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Drittes Kapitel.
Streit

Auf dem Weg zur Schule begegnete er Miss Brewster – denn die Schule in Alder konnte sich zweier Lehrkräfte rühmen –, und ihr freundliches, ein wenig altjüngferliches Lächeln löste in ihm ein beinah überwältigendes Bedürfnis aus, abzusteigen und sie ins Vertrauen zu ziehen, sie zu fragen, was Betty Neal die langen Wintermonate über getrieben habe. Statt es zu tun, gab er jedoch Grey Molly die Sporen. Das Tier schoß dahin wie ein Pfeil, der von der Sehne geschnellt wird. Als Vic so dahingaloppierte und den Wind um seine Schläfen sausen spürte, besserte sich seine Laune wieder, ja sogar so weit, daß er ein Liedchen vor sich hinträllerte, und als er vor der Schule aus dem Sattel schnellte, rief er ein fröhliches »Holla, Betty!« zu den Fenstern hinauf.

Mit einem Satz hatte er die Stufen der Treppe genommen, die in einem scharfen Knick nach oben führte, und war an der Tür: »Holla, Betty!«

Seine Stimme dröhnte durch das Zimmer und löste ein dumpfes, verdrossenes Echo aus. Da saß Betty an ihrem Katheder und starrte ihn entgeistert an. Neben ihr stand Blondy Hansen, großmächtig und schmuck wie immer und beinahe ebenso fassungslos wie Betty. Vic Gregg blickte schnell von den beiden weg. Er fürchtete den nächsten Augenblick. Er sah lieber nach dem kleinen Tommy Aiken hin, der vor der Schultafel stand und eine Rechenaufgabe hinkritzelte – anscheinend mußte er nachsitzen, weil er während des Unterrichts mit seinem Nachbarn geflüstert oder sonst ein tödliches Verbrechen begangen hatte. Tommys Mundwinkel waren bedenklich nach unten gezogen, denn er hörte von draußen die fröhlichen Stimmen der Klassenkameraden, die auf dem Heimweg waren.

Vic machte halt, um seine Fassung halbwegs wiederzugewinnen. Er faßte an seinen Gürtel und schob den Pistolenhalfter an eine Stelle, wo er bequemer zu erreichen war, dann riß er den Sombrero vom Kopf und stolzierte den Gang hinauf, der zwischen den Bänken zum Katheder führte. Jedes Gefühl in ihm, jede Fiber war zu Eis erstarrt. Die Luft selbst schien voll von irgendeinem Geheimnis, das Betty und diesen jungen Hansen miteinander verband. Betty war aufgesprungen. Sie lief ihm jetzt entgegen. Sie nahm seine Hand. Ihre plötzliche Nähe verschlug ihm den Atem. Etwas schmolz in ihm.

»Na, Vic, bist du jetzt mit allem fertig?«

Vic wurde steif und zurückhaltend. Er mußte doch Hansen und Tommy Aiken imponieren.

»So ziemlich bin ich fertig«, sagte er beiläufig. »Dachte mir, ich komme auf ein, zwei Tage nach Alder hinunter und verpuste mich ein bißchen. Holla, Blondy! Tag, Tommy!«

Der kleine Tommy Aiken antwortete mit einem Grinsen, das aber blitzschnell wieder erlosch. Er war nicht ganz sicher, ob die Schulgesetze ihm das Sprechen erlaubten, selbst wenn es sich um eine so außerordentliche Gelegenheit handelte wie die Rückkehr Vic Greggs. Blondy dagegen erwiderte Vics Gruß nur, um sogleich selbst nach seinem Hut zu greifen.

»Denke, ich muß jetzt weg«, sagte er und hüstelte, wie um zu zeigen, daß er sich keineswegs befangen fühle, aber Vic fand, daß es Blondy schwer fiel, ihm gerade ins Auge zu sehen, als sie sich nun beide die Hände schüttelten.

»Betty, wir sehn uns ja noch«, sagte Hansen.

»Allright.« Ihr Lächeln blitzte zu Vic hinüber. Gleich darauf war sie in Haltung und Stimme ganz und gar Respektsperson: »Du kannst dich jetzt trollen, Tommy.«

Aber die Würde fiel rasch genug von ihr ab, als Tommy mit einem hastigen Griff sein Buch und seine Kappe nahm und wie ein Pfeil auf die Tür losschoß, durch die eben Hansen verschwunden war. An der Schwelle machte er noch einmal halt, wippte sich auf den Zehenspitzen und piepste, die beiden verständnisvoll anblinzelnd: »Gute Nacht, Miss Neal. Viel Vergnügen, Vic.«

Sie hörten ihn in zwei Sätzen draußen die Stufen hinuntersausen und das Trippeln seiner eiligen Füße den Weg hinunter.

»Der kleine Kobold!« sagte Betty, die dunkelrot geworden war. »Es ist wirklich nicht mehr zu sagen, Vic. Ganz Alder tut, als ob über die Sache kein Wort mehr zu verlieren wäre.«

Jetzt, wo sie den Kleinen weggeschickt hatte, hätte er sie in die Arme nehmen und küssen sollen. Aber bei Vic stand das Nächstliegende immer zu allerletzt auf dem Programm.

»Warum soll auch noch viel darüber zu reden sein?« antwortete er. »Es ist gar nicht mehr so lang, bis es so weit ist.«

Ihre Augen funkelten kriegerisch. Aber die Freude darüber, ihn zu sehen, brachte den Zornesfunken rasch genug wieder zum Erlöschen.

»Oh, Vic, bist du wirklich bald fertig mit deiner Arbeit? Du bist so lang weggewesen und ich ...« Sie unterbrach sich. Betty war kein Mensch, der sich überschwengliche Gefühlsausbrüche leistete.

»Kann sein, es war ein richtiger Narrenstreich von mir, auf einmal so die Arbeit einfach hinzuschmeißen,« meinte Vic, »aber ich kann dir sagen, es war mir so verdammt einsam dort oben, daß ich's nicht mehr aushielt.«

Sie musterte ihn mit einem zufriedenen Blick, von den harten, sonngebräunten Händen bis zu der Falte, die angestrengte Arbeit mitten in seine Stirn gegraben hatte. In Bettys Augen war er ein ganzer Kerl.

»Komm mit«, sagte er. Er plante, sie auf dem Weg zur Tür mit einem Kuß zu überrumpeln. »Komm mit, draußen ist schon richtige Frühlingsluft. Ich hab' mich schon ordentlich vollgepumpt damit. Was wir miteinander zu reden haben, können wir auch heute abend beim Tanz besprechen. Jetzt wollen wir reiten.«

»Beim Tanz?«

»Na gewiß, heut abend bei Singer unten.«

»Ich weiß nicht recht, wie ich's machen soll. Ich habe Blondy zugesagt, daß ich mit ihm ginge. Er hat mich darum gebeten.«

»Und du hast zugesagt?«

»Warum braust du gleich so auf?«

»Hör' mal, wie lang hast du dich schon mit Blondy Hansen herumgedrückt?«

Er sah, wie ihre herabhängende Hand sich zornig zur Faust zusammenpreßte, aber er mißachtete die Warnung, die darin lag. Es machte ihm eher Spaß, genau so, wie es ihn kitzelte, wenn Grey Molly bockend die Ohren zurücklegte.

»Was hast du an Blondy Hansen auszusetzen?«

»Was findest du denn Besonderes an ihm?« parierte er.

Das war nicht sehr klug.

Ihre Stimme bekam einen Anflug von Gereiztheit. »Blondy ist ein Gentleman, das merk' dir nur!«

»Ach nein, wirklich?«

»Mache dich nicht über mich lustig, Victor Gregg. Ich lasse es mir nicht gefallen.«

»Du läßt dir's nicht gefallen, was?«

Er spürte genau, daß er die Situation auf eine gefährliche Spitze trieb, aber gerade im Zorn war sie so prachtvoll und vollkommen schön; es bereitete ihm ein prickelndes Vergnügen, sie noch ein wenig zu reizen.

»Nein, ich lasse mir's nicht gefallen«, wiederholte sie. Sie wollte noch etwas hinzufügen, unterdrückte es aber noch rechtzeitig. Er konnte sehen, wie gewaltsam es in ihr arbeitete. Jetzt wurde ihm angst.

»Du mußt nicht gleich wegen einer Kleinigkeit in Zorn geraten«, mahnte er. »Aber ich kann dir sagen, mir ist die Galle gestiegen, wie ich Blondy mit seinem Kalbsgesicht bei dir stehen sah.«

»Wer hat ein Kalbsgesicht? Er ist ein tausendmal angenehmerer Anblick, als du jemals sein wirst!«

Vic sah rote Funken vor den Augen tanzen. »Ich habe nicht die Absicht, in einer Schönheitskonkurrenz aufzutreten«, erklärte er. »Bind' doch deinem Blondy 'ne rosa Schleife ins Haar und produzier' dich mit ihm auf 'ner Schönheitskonkurrenz für Wickelkinder. Sie werden ihn schon zulassen, jung genug ist er dazu.«

Wenn es ihr gelungen wäre, eine treffsichere Entgegnung zu geben, so hätte sich ihr Zorn in Worten Luft gemacht, aber sie konnte kein Wort finden und wurde bleich. Und jetzt beging Vic das allerverhängnisvollste Versehen. Er bildete sich ein, ihre Blässe rühre von Furcht her und diese Furcht sei auf seine gespielte Eifersucht zurückzuführen. Besser wäre es für ihn gewesen, diskret zu schweigen. Statt dessen spielte er den Herablassenden. Das hieß Gift in eine frische Wunde träufeln.

»Blondy ist soweit ein ganz ordentlicher Junge,« erklärte er gnädig, »aber für heute schlag' ihn dir mal aus dem Kopf. Heut abend gehst du zum Tanz, und zwar mit mir! Wenn du meinst, du bist Blondy eine Erklärung dafür schuldig, so kannst du das ruhig mir überlassen. Ich werd' mit ihm schon fertig werden.«

»Du willst mit Blondy fertig werden?« flüsterte sie. Und dann gewann sie den Gebrauch ihrer Stimme zurück. »Das könntest du nicht,« schmetterte sie, »selbst wenn Blondy sich eine Hand auf den Rücken binden läßt.« Sie musterte ihn, als überlege sie, wo sie ihm einen zweiten Stich beibringen könne. »Ich gehe zum Tanz und ich gehe mit Herrn Hansen.«

Sie wußte, daß Vic für sie gestorben wäre, wenn es not tat. Und er wußte, daß sie für ihn gestorben wäre; infolgedessen ließen sie beide ihrer verstockten Wut die Zügel schießen.

»Du bist nicht mehr auf der Höhe, Vic«, fuhr sie fort. »Heutzutage können die Männer nicht mehr mit den Frauen umspringen, wie's ihnen beliebt, und du kannst mich nicht herumzerren, wie dir's beliebt. Nicht einen Schritt geh' ich dir zu Gefallen. Nicht – einen – Schritt!«

»Um sieben Uhr hol' ich dich ab.«

»Mach' dir nicht die Mühe, ich bin nicht zu Hause.«

»Dann werd' ich mich eben mal nach Blondy umschaun.«

»Das traust du dich ja gar nicht! Versuch' du nicht, mir was weiszumachen. Ich bin keine, der man was weismacht.«

»Betty, meinst du das im Ernst? Denkst du wirklich, ich wäre feig?«

»Mir ist es ganz gleichgültig, was du bist.«

»Ich frage dich in aller Ruhe: überleg' dir's, eh du mir Antwort gibst.«

»Ich habe mir schon alles überlegt.«

»Dann, so wahr ein Gott im Himmel lebt,« sagte Gregg, bebend vor Zorn, »schwör' ich dir, daß ich keinen Fuß mehr rühren werde, um dich je wiederzusehen!«

Er machte kehrt, und die Wut blendete ihn derart, daß er im Hinausgehen mit der Schulter gegen den Türpfosten rannte. Wütend warf er sich in den Sattel. Grey Molly stand wie ein Felsen, als ahne sie, in welcher Stimmung sich ihr Herr befinde. Mit einem wütenden Zügelruck riß er das Tier auf den Hinterbeinen herum und gab ihm die Sporen.

Betty stand an der Tür und sah ihm nach. Halb ohnmächtig lehnte sie am Pfosten, und noch in ihrem Schmerz war sie stolz auf Vics Reitkunst. Beiden brach das Herz, mit dem einen Unterschied (der eigentlich typisch ist), daß Vic überzeugt war, Betty sei allein an allem schuld, und daß Betty im innersten Herzen sich zu jeder Schuld bekannte, die man ihr zuschob. Ermüdet und nervös war er von der Arbeit zurückgekommen, einer Arbeit, die er um ihretwillen unternommen hatte – und sie hatte ihn – – Wenn er nur einmal sich umsehen wollte! – Er mußte doch wissen, wie sie insgeheim darum betete! Sie war bereit, mit einem lauten Freudenschrei ihm nachzustürzen, zu – Aber er sah sich nicht um, sondern ritt durch das Tor hinaus und davon.

Da loderte der alte Trotz in ihr auf: »Und ich werde mit Blondy gehen – und wenn's mein Tod wäre.«

Sie stürzte hinein, warf sich auf den nächsten Stuhl und brach in Tränen aus.

Als Vic die Straße erreicht hatte, blickte er zurück. Aber jetzt gähnte die Türöffnung schwarz und leer. Mit einem Stöhnen preßte er die Zähne zusammen und fegte die Straße nach Alder hinunter. Vor Captain Lorrimers Kneipe zog er die Zügel an und ging hinein. Auf alle Begrüßungen antwortete er nur mit einem kurzen Nicken.

»Whisky!« kommandierte er. Captain Lorrimer ließ Flasche und Glas über den Schanktisch tanzen, und Vic griff gierig danach. Als er sich eingeschenkt hatte, packte Lorrimer die Flasche und betrachtete sie mit einem schmerzlichen Blick.

»Junge,« murmelte er, »du hast ja einen höllischen Durst am Leib.«


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