Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Als der Herbst aus seiner weinumkränzten Kelter die letzten Sonnenstrahlen über Venedig hingoß, daß es anzusehen war, als ob eines der flimmernden, naiven Mosaikbilder aus San Marco zum Leben niedergestiegen wäre, wurde der kleine Priuli getauft. Es war nur ein Familienfest, aber erfüllt von Feierlichkeit und durchwoben von Fäden, die weit zurückliefen zu alten Dingen und Gebräuchen. Die Taufe fand weder in einer Kirche, ja nicht einmal in einem Prunksaal des Palazzo Priuli statt, sondern in einem kleinen, winkeligen Zimmer des oberen Stockwerks, – denn hier war der große Vorfahre der Priuli zur Welt gekommen, und seitdem hatte jede Taufe des Geschlechts hier stattgefunden. Das Taufwasser lag in einer schweren, alten Kristallschale, die von zwei Goldfiguren getragen wurde; es hieß, daß die Goldschmiedearbeit von Benvenuto Cellini herstamme. Eine verblaßte und leicht zerschlissene Brokatdecke, die über den Täufling gebreitet wurde, sollte noch von Lola Manin, der berühmten Dogaressa, die sich einst um Venedigs Webeindustrie hochverdient gemacht, herstammen. Und als der Taufakt zu Ende war, nahm Ettore das Kind von den Armen seiner Mutter und sprach über es die alte Formel hin, die seit Jahrhunderten jeder Priuli sprach, wenn sie inzwischen auch ihren Sinn verloren hatte: »Ich schenke diesen Sohn der Republik Venedig, ihr zum Dienste und sich zum Ruhm!«
Elisabeth sah erstaunt und auch ein wenig verständnislos auf all diese Äußerlichkeiten und auf den Ernst, mit dem sowohl ihr Mann wie die Damen Priuli dies alles betrachteten und behandelten. Seitdem sie in täglicher Gemeinschaft mit den Traditionen lebte, die ihr noch vor einem Jahr so überwältigend und bedeutungsvoll erschienen waren, kamen sie ihr nicht mehr gar so wertvoll vor, wollten sie mitunter sinnlos und altersschwach bedünken. Bei dieser Taufe freilich erhöhten sie die Feierlichkeit, liehen dem kleinen Priuli eine Wichtigkeit, daß er schon jetzt mehr zu sein schien als andere Kinder, und Elisabeth freute sich in ihrem jungen Mutterstolz, daß um ihr Kind so viel Erinnerungen herstanden und so viel Aufhebens von ihm gemacht wurde. Nur als Ettore den Spruch sagte, der dies Kind Venedig zum Geschenk machte, zuckte sie erschreckt zusammen, denn ihr war's, als habe er mit diesen Worten ihr Kind und in ihm sie selbst einem fremden Wesen vermählt ...
Alles Schöne und alles Seltsame dieses Tages aber war vergessen, wenn sie in das Gesicht ihres Vaters sah, der zur Taufe seines Enkels gekommen war. Seitdem sie damals mit Ettore von seinen Gütern heimgekehrt, war die Sehnsucht nach ihrem Vater und nach allem, was er bedeutete, immer stärker in ihr geworden, so daß sie zuweilen dachte, das Heimweh müsse ihr das Herz zersprengen. So fremd, so armselig war sie sich in ihrem Palast vorgekommen, daß sie heimreisen wollte, um das Kind in irgendeiner deutschen Klinik zur Welt zu bringen. Ettore und seine Mutter waren natürlich verwundert und bestürzt über diesen Entschluß, den sie unter keiner Bedingung zur Ausführung kommen lassen wollten. Ettore sagte entschlossen:
»Unmöglich! Ein Priuli kommt nicht in einer Klinik auf die Welt! Ein Priuli wird hier, in seinem Palazzo geboren.«
Die alte Gräfin klagte mit ihrer jammernden Stimme:
» Dio mio, was das nun wieder für Ideen sind! Als ob Du's hier nicht gut hättest, und als ob wir Dich nicht hegen und pflegen wollten wie eine Königin!«
Elisabeth wurde verwirrt. Alles, was die beiden sagten und einwendeten, war ja vollkommen richtig, und wenn sie ihnen sagte, daß sie es vor Heimweh fast nicht mehr aushielt, würden sie mit Recht verletzt sein und fordern, daß die junge Frau sich beherrsche und nicht einen Schritt unternehme, der rundum Aufsehen und Gerede hervorrufen konnte. Sie versuchte also nur geltend zu machen, daß sie doch einen deutschen Arzt und deutsche Pflege haben wollte, ein Einwand, den Ettore gleich lachend umwarf:
»Als ob Du die nicht hier auch haben könntest! Selbstverständlich wirst Du einen deutschen Arzt und eine deutsche Pflegerin haben, aber mit der Reise nach München wird's nichts. Du mußt Dich schon entschließen, carina, hier bei uns zu bleiben, zu denen Du gehörst!«
Er schloß sie bei diesen Worten in die Arme, streichelte und küßte sie zärtlich, und sie fühlte, daß er recht hatte, und daß sie ihm darum gehorchen mußte. Sie hatte aber trotzdem eine Sekunde lang den Wunsch, aufzuschreien: »Nein, nein, ich gehöre nicht zu Euch!« und war froh, als Ettore und seine Mutter gegangen waren und sie allein ließen mit ihren Gedanken und ihrer Verwirrung. Denn verwirrt war sie in sich und über sich, konnte selbst nicht recht verstehen, warum sie sich im Innern gegen Ettore und die Seinen auflehnte, warum sie mit einemmal nicht zu ihnen gehören wollte. Sie schloß die Augen und atmete tief auf. Ach, wenn erst das Kind da wäre, dann würde alles anders werden! Das Kind würde sie ganz ausfüllen, würde sie entschädigen für alles, was sie in ihrer Ehe oder auch sonst enttäuscht hatte, würde die Leere ausfüllen, die jetzt, trotz aller Zärtlichkeit und Leidenschaftlichkeit, so oft zwischen ihr und Ettore lag. Sie hatte daheim ja so oft gehört, daß es in jeder Ehe Enttäuschungen gäbe, ja, daß die Ehe vor allem in kluger Resignation bestünde, warum also sollte gerade ihr das Los anders gefallen sein? Wenn sie's genau bedachte, hatte sie ja nicht einmal einen wirklichen Grund zu Klage oder Enttäuschung. Sie war umgeben von Liebe, von Wohlleben, von Hoffnungsfreude, und wenn sie zu irgend jemand gesagt hätte, daß sie trotz alledem nicht glücklich war, daß sie etwas vermißte, für das sie keinen Namen fand, und für das sie doch allen Reichtum und Nimbus ihrer Existenz willig hergeben wollte, dann hätte niemand sie verstanden, und jeder hätte ihr wohl lachend gesagt, daß sie Grillen fange, weil es ihr eben gar zu gut ging. Vielleicht war es so. Vielleicht verlor sie sich in fruchtlose Grübeleien, weil ihrem Dasein, das einst tätig gewesen, jetzt jeder tiefere Inhalt fehlte. Vielleicht ... Nein, sie wollte sich nicht weiter mit »vielleicht« und »wer weiß« peinigen. Wenn das Kind erst da war, würde alles gut werden, denn auch das hatte sie daheim gehört, daß Kinder das Allheilmittel für jedes Frauenleid sind ...
Als die Gondel, die den Obersten vom Bahnhof zum Palazzo brachte, in den kleinen Kanal einbog, stand Elisabeth schon an einem Fenster des oberen Stockwerks, winkte mit der Hand und pochte ungeduldig gegen die Scheiben. Sie war erst vor ein paar Tagen aufgestanden, und der Arzt hatte ihr streng verboten, nach dem Bahnhof zu fahren, weil er sie keiner Zugluft aussetzen wollte; so mußte sie wohl oder übel zu Hause bleiben und voll Ungeduld die Minuten zählen, bis der Vater da sein konnte. Als die Gondel unten, an den bekrönten Pfählen angebunden war, war kein Halten mehr. Elisabeth lief, so rasch sie konnte, die Treppe hinunter, warf sich lachend und weinend dem Obersten an die Brust, der ob dieser Ueberschwenglichkeit etwas verdutzt und fast verlegen dreinschaute. Dann kamen auch schon die Pflegerin und die alte Gräfin herbei, schalten und jammerten über den Ungehorsam der jungen Frau, die doch noch keine Treppen steigen sollte, und Ettore, der hinter seinem Schwiegervater stand, nahm ohne weiteres Elisabeth wie ein Kind auf den Arm und trug sie hinauf in ihr Zimmer, wo das Bettchen des kleinen Priuli stand. Der Oberst war außerordentlich zufrieden. Er besah den Enkel und fand natürlich, daß er ein ungewöhnlich schönes und kräftiges Kind sei, dann wandte er sich zu seiner Tochter:
»Na, Liesel, Du schaust aber gut aus! Scheint Dir nicht schlecht zu gehen bei Deinem Mann!«
»Mir geht's ja auch ausgezeichnet, hauptsächlich jetzt, wo ich Dich wieder habe!« entgegnete Elisabeth strahlenden Gesichts. Sie ergriff die Hand ihres Vaters, drückte sie an ihr Gesicht und küßte sie. Eine Mutter hätte vielleicht aus ihrer übergroßen Freude, aus der ganzen Art, wie die junge Frau sich gab und betrug, gemerkt, daß irgend etwas nicht ganz stimmte, hätte vielleicht gesehen, daß in diesem Antlitz trotz seiner rosigen Fülle ein paar Linien auf der Stirne standen, die nicht vom Glück gezogen waren, daß um den Mund ein kleiner, fremder Zug lag, der vor einem Jahr noch nicht da gewesen war. Der Oberst aber war ein Mann und sah nur, daß die Tochter stärker geworden war, daß sie in diesem Augenblick vor Freude leuchtete, und es fiel ihm mit keinem Gedanken ein, daß eine Frau, die gar so stürmisch nach dem Vater verlangt, wohl in dem Mann nicht alles gefunden hat, was sie in ihm zu finden hoffte. Während seines ganzen Aufenthalts, der sich über mehrere Wochen erstreckte, blieb er arglos, ohne Frage, freute sich über die Tochter und das Enkelkind, über Venedig und all seine Schönheiten, denen er jetzt ja beinahe verschwägert war.
»Weißt Du, Liesel, das ist so schön, daß man in Venedig quasi auch zu Hause ist. Wenn ich jetzt herfahre, habe ich immer das Gefühl, als fahre ich auch ein bissel heim! In meinem Leben hätt' ich mir's nicht träumen lassen, daß ich doch noch einmal in Italien verwurzeln soll. Spät ist's ja gekommen, für mich eigentlich zu spät, aber schön ist's doch!«
Elisabeth sah ihn mit großen Augen an.
»Hast Du wirklich das Gefühl, daß Du hier zu Hause bist?«
»Aber natürlich! Wo mein Kind zu Hause ist, bin ich auch zu Hause. Oder geht's Dir nicht etwa ebenso?«
Elisabeth nickte und erwiderte nichts. Wozu den Vater beunruhigen, wozu Fragen, Antworten und Erklärungen heraufbeschwören, für die sie weder Erklärung noch Gegenrede gefunden, denen sie nichts entgegenzusetzen hätte als das dumpfe Gefühl, daß ihr Herz sich hier nimmer eingewöhnen konnte. – Eins nur hatte den Oberst peinlich berührt, die Hausgenossenschaft der Damen Priuli, gegen die er doch schon früher energisch protestiert hatte. Nicht als ob sie ihn durch Indiskretion oder aufdringliches Vorhandensein gestört hätten, nein, solange er da war, bekam er sie kaum zu Gesicht, aber er wunderte sich doch ein wenig, daß Elisabeth nicht über sie klagte, sondern sie als selbstverständlich hinnahm.
»Weißt Du, Liesel, allerhand Hochachtung vor Dir! Aber den Schwiegerdrachen beständig im Hause zu haben, wäre nicht mein Geschmack gewesen! Wäre auch nicht nach dem Geschmack der meisten Frauen!«
Elisabeth lächelte.
»O, die Mama ist gar kein Drache ...«
»Und wenn auch nicht, ich weiß nicht, junge Eheleute sollten doch allein sein! Ewig und immerfort mit dritten am Tisch zu sitzen! Ihr habt doch kaum Zeit, Euch über alle möglichen Dinge miteinander auszusprechen ...«
»Wir haben so viel Zeit, Papa, so viel Zeit, wie Du Dir gar nicht denken kannst! Und es gibt auch gar nicht so viel Dinge, über die man sich aussprechen muß!«
»So? Ich meine aber doch –«
Der Oberst brach ab. Nicht etwa, weil ihm das Thema heikel vorkam oder weil er in der Stimme seiner Tochter leise Bitterkeit spürte, sondern bloß weil er auf seine eigene Ehe hatte Bezug nehmen wollen und weil ihm dann einfiel, daß jede Aehnlichkeit zwischen seiner Ehe und der seiner Tochter fehlte. Er meinte also gutmütig:
»Ja, freilich, Ihr habt's gut. Deine arme Mutter hat's nicht so gut gehabt! Das war ein ewiges Rechnen und Sorgen und Erschrecktsein vor unerwarteten Ausgaben, und die gute Frau hat dann immer gemeint, es wird leichter, wenn sie's mit mir bespricht. Und ich – na, Du weißt ja, wie wenig Zeit unsereins hat und wie zuwider man ist, wenn man müd' und verärgert vom Dienst heimkommt! Du hast's besser, Gott sei Dank, und Du kannst wirklich als kleines Reugeld für Dein Glück den Schwiegerdrachen in Kauf nehmen, zudem er sich ja zivil benimmt, wie Du sagst!«
»Durchaus zivil, ich kann nicht über sie klagen!«
Sie überlegte einen Augenblick, ob sie ihren Vater in die Intimitäten der Familie Priuli einweihen, ihm etwa von Eleonorens aussichtsloser Liebe, ihrer schönen Stimme und ihrer Trägheit sprechen sollte, aber sie unterließ es. Sie dachte sich, daß in gewissen Dingen ihr Vater, so verschieden er sonst auch von den Priuli sein mochte, mit der alten Gräfin übereinstimmen würde, daß er besonders deren Abneigung gegen ein Heraustreten der Tochter aus dem häuslichen Kreis verstehen und billigen konnte. War doch auch nach der Beendigung des großen Erbschaftsstreites beinahe sein erstes Wort so gewesen:
»Liesel, jetzt hört das blödsinnige Kopieren und Sich-ums-Geld-schinden auf! Jetzt machst Du's wie andere junge Mädchen, suchst Dir einen Mann, der Dir gefällt, und wirst eine brave Hausfrau und Mutter. Das ist doch allemal das Beste auf der Welt, da können sie sagen und probieren, was sie wollen!«
Auch als er jetzt einmal mit ihr in der Galerie vor dem Bild der ›Dogaressa‹ stand, meinte er lachend:
»Wahrhaftig, Du bist jetzt fein heraus! Du mußt doch heilfroh sein, daß Du Dich nicht mehr mit dem Farbenklecksen quälen mußt, nur um ein paar Groschen zu verdienen, sondern malen kannst, was Du willst und wann Du willst und wie Du willst!«
Elisabeth sagte zögernd:
»Ich weiß nicht, Papa, wenn ich jetzt an die Zeit denke, kommt sie mir eigentlich sehr schön vor!«
Der Oberst lachte.
»Jawohl, in der Erinnerung ist Misere ganz hübsch. Aber wenn man sie durchlebt – – Bei Dir hat sie eben gerade zur rechten Zeit aufgehört, darum bewahrst Du ihr so ein freundliches Gedenken, aber ich sage Dir, dank Deinem Schöpfer, daß Du heraus bist, und wenn Du Zeit hast, dann kannst Du ja für mich einmal das Bild kopieren und mir schicken. Dann kann ich mir, so oft ich es ansehe, einbilden, daß ich in Venedig und bei Dir bin!«
Elisabeth war glücklich über diese Idee, die sie freilich selbst schon gehabt hatte, deren Ausführung aber dem kleinen Priuli zuliebe immer wieder verschoben worden war.
»Jetzt aber mach' ich mich dann gleich ans Werk. Weißt Du, ich werde jetzt mein Leben damit zubringen, die ›Dogaressa‹ zu kopieren, denn jeder von Euch soll sie haben, Du und jeder von den Buben!«
Die Wochen seines Venezianer Aufenthalts vergingen dem Obersten wieder wie ein ununterbrochenes Fest. Wo immer er hinsah, erblickte er Schönheit, Stil, Pracht und Glück, und sein altes Künstlerherz schlug wieder so jung, als hätte er niemals den zweifarbigen Rock getragen und wäre tagaus, tagein an der surrenden Maschine des Dienstes gestanden. Ein einziges Mal nur wurde ihm kalt im Palazzo Priuli, das war, als ihm Elisabeth den ganzen Palast von oben bis unten zeigte, ihm nicht nur alle baulichen Veränderungen und Neuerungen wies, sondern auch sein Kennerauge auf jede kostbare Einzelheit der Einrichtung und der Zimmerausstattung lenkte. Zuerst war er freilich voll Entzücken und Staunen, dann aber fragte er doch halb lachend, halb ärgerlich:
»Donnerwetter, die Geschichte muß Euch ein schönes Geld gekostet haben!«
Elisabeth sah ihn nicht an, als sie fragte:
»Wie hoch taxierst Du es?«
Der Oberst zuckte die Achseln. Wie sollte er so etwas taxieren, er, dessen höchste Jahresgage noch nicht die Einrichtung eines einzigen Prunkraumes dieses Palastes hätte bestreiten können! Elisabeth aber beharrte:
»So rate doch, Papa, ich bitte Dich, rate einmal!«
Und der Oberst riet, nannte Zahlen, die ihm zuerst hoch, dann schwindelnd, dann lächerlich vorkamen, aber immer noch schüttelte Elisabeth verneinend den Kopf, bis sie endlich sagte: »Laß nur, Papa, Du errätst es doch nicht! Ueber eine Viertelmillion Lire haben wir für all diese Anschaffungen und (setzte sie leiser hinzu) Ueberflüssigkeiten bezahlt!«
»Eine Viertel Million! Aber das ist ja ... das ist ...«
Er fand nicht das richtige Wort. Er wollte nichts Kränkendes sagen und begriff doch nicht, wie die jungen Leute, wie vor allem seine sparsam erzogene Tochter fast ein Fünftel der Mitgift gleich zu Anfang hatte weggeben können, nur um ein Haus zu erneuern und zu verschönern, das doch vorher auch schon bewohnt gewesen war.
»O, Papa, Du weißt nicht, wie verfallen und verlottert alles war! Von außen sah sich alles sehr schön an, aber im Innern – –«
»Aber um eine Viertel Million baut man ja einen neuen Palast!«
»Wenn Ettore ihn einrichtet, kostet ein neuer sechsmal soviel. Er hat ja bei nichts nach dem Preis gefragt, alles nur bestellt, wie es schön war, ohne Kostenvoranschlag, ohne Garantie ...«
»Aber da soll ja doch das Donnerwetter dreinschlagen! Solche Sachen darf er doch nicht machen, und Du darfst sie auch nicht erlauben!«
»Jetzt ist es geschehen; ein zweites Mal kommt nicht mehr in Betracht!«
»Sind denn die Rechnungen schon alle bezahlt?«
Ja, sie waren bezahlt. Ettore hatte tagelang mit allen Lieferanten gefeilscht und gestritten, denn ihre ursprünglichen Forderungen waren noch beträchtlich höher gewesen, nur gegen bare Bezahlung hatten sie zugegeben, daß er ihnen gewichtige Posten von der Rechnung abstrich.
Der Oberst war froh, als er hörte, daß alles beglichen war. Freilich, das Budget der jungen Ehe schränkte sich dadurch schon um ein gut Teil ein.
»Und verdienen wird Dein Mann doch auch nichts, oder – – Sag mal, was tut er denn eigentlich den ganzen Tag?«
Elisabeth stieg langsam das Blut vom Hals in die Schläfen. Wieder sah sie ihren Vater nicht an, sagte leise, als schäme sie sich, das Wort auszusprechen:
»Nichts.«
Sie schwiegen beide. Es war nichts Neues, nichts Ueberraschendes und auch nichts Entehrendes, was Elisabeth da offenbarte, und doch hatten sie beide das Gefühl, als lege sich etwas Bedrückendes auf sie nieder. In all die Schönheit und das Glück war das kleine Wort hineingeglitten, wie ein trüber Tropfen in klares Wasser gleitet. Alles, was vorhin so hell geschienen, sah jetzt verändert aus, undurchsichtig und unfroh.
Der Oberst riß sich aber schnell wieder zusammen. Er wollte nicht zeigen, daß er erschrocken war, wollte sich's vielleicht selbst nicht eingestehen.
»Zum Kuckuck, Liesel, wir sind doch beide verrückt! Stehen mit Leichenbittermienen da, bloß weil Eure Einrichtung ein bissel mehr gekostet hat, und weil Dein Mann kein Kleinkrämer ist. Ja, wenn wir das gewollt hätten, dann hättest Du eben keinen venezianischen Nobile heiraten müssen! Weil Du ihn aber geheiratet hast und im übrigen glücklich mit ihm bist, wollen wir der Viertel Million keine überflüssigen Tränen nachweinen. Geschehen ist geschehen, nur zieh' in Zukunft die Kandare fester an, und eigentlich (er überlegte einen Augenblick) möchte ich selbst einmal mit Deinem Mann über die Geschichte sprechen!«
Aber Elisabeth bat, daß ihr Vater das lieber unterlassen sollte. Sie fürchtete, daß in einer solchen Unterredung Ettore sich in seiner naiven und leichtfertigen Art mehr bloßstellen würde, als ihr Vater verstehen und verzeihen konnte. Und gerade jetzt, da der Oberst selbst eine Entschuldigung für ihn gefunden hatte, da er ihm das Recht zubilligte, anders zu sein und zu leben, als er selbst stets gewesen war und gelebt hatte, gerade jetzt fühlte Elisabeth durch die milden Worte des Vaters sich ihrem Manne neu verbunden und kam sich selbst lieblos vor, daß sie in ihrem Herzen oft hart und hochmütig über ihn geurteilt hatte. Wenn es in ihrer Lebensrechnung wirklich einen Fehler gab, so lag die Schuld daran gewiß nur an ihr, nicht an ihm, denn ihr Vater hatte wohl recht, wenn er fand, daß ein Priuli nicht ein deutscher Kleinkrämer sein konnte. Sie mußte Ettore eben nehmen wie er war und all ihre Liebe zu Hilfe rufen, wenn ihre Geduld oder ihr Einsehen versagen wollte. Sie war froh, als sie diesen Entschluß faßte und an ihm merkte, wie sehr sie immer noch an dem Manne hing, trotz der Leere, die sie so oft neben ihm empfand. Mit einem Mal sah auch wieder alles klar und schön und glücklich aus, denn sie meinte jetzt zu wissen, daß es zur Ueberwindung aller Enttäuschungen und Schwierigkeiten nichts bedurfte, als eine große Liebe, die mit gleicher Inbrunst den kleinen wie den großen Priuli umfing.
Der Oberst versprach Elisabeth wohl, daß er sich Ettore gegenüber nichts merken lassen wollte und er hielt sein Versprechen auch so weit, daß er den Schwiegersohn nicht zu einer direkten Aussprache heranzog. Er wußte es aber doch einzurichten, daß er mit ihm einmal unter vier Augen auf die Bedingungen einer Lebenshaltung, eines Budgets usw. zu reden kam, und nahm die Gelegenheit wahr, um die großen Kosten der Wohnungseinrichtung mit ein paar scherzenden Worten zu tadeln. Er hatte eine gütige und liebenswürdige Art, solche Dinge zu sagen, und Ettore nahm seine Worte, äußerlich wenigstens, ebenso hin, wie sie gesprochen waren. Er gestand lachend seinen Leichtsinn ein, entschuldigte sich ein wenig, daß ihm der erste Glücksrausch eben so sehr zu Kopf gestiegen war, und schloß seine heitere Verteidigung mit der Versicherung, daß er von Natur aus fügsam und wahrhaftig kein Verschwender sei. Der Oberst nahm alles, was er sagte, auf Treu und Glauben hin und war wiederum entzückt von seinem Schwiegersohn. Er merkte den leisen Ton des Hochmuts nicht, der in Ettores Stimme schwang, sah nicht den wegwerfenden Zug um die Mundwinkel und nicht den dunklen Blick, der Ettores Auge verschleierte, als er mit seinem gewohnten scharmanten Lächeln dem Obersten zum Abschied die Hand drückte, weil er ihn um einer Klubsitzung willen verlassen mußte. Auch zu Elisabeth sagte Ettore kein Wort von dem Gespräch, das er mit ihrem Vater gehabt hatte, sie erriet es aber gleich an einer gewissen Gezwungenheit, mit der er ihr in den nächsten Tagen begegnete, und deutlicher noch an einer Bemerkung, welche die alte Gräfin ziemlich zusammenhanglos über eine sensationelle Ehetrennung hinwarf und die ungefähr so endete:
» Dio mio, den Frauen geht's heutzutage viel zu gut! Wenn ich denke, was man in meiner Zeit vom Mann und der Ehe alles ertrug! Aber heutzutage haben sie den Kopf voll von dummen Ideen, von Freiheit, von Gleichberechtigung und, was weiß ich, was sonst noch! Zu meiner Zeit war man glücklich, wenn der Mann mit einem zufrieden war. Keine von uns hätte es gewagt, an ihm herumzumäkeln oder gar ihm Vorschriften machen zu wollen. Heutzutage aber täte es not, daß er über alles und über jeden Centesimo Rechnung ablegt ...«
Elisabeth sagte nichts. Sie begriff, daß die Mutter für ihren Sohn Partei nahm, ganz ebenso wie ihr Vater es für seine Tochter tat. Sie gab sich redlich Mühe, die Mißstimmung zu verscheuchen, die unversehens ins Haus geschlichen war, war zärtlich und vertrauensvoll gegen Ettore, liebenswürdig und ergeben bei der Schwiegermutter. Sie hörte auch kein anzügliches Wort mehr, und Ettores Gezwungenheit machte schnell seiner naiven Liebenswürdigkeit Platz. So schien alles wieder zu dem früheren, guten Bestand zurückgekehrt, aber Elisabeth wußte doch, daß es nicht so war. Sie wußte, daß fast zu allen Stunden, die sie mit ihrem Vater verbrachte, Ettore bei seiner Mutter und seiner Schwester saß und jedesmal, wenn die scheinbar nur aus Diskretion getrennten Lager sich bei Tische begegneten und begrüßten, war es, als ob zwei fremde Welten sich begegneten, die erst eine kalte Luftströmung überwinden mußten, ehe sie sich zusammenfanden.
In diesem Winter sollte Elisabeth endlich die venezianische Gesellschaft und Geselligkeit kennen lernen, – das war für sie, die bisher nur die herkömmlichen Garnisonsbälle und ein oder das andere Münchener Künstlerfest gesehen hatte, eine große Spannung und Aufregung. Vor dem ersten Fest der Saison, das im Hause Fabbriani stattfand, hatte sie richtiges Lampenfieber, denn Ettore sprach schon seit Tagen kaum von anderem als eben von dieser Wintersaison mit all ihren Verpflichtungen und Freuden, sprach davon so wichtig und ausführlich, als ob sie ein wertvoller Bestandteil seines Lebens sei. Auch Eleonore, die unter der Obhut der Schwägerin alles mitmachen sollte, war lebendiger und gesprächiger, als Elisabeth sie seit langem kannte, und schien für nichts Sinn zu haben als für Toiletten, Blumen, Fächer und kunstvolle Frisuren. Elisabeth dachte bei sich, daß Eleonore wohl darauf rechnete, auf den bevorstehenden Festen ihren kleinen, verwöhnten Leutnant zu treffen, aber wenn sie leise Anspielungen machte, so tat Eleonore, als verstünde sie nicht, und die alte Gräfin antwortete auf eine direkte Frage der Schwiegertochter nur, indem sie die Arme zuerst zum Himmel hob, sie dann verzweifelt wieder sinken ließ und den Kopf schüttelte, als wisse sie selbst nicht, was die Tochter denke oder plane.
Elisabeth machte mit großer Sorgfalt Toilette. Als sie fertig angekleidet vor dem großen Spiegel ihres Ankleidezimmers stand, fand sie sich auch wirklich ganz hübsch und meinte, daß sie überall mit Ehren bestehen könne. Das weiße, silbergestickte Kleid saß tadellos, die Rosen an der Brust und im Haarknoten paßten gut zu ihrem zarten, blonden Typ, und die schönen Diamanten, die ihr der Vater und die Brüder zur Hochzeit geschenkt hatten, funkelten hier, in dem einsamen Zimmer, reich, fast königlich. Während die Jungfer lief, um den Abendmantel und das Spitzentuch zu holen, klopfte es an der Tür, und Ettores Stimme fragte, ob Elisabeth fertig sei. Sie hatte kaum »ja« gesagt, da trat er auch schon ein und mit ihm Eleonore, beide lächelnd, strahlend, wie zwei ganz junge Menschen, die zu ihrem ersten Ball gehen. Sie sahen beide wieder genau so schön aus wie damals beim Blumenkorso, und Elisabeth kam sich neben ihnen unscheinbar und unsicher vor. Das war aber nicht etwa nur, weil diese Geschwister zwei ungewöhnliche Erscheinungen darstellten, nein, es lag viel mehr noch in ihrem Wesen, in ihrer ganzen Art aufzutreten, sich zu bewegen, zu lachen oder den Kopf zu wenden, es lag in der vollkommenen Harmonie all ihrer Bewegungen und in der hellen Freudigkeit, die über ihnen leuchtete, als wären Fest und Lust und Erwartungsfreude das einzige Element, in dem sie tief atmen und sich wohl fühlen konnten.
Die Schwägerinnen musterten gegenseitig mit raschen Blicken ihre Toiletten, sagten sich freundliche Worte, die sie aufrichtig meinten. Eleonore berechnete blitzschnell im Kopf, wieviel Elisabeths Silberstickerei und Schmuck wert sein mochten, während die junge Frau mit Verwunderung und ein klein wenig Neid erkannte, daß Eleonore in ihrem fast armseligen, blaßgrünen Seidenfähnchen und einem nichtssagenden Korallenschmuck ungleich frischer und schöner wirkte als sie. Ettore schien sehr zufrieden mit seiner Frau, warf aber, während er sie bewunderte, immer verstohlen-verliebte Blicke auf sein eigenes Spiegelbild, auf seine schlanke Fechtergestalt, die nicht einmal der Frack entstellen konnte, und auf sein scharfgeschnittenes, brünettes Gesicht, das wie ein antikes Relief aus dem feierlichen Weiß der Wäsche und der Weste hervorkam. Dann meldete die Jungfer, daß die Gondel vorgefahren sei, hüllte die Damen sorgfältig in Mäntel und Schleier, und Elisabeth fuhr zum ersten Feste Venedigs.
Bei den Fabbriani fand sich an diesem Abend alles ein, was sich in diesem Winter in allen Häusern der Gesellschaft immer wieder zusammenfinden sollte. Glänzende Namen wurden vom Diener ausgerufen, die einst im goldenen Buch der Stadt gestanden hatten und unlöslich verknüpft waren mit ihren Geschicken. Viele von ihnen hatten es verstanden, alten Reichtum zu bewahren oder neuen zu erwerben, zumeist durch Heirat oder Erbschaft, mitunter auch durch industrielle Unternehmungen oder Spekulationen, und darum traten als Trägerinnen dieser Namen Frauen auf von seltsamer fremdländischer Schönheit, siegessicher im Bewußtsein ihres Reichtums, überrieselt von Familienschmuck, der noch aus fernen Jahrhunderten herkam oder auch von Steinen, die erst vor ein paar Wochen von einem Pariser oder Londoner Juwelier eingehandelt worden waren. Um sie her kreisten Männer von jener koketten Gepflegtheit und Eleganz, die nur dem Romanen zu eigen ist. Schlanke, stattliche Männer, die aussahen, als wären sie für Abenteuer und Heldentaten geschaffen, und die doch nichts anderes zu sein schienen als die ergebenen Seladons dieser siegesbewußten, flimmernden Frauen.
Die Unsicherheit, die Elisabeth schon daheim neben ihrem Mann und der Schwägerin empfunden hatte, wurde hier noch größer. Wohl kamen ihr alle liebenswürdig entgegen, fragten sie lebhaft, wie sie sich in Venedig gefalle, bestaunten sie, daß sie die fremde Sprache schon so geläufig beherrsche, aber Elisabeth kam sich trotzdem wie ein grauer Spatz vor, der in eine Gesellschaft von Paradiesvögeln geraten ist.
Alle oder fast alle diese Frauen waren ja, wenn Elisabeth sie genauer betrachtete, für ihren Geschmack zu üppig, zu dunkel, zu stark geschminkt, hatten Nüancen der Toilette, die aufdringlich wirkten, waren zuweilen mit Schmuck behängt wie Götzenbilder, rollten allzu phantastisch die Augen oder lachten so bewußt verführerisch, daß sie, jede einzeln genommen, auf Elisabeth unfein, wenn nicht gar komisch wirkten. Im ganzen aber, als geschlossener Kreis, den sie hier darstellten, ging eine Wirkung von ihnen aus, der man sich nicht entziehen konnte, waren sie der vollendete Ausdruck einer Rasse, die trotz ihres alten Blutes noch die Schönheit und die Fröhlichkeit aus den Kindertagen der Erde bewahrt zu haben schien, gepaart mit dem unbekümmerten Stolz, den nur die wirkliche Vornehmheit kennt.
Das viel mißbrauchte Wort von den Renaissancemenschen schien hier, für das Aeußerliche zumindest, Wahrheit geworden zu sein, und Elisabeth fand, daß sie neben all diesen Damen ebenso bescheiden aussah, wie ihre Diamanten neben deren wertvollen Geschmeiden, trotzdem sie daheim doch so königlich gefunkelt hatten.
Der Eindruck, den die junge Gräfin Priuli machte, war im allgemeinen günstig. Die Damen meinten, diese kleine Gräfin sei ja nicht besonders hübsch, aber ganz angenehm und jedenfalls viel besser gekleidet und viel weniger linkisch, als sie sich eine deutsche Offizierstochter gedacht hatten. Die Männer, die in kleinen Gruppen umherstanden oder sich um die funkelnden, großen Damen bemühten, zuckten wohlwollend die Achseln. Heute könne man über die junge Priuli noch nichts Rechtes sagen. Ihr Haar sei schön, ja, aber sie war doch noch recht mager und viel Temperament schiene sie auch nicht zu besitzen. Die Schwägerin dagegen, ja, das war ein anderes Weib!
»Wenn man Geld genug hätte, die zu heiraten!« sagte der junge Fabbriani und sah bewundernd auf Eleonore, die eben lachend und mit dem Fächer unwahrscheinlich große Kreise beschreibend zu seinem Bruder sprach.
Ein anderer entgegnete:
»Geld genug, sie zu heiraten, und eine Faust, um sie zu bändigen. Wer traut sich's zu? Ich mir nicht!«
Der Sprecher machte mit beiden Händen eine nicht mißzuverstehende Bewegung nach seinen beiden Stirnwinkeln. Die andern lachten und gingen zu einem andern Thema über.
Elisabeth gab genau acht, ob der kleine Leutnant, den Eleonore liebte, nicht irgendwo auftauchte, aber sie konnte ihn nicht entdecken. Dagegen lernte sie an diesem Abend die Frau kennen, die schon beim Blumenkorso ihre Neugier rege gemacht hatte, – die Fürstin Tassini. Die Fürstin war mit ihrem Mann ziemlich spät, erst gegen Mitternacht gekommen, was wohl ein wenig auffiel, aber nicht störte, da ja die Geselligkeit hier nicht ein steifes und ausgerechnetes Gastmahl bedeutete. All diese Menschen, die zu später Abendstunde zwanglos zusammenströmten, nahmen mit Sorbets, Sekt und Süßigkeiten vorlieb, und wollten nichts anderes als schwatzen, flirten, spielen und den Klatsch des einen Salons in den andern tragen.
Auch heute sah die Fürstin auf eine kleine Entfernung mit der schlanken Gestalt und dem rötlichen Haar sehr jung aus. Sie trug wieder ein silberfarbenes Kleid, diesmal aus kostbarem Brokat mit alten Venezianer Spitzen, um den Hals die Perlenschnüre, ohne die man sie nie sah, auf dem Haupt ein Diadem von Rubinen und Diamanten. Sie schritt langsam und unbekümmert, so als ob sie immerfort zur rechten Zeit käme und als ob alle rundum nur auf sie gewartet hätten. Sie begrüßte die Hausfrau und jede einzelne der Damen liebenswürdig, aber man merkte deutlich, daß niemand ihr nahe stand. Sie saß gerade aufgerichtet und etwas steif in einem Sessel mit hoher Lehne, lehnte sich aber nicht an, wandte nur im Gespräch den Kopf ein wenig nach rechts oder nach links, sprach, lächelte, nahm von dem Silbertablett eines Dieners ein Glas Sekt, alles mit höflichen, aber kühlen Gesten, so als ob sie nur eine Verpflichtung erfüllte, nicht aber zu Gast auf einem Feste war. Trotzdem sie seit mehr als zwanzig Jahren in Venedig lebte, beherrschte sie die italienische Sprache kaum, bediente sich, wenn es irgend möglich war, des Englischen, was freilich seine Schwierigkeiten hatte, weil die andern annähernd ebenso schlecht Englisch sprachen wie sie Italienisch und jeder im Innern die Aussprache des andern bemängelte. Wie Elisabeth ihr vorgestellt wurde, musterte sie die junge Frau mit einem langen, eingehenden Blick, tat als erste Frage:
» Do you speak English?«
Da Elisabeth bejahte, lud die Fürstin sie ein, sich neben sie zu setzen, begann mit ihr auf englisch ein Gespräch, das sich zunächst natürlich nur um Allgemeinheiten drehte. Die italienischen Damen, mit denen sich die Fürstin bisher unterhalten hatte, entfernten sich vorsichtig, als sie merkten, daß nun Englisch die Oberhand gewinnen würde, waren auch gar nicht unglücklich darüber, denn ein kleiner Flirt oder Klatsch mit den jungen Herren, die überall mit sehnsüchtigen Blicken umherstanden, war weit amüsanter als die Unterhaltung mit der Fürstin, die sich in keiner Weise verausgabte. Auch als sie jetzt mit Elisabeth allein saß, kam ihr Gespräch nicht über Unpersönliches hinaus. Aber immerfort hafteten die kühlen, grauen Augen der Engländerin auf Elisabeths Gesicht, als wollten sie die Gedanken lesen, die sich hinter dieser Stirn verbargen, als suche sie irgendeinen Zug, der verriet, wie es um das Herz dieser jungen Frau stand. Sie fragte Elisabeth:
» Do you like Venice?«
Und als Elisabeth eifrig bejahte, als sie von den Entzückungen sprach, die sie in dieser Stadt seit dem ersten Tag gefunden hatte, wurde das Gesicht der Fürstin kälter und eine leise Ironie trat um ihre schmalen Lippen. Sie hörte Elisabeths Hymnus auf Venedig an, ohne ihn mit einer Silbe zu unterbrechen, sagte nur einmal: » O, I see, you are very young!« und ließ dann das Gespräch allmählich fallen. Elisabeth erhob sich, verneigte sich vor der Fürstin und ging zu ihrer Schwägerin, die inmitten eines Kreises von jungen Männern stand, mit denen sie nach Herzenslust kokettierte. Unfern von ihnen, scheinbar ganz in ein Gespräch mit ein paar älteren Herren versunken, in Wirklichkeit jedem Frauenkleid nachspähend, stand der Fürst Tassini. Ungewöhnlich groß und schon ein wenig beleibt, fiel er allein durch seine Gestalt auf, mehr aber noch durch den pittoresken Gegensatz, den seine dichten, zierlich gebrannten, schneeweißen Locken zu seinem pechschwarz gefärbten Schnurrbart bildeten. Dem starken, nicht unsympathischen Gesicht mit den aufgeworfenen Lippen und der großen Nase sah man an, daß dieser Mann jede wilde Lust des Lebens an sich gepreßt und ausgekostet hatte, und auch heute noch, da er die Fünfzig um ein gut Stück überschritten, blickten seine rollenden, etwas hervorstehenden Augen jede Frau an, als ob sie sagen wollten: »Du gehörst mir!« Wegen seiner zahllosen Liebschaften und auch wegen einer gewissen Aehnlichkeit mit dem ersten König von Italien nannte man ihn scherzweise den » Re galantuomo«, und er hörte das nicht ungern, zudem man sagte, daß die Aehnlichkeit mit dem galanten Monarchen keine ganz zufällige sei. Während er mit den älteren Herren sprach, äugte er verstohlen immer wieder zu Eleonore und ihren Verehrern hinüber, riß die rollenden Augen weit auf, als zu ihnen jetzt Elisabeth trat, die für ihn eine neue Erscheinung war, und die er vorhin, als er mit seiner Frau gekommen war, kaum beachtet hatte. Es litt ihn jetzt auch nicht mehr länger bei seinen älteren Herren, er fing an unruhig zu werden, gab zerstreute Antworten und schoß, sobald eine kleine Pause im Gespräch es gestattete, hinüber zu den beiden jungen Frauen, um ihnen feurige, wenn auch etwas veraltete Schmeicheleien zu sagen. Unter den Herren, die er verlassen hatte, befand sich auch ein feiner, schmächtiger Mann mit spitzgeschnittenem, leichtmeliertem Bart und melancholischen dunklen Augen, die mit bewunderndem Neid sahen, wie der Fürst die jungen Leute allmählich verdrängte, wie seine massige Erscheinung die Damen Priuli völlig von den andern abschloß und seine sprudelnden Worte sie bald zum Lachen, bald zu sanfter Abwehr mit Blicken oder den Fächern reizten. Dieser Herr war der Bankier Lissignolo, einer der großen Finanziers von Venedig, der durch allerlei häusliches Mißgeschick seit mehreren Jahren dem geselligen Treiben ferngehalten worden war und nun, nach dem Ablauf des Trauerjahrs um seine Frau, zum ersten Male wieder unter frohe Menschen ging. Eleonore in ihrer prangenden Schönheit war ihm sogleich aufgefallen und er hätte sich ihr auch gerne genähert, aber er war nie sehr geschickt im Verkehr mit Frauen gewesen und scheute sich jetzt vor der lachenden Jugend dieses Mädchens und vor den heiteren, lebensfrischen Männern, die um sie her standen. O, was hätte er darum gegeben, wenn er so selbstbewußt, so keck auf sie hätte zusteuern können wie eben der Fürst, der wahrhaftig nicht jünger war als Lissignolo, und der einem Mädchen doch nichts zu sagen und zu bieten hatte als öde Schmeicheleien! Aber wie er sich auch schalt, er fand jetzt nicht den Mut, neben den Fürsten zu treten, sondern wartete, daß dieser zu einer andern Dame, einer hellgefärbten Blondine mit wunderschönen, weißen Schultern flog. Da erst faßte sich der ältliche Bankier Mut und ließ sich durch einen gemeinschaftlichen Bekannten zu den Damen Priuli führen. Die lichte Blondine mit den schönen Schultern war ein Frauentyp wie für den Fürsten geschaffen. Sie lachte und gurrte, wehrte ihm mit Worten ab, deren Sinn verweisend, deren Ton anlockend war, und zeigte ihm schließlich mit kunstverständiger Miene die Goldinkrustationen des Rokokofächers, den sie erst gestern zum Geschenk bekommen hatte. Der Fürst fand den Fächer wunderschön, schien aber plötzlich kurzsichtig geworden zu sein, denn er neigte sich tief und immer tiefer auf den Fächer nieder, bis seine Locken fast die schöne Schulter streiften. Elisabeth sah ihm zu und mußte lächeln, denn der weißlockige Riese wirkte in seinem verliebten Tändelspiel komisch. Wie er sich nun gar nicht mehr entschließen konnte, den Kopf von dem Fächer zu heben, suchte Elisabeths Blick unwillkürlich die Fürstin. Sie saß noch geradeso wie vorhin mit unbeweglicher Miene, schien keinen Blick und keinen Gedanken für den Mann zu haben. Mußte aber doch alles gesehen haben, denn plötzlich machte sie ihm ein hochmütiges Zeichen mit dem Kopf, ungefähr so, wie man einen Bedienten heranwinkt. Seltsame Veränderung, die da mit dem Fürsten vorging! Dieser Riese, der eben noch selbstbewußt und genußfroh von einer Frau zur andern geeilt war, sank in sich zusammen, schien kleiner zu werden, ängstlich, als wäre er in der Tat ein Lakai, der seine Dame nicht warten lassen darf. Hastig verabschiedete er sich von der Blondine mit den schönen Schultern, stand beflissen, unterwürfig, mit einem blöden Lächeln auf den starken Lippen vor seiner Frau, reichte ihr den Arm und führte sie ehrerbietig zum Abschied vor die Dame des Hauses hin, während die Fürstin neben ihm ging, als wäre sie allein. Nur Elisabeth war die kleine Szene aufgefallen, die andern rundum kümmerten sich seit langem nicht mehr um das seltsame Verhältnis zwischen dem Fürstenpaar. Man war es seit langem gewöhnt, daß der Fürst von seiner Frau ungefähr wie ein Lakai behandelt wurde, man lachte über ihn, bemitleidete ihn wohl auch ein wenig, aber man war dies alles eben so sehr gewöhnt, daß man gar nicht mehr darüber sprach. Immerhin erfuhr Elisabeth an diesem Abend näheres über die Fürstin, ihre Perlen und den Zerfall ihrer Ehe. Die Fürstin hatte vor etlichen zwanzig Jahren als eine der reichsten bürgerlichen Erbinnen Englands den sehr verführerischen und sehr verschuldeten Fürsten geheiratet, der auch nach der Ehe seine üppigen Junggesellengewohnheiten kaum einschränkte. Als etwa sechs oder sieben Jahre nach der Hochzeit die Fürstin einmal von einer Englandreise heimkam, fand sie in ihrem Palazzo eine Geliebte ihres Mannes installiert vor und ihre köstlichen Perlen waren – – im Leihhaus. Ganz Venedig sprach damals über das skandalöse Begebnis, das den Fürsten, der alle möglichen Orden und Ehrentitel besaß, unmöglich gemacht hätte, wenn nicht seine Frau sich mit all ihrer Energie und ihrer Person vor ihn gestellt hätte. Die Fürstin ließ es zu keinem öffentlichen Skandal kommen. Die Geliebte wurde zwar energisch, aber doch in aller Stille entfernt und auf Reisen geschickt, das Perlengeschmeide ausgelöst und geflissentlich das Gerücht verbreitet, daß ein untreuer Diener es gestohlen und die Schuld auf den Fürsten abgewälzt habe. Wochenlang zeigte sich die Fürstin scheinbar im besten Einvernehmen, lachend und heiter mit dem Fürsten überall, wo sie gesehen und besprochen werden konnten, so daß der Klatsch verwundert haltmachte und man sich zuraunte, daß es im Hause Tassini doch bei weitem nicht so schlecht stehen konnte, wie man anfangs gemeint hatte. Doch nicht aus Liebe hatte die Fürstin so getan, sondern um den Namen, den sie und ihre drei Söhne trugen, vor Skandal und Verfemung zu hüten. Als der Klatsch abgeflaut und das Ansehen der Tassinis unerschüttert geblieben war, merkte der Fürst, daß er sein Lebelang für das zahlen mußte, was ihm seine Frau in diesen Wochen Hilfreiches getan. Bestimmt und kalt erklärte ihm die Fürstin, daß er jedes Recht im Hause verwirkt habe, daß er weder bei der Erziehung der Kinder noch in der Verwaltung des Vermögens ein Wort mitreden dürfe, weil er sich zu beidem als unwürdig und unfähig erwiesen habe. Er war jetzt nur mehr dazu da, um die Fürstin in Gesellschaft zu begleiten, mit ihr zu repräsentieren, und von dem ungeheuren Einkommen, das jährlich von dem englischen Schwiegervater gezahlt wurde, erhielt er nichts mehr als ein monatliches Taschengeld von 2000 Lire. Im übrigen konnte er tun und lassen, was er wollte, – seine Frau kümmerte sich nicht mehr um ihn. Ihre Perlen aber trug sie seitdem Tag für Tag, und es gab Spaßvögel, die wissen wollten, daß die Fürstin sich sogar mit all ihrem Schmuck zu Bett legte, weil sie nur so ganz sicher war, daß der Fürst ihn nicht abermals versetzte.
Warum sie trotz alledem immer noch bei ihm blieb, war keinem recht klar. Die einen meinten, es gefiele ihr eben doch, die große Rolle in Venedig zu spielen, wieder andere meinten, sie fürchte den Streit um die Söhne, an denen der Fürst zärtlich hing, noch andere vermuteten, daß sie sich im Laufe der Jahre an seine Ausschweifungen gewöhnte und sie nicht mehr tragisch nahm, ganz besonders Gescheite wollten wissen, daß es ihrer herrischen Art Freude machte, ihn immer wieder vor den Augen der Welt lächerlich zu machen und zu demütigen, wie eben jetzt, aber ganz Bestimmtes wußte niemand.
Elisabeth, die all diese alten Geschichten zum ersten Male hörte, war lebhaft von ihnen interessiert und beschäftigt. Sie wußte zwar nichts von der Fürstin, als was man ihr da im Salon erzählte, aber mit ihrer beweglichen Phantasie begriff oder ahnte sie wenigstens, daß im Hause Tassini noch etwas verborgen lag, was die hier nicht wußten, irgendeine Tragödie oder der Abschluß einer Tragödie, die nichts nach außen bewegte und von der doch das versteinte und zugleich hochmütige Gesicht der Fürstin Kunde gab.
Es ging schon auf Morgen, als die Priulis heimfuhren. Nicht allzu gesprächig saßen sie in der verhängten Gondel und wickelten sich fest in ihre Mäntel, denn die Nacht war feucht-kalt. Wie bunte, verzitternde Lichtreflexe tanzten scheinbar zusammenhanglos die Eindrücke und Gespräche dieses Abends noch einmal an ihnen vorüber. Ettore redete seine Damen ein paarmal an, erhielt aber nur einsilbige Antworten, denn Elisabeth und Eleonore fühlten jetzt, wie müde sie waren. Als sie dann daheim, vom Licht der Glühbirnen beleuchtet standen, fiel jeder auf, wie übernächtig die andere aussah. Nur Ettore war frisch und glänzend gelaunt. Einen Gassenhauer summend stieg er, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hinan, trieb, während er sich auskleidete, allerlei Unsinn und hätte nicht übel Lust gehabt, den Rest der Nacht zu verschwatzen. Ihm war zumute wie einem Fisch, der allzulang auf trockenem Sand nach Luft gerungen und der nun wieder in die heitere Woge zurückgeworfen war, die sein Lebenselement bedeutete. Dieser heutige Abend mit seinen prunkenden Salons, den schönen, koketten Frauen, den begehrlichen Männern, all die Möglichkeiten und Spiegelungen kecker und verbotener Abenteuer, der Klatsch, der all diese Menschen unentrinnbar in seinem bunten und doch unsichtbaren Netz verstrickte, – das alles war ihm zu Kopf gestiegen wie ein leiser Rausch, weil er es allzulange entbehrt hatte. Mehr als ein Jahr, mehr als ein ganzes Jahr war er diesem Kreis, der für ihn Venedig darstellte, entzogen gewesen, mehr als ein Jahr war er immer nur an der Seite einer Frau geschritten, die er zwar ruckweise immer noch liebte, in der er aber doch immer deutlicher das Fremde spürte, und die ihn mit allen möglichen geistigen und seelischen Ansprüchen plagte. Wie ein Befreiter reckte er, da er den Frack abgelegt hatte, die Arme zum Himmel, daß Elisabeth erstaunt fragte: »Bist Du so müde? Davon hat man aber gar nichts gemerkt!«
Ja, er war müde, aber ganz anders als sie's meinte. Müde dieses Flitterjahres, müde der vielen Einsamkeit zu zweien, die so weit abführte von dem schönen, buntbewegten Strom, an dessen Ufern er heute abend endlich wieder gewandelt war. Nun schwor er sich zu, daß er ihn nicht wieder verlassen wollte, daß es nun ein Ende haben sollte mit dem zu Zweien Hand in Hand über sanft beblümte Wiesen nach der kleinsten Hütte gehen. O, er dachte gar nicht daran, seine Frau gröblich zu vernachlässigen, aber der buntbewegte Strom mußte jetzt bei ihnen und auch zwischen ihnen bleiben. Sie konnten sich freundschaftlich darüber herwinken, bald einmal miteinander, bald aber auch mit irgendeinem Gefährten den Blicken entschwinden, und wenn sie zurückkehrten, so sollte keiner den andern fragen oder ihm mißtrauen. So lebten alle ringsum, so wollte auch er künftighin leben, und mit diesem Vorsatz schlief er ein.
Neben ihm lag Elisabeth noch lange wachend da. In ihrem Kopf wirbelten noch Eindrücke, Erscheinungen, Gespräche dieses Abends durcheinander. In diesem Wirbeltanz kehrte immer eine Erscheinung wieder, mit der sie nur etliche flüchtige Worte gewechselt hatte und die dennoch alle andern verdrängte, so daß Elisabeth schließlich nur mehr an die Fürstin Tassini dachte. Sie fühlte, daß hinter dieser Frau sich noch etwas barg, und konnte, so sehr sie sich auch wehrte, die schreckhafte Vorstellung nicht los werden, daß sie selbst in zwanzig Jahren vielleicht der Fürstin gleichen würde.