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Traurige Tage folgten. Lee Haines und Buck Daniels berieten, wie sie sich verhalten wollten. Es gab drei Möglichkeiten: Sie konnten ihre Reise fortsetzen und versuchen, das trauererfüllte Haus in den Bergen zu vergessen. Sie konnten Barrys Fährte nachspüren, bis sie sein Versteck fanden und versuchen, ihn zu seiner Familie zurückzubringen. Und drittens und letztens konnten sie einfach bleiben und so gut es ging, Kate ein wenig helfen. Das erste schied ohne viel Worte aus. Es wäre eine Feigheit gewesen. Die zweite Möglichkeit verwarfen sie beinahe noch rascher. Wenn es dem erfahrenen Sheriff nicht gelungen war, Barry zu finden, hatten sie erst recht keine Aussicht auf Erfolg. Es blieb nur übrig, bei Kate zu bleiben, tagsüber durch die Berge zu streifen – um den Anschein aufrechtzuerhalten, daß sie ihren eigenen Geschäften nachgingen – und sich immer in genügender Nähe der Hütte zu halten, um im Falle der Not zur Hand zu sein.
Es war keine leichte Aufgabe. Jedesmal, wenn sie nach Haus kamen, schien Kate schweigsamer geworden, einsilbiger und nachdenklicher. Sie sprach nie ein Wort von dem, was sie quälte, aber das Gespannte, Wartende in ihrem Blick verfolgte Lee und Buck noch in den Bergen draußen. Wenn der Wind pfeifend durch die Bergschlucht fuhr, wenn draußen auf der Koppel ein Pferd wieherte, fuhr Kate jedesmal auf. Hoffnung belebte sie wie ein elektrischer Strom, und es war erbarmungswürdig zu sehen, wie dann das Lächeln auf ihren Lippen allmählich dahinstarb. Sogar Joan trippelte nicht mehr fröhlich im Hause und draußen herum. Niemals mehr hörten sie, wenn sie von den Bergen herunterstiegen, ihr schrilles Jauchzen. Abends hockte sie mit gekreuzten Beinchen auf ihrem alten Platz vor dem Herdfeuer, das Kinn in die Hand gestützt und ihre Augen starrten traurig in die Glut. Vielleicht war das das Quälendste in diesem Hause, daß das Kind unbeweglich dasaß und wartete und wartete und wartete und niemals den Mund öffnete.
»Sie ist ja nur ein Baby«, sagte Buck Daniels einmal, als sie darüber sprachen. »Mit der Zeit wird sie es schon vergessen.«
»Aber Kate?« knurrte Lee Haines, »Kate ist kein Baby mehr. Buck, ich werde noch verrückt, wenn ich sie mit dem Gesicht herumgehn seh'.«
»Nun hör' mal, was ich dir sag'. Du kannst dich drauf verlassen,« antwortete Buck, »Kate kommt durch. Kann sein, sie wird's nie vergessen können, aber sie wird weiterleben, weil die Kleine da ist.«
»Du weißt verdammt fein über Frauen Bescheid, nicht wahr?« meinte Haines.
»Ich weiß genug, Sonny«, meinte Buck nickend.
»Es wird sie umbringen«, erklärte Lee Haines. »Buck, ich sag' dir, die Frau ist wie eine Blume. Der Schmerz bringt sie noch um. Denk' doch bloß dran, ein Mädel wie Kate in dieser verdammten Einöde hier! Ich kann dir sagen, es macht mich direkt krank – krank macht's mich. Für die gehört nichts als Samt und Seide – und ein Millionär zum Mann – und niemals in ihrem Leben dürfte sie auch nur den kleinsten Kummer haben.« Er wurde ganz aufgeregt. »Und wie ist's jetzt? So 'ne Blume wird einfach weggeworfen! Mit dem Absatz trampeln sie ohne Erbarmen auf ihr 'rum.«
Buck Daniels sah ihn voller Mitleid an.
»Lee, du tust mir doch 'n bißchen leid, wenn ich hör', wie du über Mädels redest. Wundert mich nicht, daß sie 'nen Narren aus dir gemacht haben. Eine Blume, auf der mit den Absätzen herumgetrampelt wird, was? Nu spitz' mal die Ohren, mein Junge. Du und ich, wir bilden uns ein, wir sind ein paar ganz harte und zähe Burschen. Nicht wahr? Nun, du und ich, wir sind weiches Tannenholz, verglichen mit Kate. Sie ist Granit.«
Lee Haines starrte ihn mit offenem Munde an. Er war zu verblüfft, um wütend zu werden. Dann legte er den Finger vielsagend an die Stirn, aber Buck wischte all solche Anspielungen mit einer großartigen Handbewegung fort.
»Ja, wenn Kate eins von den schwarzhaarigen Mädels wäre, mit Augen wie funkelnde Kohlen und so einem verdammten Schmiß und Schneid am Leib! Wenn sie so wäre, dann, denk' ich, könntest du drauf rechnen, daß sie die ganze Sache mit Dan binnen vier Wochen vergessen hat. Und daß sie vielleicht bereit wäre – dich zu heiraten.«
»Hol' dich der Teufel!«
»Vielleicht hat er mich schon. Hör' du bloß. Just diese hartgesottenen Mädels, die keinem was schuldig bleiben, das ist die Sorte, die plötzlich schlapp macht. Das ist sprödes, brüchiges Zeug. Aber nimm du mal ein Mädel wie Kate, die so sanft dreinblickt – kann sein, 's ist kein Diamant, mit dem man Glas schneiden kann, aber sie ist gehärteter Stahl. – Den kannst du biegen und biegen und biegen, und wenn du meinst, es ist soweit, daß er bricht, schnellt er zurück und schmeißt dich über den Haufen. Und so ist Kate.«
Lee Haines rollte sich schweigend eine Zigarette. Er fand Buck viel zu geschmacklos, um ihm eine Antwort zu gönnen, bis er den ersten Mund voll Rauch von sich blies und Bucks verhaßte Gestalt ihm von einem blauen dünnen Tabaksnebel verschleiert wurde.
»Du bildest dir ein, sie liebt Dan, nicht wahr?« meinte Buck.
»Hab' just 'nen schwachen Verdacht, sie tut's«, höhnte Haines. »Scheint mir, ich bin auf dem Holzweg, was?«
»Und ob du's bist!«
»Buck, 's kann sein, ich bin schuld. Ich hab' den Groschen in dich gesteckt, aber die Walze, die du da spielst, hat 'ne falsche Melodie. Stopp ab und red' endlich mal vernünftig. Nicht wahr?«
»Wenn du erst mal erwachsen bist, Sonny, wirst du vielleicht mal was von den Dingen verstehen, die ich dir mit den einfachsten Worten zu erklären versucht hab'. Sie liebt Dan nicht. Sie bildet sich ein, sie liebt ihn. Aber wenn du richtig in die Tiefe gehst, dann wirst du finden, es gibt in der verdammten Welt nicht 'n einziges Ding, das ihr 'nen roten Heller wert ist, außer Joan. Männer? Was bedeuten der Männer? Heirat? Das ist just was, das überstanden werden muß, wenn man ein Kind haben will. Zarte, verschmachtende Blume nennst du sie, nicht wahr? Ich sag' dir, mein Jung', wenn es Joans wegen nötig werden sollte, die Frau würde sich nichts draus machen, dir und mir das Herz lebendig aus dem Leib zu reißen, und Dan, ohne mit der Wimper zu zucken, in die Hölle zu schicken. Das schreib' dir mal hinter die Ohren, das ist so wahr wie das Evangelium.«
Ungefähr um dieselbe Zeit saß Kate vor der Tür der Hütte. Es war ihr, als sähe sie eine schwarze Gestalt durch die Felsen huschen. Sie blieb steif und unbeweglich sitzen, ihre Lippen waren weiß wie Kalk. Aber es rührte sich nichts mehr. Einige Sekunden darauf – ihr Herz schlug schon wieder regelmäßiger – hörte sie Joan hinter dem Hause laut aufschreien. Das war kein Schrei des Schmerzes oder der Furcht, ihr scharfes Mutterohr erkannte das sofort, sondern überströmendes Entzücken. Kate sprang auf und stürzte hinter das Haus. Sie erblickte Joan, die ihre dicken kleinen Ärmchen um Black Barts Hals geschlungen hatte.
»Bart! Lieber alter Bart! Ist er gekommen? Ist Dan gekommen?«
Kates Blick suchte die altvertrauten Berge in der Runde ab. Sie strengte ihre Augen an, als ob es nur von ihrem Willen abhänge, die Felswände mit ihrem Blick zu durchdringen. Aber es war keine Spur von Dan zu erblicken. Kein Zeichen, kein Laut verriet seine Gegenwart. Und doch wäre ihr selbst sein gespenstisches Pfeifen jetzt willkommen gewesen. Joan und Black Bart tummelten sich bereits im Spiel. Joan saß auf Barts Rücken, und er schoß mit ihr zwischen den Felsen hin und her. Trotz der Last lief er mühelos im Galopp. Jedes andere Kind wäre bei der ersten scharfen Wendung des Tieres auf die Steine hinuntergefallen, aber Joan hing auf ihm wie eine Klette. Sie hatte beide Hände tief in sein Fell vergraben und quietschte vor Vergnügen. Manchmal geriet sie ins Wanken, wenn der Hund eine scharfe Wendung machte und kam in Gefahr, herabzugleiten, aber just im richtigen Augenblick mäßigte Bart sein Tempo so lange, bis sie wieder festen Halt gefunden hatte. Hin und her, hin und her. Sie entfernten sich immer weiter vom Haus. Plötzlich rief Kate von wilder Furcht ergriffen: »Joan! Komm zurück!«
Joan packte den Wolfshund am Ohr und zwang ihn, umzuwenden. Kates Besorgnis schwand. Ja, es kam ihr ein neuer Einfall. Sie schmeichelte Joan so lange, bis sie sich von Bart trennte – später, so versprach Kate, konnte sie mit ihm spielen, solange es ihr gefiel – und führte sie ins Haus. Black Bart schlich bis zur Tür nach, aber weder gute noch böse Worte vermochten ihn dazu zu bringen, die Schwelle zu überschreiten. Kate zeigte er stumm die Zähne, und Joan mochte an seinen Ohren zerren, soviel sie wollte, er rührte sich nicht von der Stelle. Er blieb vor der Tür, legte den Kopf zur Seite und beobachtete die beiden mit melancholischen Augen, während Kate die Kleine umzog. Sie kleidete das Kind wie zu einem hohen Festtag, sie setzte ihm ein blaues Häubchen auf, aus dem die goldenen Locken dicht hervorquollen, sie legte Joan ein kleines blaues Mäntelchen um und zog ihr blanke Schuhchen von unwahrscheinlicher Kleinheit an und schließlich legte sie noch einen Kranz von gelben Blumen der Wildnis um das Häubchen. Dann schrieb sie einen Brief an Dan, steckte ihn in einen Umschlag und befestigte das Ganze in der Tasche des Mäntelchens, so daß es nicht verlorengehen konnte.
Dann faßte sie Joan bei den Händen und zog sie liebkosend an sich.
»Joan, Liebling,« sagte sie, »Mutter möchte, daß du mit Bart hinauf in die Berge gehst. Wirst du Angst haben?«
Ein energisches Kopfschütteln. Joans Augen wanderten fortwährend über die Schulter ihrer Mutter nach dem Hund. Sie war schon ein wenig verdrossen. Das viele Reden war unnötig.
»Vielleicht wird es schon Nacht, während du unterwegs bist«, sagte Kate. »Du wirst dich doch nicht fürchten?«
Jetzt schien Joan unsicher zu werden, aber Bart stieß ein kurzes Winseln aus. Das ließ sie wieder Mut fassen.
»Bart wird schon aufpassen«, sagte sie.
»Das wird er. Und er wird dich zu Daddy Dan hinaufbringen.«
Das Gesicht der Kleinen strahlte.
»Daddy Dan?« flüsterte sie.
»Und wenn du zu Daddy kommst, dann nimm das Papier da aus der Tasche und gib es ihm. Du wirst's doch nicht vergessen?«
»Daddy Dan Papier geben«, wiederholte Joan feierlich.
Kate fiel auf die Knie und schlang ihre Arme eng um den kleinen Körper, so eng, daß Joan aufschrie, doch kaum hatte sie die Kleine losgelassen, als Joan mit erstaunten Augen nach dem Gesicht ihrer Mutter hinauflangte, es berührte und dann eingeschüchtert die Spitzen ihrer kleinen Finger anstarrte.
Gleich darauf stand das Kind vor Black Bart. Sie hatte den zottigen Kopf fest in ihre kleinen Fäuste genommen und starrte ihm streng in die Augen.
»Bring' Joan zu Daddy Dan!« befahl sie.
Die spitzen Ohren stellten sich auf, ein sprechender Ausdruck des Verständnisses erschien in den Augen des Tieres.
»Hopp!« befahl Joan, nachdem sie sich auf seinem Rücken eingerichtet hatte. Ihre kleinen Absätze trommelten ihm in die Rippen. Bart gönnte Kate, die zitternd auf der Schwelle stand, ein letztes Knurren und setzte sich über die Wiese in Bewegung. Er lief in dem gleichmäßigen Wolfstrott, der zu guter Letzt jedes vierfüßige Wesen unter dem Himmel einholt. Das Grasland lag schon hinter ihm, und er strebte bereits den ersten Abhang hinauf, als ein schräger Strahl der Nachmittagssonne die gelben Blüten um Joans Kopf zum Aufleuchten brachte. Kate schrie auf. Bis zu diesem Augenblick war ihr alles ganz natürlich erschienen. Das einzige, was man tun sollte und mußte! Aber plötzlich war ihr jetzt zumute, als habe sie Joan freiwillig von sich gejagt. Sie dachte an die Schrecken der Nacht, die bald herabsinken mußte, sie erinnerte sich voller Furcht an die gelben Lichter, die nach Sonnenuntergang in Black Barts Augen glühten.
Sie schrie und rief, aber der Wolfshund trottete schnell und gleichmäßig weiter. Kate begann zu laufen, aber der Hund lief rascher, die Entfernung vergrößerte sich immer mehr, und als sie an den Rand des Abhangs gelangt war, sah sie Bart bereits weit, weit drüben die Wände einer Bergschlucht erklimmen.
Wenigstens wußte sie jetzt, wohin er steuerte. Da oben lag eine Höhle. Dan hatte sie auf einem Ritt zusammen mit Kate eines Tages entdeckt und hatte lange Zeit damit verbracht, ihre dunklen Tiefen näher zu untersuchen.