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15.

Als Elisabeth die Augen zum erstenmal wieder aufschlug, sah sie die weiße Haube einer Krankenpflegerin und das Gesicht ihres Vaters, der neben ihrem Bette saß. Sie begriff nicht recht, wieso er und die weiße Haube hierherkamen, und warum sie selbst im Bett lag, aber sie war viel zu müde, um zu fragen oder nachzudenken, schloß die Augen gleich wieder und lag in dämmerndem Halbbewußtsein noch durch viele Stunden und manchen Tag hindurch. Wohl spürte sie starke Schmerzen im Hinterkopf und am Nacken, wußte auch, daß der Arzt täglich kam, um diese Wunde zu untersuchen und neu zu verbinden, aber alles, was mit ihr und um sie her geschah, erschien ihr so lautlos, so puppenhaft, daß sie nicht unterscheiden konnte, ob sie es wirklich erlebte oder nur träumte. Der Arzt war zuerst ein wenig erschrocken über diese langdauernde Teilnahmlosigkeit, denn er vermutete, daß sie durch den starken Fall oder durch den Schlag über den Kopf am Ende einen dauernden Schaden im Gehirn davongetragen haben könnte. Bald aber merkte er, daß Elisabeth geistig ganz klar war, nur in den Nerven so verbraucht und zerrieben, daß diese letzte Katastrophe eben den völligen Zusammenbruch herbeigeführt hatte. Da wurde sie denn gefüttert und gepflegt und gehätschelt wie ein Kind, und als wäre sie ein Kind, ließ sie alles mit sich geschehen, fragte nichts, sagte nichts, blieb in ihre Apathie verkrochen, bis die Natur ihr wieder half und sie sanft hindrängte zu der Brücke, die von der Bewußtlosigkeit hinüberführt zum Leben.

Nach einer Nacht voll erquickenden Schlafes schlug sie dann einmal die Augen ganz groß und klar auf, so daß die Pflegerin ihr freudig zunickte und das graue, überwachte Gesicht ihres Vaters seltsam zuckte von Rührung und Glück. Sie griff nach seiner Hand, nahm sie in die ihren, die ganz mager und durchsichtig geworden waren, und sagte leise, mit einem Blick auf die Pflegerin:

»Nachher, wenn sie draußen zu tun hat, mußt Du mir erzählen!«

Der Oberst wußte wohl, was sie meinte, aber er fragte doch:

»Was soll ich Dir denn erzählen, Kind? Du sollst Dich noch gar nicht aufregen –«

Sie sah ihn mit ihren großen, ernsten Augen an:

»Ich rege mich gar nicht auf. Ich möchte nur wissen, wie das alles gekommen ist ... Ich erinnere mich an alles wohl, aber so undeutlich, so verschwommen. Es regt mich viel mehr auf, wenn ich mich besinne und mir alles erst im Kopf zusammensuchen muß.«

Da erzählte der Oberst kurz und vorsichtig, was er wußte. In jener verhängnisvollen Nacht war ein Diener, der heimlich ausgestiegen, just um die Zeit nach Hause zurückgekehrt, als Elisabeth nach der Galerie lief. Gleich als er das Hinterpförtchen hinter sich geschlossen hatte, war's ihm vorgekommen, als ob in der Galerie etwas Verdächtiges vorginge, und er hatte einige Minuten ganz still gelauscht, ob es wirklich so sei, oder ob er sich täusche. Dann hatte er Stimmen gehört, Streitworte, die immer lauter und heftiger wurden, so daß er ins oberste Geschoß rannte, um die übrige Dienerschaft zu wecken, weil er sich's doch nicht zutraute, ganz allein mit mehreren Uebeltätern fertig zu werden. Wie sie dann zu dreien oder vieren zurückkamen, hörten sie einen dumpfen Fall, und als sie in die Galerie eindrangen, sahen sie die Gräfin blutüberströmt daliegen und den Grafen mit fahlem, verstörtem Gesicht um sie bemüht. Im Hauptsaal aber, da, wo die ›Dogaressa‹ hing, riß eben ein verdächtig aussehendes Individuum Vorhänge und Fensterladen zurück und stieß das Fenster auf, mit dem Blick messend, ob es wohl gelingen könnte, das aufgerollte Bild geschickt hinunterzuwerfen, so daß es auf die Randsteine und nicht ins Wasser fiel, und ihm dann nachzuspringen. Es gelang den Dienern wohl, ihm das Bild zu entreißen, er selbst aber entwand sich mit fast unbegreiflicher Geschicklichkeit ihren Händen, stieg aufs Fenstersims, sprang so zielsicher hinaus, daß er wirklich die Calle vermied, im Eilschritt die kleine Brücke gewann und in ein paar Atemzügen um die nächste Ecke verschwunden war.

Elisabeth hörte gespannt zu. Was der Vater da erzählte, schloß sich mit ihrer eigenen Erinnerung zu einem Bilde zusammen. Sie blieb eine Weile stumm, fragte dann:

»Hängt nun das Bild, das echte Bild, wieder an seinem alten Platz?«

»Aber natürlich, ich sagte Dir ja, daß man es dem Kerl wieder abgejagt hat. Es ist nur schade, daß er selber entwischt ist!«

Elisabeth blieb still. Sie fragte nicht nach Ettore, den sie niemals in ihrem Krankenzimmer gesehen hatte. Nur die alte Gräfin war zu Anfang etliche Male gekommen, verweint und ängstlich, als fühle sie, daß die Priuli nicht in dies Zimmer gehörten. Elisabeth war damals noch ohne Bewußtsein gewesen, und der Oberst hatte die alte Frau so kalt empfangen, daß sie nicht wieder aus ihrer Wohnung heraufstieg.

Solange Elisabeth krank lag, hatte sich die Fürstin Tassini täglich nach ihrem Befinden erkundigen lassen und die prächtigsten Blumen für das Krankenzimmer geschickt. Nun aber, da Elisabeth wieder einzelne Besuche empfangen durfte, nun blieb jede Botschaft aus dem Palazzo Tassini aus, und Elisabeth erwartete vergebens die Frau, mit der sie doch seit langer Zeit jede Woche beim Tee gesessen war. Als sie sich dann telephonisch erkundigen ließ, ob die Fürstin etwa krank sei, erhielt sie den Bescheid, daß die Fürstin in der Abreise begriffen sei, aber jedenfalls der Frau Gräfin noch persönlich Lebewohl sagen werde. Die Fürstin kam aber nicht, denn auch bei den Tassinis hatte es eine Katastrophe gegeben, wenn auch in anderer Art als im Hause Priuli.

Der älteste Sohn, Luigi, der dank seinem väterlichen Namen und seinem mütterlichen Reichtum in der englischen Hocharistokratie fast wie ein eingeborner Lord betrachtet wurde, war mit etlichen anderen jungen Männern der vornehmsten Kreise in eine häßliche Weibergeschichte verwickelt worden, die zu einem gesellschaftlichen Skandal zu werden drohte. Die jungen Engländer, die wohl wußten, daß alles erlaubt war, sofern kein Mensch es beweisen konnte, beherrschten alsbald die peinliche Situation, füllten alle Erpresserhände, alle schmutzigen Mäuler, die mit Enthüllungen drohten, mit Gold, so daß sie mit heiler Haut davonkamen und mit blanker Stirn wieder im Klub und in den Salons der Ladies erschienen. In Luigi Tassini aber wachte der Italiener auf, der in seiner primitiven Offenheit von den Verzwicktheiten englischer Sitten nichts begriff und den das schöne Geld reute, das er an all die dunkeln Existenzen wegwerfen sollte. Er begann zu feilschen, zu knickern, drohte mit den Gerichten, wollte mächtige Freunde anrufen, die ihn vor der Ausbeutung durch all diese verrufenen, verlorenen Existenzen sichern sollten. Er erreichte natürlich nur, daß der ganze Skandal einzig und allein an seinem Namen hängen blieb und daß sich die Türen aller Salons vor ihm schlossen, und selbst die jungen Männer, die zwar nicht besser, aber gewitzter gewesen als er, sahen über ihn weg, wenn sie ihn beim Morgenritt in Rotten Row trafen. Es blieb ihm nichts übrig, als ziemlich unvermittelt heimzureisen, und wenige Tage später trafen auch die jüngeren Brüder ein, denn auch in Eton war kein Platz für einen Namen, auf den die Schmutztropfen eines gesellschaftlichen Skandals gespritzt waren.

Die Fürstin war empört, als sie vernahm, was sich der Aelteste hatte zuschulden kommen lassen, und ihre Empörung wuchs, als sie merkte, daß die drei Söhne durchaus nicht zerknirscht waren, sondern sich schnell und gern in das elegante Nichtstuerleben ihrer Kreise einlebten. Mit verständnislosem Schrecken sah sie, daß es ihr nicht gelungen war, das schlechte Blut der Tassinis neu zu bilden, sah, daß die Söhne ihr nur äußerlich glichen, in ihrem Innern aber trotz alles englischen Firnisses die echten Söhne ihres Vaters geworden waren. Seit der englische Cant Luigi aus London vertrieben hatte, war ihre demütige Bewunderung für das englische Wesen dahin und der unbändige Hochmut ihrer alten Rasse wachte wieder in ihnen auf, so daß sie ihrer Mutter gerne auseinandersetzten, daß der Name Tassini schon zu einer Zeit im goldenen Buch gestanden habe, als die Vorfahren sämtlicher Lords noch nichts anderes gewesen seien als Fischer oder Seeräuber. Wenn sie unter sich allein waren, betonten sie nicht ungern, daß die bürgerliche Engländerin ihnen den ganzen Stammbaum verdorben hätte, und all ihre Liebe ging zum Fürsten hin, der von ihrer Art war und von ihrer Mutter unterdrückt wurde. So hatte sich das Kräfteverhältnis im Hause Tassini scheinbar völlig verschoben. Auf der einen Seite stand die Fürstin völlig allein, auf der anderen der Fürst mit den jungen Söhnen, die nichts anderes begehrten, als dem Vater zu gleichen und ihn zu stützen. Aber ach! der Reichtum des Hauses ruhte ja ausschließlich in den Händen der Frau, und darum mußte aller Hochmut, alles Rassenbewußtsein schweigen, sobald einer der fürstlichen Herren Geld brauchte ...

Die Fürstin blieb nach außen hin unbeweglich und steifnackig, wie sie es immer gewesen, aber ihr Herz war von einem Streich getroffen, von dem es sich nie mehr erholen sollte. Sie sah jetzt, daß ihre ganze Lebensrechnung falsch gewesen war, daß diese drei Söhne niemals, wie sie es seit Jahrzehnten geträumt hatte, Werkzeuge der Rache sein würden. Sie waren und blieben Tassinis, würden Lakaien der Mutter sein, wie der Fürst stets der Lakai seiner Frau gewesen war, – nichts weiter. Gemeinsam mit ihrem Vater würden sie versuchen, das Geld zu vertun, das der englische Großvater aufgehäuft hatte, und wenn sie später einmal heirateten, würden ihre Ehen nicht anders sein als die ihres Vaters geworden war ...

Wie die Fürstin dies alles überdachte, überkam sie ein grenzenloser Ekel. Sie ließ ihre Koffer packen, wollte nach ihrer Heimat reisen, besann sich aber noch zur rechten Zeit mit bitterem Lächeln, daß nach der Katastrophe mit Luigi der Name Tassini zunächst in London besser nicht mehr genannt wurde. So fuhr sie für unbestimmte Zeit an die Riviera, zerfallen mit sich und der Welt, und wußte nicht, ob sie jemals nach Venedig zurückkehren oder schließlich doch wieder in England landen würde. Niemand weinte ihr nach, am wenigsten die Söhne, die sie zwar respektvoll auf das Schiff geleitet hatten, sich aber wie von einem Alb befreit dünkten, als sie das hochmütige, wie von Leid zersägte Gesicht der Mutter nicht mehr sahen. Nun waren sie allein mit ihrem fröhlichen Vater, nun konnten sie leben, wie es ihnen allen gefiel und wie es dem Hause Tassini zukam! –

Auf Umwegen erfuhr Elisabeth die äußeren Geschehnisse im Hause Tassini, und was die Fürstin empfand und litt, konnte sie sich leicht ausdenken. Deutlich stand der erste Nachmittag wieder vor ihr, an dem sie in den Palazzo Tassini gekommen war, und mancher folgende, an denen sie und die Fürstin durch Symbole, die nur ihnen beiden verständlich gewesen, von ihren Schmerzen und ihren Enttäuschungen gesprochen hatten. Es fiel ihr wieder ein, wie klein sie sich neben der Fürstin vorgekommen war, weil sie, statt über die Jahre hinweg zu hassen, immer noch auf eine Stimme der Liebe gewartet hatte. Wie sich ihr dann für flüchtige Augenblicke an Carlos Seite Venedigs drittes Gesicht entschleiert hatte, an das die Fürstin nicht glauben wollte ... Eine leise Trauer befiel Elisabeth, als sie dieser Frau gedachte, die sich ihr stets gleichmäßig freundlich, wenn auch gleichmäßig kühl erwiesen hatte, und sie wußte, daß sie der Nachmittage im Palazzo Tassini noch lange gedenken würde. In die leise Trauer mischte sich die bange Frage, ob nicht Elisabeth Priuli wie als Frau, so auch als Mutter dereinst das Schicksal der Fürstin Tassini teilen mußte?! –

Als Elisabeth zum erstenmal wieder in einem Lehnstuhl am Fenster sitzen konnte, ließ sie sich die Post bringen, die während ihrer Krankheit für sie eingelaufen war. Unter allerlei Briefen, Kreuzbandsendungen und Geschäftsanzeigen fand sie auch mehrere Briefe, die Ettores Handschrift zeigten, und von denen die älteren den Poststempel Roma, die neueren Pisa zeigten. Elisabeth legte sie uneröffnet beiseite. Sie wollte sich die Stille ihres Rekonvaleszentenglücks nicht durch Widerwärtigkeiten verscheuchen lassen.

Carlo Priuli kam und war bewegt, obwohl er sich's nicht merken lassen wollte.

»Lisa, Du törichte Frau, was machst Du für phantastische Geschichten? War's das Bild wirklich wert, daß Du Dein Leben daransetzen wolltest?«

Elisabeth lächelte ein wenig.

»Ist ein Menschenleben wirklich gar so viel wert?«

»Doch jedenfalls mehr als eine bemalte Leinwand!«

Elisabeth schüttelte langsam den Kopf.

»Dieses Bild ist mehr als bloß eine bemalte Leinwand! Denk' doch, es ist der Glanz der Priuli, eines der größten Kleinodien Venedigs! Und für mich ist es noch mehr als alles das ... Mein ganzes Leben hier hat ja eigentlich mit diesem Bilde begonnen. Für mich ist es so etwas wie ein Gedanke, dem ich gehören mußte bis zuletzt ... Und dann, siehst Du, ich konnte doch nicht dulden, daß Ettore uns auch das noch antut, daß er sich noch gegen das Gesetz vergeht.«

Carlo nickte.

»Wenn Du nur endlich von dem loskommen könntest, was das Bild für Dich bedeutet hat! Wenn Du Dich endlich von den Gespenstern befreien könntest, die es darstellt! Wenn Du Dich endlich entschließen könntest, nicht mehr zurückzusehen, sondern voran.«

Da sagte ihm Elisabeth, was sie schon die ganze Zeit über in sich fühlte, und was sie selbst mit Staunen erfüllte.

»Denk' Dir, alles, was war, liegt so weit hinter mir, als wäre es eine ganz entfernte Landschaft, in der ich Einzelheiten kaum mehr unterscheiden kann. Es ist mir oft, als wäre ich gar nicht mehr ich, als wären zwei Elisabeths da, die eine bis zu der schrecklichen Nacht, und die andere, die mit alledem nichts zu tun hat, und die jetzt ganz still und wunschlos erst zu leben anfängt. Und darum glaube ich, daß ich gar keine solche Heldin bin, wie Du in mir sehen willst. Denn wär' ich eine Heldin, dann müßte mir die Sache, für die ich geblutet habe, doppelt wert sein. So aber ist mir's, als trenne mich gerade mein Blut und meine Krankheit von früher ab ...«

»Gott sei Dank, wenn es so ist, und wenn es so bleibt! Das wäre ein Glück für Dich, und auch ein Glück –«

Er brach ab, begann ziemlich unvermittelt von etwas anderem zu sprechen. Als er ging, hatte auch Elisabeth mit keiner Silbe nach Ettore gefragt. – –

 

Ettore Priuli war nach Rom abgereist. Zwei Tage lang hatte er versucht, in Venedig den Unbefangenen zu spielen, hatte auch den Freunden gegenüber die Fabel behaupten wollen, die er rasch erfand, als die Diener in die Galerie eindrangen: ein Bilderdieb, zweifellos derselbe, der schon vor einiger Zeit zwei Gemälde beschädigt, hatte versucht, die ›Dogaressa‹ zu stehlen, war von der armen Gräfin überrascht worden, hatte sie zu Boden geschlagen und dann eilig die Flucht ergriffen. Er erzählte diese Geschichte ganz überzeugend mit der Miene des bekümmerten Gatten, aber länger als zwei Tage ließ sie sich nicht halten, weil dann in den Zeitungen, im Klub, überall wo er hinkam, die Wahrheit durchzusickern begann. Da hielt er es für besser, dem Gerede aus dem Weg zu gehen, und da er im Hotel Danieli erfuhr, daß die Herzogin von Bressières Venedig plötzlich verlassen habe und nach Rom gegangen sei, schien es ihm gut und unterhaltend, ihr zu folgen. Er war froh, als er Venedig im Rücken hatte, und freute sich auf die römischen Tage. Bis er zurückkehrte, war Elisabeth jedenfalls wiederhergestellt, die peinliche Geschichte schon halb vergessen, und was weiter werden sollte, kümmerte ihn im Augenblick nicht. L' Italia farà da sè!

Elegant und heiter, mit seinem scharmanten Lächeln schlenderte er ins Hotel Quirinal, wo Maud sich schon behaglich eingerichtet hatte, und ließ sich bei ihr melden. Sie empfing ihn sehr ungnädig, denn sie war wütend auf ihn, weil sie nun nicht zu dem Bilde kam und obendrein noch wegen des Zeitungsklatsches Venedig plötzlich hatte verlassen müssen. Er trat ihr mit lebhafter Freude entgegen, wollte ihr die Hand küssen, sie verschränkte aber die Arme unter der Brust und sagte von oben herab:

»Nun, Conte Priuli, Sie haben mich in eine hübsche Situation gebracht!«

»Ich bin untröstlich, teure Maud, das dürfen Sie mir glauben! Aber was kann ich machen, wenn meine Frau wie eine Rasende dazwischenfährt und mir alles verdirbt? Alles war so tadellos bis aufs letzte Tüpfelchen berechnet.«

»Jawohl, und alles hat bis aufs letzte Tüpfelchen falliert!« sagte sie ironisch. Und mit einer jäh aufspringenden Brutalität, in der sich das wahre Wesen dieser Frau offenbarte: »Kommen Sie mir nicht mit Ihren albernen Redensarten! Ihre Frau hat mit der Sache gar nichts zu tun; einzig und allein Ihre Ungeschicklichkeit ist an allem schuld. Wissen Sie, einem klugen Geschäftsmann falliert eine solche Sache nicht, selbst wenn zehn rasende Frauen dazwischenkämen! Sie sind aber gar kein Geschäftsmann, sondern bloß ein italienischer Aristokrat, der Geld haben will.«

»Maud, hüten Sie Ihre Zunge, oder ich weiß nicht, was geschieht!«

Sie sah ihn herausfordernd und böse an.

»Wollen Sie mich vielleicht auch niederschlagen wie Ihre Frau? Sie haben ja offenbar Uebung in solchen Liebenswürdigkeiten! Ich glaube, es ist besser, wenn ich mich entferne.«

Sie ließ ihn stehen und verschwand im Nebenzimmer.

Ettore blieb noch etliche Tage planlos in Rom, spielte im Klub mit Glück, glaubte immer noch, daß Maud von Reue erfaßt werden und ihn zurückrufen würde, gab aber die Hoffnung auf, als er sie bei dem Korso auf dem Pincio schon im eifrigen Flirt mit zwei Fürsten aus ebenso alten wie verschuldeten römischen Häusern sah. So verließ er denn die Hauptstadt und fuhr nach Pisa, wo er Eleonore verweint und verzweifelt fand, weil sie jeden Tag die Einberufung ihres Liebsten nach Tripolis fürchtete. In Pisa fand dann der Graf Ettore Priuli ein gewaltsames und unrühmliches Ende. Ein Wortwechsel mit dem Ausbeuter seiner Schwester ging in ein wüstes Handgemenge über, in dem der Leutnant unversehens ein Stilett hervorzog und es dem Gegner mit solcher Geschicklichkeit in die rechte Lunge bohrte, daß alle Gewebe zerrissen wurden und der Tod eintrat, noch ehe ein Arzt erschienen war. – –

Mit gesenkter Stirn und verschlossenem Mund vernahm Elisabeth die Kunde, die aus Pisa kam. Ernst und schweigsam ging sie durch die Bitternisse hin, die ihr die Tage brachten, spielte aber weder sich noch andern eine Komödie des Schmerzes vor. Still und fest blickte sie auch auf die Schmutzwoge, die über den Sarg ihres Mannes her in ihr Haus schlug, auf all die zweifelhaften Kavaliere, auf die Wucherer, die geschminkten Mädchen, die Kupplerinnen, denen allen der Graf Priuli in irgendeiner Weise verschuldet war, und die nun von der Witwe die Begleichung ihrer Forderungen begehrten. Elisabeth gab, so viel sie konnte, und fragte nicht danach, ob der Rest ihres Vermögens schnell kläglich zusammenschmolz. Wenn der Oberst ihr wehren wollte und warnte:

»Wenn das so weitergeht, hast Du bald selbst nichts mehr!« Entgegnete sie ruhig:

»Das macht nichts, wenn es nicht mehr reicht, dann vermieten wir den Palast und verkaufen die Galerie an die Stadt oder an den Staat!«

»Das sagst Du wohl, das brächtest Du aber nie übers Herz! Du warst doch immer so stolz auf Dein Haus und auf Deine Bilder und warst es mit Recht!«

»Ja, früher! Da habe ich wohl gern in der Vergangenheit gelebt und gemeint, es gäbe nichts Schöneres als sie! Jetzt aber kann ich das nicht mehr. Jetzt muß ich an der Gegenwart und an der Zukunft hängen – um der Kinder willen!«

»Ja, die Kinder, das ist ein Glück, daß Du die wenigstens hast! Wenn man Kinder hat, kann man alles ertragen!«

Elisabeth nickte. Sie wollte dem Vater, der schon so viel mit ihr gelitten hatte, nicht sagen, daß sie immer wieder Angst um die Zukunft der Kinder anfiel, daß sich ihr immer wieder qualvoll die Frage aufdrängte, ob nicht auch in ihren Söhnen einst das Blut des Vaters mächtiger sein könnte als das der Mutter.

Der Oberst sagte:

»Was später wird, können wir heute noch nicht beschließen! Vorerst aber geht Ihr mit mir nach Deutschland zurück. Du mußt einmal für längere Zeit fort von hier, von diesem verfluchten Nest, wo Du so viel durchgemacht hast!«

Um Elisabeths Lippen zitterte ein bitteres Lächeln.

»Papa, hättest Du je geglaubt, daß Du Venedig einmal ›das verfluchte Nest‹ nennen würdest?«

»Habe ich etwa kein Recht dazu? Hat dieses verfluchte Nest uns nicht schmählich enttäuscht?«

Elisabeth schwieg eine Weile, ehe sie antwortete:

»Ja, es hat uns enttäuscht, weil wir uns selber täuschten und täuschen wollten. Weil wir immerfort nur auf das gehört haben, was die Maler und die Dichter und die Steine von dieser Stadt erzählen, und niemals ihre Menschen kennen lernen, wie sie wirklich sind. Ich habe die Wirklichkeit mißachtet, – das war der große Rechenfehler meines Lebens, für den ich büßen muß!«

Der Oberst schwieg. Er konnte seiner Tochter nicht ganz unrecht geben, wollte aber nicht weiter bei dem Gespräch verharren und meinte:

»Was geschehen ist, können wir nicht mehr ungeschehen machen. Jetzt gehst Du zunächst zur Erholung mit mir heim und später ... Ja, vielleicht wickeln wir später doch alles ab, was Dich hier noch bindet, und leben wieder friedlich miteinander weiter wie in alten Tagen?!«

Da brach aus Elisabeth die aufgespeicherte Sehnsucht vieler Jahre hervor, daß sie mit schluchzender Stimme leidenschaftlich rief:

»Ja, heim! Nur endlich heimkommen, nichts anderes will ich mehr und nie wieder von daheim fortgehen. Daheim kann ich vielleicht manches vergessen und aus den Kindern doch noch ordentliche Menschen machen!«

Im Molo lag der »Wurmbrand«, der sie nach Triest bringen sollte. Wie Elisabeth den deutschen Namen in der Sonne leuchten sah, wurde sie froh, als ob sie einen Gruß der Heimat empfangen hätte. Mit einem leisen Glücksgefühl, wie sie es lange nicht mehr gekannt, schritt sie über die Zugbrücke. Der Oberst wachte genau, daß alles Gepäck pünktlich verladen wurde, die beiden Knaben in ihren blauen Matrosenanzügen mit dem kleinen Trauerflor am Arm konnten sich nicht sattsehen an den ungefügen Stahlgliedern der Schiffsmaschine. Elisabeth setzte sich auf dem Verdeck nieder und sah voll Sehnsucht über die Lagune hin, in der Richtung, wo nach wenigen Stunden schon Triest aus dem Meer aufsteigen würde. Carlo Priuli kam, um ihr Lebewohl zu sagen, brachte den Kindern ein paar Süßigkeiten und sprach die abgerissenen und gleichgültigen Worte, die man bei jedem Abschied auf der Eisenbahn oder im Hafen spricht. Seine Blicke ruhten auf ihr mit zärtlicher Güte und seine Stimme klang ein wenig ängstlich, als er fragte:

»Lisa, gehst Du für immer von hier fort oder sehen wir uns wieder?«

Sie wollte aufschreien: »Nie mehr sehen wir uns wieder! Nie mehr kehre ich in diese schreckliche Stadt zurück!« Da zog ihr aber die Erinnerung an jenen Nachmittag in den Giardini publici durch den Sinn, und wie ein Erlöser von geheimer Angst überkam sie der Gedanke, daß auch dieser Tüchtige ein Priuli war – – Zum erstenmal seit Ettores Tod huschte ein hellerer Schimmer über ihr verhärmtes Gesicht, und das harte Wort, das sie sprechen wollte, blieb ungesagt.

Die Schiffsschrauben begannen langsam zu schnauben, von der Schiffsbrücke her riefen die Matrosen, daß es für die Zurückbleibenden höchste Zeit sei, das Schiff zu verlassen. Carlo streckte Elisabeth die Hand zum Abschied hin, und da sie bislang ihm nicht geantwortet hatte, fragte er noch einmal, angstvoller als vorhin:

»Sehen wir uns wieder?«

Sie legte ihre Hand in die seine und sagte:

»Vielleicht!«

 


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