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22. Kapitel.
19. Jahrhundert und Gegenwart.

Mit dem 19. Jahrhundert, genauer, mit dem Abschluß der Napoleonischen Zeit, beginnt, wie für Reich und Land, so auch für unsern Bezirk und Ort, eine neue Zeit. Schranken fallen, Bande lösen sich, Formen zerbrechen, Altes wird abgetan und neue Entwicklungslinien nehmen ihren Anfang. Denken wir nur, um von vielem andern abzusehen, an alle die Formen und Ordnungen, welche das wirtschaftliche Leben vorher beherrschten, banden. So angesehen stellt sich die alte Zeit, etwa von 1815 an rückwärts bis ins Mittelalter, als eine in sich abgeschlossene Größe dar, als eine Zeit der starren Beharrlichkeit zwar nicht aller, aber doch der Verhältnisse, welche für eine ländliche Gemeinde vorzugsweise in Betracht kommen. Wie z. B. der »öwig ohnablößige« Hellerzins, der auf einem Hause ruhte, sich in Jahrhunderten nicht änderte, so war auch vieles andere »öwig ohnablößig« und »beständig«: die Zehnten, die Gülten, die Fronen, das Hoflehenswesen u. dgl.

Das wird auf einmal anders; was fest war, gerät in Fluß. Wie der laue Westwind des Frühlings die starre Eisdecke des Wassers sprengt, wie der Druck der erwärmten Gewässer die Schollen aufeinandertürmt und allmählich hinwegführt – was freilich nicht ohne gewaltigen Kampf und Rumor, auch nicht immer ohne beträchtlichen Schaden für die Talbewohner abgeht – so mußten die bis dahin gewohnten Schranken, in welche das Leben des Bürgers und Bauern eingezwängt gewesen war, dem Andrang der neuzeitlichen Freiheitsgedanken weichen.

 

1. Die Ablösungen. Die 1. Hälfte des Jahrhunderts ist die Zeit der »Ablösungen«. Mit den »feudalen« Lasten aller Art wurde in rascher Folge aufgeräumt. Damit hat erst recht eigentlich das Mittelalter aufgehört, eine lebendige Macht zu sein, wenigstens für den Bauern. Wir begnügen uns mit dieser Bemerkung, da es uns wichtiger ist, die Bedeutung jener Ablösungen im allgemeinen in das gehörige Licht zu setzen, als die einzelnen Akte der Reihe nach aufzuzählen, in welchen sich die Entbindung des bäuerlichen Lebens vollzog. Das gehört auch strenggenommen gar nicht zur Orts-, sondern zur Landesgeschichte, sofern die gleichen Veränderungen überall gleichzeitig durchgeführt wurden.

 

2. Bauliche Veränderungen. Der Geist der neuen Zeit, die heraufgekommen war, kam zu sinnenfälligem Ausdruck in der Entfestigung der Stadt, mit der im 1. Jahrzehnt des 19. Jahrh. der Anfang gemacht wurde. Damals war das mittelalterliche Stadtbild noch unverkürzt erhalten: der zwiefache Mauergürtel, die Türme und Türmchen, Tore und Törchen samt Torhäuschen, die Zollschranken und Zugbrücken. Zur bestimmten Zeit, im Sommer um 10 Uhr, im Winter um 8 Uhr, abends wurden die Tore geschlossen; wer nachts Ein- oder Auslaß begehrte, mußte ein Sperrgeld zahlen, beim kleinen Törchen 1 kr., beim großen 2 kr. Unter der Predigt, an Fest-, Sonn- und Feiertagen, auch Buß- und Bettagen, waren die Tore geschlossen zu halten, ausgenommen die Reisenden. Der Altertumsfreund würde viel darum geben, wenn dieser für ihn romantische Zustand bis in unsere Zeit irgendwo erhalten geblieben wäre, gewissermaßen als Schulbeispiel. Aber unsere Väter, welche die engen, dunklen, hochgegiebelten Häuser bewohnen, auf schmalem Raum sich bewegen mußten, empfanden anders; sie fühlten sich innerhalb ihres Mauergürtels beengt und verlangten nach mehr Licht und Luft. So dehnte sich die Stadt und sprengte ihre Fessel. Im Februar 1805 wurde vom Magistrat die Niederlegung der Stadtmauer zwischen dem inneren Neckartor und der Oberamtei bis zur Brüstungshöhe beschlossen »der besseren Luft und Reinlichkeit wegen«. Der Beschluß wurde aufrecht erhalten trotz dem Widerspruch eines Teils der Bürger, welche geltend machten, man habe den bedeckten Mauerumgang bei Regenwetter und Glatteis benutzen können, namentlich aber beim Kirchgang. Aber auch letzterer Appell an den frommen Sinn der Stadtväter verfing nicht. Im J. 1810 wurde das innere Neckartor auf Abbruch verkauft. Das äußere obere Tor hatte man, als überflüssig, schon bisher abgehen lassen. Im J. 1817 wurden die Stadtgräben bis auf den Ochsengraben aufgefüllt, der Aipperturm, die 5 Tortürme und die meisten Tore beseitigt. Dabei verlor die innere Stadtmauer ihren Umgang. Immerhin hat sich die Stadt, als Ganzes und im einzelnen, von ehrwürdiger Ursprünglichkeit bis auf den heutigen Tag noch genug gerettet, um ein Wallfahrtsort für Maler und auch andere Leute zu sein; und das Beste dazu tat weniger bewußte Absicht der Menschen als die gegebene Lage in einer gleichbleibenden Landschaft. In unsren Tagen wird, was von Denkmalen aus alter Zeit noch übrig ist, mit vollem Bewußtsein und erwachtem Verständnis erhalten; denn der Besigheimer von heute weiß, auch ohne Heimatschutzverein, was er der Mit- und Nachwelt schuldig ist. Nur wo es nicht anders geht, muß das Alte weichen nach dem Grundsatz: »Der Lebende hat Recht«.

Nachdem im J. 1839 auch noch der alte Ortsbauplan aufgehoben war, begann die Stadt langsam aus bisheriger Begrenzung herauszuwachsen und neue Viertel um sich her anzusetzen, wie der Baum seine Jahresringe. Zunächst streckte sie tastend ihre Fühlhörner jenseits der Enz aus, namentlich seit Erbauung der Eisenbahn. Besonders in den 1870er Jahren war die Bautätigkeit sehr rege. Im J. 1878 z. B. wurde die Entengasse bis zur Hauptstraße verlängert und die innere Mauer durchbrochen. Dadurch wurde den Bewohnern des Bühls und der Entengasse ein großer Umweg erspart. In den letzten Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts ist die oben gezeichnete Entwicklung in ein rascheres Tempo gekommen, und es ist seither gegen Ingersheim hin, längs der Straße, und zwischen Friedhofweg und Turmstraße eine neue Vorstadt entstanden; ebenso gegen Bietigheim. Und schon beginnt die Stadt, Löchgau zu in die Höhe zu streben.

In den Jahren 1903/4 brach aus unbekannten Quellen ein mächtiger Verschönerungstrieb durch, der sich in neuem Verputz der alten Fachwerkhäuser, farbigem Anstrich und Herausarbeitung der Holzarchitektur genug tat. Größere Bauten, die erstellt wurden, sind 1) das neue Schulhaus vor dem oberen Tor, auf dem Platz des früheren Schafhauses (1904). Man war bemüht, es der Linie des Berges und der imponierenden Nachbarschaft – oberer Turm, Steinhaus, Kirche – nach Möglichkeit anzupassen. 2) Das neue Oberamt (1908) an der Stelle des alten. Die Neckarseite hat dadurch eher gewonnen als verloren. 3) Auch die Zerstörung der früheren Oelfabrik (alte Neckarmühle) durch Brand, wobei auch sechs Häuser auf dem »Bühl« abbrannten, schuf keine Beeinträchtigung des Stadtbildes auf der Neckarseite (1904). Damals wurde das Wort wahr: »Feurjo, der Neckar brennt!« In der Nähe des Bahnhofs erstand eine neue Oelfabrik, zwar ausgedehnter, aber keineswegs schöner als die erste; durch die Massigkeit ihrer Baulichkeiten wird im Gegenteil der Genuß der Enzseite empfindlich gestört. Wenn durch alle diese Veränderungen der einheitliche Charakter des Stadtbildes auch verloren gegangen ist, so löst sich die Altstadt innerhalb ihrer natürlichen Grenzen für den Beschauer doch noch leicht aus dem Ganzen heraus als ein Gebilde für sich. Und so, mit diesem fast unvermischten Nebeneinander von Altem und Neuem, sei uns das Städtchen Spiegelbild der Vergangenheit und Gegenwart zugleich und Sinnbild zweier miteinander ringender Kräfte, die beide ihr Recht, beide ihre Notwendigkeit haben: dort die Kraft der Beharrung, hier das Vorwärtsstreben; beide auch verkörpert in den verschiedenen Schichten der Bevölkerung: hier der Weingärtner- und Bauernstand, dort die Industrie, der Arbeiter, das Gewerbe.

Zwei bedeutsame Einrichtungen, die einen wichtigen Fortschritt darstellen, aber baulich nicht in Betracht kommen, seien hier wenigstens erwähnt. Einmal die städtische Hochdruckwasserleitung (1896-98), die erst hart bekämpft, dann bald allgemein als Wohltat erkannt wurde; sodann die elektrische Beleuchtung, 1901-02, ausgeführt von der Firma Röcker in Löchgau. An dem Kanal für das Elektrizitätswerk – das in erster Linie die Fabrik in Löchgau mit Licht und Kraft zu versorgen hat – wurde fast ein Jahr lang gearbeitet. An einem schönen Augustabend des J. 1902 wurde die Straßenbeleuchtung zum erstenmal in Szene gesetzt. Die ungewohnte Helligkeit auf Straßen und Plätzen lockte viele Leute vom Haus ins Freie, und bis in die späte Nacht wogte eine festliche Menge durch das Städtchen, die sich sonnte im feenhaften Schein der Leuchtkörper. – Natürlich liefert das Elektrizitätswerk auch Kraft für die gewerblichen Betriebe.

 

3. Im Zusammenhang mit der ganzen Entwicklung steht eine Reihe von Fortschritten im Verkehrswesen. Im J. 1833 wurde die untere Enzbrücke nach dem Plan von Oberbaurat Etzel erbaut, nachdem die alte durch das Hochwasser (1824) zerstört worden war; im J. 1868 wurde die Neckarfähre durch eine Holzbrücke ersetzt. Diese hatte vorher bei Heilbronn gestanden. Nachdem dort an ihrer Stelle eine eiserne errichtet worden war, war sie, d. h. ihre eine Hälfte – mit der andern wurde irgend ein anderer Ort beglückt – der Stadt geschenkt worden. Am 13. Sept. 1868 wurde sie feierlichst eingeweiht, unter Beteiligung von Abordnungen sämtlicher Gemeinden des Oberamts und etlicher auswärtiger. Da aber der Transport und die Aufstellung fast eben so hoch zu stehen kamen als eine Brücke von Stein gekostet hätte, so sah man in Bes. das Geschenk mit gemischten Gefühlen an. Wir meinen aber, daß die Holzbrücke, als eigenartiges Stück Altertum, der nahen Stadt trefflich ansteht, die drüben sich in breiter Front über dem Flusse aufbaut. – Da wir schon bei den Brücken sind, so sei hier auch noch des 300jährigen Jubiläums der oberen Enzbrücke gedacht: im Stilleben der achtziger Jahre ein Ereignis, von dem noch lange mit Stolz erzählt wurde; jetzt ist es aus dem Gedächtnis wenigstens des jüngeren Geschlechts verdrängt worden durch neuere Gedenktage freudiger und leidiger Art. – Schon seit Jahren hatte sich an einem der Pfeiler ein Schaden gezeigt, der namentlich Lastfuhrwerken gefährlich zu werden drohte. Die Brücke mußte daher im J. 1925 einer eingreifenden Reparatur unterworfen werden. Im Zusammenhang damit wurde auf der Seite flußabwärts ein Laufsteg angebracht. Leider wurde die Brüstung auf dieser Seite nicht wieder in Stein, sondern in Zement aufgeführt, was keineswegs zur Verschönerung des ehrwürdigen Bauwerks dient. Aber hinsichtlich des Verkehrs ist zweifellos eine wesentliche Besserung geschaffen.

Das im J. 1772 erbaute Neckarkanalbrückchen, im Zeitalter der Last- und anderer Autos mehr verkehrshindernd als fördernd, wurde im J. 1912 durch Sprengung niedergelegt; an seine Stelle kam die jetzige Brücke.

Anfangs der vierziger Jahre war der Frachtverkehr auf der Wasserstraße sehr bedeutend, und die beiden Flüsse waren ganz anders belebt als heutzutage. Zur Erleichterung und Abkürzung des Wegs für die Neckarschiffahrt, welche bis dahin in Richtung Heilbronn-Cannstatt den Neckarmühlkanal herauf hart an der Stadt vorbeigegangen war, wurde vom Staat der Schleußenkanal erbaut, an dem jetzt das Elektrizitätswerk der Farbfabrik steht. Zu Lande war die rascheste Fahrgelegenheit ein Leiterwagen, welcher einmal wöchentlich zwischen Stuttgart und Heilbronn verkehrte; Abfahrt am Mittwoch früh zwischen 3 und 4 Uhr, Ankunft in Stuttgart um 11 Uhr vormittags; in Stuttgart Abgang abends 4 Uhr, Ankunft hier nachts 11 Uhr. Preis: einfach 30 kr., hin und zurück 1 fl. Unter der blauen Decke, inmitten von Gepäckstücken, sei der Aufenthalt recht ungemütlich gewesen. Zwischen Stuttgart und Heilbronn ging außerdem alle 24 Stunden ein Eilwagen (1 fl. 54 bzw. 3 fl. 48).

Diesen etwas ursprünglichen Zuständen machte der Bau der Eisenbahn, Strecke Bietigheim-Heilbronn, ein Ende (1845-48). Jedoch waren die Ansichten über den Einfluß der Bahn auf den Fremdenverkehr und auf die Erwerbsverhältnisse anfangs sehr geteilt. In der »Schwäb. Chronik« vom 11. März 1857 wurde in einem aus Besigheim eingesandten Artikel geklagt: fast alle Mietwohnungen stehen leer; Fremde halten sich gar nicht mehr für längere Zeit auf. Die Straßen sind tot; die Wirtshäuser verödet; die kleinen Geschäftsleute am Ort haben einen großen Ausfall zu verzeichnen. – Der damalige sehr eifrige Korrespondent der Zeitung war aber Sonnenwirt Schmid, ein behäbiger, wohlgenährt aussehender Mann und eifriger Politiker. Als solcher gab er in häufigen Korrespondenzen seinem Schmerz über erlittene Einbußen im Geschäft kräftigsten Ausdruck. »In Wirklichkeit« – fährt unser Gewährsmann, nämlich Dr. Hettich, in seinen uns vorliegenden, von Buchdrucker Müller zur Verfügung gestellten Aufzeichnungen fort – »stehen die Wohnungen keineswegs leer, sondern sind gesucht, trotzdem daß seit dem Eisenbahnbau ein Dutzend neue erbaut wurden. Die Industrie sieht ihre Erzeugnisse rascher befördert, die Bodenerzeugnisse dehnen ihr Absatzgebiet aus. Im Herbst kommen Oberländer in früher nie gesehener Zahl und in ihrer fremdartigen Tracht in großen Trupps an, aus Orten, wo man früher nie einen Tropfen Weins trank, so daß Sonnenwirt Schmid selber unser Besigheim als einen Anlandeplatz, als ein New York für sämtliche württembergische Weinkäufer bezeichnete, von wo aus sie dann über das ganze Unterland ausschwärmen.«

 

4. Das gesellige Leben im Bürgerstande hatte um die Mitte des Jahrhunderts noch einen familiäreren Zuschnitt als heutzutage, wo der regere Verkehr, die leichte Erreichbarkeit der großen Stadt mit ihren vielgestaltigen und aufreizenden Vergnügungs- und Unterhaltungsgelegenheiten der behäbigeren Gemütlichkeit von einst verhängnisvoll geworden ist. In die Geselligkeit zu jener Zeit, »als der Großvater die Großmutter nahm«, lassen uns Aufzeichnungen des oben erwähnten Dr. Hettich einen Blick tun. Darnach hielten die Honoratioren alle 8 bis 14 Tage abwechselnd im Waldhorn und in der Sonne einen (nicht ausschließlich » akademischen«) Kranz unter dem Namen » Kasino«. Im J. 1846 wurde ein » Bürgerverein« gegründet, welcher dann im J. 1848 eine lebhafte politische Tätigkeit entfaltete. Vorstand war Dr. Hettich; man fand sich alle vier Wochen abwechselnd in den oben genannten Gasthäusern zusammen. Am Kirchweihsamstag stellte sich (wie heute noch) die Hautevolée von Besigheim alljährlich sehr zahlreich im »Hirsch« in Walheim ein (nach offenbar alter Sitte, vgl. S. 174) zum Essen des »Kirwekuchens«. Eine wichtige Bedeutung kam auch dem » Kirschenpeter« (Feiertag Petri und Pauli) zu, an welchem abends ein Ball in der Sonne gehalten wurde; besonders glänzend verlief der vom J. 1846, welcher nicht allein (wie sonst) von Nachbarorten stark besucht war, sondern auch von zahlreichen Angestellten beim Eisenbahnbau. Der Saal der Sonne war mit Eichenlaub, Tannenzweigen, Blumen u. s. f. schönstens geschmückt.

Persönlichkeiten, welche um jene Zeit besonders hervortraten, waren: Herm. Hettich, Dr. med. und praktischer Arzt, welcher im gesellschaftlichen und öffentlichen Leben eine wichtige Rolle spielte (1878 nach Stuttgart, 1893 †‚ s. N.E.B. 1878 und 1893!); Wilhelm Richter, Präzeptor hier 1840-46 (später Pfarrer in Pfaffenhofen), bekannt als Dichter von Volksliedern (»Am Neckar, am Neckar«; »Drauß' ist alles so prächtig«; »Die Schwälbla ziehet fort« etc., in Musik gesetzt von Silcher); Fr. Wilh. Kerner, Apotheker, † 1877; dieser hat sich besonders um die Kinderschule verdient gemacht und steht als ein Wohltäter und Menschenfreund noch im Andenken. – Wir nennen noch Rechtskonsulent Liesching, Präzeptor Kraut († als Rektor in Hall), Konditor und Stadtpfleger Seeger, Müller Fackler, Buchdrucker Eisentraut (gebürtig von Hamburg).

Vereine, welche damals bestanden, waren der »Liederkranz«, seit 1835, der »Bürgerverein« (s. ob.!), die » Lesegesellschaft« seit 1838 (bzw. 1860). Im J. 1847 wurde ein » journalistisches Lesekabinett« eingerichtet (Statuten s. N.E.B. 1847, Nro. 72!). Die »Lesegesellschaft« wurde im J. 1897 mit der 1866 gegründeten » Musikgesellschaft« zum jetzigen » Museum« verschmolzen.

Hier sei auch des langjährigen Herausgebers des »Neckar- und Enzboten« gedacht, des Buckdruckers Gottlob Müller. Das Blatt war im J. 1836 von Joh. Fr. Eisentraut aus Hamburg gegründet worden mit dem Titel (bis 1858) »Wochenblatt aus Besigheim«. Es wurde im J. 1864 von Müller übernommen und ist noch jetzt in der Familie. Der Name Müller ist seit dem zuletzt genannten Jahr eng mit der Geschichte unseres Städtchens verflochten. Müller machte sich zum Fürsprecher jeglichen vernünftigen und ersprießlichen Fortschritts und erwarb sich als Mitglied des Gemeinderats, Mitbegründer und Vorstand des Gewerbevereins und der Gewerbebank unbestreitbare Verdienste um seine Vaterstadt. Durch sein Blatt hat er bedeutenden, über die Grenzen seiner Vaterstadt weit hinausgreifenden Einfluß ausgeübt. In politischer Hinsicht überzeugter Demokrat, war er doch frei von Unduldsamkeit. Für das Zustandekommen der 1. Auflage von »Alt-Besigheim« hat er sich lebhaft interessiert.

 

5. Politische Ereignisse. Hier ist vornehmlich das Jahr 1848 zu nennen. Im Februar dieses Jahres hatten die Franzosen wieder einmal Revolution gemacht (»Februar-Revolution«). Ueberall war man in Angst, sie kämen wie sechs Jahrzehnte früher über den Rhein, um auch Deutschland mit den Segnungen der Revolution – auf ihre Art – zu beglücken. Am 25. März hieß es allerorten im Land, sie ständen schon im nächsten Dorf, während gleichzeitig die Franzosen einen deutschen Einbruch fürchteten! So brachte denn ein Reiter die Nachricht hieher, die Franzosen seien in Vaihingen und schickten sich an, zu sengen und zu brennen. Sofort wurden auf städtische Kosten die Schmiede beauftragt, Tag und Nacht Lanzen zu schmieden, damit man sich der Eindringlinge erwehren könne. Jeder bewaffnete sich, so gut er konnte, mit Gewehr, Pistole und Säbel. An allen Zugängen der Stadt wurden Posten aufgestellt; das Haupt-Quartier war bei Bierbrauer Huber an der Enz, wo es natürlich sehr lebhaft zuging. Die ganze Sache war bekanntlich nichts als ein blinder Lärm (»Massenpsychose«), dessen Ursprung heute noch nicht aufgeklärt ist (» Franzosenfeiertag«).

Im übrigen fanden die Vorgänge in Frankreich und die Forderungen der dortigen Revolutionäre auch bei uns in Süddeutschland lauten Widerhall und Nachahmung. So auch in Besigheim und Umgebung. In einer am 5. März im »Waldhorn« auch von den umliegenden Ortschaften sehr zahlreich besuchten Versammlung wurde eine Adresse an die Kgl. Staatsregierung verlesen und, mit vielen Unterschriften bedeckt, sofort abgesandt. Sie forderte: 1) allgemeine Wehrhaftmachung des Volkes, bei freier Wahl der Offiziere und 2) unbedingte Pressefreiheit, 3) Oeffentlichkeit der Schwurgerichte, 4) das Recht freier Versammlung, 5) Berufung eines freien Parlaments. – Eine unruhige Nacht war für die Einwohner die vom Samstag den 18. auf Sonntag den 19. Juni. In Heilbronn war unter dem 8. Regiment eine Revolte ausgebrochen. Das Regiment wurde nach Stuttgart beordert, und das 2. Bataillon kam vom 19. auf 20. hieher in's Quartier, wo es eine überaus gute Aufnahme fand; waren doch 9 Besigheimer dabei. Abends sammelten sich die Bürger sehr zahlreich im Hof der Sonne, wo Fourier Hartmann, die Seele der Bewegung, vom 1. Stock aus eine das Verhalten der Achter rechtfertigende Rede hielt, die mit einem Hoch der Soldaten auf die Einwohnerschaft von Besigheim endete, worauf die Bürger ihrerseits ein Hoch auf die Achter ausbrachten. Der vor etlichen Jahren hochbetagt verstorbene Christian Wöhrer war auch dabei. Er hat sich noch im hohen Alter aller Einzelheiten erinnert.

Es herrschte damals überall ein reges politisches Leben, das sich, soweit namentlich unsre Stadt und Bezirk in Betracht kommt, in jeder Nummer des »Besigheimer Wochenblatts« spiegelt. Allerorten bildeten sich Bürgervereine zur Besprechung öffentlicher Angelegenheiten. Die Lebenslänglichkeit der Gemeindevorsteher wurde abgeschafft; die Bürger verlangten Oeffentlichkeit der Stadtratswahlen, die denn auch eingeführt wurde. Auch veröffentlichte das Stadtschultheißenamt jeweils Zeit und Tagesordnungen der Sitzungen, die Beschlüsse des Gemeinderats und den städtischen Voranschlag. – Die Volksversammlungen fanden unter freiem Himmel auf dem Marktplatz statt.

 

6. Wirtschaftliche Verhältnisse. In Besigheim ist seit den ältesten Zeiten der Weinbau einheimisch. Daher bildete bis vor nicht langer Zeit der Weingärtner den Hauptbestandteil der Bevölkerung. Große Bauern gab und gibt es kaum. An den steilen Halden, die den Neckar und die Enz umsäumen, in den Niedernbergen, im Schalkstein, Wurmberg und wie sie alle heißen, wächst ein guter Tropfen. Es kostet freilich viel Schweiß, bis der Weinmost in die Kufe rinnt; mühsam muß dem Boden sein Gewächs abgerungen werden, und das ganze Jahr durch, auch im Winter, immer gibt der Weinberg zu tun. Und wie oft wird der Weingärtner um den Lohn seiner Mühen betrogen, oft noch kurz vor Torschluß, oft ein Jahr um's andere! Denn zahllos sind die Gefahren, die den Weinstock bedrohen: Unbilden der Witterung, tierische und pflanzliche Schädlinge! Und wenn ein großer Teil der Weinberge nicht schon längst aufgegeben ist, so liegt es nur an der Zähigkeit eines kernfesten Menschenschlags und an der Anhänglichkeit an eine trotz allem liebgewordene Beschäftigung. – Kommt aber einmal ein gutes Jahr, wenn der Wein gerät, dann ist alle Enttäuschung und alle Mühe vergessen, und die vorher sorgenvollen Mienen hellen sich auf. Nun ist des »Wingerters« Stunde gekommen: Weinlese, »Herbst« ist die Losung der Tage und Wochen und gibt dem ganzen Ort das Gepräge. Schon Wochen vorher, als die Trauben anfingen zu reifen, waren die Weinbergschützen aufgestellt worden. Zu ihren Abzeichen gehören eine »Rätsche«, eine großkalibrige Pistole und ein Stab, in den der Schütze mit mehr oder weniger Kunstfertigkeit einen Spruch eingeschnitzt hat. So sind sie Tag und Nacht draußen und nächtigen etwa in einem der vielen Weinberg-Häuschen. Ist aber die Weinlese gekommen, da beleben sich die Rebenhügel; tausend fleißige Hände regen sich in munterem Bund; Berg und Tal hallen wider vom Knall der Pistolen, Frösche und Schwärmer. Auf Straßen und Plätzen des Städtchens aber bewegen sich zahlreiche Käufer, meist von auswärts: da wird mit Kennermiene geprobt und gehandelt, bis beide Teile einig werden oder auch nicht! Und wenn der erzielte Preis nur einigermaßen der Mühe wert ist, dann ist der Weingärtner zufrieden. Ist jenes aber nicht der Fall, nun dann wappnet er sich mit Gleichmut und Geduld und erhofft vom nächsten Jahr, was ihm das laufende schuldig geblieben ist. – Eine Weinbaugenossenschaft besteht seit 1902.

Das Gewerbe ist in seinen wichtigsten Abarten gut und ausreichend vertreten. Ein Gewerbeverein, seit 1865, sorgt für Hebung des Handwerks und Geltendmachung seiner Interessen, die gewerbliche Fortbildungsschule für Heranbildung eines tüchtigen Nachwuchses. Eine Gewerbebank besteht seit 1869.

Von den früheren Mühlen ist die Neckarmühle schon längst, die Schellenmühle seit 1901 eingegangen. Blieb noch die Burgermühle, wie einst die erste, so jetzt die letzte auf dem Platze. Sie ist seit über 200 Jahren in den Händen der Familie Fackler. Die Ernst'sche Mahl- und Sägmühle, jener gegenüber auf dem linken Enzufer, brannte vor 20 Jahren nieder, worauf Fackler das Grundstück und die Wasserkraft kaufte. Damit war ein alter Zankapfel zwischen hier und dort aus der Welt geschafft. Fackler hat seinen Betrieb mit allen Neuerungen ausgestattet und so zu einem Musterbetrieb gestaltet. Aber wie die Räder der unteren, so stehen die der oberen Enzmühle still und haben einer neuzeitlichen Turbinenanlage Platz gemacht.

Die im J. 1904 beim Bahnhof erbaute Oelfabrik der Firma » Bremen-Besigheimer Oelfabriken« ist im J. 1920 samt dem Kraftwerk in den Besitz der Farbenfabriken G. Siegle & Co., G.m. b. H., Stuttgart, übergegangen. Sie wurde in eine Farbenfabrik umgebaut und ein großer Teil des Stuttgarter Betriebs nach Besigheim verlegt. Das Besigheimer Werk ist in aufsteigender Entwicklung begriffen. So wurde 1925 ein neues Kesselhaus mit moderner Kesselanlage und einer Dampfturbine für etwa 1000 PS. und ein großer Fabrikbau errichtet. Zur Farbfabrik gehört das mächtige Neckarwehr unterhalb der Stadtkirche, mit der großen Stauanlage, erbaut im J. 1912 von Baurat Maurer in Stuttgart, das eine technische und architektonische Sehenswürdigkeit ersten Ranges ist.

Von außerordentlicher Bedeutung für die Stadt und ihre Bewohner war und ist die Trikotfabrik von Mattes & Lutz, A.-G. Sie wurde im J. 1872 gegründet. Unabhängig von Neckar und Enz auf Dampfkraft gestützt, entwickelte sie sich rasch. Im J. 1897 wurde sie in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. Ihr Aufblühen trug wesentlich zur neuzeitlichen Entwicklung der Stadt bei und brachte und bringt der Bevölkerung von Stadt und Umgebung Arbeitsgelegenheit und Verdienst.

Das frühere Bahnhofrestaurant ging in der Kriegszeit durch Kauf an die Firma G. Mugler in Lauffen über. Es wird darin seit 1923 eine Tabakfabrik, »Württ. Tabakfabriken A.-G.« betrieben.

Wir führen noch eine Reihe größerer und mittlerer Gewerbebetriebe auf, die uns namhaft gemacht wurden. Dabei sei ausdrücklich bemerkt, daß der Verfasser keine Verantwortung für Vollständigkeit übernimmt. Es sind folgende:

Wilhelm Barth & Söhne, Schuhfabrik; Franz Steirer, G.m.b.H., Orgel- und Harmonium-Fabrik; Carl Fackler, Stadtmühle; Albert Köhler, Buchbinderei und Kunstverlag; G. Müller'sche Buchdruckerei, Verlag des Neckar-und Enzboten; Robert Brett, Buchdruckerei und Verlag; Eugen Hausch, Andreas Maier, Trikotagen; C. Gutekunst, Möbelfabrikation. – Kaufmännische Geschäfte: Carl Irion, Gotthilf Bauer, Theophil Weyhenmeyer, Carl Lieb, Ege's Nachf., Karl Kleiner, Bender-Schneider, Haßmann-Petermann – G. Dieter, Bauwerkmeister – Mech. Werkstätten: Albert Bezner, Adolf Reichert, Ludwig RammBraun, Bock, Uhrmacher, Silber- und Nickelwarengeschäft – Großmann, Apotheke – Groß, Neckar-Drogerie – Lauster, Bäckermeister, Café mit Konditorei und Weinstube – Zechner und Schenk, Großhaus für Zigarren und Zigaretten – Karl Tabler, kunstkeramische Artikel.

Der Aufschwung des Gewerbes in den letzten Jahren und Jahrzehnten drückt sich auch sichtbar aus im Straßenbild, besonders wenn man die Hauptstraße durchwandelt: baufällige Scheuern u.dgl. verschwanden, alte Wohnhäuser wurden durch Umbau verschönt, durch Anbauten erweitert und in ansehnliche Geschäftshäuser verwandelt, die mit ihren schönen Schaufenstern eine Zierde der Straße bilden, ohne den Gesamteindruck zu beeinträchtigen.

 

7. Die Kirche. Ueber kirchliche Vorgänge werden wir seit 1909 durch das Gemeindeblatt fortlaufend auf's beste unterrichtet. Es sei hier ausdrücklich auf diese Quelle verwiesen. Eine weitere Quelle, auch über außerkirchliche Dinge, ist die vom Verfasser im J. 1896 angelegte und bis 1911 fortgeführte, beim II. Stadtpfarramt liegende geschriebene Chronik. Hier können wir uns auf einige Hauptsachen beschränken, ohne Anspruch auf Vollständigkeit.

Wichtig, ja unentbehrlich für das Gemeindeleben sind die kirchlich-christlichen Vereine und vereinsartigen Gruppen, die in den letzten Jahrzehnten aufgekommen sind. Im Gemeindeblatt von 1908 ist der damalige Bestand an solchen aufgenommen und das Nähere mitgeteilt. Wir nennen den Gustav-Adolf-Frauenverein, mindestens seit Mitte der 1840er Jahre, die Sonntagsschule der Kinder (Kindergottesdienst) seit 1869, »nach amerikanischem Gruppensystem«, den Jünglings- bzw. Jungmännerverein, gegründet Mitte der achtziger Jahre, zeitweilig wieder eingegangen, im J. 1902 auf soliderer Grundlage wieder zu neuem Leben erweckt, jetzt mit ungefähr 70 Mitgliedern, darunter Posaunenchor (1920); den Jungfrauenverein, ungefähr ebenso alt. Im J. 1908 wurde der Kirchenchor gegründet, der seither zur Verschönerung und Bereicherung der Gottesdienste und Gemeindeabende viel beigetragen und sein Können stets bereitwillig in den Dienst der guten Sache gestellt hat. Ein Frauenverein, der namentlich im Winter in Tätigkeit tritt, besteht seit einer Reihe von Jahren; sein Vorläufer war der 1908 in's Leben gerufene Mittwochs- (Arbeiterinnen-) Verein. Der erste Gemeindeabend ist im J. 1911 gehalten worden. Eine Ortsgruppe des Ev. Volksbundes, welcher der Frauenverein angegliedert ist, haben wir seit 1919. Im selben Jahr bildete sich auch ein » Männerbund« auf christlicher Grundlage, mit monatlichen Zusammenkünften zur Besprechung religiöser Fragen. Ein Frauenchor wirkt bei Beerdigungen mit. Die jährlich einmal in Besigheim tagende Bezirks-Missions-Konferenz ist um 1900 gegründet worden.

Ein Gemeindehaus, das allen diesen Vereinigungen ein Heim böte, besitzt die Gemeinde bis jetzt nicht; ein gewisser Ersatz für ein solches ist der im J. 1893 aus einer Scheuer umgebaute » Vereinssaal«.

Nicht unerwähnt bleibe die Michael Hahn'sche Gemeinschaft, die unsres Wissens mindestens seit Anfang des 19. Jahrhunderts besteht, und deren Mitglieder stets treu zur Kirche gehalten haben.

Erwägt man die für eine Gemeinde kleineren Umfangs doch recht ansehnliche Entwicklung kirchlichen Vereinslebens, und verfolgt man das letztere von Jahr zu Jahr, etwa im Gemeindeblatt, so bekommt man den Eindruck eines lebhaft entwickelten kirchlichen Sinns. Möge es ferner so bleiben und immer mehr so werden! – Auch die Opferwilligkeit für kirchliche und verwandte Zwecke ist rühmend anzuerkennen. Und wenn trotzdem die Kirchenpflege derzeit sorgenvolle Tage hat, so kann sie sich damit trösten, daß sie viele Leidensgenossinnen hat, landauf, landab!

 

8. Das Schulwesen. Die Volksschule hat 8 Klassen; mit ihr verbunden ist die allgemeine und die gewerbliche Fortbildungsschule. Der Lateinschule ist seit 1906 eine Realschule angegliedert. Damit ist ein wirkliches Bedürfnis und ein alter Wunsch befriedigt; denn den Ruf nach einer Realschule vernehmen wir schon in den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts. Nun ist die jüngere Gründung der älteren Schwester rasch über den Kopf gewachsen, wie es im Leben so zu gehen pflegt. An der vereinigten Latein- und Realschule wirken vier Lehrer; etwa 70 Schüler von hier und auswärts verteilen sich auf fünf Klassen. Beide, Real- und Lateinschule, werden auch von Mädchen besucht, die jeweils bis zur Hälfte der Gesamtschülerzahl ausmachen. Die im J. 1876 gegründete städtische Frauenarbeitsschule erfreut sich eines guten Besuchs aus Stadt und Land. Sie wurde vom J. 1916 an ganz auf die Stadtkasse übernommen. – Für die gewerbliche Fortbildungsschule, die ebenfalls seit 1876 besteht, ist im J. 1925 ein Gewerbelehrer im Hauptamt bestellt; auch hat sie einen eigenen Schulraum. Dem Gewerbeschulverband gehören aus dem Bezirk an die Gemeinden Gemmrigheim, Hessigheim, Kirchheim, Löchgau, Mundelsheim, Walheim.

 

9. Wichtigere Vorkommnisse seit 1900 nach der Zeitfolge. Wenn auch der Titel dieses Buches uns einer ausführlicheren Darstellung der Ereignisse der jüngsten Vergangenheit enthebt, so möchten wir doch diejenigen, die von allgemeinerem Interesse sind, wenigstens aufführen, zumal das, wie wir zu wissen glauben, von vielen gewünscht wird. Auch hier übernehmen wir für Vollständigkeit keine Bürgschaft, um so weniger, als wir die meisten der folgenden Notizen erst in allerletzter Stunde zu erlangen vermochten. Einige vonihnen sind schon oben in anderem Zusammenhang genannt.

1900 Aufstellung einer hydraulischen Weinpresse in der Stadtkelter.

1901 Rathausneubau; Anlegung des Kleinsteinbachwegs; elektrische Beleuchtung der Stadt.

1904 Neubau des Schulhauses; Neuanpflanzung des Turn- und Festplatzes an der Enz.

1904-14 Feldbereinigung im südwestlichen Teil der Markung; die Feldbereinigung zwischen Neckar und Enz wurde von den Grundbesitzern abgelehnt (1923).

1904 Brand der Oelfabrik.

1905 f. Entfernung der 9 alten hölzernen Bäume in der Stadtkelter und Aufstellung von 4 Doppelpressen.

1908 Herstellung von Gehwegen am Torrain; neue Straße und »am Kronenberg«; Ablösung der Baulast an der Enzbrücke und dem Neckarkanalbrückle gegenüber dem Staat.

1908 Abbruch der alten Oberamtei und Errichtung eines Neubaus auf dem gleichen Platz.

1912 Gründung einer »freiwilligen Feuerwehr«.

1914 Flußbadeanstalt im Neckar.

1920 Empfangsfeier anläßlich der Heimkehr der Kriegsgefangenen.

Schaffung eines großen Sportplatzes auf dem Kies, der den zwei hiesigen Sportsvereinen zur Benützung überlassen ist. Im J. 1925 wurde unter eifriger Mitarbeit der Vereinsmitglieder eine Turnhalle auf dem »Kies« im Rohbau erstellt. Damit ist einem dringenden Bedürfnis abgeholfen worden. Denn der Sport in seinen verschiedenen Zweigen: Turnen, Fußball, Leichtathletik, Schwimmen wird auch in Besigheim seit dem Krieg eifrig gepflegt, und die Gemeinde konnte bezw. kann nicht umhin, dieser wichtigen Sache eine wohlwollende Aufmerksamkeit zu schenken.

1921 Versorgung des Husarenhofes mit Licht und Kraft von den Neckarwerken aus.

Im Mai 25jähriges Amtsjubiläum des Stadtschultheißen Adolf Köhler.

1922 Einweihung des Kriegerdenkmals (s. unt.).

1923 Schaffung einer Stadtbaumeister- und einer Ratschreiberstelle.

1924 Infolge der eigentümlichen Lage Besigheims zwischen den beiden Gewässern mangelt es der Stadt an einer verkehrsfördernden Ausdehnungsmöglichkeit. Um nun durch Schaffung von Neubauten die auch hier herrschende außerordentliche Wohnungsnot zu lindern, ließ es sich der Gemeinderat angelegen sein, zur Gewinnung von Bauplätzen Straßenbauten durchzuführen. So kam es, daß im J. 1924 die Froschberg- und die Eugenstraße angelegt wurden, erstere nur für Privatbauten, letztere auch für landwirtschaftliche Zwecke. In verhältnismäßig kurzer Zeit erstanden an diesen neuen Straßen Neubauten. Es zeigte sich jedoch bald, daß, um die Baulust noch mehr zu wecken, noch weitere Bauplätze in günstiger Lage nötig seien. Der Gemeinderat hat daher im J. 1925 auf Betreiben des Stadtvorstandes, Stadtschultheißen Hayer, die Anlegung der Kronenstraße beschlossen. Dabei ließ sich der Durchbruch der inneren Mauer nicht vermeiden. Auch an dieser Straße wuchsen gar bald Neubauten aus dem Boden. Um in unserer wirtschaftlich so schweren Zeit den Baulustigen ihre Aufgabe nach Möglichkeit zu erleichtern, erbot sich die Stadtgemeinde, ihnen entweder Darlehen zu günstigen Bedingungen zu vermitteln oder aus eigenen Mitteln zuzuschießen; außerdem übernahm die Stadt den 10% übersteigenden Zinsenbetrag. – Eine weitere Ausdehnung erfuhr die Stadt durch Erstellung von Bauten Löchgau zu von privater Seite, ebenfalls im J. 1925. Auch in diesem Falle hat die Stadt den Bauenden weites Entgegenkommen durch Zuleitung von Wasser und dgl. gezeigt.

Sonst wäre zu diesem Punkt noch zu erwähnen: die Erweiterung des Postgebäudes durch einen Anbau; Errichtung einer Unterkunft der Allgemeinen Ortskrankenkasse durch einen stattlichen Neubau an der Weinstraße, in Verbindung mit welchem auch eine für die Allgemeinheit zugängliche Badegelegenheit geschaffen wurde.

Verschiedene sonstige z. T. großzügige Pläne der Stadtverwaltung scheiterten an finanziellen Schwierigkeiten. So die Schaffung eines größeren Raumes für Festlichkeiten und dgl. In Ermangelung eines solchen waren die Vereine verschiedentlich genötigt, in einem Nachbarort zu tagen. Der Gemeinderat beschloß daher den Bau einer Turn- und Festhalle. Aber es erwies sich als schlechterdings unmöglich, die nötigen Mittel hiefür aufzutreiben. So mußte die Sache auf unbestimmte Zeit vertagt werden.

Im Mai 1924 beschloß der Gemeinderat die Einführung einer sogenannten Schulspeisung, wofür er die Mittel zur Verfügung stellte. Diese Wohltat wurde von Schülern aller Kreise in Anspruch genommen und konnte bis Anfang Oktober 1925 fortgeführt werden. Verabreicht wurden als Tagesportionen: 1 Tasse Kakao und 1 Semmel.

Im Mai feierte der »Liederkranz« sein 60jähriges Bestehen; mit der Feier war ein Wettgesang verbunden.

1924, August, trat der langjährige verdiente Stadtvorstand, Adolf Köhler, in den Ruhestand (s. ob.). Bis Mai 1896 Stadtpfleger, wurde er durch das Vertrauen der Bürger zu dem genannten wichtigen Posten berufen und hat 29 lange Jahre seine Zeit und Kraft seiner Heimatgemeinde gewidmet. – Bei der am 14. September 1924 vorgenommenen Neuwahl des Ortsvorstands siegte über 20 Mitbewerber der jetzige Stadtschultheiß Emil Hayer, vorher Schultheiß in Beutelsbach.

1925 wurde nach langer Pause wieder ein wohlgelungenes Kinderfest gefeiert, in eigener Regie der Stadtgemeinde.

 

10. Kriegerische Ereignisse Ende des 19. Jahrhunderts. Im J. 1866 waren unseres Wissens auch etliche Besigheimer Söhne eingezogen. Sonst wissen unsere Quellen nichts zu berichten.

Etwas mehr erfahren wir über den Krieg von 1870/71, seiner unvergleichlich größeren Bedeutung entsprechend. Gleich nach Kriegsausbruch richtete der Bezirksvolksverein an den Abgeordneten des Bezirks zum Landtag, Karl Mayer, eine Adresse, in der gefordert wurde: keine Neutralität, sondern Waffenbrüderschaft Württembergs mit Preußen! In den vier Städten des Oberamts wurden Zweigvereine des Samaritervereins gegründet; auch bildete sich ein Frauenverein für Zwecke des Sanitätswesens zur Sammlung von Geld, Kleidern u. dgl. Außerdem geschah von privater Seite viel für die Ausmarschierten. Die Stadt wollte nicht zurückbleiben und schickte wiederholt Spenden in's Feld. Noch liegen bei den städtischen Rechnungsakten aus dem Kriegsjahr eine Reihe von Danksagungsschreiben der Empfänger, denen wir manchen Einzelzug entnehmen können über die persönlichen Erlebnisse und die Stimmung der Schreiber. – Der Sieg von Sedan wurde gefeiert mit Beflaggen der Häuser, Böllerschüssen, Glockengeläute. Abends hielt Präzeptor Rümelin auf dem Marktplatz eine zündende Ansprache an die versammelte Bürgerschaft. Ebenso wurde der Friedensschluß begrüßt mit Beflaggen, Böllern und Choralgesang; abends schwamm der ganze Marktplatz in einem Lichtermeer. Am Rathaus wurde ein riesiges Transparent, die Gestalt der Germania, enthüllt. Ringsum auf den Höhen leuchteten Friedensfeuer. Wiederum Rede von Rümelin. Ferner wurde ein eigenes » Friedens- in Form eines Maienfestes«, verbunden mit dem unmittelbar vor Kriegsausbruch, im J. 1870, beschlossenen Kinderfest, im »Forst« abgehalten.

Im ganzen waren unter der Fahne gestanden 67 Hiesige, die meist dem 3. und 4. Regiment zugeteilt waren, einige dem Jägerbataillon. In's Gefecht kamen sie bei Wörth, beim Kirchhof von Nogent s. Seine, Champigny und Villiers; eine ganze Anzahl sei auch beim Einzug in Paris dabei gewesen. Mehrere wurden verwundet, gefallen ist keiner. Verschiedene erhielten Auszeichnungen.

Im J. 1895, als sich der Ausbruch des Kriegs zum 25. Male jährte, wurde der glorreichen Tage festlich gedacht. Die bürgerlichen Kollegien beschlossen eine Ehrengabe von je 5 Mark an die Veteranen von 1848, 1866 und 1870/71. Der letzteren waren es damals, abzüglich der Gestorbenen und Weggezogenen, einschließlich der Zugezogenen, noch 67. Heute sind noch fünf am Leben, nämlich: Heinr. Dähn, Dr. Karl Lang, Gottlob Güthle, Fr. Schlagenhauf, Christian Schrempf; die andern sind alle zur großen Armee abgerufen worden.

Bei den vor dem Weltkrieg üblichen Kaiser-Geburtstags-Feiern kamen immer auch unsere Veteranen zu Ehren und zum Wort. Da haben uns diese Männer, ehrwürdige Zeugen und in ihrem bescheidenen Teil Mitwirkende einer großen Zeit, allemal erzählt von ihren Kriegserlebnissen, und die Zuhörer lauschten andächtig ihren Worten. Und jetzt!? Wie sind doch jene Ereignisse nach Umfang, Dauer, Furchtbarkeit so weit überholt von dem, was wir im Weltkrieg gesehen und erlebt haben! Wie sind davor die einstmals so stolzen Erinnerungen von anno dazumal verblaßt!

 

11. Besigheim im Weltkrieg. Eine Darstellung, so umfassend und eingehend, wie der Gegenstand es verdiente, ist hier nicht beabsichtigt. Eine solche muß einmal eigens gegeben werden von einem, der aus dem Vollen eigenen Erlebens schöpfen kann, wenn nicht als Kriegsteilnehmer, so doch als einer, der die Kriegsjahre in Besigheim verbracht hat. – Sagen wir also in Summa, daß unsere Stadt an dem Schicksal der deutschen Volksgemeinschaft ihren gebührenden Anteil übernommen und die Wechselfälle des Kriegs in Höhe- und Tiefpunkten, Siegen und Niederlagen, Glück und kläglichem Ausgang zutiefst miterlebt hat. Unverhältnismäßig, ja erschütternd hoch sind die Verluste an Gefallenen und Vermißten, zu geschweigen der Verwundeten: ein Beweis, daß die Söhne der Gemeinde vollauf ihren Mann gestanden haben. Zahlreich sind dementsprechend auch die Auszeichnungen aller Art, vom eisernen Kreuz 1. Kl. an abwärts, welche an Hiesige verliehen worden sind.

Ueber all das, und noch manches andere, führt das » Gemeindeblatt« Buch. Wir können darin die Kriegslaufbahn des Einzelnen verfolgen: Einberufung, Urlaub, Verwundung(en), Aufenthalt im Lazarett, die Kriegschauplätze, auf denen er gefochten u. s . f. Insbesondere wird jedem Gefallenen ein liebevoll eingehender Nachruf gewidmet. Auch von dem, was die private und öffentliche Liebestätigkeit geleistet hat in Sammlungen und Sendungen von »Liebesgaben« an die Leute im Feld und and., können wir uns ein Bild machen. Deutlich spiegelt sich auch im Gem.-Bl. die mit dem Auf und Ab der kriegerischen Ereignisse wechselnde Stimmung in der Heimat. Endlich hat es wesentlich dazu beigetragen, die Verbindung zwischen daheim und draußen aufrecht zu erhalten und hier wie dort die Zuversicht nicht erlahmen zu lassen.

Wir wollen es mit diesen flüchtigen Strichen genug sein lassen. Möge, wie oben angedeutet, ein anderer irgend einmal die Farbengebung und Ausmalung im einzelnen dazu liefern! Was wir aber nicht unterlassen dürfen, das ist die namentliche Aufzählung der Opfer des Weltkriegs. Dort, auf dem Gefallenendenkmal sind ihre Namen in Stein gemeißelt zu lesen. Ein Andenken, dauernder als Erz oder Stein, bewahrt ihnen Mit- und Nachwelt in ihrem Herzen!

So gehe er denn an uns vorüber, der endlose, traurige Zug der Toten! Wir entblößen im Geist das Haupt und stehen in ehrfurchtsvollem Schweigen. ...

1914

Abele, Wilhelm 19. Dezember Beck, Heinrich 11. November Beutinger, Wilhelm 23. November Blessing, Friedrich 8. Dezember Böhrkircher, Karl 27. Oktober Buck, Karl 27. Dezember Dieter, Friedrich 17. November Fauth, Gottlob 29. Dezember Fellger, Karl 10. Dezember Heß, Adolf 18. August Holbein, Karl 22. August Holzwart, Christian 22. August Joos, Ernst 20. August Kauz, Wilhelm 20. September Knoll, Christian 19. Dezember Köhler, Christian 9. Dezember Köhler, Friedrich 3. November Mayer, Otto 31. Oktober Müller, Albert 19. August Müller, Hermann im Dezember Pantrion, Karl 26. Oktober Rau, August 2. November Rau, Moritz 11. November Röser, Hermann 20. August Ruckdeschel, Alfred 28. August Saußele, Hermann 10. September Schlipf, Eugen 30. November Schneider, Hermann 14. Dezember Schoch, Karl 26. September Unkel, Albert im Oktober

1915

Bauer, Karl 12. Oktober Enchelmaier, Wilhelm 8. November Foß, Karl 28. Dezember Heinz, Friedrich 25. Februar Hauk, Gotthold 11. März Hemminger, Paul 13. August Holzwart, Friedrich 30. Juni Joos, Friedrich 3. März Istler, Friedrich 23. Februar Köhler, Jakob 4. August Kölle, Emil 9. Januar Mayer, Gustav 19. Februar Müller, Gottlob 6. Februar Müller, Paul 8. Februar Müller, Wilhelm 27. Juni Pfitzenmaier, Gottlob 14. Juli Saußele, Ernst 5. Januar Schäfer, Gottfried 8. September Scheurenbrand, Emil 5. März Schlagenhauf, Heinrich 19. November Zehnder, Friedrich J. S. 9. Oktober Zehnder, Friedrich L. S. 1. März Zeyhle, Wilhelm 13. September

1916

Böhringer, Hermann 20. August Bronner, Hermann 2. Juni Fellger, Friedrich 12. Oktober Geist, Friedrich 3. September Gutekunst, Gotthilf 18. November Jäger, Heinrich 18. Juni Joos, Wilhelm J. E. 7. August Istler, Wilhelm 16. Februar Köhler, Wilhelm 29. Februar Metsch, Hermann 7. August Müller, Karl J. S. 19. April Müller, Wilhelm S. E. 5. September Pfeifer, Paul (Maler) 8. Juli Pfitzenmaier, Jakob 1. September Schneider, Eugen G. S. 19. August Wunsch, Ferdinand 17. Juli

1917

Belzhuber, Julius 21. Mai Bronner, Christian 27. August Bronner, Paul 12. April Fellger, Robert 23. April Feufel, Gottlob 11. Januar Frank, Eugen 1. Mai Geiger, Wilhelm 1. Dezember Gerstetter, Hermann 22. Dezember Heilmann, Karl 11. Mai Herbst, Ernst 3. Oktober Holzwart, Friedrich 15. September Huber, Wilhelm 23. Mai Joos, Christian G. S. 7. April Joos, Jakob 15. August Joos, Wilhelm Chr. S. 4. Mai Knoll, Hermann 27. März Knoll, Karl 24. April Müller, Christian 5. Januar Müller, Paul Chr. S. 27. April Rumbolz, Gottlob 9. Mai Sanwald, August 24. Juli Saußele, Christian Chr. S. 9. Mai Saußele, Christian 9. Juli Saußele, Ernst Chr. S. 10. März Saußele, Hermann Chr. S. 17. März Schlagenhauf, Jakob 4. Juli Schleicher, Hermann 21. August Spahr, Christof 30. Mai Türk, Christian 22. Oktober

1918

Aichinger, Ernst 8. März Allgaier, Paul 30. April Belzhuber, Karl 6. Dezember Bender, Wilhelm 29. Juli Geist, Gottlieb 24. Oktober Haßmann, Eugen 23. Oktober Holbein, Ernst 30. April Joos, Friedrich 4. Juli Joos, Paul 16. März Irion, Walter 21. März Käß, Otto 30. März Knoll, Gottlieb 10. November Kölz, Hermann 11. Mai Kurz, Wilhelm 17. Oktober Luithle, Friedrich 22. August Luithle, Karl 29. März Martin, Eugen 19. April Mayer, Friedrich 27. April Müller, Gottlieb 15. August Pantrion, Jakob 25. Juli Reuschle, Hermann 30. März Röhrich, Friedrich 14. Juni Saußele, Christian G. S. 5. November Schlatterer, Friedrich 18. Oktober Schmid, Ludwig 27. August Schneider, Eugen Fr. S. 10. August Scholl, Fritz 29. März Spahr, Friedrich 24. Oktober Spahr, Paul 25. Oktober Weber, Paul 15. August Weber, Wilhelm 12. August Weiß, Friedrich 7. Juni

1919

Bitzer, Wilhelm 12. Dezember

Vermißte

Belzhuber, Gottlieb Bommer, Gotthilf Bronner, Rudolf Butz, Wilhelm Difliff, Karl Fellger, Christian Güthle, Christian Joos, Immanuel Joos, Wilhelm Kauz, Friedrich Müller, Friedrich Reuschle, Jakob Roth, Paul Saußele, Eugen Schmid, Wilhelm Staier, Friedrich Staier, Christian Weller, Paul Zügel, Wilhelm

Das Gefallenendenkmal ist im Lauf des J. 1922 errichtet und am 31. Dezember 1922 eingeweiht worden. Es war eine erhebende, jedem Teilnehmer unvergeßliche Feier. Die Ausführung war der Ludwigsburger Kunstwerkstätte von Regierungsbaumeister Ballin und Bildhauer Dauner übertragen, welche die ebenso reizvolle wie schwierige Aufgabe aufs glücklichste und in eigenartiger Weise gelöst hat: aus heimischem Gestein – Muschelkalk – gehauen eine betende, die Hände trauernd über dem Schwertgriff haltende Kriegergestalt, auf zwei Tafeln zu beiden Seiten die Namen der Gefallenen: wirkungsvoll aufgebaut an der Nordwestecke der Kirche, da, wo der Weg zum Friedhof führt, aber auch zur Schule, und hinaus in Feld und Weinberg. Da, wo den Tag über so viele Menschen vorbeiwandeln, da steht sie, »ein Standbild, standhaft und wacht«: den Toten zum ehrenden Gedächtnis, für die Angehörigen eine wehmütige Erinnerung, der Gemeinde ein Stolz, der Jugend ein Vorbild zu gleicher selbstloser Hingabe – sei es in friedlicher Pflichterfüllung, sei es, wenn es einmal nicht anders sein kann, in wehrhafter Verteidigung des Vaterlandes. Möge sie für immer dort stehen und den Geschlechtern, die noch kommen sollen, Kunde geben, was Tapferkeit und Treue der Väter vollbracht hat!

Aber gleiche Ehre wie den Gefallenen gebührt denen, welche lebend dem männermordenden Krieg entronnen sind, viele als Invaliden, wenige immer unverwundet; an der Gesundheit ungeschädigt kaum einer. Sie alle sind nicht minder als ihre gefallenen Kameraden bereit gewesen, ihr Leben herzugeben; sie haben mit nicht geringerer Treue ihre Schuldigkeit getan; ja sie haben es in gewisser Hinsicht noch schwerer gehabt, als mancher der Toten. Denn sie haben vom erhebenden Anfang an bis zum bitteren Ende die Lasten und Mühen des Krieges getragen, sind oft durch unsagbare seelische Erschütterungen des Kriegs hindurchgegangen, haben den Zusammenbruch sehen müssen und die Vergeblichkeit aller Opfer. Und das Vaterland, selber arm und schwach geworden, kann oder will den Halb- und Ganzinvaliden nur eine dürftig bemessene Unterstützung gewähren!

Was sich seither ereignet hat, von der Revolution bis zur Inflation, sind die bösen Auswirkungen unserer Niederlage, Nachwehen des Kriegs, die noch lange nicht überwunden sein werden. – Hier, wo wir der schlimmen Nachkriegsjahre gedenken, ist der Ort, die im Ausland wohnenden Besigheimer, insbesondere die Deutsch-Amerikaner, rühmend zu erwähnen, welche mit ihren Dollarspenden so mancher Familie über die schlimmste Notzeit (»Inflation«) hinweggeholfen, auch öffentlichen Anstalten hilfreich unter die Arme gegriffen haben. Wir nennen nur die Namen Köhler, Taxis und Schmid.

Nun ist das Leben langsam wieder in die altgewohnten Geleise eingelenkt; auch Arbeitswille und -Freudigkeit, Ruhe und Ordnung sind fast durchweg wieder zurückgekehrt, und die großen Dauerformen menschlichen Daseins und Schaffens, in Gemeinde und Kirche, Schule und Haus, der Rhythmus von Arbeit und Ruhe, Feiertag und Alltag, behaupten ungeschmälert wieder ihr Recht. Aber ein gemeinsames Erlebnis, wie der Weltkrieg zusamt der Nachkriegszeit eines ist, überhaupt alles, was nun schon an die elf Jahre die Gemüter unter dauerndem Druck hält, dazu ohne viel Aussicht auf eine entscheidende Wendung zum Besseren in absehbarer Zeit – das drückt seine Spuren, seine Wundenmale tief und unverwischbar zum wenigsten in die Seele des jetzt lebenden Geschlechts. Schwer leiden wir alle unter der gemeinsamen Not des Vaterlandes; dazu gibt es für jeden dessen noch genug, was ihm persönlich zu schaffen macht. Schlimmer noch als die äußere Not sind die verderblichen und verwüstenden Wirkungen der Kriegs- und Nachkriegsjahre auf sittlichem Gebiet. Wir sind aber dessen in guter Zuversicht, daß der tüchtige, gute Kern des deutschen Wesens in der Tiefe noch erhalten ist, und daß der Volkskörper jene Krankheitszustände mit der Zeit überwinden wird. Wir vertrauen auch, und noch mehr, darauf, daß über allem Wollen der Menschen, gutem und bösem, über aller Politik und Diplomatie ein höchster, heiliger und gerechter Wille waltet, der den Völkern ihre Wege vorzeichnet und ihre Lose zuteilt, nach eines jeden Gebühr. Wir hoffen, daß die Rolle, welche unserem Volk in der Menschheitsgeschichte zugedacht ist, noch nicht zu Ende ist; daß ihm noch Aufgaben vorbehalten sind, die es lösen soll; daß die tiefen Demütigungen, die über es verhängt wurden, nach der Absicht des Weltenlenkers nur das Mittel sein sollen, um es zu einem tauglichen Werkzeug für seine unerforschlichen Absichten zuzubereiten.

Aber unbekümmert um menschliche Schicksale, und davon unberührt, bestehen die unveränderlichen Formen der Natur und der Landschaft, in die unser Städtchen eingebettet ist; rauschen nach wie vor Neckar und Enz über ihre Wehre und eilen dem Meere zu, stehen rings umher unsere Berge und Höhen, aus hartem Gestein geschichtet. Und gegenüber dem stets bewegten, wechselvollen Ablauf der menschlichen Dinge scheinen sie uns, jene in ihrem Rauschen, diese in ihrem erhabenen, rätselvollen Schweigen, ein stolzes Lied von ihrer – nach menschlichem Maße endlosen – Dauer zu singen. ...

Ende


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