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»Ihr könnt mir Grey Molly ruhig anvertrauen«, sagte Dan, der neben Vics Grauem stand. »Ich werde sie behüten, als ob es mein Satan wäre.«
Gregg warf einen wehmütigen Blick nach seinem Pferd hinüber. Einst war er kindisch stolz darauf gewesen, daß die Stute keinen anderen Menschen an sich heranließ. Sie war ihm gefolgt, wie ein Hund seinem Herrn folgt, keinen außer ihn allein hatte sie im Sattel geduldet. Aber selbst ein Mensch, der nichts von Pferden und ihren Eigenarten wußte, hätte sofort das tiefe Einverständnis bemerkt, das mit einem Schlag zwischen Barry und Grey Molly bestand. Wenn Barry sprach, spitzte die Stute die Ohren. Wenn er die Hand ausstreckte, hob sie fragend und schnuppernd die Nüstern.
Als Barry sich in den Sattel schwang, versuchte sie nicht ein einziges Mal, zu steigen. Das war in ihrem ganzen Leben noch niemals vorgekommen. Sie drängte nicht, wie sonst, nervös trippelnd seitwärts, sie warf nicht den Kopf. Das Ganze ging Vic mächtig zu Herzen. Es war beinahe ebenso, als hätte er Betty Neal in den Armen eines anderen Mannes überrascht. Er fühlte sich schmählich verlassen.
»Dan,« sagte er, »ich weiß, was Ihr für mich getan habt, und ich weiß, was Ihr jetzt für mich tun wollt.« Er nahm Dans schmale Hand in seine gewaltige Tatze. »Wenn die Zeit kommt, wo ich's Euch vergelten kann, so wahr Gott im Himmel lebt ...«
»Eide taugen nichts«, unterbrach ihn Barry, dessen Stimme keine Spur von Erregung verriet. Und dann fügte er ganz offen hinzu: »Ich tu's nicht bloß um Euretwillen. Die Burschen da unten haben schon einmal mit mir Fangen gespielt, und ich möchte das Spiel mal nach meiner Art spielen. Diesmal ist Molly frischer als damals.«
Beim Sprechen blickte er schon über die Schulter, als erfülle ihn bereits nur noch der Gedanke, wie er dem Aufgebot einen Streich spielen könne.
»Lebt wohl!«
»Lebt wohl, Partner! Viel Glück!«
Damit trennten sie sich. Vic, der langsam den steilen Bergpfad hinauftrottete, sah, wie Barry Grey Molly herumwarf und mit ihr in sausendem Galopp über die Wiese fegte. Sein Herz zuckte eifersüchtig zusammen – im nächsten Augenblick aber floß es über von Dankbarkeit und Bewunderung. Barry hatte das Ende des Bergvorsprungs erreicht. Noch einmal wendete er sich zurück und schwenkte den Hut, zu Kate hinübergrüßend, dann tauchte er hinab und war verschwunden.
Das Gelände, auf dem Barry abwärts ritt, bildete eine Reihe übereinanderliegender Terrassen. Bisweilen waren sie breit und eben wie eine sorgfältig vermessene Landstraße, manchmal zogen sie sich zu einem schmalen Band zusammen und gaben den Blick ins Tal frei. Als er zum erstenmal eine solche Stelle erreichte, machte Barry halt, wendete sich im Sattel und blickte hinab. Dort unten ritt das Aufgebot. Es streifte schon auf dieser Seite des Flusses, dicht am Fuße des Abhangs hin. Die Reiter bildeten einen weiten offenen Bogen. Sie saßen weit vorgebeugt im Sattel. Ihre Blicke waren spähend auf den Boden gerichtet. Sie ritten einen mäßigen Galopp, aber dennoch war es klar, daß sie vor Dan an der Stelle ankommen mußten, wo sein Weg in den Talboden mündete. Es galt, aus Molly das Äußerste an Schnelligkeit herauszuholen. Zwischen Dan und den Reitern mußte stets soviel Zwischenraum bleiben, daß ein Gewehrschuß ihm nichts anhaben konnte. Ganz gewiß aber durfte er ihnen nicht auf Revolverschußweite nahekommen.
Er hatte es nicht nötig, die Sporen auch nur leise einzusetzen. Ein kurzes Anziehen der Zügel genügte, um der Stute zu sagen, was von ihr verlangt wurde. Sie zuckte mit einem Ohr, legte es zurück, und dann streckte sie sich zu vollem Galopp. Die Geschwindigkeit, mit der sie dahinschoß, gab Barry die Gewißheit, daß er mit genügendem Vorsprung den ebenen Boden des Tals erreichen würde – wenn nicht einer der Männer des Aufgebots zufällig den Kopf hob und ihn oben am Berge reiten sah, so daß die Jagd zu früh begann. Barry aber rechnete auf die instinktive Gewohnheit, die des Jägers Augen an den Boden fesselt, dieselbe instinktive Gewohnheit, die einen Detektiv veranlaßt, in einem Zimmer zuerst unter das Bett zu sehen und zu allerletzt die Wände und die Decke zu untersuchen. Noch einmal, kurz vor dem Ziel, blickte Dan nach rückwärts und ins Tal hinunter. Die sechs ritten jetzt schneller. Sie schlugen mit den Peitschen auf ihre Gäule ein. Der scharfe Gegenwind drückte die Krempen ihrer Hüte zurück. Sie ritten aus Leibeskräften, wie im Rennen. Sie hatten die graue Stute bereits gesehen, sie ritten einer Blutfährte nach.
Grey Molly hatte den Hals lang ausgestreckt, die Ohren flach an den Kopf gelegt, ihre Hufe klirrten und dröhnten auf dem felsigen Boden wie Trommelwirbel, alles schien anzuzeigen, daß sie bereits das Äußerste tat, was in ihren Kräften stand. Aber als Dan erspäht hatte, daß man ihn bereits verfolgte, duckte er sich tiefer auf ihre Mähne, seine Faust raffte die Zügel dicht hinter ihrem Kopf zusammen, seine Stimme war unmittelbar an ihrem Ohr und sprach leise und rasch auf sie ein. Sie antwortete mit einem Schnauben und griff noch kräftiger aus, als sei sie sich der Gefahr bewußt. Ein Ohr aufgestellt, das andere nach hinten gelegt, von wo die ermutigende, sicher führende Stimme des Reiters kam, brauste sie den Abhang hinunter.
Der Pfad schlängelte sich jetzt in gemächlichen Kurven abwärts, aber es gab einen kürzeren Weg über eine Geröllhalde hinunter. Es war ein jäher Abstieg, nicht ungefährlich, selbst wenn man festen Boden unter den Füßen gehabt hätte statt rollender Kiesel. Trotzdem – es war ein Augenblick, in dem es gewagt werden mußte. Der staubige kleine Mann auf seinem Falben da hinten wog schon den Revolver in der Hand und dachte an den ersten Schuß. Aber im nächsten Augenblick ließ er die Hand mit der Waffe sinken, ja, in der ersten Verblüffung zog er sogar die Zügel an. Der Flüchtling da vorne hatte sich plötzlich weit im Sattel zurückgelehnt und Grey Molly über den Rand der Geröllhalde hinuntergetrieben. Von diesem Augenblick an war an Galoppieren nicht mehr zu denken. Die Stute duckte sich auf die Hinterschenkel, stemmte die Vorderbeine vor und schoß wie eine Lawine in die Tiefe hinunter. Lauter als das Knattern und Prasseln des Hagels stürzender Steine und Kiesel um sie her, lauter als der Schrei der Verblüffung, der von den Verfolgern her gellte, klang in ihren Ohren die Stimme ihres Reiters, eine klare und gelassene Stimme, und die straffen Zügel übermittelten wie Telegraphendrähte ihrem benommenen und betäubten Hirn die Wünsche des Mannes, der auf ihrem Rücken saß. Mit der Wucht einer Kanonenkugel prallte sie unten auf den ebenen Boden auf, wankte, kam beinah zum Sturz, straffte sich wieder und streckte, noch wankend und taumelnd, den Hals zu neuem Galopp. Die stürzenden Steine hatten am Abhang über ihnen einen Felsblock von gut zehn Tonnen Gewicht auf seiner schmalen Unterlage ins Wanken gebracht, er wälzte sich vornüber, rollte bergab. Mit einem mächtigen Satz schlug er auf den weichen Talgrund auf, prallte wie ein lebendes Wesen elastisch in die Höhe und polterte ins Flußbett hinunter.
Grey Molly hatte den sicheren Gebrauch ihrer Beine wiedergefunden und zeigte nun, was sie auf ebener Bahn im Rennen leistete. Schon einmal waren dieselben Pferde ihr nachgejagt und sie hatte sie geschlagen, obwohl Vic Greggs mächtiges Gewicht auf ihrem Rücken lastete. Diesmal trug sie einen weitaus leichteren Reiter, einen Mann, der mit ihr zusammengewachsen schien und leicht und elastisch dem Rhythmus ihres Galopps nachgab. Und deshalb ließ sie das Aufgebot mühelos hinter sich. Einmal, zweimal und noch einmal knallte der Revolver, den Sheriff Pete Glass noch immer in der Hand hielt. Aber dies war kein Zeichen dafür, daß es ihm gelungen war, dem Wild, dem er nachstellte, dichter auf den Leib zu rücken. Es war nur ein letzter Versuch aufs Geratewohl. Zehn Minuten später verschwand Grey Molly mit ihrem Reiter hinter einer Erdwelle. Die Berge hatten sie verschluckt.
Nach einer Stunde war es so weit, daß Barry unbesorgt abbiegen und, querfeldein reitend, sich auf den Heimweg hätte begeben können, ohne befürchten zu müssen, daß der Sheriff ihn unterwegs entdeckte. Aber er hatte keine Eile. Er wollte sich noch nicht drücken. Ein paarmal stieg er ab, prüfte den Sattelgurt und sprach dem Pferd aufmunternd zu. Grey Molly stellte die Ohren auf und horchte aufmerksam. Hier und da legte sie den Kopf auf die Seite, als versuche sie zu verstehen, worum das Spiel ging.
Für Barry war diese Jagd ein neues und reizvolles Vergnügen. Er war an die keine Erschöpfung kennende Zähigkeit und Kraft Satans gewöhnt, an seinen Rappen, der gewitzt war wie ein Raubtier und flink wie eine Antilope. Auf Satans Rücken hätte Barry sich das Vergnügen leisten können, rund um das ihm nachjagende Aufgebot Bogen und Schleifen zu reiten. Grey Molly aber bot ihm eine neue und ungewohnte Aufgabe. Die Stute war nicht die verkörperte Kraft, die nur der Mäßigung und Leitung bedurfte, sie war ein Wesen, das Hilfe und Ermutigung brauchte. Aber gerade, daß das Tier, an dem Rappen gemessen, schwach und hilfsbedürftig erschien, erweckte Barrys Sympathie. Es war ein köstliches Gefühl, zu spüren, wie seine Macht über die Stute immer größer und größer wurde, bis auch sie begriffen zu haben schien, worin der Reiz dieses gefährlichen Spiels bestand.
Barry ließ das Aufgebot immer näher und näher heran. Die Gefahr faszinierte ihn. Einmal gellte sein Pfiff hell und schrill wie der Schrei eines Falken vom Gipfel einer steilen Anhöhe, während zu seinen Füßen das Aufgebot sich mühsam durch eine enge Schlucht arbeitete. Er sah, wie unten die Revolver aufblitzend aus den Halftern flogen – und wartete. Er hörte, wie die Kugeln rings um ihn pfiffen, wie die Geschosse hinter ihm an der senkrechten Felswand zerspritzten, er aber blieb stehen, bis der Widerhall der Schüsse dröhnend aus der Tiefe heraufrollte. Dann schwenkte er grüßend den Hut gegen seine Verfolger und war verschwunden.
Beinahe hätte er mit diesem Wagemut den Zweck des ganzen Spiels zunichte gemacht. Er durfte die Verfolger nicht so dicht heranlassen, daß sie sein Gesicht erkennen und bemerken konnten, daß sie auf einer falschen Fährte waren. Deshalb kehrte er, wenn auch widerstrebend, dem Aufgebot endlich den Rücken und ritt in die Berge, in der Gewißheit, die Verfolger jetzt weit genug von Vics Fährte abgelenkt zu haben.
Nach einer Stunde beschrieb er einen Bogen und trat den Heimweg an. Er hatte eine Fährte hinterlassen, der der kluge Sheriff bis zum Abenddämmern folgen konnte, ohne daraus klüger zu werden. Selbst wenn Pete Glass der feinste menschliche Spürhund gewesen wäre, der je die Zeichen einer Fährte zu deuten wußte, niemals wäre er fähig gewesen, zu entziffern, welchen Weg der Verfolgte eingeschlagen hatte. Dan Barry wußte das nur allzu gut. Deshalb war er sprachlos vor Erstaunen, so verblüfft, daß er die Zügel anzog, sein Tier zum Stehen brachte und verwundert sich umsah, als er auf halbem Weg durch das Flußtal einen dünnen, scharfen Knall von den Bergen der anderen Seite herüberhörte und beinahe gleichzeitig, kaum eine Pferdelänge entfernt, eine Kugel einen Splitter aus dem Felsen schlug. Aber schließlich begriff er. Er hatte zu gut gearbeitet. Er hatte eine Fährte zurückgelassen, die so sehr jeder Verfolgung spottete – daß der Sheriff, klug genug, die hoffnungslose Verfolgung aufgegeben hatte und auf gut Glück an den Platz zurückgekehrt war, an dem die Jagd begonnen hatte. So hatten sich ihre Fährten gekreuzt.
Mit einem kurzen, scharfen Ruf trieb Barry sein Pferd an und ließ die Zügel locker. Grey Molly streckte sich zum Galopp – aber es war zu spät. Ein Summen in der Luft, ein klatschender Schlag, und die Stute brach in die Knie.