782, † 26. März 1848

Gewisse Schriftsteller werden in ganz besonderem Grade Ausdruck für die Eigenart und besondere Lebensanschauung eines Volkes sein.

Die Literatur eines Landes ist wie ein Garten neben einer Reihe anderer Gärten; viele Blumen sind überall vertreten und ähneln einander, aber einige wenige sind charakteristisch für die Stelle, wo sie wachsen.

Wollen wir uns einen Eindruck davon schaffen, was im Garten Dänemarks zu sehen ist, so ist Steen Steensen Blichers Name einer von denen, die man sofort wird nennen müssen. Man kann nicht von dänischer Literatur und ihrem besonderen Einsatze sprechen, ohne seinen Namen zu nennen; nicht daß er Dänemark und seine Bedeutung in hohen Tönen gepriesen hätte, nein, vielmehr seiner gedämpften Stimme wegen.

Die dänische Heide – die großen unbewohnten Strecken in der Mitte Jütlands – haben auf Steen Steensen Blicher und seine Lebensauffassung entscheidenden Einfluß gehabt. Überall begegnen wir einem eigenen ruhigen Wesen, das die dänische Literatur kennzeichnet. St. St. Blicher spricht nicht große Worte. Es ist charakteristisch für die Jütländer – und Blicher gehörte zu ihnen –, daß sie sich nicht gern direkt über eine Sache äußern. Die jütländische Mundart ist gefüllt mit Umwegen und indirekten Ausdrücken. Die Jütländer haben eine innerliche Freude an ihrer Sprache und lieben es mit den »Worten zu spielen«, nur wegen des Vergnügens sich spaßig auszudrücken. Diese Eigenschaft, Humor und Sittsamkeit sind gepaart mit einem starken Sinn, dem die tiefen Gefühle und starken Spannungen großer Tragödien sehr zugänglich sind. Deswegen ist über St. St. Blicher eine unwiderstehliche Macht, wenn er über bewegte Ereignisse und Schicksale erzählt, eine Macht, die zum Herzen geht, selbst wenn seine Werke in andere Sprache übertragen gelesen werden.

Blicher war Sohn eines Bauern, er hatte sich akademische Bildung angeeignet, indem er das Examen zum Theologen machte. Die Veränderung in seiner gesellschaftlichen Stellung entfernte ihn jedoch nicht vom kleinen Manne. Deshalb war er einer der großen Dichter, weil er verstand, daß man das beste nur schaffen kann durch Respekt vor der Denkart und den Gebräuchen des Volkes, einen Respekt, der nie ermüden oder seine lauschende Haltung aufgeben darf.

Blicher war ein leidenschaftlicher Jäger, und seine besten Arbeiten hat er auf Wanderungen geformt. Mit der Büchse an der Schulter ging er und machte dort Halt, wo Zeit und Gelegenheit und die stets bereite jütländische Gastfreiheit sich boten. Er hat mit Bauern und mit reisenden Handwerksburschen und Handelsleuten Seite an Seite gesessen, nicht um ihnen als der studierte Geistliche etwas zu lehren, sondern um durch ihre einfachen Weisheiten und heilige Einfalt selbst in das Mysterium des Lebens einzudringen.

In seinen besten Novellen läßt Blicher auch die einfache Seele, die er kannte und liebte, selbst sprechen. Er hat nichts zu dem hinzuzufügen, was sie sagen. Er hält sich nicht für klüger als sie es sind. Er weiß zu viel vom Leben um zu meinen, daß alles mit einer geistreichen Bemerkung abgetan werden kann.

In seiner Dichtung wird Blicher ein Mensch, dessen Berichte für jeden Bedeutung haben, der das Leben mit dem Wunsche lebt, zu verstehen und zu verzeihen. Er wird zum Pastor, der inmitten der leidenden Menschen geht und keinen andern Rat weiß, als sich schweigend zu ihnen zu setzen und ihnen zuzuhören, während sie sprechen.

St. St. Blicher genaß bei Lebzeiten kein besonderes Ansehen. Die damaligen Kritiker fanden nichts Eigentümliches oder Bedeutendes an ihm.

Erst das folgende Geschlecht verstand den Dichter zu würdigen, und heute sind sich alle einig, daß er zu den bedeutendsten dänischen Schriftstellern, die gelebt haben, zu zählen ist.

Blichers Dichtung besteht aus recht verschiedenartigen Werken. Er hat traurige Sachen, wie auch witzige Erzählungen geschrieben; aber der bleibende Wert dieses Dichters ist die Kunst, so zu erzählen und so zu singen, daß alle mitfolgen können und es treffend und vollkommen zu tun innerhalb der kurzbemessenen Zeit, die das eilende Dasein uns Menschen zur Beschäftigung mit Sagen und Gedichten gönnt.

Steen Steensen Blichers Größe liegt in der Sicherheit, mit der er die kurze Form beherrscht. Er hat niemals einen Roman geschrieben, und doch gibt er uns immer alles, was das Thema uns geben kann.

Es wird Blicher gehen wie andern Dichtern, das Unwesentliche und weniger Bedeutende wird mit der Zeit wegfallen. Zurückbleibt, was diesem Dichter ewiges Leben sichert, seine Kunst, so zu schreiben, daß man ihn selbst vergißt und von dem Leben bezaubert wird, das man in seinen Schriften trifft.

Wenn wir das Buch schließen, so werden wir uns des Mannes erinnern, der uns die gute und schöne Freude bereitete – und beständig werden wir uns zu denen rechnen, die Steen Steensen Blicher lieben.


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