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5.

Nun kamen für Elisabeth Tage so voll Glück, daß sie beinahe schwer daran trug und vor der Buße bangte, die sie dem Schicksal dafür späterhin zahlen mußte. Wie bei anderen das Unglück, so kam bei ihr das Glück Schlag auf Schlag. Zuerst der Reichtum, dann die Italienfahrt und als deren Krönung nun die Vermählung mit einem Mann, den sie wie in einem Märchen sich zu eigen gemacht hatte, kaum daß er sie erblickt hatte. Wie jedes verliebte Mädchen hätte natürlich auch sie mit dem Geliebten freudig ein bescheidenes Los geteilt, wäre mit ihm, wenn es die Notwendigkeit erfordert hätte, in ein kleines Nest gegangen oder von einer Provinzgarnison zur anderen, aber dies eben erschien ihr so wunderbar, daß der Mann ihres Herzens sie auch noch einem Geschlecht, einem Hause zuführte, das ihre Einbildungskraft lebhaft beschäftigte, und daß sie nun zeitlebens in der Stadt wohnen sollte, in der ihr jeder Tag wie ein Feiertag erschien. Wie sie als Braut zum erstenmal mit ihrem Vater am Palazzo Priuli vorfuhr, war sie blaß und ernst, und als Ettore sie zärtlich über die Marmorstufen durch die dunkle Erzpforte geleitete, überlief sie ein kleiner Schauer, den sie selbst nicht begriff, und über den Ettore lachen mußte.

»Sie friert, die arme, kleine Deutsche. Sie friert schon jetzt, im Sommer, weil keine Zentralheizung da ist und kein Kachelofen.«

Elisabeth lächelte einen Augenblick, wurde aber gleich wieder ernst.

»Nein, das ist es gewiß nicht! Aber ich bin doch heute zum erstenmal in Deinem Hause, denn früher war ich doch nur in Deiner Galerie. Und siehst Du, in solch einem Palast steckt so viel Altes, Ueberkommenes, Bindendes, – ein großer Name legt auch große Verpflichtungen auf, und ich frage mich, ob ich sie alle erfüllen kann.«

Ettore, der sich niemals mit solchen Ideen trug und in seinem ganzen Leben noch nicht über die Beziehungen zwischen seinem Namen und seiner Lebensaufgabe nachgedacht hatte, war zuerst ein wenig verblüfft, küßte dann aber Elisabeths Hand und meinte heiter:

» O, la carina, was sie für Gedanken im Kopf hat! Das mußt Du Dir abgewöhnen, Schatz, oder vielmehr, ich werde Dir's abgewöhnen. Eine schöne, junge Frau muß immer lachen und fröhlich sein und soll keine Dinge denken, bei denen sie zwei Falten auf der Stirne ziehen muß, wie Du jetzt!«

Elisabeth entgegnete nichts. Es war nicht leicht, Ettore alles auseinanderzusetzen, was in ihr vorging, denn er sprach kein Wort Deutsch, und die Konversation mußte also entweder französisch geführt werden, von dem er wenigstens ein paar Brocken wußte, oder italienisch, das wiederum Elisabeth doch nicht genügend beherrschte, um für alle Empfindungen oder Dinge stets den rechten Ausdruck zu finden. Sie durchschritten die Bildergalerie, um zuerst in eine kleine Flucht früherer Prunkräume zu gelangen und dann hinaufzusteigen zu den Wohnräumen der Familie und etlichen Gesellschaftszimmern, die aber seit dem Tode des alten Priuli nicht mehr oder nur selten benutzt wurden. Vor der ›Dogaressa‹ blieb Elisabeth stehen, während der Oberst als taktvoller Brautvater sich in die Betrachtung einer uninteressanten, aber entfernt hängenden Landschaft vertiefte. Elisabeth, die eben in diesen Tagen einen neu erschienenen Essay über das Bild gelesen hatte, fragte ihren Bräutigam:

»Hast Du das schon je gehört, daß die ›Dogaressa‹ eigentlich Venedig selbst darstellen soll?«

Ettore schüttelte den Kopf. Nein, er hatte es nie gehört. Es interessierte ihn auch gar nicht.

»Ich halte es für gar nicht unwahrscheinlich, gerade weil man im Hintergrund den Dogen auf dem Bucentauro sieht. Ich finde diese neueste Deutung sehr hübsch, nur sollte die Venezia dann strahlender aussehen, nicht so, als ob sie sich heimlich über ihre Hochzeit kränke.«

Ettore fand dies Kunstgespräch sehr langweilig. Er legte den Arm um Elisabeths Schultern, küßte sie mit kleinen Küssen hinter das Ohr, wo das Haar in einem blonden Flaum endete, und meinte überzeugt:

»Laß Dir doch keine solchen Dinge einreden! Die ›Dogaressa‹ ist ganz gewiß eine Priuli. Aber selbst wenn sie keine ist, was kümmert's uns? Sie hält einen Ring, und sie wartet gewiß mit derselben Ungeduld wie ich darauf, daß ich ihn meinem gelehrten Fräulein anstecke und sie als Gräfin Priuli hierherführe!«

Er zog sie fester an sich, redete ihr tausend süße, heiße Dinge vor, so daß sie am liebsten alle beide immerfort hier vor dem Bild geblieben wären, statt die Gemächer zu besichtigen, die für das junge Paar eingerichtet werden sollten.

Elisabeth sah alles mit verliebten Augen, und darum kam ihr alles schön und richtig vor, zudem ja auch die Priuli sich Mühe gegeben hatten, den allzu sichtbaren Verfall zu verkleistern und zu verstecken. Man hatte vom Speicher alte Bilder und Waffen geholt und sie über die allergrößten Risse der Seidentapeten gehängt, ein billiger Hausarbeiter hatte in Eile ein paar klaffende Sprünge der Plafonds ausgefüllt, der elegante Diener, der sonst nur für die Besuchsstunden der Galerie vorhanden war, stand jetzt als Kammerdiener in Ettores Dienst, die alte Magd war, wie ein Möbel, dessen man sich schämte, in die Küche gedrängt, und so machte alles, wenn auch nicht einen reichen, so doch einen anständigen Eindruck. Die Schöttlings wußten wohl, daß hinter den Priuli kein Reichtum mehr stand; Ettore hatte bei seiner Werbung daraus kein Hehl gemacht, wenngleich er die Armut seiner Familie wie seine Schulden verschwieg und so tat, als ob immerhin ein festes, wenn auch kleines Einkommen vorhanden sei.

Auch die Familie Priuli gefiel den Schöttlings. Eleonore hatte schon durch ihre Schönheit gewonnenes Spiel, und die Gräfin-Mutter, die sich vor den neuen Verwandten natürlich weder unfrisiert noch im Schlafrock, sondern nur im würdigen Seidenkleid mit altem Familienschmuck sehen ließ, erschien Elisabeth verehrungswürdig, weil sie Ettores Mutter war. Von weitläufigeren Verwandten lernte sie zunächst nur Carlo Priuli kennen und fand ihn nicht unangenehm, obschon Ettore ihn als Egoisten und Geizkragen geschildert hatte. Ettore hatte guten Grund, seine Braut gegen den Vetter einzunehmen, denn er fürchtete, daß Carlo am Ende von den Darlehen sprechen könnte, die er Ettore so oft gegeben hatte, und von noch manch anderem dazu, was nicht gerade für die Ohren einer Braut, noch dazu einer deutschen Braut bestimmt war. Er war jetzt Carlo gegenüber um so unsicherer, weil der Ingenieur leidlich Deutsch sprach und es tadellos verstand, so daß er selbst in Ettores Gegenwart Dinge hätte erörtern können, die jenem unverständlich blieben. Carlo dachte aber gar nicht daran, die Befürchtungen seines schönen Vetters zu erfüllen. Er hielt Ettore zwar für einen ausgemachten Tunichtgut, – aber welchen Sinn hätte es gehabt, ein verliebtes Mädchen zu warnen, oder einen Vater, der schon freudig seine Einwilligung gegeben hatte und nicht zu ahnen schien, was sich hinter Venedig und seinen Palästen bergen konnte! Zudem hätte man ja auch nichts wirklich Belastendes gegen Ettore vorbringen können, denn die Liebesgeschichten und Schulden, die er auf dem Konto hatte, zählten ja nach der landläufigen Auffassung von Junggesellen- und Kavaliersgepflogenheiten nicht mit, und daß er ohne Beruf und Arbeit in der Welt umherlief, lag so klar am Tag, daß die Schöttlings es selber sehen mußten, wenn sie es sehen wollten. Was hätte also Carlo Priuli sagen sollen, selbst wenn er die Schöttlings, die er gleich als ehrbare und tüchtige Menschen erkannte, vor Untiefen hätte warnen wollen, die er wohl vermutete, aber nicht mit Namen nennen konnte? Ein einziges Mal nur versuchte er leise anzutippen in einem Gespräch, das er mit dem Oberst über die Kaufkraft deutschen Kapitals und die Widerstandsfähigkeit deutscher Banken führte. Der Oberst als neugebackener Kapitalist erwog den Ankauf verschiedener ausländischer und überseeischer Papiere, und da sagte Carlo ruhig und bestimmt:

»Ich finde es immer begreiflich und klug, wenn die Deutschen ihr Kapital im Lande behalten, statt es auf fremden Börsen oder in fremden Unternehmungen zu riskieren!«

Ettore, der mit Elisabeth ein wenig abseits saß und flüsterte, aber doch immer hinhorchen wollte, was die beiden verhandelten, fing jetzt das immer wiederkehrende Wort »Bank« und »Kapital« auf, dessen Bedeutung er doch kannte, und fragte mit lauernder Liebenswürdigkeit:

»Ihr verhandelt wohl nur über Geldsachen?«

Carlo sah ihn an.

»Ja. Ich habe eben Deinem Schwiegervater gesagt, daß ich immerfort Deutschland für das beste Anlagekapital halte!«

Ettore lachte gezwungen.

»Du bist ja ein glänzender Patriot! Du diskreditierst uns und möchtest wohl am liebsten das Geld von uns fernhalten, statt es zu uns hereinzuführen!«

»Das sind Dinge, die sich nicht prinzipiell, sondern immer nur von Fall zu Fall bestimmen lassen!«

Die beiden Vettern hatten nach italienischer Art sehr lebhaft, scheinbar heftig miteinander geredet, so daß Elisabeth intervenieren wollte. Sie ergriff Ettores Hand:

»Laß doch, Du sollst nicht mit jemand um Geld streiten! Was geht uns überhaupt das Geld der andern an?«

Ettore warf Carlo einen triumphierenden Blick zu, fragte Elisabeth halb im Scherz, halb im Ernst:

» Carina, werden wir uns überhaupt nie streiten?«

»Mit meinem Willen nie!« versicherte Elisabeth so ernsthaft, daß Carlo ärgerlich den Kopf wegwandte und bei sich dachte, daß die Liebe doch wirklich jeden Menschen unzurechnungsfähig mache.

Sehr lange dauerte aber der Aufenthalt der Schöttlings in Venedig nicht mehr. Sie mußten nach Deutschland zurückkehren, um Elisabeths Aussteuer zu bestellen und die Hochzeitsvorbereitungen zu treffen, während Ettore den Palazzo Priuli glänzend instandsetzen lassen wollte, denn er gedachte mit seiner jungen Frau ein großes Haus zu führen. Er wollte mit Elisabeth das obere Stockwerk bewohnen, im unteren Stockwerk neben den Prunkräumen, die vielleicht für ganz besondere Feste mit herangezogen werden konnten, sollte die Wohnung für die alte Gräfin und Eleonore hergerichtet werden, was ziemlich lange Zeit in Anspruch nehmen konnte, denn hier fehlten alle Vorbedingungen für Wirtschaftsräume und mußten erst, zuweilen unter beträchtlichen Schwierigkeiten, neu geschaffen werden. Ettore hatte zwar zuerst gemeint, wenn auch nicht klipp und klar ausgesprochen, daß eigentlich ein gemeinsamer Haushalt das Praktischste wäre, ja, eigentlich dasjenige, was ihm am natürlichsten und bequemsten schien. Hier aber hatte der Oberst Widerspruch erhoben. Nein, seine Elisabeth sollte Herrin in ihrem Hause sein, einzige und absolute Herrin! Von einer Schwiegermutter hatte er ganz bestimmte deutsche Ansichten, in denen er sich nicht beirren ließ, und eine Schwiegermutter im Hause kam ihm vor wie die ewige Verdammnis. Elisabeth, die ihre neue Verwandtschaft schon liebte und die alte Gräfin mit ihrer jammernden Stimme und ihren Kirchgängen rührend fand, begriff den Widerstand ihres Vaters nicht:

»Ich weiß nicht, Papa, ob Du da in allem recht hast!«

»Natürlich hab' ich recht! Ich habe gar nichts gegen die alte Gräfin einzuwenden und bin überzeugt, daß sie in ihren vier Wänden und auch sonst eine sehr scharmante Frau ist, aber in Deinem Hause, nein! Ein junges Paar gehört für sich allein! Du wirst mir's noch einmal danken, daß ich da gescheiter war als Du!«

Für den Oberst wie für Elisabeth war diese Frage des gemeinsamen oder getrennten Haushaltes sehr wichtig gewesen, denn sie konnte bei den Priuli allerlei Verstimmungen nach sich ziehen. So wenigstens hatten Schöttlings gedacht und waren einige Tage mit Sorgen im Kopf umhergegangen, aber weder Ettore noch seine beiden Damen waren verstimmt oder gar beleidigt. Die alte Gräfin schien sogar sehr zufrieden, daß im untern Stockwerk eigens für sie eine Küche gebaut wurde, und Ettore beschloß die Debatte lachend mit seinem Lieblingswort:

»Alles in schönster Ordnung! L'Italia farà da sé!« Die Hochzeit fand im Spätherbst statt. Ettore, der erst einige Tage vor der Trauung nach München gekommen war, wurde allgemein bestaunt und bewundert, sogar der Leutnant Otto fand, daß der Schwager ein fescher Mensch sei. Ueber seine innern Qualitäten konnte man sich in der kurzen und bewegten Zeit, die einer Hochzeit vorangeht, natürlich keine rechte Meinung machen, zudem ja hier die Sprachschwierigkeiten noch akuter waren als in Venedig. Ettore hatte allerdings seiner Braut beim Abschied versprochen, daß er Stunden im Deutschen nehmen werde, aber er hatte nicht die geringsten Fortschritte gemacht und konnte zu Elisabeths Staunen und Ergötzen eigentlich nichts ordentlich sagen als: »Gib mir einen Kuß«. Dagegen traten die deutschen Verwandten zu wiederholten Malen, wenn auch nur beiläufig, mit einer Frage an ihn heran, deren Sinn er nicht recht begriff, und die ihm so überflüssig vorkam, daß er seine Schwäger im stillen für Spießbürger hielt. Sie fragten ihn nämlich, was er für einen Beruf habe oder arbeite. Ettore fühlte wohl, daß er ihnen nicht klarmachen konnte, wie überflüssig für einen italienischen Nobile von altem Geschlecht Beruf oder Arbeit sei. Er begnügte sich also etwas von oben herab und obenhin zu entgegnen, daß er sich jetzt ganz und gar der Verwaltung und Hebung seiner Güter widmen wollte. Fügte auch gleich mit seinem hübschen Lächeln, das ihm die Herzen gewann, hinzu:

» E vero, bis jetzt war ich ein rechter Leichtfuß und habe nur an mein Vergnügen gedacht, aber nun ist's aus mit dem Junggesellenleben, nun werde ich ein braver Ehemann und Familienvater, und da ist's selbstverständlich, daß ich mich nach allen Seiten hin um unseren Grundbesitz bekümmere! L'Italia farà da sè!«

Diese kindliche Offenheit gefiel allen sehr. Die Schwäger freuten sich, daß die Schwester weder einen Duckmäuser, noch einen unverbesserlichen Lebemann heiratete, und jeder von ihnen war überzeugt, daß Elisabeth, die sie trotz aller gelegentlichen Schwärmerei und Verstiegenheit für rechthaberisch hielten, diesen heiteren, naiven Mann um den Finger wickeln würde.

Die Hochzeitsreise ging nach Süditalien und sollte nach einem Abstecher nach Korsika in Aegypten enden, wo das junge Paar bis nach Neujahr oder noch länger bleiben wollte, je nachdem eben Zeit benötigt wurde, um alle die Arbeiten im Palazzo Priuli zu beenden, die jetzt in vollem Gange waren.


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