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18. Kapitel.
Die Kirche.

Das Wenige, was über die Zeit vor der Reformation zu sagen war, ist schon früher (S. 10 f.) mitgeteilt worden. In diesem Kapitel sind die kirchlichen Verhältnisse darzustellen, wie sie durch die Reformation geschaffen wurden und seither bestanden haben.

 

1. Die Reformation. An keinem Punkte der Ortsgeschichte macht sich uns die Dürftigkeit der Quellen empfindlicher fühlbar als gerade bei dem Kapitel der Reformation. Wir wissen wenig mehr als das Datum derselben, und auch diese Kenntnis ist mehr durch Schlüsse als aus ausdrücklichen Nachrichten zu gewinnen. Die Erwägung, daß andere Orte der früheren Markgrafschaft Durlach nicht viel besser daran sind, gewährt nur schlechten Trost. Aber wir müssen uns nun eben in die Tatsache fügen, daß bei der Vernichtung des badischen Landesarchivs in Durlach – es wurde 1689 von den Franzosen verbrannt – neben vielen anderen auch alle die Reformation betreffenden Akten unwiederbringlich zu grunde gegangen sind.

In der unteren Markgrafschaft hat Markgraf Karl II (1554–78) die Reformation eingeführt. Ein Schreiben Herzog Christophs an ihn von Schorndorf aus (29. April 1554) mag den Entschluß bei ihm zur Reife gebracht haben. Doch erklärte er sich erst nach dem Augsburgischen Religionsfrieden (1555) offen für die evangelische Sache. Im Herbst 1556 wurde die erste Kirchenvisitation der Gemeinden durch weltliche und geistliche Kommissarien vorgenommen. Jede Gemeinde wurde vor allen Dingen um ihre Zustimmung zur Einführung der neuen Kirchenordnung (vom J. 1556) befragt. Weiter wurden die Lehre und der Wandel der Geistlichen erforscht, auch die Schulverhältnisse geprüft. Unter den Kommissarien befanden sich auch württembergische Theologen z. B. Dr. Jak. Andreä von Göppingen und Dr. Jak. Heerbrand aus Herrenberg.

Daß nun damals, nicht etwa früher schon, auch Besigheim reformiert wurde, ist von vornherein anzunehmen und läßt sich auch beweisen. Man erwäge folgende Tatsachen:

Es wird in hiesigen Akten öfters betont, daß bei Abschaffung der »papistischen Religion« die geistlichen Pfründen in eine »Geistliche Verwaltung« zusammengezogen worden seien. Nun ist das älteste L.B. der G.V. in den Jahren 1555-1557 errichtet worden; und wenn dasselbe auch der Reformation keine Erwähnung tut, so hat man doch überall den Eindruck, daß es sich um eine grundlegende Inventur der Pfründgefälle und um eine erstmalige Zusammenstellung des gesamten Kirchenvermögens handle.

Im J. 1555 wurde U. l. Fr.[= Unserer lieben Frau...] Pfründe sowie des St. Cyriakus Gültbuch inventiert; im J. 1556 St. Peters, St. Katharinnen, St. Sebastians und die Pfarrpfründe, letztere am 6. Sept, im Beisein »des würdigen Herrn Hans Wolffen, Pfarrherrn zu Besigheim«, des Rudolf Hennenberger, Oberpflegers hier, und zweier des Gerichts; im J. 1557 All. Heil. Pfründe im Beisein des Joseph Wetzel, Schultheißen hier (er war zugleich G. V. für die Aemter Besigheim und Mundelsheim.).

Zu Hessigheim wurde St. Stephans »Güllt- oder Zinsbüchlein« am 2. Aug. 1555 erneuert und die Erneuerung am 6. Sept 1555 genehmigt. Am selben Tag »sind auch des hl. Stephans Ornata und Kirchenzierd eigentlich inventirt und aufgeschrieben worden« (das Verzeichnis derselben findet sich dem G.L.B. eingeheftet). Sie wurden alle nach Pforzheim geschickt.

Im gleichen Jahr wurde auch in Walheim der »Heilige« (Stephan) renoviert.

Ferner: in den ältesten Schulakten aus den Jahren 1557–58 wird mehrmals auf die »erste Visitation« Bezug genommen, bei welcher u. a. der Stadt das Recht, den Schulmeister zu ernennen, bestätigt und die Besoldungspflicht der G.V. anerkannt worden sei. Gemeint ist natürlich die Visitation vom J. 1556.

Im 18. Jahrh. besaß man noch Rechnungen der St. Cyriakus-Pfründe aus den Jahren 1551-1555, welche als die letzten der katholischen Zeit bezeichnet werden. Nach Errichtung der G.V. wurden keine getrennten Rechnungen mehr geführt.

In Akten des 17. und 18. Jahrh. wird mehrmals ausdrücklich gesagt, daß die Reformation und mit ihr die Einziehung des hiesigen Kirchenguts unter Karl II vorgenommen worden sei.

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Flößereibetrieb auf der Enz

Daß im J. 1546 Besigheim noch nicht reformiert war, geht aus der oben S. 19 angeführten Notiz deutlich hervor.

Die ältesten bekannten evangelischen Geistlichen sind in Hessigheim Timotheus Mösch (1557), in Walheim Georg Kundlach (1560-64), in Mundelsheim Diakonus Joh. Beck 156-67 (über Löchgau und Besigheim s. unten.)

Nach all dem bleibt kein Zweifel mehr übrig, daß Besigheim, Stadt und Amt (ausgenommen Löchgau, welches wahrscheinlich schon 1534 evangelisch wurde), gleichzeitig mit der übrigen Markgrafschaft und zwar in den Jahren 1555-57 reformiert worden ist. Insoweit die Reformation eine Aenderung des Glaubens bedeutet, welche in einer Neuordnung des Gottesdienstes und der kirchlichen Sitte sich Gestalt gab, ist sie in den Jahren 1556-57 durchgeführt worden; soweit aber das Kirchengut in Betracht kommt, welches der Staat in seine Verwaltung zog, begann man schon im Jahre 1555 zu reformieren.

So viel läßt sich also mit Sicherheit feststellen. Viel ist das freilich nicht; gerade was wir am eifrigsten zu wissen begehren, erfahren wir nicht. Wie ist die neue Lehre und Ordnung der Dinge von der Gemeinde aufgenommen worden? Mit heller Freude und Begeisterung oder mit gelassenem Gleichmut oder gar mit Mißbehagen und unter Widerspruch? Wir wissen es nicht. Vergeblich durchforschen wir die wenigen Schriftlichkeiten der damaligen Zeit nach solchen Aeußerungen, aus welchen vielleicht eine große Erregung der Gemüter herausklänge – tiefes Schweigen allenthalben! Daraus scheint doch so viel entnommen werden zu dürfen, daß die Neuordnung der Dinge ohne Sturm und Drang, vielmehr in aller Ruhe sich vollzog. Es ist das ja auch begreiflich. Was kam, hatte man längst schon kommen sehen. Niemand wurde durch die Verwirklichung eines Gedankens überrascht, mit welchem schon Markgraf Ernst, der Vorgänger Karls, sich getragen hatte. Dazu war seit Jahrzehnten schon die württembergische Nachbarschaft ringsum evangelisch.

Einige Jahrzehnte früher hören wir von einem »Pfarrer zu Besigheim, so lutherisch und derselben Sekt anhängig«, der auf Befehl des herzoglichen Statthalters, des Truchseß von Waldburg, von der Besigheimer Kanzel verdrängt wurde; der damalige Regent, Erzherzog Ferdinand, habe das ausdrücklich gutgeheißen. Das war im Sommer 1524, 7 Jahre nach Luthers Thesenanschlag. Den Namen jenes mutigen Zeugen erfahren wir leider nicht.

Dieser unserer Auffassung von dem Verlauf der Dinge scheint ein nicht uninteressantes Schriftstück zu widersprechen, welches uns zwar nicht mitten in die Ereignisse hineinversetzt, aber doch nahe an die kritischen Jahre heranführt; wir meinen einen (lateinischen) Brief des hiesigen Pfarrers Martin Burggraf, welchen er unter dem 25. April 1561 von Stuttgart aus an Brenz richtete und worin er den württembergischen Reformator um eine Anstellung in Württemberg bat: »So bin ich durch den verhängnisvollen Haß unserer Hofleute zu Pforzheim, weil ich die Kirchenräubereien, die sie mit wahrer Wut ausübten, wie auch die Wiedertäuferei, die man bei uns begünstigte und die schändliche Schwäche ( ignavia) des Magistrats frei und offen ... gerügt habe – von meinem göttlichen Amt entfernt und grausam hinausgeworfen worden und nunmehr gezwungen, mit Weib und Kind im Elend herumzuziehen«. Angestellt wurde Burggraf, nach einem Vermerk auf der Außenseite, nicht, »weil angezeigt, daß er, obwohl ein gelehrter Mann, einen seltsamen Kopf habe und weil man für das Predigtamt, gottlob! Leute genug im Lande hat«. Er erhielt pro viatico (zur Wegzehrung) und zur Abfertigung einen Monatssold aus dem Kirchenkasten. Was weiter aus ihm geworden, ist nicht bekannt.

Genau betrachtet, handelt es sich hier um Händel zwischen der badischen Regierung bzw. der Gemeinde einerseits und einem evangelischen Geistlichen andererseits, welch letzterer mit der Art, wie man über das Kirchengut verfügte, nicht einverstanden war. – Daneben erfahren wir, daß eine jener unerwünschten Begleiterscheinungen der Reformation, die wiedertäuferische Bewegung, auch hier aufgetreten ist. Doch kann sie nicht viel Boden gewonnen haben, da wir später nichts mehr von ihr hören.

 

2. Das Kirchengut. Für die Verwaltung des Kirchenguts wurde eine eigene Beamtung geschaffen, nämlich die » Geistliche Verwaltung«, in welche sämtliche geistliche Pfründen gezogen wurden. Mit dem Vermögen der Pfründen übernahm die G.V. natürlich auch deren bisherige Verpflichtungen.

Vor der Reformation hatten, wie wir gelegentlich erfahren, die Heiligenpfleger jährlich der Gemeinde ordentlich Rechnung zu tun gehabt »Einnehmens und Ußgebens halber«, vor B.M., Gericht und Rat.

In Walheim waren schon im J. 1482 sieben » geschworene Gottschauer« bestellt worden, 4 aus dem Gericht, 3 aus der Gemeinde, welche getreulich aufmerken sollten auf die Pfarr- und Frühmeßgüter. Zwei dieser Gottschauer waren »Heiligenpfleger«, die alle Jahre vor einem Pfarrer in Gegenwart eines Amtm. Rechnung zu tun hatten »in Maßen und Form, wie es von Aeltern herkommen ist.«

Lehensherr der Walheimer Pfarr- und der Frühmeßpfründ war, wie hier bemerkt sein mag, das Kloster Denkendorf, welchem Papst Clemens IV im J. 1266 die schon früher von Bischof Günther von Speier (um 1147) vollzogene Einverleibung der Kirche Walheim an den Propst bestätigt. Beide geistliche Stellen wurden in der Regel mit Konventsherren des Klosters besetzt. – Der »Heilige« oder »Patron« der Kirche war St. Stephan.

Bezüglich der Eigentumsverhältnisse, wie sie schon vor der Reformation bestanden, meldet das L.B. 1555: »Unser gnädiger Herr hat die Pfarrpfründ Beatae Mariae Virginis in der Pfarrkirche zu le(i)hen, ist rechter Kastenvogtsherr derselben«. St. Peters, St. Katharinen und Aller Heiligen Kaplaneipfründe haben bisher die Stiftsherren von Baden zu verleihen gehabt. Die letztere Pfründe soll von jetzt ab gleichfalls der Fürst zu Lehen haben. St. Sebastians Pfründe ist bis auf Wiederabkünden dem Almosen zu übergeben, doch sollen die Stiftsherren und »der ältist wagner« Lehenherren derselben bleiben. Das war aber nur eine vorläufige Regelung. Schon im L.B. 1569 lesen wir: »Der Pfarr und Unser lieben Frauen Pfründ zu Bessigkhaim mit derselben jus patronatus et collaturae und allen Eigenschaften zu verleihen, desgleichen die Kirch und der Kirchensatz, auch der Heiligen Gefäll und Einkommen gehören dem Fürsten, desgleichen Aller Heiligen Pfründ und Gefäll und die drei Pfründen, welche die Stiftsherren zu verleihen gehabt; auch St. Cyriaci Güter und Einkommen. Daraus werden Pfarrer, Diakonus, Schulmeister und Mesner mit Kompetenz und Besoldung, desgleichen die Kirche, Glocken, Gottesacker und Leibleg, auch das Diakonat-, das Schul- und das Mesnerhaus versehen und erhalten.«

Ueber die Amtsorte vgl. G.L.B. 1587. – In Löchgau gehörten die Pfarr- und die Frühmeßpfründe den »gemeinen Präsenzherren des Thumbstiffts Speyr« zu. Baden und Württemberg aber hatten abwechselnd die Nomination und Präsentation des Pfarrherrn und des Diakonus. Examiniert und visitiert wurden diese von den beiderseitigen fürstlichen Räten. Den beiden Herrschaften gehörte auch die Kirche, der Kirchensatz, die Kastenvogtei und die Obrigkeit über die Pfründgefälle, zu deren Verwaltung die beiderseitigen Amtleute zwei Heiligenpfleger aufstellten. Kirchenheiliger war St. Peter. – Aehnlich behielt in Walheim das Kloster Denkendorf das Patronat und die Kollatur der Pfarrei; die Nomination und Visitation des Pfarrers samt der Verwaltung der Pfründen gehörte der Herrschaft. – In Hessigheim besaß nach Vertrag vom J. 1577 das Kloster Hirsau das Patronat und die Kollatur; über alles übrige verfügte die Herrschaft.

Das Vermögen der Pfründen setzte sich nach G.L.B. 1555 zusammen aus » unablößigen Hellergülten« aus Häusern und Gütern (32 Pfd. 1 sch., darunter 1 fl. Geldzins aus einem Morgen Weinberg »im Zabergew, Erligheimer Markung«, nach einer Urkunde vom J. 1482), aus Frucht- und Weingefällen, darunter solche aus Löchgau (besonders von einem Lehenhof der St. Sebastians-Pfründe, welchen Pfarrer Wagner zu Besigheim im J. 1492 innehat bzw. verleiht; es ist wahrscheinlich derselbe Hof, welchen 1527 das Almosen verleiht), solche aus Dürrenzimmern, Ingersheim, Kirchheim, Pleidelsheim an die All. Heil.-Pfründe (im J. 1562 verkaufte der Markgraf diese Gefälle an Rudolf Hennenberger, wogegen das Schultheißenamt hier an All. Heil.-Pfründe jährlich 50 fl. reichen sollte). Unter den Ingersheimer Gefällen ist zu nennen die Hälfte des großen Zehntens vom dortigen Munichshof, ferner 10 Malter Roggen von dem »kleinen Pfründlein« und ein Anteil am dortigen Weinzehnten. Im G.L.B. 1587 ist betreffend Ingersheim Bezug genommen auf einen Lehensbrief vom J. 1527, betreffend Dürrenzimmern auf einen von Hans von Hoheneck und Margaretha von Helmstatt am Samstag vor St. Thomas 1433 ausgestellten Kaufbrief, betreffend Pleidelsheim auf einen Erblehensrevers vom J. 1433, 1456, 1481, betreffend Kirchheim auf einen solchen vom J. 1402.

Kapitalien haben die Pfründen im J. 1555 ausstehen an die 3000 fl., 1587 erheblich mehr. – Sonst bezieht noch St. Cyriakus Wachsgülten in Geld, der Vierling zu 4 Pfg. (8 hl.) gerechnet, zusammen in 16 Posten 11¼ Pfd.

Nach der ältesten G.V.R. vom J. 1604 betrug die Summe der Einnahmen 1472 Pfd. 4 sch. 8 hl., der Ausgaben 1548 Pfd. 6 sch. 10 hl. (im J. 1609: 976 und 966 Pfd.). Die Kapitalzinse betrugen im J. 1604: 282 Pfd. 13 sch. 4 hl. (= über 4000 fl. Kapital). Unter den Ausgaben führen wir nur auf die Geldbesoldungen: Pfarrer 140, Diakonus 62, Präzeptor 55, Provisor oder Kollaborator 23 fl., der G.V. 28 Pfd.

Die Einkünfte der G.V. reichten zur Erfüllung ihrer Verbindlichkeiten in der Regel nicht aus, so daß man das Ermangelnde öfters aus reicheren Verwaltungen herüberzunehmen genötigt war, wenn es nicht gelang, die Stadtpflege oder das »Almosen« heranzuziehen. Das war z. B. der Fall, als es sich um den Ersatz der 1693 von den Franzosen gestohlenen Glocken, sowie der von ihnen zerstörten Kirchenstühle handelte.

Zunächst besorgte die Behörde eine Glocke aus Gündelbach, die man aber bald wieder zurückgeben mußte. Dann bekam man aus Stuttgart eine »gar alte bairische Glocke«, deren Alter im J. 1728 auf 375 Jahre

angegeben wurde (s. unt.). Es mangelten aber immer noch zwei Glocken. Das Rathausglöcklein, welches seit 1694 hatte aushelfen müssen, hatte im J. 1723 einen Riß bekommen. So mußte man sogar das »Diebs- oder Malefizglöcklein« zur Kirche und zu Versammlungen des Magistrats und der Gemeinde läuten, wodurch man der ganzen Nachbarschaft zum Gespött wurde. »Es ist eine Schande, daß die an der Reichsstraße liegende Stadt, an welcher Fürsten, Grafen, Kurfürsten und andere bei der Welt hochangesehene Personen vorbei müssen, ein so elendes Geschell hat. Das miserabelste Dorf auf dem Schwarzwald hat ein besseres.« Die Stadt mußte aber, da die G.V. unter wenig triftigen Ausflüchten ihre Verbindlichkeit bestritt, an den Kosten der neuen Glocken dennoch den Löwenanteil übernehmen.

Die Unkosten betrugen an die 2000 fl., woran das B.M.A. 585, die Bürgerschaft über 200, die Landschaft 200, die G.V. 450, das Almosen 275 fl. beitrugen. Eine Kollekte in 10 Aemtern hatte 154 fl. ertragen; Frau von Selchau stiftete 100 fl. gegen die Erlaubnis, daß ihr Gemahl in der Kirche beigesetzt werden dürfe.

So konnte man im J. 1730 und 1733 endlich die noch fehlenden Glocken ersetzen. Die Freude dauerte aber nicht lange. Denn schon 1751 zersprang eine der Glocken, ehe noch die Anschaffungskosten ganz bezahlt waren. Nun begann der Streit von neuem, als ob nicht längst die »Inkumbenz« der G.V. festgestellt gewesen wäre. Die letztere, welche noch 1757 dem Glockengießer Magnus in Stuttgart 155 fl. schuldig war, machte geltend: ihre Einnahmen seien nicht einmal zu den Besoldungen hinreichend; für das Amt Besigheim seien allein seit 1704 bis zu 1200 fl. aus anderen Verwaltungen zugeschossen worden u. s. f. – Zur Abwechslung zersprang auch wieder einmal das Rathausglöcklein. Es blieb nichts anderes übrig – das Almosen und die Stadt mußten wieder mit einem erklecklichen Beitrag herhalten. Im Nov. 1754 konnte man endlich die neue Glocke aufhängen. Aber damit bis zuletzt die Tragikomik nicht fehle, nahm der G.V. den Schwengel in Beschlag, weil die Stadt ihren Beitrag noch nicht gezahlt habe.

Von den früheren Glocken trug die älteste (auf der Ostseite) um den unteren Rand in gotischen Majuskeln die Umschrift: »Ave Maria gracia plena Dons (dominus) tecum benedicta tu in mulieribus et bents« (benedictus). Oben: »Anno Doi (domini) Mil° III° LIII° nomen conpae (campanae) osanna. – Veni sec spirs« (veni sancte spiritus). Zu deutsch, unten: »Sei gegrüßt, Maria, voll Huld, der Herr mit dir, Gebenedeiete unter den Weibern und gebenedeiet (sei der Herr?)«; oben: »Im Jahre des Herrn 1353, Name der Glocke »Osanna«. Komm, heiliger Geist!« Auf der Glocke gegen Westen, der kleinsten, stand: »Gegossen von C. C. Neubert in Ludwigsburg ao. 1793. Damals war Geistlicher Verwalter und Denkendorfischer Keller zu Walheim Herr Carl Ferdinand Essich.«

Die erstgenannte Glocke wurde im J. 1909 von H. Kurtz in Stuttgart umgegossen. Diese und die zweite, kleinste, mußten im Kriege abgeliefert werden. Sie wurden im J. 1919 durch 2 neue in Bronze ersetzt, geliefert von der Firma Gebrüder Bachert in Kochendorf. Sie tragen die Inschriften: »O Land, Land, Land, höre des Herrn Wort« und: »Siehe, ich bin bei Euch alle Tage bis an der Welt Ende«.

Die mittlere und größte Glocke trägt unten die Umschrift: »Aus dem Feuer bin ich geflossen, Johann Philipp Magnus hat mich gegossen in Stuttgart 1753.« Eine weitere Inschrift meldet, daß diese Glocke, durch täglichen Gebrauch schon lange geschädigt, damals umgegossen worden sei.

Während der französischen »Invasion« 1693 war in der Kirche auch alles Holzwerk, insbesondere die Bestuhlung, verbrannt worden. Aus damals noch vorhandenen älteren Rechnungen der Cyriakus-Pfründe ergab sich, daß die Unterhaltung der Kirchenstühle schon zur katholischen Zeit eine Obliegenheit dieser Pfründe gewesen sei, daß somit diese Pflicht jetzt der G.-V. obliege, was übrigens diese auch anerkannte. Bezüglich der Stühle der Privaten behauptete sie aber eine Beitragspflicht der Eigentümer. Die L.B. und Rechnungen sprachen freilich gegen, die Observanz (Gewohnheit) des ganzen Landes aber für diesen Standpunkt. Im J. 1712 erfolgte ein Bescheid der Behörde, wonach die Kirchenstühle nach alter Observanz aus der G.V. zu bezahlen seien (das Gestühl war schon 1703 wieder vollständig ersetzt). Der G.V. sei zur Austeilung derselben beizuziehen. Für die Familienstühle und solche, welche erblich besessen werden, seien nach der Kirchstuhlordnung und der Observanz des ganzen Landes Gebühren zu bezahlen. Das wird 1717 noch näher ausgelegt: nur eigene und erbliche Stühle, die vom Vater auf den Sohn erben, seien in esse (in Stand) zu halten. Sterbe eine Familie aus, so müßten die Anverwandten, welche deren Stuhl begehren, dafür zahlen. Die Stühle der geistlichen und weltlichen Beamten, die der Magistratspersonen (welche 1743 vom Schiff auf die Empore verlegt wurden), ferner die »Bohrkirchen«, deren sich die ledigen jungen Leute bedienen (schon 1555 wird eine Empore erwähnt), die Orgelstühle und der Stand zum Gesang seien frei.

Die Stadt beruhigte sich aber dabei noch nicht. Ein Verkauf der Erbstühle sei bisher nie üblich gewesen. Die Leute würden nur noch zwangsweise in die Kirche kommen, wenn es bei obiger Verordnung bliebe. Die Reichen würden die besten Plätze wegschnappen, die Armen in finstere Bügel stehen müssen (1717). – Noch im J. 1747 war für Kirchenstühle kein Heller eingegangen.

Die Kanzel, der Altar und der Taufstein, welche 1693 auch zu grunde gegangen, wurden aus der G.V. bezahlt und waren schon 1704 wieder ersetzt (die Kanzel wurde 1699 von Joh. Bentz, Schreiner in Kirchheim u. T., verfertigt um 150 fl.)

Alles andere hingegen, was sonst zur Ausschmückung der Kirche diente, war, wie man aus den Rechnungen nachwies, von jeher gestiftet worden und zwar in überflüssiger Weise. Jetzt allerdings (seit 1693) vermögen die Geistlichen niemand mehr dazu zu bewegen; die Armen entschuldigen sich mit ihrer Armut, die Reichen sind zu »hartleibig«. – Von kirchlichen Geräten waren 1693 nur zwei Kelche gerettet worden; alles andere, auch der Beichtstuhl in der Sakristei, war vernichtet worden. Die Kirchenornate, welche man mit den städtischen Urkunden in das im älteren Einfall (1634) unentdeckt gebliebene Gewölbe unter dem Rathaus getan hatte, waren 1693 auch ausgehoben worden. Endlich war auch die Kirchen- und die Rathausuhr » in malor gegangen«.

Um die Kosten einer Orgel aufbringen zu können, erbat sich die Stadt ein Patent zur Veranstaltung einer Kollekte im In-und Ausland; sie wurde aber abgewiesen. Doch konnte schon im J. 1699 eine neue Orgel, dieselbe, welche bis vor wenigen Jahren ihren Dienst getan hat, aufgestellt werden. (Baumeister: Micha. Schmahl aus Heilbronn).

Die jetzige Kirchenuhr wurde 1770 angeschafft; sie kostete 425 fl., außerdem wurde die alte dreingegeben.

Zu den kirchlichen und Schulgebäuden hatte die Bürgerschaft Hand- und Fuhrfronen zu verrichten. Wenigstens behauptete das der Kirchenrat, indem er sich auf das G.L.B. 1587 bezog. Die Stadt bestritt dies, indem sie darlegte (1600): als nach geendeter papistischer Religion die geistlichen Gefälle übergeben wurden, übernahm die G.V. auch die Unterhaltung der Gebäude. Bis dahin geschah alles, was an Kirche, Kirchhof und Pfründhäusern zu bauen war, auf St. Cyriaci Kosten ohne Fron der Bürger. Die Arbeiter wurden von den Heiligenpflegern bezahlt. Nachdem aber bei der Reformation Markgraf Karl alles in eine Geistl. Verwaltung hatte eingezogen, haben auf sein Begehren – nicht aus Schuldigkeit, sondern zu untertänigsten Ehren – wir bewilligt (1570), daß wir auf Erfordern uns mit Fuhrfronen der Notdurft nach als gehorsame Untertanen erzeigen wollten. Als z. B. unter dem U.Vogt Jos. Wetzel die Pfarrkirche gedeckt wurde (1577), wurde dazu gefront, aber nur mit Rossen, das übrige aber alles um Kost und Lohn vergeben. (Wiederum, als im J. 1586 Steinhaus und oberer Turm gedeckt werden sollten, hat Besigheim samt Löchgau und Hessigheim auf hohe Beschwerde Walheims, nicht aus Schuldigkeit, sondern der Herrschaft zu Ehren, Hand- und Roßfron geleistet.)

Als im J. 1604 die neue Provisoratbehausung errichtet wurde, verlangte der U.Vogt beiderlei Fronen, für diesmal und überhaupt für alle zukünftigen Bauten. Die Stadt weigerte sich. Dazu sei man auch zu badischer Zeit (auf welche sich die Regierung berief), nicht verbunden gewesen. In Baden sei die Übung in verschiedenen Aemtern verschieden. Die Regierung entschied: beim Kauf des Amtes hätte die badische Regierung die Pflichtigkeit der Untertanen des Amts ausgesprochen; das sei dann auch bei Bemessung des Kaufschillings in Anschlag gekommen.

Schließlich wurde verglichen (1607): wann an Kirchtüren, Gottesacker oder Leibleg etwas zu bauen nötig, soll die Bürgerschaft gebührend Hand- und Fuhrfronen leisten. Der Fronen zu den geistlichen Gebäuden soll sie für immer enthoben sein gegen Entrichtung von 80 fl. an die G.V. Doch hat sie die Fronen zum Provisorathaus diesmal noch zu verrichten.

 

3. Die Geistlichen. Der 1. Geistliche hatte den Titel »Stadtpfarrer«, wenn er nicht zugleich Dekan, früher »Spezial (=Superintendent)« war; der 2. hieß »Diakonus«, später auch »Helfer« (seit 1891 »Stadtpfarrer«). Wir geben zunächst die Namen der Geistlichen seit der Reformation. Beidemal beginnt die Reihe einige Jahre nach der Reformierung unseres Orts.

Stadtpfarrer: Martin Burggraf, wahrscheinlich bis 1559, Sixt Fritz 1559, Georg Walter 1564, Balthas. Schnabel 1569, Kaspar Braunmüller 1578, Jeremi. Pistorius 1585, Samu. Magirus 1605, Joh. Theod. Mockel 1626, Ludw. Magirus 1635, Christi. Benzing 1636, Joh. Österlin 1629, Hieronym. Spilbiller 1662, Joh. Sigm. Hochstetter 1687, Joh. Cappel 1709, Wilh. Adam Drommer 1713, Juli. Friedr. Tueffert 1715, Joh. Christi. Schmid 1721, Joh. Ka. Chr. Müller 1747, Joh. Georg Weisser 1760, Andreas Thimothe. Stängel 1791, Christi. Gottfr. Kolb 1794, Gu. Dav. Reuß 1800, B. Fr. Baumeister 1832, Magn. Fr. Zeller 1844, Joh. Go. Hauß 1855, Ernst Julius Binder 1866, K. Ludw. Heinr. Haug 1874, Ad. Fr. Walcker 1881, Julius Knapp 1887, P. Andler 1908, Theodor Werner 1913, Alfred Klemm 1924.

Diakoni: Laurentius Frisaens 15..–1561, Andreas Heffner 1561, Friedr. Pyser 1562, Laur. Frisaens 1597, Joh. Reinöl 1605, Joh. Ulrich Wolfhard 1610, Georg Hemminger 1617, Phil. Ernst Heil 1624, Micha. Schäflin 1632, Christi. Lindenmayer 1635, Joh. Bernh. Wagner 1637, Joh. Balthas. Plieninger 1639, Joh. Heinr. Wieland 1642, Erh. Machtolph 1647, Joh. Martin Buochelin 1650, Joh. Georg Schmid 1660, Jeremi. Rebstock 1675, Joh. Kaiser 1676, Joh. Gmelin 1679, Joh. Jak. Haim 1680, Theod. Chr. Zeller 1682, Sam. Speidel 1702, Phil. Gottfr. Faber 1717, Joh. Ernst Balthasar 1730, Gottl. Fr. Faber 1756, Joh. Ferdin. Seiz 1768, Georg Dav. Reuß 1790, Joh. Fr. Gumpr. Baumann 1800, K. G. Kurz 1808, Gottlob Chr. Kern 1820, Gust. Ad. Riecke 1824, Magn. Fr. Zeller 1828, Wilh. Heinr. Zeller 1834 (Bruder des Philosophen, der hier Bürger war), Ferdin. Fr. Dörtenbach 1844, Rud. Rooschütz 1858, Christian Koll 1870, Otto Kirn 1885 († als Professor der Theol. in Leipzig), Gottlob Meidele 1889, Fr. Breining 1896, Rud. Paulus 1911.

Stadtpfarrer Drommer (s. oben) hat ein Predigtbuch herausgegeben, das noch hie und da in einer Familie sich finden mag. – Das geschriebene, beim 2. Stadtpfarramt liegende »Beamtenbuch« bringt über viele Geistliche nähere Einzelheiten. Österlin von Schaffhausen, geb. 1585, war vorher, 1627, Spezial in Stuttgart, 1633 Prälat zu Anhausen, Stadtpfarrer hier 1639 (41?); Hochstetter, von Kirchh. u. T., geb. 1643, war zugleich Prälat in Anhausen, vorher in Neuenstadt a. K. und Beilstein; †1718. Frisaens stammte von Stuttgart, geb. um 1569; Schmid (1660) von Schmidsfelden, später Pfarrer in Gemmrigheim; Gmelin war später »Pädagogarch« in Stuttgart; Seiz, † als Stadtpfarrer in Sindelfingen, erwarb sich große Verdienste um die Schule (Gründung der Kollaboratorstelle); auch hat er hier das Gemeinschaftswesen eingebürgert.

Im J. 1595 wurden die kirchlichen und Schulverhältnisse des Amtes durch württembergische Kommissäre (die Stiftsprediger und Räte Lukas Osiander und Balthasar Eisengrün) visitiert, welche sich am 20. April zunächst nach Besigheim verfügten. Nach ihrem Bericht hat der dortige Pfarrherr, Hieronymus Pistorius, die Form. Conc. zu Durlach unterschrieben, ist ein württembergischer Stipendiat, in der Lehre rein ( in religione sincerus), ein gelehrter Mann, vor 14 Jahren mit Gnaden von der Hofpredigerstelle zu Durlach gen Besigheim als eine ruhigere Kondition (Stelle) befördert worden; ist 44 Jahre alt. Sein Kollege, der Diakonus, gibt ihm Lehre und Lebens halben ein gutes Zeugnis, ebenso die Pfarrer der 3 Amtsorte. – Der Diakonus, 60 Jahre alt, 33 Jahre hier, ist in der Jugend im Studieren etwas versäumt worden, ist ein Bamberger Kind. Er ist ein guter Mann, lebt ehrbar, nur daß er sich etwan mit Zechen vor dieser Zeit eingelassen, hat sich aber gebessert. Hat die Form. Conc. unterschrieben, ist in rel. sinc.

Mr. G. Hemminger von Walheim, seit 6 Jahren dort, württembergischer Stipendiat, ist im Leben unsträflich, der Gemeinde anmütig, hat eine feine Lehrgabe; hat die Form. Conc. nicht unterschrieben, da er damals zu Kenzingen von den österreichischen Beamten gefänglich eingezogen gewesen, weil er zu Norttwyl (Kloster Alpirsbach) das Evangelium gepredigt hat. – Pfarrer Joh. Schlayer in Löchgau, ein Tübinger Kind, ebenso Georg Gent von Hessigheim sind württembergische Stipendiaten.

Wir haben schon oben (S. 178) unter den hiesigen Geistlichen einen »seltsamen Kopf« kennen gelernt. Einem desgleichen, ja mehr als seltsamen, begegnen wir zu Mundelsheim in dem damaligen Pfarrer Kaspar Braunmüller 1585–1604, vorher Stadtpfarrer in Besigheim (1578–82 oder 1585). »Er ist 64 Jahre alt, wie er rechnet, andere meinen, er sei 70; ist ein selzamer Mann, wie uns berichtet wurde, war weiland allzu stürmisch in seinen Predigten, kann seinen Eifer nit wol regieren, möchten die zu Mundelsheim mit der Zeit wohl einen andern leiden. Er ist reich, vor dieser Zeit zu viel prächtig gewesen, hat jetzt die vierte Hausfrau. Da ihm die dritte gestorben, hat er 14 Tage nach ihrem Tod einen Bürger von Mundelsheim in der Beicht um seine Tochter, ein junges Mädlin etwan um 16 Jahr, gebeten, selbige ihm zum Weib zu geben. Dieser schlug es ihm ab: wie er ihn dörffe um seine Tochter ansprechen, da er ihn doch aus dem Gericht gebracht und fürgeben, daß er ein Schwarzkünstler sei.« – »Von diesem Pfarrherrn ist auch ein Geschrei vor dieser Zeit umgangen, als hätte er, dieweil er noch in der Ulmischen Herrschaft in ministerio (im Amt) gesessen, einen Todschlag begangen, welches ihm von einem Weib fürgeworfen worden, er aber nicht verantwortet. Diakonus von Besigheim zeigt an, wie er auf Befehl der Obrigkeit den Br., als er noch Pfarrer in Besigheim gewesen, auf dem Feld angeredt (da sie allein mit einander spaziret), daß von Ime gesagt werde, als sollte er einen totgeschlagen haben, darauf jetzgemelter Pfr. zu M. kein einig Wort geantwurtt, sich nicht entschuldigt, soondern darzu allerdings still geschwiegen.« – »Als dieser Pfarrer vor 4 Jahren mit seiner jetzigen Hausfrauen zur Kirch gangen, hat er 4 Stadtpfeifer von Hailbronnen bestellt, die haben müssen vorher gehen und mit Posaunen blasen, haben auch in der Kirch vor dem Altar mit ihren Instrumenten müssen ein weltlich Liedlein machen, ob welchem allem der gemeine Mann sich heftig geäußert hat«. – Ueber Tisch »konferierten die Visitatoren mit dem Pfarrer von den Schwenckfeldischen und Calvinischen Erroribus (Irrtümern); haben sie gleichwohl befunden, daß er in solchen controversiis (Lehrstreitigkeiten) nit sonders experirt (erfahren); hat sich aber doch rundt erklärt, daß er mit deren Irrtum keinem behaft« (sei).

In Giengen a. d. Br., wo Br. früher 5–6 Jahre gewesen (um 1575), bekam er, wie man weiter erfuhr, mit seinem Pfarrer während des Abendmahls Streit. Es kam zu einem ärgerlichen Auftritt, der Pfarrer lief zornig scheltend in dem Chor herum. Der Schulmeister, raschbesonnen, fing an zu singen und ermahnte seine Knaben zu stärkerem Gesang, damit die Gemeinde die Läster- und Schmachworte desto weniger hören möchte. – Von dem dortigen Magistrat, an welchen man sich (1595) wandte, erhielt Br. übrigens ein gutes Zeugnis. Der Pfarrer sei vermutlich auf Br. eifersüchtig gewesen, weil er, Br., in seinen Predigten latinos terminos et vocabula artis (lateinische Ausdrücke und Kunstworte) zu gebrauchen pflegte, als ob er damit für (vor) dem Pfarrherrn bei der Gemeinde hätte wöllen angesehen und für den gelehrtesten geachtet sein (!).

Braunmüller mußte das Spezialat, das er bisher gehabt, an den Spezial von Bietigheim abgeben, wodurch auch eine Dekanatstelle erspart wurde. Er starb im J. 1607 in Mundelsheim.

Der Diakonus von Mundelsheim, Jos. Mirbonius, aus der Herrschaft Hochberg gebürtig, hat in Straßburg und Durlach studiert. Er hält die Schul, ist ein fein liberale ingenium. Beide Kollegen geben einander ein gutes Zeugnis (Kons.R.).

Ueber die Verhältnisse in Löchgau, in der 2. Hälfte des 16. Jahrh., sind wir durch die Akten der Kons.R. etwas ausgiebiger unterrichtet. Bis zum J. 1530 war Pfarrer ... Lips; dann Melchior Hellweck, evangelisch gesinnt. Dann Michael Schaup; nach diesem, als letzter katholischer Pfarrer, welcher die dortige Stelle vom Domkapitel in Speier erhielt, Hauprecht Bindtenhorn von Enzweihingen. Hellweck (Helwig) und Bindenhorn sind damals in Löchgau einheimische Namen. Im J. 1552 wurde Pankratius Breuning dorthin verordnet. Dieser konnte, wie es scheint, seine Stelle nicht antreten und so treffen wir vom J. 1554 an dort den Simpertus Holderbusch. Wenigstens schreibt dieser im J. 1578, er habe in Löchgau 24 Jahre gedient, sei vorher 3 Jahre in Bottwar gewesen und 11 Jahre im Dienste der Herrschaft Schwäb. Hall gestanden. Zur Zeit des Interims sei er seines Dienstes in Ungnade entlassen und von den Spaniern nach dem schmalkaldischen Krieg 3mal geplündert worden. In einem noch vorhandenen Schreiben, datiert Neuenstein, an Petri und Pauli 1548, befiehlt ihm Albrecht, Graf von Hohenlohe in Münkheim, sich zukünftig der alten Lehre gemäß zu verhalten, was bisher nicht der Fall gewesen sei, vielleicht mehr aus Verführung als aus Absicht. Nach der Pensionierung Holderbuschs schlug Württemberg der badischen Regierung als Nachfolger vor den Württemberger Mr. Thomas Löher in Tübingen (weil Baden derzeit mit Geistlichen nicht überflüssig versehen sein werde). Er sei ein »anmutiger« Prediger, der dem großen und volkreichen Flecken wohl anstehen würde. Als Löher am 22. Sept. 1585 starb, bewarb sich um die Stelle Matthias Creßlin, gebürtig von Gemmingen, welcher im J. 1578 seines Pfarrdienstes Richen in der Pfalz enthoben worden war, weil er die irrige Abendmahlslehre nicht hatte annehmen wollen. Er hatte aber damals (1578) wegen der großen Zahl der stipendiarii (Zöglinge des Tübinger »Stifts«) in Württemberg nicht ankommen können. Aus Mitleid, weil er mit seinem Weib und 3 Kindern sehr im Elend, hatte man ihm ein viaticum von 10–12 fl. bewilligt und ihn im übrigen an Baden verwiesen. Nun, nach Löhers Tod, wurde Creßlin für die Pfarrstelle in Löchgau vorgeschlagen und angenommen. Wir erfahren bei dieser Gelegenheit, daß er in der Zwischenzeit Diakonus in Mundelsheim gewesen war.

Creßlin starb 1593 mit Hinterlassung von 9 Kindern, von denen zwei Knaben in Durlach die Schule besuchten, ein dritter war bei einem Schuhmacher in der Lehre. Darauf schlug Württemberg, an welchem die Reihe war, den Pfarrer zu Rietenheim, Mr. Joh. Schlayer, vor. Dieser solle sich nach Durlach und von dort nach Speyer begeben, um sich den dortigen Kapitularen vorzustellen. Das Domkapitel erklärte (wie wohl bisher schon in dgl. Fällen), vermöge seiner katholischen Religion könne es einen Mann Augsburgischer Konfession nicht annehmen und es möchte wohl leiden, bei seiner Kollatur gelassen zu werden. Sollte aber Württemberg die vorgeschlagene Person wider Speiers Willen ernennen, so müsse man es, ihrer derends (dort) habenden Kollatur onabbrüchig, geschehen und gedulden lassen und wie bisher die Besoldung derends verabfolgen.

Nach dem Tode Schlayers bewarb sich dessen Tochtermann, Mr. Jakob Haag, vorher (etwa seit 1605) Pfarrer in Zaisenhausen, früher Diakonus in Mundelsheim, um die Stelle. Er erhielt sie aber erst im J. 1623; zunächst wurde sein Schwager, Mr. Christoph Binder in Winterbach, ernannt.

Aus den Bewerbungsschreiben Haags und Binders erfahren wir, was ersterer 1620 von den feindlichen Soldaten (Verzeichnis seiner Bibliothek, die ihm vernichtet wurde) und letzterer um 1583 in Regensburg während des »Wucherstritts« erlitten. In den Akten der 2. Hälfte des 17. Jahrh. begegnen wir auch dem Pfarrer Ludwig Brunnquell, 1663 zu Asperg, welcher um 1579 von seinem Amt »wegen fovierten (begünstigten) Chiliasmi« entfernt wurde; ferner dem Pfarrer Cleß zu Bissingen (seit 1690), welcher uns die Reihe seiner Ahnen von 1529 an vorführt (Kons.R.).

Das Verhältnis der Geistlichen zu der weltlichen Obrigkeit sowie zu der Gemeinde war im ganzen ein freundliches. Doch fehlte es nicht an Ausnahmen. Schon vor Zeiten konnte der Laie scharfe Predigten nicht wohl ertragen, namentlich nicht, wenn sie mit allzudeutlichen Anspielungen gewürzt waren. So meint denn schon die Freudenthaler Dorfordnung (1626): »Der Pfarrer soll keine privataffect (persönliche Dinge) uf die Canzel bringen, sondern mere (lediglich) bei dem Text verblieben, ihn kürzlich expliciren und seine nützliche Lehren drauß geben, mit Sprüchen der heiligen Schrift confirmiren und beweisen und sich also darmit erzaigen, daß der gemaine Mann und unverständige Lay solche fassen und behalten möge.«

Barbier Hermann hier wird wohl nicht bloß seine Privatmeinung ausgesprochen haben, wenn er von dem damaligen Pfarrer sagte (G.P. 1716): wenn der Pfarrer mit seinem scharpfen Predigen fortfahre, werde es ihm gehen wie dem Spezial zu Blaubeuren, welcher abgeschafft worden sei. Es sei eine Schand, wenn fremde Leute hereinkämen; der Herr Prälat (Hochstetter) sei auch Pfarrer allhier gewesen, aber der habe Trost- und Vermahnungspredigten abgelegt, Herr Drommer auch. Sie hätten aber nicht so geschmäht wie der jetzige. – Auch der Magistrat beklagt sich damals bitter über den Pfarrer und will um einen anderen einkommen; der jetzige habe alles Vertrauen verloren; viele Bürger wollten ihn nicht mehr zum Beichtvater haben. Er sei gar zu scharf auf der Kanzel, stelle die Magistratspersonen persönlich bloß etc. (1719).

Pfarrer Julius Fried. Tueffert ist gemeint, ein Mömpelgarder, vorher concionarius Gallicus, französischer Prediger der reformierten Gemeinde zu Cannstatt (1706–15), nachher (1721–45) in Beilstein, Kornwestheim, Lamprechtshausen, Altensteig. Des Deutschen noch zu wenig mächtig, überließ er anfangs die Kanzel dem Diakonus. Er muß aber rasche Fortschritte im Deutschen gemacht haben, wie einige seiner Predigten beweisen, welche der Diakonus im Auftrag der Behörde nachschrieb. Die Sprache Tuefferts riecht wahrlich nicht nach der Studierlampe, wohl aber schmeckt sie bedenklich nach dem Markt und der Gasse. Er scheute sich nicht, seine Zuhörer mit allerlei Schnurren zu unterhalten, so daß die Mauern des Gotteshauses gar manchmal von unheiligem Gelächter widerhallten.

So machte er zu dem Wort Marias: »Dein Vater und ich haben dich mit Schmerzen gesucht« die Bemerkung: »Maria machte es nicht wie jener gottlose Mesner, welcher, als man ihn fragte, wie viele Geistliche am Ort seien, antwortete: drei, der Spezial, Ich und der Helfer«. – »Jener Schultheiß beklagte sich im Namen seiner Bürger über die einerlei Predigt seines Pfarrers. Als es aber zum Verhör kam, wußte keiner auch nur den Anfang seiner Predigt. Dem Pfarrer wurde nun auferlegt, er solle seine Predigt noch ein Jahr oder so lang repetieren, bis seine Bauern den Anfang wüßten«. – Wenn man ihn verklagen sollte, so will Tueffert angegeben haben: Tag, Monat, Jahr, Text, Eingang, Thema und Zusammenhang der betreffenden Predigt; dann will er sich auf Verantwortung einlassen. Kraft seines guten Gedächtnisses werde er noch alle Umstände wissen. Im übrigen wolle er so lange »teutsch« reden, bis man ihn nicht mehr den »welschen Pfaffen« heiße.

Diese Proben, welche noch verhältnismäßig harmlos sind, werden genügen, den Mann zu kennzeichnen. Er mußte sich denn auch bald ein anderes Feld seiner Tätigkeit suchen.

Derartige Vorkommnisse waren glücklicherweise Ausnahmen, welche die Regel, nämlich ein friedliches Verhältnis zwischen den Geistlichen und der Gemeinde, bestätigen.

Damals nahm man noch keinen Anstoß an Dingen, welche heute nicht möglich wären. So pflegten die Geistlichen ihren Wein selbst auszuschenken, dazu noch im Haus. Allerdings, als der Diakonus von Löchgau einigemale Wein ausschenkte »wie andere Wirte«, dünkte es der Gemeinde unziemlich (1601). Hier scheint derartiges noch später kein Bedenken erregt zu haben.

Einem aufziehenden Geistlichen fuhr man mit einer stattlichen Anzahl von Gefährten entgegen. Die Stadt pflegte dann ein festliches Mahl zu spenden. – Als der Pfarrer (16. Aug. 1688) seine »Eheliebste« heimführte, warteten 10 »Musquetiere« mit dem Gewehr auf und gaben ein Salve.

Die Pfarrbesoldung besteht vor und um 1644 in Geld von der G.V.: 140 fl.; Roggen: 10 Speirer Malter = 6 Scheff. 4 Sri.; Dinkel: 30 Malter = 19 Scheff. 4 Sri.; Haber: 5 Malter; Wein: ein großes Besigheimer Fuder = 6 Eimer 6 Imi 6 Maß; Holz: 2 (1587: 1) Bürgergaben, uff drei Wagen voll Holz; Gartenzins 2½ fl.; Behausung samt Gärtlin; für die verschenkte Pfarrwiesen 2 Scheff. Dinkels. Endlich bezog der Pfarrer den kleinen Zehnten. Aus einem Verzeichnis in der St.R. vom J. 1730 ergänzen wir noch: Neujahrsgeld von der Gemeinde 1 fl.; Aemterersetzung: wann eine Ratsstelle besetzt wird, gibt der Neugewählte statt der sonst üblichen Einstandsmahlzeit 50–60 kr.; Kinderexamen 3 fl., Kirchenvisitation 45 kr., Schulvisitation 2mal je 45 kr., für eine Leichpredigt 1–2 fl., eine Proklamation 1 fl. Dazu noch einige Güterstücke von der Gemeinde; in allem in Geld gegen 330 fl.

Vom alten Kirchhof hatten sich (um und vor 1646) der Schulmeister und darnach der Pfarrer je einen Teil zur Beinutzung »arrogiert« (angemaßt). Eigentlich war die Nutznießung der Friedhöfe, um welche sich nach V.B. 1601 an drei Orten der Diözese Pfarrer und Schulmeister stritten, ein Recht der letzteren, bei Menschengedächtnis (ebenda). Auch wenn jemand Tuch darauf auslegen und bleichen wollte, habe man immer den Schulmeister-Mesner um Erlaubnis bitten müssen.

Wir können hier gleich auch das Nötige über das mit dem Pfarramt so eng verbundene (s. oben) Mesneramt sagen. Nach dem L.B. dürfen B.M., Gericht und Rat mit Vorwissen eines U.Vogts einen Mesner annehmen, der mit dem Stab verglübdet wird. Seine Besoldung erhielt der Mesner von der G.V., welche ja auch den Schul- und Mesnerzehnten an sich gezogen hatte. Er bekam (1587 ff.) 2 Pfd. 16 sch. (=2 fl.) in Geld und je 4 Malter Roggen und Dinkel.

Der Mesner war stadtfronfrei und hatte am Gabholz und an der Allmand Teil wie ein Bürger. Kamen zwei ledige junge Leute ehelich zusammen und hielten zu Besigheim Hochzeit, so erhielt er 1 sch., von zweien im Wittibstande 2 sch.; war ein Teil ledig, der andere nicht: 1 sch.; außerdem von allen Hochzeiten eine Morgensuppe oder 2 Batzen. Von der Stadt erhielt der Mesner für das Richten der Rathausuhr 6 fl. Für das Läuten des Rathausglöckleins bezog er (seit 1693 bis ins 19. Jahrh.) ein jährliches »Fruchtgratial«, welches ihm die Stadt freilich einmal zu entziehen drohte, weil man erfahren, daß er das Läuten nicht selbst besorgte, sondern durch »Schulerbueben und junge Purst, die bei der Kirche herumschwärmten«.

 

4. Das kirchliche Leben. Zeit der Gottesdienste am Sonntag: Vorm.-Predigt sommers und winters ½9 Uhr, Katechisation ½12 Uhr; Abendpredigt 1–2 Uhr (um 1700). Der Kirchenbesuch wird bis in das 18. Jahrh. mäßig gelobt. Der Wochengottesdienst ist z. B. 1654 und 1684 überall in der Diözese nicht gut, der Gottesdienst am Sonntag ist ordentlich besucht, ausgenommen die Katechisation (Christenlehre). Im J. 1734 und 1748 ist der Besuch an Fest- und Sonntagen fleißig; an Feiertagen läuft jedermann auf die Märkte in der Nachbarschaft. In der Woche ist es unterschiedlich, je nach den Feldgeschäften. Auch die Ehrbarkeit geht durchaus nicht so, wie sie sollte, mit gutem Beispiel voran. – Die Mittwochs-Betstunde und Freitags-Kinderlehre ist (1758) fast nur noch von Schülern, höchstens noch von 3–4 Erwachsenen besucht. Einer bitteren Klage des Diakonus Faber um 1730 entnehmen wir: Die Betstunden, Abendpredigten und Bibellektionen sind unglaublich schlecht besucht. In den letzteren ist oft kein Mann zu sehen. In den Abendpredigten kann der Prediger die Leute von der Kanzel aus zählen. Auch die Magistratspersonen kommen nicht fleißig, weder an langen Sommer- noch an kurzen Winterabenden. Kommen je einmal mehr als sonst, so verschlafen sie meist das gehörte Wort. Heute z. B. war trotz liebreich-ernster Ermahnung und Rüge am letzten Sonntag von 24 Mitgliedern nur ein einziger Richter in den Richterstühlen. Die übrigen Männer- und die meisten Weiberstühle standen leer. Der Ekel an Gottes Wort ist so groß wie weiland der Ekel Israels am Mannah etc.

Leute, welche in Jahr und Tag weder in die Kirche noch zum Abendmahl kamen, gab es auch früher schon, wenngleich vereinzelt. Solche werden dann wohl (nach To.B.) »ohngepredigt und ohne Gesang und Gläut begraben; wie sie sich lebendig unser nicht annehmen wollen, wir auch sie tot fahren lassen und Gott befehlen«.

Gegen das Ende des 18. Jahrh. lautet das Urteil auf einmal anders, z. B. 1794: »Die Gemeinde hat eine Begierde nach Gottes Wort, was sich in fleißigem Besuch der Gottesdienste zeigt.«

In den K.K.P. des 17. und 18. Jahrh. wird häufige und bittere Klage erhoben über störende Unordnungen während dem Gottesdienste selbst. Da werden z. B. (1700) zwei Frauen vorgefordert, welche in der Abendpredigt ein großes Gelächter und freches Benehmen an den Tag gelegt. Die Honoratioren bezeugen eine Vorliebe für den Stand bei der Orgel und dem Gesang, wo sie hin und wieder laufen und die Andacht stören (1758). Die jungen Männer schwatzen während der Litanei und unter der Beichte (1698). Die Schuljugend und die ledigen Burschen halten sich gern im Glockenhaus auf; dort und in der Nähe ist der größte Unfug, da wird geschwatzt oder gar Karten gespielt. Sie werden daher 1787 von der »Bohrkirche« in den Chor gewiesen, wo früher (16. und 17. Jahrh.) »Schueler« standen. »Fremde (heißt es im K.K.Pr. 1758, wo alle Mißstände in Hinsicht auf den Gottesdienst ausführlich zusammengestellt sind), die hier in der Kirche waren, haben sich schon oftmals darüber geärgert und ihr Mißfallen mit großem Widerwillen geäußert, so daß die Gemeinde darüber stinkend gemacht wird«.

Es wird daher um 1701 den jungen Burschen ein »Inspektor«, einige Jahre später der Bettelvogt und der Mesner zur Aufsicht gesetzt, da sie durch ihr tumultuarisches Benehmen jede Andacht stören. Für die »Kirchenschläfer« wird ein »Kirchencensor« aufgestellt, welcher umhergehen und »mit guter Modesti die Leute wecken, aber ehrlicher alter Leute und schwangerer Frauen schonen soll« (1695). Im J. 1763 aber sind keine Censoren bestellt, »weil sich niemand dazu will brauchen lassen.«

Diese Unordnungen mögen zum guten Teil damit zusammenhängen, daß der Kirchenbesuch früher keineswegs Sache der Freiwilligkeit, sondern des Zwangs war; außerdem dauerten die Gottesdienste sehr lang und waren zahlreicher als jetzt. Da sollte jung und alt etwa von 9–11 Uhr die Predigt, von 12–1½ die »Katechisation«, von 2–3 (3½) Uhr die »Abendpredigt« besuchen – ein bißchen viel auch für die Leute der »guten alten Zeit.« – Die Aufsicht über den Kirchenbesuch übte der » Umgang«, aus, etwa 2 vom Gericht und 2 vom Rat, welcher die Häuser nach Säumigen abzusuchen und dieselben in der Sakristei anzuzeigen hatte. »Der Umgang wird gehalten«, heißt es regelmäßig in den Pf.B., »aber es wird nichts angezeigt.« – Unter währendem Gottesdienst sollten die Tore beschlossen bleiben und niemand ohne ein »Attestat« vom Pfarrer oder Vogt ausgelassen werden, abgesehen von Notfällen und – von Leuten höheren Stands. Die Rotzbuben und Viehhirten hatten vor der Predigt einzufahren, die Fergen sollten niemand übersetzen, höchstens Fremde oder solche, die zum Apotheker oder Barbier eilten. Flößer, die gerade hier lagen, sollten zur Zeit des Gottesdienstes nicht ihrem Geschäft nachgehen, sondern die Predigt besuchen. Junge ledige Buben, die noch nicht gehuldigt hatten, wurden sogar im Fall des Ausbleibens bedroht, entweder auf dem Rathaus gestrichen oder ins Narrenhäusle gesetzt zu werden (1707).

Aber diese Verordnungen fruchten im allgemeinen wenig. Die Müller schicken auf ihren Eseln ihr Mehl über Feld, die Handwerksleute arbeiten am Sonntag, wie wenn es Werktag wäre; ungescheut wird über Feld gefahren, gelaufen und geritten. Die jungen Leute spielen (unter der Kelter, im Kelterstüble, beim Pulvertürmle) Karten, Würfel, Kegel, verbergen sich während dem Gottesdienste und machen nachher wieder fort (18. Jahrh.).

Der Erbauung wenig förderlich war die Sitte, allerlei weltliche Dinge, z. B. Versteigerungen, Haus- und Güterkäufe u. dgl., am Sonntag durch den Stadtknecht vor der Kirche, gleich nach dem Gottesdienst, der Gemeinde zu verkündigen. Die Geistlichkeit trug öfters, z. B. 1785, auf Abschaffung dieser Unsitte an, aber ohne Erfolg.

Eine Kirchenmusik bestand hier von jeher. Es gehörten zu ihr der Stadtzinkenist mit Gehilfe(n) und männliche und weibliche »Choristen«. Die Teilnehmer waren personalfrei (ausgenommen Jagdfronen) und erhielten bis 1766 eine kleine Ergötzlichkeit von wechselnder Höhe, später eine feste Besoldung. Dazu gehörte ihnen das auf der Orgel fallende Opfer, abzüglich 4 fl. 10 kr. für den Provisor, für die »Führung des Chorals«.

Genannt werden 1 Bassist, 1 Tenorist, 2 Altistinnen, 2 Diskantistinnen, 3 »Instrumentalmusici« (Violinisten). Die Orgel ward von dem Zinkenisten und von Posaunenbläsern begleitet. Das » directorium musices« hatte einer der Schulmeister.

Ueber den Kantor vgl. B.M.R. 1757/58. Der Orgeltreter hat 1700 2 fl. jährlich nebst Personalbefreiung.

Die Kinderlehre. Nach V.B. 1601 wird die »Katechese« oder die Haustafel »gemeinlich uff Mittag der Jugend zu gutem gepredigt«. Nach der Predigt werden 2 Kinder aufgestellt, welche den Katechismus von Anfang bis zu End laut fürsprechen. Im Winter wird darauf die Jugend entlassen. Im Sommer aber wird noch »examiniert«, aber es wird unterschiedlich gehalten. An einem Ort treten alle Kinder aus den Stühlen und einige Kinder werden examiniert, an andern Orten wechselt man um von Hausgesind zu Hausgesind, nach der Wachtordnung. Hier werden nur die Kinder, dort alle ledigen Leute examiniert. Etliche (Geistliche) entlassen die Gemeinde gleich, wann der Katechismus aufgesagt ist, da der Ußlauf doch groß ist, wann man schon begehrt, die Gemeinde beisammen zu halten.

In den Aemtern Besigheim und Mundelsheim hat es, seithero sie markgräfisch gewesen, den Brauch, daß gleich nach gepredigtem und repetiertem Katechismus die Gemeinde entlassen wird. In Besigheim wird allweg zu End der Mittagpredigt etlich Hausgesind verlesen, das sich zum Examen bei den Geistlichen meldet.

Bei der Sonntagskinderlehre sollte früher die ganze Jugend d. h. sämtliche unverheiratete Personen vorstehen oder wenigstens erscheinen; Verlobte waren aber dispensiert. Bei der großen Zahl der Pflichtigen beiderlei Geschlechts war man freilich bald genötigt, nicht nur mit den Söhnen und Töchtern abzuwechseln, sondern auch noch Klassen oder »Rotten« zu machen. Die über 24 Jahre alten Pflichtigen brauchten nicht mehr vorzustehen, wenn sie zuvor ein »Examen ußgestanden«, hatten aber gleichwohl anzuwohnen (1758). Aehnlich war es mit den »Weibsleuten« über 18 Jahren.

Man hatte aber jederzeit Mühe, einen einigermaßen vollzähligen Besuch aufrechtzuerhalten, trotz Bestrafung mit Geld (15 kr. – 1 Pfd. = 43 kr. ins Almosen) mit dem Turm oder mit dem »Zuchthaus« oder endlich (bei Jüngeren) mit Prügeln auf dem Rathaus (1747). Schon um 1690 werden die über 25 Jahre alten, wenn sie kommen, von ihren Kameraden als einfältig ausgelacht. Oder knüpfen sie (1729) ihr Erscheinen an die Bedingung, daß dann alle Ledigen, auch die fremden Handwerksburschen, zu erscheinen hätten – eine Forderung, die als billig zugestanden wurde. – Auch Honoratiorenkinder sollten kommen (K.K.Pr. 1758), was freilich nur teilweise erreicht wurde. – Im J. 1791 wird die Pflichtigkeitsgrenze bei den ledigen Burschen auf das 20te, bei den Mädchen auf das 18te Jahr herabgesetzt (wegen Platzmangels).

Der Unterricht selbst hieß früher »Examinieren«. Neben der württembergischen Kinderlehre wurde wohl auch abwechslungsweise der braunschweigische Katechismus »traktiert«, z. B. 1807. Die Gemeinde fand ein Wohlgefallen daran.

Das » jährliche Pfingstexamen« (»Kirchengebett«) ist im J. 1601 noch nicht, aber bald hernach in Uebung. Es wird im J. 1744 (1763) in 10 (4) Rotten an 10 (4) Sonntagnachmittagen in der Kirche abgehalten. Die Kinder sagen einen Psalm und ein Lied auf, 20 Paare sprechen den Katechismus. Zur Belohnung erhalten alle, welche »gebettet« haben, einen »Bettwecken«.

Wegen des Bettweckens gab es um 1750 einen drolligen Prozeß. Dieser Ausgabeposten war nämlich im Laufe der Zeit zu einer unwahrscheinlichen Höhe aufgeschwollen, bis auf 30 und 40 fl. Irgend einem Revisor fiel die Sache endlich auf. Es stellte sich nun heraus, daß nicht bloß Kinder, welche wirklich »gebettet« hatten, sowie ledige Personen und Dienstboten Wecken bekamen, sondern auch jede Haushaltung bezog ein Paar, nicht weniger Witwer und Witfrauen für ihre verstorbenen Ehehälften. Auch der Pfarrer, der Diakonus, der G.V. und der Mesner hatten sich an diesem Bettwecken »gewärmt«. Die beiden ersteren bezogen je 3 fl., der G.V. 2 fl. (der Mesner 1 fl. 17½ kr.) für ihre Mühe, außerdem je noch 40 kr. für Wecken, 30 kr. für einen »mirben Kuchen«, der Präzeptor und der Provisor auch 40 kr. Das sei aber, wurde eingewendet, laut Rechnungen der G.V. von 1599 an, keine »alte Observanz«, sondern ein Mißbrauch, der sich erst seit einigen Jahrzehnten eingeschlichen habe. Obigen Personen wurde daher sämtlich nicht allein ihr Bezug abgesprochen, sondern auch das ernstliche Mißfallen der Behörde ausgesprochen. Daran änderte auch der (nicht unbegründete) Einwand nichts, daß die das »Examen« leitenden Personen viel Mühe und Zeitversäumnis hätten. Der »Bettwecken« blieb »abgestrickt«, trotzdem sich das Konsistorium für die Geistlichen und Schuldiener verwandte (1744). – Auch die Bürgerschaft mußte wohl oder übel auf diese Ergötzlichkeit verzichten. Auch sie machte eine alte Observanz für sich geltend, wonach die Eltern und Geschwister der Kinder, auch Anverwandte, je 1 kr. oder einen Wecken bekommen hätten. Würde ihnen der entzogen, so wolle man auch nichts mehr in den Klingelbeutel opfern. Sie hätten so wie so viele Fuhr- und Handfronen zu den geistlichen Gebäuen zu leisten.

Das hl. Abendmahl. Bei der Anmeldung (persönlich beim Beichtvater im Haus) werden die jungen Leute (1747) aus dem Katechismus und über die Glaubenslehre examiniert. Die Erwachsenen werden befragt über ihren Hausgottesdienst; ferner, ob sie eine Bibel haben und drin lesen, wie sie mit Freund und Nachbar stehen, ob es ihnen auch ernstlich um Gott und ihre Seligkeit zu tun sei; die Eheleute, wie sie mit einander stehen. – Die Beichte wird für die Beichtkinder des Pfarrers in der Sakristei, für die des Diakonus in der Kirche vorgenommen.

Die Eheordnung wurde jährlich zweimal verlesen; Brautpaare, die sich zur Trauung meldeten, wurden aus dem Katechismus examiniert.

Wegen des neuen Gesangbuchs (vom J. 1791)gab es am Pfingstfest 1794 Unruhe und Störung des Gottesdienstes. In der Gemeinde herrschte große Aufregung gegen die beiden Geistlichen, auch der Rat war renitent. Die Regierung bewilligte eine einjährige Frist; solange sollten Lieder gesungen werden, die im alten und im neuen Ges.-Buch stünden.

 

5. Das religiöse Leben. Die Regsamkeit des kirchlichen Lebens ist bekanntlich kein sicherer Gradmesser für das religiöse Leben. Doch gilt dieser Satz weit mehr für die Gegenwart als für die alte Zeit, in welcher das Christentum des Laien viel mehr an die und in den Formen kirchlichen Lebens gebunden und persönlich-selbständiges Christentum noch weniger entfaltet war als heutzutage. Das wird anders etwa von den 1770er Jahren ab: zugleich werden die Urteile über den religiösen Stand der Gemeinde anerkennender, überhaupt die Mitteilungen hierüber ausgiebiger. Das alles steht in unverkennbarem Zusammenhang mit dem Aufkommen des Pietismus.

Im J. 1731 lesen wir z. B. noch: während die Kirchen- und Schuldiener des Bezirks durchweg zu loben sind, auch die Regierung weise und wohlgemeinte Verordnungen gibt, ist doch beim Laien so gar selten eine Frucht des Reiches Gottes zu sehen. Die greulichsten Laster (Fluchen, Sabbatschänden) herrschen gewaltig; das Volk geht dahin in der Tollheit des Weins, in Unzucht und Grimm gegen einander. V.B. 1744: »Es gibt wenig wahres und tätiges Christentum. Zwar hat es conventicula (Gemeinschaften) in Bietigheim, Sachsenheim und Groß-Ingersheim, die sich davor ausgeben, Gott mit redlichem Herzen zu dienen. Aber Spezialis sieht keine Kraft davon; ist es anderswo damit nicht besser als in dieser Diözese, so gewinnt Gott wenig mit diesem Namen, der doch hier herum so großes Aufsehen macht« (ähnlich auch Pf.B. 1755, 1760 etc.).

Im Pf.B. 1791 lesen wir dagegen: »Viele wenden sich durch ernstliche Buße zum Herrn, meiden vorige Sünden, erstatten ungerechtes Gut, sind der Obrigkeit gehorsam, in der Arbeit fleißig, im ganzen Betragen liebreich«; 1793: »Der Segen des Wortes Gottes zeigt sich im Wachstum der Erkenntnis, auch mancher Kraft auf dem Totbette«.

Weniger gut steht es nach den Napoleonischen Kriegen. Geklagt wird namentlich über die Entheiligung des Sonntags. Aber welch böses Beispiel werde da von der Behörde gegeben, welche auf diesen Tag Jagd- und andere Fronen lege, so daß die Leute, um die verlorene Zeit hereinzuholen, die Wochengottesdienste versäumen! Die zum Militär Eingezogenen tragen Kälte gegen die Religion zur Schau. »Viele aus dem Volk haben so viel Aufklärung, um zu wissen, daß man ehemals auf das Aeußere der Gottesverehrung in der Kirche, ohne die wahre und innere, zu viel gehalten und daß jene ohne diese wertlos sei. So machen sie sich von jenem vermeintlichen Aberglauben los« (doch stehe es in dieser Diözese mit der Sonntagsheiligung im ganzen noch gut). – Nach V.B. 1814 kam die Not der Zeit dem religiösen Sinn nicht zu gut. Sie gab ihm viel eher einen niedrigeren als einen höheren Schwung. – Drei Jahre später wird dagegen berichtet, daß nach Ansicht der Geistlichen die drückenden Zeiten den religiösen Sinn eher gehoben als niedergedrückt haben, teils an sich, teils in Verbindung mit der eingetretenen Hilfe. Reiche Armenspenden sammelten sich an manchen Orten wie von selbst; der erste Fruchtwagen wurde überall mit allgemeiner Rührung und tausend Dankestränen eingeholt. Die Kirchen waren beim Gottesdienst überall gedrängt voll. Das 300jährige Jubiläum der Reformation, besonders die Feier für die Schulkinder, ließ überall tiefe Eindrücke zurück (vgl. hiesiges K.K.Pr. 1817, S. 309-313, 320-322; 1818, S. 32-34).

Das Gemeinschaftswesen. Der » Privatversammlungen« gedenkt zum erstenmal der V.B. 1773. Diakonus Seiz hat seine Versammlungen im Sommer mit abgeteiltem Segen (und unter mancherlei Anfechtungen besonders durch Vogt Essich) bei geringer Beteiligung gehalten. Ob sich hier Liebhaber finden werden? Wird sich zeigen. V.B. 1779: am Samstag hält Diakonus Versammlungen mit Männern und Weibern abwechselnd. Behandelt wird die Sonntagsepistel; auch wird aus erbaulichen Büchern je und je vorgelesen. Die Zahl der Teilnehmer nimmt eher ab als zu. Es geht ordentlich und den gesetzlichen Bestimmungen gemäß zu. Im J. 1787 heißt es: es gehen seit einigen Wochen auch etliche Männer am Sonntag abend 5-6 Uhr zum Lesen einer Predigt ins Helferhaus (ebenso 1789).

Obwohl die Zahl immer noch eher ab- als zunehmen soll, sind es 1794 doch auf einmal 14 Versammlungen: 5 Männer-, 5 Weiberstunden, 1 der ledigen Söhne, 3 der Töchter. Die durchschnittliche Anzahl beträgt je 8-10, höchstens 15 Personen. Zeit: Sonn- und Feiertage. Pfarrer und Diakonus besuchen die Versammlungen von Zeit zu Zeit. Im Hause des Diakonus sind keine Versammlungen mehr. Derselbe hat für gut befunden, den Teilnehmern gewisse Häuser anzuweisen, wo sie sich in der Stille erbauen können.

Das heißt: die »Privatversammlungen« wurden durch den Diakonus eingeführt und die Sache wurde soweit gefördert, daß dieselben etwa vom J. 1793 an auf eigenen Füßen stehen konnten. Im Jahre 1797 sind es im ganzen 5 Versammlungen, 1799: 2, je eine der Männer, eine der Weiber, Teilnahme durchschnittlich 15-20 Personen; 1802:3, je 18-25 Personen, ebenso 1806 ff. Ort: die deutsche Schule; Zeit: sonntags nach dem Gottesdienst oder an einem Wochentag. Im J. 1818 bestehen fast an allen Orten der Diözese »Stunden«, im ganzen 26. Gesamtzahl der Teilnehmer 1814: 370, 1815: 370, 1816: 385, 1817: 440, 1818: 400, 1820: 363.

Wie es mit der häuslichen Erbauung stand, wird nirgends berichtet; wir können uns aber darüber ziemlich genau unterrichten durch Rückschluß aus den Büchern religiösen Inhalts, welche sich jeweilig im Besitz des gemeinen Mannes finden. Wir verweisen in dieser Beziehung auf die Protokolle der Inventuren und Teilungen, in welchen regelmäßig auch etwa vorhandene Bücher aufgeführt werden (von 1575 an). Anfangs fehlen Bücher meistens, später, im 18. Jahrh., besitzt doch so ziemlich jedes Haus eine Bibel (oder Bibelteile), ein Gesangbuch und eine Kinderlehre, d. h. diejenigen Bücher, welche in der Schule gebraucht wurden. Sonst sind die vorhandenen Schriften – fast ausschließlich religiösen Inhalts – ein getreues Spiegelbild der jeweiligen erbaulichen Literatur überhaupt (vgl. des Verfassers Artikel in »Blätter für Württ. Kirch.-Gesch.« 1909).

 

6. Kirchliche Organisation. Im J. 1578 ist der Sitz der » Superattendenz« (des Dekanatamts) für die Aemter Besigheim und Mundelsheim in Pforzheim, 1595 in Mundelsheim, 1595-1813 in Bietigheim. Zum Dekanatamt Bietigheim gehörte außerdem noch das Amt Sachsenheim (Groß- und Klein-Sachsenheim und Metterzimmern).

 

7. Der (»das«) Kirchenkonvent (»Kirchenzensur«), bestehend aus den beiden Geistlichen, dem Vogt und den Mitgliedern des Waisengerichts, war »ein mit Strafbefugnis ausgestattetes christlich-pädagogisches Institut, betraut mit der Verwaltung des Kirchenvermögens und der Beaufsichtigung des kirchlichen und des sittlichen Lebens«. Der Wert desselben war, je länger je mehr, sehr zweifelhaft; seine Autorität hing gutenteils ab von der Haltung des weltlichen Beamten und von dessen (nicht immer) gutem Willen, den Beschlüssen des Kollegiums durch die Macht des weltlichen Armes Nachdruck zu verleihen. In dieser Beziehung führt bittere Klage der V.B. 1734; aber schon 1682 heißt es hier: »Die Kirchen- Censur ist fast ein ludibrium (Gespötte); die Leute sind trutzig und ungestüm, Vogt schweigt zu allem stille. Die Leute denken und sagen: was darf mich der Vogt strafen, weiß er nicht selber, was er ist?!« Noch schlimmer war es um das Ansehen dieser Einrichtung bestellt zur Zeit des Vogts Essich (1750er Jahre, vgl. Dek.R. und J.A.).

 

8. Andersgläubige (»Dissidenten«). Katholiken finden sich teils unter den Dienstknechten, teils unter den Beisitzern. In den Jahrzehnten nach dem 30jährigen Krieg treten sie etwas zahlreicher auf, aber schwerlich wird sich ihre Zahl jemals auf mehr als ein halb Dutzend belaufen haben. Man ließ sie allem nach in Ruhe. Solche, welche hier dauernd ihren Aufenthalt nahmen, hielten sich oft an den evangelischen Gottesdienst; nicht selten sind die Fälle, wo einer schließlich ganz übertrat, mochte es auch erst auf dem Totenbett sein.

Eine wiedertäuferische Bewegung machte sich um die Mitte des 16. Jahrh. bemerklich, wie wir oben gesehen haben. Später begegnen uns ein paarmal Personen, welche sektiererische Neigungen zeigen. So wird z. B. um 1700 einer, welcher zum Aergernis der Leute schon seit langem nicht mehr zu Kirche und Altar kommt, darüber vom K.K. verhört. Er führt aus: sein Gott lasse ihm nicht zu, mit so vielen gottlosen Leuten zur Kirche und zum Nachtmahl zu gehen. Er halte im übrigen Gottes Wort, auch das Predigtamt in seinem gebührlichen Respekt und suche mit andern seinesgleichen »eine reine gmein«, bei der er das Wort hören und das Nachtmahl nehmen könne. Wolle man ihn zwingen, so wolle er lieber seinen Kopf hergeben.

Von einer hartnäckigen Wiedertäuferin hören wir im J.1600. Der U.Vogt hatte sie an die Kette legen lassen. Die Angehörigen baten bei der Regierung, man möchte sie zu ihnen lassen, da sie alt, krank und kindisch sei und niemand mehr verführen könne. Der Pfarrer und der U.Vogt befürworteten diese Bitte. Ersterer hatte drei Jahre vorher ein Verhör mit ihr anstellen müssen: wodurch sie glaube, daß man selig werde? Sie: durch Rechttun. Er: alle unsere Werke sind unvollkommen. Sie: sie glaube, daß man einig durch Christi Verdienst selig werde. Gr: durch welche Mittel? Sie: durch das gepredigte Wort Gottes, das in uns den Glauben und die Bekehrung wirkt. Er: ob sie die Predigt göttlichen Worts für das Mittel halte, wodurch der Glaube in des Menschen Herz angezündet und gepflanzt werde? Sie hat solches, ob sie schon mit Gottes Wort überzeugt (überwiesen) worden, beharrlich verneint. Betreffend das Sakrament »des Dauffs« meinte sie: wenn man denselben recht brauch nach Christi Einsetzung, so halte sie viel darauf. Aber daß derselbe den jungen Kindern nutz sein solle, die nie Gottes Wort gehört, noch den Glauben haben können, glaube sie nimmermehr. – Von dem hl. Nachtmahl hielt sie »gut widerdauffisch«: es sei nicht mehr als Brot und Wein; wenn man es empfange, sei es nicht mehr als ein Gedächtnus des Leidens Christi. So sei unser Nachtmahl nicht der Stiftung Christi gemäß, denn Christus in Reichung selbigen den Jüngern nicht Hostien oder solche kleine »Kuechlin«, sondern Brot geben hat, mit angehängter Lästerung (man verzeihe mir's, das zu schreiben), wenn man da den Leib Christi empfänge und äße, so wäre längst nichts von ihm übrig, sondern schon vor etlich hundert Jahren gessen worden. Aber obwohl ihr die Gegenwart und das Essen des Leibes Christi genugsamb erklärt worden, war es doch alles vergeblich. – Unsere Versammlungen hält sie für keine Kirch und Gemeinde Gottes, weil darin viel gottloser Leut gefunden werden und kein Kirchenbann darin gehalten wird.

Den obrigkeitlichen Stand läßt sie gleichwohl als eine Ordnung Gottes passieren. Daß man aber Huldigung tun und im Notfall schwören soll, das sei Gottes Wort zuwider. Obwohl sie auch hierüber belehrt wurde, blieb sie doch bei ihrer Meinung beständig. – Ueber die übrigen strittigen Artikel wollte sie mir keine Antwort geben; sie lasse alles in seinem Wert bleiben. Ein jeder Mensch müsse vor Gott seines Glaubens, Tuns und Lassens halben Rechenschaft geben, mit fernerem Vermelden, sie möchte wünschen, daß Euer Fürstl. Gnad, sie selber anhörte, wo dann dieselbe verhoffentlich weder an ihrem Glauben noch Leben etwas tadlen kündte. (Bericht Pfarrers und Vogts vom 13. Nov. 1597).

Die Regierung entschied (16. Nov. 1597): es sei mit ihr wie mit andern dgl. verstockten Personen zu verfahren; man solle sie an eine Kette legen und bedrohen, wenn sie sich nicht bessere, werde sie dereinst »ohne geleut und predig« begraben werden.

Der Bitte der Verwandten (s. ob.!) willfahrte die Regierung; doch solle gute Achtung gegeben werden, daß niemand durch sie verführt werde (10. Apr. 1604).

Die Juden hielt man sich vom Leibe (vgl. oben S. 18).


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