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Neuntes Kapitel

Katharina I., Kaiserin von Rußland

Daß eine Frau von dunklem und jedenfalls geringem Herkommen, aus niederer Stellung hervorgegangen, bei dem Eintritt ins mannbare Alter einem Dragoner verehelicht, dann den Wollüsten russischer Großen als Leibsklavin dienen, dem russischen Zar Peter I. zuerst in gleicher Stellung verbunden, dessen Gemahlin nicht nur, sondern auch dessen Nachfolgerin und – ohne einen sicheren Rechtstitel der Erbfolge, verfassungsmäßiger Wahl oder bestimmter Ernennung – die Beherrscherin des großen russischen Reiches werden und ohne ernstere Anfechtung bis an ihr Ende bleiben sollte, das ist jedenfalls eine der merkwürdigsten und für das damalige Rußland bezeichnendsten Tatsachen der Geschichte. Merkwürdig ist es aber dabei auch, daß noch heute die wahre Herkunft jener wunderbaren Frau noch keineswegs mit voller Sicherheit ermittelt ist, und zwar ohne daß eine eigentlich geflissentliche offizielle Geheimhaltung oder Verhinderung und Erschwerung der Nachforschungen und Ermittlungen stattgefunden zu haben schien. Es ist nicht versucht worden, ihr einen geheimnisvollen Ursprung aus höheren Gesellschaftssphären anzudichten, sie etwa als den Sprößling eines herabgekommenen hohen Geschlechtes oder als die Frucht einer unglücklichen Liebe vornehmer Personen darzustellen, wie das in ähnlichen Verhältnissen oft geschehen ist. Sie hat niemals ihre geringe Abkunft verheimlicht, hat auf ihrer späteren Höhe ihre Verwandten, früheren Freunde und Wohltäter nicht verleugnet, vielmehr ihnen Gutes getan und sie teilweise in hohe Stellungen gebracht. Es ist zwar in ihrem zweiten Regierungsjahre ein Dekret in betreff einer Besprechung ihrer Familienverhältnisse erlassen worden; aber auch dieses verbot nur ein unehrerbietiges Besprechen der Familie der Kaiserin. Dennoch steht über ihre Lebensgeschichte erst von der Zeit an etwas fest, wo sie von den Russen zu Marienburg als Pflegetochter eines Geistlichen gefunden wurde, und über ihre eigentliche Abkunft bestehen noch immer die verschiedensten Versionen, von denen bald diese, bald jene für die wahrscheinlichste erklärt wird.

siehe Bildunterschrift

Katharina I. von Rußland.
Stich von Mécou, nach einem Gemälde von Benner. Porträtsammlung der Nationalbibliothek Wien

In jüngster Zeit ist wieder ein neuer Bericht über diese Angelegenheit zu Tage gekommen, der jedoch nicht eine ganz neue Darstellung darüber bringt, sondern eine ältere Angabe, für die sich namentlich Büsching entschieden hatte, bestätigt und mit manchen Einzelheiten bereichert, dann aber auch über das weitere Leben Katharinas, namentlich auch au9 der Zeit vor ihrer Anerkennung als Gemahlin des Kaisers, mancherlei beibringt. Wir meinen die erst 1853 veröffentlichten Memoiren des Sieur de Villebois, der in russischen Diensten zum Chef eines Schiffsgeschwaders gestiegen war und den Personen Peters des Großen und Katharinas I. sehr nahe gestanden hatte. Villebois war der Sohn eines Edelmannes aus der Niederbretagne, der, ohne Vermögen und im Besitz einer zahlreichen Familie, sich durch heimlichen Verkehr mit englischen Schmugglern nährte und sich dabei des Beistandes seiner Kinder bediente. Bei einem solchen Geschäft wurde der damals fünfzehnjährige Sohn, von dem hier die Rede, dergestalt bloßgestellt, daß er es für gut fand, nach England zu flüchten, wo er eine Anstellung auf einem Kriegsschiffe fand. Sein Verhängnis wollte, so wird erzählt, daß dieses Schiff in den Texel kam und der damals in Saardam weilende Zar Peter auf demselben nach England fuhr. Auf dieser Reise soll das Schiff von einem dreitägigen Sturme befallen und nur durch die Kaltblütigkeit und Geschicklichkeit des jungen Villebois gerettet worden sein, worauf der Zar ihn umarmt und ihn als Schiffskapitän und Flügeladjutanten in seine Dienste genommen habe. Jedenfalls bekleidete er diese Chargen in Rußland, stieg zum Befehlshaber eines Schiffsgeschwaders auf, behauptete sich in der Gunst des Zaren und erhielt durch ihn die Hand eines Fräuleins Glück, welches der Kaiser mit Gütern in Finnland, Estland und Ingermanland ausstattete, und mit der er eine zufriedene Ehe geführt haben soll. Seinen Namen findet man später in der Liste großer russischer Würdenträger.

siehe Bildunterschrift

Fürst Menschikoff.
Stich der Zeit. Porträtsammlung der Nationalbibliothek Wien

Bezüglich Katharinas, auf deren Angelegenheiten er sich übrigens keineswegs beschränkt, vielmehr sich hauptsächlich mit Peter selbst beschäftigt, bringt er nicht bloß detaillierte Angaben über ihre Abkunft, sondern gibt zugleich an, wie diese, wenn auch nicht von ihm, doch von dem Kaiser erlangt oder ihm doch bestätigt worden seien. Hiernach wäre kurz vor der Krönung Katharinas, also 1724, ein außerordentlicher Gesandter des Königs von Polen auf der Rückreise in einer kurländischen Schenke abgestiegen und hätte da einem Streite betrunkener Stallknechte zugehört, von denen einer zwischen den Zähnen gemurmelt habe: wenn er ein einziges Wort sagen wolle, so hätte er Verwandte, die mächtig genug wären, sie ihre Unverschämtheit bereuen zu machen. Der Gesandte sei aufmerksam geworden, habe sich nach dem Menschen erkundigt und bei näherer Betrachtung desselben eine ferne Ähnlichkeit mit Katharina zu entdecken geglaubt. Er habe des Umstandes in einem Billett an einen ihm befreundeten russischen Hofmann gedacht und dieses Billett sei in die Hände des Kaisers gefallen, der darauf dem Fürsten Epnin, Gouverneur von Riga, befohlen habe, jenen Menschen aufsuchen, nach Riga kommen und dann unter dem Vorwande eines Prozesses der Petersburger Polizeibehörde zuschaffen zu lassen. Das sei geschehen, man habe den armen Teufel lange in Haft gehalten, über die ihm entlockten Aussagen genaue Recherchen angestellt und in der Tat ermittelt, daß er unzweifelhaft der Bruder der Gemahlin des Kaisers sei, worauf der Kaiser ihn selbst gesprochen und dann seine Gemahlin mit dem Wiedersehen ihres Bruders, von dem sie in frühester Kindheit getrennt wurde, überrascht habe. Sie sei dabei in Ohnmacht gefallen, habe aber dann ihren Bruder umarmt und die Gnade des Kaisers für ihn erbeten. Die ganze Sache sei, bei der letzten Entwicklung, vielleicht wider die Wünsche Katharinas, von dem Kaiser ziemlich öffentlich und auch vor Zeugen betrieben worden. Doch mag der baldige Tod des Kaisers und die Thronbesteigung Katharinas vielleicht den immerhin nicht zahlreichen Mitwissenden Stillschweigen aufgelegt haben, so daß die Sache ein Geheimnis Weniger blieb und sich als solches, unter anderen Versionen, fortpflanzte. Es soll übrigens jener Bruder Katharinas der Graf Skawronsky gewesen sein, der von Peter mit Rang und Reichtümern ausgestattet und der Stammvater eines blühenden Geschlechtes wurde, das von der Dynastie jederzeit mit besonderem Wohlwollen behandelt worden sein soll.

Gehen wir nun die gangbarsten Versionen, die es über die früheste Abkunft jener russischen Kaiserin gibt, kurz durch. Den meisten Glauben hat bis jetzt der Bericht eines hannoverischen Residenten Weber gefunden, den dieser an das hannoverische Geheimratskollegium erstattet hat. Hiernach wäre die Mutter Katharinas ein estnisches leibeigenes Bauernmädchen in dem Dorfe Ringen im Dorpater Bezirk gewesen und hätte sie außer der Ehe geboren. Das Gut habe einem verabschiedeten schwedischen Oberstleutnant von Rosen gehört, der unverheiratet gestorben und von manchen für den Vater des Kindes gehalten worden sei. Auf jenem Gute sei sie getauft und als uneheliches Kind in das Kirchenbuch eingetragen worden. Im dritten Jahre ihres Alters habe sie ihre Mutter verloren; der Oberstleutnant sei auch bereits gestorben gewesen; des verlassenen Kindes habe sich aber dessen Notpate, der Küster des Ortes, angenommen. Bei diesem habe sie der Präpositus (Superintendent, Dekan, Propst) Glück in Marienburg, auf einer Reise nach Dorpat, gesehen und sich aus Mitleid bewegen lassen, sie in seine Familie aufzunehmen, wo sie etwas geringer wie ein Kind der Familie, aber besser wie Dienstleute, also auf dem Standpunkte gehalten worden sei, der in der Regel sogenannten Pflegekindern neben ehelichen Kindern zuteil wird. – Von Geschwistern Katharinas kommt in dieser Erzählung nichts vor.

Eine andere Angabe ist in Schweden verbreitet gewesen. Hiernach sollte sie die Tochter eines schwedischen Regimentsquartiermeisters bei dem Elfsborgischen Regimente, Johann Rabe, und der Liefländerin Elisabeth Moritz gewesen und 1682 als Martha Rabe in Germunared in Schweden geboren worden sein. Ihr Vater sei bald nachher gestorben, die Mutter 1684 nach Liefland zurückgekehrt, aber schon folgenden Jahres gleichfalls mit dem Tode abgegangen, worauf das Kind von einem Küster und später von dem erwähnten Glück angenommen worden sei. Auch hier ist von Geschwistern keine Rede. Übrigens kann diese Version aus einer Namensverwechslung entstanden sein. Der erste Mann Katharinas wird überall, wo er genannt wird, Johann genannt, und als seinen Zunamen haben wir Rabin angegeben gefunden, so daß Katharina in der ersten Zeit nach ihrer Verheiratung die Rabin geheißen hätte. Da nun nicht viele von dieser sehr bald wieder getrennten Ehe gewußt haben mögen, so könnte die Meinung entstanden sein, sie sei eine geborene Rabe. Auch könnte der Mann, der mehrfach als Unteroffizier bezeichnet wird, zwar nicht Regimentsquartiermeister, aber doch Quartiermeister gewesen sein.

Die anderen beiden Versionen, welche jetzt im Hauptwerke durch die Villeboisschen Angaben bestätigt scheinen, unterscheiden sich nur in einigen Nebenpunkten. Nach beiden wäre sie ein eheliches Kind, von einer aus Litauen, oder, worunter dasselbe gemeint sein kann, aus Polen stammenden ursprünglich römisch-katholischen Familie, leibeigenen Bauersleuten, die sich in Dorpat niedergelassen hatten und dort von Handarbeit nährten. Nach Büsching wären die Eltern schon vor Katharina zur griechischen Kirche übergetreten; nach andern hätten sie ihre Kinder römisch-katholisch taufen lassen. Büsching nennt ihren Vater Samuel, an einer anderen Stelle Karl, beide Male ohne Zunamen. Andere Quellen haben den Familiennamen Skoworonski, Skavronski, Skawronski, welcher letztere eben in den Grafen Skawronski fortlebt. Dorpat soll der Ort ihrer Geburt sein. Sie selbst hat behauptet, sie wäre am 5. April 1689 geboren. Anderwärts findet man den 16. April 1688 angegeben, auch den 27. und 28. Januar 1689, und den 24. Februar 1684. – Auch nach Villebois waren Katharinas Eltern flüchtige Landleute aus Polen, jedenfalls Leibeigene, die sich in Dorpat niedergelassen hatten, wo sie als Taglöhner lebten, und wo Katharina 1686 geboren und römisch-katholisch getauft wurde. Von da seien sie, der Pest wegen, in die Umgebung von Marienburg gezogen, aber kurz nacheinander doch an der Pest gestorben. Sie hätten zwei kleine Kinder, einen kaum fünfjährigen Sohn und eine dreijährige Tochter hinterlassen, während ihre zweite Tochter in Dorpat zurückgeblieben wäre. Den Sohn habe ein Bauer, das Mädchen der Pastor zu sich genommen, der aber bald darauf mit dem größten Teile seines Hausstandes gleichfalls gestorben sei und das arme Wesen zurückgelassen habe, ohne daß jemand gewußt, wo es herstamme. Nicht eine zufällige Reise, sondern die Absicht, die verlassene Herde in Marienburg zu trösten, haben den Superintendenten Glück von Riga nach Marienburg geführt. Als er ins Pfarrhaus getreten, sei ihm jenes Kind entgegengelaufen, habe ihn bei dem Rocke gefaßt, Vater geheißen und nach Brot verlangt. Von Mitleid ergriffen, habe er sich nach dem Kinde erkundigt, nirgends eine Auskunft erlangen können und es endlich mit nach Riga genommen, wo es mit seinen beiden Töchtern, die ungefähr in gleichem Alter gestanden, erzogen worden wäre. Als es etwa 16 Jahre alt gewesen, habe man für gut gefunden, es zu verheiraten, und dazu einen jungen Trabanten gewählt, der zu Marienburg in Garnison gestanden. Die Trauung sei unter großem Zulauf von Menschen begangen worden, und zu Villebois' Zeiten hätten noch Leute gelebt, die sich ihrer erinnerten. Zwei Tage nach der Hochzeit hätte der junge Ehemann seiner Truppe nach Polen folgen müssen, und Katharina sei wieder bei Glück geblieben. Letzterer sei eben in Dienstgeschäften in Marienburg gewesen, als diese Stadt von dem Feldmarschall Scheremeteff belagert worden und, nachdem die schwache Garnison kapituliert hätte, wäre Glück von den Einwohnern gebeten worden, das Mitleid des Siegers für sie anzuflehen, worauf er sich, von seiner ganzen Familie begleitet, zu Scheremeteff verfügt habe, der bei dieser Gelegenheit Katharina gesehen und zurückbehalten habe. – In dieser Geschichte sind jedenfalls Irrungen und Konfusionen. Villebois macht, wider fast alle anderen Zeugnisse, Glück zum Superintendenten von Riga, was er nie gewesen ist, und daraus entspringen zahlreiche Unwahrscheinlichkeiten. Er läßt Katharinas Eltern in der Umgebung von Marienburg sterben und sie gleichwohl von dem Pastor zu Marienburg angenommen werden, während der Sohn zu einem Bauer gekommen wäre. Er läßt sie völlig irrig in Riga erzogen werden, womit wieder ihre Verheiratung mit einem Soldaten in Marienburg schwer in Einklang zu bringen ist. Er muß Glück zufällig wieder nach Marienburg kommen lassen, um ihn, wie das erstemal mit Katharina, so jetzt mit Scheremeteff in Verbindung zu bringen, und er muß ihn auch seine Familie von Riga nach Marienburg bringen lassen, damit sie ja den Augen des russischen Generals nicht entgehe. Man hätte denken sollen, wenn Glück allein, in Dienstgeschäften, in Marienburg war, so würde er sich aus den Ortsbewohnern eine Begleitung erlesen, aber an alles andere eher gedacht haben, als: seine Familie, Frau, Kinder und Dienstleute aus dem ungleich sicheren Riga ausdrücklich nach dem eroberten Marienburg nachzuholen, um sie dem russischen Sieger vorzuführen. Das alles hebt sich, wenn man annimmt, Villebois habe nur in dem einen Punkt geirrt, daß er Glück zum Superintendenten in Riga statt zum Propst in Marienburg macht. Aber war er von den Verhältnissen seines eigenen Schwiegervaters so mangelhaft unterrichtet? Was wirft dieser Umstand für ein Licht auf die Echtheit dieser ganzen Villeboisschen Memoiren?

Viel natürlicher und wahrscheinlicher ist hierin die Webersche Version. Nach derselben war Katharina in Marienburg bei dem Präpositus Glück bis in ihr 18. Jahr erzogen worden. Die schwedische Garnison habe dem Gottesdienste in der Kirche beigewohnt, in welcher der Präpositus gepredigt, und da habe denn ein Dragoner, der etwa 22 Jahre alt gewesen, eine Neigung auf sie geworfen und sich deshalb an eine Verwandte des Propstes gewendet. Der Propst habe erklärt: wenn der Freier ein ordentlicher Mensch und der Kommandant mit der Heirat einverstanden sei, so wolle er sich nicht widersetzen; Katharina habe ihre mannbaren Jahre erreicht; er selbst habe viele Kinder und wenig Mittel. Die Zeiten seien schlimm und die Russen in Anmarsch, so daß ein Hausvater fast wünschen möchte, gar keine Kinder zu haben; er wolle die Katharina jedoch nicht zwingen, sondern ihr freie Hand lassen. Der Major erklärte sich einverstanden und versprach zugleich, den Freier zum Korporal befördern zu wollen. Man ließ Katharina kommen und befragte sie, ob ihr »der junge Kerl« anstände. Da sie ihn nun schon vorher wegen seines blonden Lockenkopfes liebgewonnen, so gab sie ohne viel Bedenken ihr Jawort, und noch denselben Abend – es muß im August 1702 gewesen sein – fand die Verlobung statt. Der Bräutigam drang wegen des bevorstehenden russischen Angriffes auf Beschleunigung seines Glückes, und in der Tat wurde die Hochzeit auf den dritten Tag nach der Verlobung anberaumt, der Major nebst drei anderen Offizieren und deren Frauen dazu geladen, die Kopulation vorgenommen und dann eine fröhliche Abendmahlzeit gehalten. Daß der Neuvermählte noch während dieser Mahlzeit durch einen russischen Alarm abberufen und nach Riga versendet worden sei, bevor er noch an das Ziel seiner Wünsche gekommen, ist offenbar nur aus leicht zu erkennenden Gründen erdichtet und bei der Gewogenheit, die der Kommandant dem jungen Paar erwies, kaum denkbar. Warum hätte er gerade diesen Dragoner, dem der Dienst am schwersten fallen mußte, zu einer Versendung auswählen sollen? Weber versichert mit Bestimmtheit: jene Angabe sei ohne allen Grund; vielmehr hätten die Neuvermählten acht Tage zusammen gelebt, und erst dann sei der junge Ehemann mit zehn anderen Dragonern auf Kundschaft ausgeschickt worden. Am Tage nach seiner Abreise hätten die Russen die Belagerung eröffnet und die Stadt aufgefordert, sich ohne Widerstand zu ergeben, widrigenfalls sie gänzlich zerstört werden würde. Die Garnison bestand nur aus 200 Dragonern und zwei Fußkompagnien, und der Kommandant sah ein, daß er den Platz nicht behaupten könne. Er faßte, so erzählt Weber, den Gedanken, sich mit Schloß und Garnison in die Luft zu sprengen. Da aber Glück sich mit seiner ganzen Familie, wie andere angesehene Einwohner, auf das Schloß geflüchtet hatte, so zog der Kommandant ihn beiseite, entdeckte ihm sein Vorhaben und riet ihm, sich vorher mit der Einwohnerschaft der russischen Gnade zu ergeben. Glück habe darauf eine slawonische Bibel unter den Arm genommen, seine Familie, mit ihr Katharina und seinen Informator, Gottfried Wurmb, und hinter diesen die Einwohnerschaft ihm folgen lassen, und sei so durch das geöffnete Tor vor Scheremeteffs Lager und Zelt gezogen, wo er ihm die slawonische Bibel überreichte und zugleich auf die Dienste aufmerksam machte, die er dem Zaren durch seine Sprachkunst leisten könne. Scheremeteff nahm ihn ganz gut auf, versprach ihm Leben und Unterhalt und ließ dann die Leute die Musterung passieren, wobei ihm die schöne Martha oder Katharina auffiel. Er erkundigte sich nach ihr, worauf der Propst ihm erzählte, daß sie ein Findling und an einen schwedischen Dragoner verheiratet sei. »Das macht nichts«, erwiderte Scheremeteff, »sie ist mein und soll bei mir bleiben. Ihr übrigen sollt nach Moskau geschickt und dort versorgt werden.« Während die betrübten Marienburger über ihr Schicksal, das sie zur Trennung von der Heimat und zum Verlust ihrer heimischen Besitztümer verurteilte, jammerten, mußte Katharina sich an die Tafel des Feldmarschalls setzen, sich von einigen Offiziersfrauen aufputzen lassen und die Hautboisten mußten aufspielen. Mitten unter der Mahlzeit sprang das Schloß in die Luft; Marienburg wurde gänzlich zerstört und ist jetzt nur noch ein lettisches Dorf.

Ganz richtig ist diese Geschichte allerdings auch nicht, vielmehr war der Zusammenhang anders. Die Garnison hatte (3. September) kapituliert und freien Abzug für sich und die Einwohner erhalten. Als nun am 4. September die Russen einzogen, sprengten der Artilleriehauptmann Wulf und ein Stückjunker das Pulvermagazin in die Luft, wobei sie selbst und viele Schweden und Russen umkamen. Nun erklärte Scheremeteff, daß die Kapitulation gebrochen sei und alles sich kriegsgefangen ergeben müsse. Man scheint aber von den Zivilpersonen bloß die Honoratioren ausgewählt zu haben. Denn die russischen Berichte führen nur 356 Militärs und 32 andere Personen auf. Unter den letzteren befand sich die Glücksche Familie mit Katharina.

Man hat auch gesagt: Katharina sei zunächst in die Hände des Generals Bauer gefallen und erst aus dessen Besitz in den des Scheremeteff übergegangen. Indes, da die Quellen, wo diese Nachricht wohl zuerst vorkommt, Bauer vor Marienburg kommandieren lassen, während es gewiß ist, daß Scheremeteff diese Belagerung geleitet hat, sich jedenfalls annehmen läßt, daß Glück sich an den Oberbefehlshaber gewendet habe, auch Weber und Villebois von Bauer gar nichts wissen, so wird man wohl bei dem Scheremeteff stehen bleiben können. Möglich bliebe es freilich, daß Bauer die Avantgarde befehligt hätte und Katharina zunächst in seine Hände gefallen, er also ein Mittelglied in der Kette gewesen wäre, die von dem Dragoner über Scheremeteff und Menczikoff zu dem Zaren führte. Noch eine Version, die im Gegenteil diese Kette verkürzen will, läßt Katharina von Bauer der Fürstin Menczikoff geschenkt und bei dieser vom Zaren gesehen werden.

Die ganz abweichenden Angaben des Bussy-Rabutinschen Berichtes, wonach Katharina, als sie bei Glück gelebt, von einem schwedischen Offizier geschwängert, von Glück fortgejagt, dann an einen schwedischen Reiter verheiratet gewesen, drei Jahre mit diesem in Narwa gelebt hätte und dann mit ihm gefangen worden wäre, worauf sie in Moskau zufällig zu Scheremeteff und später als Wäscherin zu Menczikoff gekommen sei, widersprechen zu sehr allen anderen, zum Teil auf die glaubhaften Zeugnisse der Glückschen Familie und des Informators Wurmb begründeten Angaben, als daß man auf sie das mindeste Gewicht legen sollte. Sie charakterisieren von vornherein den ganzen Bericht jenes Gesandten als einen auf lügenhaftes Geklatsch boshafter Zungen begründeten. Wir werden noch mehr Belege beibringen.

Als gewiß wird man nach dem allen annehmen können, daß Katharina ein Waisenkind von geringer Herkunft war, bei einem mildtätigen Geistlichen Glück mit dessen Kindern erzogen, mit Beginn ihrer Mannbarkeit an einen schwedischen Soldaten verheiratet wurde und bald darauf in die Hände eines russischen Generals fiel. In welcher Konfession sie getauft wurde, lassen wir dahingestellt sein; ihr späterer Übertritt zur griechischen Kirche, der gewiß scheint, wurde schon dadurch nötig, daß sie bei Glück lutherisch erzogen worden war. In betreff ihrer früheren Abkunft entscheiden wir uns für die Version, welche sie von geflüchteten litauischen Bauern ableitet, da nur diese Annahme sich mit dem Auftreten und den Verhältnissen ihrer Geschwister vereinigen läßt, über welche sichere Tatsachen vorliegen. Wollte man auch die Geschichte, welche Villebois über den Skawronski bringt, in ihren Einzelheiten für ein Märchen halten, so ist es doch eine allgemeine, nie bezweifelte Annahme, daß die Grafen Skawronski von einem Bruder oder doch nahen Anverwandten Katharinas stammten. Über die beiden anderen Geschwister aber hat man zum Teil noch sicherere Nachrichten. Büsching hat nämlich das Tagebuch des Offiziers in Händen gehabt, der die Schwester Katharinas, Anna, aus Litauen abgeholt hat. Er war zu diesem Ende am 2. Februar 1725, also gleich nach dem Regierungsantritte Katharinas – ein Zug, der ihr Ehre macht – nach Riga gesendet worden, wo er sich bei Fürst Repnin zu melden hatte. Nach mehreren Erkundigungsreisen mittelte er aus, daß die Anna mit einem Leibeigenen Jefimowski verheiratet sei und diese Familie der verwitweten Starostin Rostowski zu Kaminiez gehöre. Er machte mit der Starostin Bekanntschaft, gab sich für einen sächsischen Offizier aus und sprach auch den Jefimowski und dessen Frau. Die Starostin aber schöpfte Verdacht und ließ seinen Bedienten betrunken machen, worauf dessen Äußerungen den Verdacht bestärkten. Als er daher am 21. Mai wieder nach Riga zurückreiste, zunächst um Geld zu holen, ließ sie ihn durch vier ihrer Leute überfallen. Er kam jedoch mit fünf Wunden am linken Arme, die denselben für immer unbrauchbar machten, davon und am 7. Juli wieder nach Riga. Am 3. August reiste er abermals nach Kaminiez, mußte die Reise aber am 17. September wiederholen, weil das Geld das erstemal noch nicht gereicht hatte. Am 12. Oktober brachte er die Jefimowskische Familie glücklich nach Riga, wo sie bis zum 23. November bei ihm blieb und dann durch einen Major B. nach Petersburg abgeholt wurde. Um dieselbe Zeit wurde auch die andere Schwester der Kaiserin, Christine, mit ihrem Mann Hendrikoff aus Großlitauen, wo sie in gleichen Verhältnissen wie die Jefimowskis, gelebt hatten abgeholt.

Um, bevor wir in Katharinas Lebensgeschichte weitergehen, die übrigen bei ihrem Jugendleben beteiligten Personen zu erledigen, so wird zunächst ihr erster Ehemann zu besprechen sein. Über diesen weichen die Angaben auf das Wesentlichste ab. Am kürzesten kommen die weg, welche ihn in einem Gefechte fallen lassen, das der Einnahme von Marienburg vorhergegangen sei, während die anderen Nachrichten ihn, übereinstimmend und nur in der Zeit variierend, vor dem Erscheinen der Russen von Marienburg entfernt werden lassen. In dem Weberschen Berichte wird versichert: Katharina habe sich von Zeit zu Zeit nach ihrem Mann erkundigt, ihm auch, wie sie bei Fürst Menczikoff gewesen, zuweilen 20 bis 30 Rubel Übermacht, mehr zu schicken aber Bedenken getragen, damit er sich nicht über seinen Stand hervortun und mit seinen Verhältnissen zu ihr prahlen möge; er sei aber 1705 auf einem Streifzuge erschossen worden. Daß sie im allgemeinen des jungen Mannes, der vermutlich die Erstlinge ihrer Liebe genossen, nicht unfreundlich gedacht, sich seiner auch keineswegs geschämt hat, dafür spricht wenigstens die Anekdote, welche Büschings Petersburger Freundin demselben erzählt hat. Die letztere will, und zwar als die einzige Zeugin, zugegen gewesen sein, wie Katharina in einer munteren Unterredung mit dem (schwedischen) General Schlippenbach diesen gefragt habe, ob nicht ihr Bräutigam Johann ein braver Soldat gewesen sei. Schlippenbach habe dem delikaten Punkte mit der Frage ausweichen wollen, ob er nicht auch einer sei. Katharina habe aber den Gegenstand festgehalten u. zw. die Gegenfrage bejaht, aber auch die vorige wiederholt, worauf Schlippenbach gesagt habe: »Allerdings, Ihro Majestät, und ich bin stolz darauf, daß ich die Ehre gehabt, ihn unter meinen Truppen zu haben.« – Schlimmer kommt der arme Mensch, der so früh aus den Armen gerissen wurde, die so viel Höhere so lange fesselten, bei Villebois weg. Dieser läßt ihn bei Pultawa (1709) gefangen mit 14.000 Leidensgenossen nach Moskau transportiert werden und zur Ausschmückung des triumphierenden Einzuges dienen, den der glückliche Usurpator seiner süßesten Rechte, der große Zar, am 1. Januar 1710 feierlich beging. Der rechtmäßige Inhaber der Reize, in deren Genüsse Peter schwelgte, habe, allem Anscheine nach, in seinem Exil von dem Verhältnisse, in welchem seine Frau zu dem Zaren stand, erfahren und eine Erleichterung seines Schicksals zu erhalten gehofft, wenn er sich dem Kommissar entdeckte, der mit der Sorge für die Gefangenen beauftragt war. Das habe aber nur die Folge gehabt, daß er nicht bloß mit den übrigen Gefangenen nach Sibirien geschafft, sondern auch dort in den entferntesten Teil verwiesen worden sei. Er soll aber noch längere Zeit gelebt haben und erst drei Monate vor Abschluß des Friedens zwischen Rußland und Schweden (10. September 1721) gestorben sein. Diese Version gehört offenbar den Parteien an, welche gegen die Ansprüche der Großfürstinnen Anna und Elisabeth waren. – Bussy-Rabutin endlich versichert, Katharina habe ihren Mann manchmal heimlich zu sich kommen lassen, um ihm die eheliche Pflicht zu leisten; der Zar habe sie einstmals beisammen getroffen, worauf er beide tüchtig durchgeprügelt und den Mann nach Sibirien geschickt habe.

Auch Glück war mit den Seinen nach Moskau gebracht worden und hatte dort eine Unterrichtsanstalt errichtet, welche hauptsächlich von den Kindern der ausländischen Kaufleute besucht wurde, ist aber, »aus vielem Gram«, bald gestorben. Katharina ließ darauf die Witwe nebst ihrem Sohne und ihren drei Töchtern nach Petersburg kommen, machte den Sohn zum Kammerjunker und Assessor, die jüngste Tochter zur Ehrendame bei den Prinzessinnen, verheiratete die beiden anderen an Offiziere, die eine an Villebois, und setzte der Witwe eine Pension aus. Die letztere starb 1720. Der Informator Wurmb entkam 1714 aus seiner Gefangenschaft zu Moskau nach Petersburg, wo er sich durch Sprachstudien nährte und u. a. auch den Residenten Weber die russische Sprache lehrte. Auf dessen und anderer Rat wendete er sich an Katharina und tat ihr einen Fußfall. Sie erkante ihn sogleich wieder und sagte: »Lebst du auch noch, du guter Wurmb; ich will dir Unterhalt geben«; worauf sie ihm monatlich 16 Rubel aus ihrer Schatulle aussetzte. Wurmb habe ihr übrigens das Zeugnis gegeben, daß sie sich in der Familie des Präpositus ehrlich und treu aufgeführt und diesem niemals Verdruß gemacht habe.

Kehren wir nun zu Katharina in der Zeit zurück, wo sie bei Scheremeteff war. Sie soll schon da ihre Partie als gewandte Frau genommen und sich der Notwendigkeit mit guter Miene gefügt haben. Einige Monate, nachdem sie in die Feldequipage des Feldmarschalls aufgenommen worden, kam Menczikoff ins Lager, sah Katharina und ließ sie von Scheremeteff abtreten. Der Tausch war nicht ohne Vorteil für Katharina, da Menczikoff jünger und weniger ernsthaft als sein Vorgänger und, wie sie ihrerseits sich dem neuen Besitzer mit etwas größerem Behagen hingab, so auch ihr Eindruck auf ihn ein wirksamerer war, so daß man, wie Villebois versichert, nach wenigen Tagen nicht mehr hätte unterscheiden können, ob er Herr oder Sklave gewesen. Nach einiger Zeit speiste der Zar einmal bei Menczikoff, sah die Katharina, ließ sich von Menczikoff ihre Geschichte erzählen, plauderte mit ihr und borgte sie sich schließlich für eine zärtliche Szene, nach deren Genuß er sie dem bisherigen Inhaber, nicht unbenutzt, aber unversehrt, zurückgestellt haben soll. Sie soll nach der Abreise des Zaren dem Menczikoff bittere Vorwürfe gemacht und sich dadurch um so fester in dessen Gunst gesetzt haben. Bei der Rückkehr des Zaren hätte sie es vermieden, sich von diesem sehen zu lassen, bis derselbe endlich nach ihr gefragt habe. Die Verlegenheit, mit der sie vor ihm und Menczikoff erschien, – die natürliche Scham über ein Verhältnis, das dem in einer deutschen lutherischen Pfarrerfamilie erzogenen jungen Weibe ebenso demütigend erscheinen mußte, als es den an dergleichen gewohnten slawischen und finnischen Leibeigenen ganz in der Ordnung erschien – machte, in Verbindung mit ihren dadurch nur erhöhten Reizen, einen solchen Eindruck auf die Männer, daß beide betroffen wurden, und als der Zar auch bei den Scherzen, zu denen er sich bald wieder faßte, mehr der Ehrerbietung, als einem Entgegenkommen begegnete, schien er pikiert, hörte auf, mit ihr zu sprechen und war die übrige Zeit des Soupers hindurch nachdenklich und schweigsam. Als sie ihm am Schlüsse der Mahlzeit den üblichen Likör überreichte, sah er sie lange an und sagte dann: »Katharina, wie mir scheint, sind wir nicht mehr auf so gutem Fuße, wie bei meiner ersten Reise; aber ich rechne darauf, daß wir diese Nacht unseren Frieden machen werden«, worauf er sie unter den Arm nahm und in seine Wohnung führte. Drei Tage darauf sagte er Menczikoff, nachdem sie von Geschäften gesprochen und dieser im Fortgehen war, wie gelegentlich: »Ich behalte Katharina, sie gefällt mir; du mußt sie mir abtreten.« Menczikoff verbeugte sich tief und wollte gehen, als der Zar ihn zurückrief und ihm einen weiteren Wink mit den Worten gab: »Du hast ohne Zweifel nicht daran gedacht, daß jene Arme fast nackend ist; unterlasse nicht, ihr so bald als möglich etwas zum Anziehen zu schicken; ich meine, sie soll anständig geschmückt (nippée) sein.« Menczikoff ließ sofort die ganzen Toilettesachen Katharinas einpacken und fügte noch einen Diamantschmuck, mindestens 20.000 Rubel an Wert, hinzu, worauf er das Paket durch zwei Leibeigene, welche Katharina gewöhnlich bedient hatten, hintragen ließ und ihnen befahl, bei ihr zu bleiben, solange sie sie behalten wolle. Katharina war bei dem Zaren, als die Sachen in ihr Zimmer gebracht wurden, und höchst erstaunt, wie sie dieselben erblickte. Sie ging sogleich zu dem Zaren zurück, sagte: »Ich bin lange genug in Ihrem Zimmer gewesen, daß Sie mich wohl einmal auch in dem meinigen besuchen können, wo ich Ihnen etwas sehr Seltsames zu zeigen habe«, faßte ihn bei der Hand und führte ihn hinüber. Sie zeigte ihm das Paket und sagte dann mit ernstem Tone: »Was ich hier sehe, kündigt mir an, daß ich so lange hier bleiben soll, als es Eurer Majestät beliebt. Unter diesen Umständen geziemt es sich, daß Sie alle die Schätze bewundern, die ich mitbringe.« Sofort ihre Sachen auspackend, sprach sie: »Das ist die Habe der Sklavin des Menczikoff.« Als sie aber das Schmuckkästchen erblickte, das sie für ein Zahnstocheretui hielt, rief sie aus: »Man hat sich versehen; hier ist ein Gegenstand, der mir nicht gehört und den ich nicht kenne.« Sie öffnete es und sah den kostbaren Schmuck. Jetzt blickte sie den Zaren fest an und sagte: »Ist das ein Geschenk meines alten oder meines neuen Herrn? Wenn es von Menczikoff ist, so verabschiedet er seine Sklavin kostbar.« Es entfielen ihr einige Tränen und sie konnte einen Augenblick nicht sprechen, hob aber dann die Augen zu dem Zaren auf, der sie forschend ansah, und sagte: »Sie sagen kein Wort; ich erwarte Ihre Antwort.« Der Zar betrachtete sie fortwährend, ohne zu antworten. Sie besah die Juwelen nochmals und sagte dann: »Wenn das von meinem alten Herrn kommt, so darf ich nicht darüber schwanken, ihm seine Geschenke zurückzuschicken.« Auf einen kleinen Ring von geringem Werte zeigend, fuhr sie fort: »Ich behalte nur dies, das mehr als hinreichend ist, mich an die Güte zu erinnern, die er für mich gehabt hat; wenn das Geschenk aber von meinem neuen Gebieter ist, so stelle ich es ihm zurück; ich verlange nicht nach seinen Schätzen; ich erstrebe etwas kostbareres von ihm.« Zugleich zerfloß sie in Tränen und ward so unwohl, daß man ein Riechmittel anwenden mußte, sie wieder zu sich zu bringen. Hierauf erklärte ihr der Zar, die Juwelen seien ein Andenken Menczikoffs, der ihr damit sein Abschiedsgeschenk mache; er sei mit ihm zufrieden, daß er so gehandelt habe, wolle, daß sie das Geschenk annehme, und werde den Dank besorgen. Bei dieser Szene seien die beiden Leibeigenen und ein Hauptmann von der Preobraczenskoigarde zugegen gewesen.

Wenn diese Geschichte, welche Villebois erzählt, nicht wahr ist, so ist sie gut erfunden; ist sie wahr, so kann man sich wohl denken, daß gerade dieser Vorgang einen stärkeren Grundstein zu Katharinens Erhebung gelegt hat, als alle ihre Reize, deren Genuß allein nur selten ein dauerndes Band knüpft, während es für den Zaren eine ihn tief bewegende Erscheinung sein mußte, in einer Leibeigenen, neben hohen Reizen, ein denkendes Wesen, Zartgefühl, Takt, Uneigennützigkeit und Dankbarkeit und ein Streben nach wahrhafter Liebe zu entdecken. Denn keineswegs glauben wir, daß sie bei jener Szene als Schauspielerin gehandelt. Peter bewies ihr jetzt eine Aufmerksamkeit und Zärtlichkeit, wie sie ihm sonst den Gegenständen seiner Begierde gegenüber unbekannt gewesen waren, und sie wurde ihm die geliebteste der Frauen, die Freundin seiner Seele. Später, wie Gewohnheit und Sicherheitsgefühl ihren Einfluß geäußert hatten, ließ er sich auch gegen sie gehen, bewahrte ihr aber, bis kurz vor seinem Tode, ein Vertrauen, wie es nur der Gatte der Gattin schenkt, die er achtet und liebhat. Im übrigen erhöhte es wohl auch den besonderen Reiz seines Verhältnisses zu Katharina, daß er sich im Anfang darin gefiel, es in ein gewisses Geheimnis zu hüllen. Villebois, seine Behauptung, daß das Erzählte in Liefland vorgegangen, festhaltend, versichert, daß Peter während seines dortigen Aufenthaltes auch zu seinen Vertrautesten kein Wort über Katharina gesprochen habe. Als er nach Moskau zurückgemußt, habe er einen Gardekapitän beauftragt, sie in möglichstem Geheimnis dorthin zu bringen, ihr unterwegs jede denkbare Rücksicht zu widmen, täglich ihm Nachricht von ihr zu geben und sie in Moskau bei einer im voraus unterrichteten Dame unterzubringen. Hier lebte sie geräuschlos, fast unbekannt, im Innern des Hauses aber natürlich auf anständigem und behaglichem Fuße. Zwei bis drei Jahre blieb sie in jener Wohnung, in einem stillen und von der großen Welt entlegenen Stadtteile, bei einer Dame von guter Familie, aber mittlerem Stande und Vermögen. Das Haus war äußerlich unansehnlich, aber im Innern komfortabel. Der Zar verbot seiner Geliebten, sich in weitere weibliche Bekanntschaften einzulassen. Zu ihrer Bedienung erlas sie sich selbst hübsche ingermanländische Mädchen aus den eroberten Plätzen und eignete sich erst jetzt die russische Sprache vollkommen an. Lesen und Schreiben hat sie niemals gelernt und ließ ihre Schreiben stets durch eine Ehrendame signieren. Dagegen sprach sie Deutsch, Russisch, Schwedisch und etwas Französisch. 1703 wurde sie in die griechische Kirche aufgenommen, wobei der Zarewitsch Alexei Patenstelle bei ihr vertrat.

Der Zar ließ nicht leicht eine Nacht verstreichen, ohne sie zu besuchen, und begab sich erst in einer Stunde, wo die Straßen verlassen waren, nur von einem Grenadier begleitet, zu ihr, der Einzigen, der er fessellos sein Herz ausschütten, seine aus Schlauheit, Verstellung und Kühnheit gemischten Entwürfe mitteilen und stets gewiß sein konnte, einen treugemeinten, unbefangenen und durch den natürlichen Verstand eines sehr klugen Weibes bestimmten Rat zu finden. Nach und nach fing der Zar an, auch seine Minister in dem bescheidenen Asyl seiner Liebe zu empfangen und sich, in Gegenwart Katharinas, mit ihnen zu beraten. Die Einsicht und das richtige Urteil, das sie dabei mehr und mehr an den Tag legte, der sichere Takt, mit dem sie den Charakter und die Neigungen und Launen Peters zu ergründen und zu beachten wußte, die Gelassenheit, mit welcher sie seinen nur körperlichen Abschweifungen zusah, die Geschicklichkeit, mit der sie seine Hitze ertrug und erst, wenn sie zu verrauchen begann, mit sanften und umsichtigen Vorstellungen ihre Folgen abwendete oder milderte, ihr Gleichmut in allen Wechselfällen, ihre sorgsame Pflege seiner Gesundheit, das alles befestigte sie immer stärker in dem Herzen des Zaren und machte sie ihm immer unentbehrlicher. Schon 1707 soll sie ihm förmlich angetraut worden sein, wenn dies nicht eine Fiktion war, welche die am 9. März 1708 erfolgte Geburt der Prinzessin Anna, der nachherigen Herzogin von Holstein-Gottorp und Mutter des Kaisers Peter III., noch besser, als es die nachherige öffentliche Vermählung tat, und gleich von vornherein legitimieren sollte. Frühzeitig legte der Zar seiner Katharina den Titel Gossudarina (gnädigste Frau) bei. Am 29. Dezember 1709 gebar sie die Prinzessin, nachherige Kaiserin Elisabeth von Rußland. Am 17. März 1711, an demselben Tage, wo Peter zu dem Türkenkriege nach Polen aufbrach, erklärte er Katharina für seine wahre und rechtmäßige Gemahlin.

Sie begleitete ihren Gemahl auf diesem Feldzuge und erhielt schon in Stuzk, wo er von einer gefährlichen skorbutischen Krankheit, einem russischen Nationalübel, befallen ward, Gelegenheit, ihm durch treue und liebevolle Pflege den Wert einer wahren Gattin fühlbar zu machen. Es gehört nicht hierher, die Umstände und Vorgänge zu schildern, welche darauf das russische Heer am Pruth in die fast unausweichbare Gefahr der gänzlichen Vernichtung brachten. Nur das mag erwähnt werden, daß am 5. Juli, wo die Russen noch gegen Abend einen dreimaligen Angriff der Janitscharen abschlugen, bis die Nacht die Streitenden trennte, kaum 24.000 Russen, den Kaiser und seine Gemahlin in ihrer Mitte, von äußerstem Mangel bedrängt, von gegen 200.000 Türken und Tartaren umringt waren, und im Rate der letzteren schon beschlossen war, die Russen durch einen Graben einzuschließen, bis das Geschütz eingetroffen wäre und dann 500 Kanonen das Vernichtungswerk vollenden könnten. Es ist bekannt, daß der türkische Großvezier sich noch in dieser Stellung bestimmen ließ, den Russen einen Frieden zu bewilligen, der ihnen zwar wichtige, in früherer Zeit errungene Vorteile raubte, der aber, auch wenn er zehnmal härter gewesen wäre, ihnen als ein Glück erscheinen mußte. Ein Geschenk von mehr als 200.000 Rubel soll die Wendung bewirkt haben, die auch dadurch gefördert ward, daß sie den, allerdings ohne Voraussicht so beispielloser Erfolge erteilten Instruktionen entsprach, die der Großvezier vom Sultan erhalten hatte und durch die er sich gedeckt glaubte. Man hat keinen Beweis dafür, daß Katharina an diesen Verhandlungen einen weiteren Anteil gehabt, als sofern sie dem Kriegsrate, wo der Rettungsversuch beschlossen ward, beiwohnte, den Kaiser für denselben gewann und dessen Mut stärkte. Im Heer und bald auch im gesamten Volke galt sie für die Urheberin des Rettungsgedankens und selbst bei dessen Ausführung viel beteiligt, und der Kaiser freute sich dieses Glaubens und benutzte ihn, um am 1. März 1712 öffentlich die Feierlichkeiten seiner Vermählung mit ihr anstellen zu lassen. In unmittelbare Verbindung mit jener Krisis am Pruth wurde die Stiftung des Ordens der hl. Katharina gebracht, indem dieselbe (1714) zum Andenken an die Anwesenheit Katharinas bei der Schlacht mit den Türken, wo sie sich in den gefährlichsten Umständen nicht als ein Weib, sondern mit männlicher Unerschrockenheit verhalten habe, erfolgte. Der Kaiser hing den nur für Frauen bestimmten Orden seiner Gemahlin an ihrem Namenstage selbst um. Die Dekoration selbst zeigt auf der einen Seite ein silbernes Kreuz mit dem Bildnis der Heiligen, auf der anderen ein Adlernest und zwei Adler, welche Schlangen verzehren, mit der Inschrift: aequat munia comparis.

1716 und 1717 begleitete sie den Zaren auf Reisen ins Ausland, hielt sich namentlich in Holland auf, ging aber nicht mit nach Paris, wo man Etiketteskrupel besorgte. Wie sie ihrem kaiserlichen Gemahl schon am 27. Oktober 1715 einen Sohn geboren hatte, der jedoch am 25. April 1719 wieder starb – Bussy-Rabutin läßt ihn auf dem Arme seiner Amme zu Kronschloß vom Blitz erschlagen werden – so wurde sie auch auf jener Reise in Basel von einem zweiten Sohne entbunden, der aber nur einen Tag lebte. Die Rückreise ging über Berlin, und von ihrem dortigen Aufenthalte hat die Markgräfin von Baireuth im ersten Teil ihrer mit mehr Geist als Gutherzigkeit und Wahrheitsliebe geschriebenen Memoiren eine pikante Schilderung gegeben, welche zwar manche Übertreibung und auf den Effekt berechnete Ausschmückung enthalten mag, immer aber ihr für alle Teile charakteristisches hat. Der Zar hatte gebeten, ihn in Monbijou, einem Landhause der Königin, absteigen zu lassen, was der letzteren sehr unangenehm war, weil sie für die überaus nette und elegante Einrichtung des Hauses fürchtete. Sie ließ deshalb wenigstens alles Zerbrechliche fortschaffen. Der Zar, seine Gemahlin und ihr Gefolge kamen zu Wasser nach Monbijou und wurden von dem König und der Königin am Ufer des Flusses empfangen, wobei der König Katharina die Hand bot, um ihr beim Landen zu helfen. Sobald der Zar ausgestiegen war, gab er dem König die Hand mit den Worten: »Es freut mich sehr, Sie zu sehen, mein lieber Friedrich.« Er näherte sich darauf der Königin, die er umarmen wollte, aber zurückgewiesen wurde. Die Zarin begann damit, daß sie die Hand der Königin küßte, was sie mehrmals wiederholte. Sie stellte ihr darauf den Herzog und die Herzogin von Mecklenburg, die sie begleitet hatten, und 400 sogenannte Damen vor, die in ihrem Gefolge waren. Es waren meistenteils deutsche Dienstmädchen, welche die Funktionen von Ammen, Kammerfrauen, Köchinnen und Wäscherinnen vertraten. Fast jedes dieser Geschöpfe trug ein reichgekleidetes Kind auf dem Arme, und wenn man sie fragte, ob es ihre Kinder wären, antworteten sie mit Knixen à la russisch: der Zar hat mir die Ehre erzeigt, mir dieses Kind zu machen. Die Königin wollte diese Geschöpfe nicht grüßen. Dafür behandelte die Zarin die Prinzessinnen von Geblüt hochmütig, und nur mit vieler Mühe erlangte es der König von ihr, daß sie sie begrüßte. Am nächsten Morgen machten der Zar und die Zarin ihren Besuch bei der Königin, die sie in den großen Appartements des Schlosses empfing und ihnen bis in den Saal der Garden entgegenging. Die Königin gab der Zarin die Hand, ließ sie sieh zur Rechten gehen und führte sie in ihr Audienzzimmer, .während der König und der Zar folgten. Sobald der Zar die damals achtjährige Prinzessin Friederike sah, erkannte er sie wieder, da er sie fünf Jahre vorher gesehen hatte. Er nahm sie in die Anne und zerkratzte ihr das ganze Gesicht, weil er sie mit Gewalt küssen wollte. Sie gab ihm Backenstreiche und sträubte sich soviel sie konnte, indem sie ihm sagte, sie wolle nichts von diesen Vertraulichkeiten und er entehre sie. Er lachte sehr über diese Idee und unterhielt sich lange mit ihr. Man hatte sie dazu eingeschult; sie sprach zu ihm von seiner Flotte und seinen Eroberungen, und das gefiel ihm so, daß er der Zarin wiederholt sagte: er wolle gern eine seiner Provinzen darum geben, wenn er ein solches Kind bekommen könnte. Die Zarin liebkoste Friederiken auch sehr. Die Königin und Katharina setzten sich unter den Thronhimmel, jede auf einen Lehnsessel; die Prinzessin Friederike war zur Seite der Königin, die Prinzessinnen von Geblüt ihr gegenüber.

Die Zarin war nach dem Bericht der Markgräfin »klein und untersetzt, sehr brünett und besaß weder Air noch Grazie. Man brauchte sie bloß zu sehen, um ihre geringe Herkunft zu erraten. Nach ihrem lächerlichen Aufzuge hätte man sie für eine deutsche Schauspielerin gehalten. Ihre Kleidung war auf dem Trödel gekauft. Sie war à l'antique und sehr mit Silber und Flitterwerk überladen. Das Vorderteil ihres Leibchens war mit Edelsteinen geschmückt, das Dessin aber sehr eigentümlich: ein doppelter Adler, dessen Federn mit den kleinsten und sehr schlecht gefaßten Diamanten garniert waren. Sie hatte ein Dutzend Orden und ebensoviel Heiligenbilder und Reliquien längs der Einfassung ihres Kleides befestigt, so daß man, wenn sie ging, ein Maultier zu hören glaubte, indem alle diese Orden aneinanderstießen und gerade jenes Geräusch machten. Der Zar dagegen war sehr groß und ganz hübsch aussehend; sein Gesicht war schön, aber der Ausdruck desselben hatte etwas so rohes, daß er Furcht einflößte. Er war nach Matrosenart gekleidet und sein Anzug aus einem Stücke. Die Zarin, die sehr schlecht deutsch sprach, und nicht gut verstand, was die Königin zu ihr sagte, ließ ihre Närrin herantreten und unterhielt sich mit ihr russisch. Dieses arme Geschöpf war eine Prinzessin Golyzin und war genötigt gewesen, sich in dieses Geschäft zu fügen, um ihr Leben zu retten. Da sie sich in eine Verschwörung gegen den Zaren eingelassen, hatte man ihr zweimal die Knute gegeben. Ihr Geplauder brachte die Zarin aber zu lautem Lachen. Man setzte sich endlich zu Tisch und der Zar saß neben der Königin.« Die Markgräfin nimmt als bekannt an, daß Peter in seiner Jugend Gift bekommen habe, das ihm auf die Nerven gefallen sei und ihn häufigen Krämpfen ausgesetzt habe. Dieses Übel befiel ihn bei Tische und da er gerade das Messer in der Hand hatte, und damit nahe an der Königin herumfuhr, so wurde der Königin bange und sie wollte mehrmals aufstehen; er beruhigte sie aber und versicherte, daß er ihr kein Leid tun werde. Dabei faßte er ihre Hand und drückte sie so sehr, daß sie um Gnade rief, worüber er herzlich lachte und ihr sagte, sie habe zartere Knochen als seine Katharina. Man hatte alle Vorbereitungen zu einem Ball nach dem Souper getroffen; aber er machte sich davon, sobald er aufgestanden war, und ging ganz allein zu Fuß nach Monbijou zurück.

Am folgenden Tage zeigte man ihm alle Merkwürdigkeiten Berlins und unter anderem das Antikenkabinett. Unter den antiken Statuen fand sich eine, welche eine heidnische Göttin in einer sehr unanständigen Stellung darstellte, ein Bild, womit die alten Römer die Brautkammern schmückten. Dieses Stück galt für sehr selten und für eines der schönsten, die es gibt. Der Zar bewunderte es sehr und befahl der Zarin, es zu küssen. Als sie sich sträubte, wurde er böse und sagte in schlechtem Deutsch: »Kop ab«, womit er gemeint haben soll, daß er sie köpfen lassen wolle, wenn sie nicht gehorche, worauf sie sich fügte. Er verlangte ohne Umstände diese Statue und mehrere andere vom König, der sie ihm so wenig versagen konnte, wie das in seiner Art einzige Bernsteinkabinett, das Friedrich I. ungeheure Summen gekostet. Nach der bald erfolgten Abreise des russischen Hofes eilte die Königin nach Monbijou, wo sie eine solche Verwüstung fand, daß sie fast das ganze Haus neu bauen lassen mußte.

Peter kam nach Rußland zu der traurigen Katastrophe seines Sohnes Alexei und der Awodotja. In betreff des Anteils, welchen Katharina an diesen Vorgängen sowie in dem Schicksal ihrer verstoßenen Vorgängerin Awodotja gehabt, stehen sich die Zeugnisse direkt entgegen. Diejenigen Schriftsteller, welche im allgemeinen geneigt sind, Katharina günstig zu beurteilen, versichern, daß sie in beiden Fällen mildernd und mäßigend zu wirken gesucht habe, während ihre Gegner, zu denen sich auch Villebois schlägt, dieses Verfahren für Verstellung erklären und der Meinung sind: weil sie ein starkes Interesse an dem Untergange jener Unglücklichen gehabt, müsse sie auch die letzte und stärkste Triebfeder desselben gewesen sein. Ohne bestätigende äußere Umstände kann man diesem Schlüsse kein Gewicht beimessen, zumal jene Personen nur zu viel getan hatten, sich selbst ihr Verderben zuzuziehen, und sich außerdem zahlreiche andere Feinde erweckt hatten.

Noch jahrelang erhielt sich Katharina in dem ungeschmälerten Vertrauen und der Achtung ihres kaiserlichen Gemahls, der über den Takt ihres Benehmens ganz anders urteilte, als die Markgräfin von Baireuth, und oft mit Bewunderung hervorhob, mit welchem Talent sie sich zur Kaiserin gebildet und wie sie dabei doch nie vergessen habe, daß sie nicht dazu geboren sei. Er unternahm nicht leicht eine Reise, hielt keine Musterung der Truppen, gab kein Fest und wohnte keiner Feierlichkeit bei, ohne daß Katharina dabei zugegen gewesen wäre. Sie begleitete ihn denn auch auf dem so äußerst beschwerlichen persischen Feldzuge von 1722 und teilte dort alle seine Mühen und Gefahren. War es eine Belohnung dafür, oder geschah es mit Rücksicht auf die schwankende Gesundheit des Zaren und seine Fürsorge für die Zukunft des Reiches, daß Peter sich zu Anfang des Jahres entschloß, Katharina in der alten Hauptstadt des Reiches, Moskau, feierlich krönen und salben und damit zur Herrscherin weihen zu lassen? Zu diesem Ende begab er sich im Februar 1724 mit der ganzen kaiserlichen Familie, den Großwürdenträgern des Reiches und den fremden Gesandten nach Moskau. Am Vorabend der Feier soll er bei einem englischen Kaufmann, zu dem er mit einigen Senatoren zu Gaste kam, in Gegenwart der Erzbischöfe von Nowgorod und Pleskow und des Großkanzlers mit Bestimmtheit erklärt haben: die Krönung sei keine bloße Zeremonie; sie solle der Gekrönten das Recht zu regieren geben; sie, die bei seinen Lebzeiten das Reich am Pruth gerettet, verdiene auch, es nach seinem Tode zu beherrschen, und von ihr könne er erwarten, daß sie seine Anstalten aufrechterhalten und das Reich glücklich machen werde. – Am 7. Mai fand die Krönung und Salbung in der Kathedrale statt. Katharina hatte sich drei Tage lang durch Gebet und Fasten dazu vorbereitet. Den Zug eröffnete und schloß die neu errichtete Leibgarde der Kaiserin, eine aus 60 Kapitäns und Leutnants von vornehmer Geburt bestehende Reiterschar, die der Generalgouverneur Jaguschinskij als Kapitänleutnant befehligte. Katharina führte der Herzog Karl Friedrich von Holstein, ihr nachheriger Schwiegersohn und Vater des Kaisers Peter III. Der Zar, dem die Feldmarschälle Menczikoff und Repnin zur Seite gingen, trat vor ihr in die Kirche. Der Erzbischof von Nowgorod segnete die Kniende und betete über ihr. Dann setzte der Zar selbst ihr die Krone auf, wobei sie Tränen vergoß; der Erzbischof gab ihr den Reichsapfel in die Hand, und indem sie diesen mit der Rechten aufnahm, umfaßte sie mit der Linken das Knie ihres Gemahls, es zu küssen; das Zepter, als das eigentliche Zeichen der Ausübung des Regiments, behielt Peter. Es folgte darauf die Salbung und eine Rede des Erzbischofs Theophanes beschloß die merkwürdige Feier, welche eine gefangene Leibeigene aus estnischem oder polnischem Stamme, die Dienstmagd eines lutherischen Geistlichen, die Witwe eines schwedischen Dragoners, die Leibsklavin russischer Generale, desselben Menczikoffs, der sie jetzt zu seiner Kaiserin krönen sah, ein nur durch die Schule der Erfahrung gebildetes Weib, zur Beherrscherin des großen russischen Reiches weihte.

Peter hatte das Weib seines Herzens so hoch gehoben, als in seiner Macht stand und zugleich ihre Zukunft für den nur zu bald eintretenden Fall seines Todes sichern wollen. Und doch sollte, noch bevor er ins Grab sank, ihr die drohendste Gefahr des gänzlichen Sturzes, ihm eine starke Versuchung zu ihrem Sturze nahetreten. Die Vertrautesten der Kaiserin waren ihr erster Kammerherr Mons de la Croix und dessen Schwester, ihre erste Staatsdame, die verwitwete Generalin v. Balk. Nicht nur, daß sie den Kanal bildeten, durch welchen man sich in Gnadensachen an die Kaiserin zu wenden hatte, und daß ihre diesbezügliche Vermittlung nicht umsonst zu erlangen gewesen sein soll, Peter faßte auch Verdacht, daß Mons mit seiner Gemahlin in einem zärtlichen Verhältnisse stehe, die Frau v. Balk aber die Mitwisserin und Gelegenheitsmacherin dabei sei. Das Verhältnis soll ziemlich offenkundig gewesen sein, und Villebois versichert, daß jedermann am Hofe die Passion der Zarin für Mons erkannt habe. Es wird auch versichert, daß der Zar Beweise gesammelt habe, die ihn nicht mehr an der Schuld der Kaiserin zweifeln ließen; indes hat noch niemand angegeben, worin diese Beweise bestanden haben sollen; daß Eifersucht sehr geneigt ist, das Urteil über die Beweise der Schuld zu trüben, ist bekannt, und wenn es wahr ist, daß Jaguschinskij, der um diese Zeit in besonderer Gunst bei dem Zaren stand und gegen welchen Katharina und Menczikoff intrigiert haben sollen, der Ankläger Katharinas gewesen ist, so kann man wohl glauben, daß mancherlei falsche Anzeichen mit im Spiele gewesen sind. Jedenfalls scheint uns weder das Benehmen Katharinas, noch das des Zaren bei der Sache dafür zu sprechen, daß wahre Beweise der Schuld erlangt worden seien. Am Abend des 19. November war der Zar bei seinem Pagen Wassilij Petrowicz gewesen. Als er nach Hause kam, fand er seine Familie beisammen, von den Offizieren des Hofes umgeben. Er befahl Mons, nach der Uhr zu sehen. Es war 9 Uhr vorbei. Darauf sagte der Zar: es ist Zeit, zu gehen, und begab sich in sein Gemach, worauf auch Mons und die übrigen Hofherren nach Hause gingen. Mons hatte sich ausgezogen und rauchte eine Pfeife, als der General Uschakoff eintrat, der ihm seine Verhaftung ankündigte, Degen und Schlüssel abnahm, überall die Siegel anlegte und ihn in seine Wohnung führte. Dort war der Zar bereits, sah Mons verächtlich an, sagte aber nur: »Bist du auch hier?« und ging wieder fort. Am 20. November wurde Mons in die Kanzlei des Kabinetts gebracht, wo der Zar auch war. Als Mons Peter I. sah, fiel er in eine tiefe Ohnmacht. Man ließ ihn zur Ader und der Zar befahl, daß man ihm Zeit lassen sollte, sich zu erholen. Auch über den weiteren Gang dieser Untersuchung existieren verschiedene Versionen. Gewiß scheint, daß man sie, soweit sie vor dem Tribunal geführt wurde, nur auf die Anklage richtete, daß die Geschwister Geschenke genommen und das Vertrauen der Kaiserin, deren Gelder sie verwaltet, mißbraucht hätten, und Mons scheint diese Beschuldigungen ohne weiteres eingestanden zu haben. Man glaubte vielseits, er habe dies in hochsinniger Aufopferung für die Kaiserin getan, indem er wohl erkannt habe, daß und weshalb man ihm ans Leben wolle, worauf er sich in der Geldsache schuldig bekannt habe, damit man nicht weiter nach der Liebessache zu fragen brauche. Wenn man weiß, welche kolossale Bestechungen, Konkussionen und Defraudationen der Kaiser seinen Umgebungen nachsah und nur von Zeit zu Zeit durch einige eigenhändige Knutenhiebe und ein gelegentliches Auspressen des vollgesogenen Schwammes strafte, so wird es allerdings wahrscheinlich, daß die über Mons verhängte Todesstrafe einer den Zaren empfindlicher berührenden Schuld oder deren Verdacht galt. Auf der anderen Seite kann man kaum glauben, daß Katharina, falls sie sich einer Schuld bewußt gewesen war oder gewußt hätte, daß eine solche für erwiesen betrachtet werde, es gewagt haben würde, sich für Möns zu verwenden, was sie doch nach mehrfachen Zeugnissen getan hat. Die Verwendung war fruchtlos, und am 26. November wurde Mons nach der Festung abgeführt. Als er durch den Hof ging, auf welchen die Fenster der kaiserlichen Prinzessinnen gingen, in deren täglicher Gesellschaft er so lange gelebt hatte, traten sie ans Fenster und er nahm ehrerbietigen Abschied von ihnen, indem er ihnen für alle bewiesene Huld verbindlichst dankte. Ja, der Zar selbst – und gewiß sind das alles charakteristische Züge – soll ihn vor dem Tode besucht und dabei erklärt haben: er bedauere sehr, ihn zu verlieren, aber es könne nun einmal nicht anders sein. – Mons ward enthauptet und der Körper aufs Rad geflochten. Die Frau v. Balk erhielt elf Knutenhiebe und wurde nach Tobolsk verbannt, nach Peters Tode aber zurückberufen und in ihre Ehrenstellen wieder eingesetzt. Ihr ältester Sohn, zeither Kammerherr, mußte als Kapitän nach Ghilan; der jüngere, zeither Kammerpage, ward Unteroffizier. Drei andere Kammerpagen wurden unter die Soldaten gesteckt. Nach Villebois' Bericht hörte Mons sein Urteil mit Ruhe und Heiterkeit an, dankte dem Verleser und nahm dann den ihm beigegebenen lutherischen Priester zur Seite, um ihm eine goldene Uhr zu schenken, auf der sich ein emailliertes Porträt der Zarin befand. So habe er auch den Scharfrichter darauf aufmerksam gemacht, daß sich im Futter seines Rockes ein mit Diamanten besetztes Etui befinde, das er ins Feuer werfen möge und das auch das Porträt der Kaiserin enthalten haben soll. Er habe noch ein drittes gehabt, das er aber, während man ihn aus seinem Hause abgeführt, einem ihm ergebenen und zuverlässigen Mann vertraut habe. Bei dem Block angekommen, habe er sich rechts und links gegen das Volk verbeugt, sich selbst ausgekleidet, sei niedergekniet, habe gebetet, das Haupt auf den Block gelegt und einen Augenblick darauf durch Erheben der Hand dem Scharfrichter das Zeichen gegeben, sein trauriges Amt zu verrichten.

In betreff des Verhaltens des Zaren gegen seine Gemahlin bei dieser Gelegenheit existieren auch verschiedene Anekdoten. Villebois will von einer französischen Demoiselle, die in den Diensten der Prinzessinnen Anna und Elisabeth gestanden, erfahren haben, daß der Zar eines Abend, als er von der Festung, wo die Untersuchung gegen Mons geführt wurde, zurückgekehrt sei, unerwartet und ohne Gefolge in das Zimmer seiner Töchter getreten wäre, wo diese mit anderen jungen Mädchen mit weiblichen Arbeiten beschäftigt gewesen seien. »Er sah«, sagte jene Dame, »so schrecklich, so drohend, so außer sich aus, daß alle Welt von Furcht ergriffen ward, wie man ihn eintreten sah. Er war blaß wie der Tod und die Augen waren funkelnd und verstört. Sein Gesicht und sein ganzer Körper wurden von krampfhaftem Zittern bewegt.« Er sei einige Minuten in dem Zimmer umhergegangen, ohne zu jemand ein Wort zu sagen und so schreckliche Blicke auf seine Töchter werfend, daß diese, erschrocken und zitternd, sich ganz leise fortmachten und wie der Rest der Gesellschaft in ein anderes Zimmer flüchteten. Nur die kleine französische Demoiselle habe nicht fortkommen können und sei vor Angst unter den Tisch gekrochen, als sie gesehen, wie er seinen Hirschfänger wohl 20 Mal aus der Scheide gezogen, die Mauern und den Tisch damit geschlagen, furchtbare Gebärden gemacht, gräßliche Zuckungen erlitten, mit Füßen und Händen gestampft, seinen Hut und alles, was ihm unter die Hände kam, zur Erde geworfen habe. Noch beim Hinausgehen habe er die Türe so heftig zugezogen, daß sie zerbrochen sei. – Man findet nicht, daß er Katharina gegenüber ähnliche Szenen aufgeführt habe. Der sächsische Gesandte Lefort berichtet einfach: Sie habe am 21. November sich bei ihrem Gemahl für Mons verwendet, worauf sie ein für allemal gebeten worden sei, diese Angelegenheit nicht weiter zu berühren. Doch mußte ihr die Aufnahme, die ihre Fürsprache gefunden, nicht entmutigend erschienen sein, denn sie ließ der Balk sagen: sie solle sich keine Sorge um ihren Bruder machen, die Sache werde keine üblen Folgen haben. – Anderwärts wird erzählt: der Kaiser sei einstmals über ihr wiederholtes inständiges Bitten ungeduldig geworden. Er habe gerade mit ihr vor einem Fenster von venetianischem Spiegelglas gestanden, da habe er gesagt: »Sieh dieses Glas, es war ein geringer Stoff, das Feuer hat es veredelt und jetzt ist es die Zierde des Palastes. Aber ein Schlag von meiner Hand kann es seinem ursprünglichen Staube wieder nahebringen«, worauf er das Fenster zerschlagen habe. Katharina habe seufzend geantwortet: »War seine Zerstörung eine Ihrer würdige Tat? Und ist Ihr Palast dadurch schöner geworden?« Da habe sie der Kaiser umarmt und sei fortgegangen, habe ihr aber an demselben Abend den Verbalprozeß der beiden Gefangenen geschickt. – Am nächsten Tage, fährt die Geschichte fort, sei er mit ihr dicht an dem Galgen vorbeigefahren, an welchen der Kopf des Möns angenagelt gewesen. Katharina habe ihn angesehen, ohne die Farbe zu ändern und nur gesagt: »Es ist doch traurig, daß soviel Verderbtheit unter den Hofleuten einreißt.« Villebois hat dieselbe Geschichte, verlegt sie aber etwas wahrscheinlicher auf 10 bis 12 Tage nach der Hinrichtung. Der Zar sei mit Katharina im Schlitten gefahren und habe, ihr ganz unerwartet, die Fahrt auf den Platz gerichtet, wo die Gebeine und der gepfählte Kopf des Unglücklichen ausgestellt gewesen seien. Er sei so gefahren, daß ihre Kleider das Schafott berührt hätten und habe sie während der ganzen Zeit, in der sie den Platz passierten, unverwandt angesehen; sie sei aber fest genug gewesen, ihre Tränen zurückzuhalten und keinerlei Gemütsbewegung zu verraten. Wenn diese Erzählungen, die sich bis auf Nebenpunkte vereinigen lassen, wahr sind, so würden sie dafür sprechen, daß Peter keine Gewißheit über die Schuld Katharinas hatte, die wir überhaupt noch keineswegs als erwiesen annehmen können. – Bussy-Rabutin, der sich fortwährend befleißigt, die Zarin in möglichster Gemeinheit darzustellen, ist der einzige, welcher versichert, sie habe nicht wagen dürfen, die geringste Interzession für den Mons und dessen Schwester einzulegen. Ja sie habe sich so zu verstellen gewußt, daß sie an dem Tage der Hinrichtung sich äußerst lustig bezeigt und den ganzen Abend über die junge Prinzessin mit ihrem Tanzmeister habe vor ihr tanzen lassen.

Die Zeit zwischen diesen Vorgängen und dem Tode des Zaren umfaßt kaum zwei Monate und ist zu kurz und ereignislos, um aus ihrem Inhalt den Grund oder Ungrund der Behauptung ermessen zu können, daß Peter seit der Monsschen Geschichte mit gegen die Nachfolge Katharinas gerichteten Plänen umgegangen sei. Wenn Bussy-Rabutin berichtet, der Zar habe am Tage nach der Hinrichtung des Mons einen eigenhändigen Befehl an alle Kollegien erlassen, worin denselben, weil seither soviel Mißbrauch und falsche Rekommendation in der Zarin Namen ohne deren Vorwissen geschehen, verboten worden sei, fernerhin Befehle von der Zarin anzunehmen. Es seien auch ihre Effekten- und Domänenkanzleien zum Zwecke einer Untersuchung der Verwaltung derselben versiegelt worden, so hängt das sichtlich mit den wirklichen oder angeblichen Mißbräuchen zusammen, welche bei der Vermögensverwaltung der Zarin vorgekommen, und mag man dabei sehr dahingestellt sein lassen, ob an dem Zusatz: sie habe den Günstling des Zaren, Wassilij Petrowicz, mit 1000 Dukaten bestechen wollen und diese erst bei ihren Hofdamen, den Frauen von Alzuffief, von Campenhausen und von Villebois, zusammenborgen müssen, ein wahres Wort ist. Derselbe Diplomat will die am 4. Dezember 1724 stattgefundene Verlobung der Prinzessin Anna mit dem Herzog von Holstein gleichfalls mit der Monsschen Angelegenheit in Zusammenhang bringen. Indes sind die Gründe der seitherigen Verzögerung dieser Verbindung, die in den auswärtigen Verhältnissen und den Verhandlungen mit Schweden lagen, bekannt genug. Es ist auch völlig unwahr, daß dem Herzog bis dahin nicht zu der ersten, sondern zu der zweiten Prinzessin Hoffnung gemacht gewesen und außerdem war ja diese holsteinische Verbindung ein Lieblingswunsch der Kaiserin, der erste Agent des Herzogs, der Geheimrat von Bassewitz, ihr vertrautester Anhänger, und auch die Wahl ihres Namenstages zu der Verlobung wies darauf hin, daß der Zar in dieser Sache nichts Unfreundliches gegen sie zu beginnen dachte. Eine dritte Geschichte Bussy-Rabutins gehört ganz in das Gebiet des Hofskandals. Der Zar habe schon vor dem persischen Feldzuge die jüngste Tochter des Fürsten Kantemir sehr geliebt und die Absicht gehabt, sie sich zur linken Hand antrauen zu lassen, ferner falls sie, die eben schwanger von ihm gewesen, einen Prinzen zur Welt brächte, diesen zum Nachfolger zu erklären. Da aber die Prinzessin in Astrachan eine fausse couche gemacht und der persische Feldzug Katharina Gelegenheit gegeben, sich in der Gunst des Zaren von neuem zu befestigen, so sei die Kantemir eine Zeitlang in den Hintergrund getreten. Jetzt aber, wo die Prinzessin nach dem Tode ihres Vaters, des ehemaligen Hospodars der Moldau (gest. 1723), wieder nach Petersburg gekommen, sei diese Neigung wieder aufgelebt. Der Zar habe sie täglich besucht, habe ihre Brüder gegen ihre Stiefmutter, die Fürstin Trubetzkoi, in seinen besonderen Schutz genommen, auch dem Senat befohlen, die ganze Erbschaft des Hospodars den Kindern erster Ehe zuzusprechen, während eigentlich der Mutter der vierte Teil gehört hätte. Obendrein sei ihm hinterbracht worden, die Zarin habe der Prinzessin Kantemir, als sie in Astrachan schwanger gewesen, das Kind mittels einiger Medikamente, die ihr der Leibarzt der Zarin, Dr. Policala, beigebracht, abtreiben lassen und er habe deshalb diesem Arzt, welcher eben seine Entlassung erhalten und Rußland verlassen wollte, die Erlaubnis zur Abreise verweigert. Man erfährt jedoch nicht, daß eine Untersuchung gegen diesen Arzt eingeleitet worden, noch daß überhaupt jene Beschuldigungen irgendeine Unterlage gehabt hätten. Dagegen versichert Bussy-Rabutin, der Zar habe seit jener Zeit keinen vertrauten Umgang mit der Zarin mehr gehabt und ihr beständig verdrießliche Mienen gemacht, so daß keiner der Großen, aus Furcht, bei dem Zaren in Verdacht zu fallen, mit ihr zu sprechen sich getraut habe. Man habe oft in beider Mienen und am ganzen Hofe Betroffenheit und Verwirrung wahrnehmen können. Auch der gemeine Mann, der das ganze Glück der Zarin und die so ausdauernde Liebe des Kaisers zu ihr für ein durch Zauberei bewirktes Wesen angesehen, habe fest geglaubt, es müsse nunmehr ihr Talisman oder Pakt mit dem Teufel zu Ende sein und ihr Sturz werde nicht lange ausbleiben. Es scheine aber, daß der Zar mit großer Vorsicht und gewohnter Verstellung zu verfahren entschlossen gewesen ist, sei es, daß er den starken Anhang der Zarin gefürchtet, oder daß er erst die mit ihr gezeugten Kinder habe versorgen wollen. – Andere gleichzeitige Quellen bestätigen diese Angaben und namentlich, daß in dem Verhältnis des Zaren zu seiner Gemahlin eine äußerlich sichtbare Veränderung vorgegangen, keineswegs. Nur so viel scheint nicht unbegründet, daß seine Gemütsstimmung in jener Zeit eine unruhige und düstere war, woran teils körperliches Mißbehagen, teils seine Sorgen um die Zukunft des Reiches Anteil gehabt haben mögen. Wie immer er über die Wahl seines Nachfolgers gedacht haben mag, es handelte sich überall nur um Frauen und Kinder, und er sah wenige redliche Leute um sich, denen er deren Schutz und Leitung vertrauen, keinen, von dem er mit Sicherheit erwarten konnte, er werde sich den Umtrieben der Vielen und Mächtigen, welchen jedes Mittel gleich war, und dem allgemeinen Zuge der Verhältnisse gegenüber zu halten vermögen. Mußten das nicht Betrachtungen sein, die ihn verstimmten, so oft ein Vorgefühl des nahen Todes seine Brust durchzog? – Auch in betreff seiner Absicht über die Nachfolge bleibt alles dunkel und ungewiß. Das Recht zur Bestimmung des Nachfolgers hatte er sich durch Ukas vom 5. Februar 1722, zu dessen Rechtfertigung der Erzbischof Theophanes eine eigene Schrift schrieb, zugesprochen und dieses Gesetz von den Beamten und dem Adel beschwören lassen. Sicher scheint, daß er mit der Krönung Katharinas die Absicht verband, ihr ein Anrecht auf die Herrschaft zu geben. In der nach Peters Tod gehaltenen Konferenz der Magnaten erklärte der Kabinettssekretär Makaroff auf die von Menczikoff an ihn gerichtete Frage, ob der verstorbene Kaiser eine schriftliche Disposition hinterlassen und befohlen hätte, dieselbe bekanntzumachen: »Der Kaiser hätte kurz vor seiner letzten Reise nach Moskau, die im Februar 1724 stattfand, ein viele Jahre zuvor gemachtes Testament vernichtet, später bisweilen davon geredet, ein anderes errichten zu wollen, diesen Vorsatz aber nicht ausgeführt, indem er durch die oft von ihm geäußerte Betrachtung davon abgehalten worden wäre: daß, wenn ein Volk, welches er aus der Barbarei hervorgezogen und mächtig und berühmt gemacht, undankbar sein könnte, er seinen letzten Willen keiner Beschimpfung aussetzen wolle. Fühle dieses Volk aber, was es seinen Arbeiten zu verdanken hätte, so würde es sich seinen Ideen gemäß verhalten, die er mit größerer Feierlichkeit an den Tag gelegt hätte, als man einer schriftlichen Verordnung zu geben imstande wäre.« Ist diese Angabe Makaroffs, welche sichtlich auf die mit der Krönung Katharinas verbundene Absicht hinweist, begründet, so kann die Vernichtung des Testaments nicht gegen Katharina gerichtet gewesen sein, da sie ja vor deren Krönung stattfand. Im übrigen ist es wohl möglich, daß er in der letzten Zeit auch gegen Katharina mißtrauisch und ungewiß über sie und den zu fassenden Entschluß geworden ist, und daß auch dies zur Trübung seiner Stimmung beigetragen hat.

Der Tod Peters des Großen muß ganz deutlich und unableugbar ein natürlicher, jeden Argwohn ausschließender gewesen sein, sonst würden Berichterstatter, wie Bussy-Rabutin und Villebois, nicht verfehlt haben, ihn Katharina zur Last zu legen. Das leichtsinnige Gerücht in den dem Vorgang fernstehenden Kreisen, das sich um keinerlei äußeren Anhalt kümmert, hat es allerdings getan. Aber selbst Bussy-Rabutin stellt dieses Gerücht als einen bloßen, unter dem gemeinen Mann umgehenden und von einigen Großen nicht ohne Absicht genährten Argwohn dar, dem seine vorhergeschickte umständliche Krankheitsgeschichte widerspricht. Villebois erklärt das Gerücht geradezu und auf das bestimmteste für unwahr. Die Anekdote, wonach ein Page ein Blatt gefunden haben soll, worauf der Kaiser mit der naiven Bemerkung, »nicht zu vergessen«, die Namen Katharinas, Menczikoffs und anderer Großer als zur Verhaftung bestimmt aufgezeichnet habe, wodurch dann diese bestimmt worden seien, dem ihnen drohenden Streich zuvorzukommen, ist zu lächerlich, als daß sie eine Beleuchtung verdiente. Was müßte das für ein Schwachkopf sein, der einer Aufzeichnung bedürfte, um ein solches Vorhaben nicht zu vergessen!

Peter I. war schon seit einigen Jahren infolge einer schlecht geheilten Krankheit, die er sich 1721 in Riga zugezogen haben soll, mit einer Strangurie behaftet. Im August 1724 wohnte er der Einweihung einer Kirche zu Zarskoje-Selo bei, bei welcher Gelegenheit 3000 Flaschen Wein vertilgt wurden, woran der Zar so tätigen Anteil nahm, daß er längere Zeit das Bett hüten mußte. Kaum genesen, reiste er nach Schlüsselburg, dann zu den olonezischen Eisenhütten, nach Nowgorod und bis zum äußersten Ende des Umensees, um die Salzwerke zu Starajaruß und den dortigen Kanal anzusehen. Am 27. Oktober passierte er Petersburg wieder, fuhr aber in der Absicht, die Eisenhammer und die Gewehrfabrik zu Systerbeck zu besuchen, noch bis Lachta. Hier sah er ein mit Menschen überladenes Boot stranden, schickte ihm erst eine Schaluppe zu Hilfe und watete dann selbst durch das Wasser, durch seine tätige Mitwirkung mehr als 20 Menschen das Leben rettend. Die Nacht über hatte er Fieberschauer und heftiges Brennen im Unterleib, gab seine weitere Reise auf und kehrte nach Petersburg zurück. Bald aber fuhr er in seiner gewohnten Lebensweise, in Arbeiten und Vergnügungen fort. Am 3./14. Januar hielt er jenes widerliche Narrenfest, das Spottkonklave zur Wahl eines neuen Fürstpapstes, eine angeblich zur Verhöhnung der römisch-katholischen Kirche, in Wahrheit aber zum Betrunkenmachen, Verspotten, Entwürdigen und vielleicht Belauern der Teilnehmer bestimmte Sauferei, ab und übernahm sich dabei so, daß man die zunehmende Verschlimmerung seines Übels hauptsächlich dieser Ausschweifung beimaß. Doch kommandierte er noch am 6./17. Januar auf der Newa bei der Jordansfeier, bestimmte am 7./18. den Kapitän Bering zu einer Entdeckungsreise auf dem Asien von Amerika trennenden Meere und beschäftigte sich noch am 11./22. mit der Untersuchung eines Perpetuum mobile, welches Detlev Klefeker erfunden haben wollte. Seit Mitte des Monats fingen die Ärzte an, besorgt zu werden. Der Archiater Blumentrost schrieb an Boerhave nach London und an Stahl nach Berlin und die Briefe wurden durch Eilboten entsendet, aber freilich konnten die Antworten erst eintreffen, als es zu spät war. Eine chirurgische Operation gab nur kurze Hoffnung auf Besserung. Am 17./28. Januar hatte der Zar heftige Schmerzen und befand sich sehr schlecht, wollte aber doch das Trinken nicht meiden und das Zimmer nicht hüten. Am 19./30. bekam er einen Rückfall. Sein Beichtvater verließ ihn nicht mehr; in der Nacht wurde Menczikoff zu ihm gerufen. Am 1. Februar n. St. wurde bei Hofe Gottesdienst gehalten und für den Zaren gebetet, wobei die Zarin und die Großen in schwarzer Kleidung erschienen. Am 2. errichtete man neben seinem Zimmer einen Altar und spendete ihm das heilige Abendmahl. Am 6. erging der Befehl, daß »zum Heile des Monarchen« die bis zu fünfjähriger Festungsstrafe Verurteilten sogleich, schwerer Bestrafte, mit Ausnahme von Majestätsverbrechern und Mördern, nach überstandener fünfjähriger Strafzeit freigelassen werden sollten. Seit diesem Tage waren die Großwürdenträger des Staates, der Kirche und des Heeres unausgesetzt im Palast. Am Nachmittag traten neue Zufälle ein und die Geistlichen beteten über ihm und gaben ihm die letzte Ölung. Seine Schmerzen waren furchtbar und seine Klagetöne durchschallten den Palast. »Erkennet an mir«, soll er den Umstehenden gesagt haben, »welch ein trauriges Geschöpf der Mensch ist.« Am 7. um 2 Uhr früh verlangte er Feder und Papier, konnte aber nur unkenntliche Zeilen herauszittern, aus denen man die Worte herauslas: »Übergebet alles ...« Als seine Umgebung ihm die Hand zum Abschied küssen wollte, wehrte der Kaiser dies ab und sagte: »Nachher.« Vor dem Lager des bewußtlos Erscheinenden knieten die Erzbischöfe von Nowgorod und Twer und der Archimandrit des tschudowschen Klosters und der erstere sprachen von dem Hingang des Erlösers, als der Zar, wie vom Tode erwacht, sich aufraffte und mit brechender Stimme sagte: »Dies allein löscht meinen Durst, dies allein erquickt mich.« Auf die an ihn gerichteten geistlichen Fragen antwortete der Sterbende: »Ich glaube und hoffe.« Als jetzt aus dem Munde des Geistlichen die Worte wiederholt wurden: »Ich glaube, o Herr, und bekenne, so wahr du Christus bist, der Sohn des lebendigen Gottes, in die Welt gekommen, um die Sünder zu erlösen, unter denen ich der erste bin«, rief der Sterbende: »Ich glaube, o Herr, und bekenne; ich glaube, Herr! O hilf meinem Unglauben.« Dies waren die letzten Worte, die er hienieden sprach. Wenige Stunden vor seinem Hinscheiden forderte ihn der Archimandrit auf, durch Aufheben der Hand anzudeuten, ob er das heilige Gedächtnismahl noch einmal feiern wolle, worauf er seine letzte Kraft zusammenraffte, das verlangte Zeichen gab und das Heilige nochmals genoß. Am 8. Februar n.St. um viertel 6 Uhr früh hatte er ausgekämpft. – Bussy-Rabutin versichert, der Zar habe auf dem Sterbebett eine große Reue über seine Sünden bezeigt, auch bekannt, daß er viel unschuldiges Blut in seinem Leben habe vergießen lassen und schwere Betrübnis über den Vorgang mit seinem Sohn zu erkennen gegeben, doch aber die Hoffnung ausgesprochen, daß ihm Gott für das Gute, das er in seinem Reiche gestiftet, seine Sünden vergeben werde. Vor seinem Ende habe er die Bezahlung aller Schulden und die schon erwähnte Begnadigungsmaßregel anbefohlen, von seinen Töchtern und den anderen jüngeren Gliedern der kaiserlichen Familie beweglichen Abschied genommen, zuletzt auch die Zarin vor sich kommen lassen, die dann bis an sein Ende bei ihm geblieben sei. Man findet sonst keine glaubhafte Bestätigung dieser letzteren Angabe und es scheint vielmehr, daß Katharina ihm die ganze Zeit seiner Krankheit über die gewohnte Pflege gewidmet. Nach seinem Tode zeigte sie die größte Betrübnis.

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Peter I. von Rußland.
Schabkunstblatt von Smith, nach einem Gemälde von Kneller. Porträtsammlung der Nationalbibliothek Wien

Mochte nun diese eine wahre sein oder nicht, ungestört hingeben durfte sie sich derselben nicht, ward vielmehr noch vor dem Abscheiden ihres Gemahls von seinem Sterbelager gezogen, um sich der Sorge für die Zukunft zu widmen. Daß Peter beabsichtigt habe, ihr die Nachfolge, die er ihr eigentlich niemals deutlich und ausdrücklich zugestanden, zu entziehen, ist, wie erwähnt worden, durch nichts Tatsächliches bestätigt. Gewiß aber ist, daß eine starke Partei mit demselben Gedanken umging. Es scheint nicht, daß die geringe Herkunft und die früheren Lebensverhältnisse Katharinas dem russischen Stolz Anstoß gegeben. Abgesehen davon, daß man in Rußland in dieser Beziehung nicht sehr empfindlich ist, hatten die langen Jahre, in denen sie bereits im Glanz der höchsten Stellung geschimmert hatte, die Gewohnheit, sich vor ihr zu beugen, die Verdienste, die sie sich um das Reich und um viele einzelne erworben, jenen Eindruck verwischt. Es scheint überhaupt nicht, daß die ihrer Nachfolge abgeneigte Partei aus persönlicher Feindschaft gegen sie gehandelt habe, wenn es auch an Neidern und heimlichen Lästerzungen nicht gefehlt hat. Aber man wußte, daß sie ganz unter Menczikoffs Einfluß stand und dieser hatte allerdings sehr viele gegen sich. Es war weiter gewiß, daß es allerdings sehr zweifelhaft war, ob sie auch nur den leisesten Anspruch auf das Regiment habe, während das Thronfolgerecht des Großfürsten Peter, des Sohnes des unglücklichen Zarewitsch Alexei, unbestreitbar feststand. Darauf würde man an sich nicht viel Gewicht gelegt haben; aber es bot doch ein gutes Argument und hauptsächlich rechneten die Bojaren im ganzen sowie die einflußreicheren einzelnen unter ihnen, jeder für sich, auf die Chancen einer Minderjährigkeitsregierung, da der junge Großfürst erst im 10. Lebensjahre stand. Die Bojaren wünschten die eiserne Hand beseitigt, wie sie Peter der Große auf ihre Häupter gelegt hatte. Die Entwürfe einer Magnatenherrschaft, wie sie das Beispiel der Nachbarstaaten Polen und Schweden in für den Adel, wenn auch nicht für das Volk, so lockender Weise nahelegte und wie sie einige Jahre später bei der Thronbesteigung der Kaiserin Anna so förmlich zutage kamen, waren schon damals unter den Bojaren im Gange. In der Tat, Bussy-Rabutin versichert, schon einige Tage vor dem Tode des Zaren sei Petersburgs in drei Hauptfaktionen geteilt gewesen, von denen die eine die Zarin, die andere den Großfürsten auf den Thron haben heben wollen, die dritte aber damit umgegangen sei, die Regierungsform auf den schwedischen Fuß zu setzen und sich für denjenigen Thronkandidaten zu erklären, der ihr dieses bewilligen würde. Ebenso mochten die auch im unteren Volke zahlreichen Anhänger des altrussischen Klerus auf den Thronwechsel Hoffnungen bauen, und da war es keine besondere Empfehlung für Katharina, wenn Peter der Große hauptsächlich deshalb für ihre Nachfolge gewesen sein sollte, weil er gehofft hätte, sie werde seine den Altrussen so verhaßten Reformen aufrechterhalten. Als ein Argument gegen Katharina wurde endlich auch geltend gemacht: man habe kurz vor dem Ende des Zaren eine gewisse Kaltsinnigkeit desselben gegen Katharina bemerken wollen. Die Bojarenpartei, die Katharina entgegen war, soll hauptsächlich aus den Golyzins, Trubetzkois, Dolgorukys, Repnins, Kurakins, Chawanskis, Apraxins, Lapuchins, Gholofkins, Buskins, Matweoffs, Gholowins, Mileslafskys, Narischkins, Soltikoffs bestanden haben. Bussy-Rabutin sagt wohl zu viel, wenn er behauptet, sie habe allen übrigen großen und kleinen Adel, das gesamte Volk, worunter er die mittleren und unteren Klassen der Nationalrussen verstehen mag, den gemeinen Soldaten und den niederen Klerus hinter sich gehabt. Er gibt aber auch Gründe an, warum sie gleichwohl nicht so wirksam gewesen, wie eine solche Lage hätte versprechen sollen. Es sei keine rechte Einigkeit unter ihnen gewesen. Die fürstlichen Familien hätten sich apart gehalten und mit den übrigen keine Kommunikation gepflogen. Auf die beim Volk besonders beliebten Golyzins hätten die anderen mit Neid und Eifersucht geblickt. Es hätte an einem bestimmten Anführer, an Geld, an Waffen, an Mut gefehlt. Das Volk anzurufen, hätten sie sich noch nicht getraut, auch nicht ohne Grund gefürchtet, gerade in St. Petersburg nicht die stärkste Partei zu sein. Der General Golyzin, auf den sie ihre meiste Hoffnung gesetzt, stand in der Ukraine; der Fürst Repnin war zwar zugegen, hatte aber sein Korps bei Riga, während Katharina in Zeit von 24 Stunden über 20.000 Mann in Petersburg versammeln konnte. In Petersburg sei überhaupt die Partei der Zarin die stärkere und mächtigere gewesen. Bussy-Rabutin zählt als ihre Bestandteile folgende auf: Menczikoff, Tolstoi, der zwar an sich der Bojarenpartei nicht abgeneigt gewesen wäre, es aber durch die vielen Kriminalinquisitionen, bei denen er präsidierte, mit allen großen Familien verdorben gehabt hätte; Bruce, wie überhaupt alle ausländischen Offiziere in der Armee, z.B. Allard, Weisbach (gest. 1735), Bom, Lesley, Münnich, Günther, Dupre, Coulon, Balk, welche die Zarin als ihre sicherste Stütze betrachtet hätten: die Preobraczenskysche und Semonofskysche Garde, bei der sich die Zarin jederzeit besonders beliebt zu machen gewußt hätte; die ganze Flotte, die fast lediglich ausländische Offiziere gehabt habe und bei den Altrussen, wie die Marine überhaupt, verhaßt gewesen sei; alle Kollegien, welche meist mit ausländischen Räten und Assessoren besetzt gewesen seien; die neu erworbenen Provinzen, namentlich Liefland, Estland, Kardien und Ingermanland; der holsteinische Hof mit seinem ganzen Anhang in Petersburg, wozu alle Fremde gehört, die fast die Hälfte der Einwohnerschaft ausgemacht und fest geglaubt hätten, die Altrussen würden, wenn sie die Oberhand erhielten, ihnen allen die Hälse brechen; die ganze heilige Synode mit den vornehmsten und einflußreichsten Erzbischöfen und Bischöfen. Auch habe die Zarin das vorhandene Geld, das sich auf einige Millionen belaufen, zu ihrer Verfügung gehabt.

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Elisabeth I. von Rußland.
Stich von Tschemesow, nach einem Gemälde von Tocqué. Porträtsammlung der Nationalbibliothek Wien

Im allgemeinen mag dieser Status der Parteien, dem die anderen Berichte nicht wesentlich widersprechen, als begründet anzunehmen sein und geht aus demselben jedenfalls hervor, daß die Zarin den wichtigen Vorteil besaß: das Übergewicht, wenn nicht an sich, doch zu der Zeit und an der Stelle zu haben, wo sie es brauchte. Über den speziellen Hergang weichen die Versionen wieder ab, stehen jedoch nicht eben in direktem Widerspruch und lassen sich wohl noch vereinigen. Bassewitz, der selbst eine Hauptrolle bei jenen Vorgängen gespielt, folglich einen großen Teil der Wahrheit wissen mußte und dem man wenigstens in dem glauben kann, wo man keinen Grund sieht, warum er nicht hätte die Wahrheit sagen sollen, erzählt die Sache in folgender Weise. Am Vorabend des Todes des Zaren, also am 27. Januar (7. Februar), sei Jaguschinskij, der von der Bewegung unter den Bojaren Kunde erhalten, verkleidet zu ihm gekommen. Derselbe habe ihm gesagt: »Sorgen Sie schleunigst für Ihre Sicherheit, wenn Sie nicht morgen mit Menczikoff am Galgen sein wollen. Der Sturz der Kaiserin und ihrer Familie ist unfehlbar, wenn man ihm nicht noch in dieser Nacht zuvorkommt.« Bassewitz sei sofort zur Kaiserin geeilt und von ihr beauftragt worden, sich mit Menczikoff zu beraten. Der letztere, der die Nacht zuvor bei dem Kaiser gewacht, habe in tiefem Schlaf gelegen und nichts von der drohenden Gefahr geahnt. Beide kamen sofort über die zu treffenden Maßregeln überein. Menczikoff beschied die vornehmsten Offiziere der Garde und einige andere bedeutsame Personen zu der Kaiserin und ließ den Schatz auf die Festung bringen. Bassewitz erstattete der Kaiserin Bericht und gewann den General Buturlin. Die Eingeladenen stellten sich ein. Die Kaiserin war bei ihrem sterbenden Gemahl und konnte sich nicht von ihm losreißen. Bassewitz aber zog sie mit den Worten zu dem Beratungszimmer hin: »Hier sind Eure Majestät nicht nötig und dort kann man ohne Sie zu keinem Schluß kommen. Nicht damit Sie in Tränen vergehen, sondern damit Sie herrschen sollten, setzte Ihr Held Ihnen die Krone auf: seine Seele verweilt nur deshalb noch in dem Körper, der ihr nichts mehr nützt, um die Gewißheit mit sich zu nehmen, daß Sie sich seiner auch dann noch würdig zu zeigen wissen, wenn er Sie nicht mehr unterstützt.« »Das soll er, das sollen Sie und die ganze Welt sehen«, soll Katharina mit edlem Ungestüm erwidert haben, worauf sie mit majestätischer, Ehrfurcht gebietender Miene, Tränen im Auge, in das Kabinett getreten sei. Sie habe von den Rechten, welche ihr ihre Krönung und Salbung gäben und von den Übeln einer Minderjährigkeitsregierung gesprochen, zugleich auch erklärt, daß sie den Großfürsten Peter keineswegs von der Thronfolge auszuschließen gedenke, die ihm vielmehr nach ihrem Tode gesichert werden solle. Es sollen aber auch die Versprechungen von Beförderungen und Belohnungen für die Anwesenden nicht gespart worden sein. Da Bassewitz selbst es bezeugt, so muß man es glauben, daß Wechselbriefe, Kostbarkeiten und Geldsummen in Menge ausgeboten wurden. Es soll doch einige gegeben haben, die sie ausgeschlagen hätten, ungeachtet sie willfährig waren, das zu tun, wofür jener Lohn geboten wurde. Der Erzbischof von Nowgorod habe nicht zu diesen Skrupellosen gehört. Nachdem man sich geeinigt, entfernte sich die Mehrzahl, während Menczikoff, Bassewitz und der Kabinettssekretär Makaroff noch eine Stunde lang in Gegenwart der Kaiserin über die zu ergreifenden Maßregeln beratschlagten. Menczikoff wollte die bedeutendsten Opponenten verhaftet wissen, wurde aber davon abgebracht. Der übrige Teil der Nacht wurde dazu verwendet, daß jeder seine Anhänger, soweit sie bei der Sache mitzuwirken hatten, instruierte. Die Magnaten der Opposition waren inzwischen bei dem Fürsten Dimitri Golyzin, dem Bruder des Generals, versammelt, hatten ihre ersten Hausbedienten in dem großen Saal des Palastes warten lassen, um sogleich von dem Ableben des Zaren benachrichtigt zu werden und eilten, sobald diese Kunde kam, dem Palast zu. Im Vorzimmer fanden sie Bassewitz, der jetzt von allen, selbst von Jaguschinskij, gemieden ward, aber sogleich auf Letzteren zuging und ihm zuflüsterte: »Empfangen Sie jetzt den Lohn für Ihre am gestrigen Abend erwiesene Güte. Die Kaiserin ist Herrin des Schatzes, der Festung, der Garden, der Synode; viele Magnaten sind auf ihrer Seite und selbst in dieser Versammlung hat sie mehr Freunde als Sie denken. Sagen Sie den Anwesenden, sich danach zu richten, wenn ihnen ihr Leben lieb ist.« Jaguschinskij sagte dies sogleich seinem Schwiegervater, dem Großkanzler Grafen Gholofkin, und die Nachricht verbreitete sich schnell in der Versammlung. Wie Bassewitz den rechten Moment gekommen glaubte, sah er zum Fenster hinaus, auf welches verabredete Zeichen die beiden Garderegimenter die Trommel rührten und das Schloß umgaben. Als Repnin ergrimmt fragte, wer ohne sein Vorwissen diesen Befehl erteilt habe, erklärte Buturlin, er habe es auf Befehl der Kaiserin getan, der jeder Patriot Gehorsam schulde. Jetzt trat Menczikoff unter die betroffene Versammlung, in welcher niemand zu sprechen wagte, sondern nur mißtrauische Blicke einander maßen. Bald erschien auch die Kaiserin, von dem Herzog von Holstein begleitet und redete die Versammlung in folgender Weise an: »Trotz meines Kummers komme ich doch, meine Kinder, die gerechten Besorgnisse, die ihr jedenfalls hegt, zu zerstreuen und euch zu benachrichtigen, daß ich, in Befolgung des Willens meines mir ewig teuren Gemahls, der seinen Thron mit mir teilte, meine noch übrigen Tage den schweren Sorgen der Regierung widmen will. Wird der Großfürst meinen Unterweisungen Gehör geben, so habe ich vielleicht in meinem betrübten Witwenstande den Trost, euch einen Kaiser zu bilden, der des Blutes und Namens des soeben für euch Verlorenen würdig ist.« Menczikoff, der jetzt seiner Sache sicher war, erwiderte als erster Senator und Magnat im Namen aller: eine Erklärung von solcher Bedeutung für die Ruhe und das Wohl des Reiches erfordere eine reife Erwägung; die Kaiserin möge daher gestatten, daß sie einen freien und patriotischen Rat pflege, damit nichts, was in dieser Sache geschähe, vor der Nation und der Nachwelt einen Vorwurf verdiene. Katharina erklärte, sie handle in dieser Sache mehr aus Rücksicht auf das allgemeine Beste, als ihres eigenen Vorteiles halber, überlasse demnach alles, was sie angehe, dem erleuchteten Urteil der Versammlung und erlaube ihnen nicht nur, sich zu beraten, sondern befehle ihnen, alles reiflich zu erwägen; sie werde ihrem Anspruch gemäß verfahren.

Nachdem die Kaiserin die Versammlung wieder verlassen hatte, eröffnete Menczikoff die Beratung mit der schon erwähnten Frage an Makaroff hinsichtlich des Testaments und erhielt die bereits gemeldete Antwort. Bei der weiteren Beratung soll Gholofkin eine Befragung des Volkes beantragt haben, was man aber mit Recht als ungereimt und unpraktisch verworfen habe. Dann sei Graf Apraxin, der Bruder des Admirals, ein gerader, ehrlicher Mann, vorgeschickt worden, um zu erklären, daß man den Großfürsten, als den einzigen rechtmäßigen Erben, nicht übergehen könne. Hierauf habe der Erzbischof Theodosius von Nowgorod eine Rede gehalten, worin er vor einer sofortigen Erhebung des Großfürsten auf den Thron warnte. Sie alle hätten den Vater des Großfürsten für der Thronfolge unwürdig erklärt und zum Tode verurteilt. Erwählten sie den Großfürsten, so müßten sie notwendig auch seine Großmutter aus der Klosterhaft hervorziehen und zur Regentin erklären, und diese wenigstens würde den Tod ihres Sohnes rächen wollen und ihren Enkel zu einem zweiten Iwan Wassiljewicz erziehen. Man möge ihn der Erziehung der Zarin überlassen und den Erfolg abwarten. Ihn jetzt zu übergeben, sei so ungerecht nicht, und Gott selbst habe die Krone von dem Hause Sauls genommen und dem David gegeben. Der verstorbene Zar habe sie zuweilen wie ein Vater gezüchtigt; unter der Aufsicht der Mutter aber hätten es die Kinder immer besser und genössen mehr Freiheit. Als sich darauf die Ansichten der Mehrzahl dahin zu neigen schienen, daß man den Großfürsten zum Zaren, Katharina aber zur Regentin erklären möge, erinnerte der Erzbischof Theophanes an den im Jahre 1722 geleisteten Eid, den von dem Monarchen bestimmten Thronfolger anerkennen zu wollen. Wie dagegen bemerkt ward, daß doch keine bestimmte Erklärung des verewigten Kaisers vorzuliegen, dieser vielmehr noch in Unschlüssigkeit über die Nachfolge verstorben zu sein scheine, erzählte Theophanes die früher berichtete Szene bei dem englischen Kaufmann in Moskau, wo der Zar seine Absicht, Katharina durch die Krönung ein Herrscherrecht zu verleihen, erklärt haben soll und fragte den Kanzler und mehrere andere damals Anwesende, ob sie sich dessen nicht erinnerten. Als sie das bejahten, rief Menczikoff mit Hitze: »Ich frage weiter nach keinem Testament, meine Herren; Ihr Zeugnis wiegt soviel wie alle Testamente. Wollte unser großer Kaiser, daß man sich in betreff seines letzten Willens auf den Bericht seiner vornehmsten und erlauchtesten Diener verlassen sollte, so würde man sich ebenso gegen Ihre Redlichkeit, als gegen seine höchste Gewalt vergehen, wenn man diesem Bericht keinen Glauben schenken wollte. Ich traue Ihnen also, meine Väter und Brüder. Es lebe unsere vortreffliche Monarchin, die Kaiserin Katharina!« Im Augenblick wiederholte die ganze Versammlung diese Worte und keiner wollte jetzt noch der Letzte sein. Hierauf begab sich die Versammlung zu der Kaiserin und Menczikoff sprach: »Wir erkennen Dich als unsere allergnädigste Kaiserin und Beherrscherin und weihen Dir unser Gut und unser Leben.« Katharina erwiderte: Sie wolle nur die Mutter des Vaterlandes sein. Alle küßten ihr die Hand und sie zeigte sich darauf am Fenster, wobei die sie umgebenden Magnaten riefen: »Es lebe die Kaiserin Katharina«, welchen Ruf zu wiederholen die Gardeoffiziere die Soldaten ermunterten, unter welche Menczikoff Geld auswarf. Es wurde ein Manifest erlassen und ein Huldigungseid geleistet, der der Kaiserin zugleich das Recht zusprach, ihren Nachfolger zu bezeichnen.

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Graf Saint-Germain.
Stich von Nicolas Thomas, nach einem zeitgenössischen Gemälde

Die neue Kaiserin war klug genug, den Widerstand gegen ihre Thronbesteigung nicht zu ahnden, vielmehr sich zu bemühen, die ihr Abgeneigten zu gewinnen. Überhaupt war ihre Regierung eine milde, und wenn auch ein gewisses Gefühl der Schwäche dazu beigetragen haben mag, so lag das Verfahren doch auch nach allem, was von Katharinas Charakter bekannt ist, in diesem. Der einzige fast, der durch ihre Erhebung gestürzt wurde, war ein Hauptwerkzeug dieser Erhebung gewesen: der Erzbischof von Nowgorod. Das scheint ein ebenso ehrgeiziger als bornierter Prälat gewesen zu sein, der sich für die Zarin hauptsächlich deshalb erklärt hatte, weil er Patriarch zu werden hoffte, und als er diese Hoffnung vereitelt und Menczikoffs Einfluß allgebietend sah, seinem Unmute schon bei dem pomphaften Leichenbegängnisse des großen Zaren Luft gemacht haben soll. Damals sei der junge Großfürst, der sich in seinen langen Trauermantel verwickelt gehabt, in den Schnee gefallen. Ein Gardesoldat habe ihm wieder aufgeholfen und eine gnädige Miene zum Lohn erhalten. Da habe der Erzbischof zu einem neben ihm gehenden Bischof gesagt: Der Großfürst hätte recht, daß er sich an die Soldaten und nicht an den Klerus hielte, der das Vaterland verraten habe. Er solle aber sehen, die Sache werde keinen langen Bestand haben, vielmehr das ganze zarische Haus von Grund aus ausgerottet werden, wie das Haus Ahabs und Jesebels; denn es wäre kein einziges Beispiel weder in der Heiligen Schrift noch in der Profanhistorie zu finden, daß das Reich eines Tyrannen auf den dritten Erben gekommen sei. Als er später nicht über die bei dem Palast der Zarin befindliche Zugbrücke gelassen, wurde, über welche zu fahren nur Menczikoff und dem Herzog von Holstein erlaubt gewesen, habe er die ganze Wache in den Bann zu tun gedroht, und als ihn die Zarin nicht vor sich lassen wollte, habe er geschworen, ihren Palast nicht wieder zu betreten, es sei denn, daß er käme, sie von ihrem Throne herabzustoßen, wie er ihr hinaufgeholfen. Auf Anlaß einer vorgeschriebenen Gedächtnismesse für Peter I. soll er in der Synode gesagt haben: »Seht, ihr heiligen Männer, dahin ist es gekommen, daß die weltliche Macht der geistlichen selbst das Beten anbefiehlt. Aber Seine kaiserliche Majestät der Zar Peter I. ist, weil er dem Klerus Gesetze vorzuschreiben und dessen Macht zu mindern anfing, sofort gestorben. Wir dagegen leben noch, und muß ich gleich, um nicht ins Elend gewiesen zu werden, für ihn beten, so zweifle ich doch, daß Gott mein Gebet erhören wird.« Er hätte Ursache gehabt, vorsichtig zu sein. Denn schon bei Lebzeiten des Zaren war er kirchenräuberischen Unterschleifes beschuldigt und eine Untersuchungskommission über ihn niedergesetzt worden, welcher Graf Tolstoi und der General Fürst Jussupoff vorstanden. Diese nahm jetzt ihre Arbeiten wieder auf und erkannte, daß der Erzbischof viele Heiligenbilder und Leichengewänder aus den Kirchen und Klöstern seiner Sprengel ihres Schmuckes, der Edelsteine und Perlen, beraubt, das Gold und Silber aber habe einschmelzen lassen, und daß er ebenso viele silberne Kirchengefäße entwendet und viele Glocken habe verkaufen lassen, um seiner maßlosen Prachtliebe Genüge zu tun. Auch machte man ihm jetzt zum Vorwurf, was er im Sinne Peters des Großen getan, daß er nämlich die russische Bilderverehrung als Götzendienst dargestellt habe. Genug, man wollte ihn stürzen und sich seiner entledigen, und so wurde er denn aus besonderer Gnade durch Ukas vom 11./22. Mai 1725 zu lebenslänglicher Haft in ein entlegenes Kloster an der Dwina verbannt. – Leichter kam Jaguschinskij davon, obwohl er auch wiederholt Gelegenheit gab, sich an ihm für Früheres zu rächen. Er hatte das gewöhnliche Schicksal ränkesüchtiger Achselträger erfahren: das Zutrauen beider Parteien zu verlieren. Mit der Bojarenpartei, die ohnedies dem polnischen Emporkömmling nicht hold war, hatte er es für immer verdorben, und die Machthaber mochten meinen, er sei für den geleisteten Dienst hinlänglich belohnt, wenn man ihn in seiner Stellung belasse und frühere schlechte Dienste nicht nachtrage. Er warf sich der Zarin zu Füßen, bat um ihre Gnade und versprach, ihr mit gleicher Treue zu dienen, wie er dem Zaren gedient habe. In der Tat blieb er zunächst ihr Generaladjutant neben Devier; aber es fehlte viel, daß er den früheren Einfluß geübt hätte, und in das stolze Übergewicht Menczikoffs wollte auch er sich nicht finden. Bussy-Rabutin bringt eine drollige Geschichte, deren Kern auch von anderen Berichten bestätigt wird. Eines Tages habe Jaguschinskij sich bei dem Herzog von Holstein betrunken und im süßen Rausche eine Versöhnung mit Menczikoff gesucht, der ihn aber auf den nächsten Morgen verwiesen habe, wo sie beide nüchtern sein würden. Jaguschinskij fragte aber doch, heißt es, auf was für Bedingungen er ihn denn zu pardonnieren gedächte, worauf Menczikoff, wohl mit dem Trunkenen scherzend, erwiderte: er möge ihm fernerhin mit mehr Respekt, als er bei Lebzeiten des Zaren getan, begegnen; sonst würde er ihn, als sein Feldmarschall, arretieren lassen. Dies verdroß den Polen so, daß er laut zu schreien und zu klagen anfing, wie man den Liebling und Augapfel des Zaren in Haft nehmen wolle, den Degen herauszog und Menczikoff über den Haufen gestochen haben würde, wenn die Anwesenden es nicht verhindert hätten. In seinen Wagen gebracht, fuhr er zur Zarin und verlangte Genugtuung gegen Menczikoff, und als er mit scharfen Worten abgewiesen ward, band er das Halstuch ab und bot der Zarin einen bloßen Degen, indem er sie aufforderte, ihm nur gleich selbst den Kopf abzuhauen, da er sich doch keines besseren Traktamentes von ihr vermute. Als sie ihn fortbringen ließ, begab er sich zur Kirche, wo Vesper war, warf sich heulend und schreiend an dem Grabe des Zaren nieder, riß das Leinentuch vom Sarge, schien den Sarg mit Zähnen und Nägeln aufreißen zu wollen, und rief: der tote Monarch möge doch aus seinem Grabe aufstehen und zusehen, wie nach seinem Tode die Regierung in Rußland geführt werde; denn diejenigen, denen er hätte die Köpfe abschlagen lassen wollen, wären jetzt hoch am Brette; die aber, die er wie sie selbst geliebt, suche man auf das äußerste zu verfolgen. Endlich gelang es seinen Bedienten, ihn nach Hause zu bringen. Der Einfluß seines Schwiegervaters und die Verwendung des Herzogs von Holstein retteten ihn vor ernsterer Ahndung dieses Vorganges, der als ein bloßer Exzeß der Trunkenheit betrachtet wurde, für die man in Rußland bekanntlich ganz besondere Nachsicht hat. Bald darauf verzwistete er sich auch mit den Holsteinern, worauf der Herzog die Kaiserin bat, sie möge doch nichts, was seine Angelegenheiten angehe, durch Jagoschinskijs Hände gehen lassen, weil er kein Vertrauen in einen Mann setzen könne, dessen Dienste dem Meistbietenden feil wären.

siehe Bildunterschrift

Herzog von Choiseul.
Schabkunstblatt von Lowery, nach einem Gemälde von Vanloo. Porträtsammlung der Nationabibliothek Wien

Die Zarin ließ die Galgen und Räder niederreißen, erlaubte den Verwandten der Hingerichteten, die Körper abzunehmen und ehrlich zu begraben, rief viele Exilierte aus Sibirien zurück, befahl, den Soldaten in den Provinzen, welche seit zwei Jahren keine Löhnung erhalten hatten, die Rückstände zu bezahlen, und ließ das Kopfgeld um fünf Kopeken verringern. (1726 wurde dasselbe auch dadurch herabgesetzt, daß es, statt wie seither vom 5.–60. Jahre, nur vom 12.–55. zu entrichten war.) Unter den Zurückberufenen war Schaffiroff der bedeutendste, und wenn er auch nicht in seine früheren Ämter wieder eingesetzt wurde, so erlangte er doch bald wieder großen Einfluß und ward vielfach zu Rate gezogen. Die Majore der Garden wurden zu Generalleutnants ernannt, wobei nicht bloß die Absicht der Belohnung, sondern auch der Wunsch Katharinas zugrunde lag, sie von der Garde zu entfernen und durch Ausländer zu ersetzen, welche ihr ihr Glück zu verdanken, und nicht, wie jene, die Erhebung der Kaiserin bewirkt hätten. Indes erregte dies so viel Unmut bei den Kapitänen der Garden, daß die Zarin sich genötigt sah, alles auf dem alten Fuße zu lassen, und dafür an Bildung eines ganz neuen Truppenkorps dachte. Zu dem Fürsten Golyzin in der Ukraine schickte sie den General Grafen Weisbach, der ihn überwachen und zugleich die Kosaken gewinnen sollte, wußte aber auch den Fürsten selbst durch gnädige Versprechungen wenigstens in Ruhe zu halten. Gholofkin, Apraxin, Repnin, Golyzin, Dolgoruky blieben an ihren Posten. Das eigentliche Haupt der Regierung war aber allerdings Menczikoff.

Nur der holsteinische Hof machte ihm den politischen Einfluß streitig. Am 1./12. Juni wurde die Vermählung des Herzogs Karl Friedrich von Holstein-Gottorp mit Katharinas ältester Tochter, der Großfürstin Anna, mit großer Pracht vollzogen. Nach den Berichten Leforts hätte diese Verbindung der Kaiserin mehr Kummer als Freude bereitet. Der Herzog erscheint in jenen Berichten als hochfahrend und anmaßlich. Er habe seine Gemahlin nicht mit Achtung behandelt und ihr durch seine Verbindung mit ihr zuviel Ehre erwiesen zu haben geglaubt. Daß er sie zuweilen über eine Maitresse vernachlässigte, mag begründet sein, hätte aber Katharina als das gewöhnliche Los der damaligen Herrscherfrauen nicht zu sehr auffallen sollen. Bussy-Rabutins Bericht, der von Begünstigungen und großen Entwürfen des Herzogs zu erzählen weiß, sowie die Tatsache, daß Katharina dem Herzog bis an ihr Ende Gunst bewies, wenn sie aber nicht allen Prätensionen der Holsteiner entsprach, es den anderen Einflüssen und Verhältnissen gegenüber schwerlich konnte, wollen mit jenen Lefortschen Annahmen, soweit sie wenigstens die Stimmung der Kaiserin betreffen, nicht recht stimmen. Gewiß aber ist, daß Menczikoffs Einfluß in der ersten Zeit den holsteinischen schon deshalb überwog, weil die Holsteiner gar keine Partei unter den Russen hatten, vielmehr durch unkluges Benehmen die Eifersucht und den Haß der Russen gegen sie aufregten. Was ihnen daher zuteil ward, wie denn der Herzog in das am 8. Februar 1726 errichtete geheime hohe Konseil aufgenommen ward, das geschah meist mit Menczikoffs Zustimmung, der sie mit Rücksicht auf die Stellung des Herzogs zu der Kaiserin tunlichst erteilte. Nach den Mitteilungen Leforts, der jedoch den holsteinischen Hof mit besonderer Abneigung betrachtet zu haben scheint und dessen Berichte vielleicht etwas nach der Politik seines Hofes gefärbt sind, wäre auch Bassewitz dem Menczikoff ergebener gewesen, als seinem Herzog, und hätte dem letzteren nur geraten, was jener ihm eingegeben.

In dieser Lage, wo Menczikoff und der holsteinische Hof das Heft in den Händen hatten, ohne für die weiteren Strebeziele durch ein gemeinsames Interesse verknüpft zu sein, blieben die Dinge die kurze Regierungszeit Katharinas über. Das persönliche Walten der Kaiserin tritt mehr und mehr zurück.

Einzelne Vorgänge aus ihrer Regierungszeit betreffend, so war schon in der letzten Zeit ihres Vorgängers der General Rumianzow nach Konstantinopel gesendet worden, um die Ratifikation der letzten Traktate zu überbringen und wegen der Grenzbestimmungen gegen Persien zu unterhandeln. Da bald nach seiner Ankunft der Tod des Zaren eintrat und der Großvezier Ibrahim Pascha sich anfangs durchaus nicht darein finden konnte, daß ein so großes Reich, wie Rußland, mit Übergehung des Enkels des verstorbenen Kaisers, von einer Frau regiert werden sollte, so schildert Rumianzow dem Vezier die Kaiserin in einer Weise, welche wesentlich zu den achtungsvollen Rücksichten beitrug, die die Türken in der nächsten Zeit der russischen Politik zollten.

Auch in der Thorner Angelegenheit setzte Katharinas Regierung das von Peter dem Großen eingeleitete Verfahren fort. In jener damals polnischen Stadt hatte am 17. Juli 1724 ein Auflauf protestantischer Volksmassen stattgefunden, in dessen Verlauf das Jesuitenkollegium gestürmt und dessen Meublement teils zerstört, teils verbrannt ward, bis die Stadtwehr, wie gewöhnlich nach geschehenem Unheil, hinzukam und dem Tumulte ein Ende machte, über die Entstehung des Auflaufes, der sich aus Vorgängen bei einer am 16. Juli von den Katholiken auf dem Kirchhofe der den Protestanten entzogenen Pfarrkirche zu St. Jakob gehaltenen Prozession entsponnen hatte, sind die Angaben der entgegengesetzten Parteien, wie gewöhnlich bei solchen Gelegenheiten, völlig widersprechend und suchte jede Partei ihre Seite möglichst rein zu waschen und der gegnerischen alle Schuld aufzuladen. Aus allem scheint hervorzugehen, daß auf beiden Seiten konfessioneller Haß und studentische Jugendhitze zu Ausschreitungen geführt hatten und ein Keil den anderen trieb, bis zuletzt die Erbitterung zu Tätlichkeit ausbrach und einem lange genährten Groll Luft machte. Der Exzeß des Pöbels war, wie alle rohe Selbsthilfe, nicht zu rechtfertigen, noch zu dulden und forderte angemessene Ahndung. Wohl aber hatte man dabei im Auge zu halten, daß es sich eben um eine aufgeregte Masse aus den untersten Ständen handelte, die durch vorhergehende Angriffe der Jesuitenstudenten – gleichviel wer zu diesen Anlaß gegeben – gereizt war und das Ganze auch nicht im entferntesten den Charakter eines planmäßigen, verabredeten Attentates trug. Was dem Tumult vorhergegangen war, kleine Reibungen zwischen den Jesuitenstudenten und den protestantischen Zuschauern, die Verhaftung eines oder zweier Studenten, von den Studenten versuchte Retorsionsmaßregeln, das waren unerhebliche Händel, über welche eine Verständigung leicht zu erlangen war. Hätten auch die Thorner Stadtbehörden dabei parteiisch gehandelt, so war das keine Sache, bei der über Ermittlung entsprechender Genugtuung und einen Verweis hinauszugehen gewesen wäre. An dem eigentlich strafbaren Exzeß hatten sie keinen Teil. Höchstens, daß verspätetes Einschreiten die Stadt zu subsidiärem Schadenersatz verpflichten konnte. Die polnischen Katholiken urteilten anders. Die Jesuiten, den heiligen Namen, mit dem sie sich schmücken, durch dessen entschiedensten Gegensatz, durch Haß und Rachsucht befleckend, erhoben durch ihren Genossen Wolanski Klage. Es wurde eine Kommission eingesetzt, welche sofort den Kommandanten der Stadt und gegen 80 Personen festnehmen ließ, von denen 66 verhaftet blieben, vom 16. September bis zum 15. Oktober tagte und der Stadt gegen 3000 Dukaten kostete. Der Reichsfiskal mußte die peinliche Anklage gegen die Stadt erheben, ungeachtet sie sich nicht gegen die öffentliche Autorität vergangen hatte. Die Besatzung der Stadt wurde verstärkt. Am 16. November fällte das königliche, durch 40 Deputierte aus dem Senate und den Landboten verstärkte Assessorialgericht, ohne eine Verteidigung der Stadt zu hören, das ungerechteste, parteiischste, ein wahrhaft Entsetzen erregendes Urteil. Weil die augsburgischen Konfessionsverwandten zu Thorn einen Jesuitenstudenten wegen geringer Ursache mißhandelt und festgenommen und der Magistrat ihn nicht wieder losgelassen, darauf ein Tumult entstanden, die Schule und das Jesuitenkollegium erbrochen, Altäre zerhauen, Bilder der Heiligen verbrannt, mehrere Jesuiten verwundet, von den Behörden aber das nicht gehindert und gestraft worden sei, so sollten der Präsident und Vizepräsident, wenn ihr Vergehen von sechs Zeugen weltlichen und ihnen gleichen Standes beschworen werden würde, das Leben verwirkt haben, die Lutheraner der Stadt Thorn alle Kosten tragen und allen verursachten Schaden ersetzen, neun anderen der Kopf, vieren darunter vorher die rechte Hand abgeschlagen und ihre Körper verbrannt, mehr als vierzig andere ihrer Ämter entsetzt und mit Gefangenschaft und Geldstrafe belegt werden. Ferner sollte – und das war die erwünschte Frucht, welche die kirchliche Intrige aus diesem Vorfall zu gewinnen suchte – von jetzt an die Hälfte des Rates, der Schöffen und Sechzigmänner in der überwiegend protestantischen Stadt katholisch sein, die Marienkirche den Katholiken übergeben und das Gymnasium eine Meile von der Stadt verlegt werden. – Als dieses schamlose Urteil bekannt ward, entstanden Unwille und Entsetzen in der ganzen protestantischen Welt. Die Könige von Großbritannien, Dänemark, Schweden und Preußen, und der Rat zu Danzig verwendeten sich für die unglückliche Stadt. Der König von Preußen forderte die protestantischen Könige auf, gemeinsam mit ihm besondere Abgeordnete nach Polen zu senden, um dem drohenden Unheil entgegenzuarbeiten; eine Maßregel, die freilich dem fanatischen und dünkelvollen Polen gegenüber auch nichts gefruchtet haben würde. Peter d. Gr., obschon kein Protestant, zog Truppen in Kurland zusammen, und schien bereit, mit dem einzigen Grunde, auf welchen die Polen gehört haben würden, mit der Gewalt der Waffen einzuschreiten. Indes der Glaubenshaß beeilte sich, sich in den Besitz der Gegenstände seiner grausamen Wünsche zu setzen. Die Jesuiten brannten darauf, das Verbrechen verübt zu sehen, damit die Hilfe zu spät komme. Sie drangen auf Beschleunigung der Vollstreckung. Vergebens hatten die Verurteilten um rechtliches Gehör und Vorstellung der Zeugen und erboten sich zum rechtlichen Beweis ihrer Unschuld. Zahlreiche polnische Truppen umzingelten die wehrlose Stadt. Während der 25. Dezember zur Vollstreckung des Urteils anberaumt gewesen war, schritt man, auf Anliegen der Jesuiten, schon am 7. Dezember zu dieser. Der Präsident (Stadtdirektor, Bürgermeister) Rösner wurde enthauptet. Dasselbe Schicksal erlitten neun Bürger und vieren davon wurden vorher die Hände abgehauen. Sie starben als standhafte Märtyrer und ließen sich durch kein Locken und Bedrängen zum Abfall von ihrem Glauben bewegen. Der Vizepräsident Zernecker wurde, auf vielfältige Verwendung des Adels, der Jesuiten und der Kommission, begnadigt, mußte jedoch 60.000 Fl. Strafe erlegen. Andere erfuhren Gefängnis, Leibes- und Geldstrafen. Die Kunde von diesen greulichen Vorgängen, die man das Thorner Blutbad nannte, erfüllte die protestantische Welt mit Ingrimm und Abscheu. Der König August II. entschuldigte sich, indem er vorstellte, daß ihm die Hände gebunden seien, daß er nichts gegen die polnischen Großen vermöge, daß er kein Begnadigungsrecht habe, daß er gehofft habe, das Urteil werde nicht in seiner Strenge vollzogen werden. Der König von Preußen schrieb an ihn, an den Kaiser, brachte anderweitige Beschwerden gegen Polen vor. Die Polen aber kümmerte das so wenig, daß sie sogar den kühnen, wiewohl in der Geburt ersterbenden Gedanken faßten, feindlich gegen Preußen seiner Verwendung halber aufzutreten. Katharina befahl ihrem Gesandten in Warschau, Dolgoruky, sich der bedrängten Stadt nachdrücklich anzunehmen, erklärte den Nachbarstaaten, sie sei bereit, mit ihnen gemeinsam zum Schutze der Unterdrückten einzuschreiten, und ließ ihre Truppen in Kurland bereitstehen. Indes auf der einen Seite wollte es zu keiner gemeinsamen Operation kommen, auf der anderen fanden die Polen denn doch für gut, nachdem ihre Rachsucht befriedigt und die Hauptkirche der Stadt den Protestanten entrissen war, die weiteren Punkte des Urteils auf sich beruhen zu lassen; die gerichtlich Ermordeten waren doch nicht wieder ins Leben zu bringen, und so ließ man die Sache allmählich fallen.

Heer und Flotte wurden vermehrt, und die letztere wie gewöhnlich im Sommer auf eine Übungsfahrt ausgesendet, welche Dänemark besorgt machte. – In Georgien machte Generalleutnant Matjuschkin Fortschritte, und im nächsten Jahre unterwarfen sich die kubinskischen Tataren der russischen Hoheit. – Zwei Pseudo-Alexejs traten auf – ein Unternehmen, das in Rußland seit den Tagen der falschen Dimitriews oftmals versucht worden ist. Ein Soldat von der Preobraczenskyschen Garde, Alexander Semikoff, der Sohn eines Küsters aus dem sibirischen Flecken Pogurelski, gab sich in Potschap für den Zarewitsch aus. Ein Troßknecht des astrakanischen Grenadierregiments, Eftefej Artemis, der Sohn eines sibirischen Bauern, versuchte in Astrachan dieselbe Rolle zu spielen, und namentlich der letztere fand einigen Anhang. Indes kam es nicht zu ernsteren Unruhen; beide Abenteurer wurden gefangen, vom Senat zum Tode verurteilt und am 22. November 1725 in Petersburg enthauptet. – Am 7. Januar 1726 wurde die von Peter d.Gr. gestiftete Akademie der Wissenschaften, in Gegenwart der Kaiserin und aller Großen des Reiches, feierlich eröffnet. De l'Isle, Bernouilli, Bilfinger Bayer, Martini, Goldbach und andere waren ihre ersten Zierden. Im Februar desselben Jahres trat das schon erwähnte Kabinettskonseil, als oberste Regierungsbehörde, ins Leben.

An den 1726 durch die Bündnisse von Wien und Herrenhausen veranlaßten diplomatischen Wirren und Gärungen in Europa nahm Katharina nur zu dem Zwecke teil, bei dieser Gelegenheit das Interesse ihres Schwiegersohnes, des Herzogs von Holstein, zu fördern. Um Schweden und Rußland womöglich in die Wiener Allianz zu ziehen, trat jetzt Österreich dem im März 1724 geschlossenen Stockholmer Allianztraktat zwischen den gedachten Mächten und dessen zugunsten des Herzogs von Holstein gefaßtem geheimen Artikel bei, zu welchem Beitritt es gleich anfangs von den Kontrahenten eingeladen worden, damals aber, aus Rücksicht auf England, nicht darauf eingegangen war. Auf der anderen Seite suchte namentlich England, Schweden in das Herrenhauser Bündnis zu ziehen, und um die Einladung dazu, die es nur in zarter Besorgnis für die eigene Sicherheit Schwedens ergehen ließ, recht, dringend zu machen, schickte es eine Flotte von 30 Kriegsschiffen, unter Admiral Wager, in die Ostsee. Dieselbe war jedoch zugleich auf Rußland gerichtet und sollte unter Umständen eine Wiederaufnahme des schon 1719 von Stanhope erfaßten und durch Admiral Norris versuchten, aber gleichfalls abortierten Planes werden: »die Moskowiter so weit fortzutreiben, als möglich«. Als Wager von Schweden die Versicherung erhalten hatte, daß er sich wegen Schwedens beruhigen könne, indem dieses nicht das Mindeste zu befürchten habe, verließ er die schwedische Küste und legte sich an die kleine Insel Nargen. Von hier schickte er ein vom 11. April 1726 datiertes Schreiben seines Königs an die russische Kaiserin, worin es hieß: Die großen Rüstungen, welche die Kaiserin zu Wasser und zu Lande unternommen, verursachten dem König und dessen nordischen Alliierten Unruhe und hätten ihn bewogen, eine Flotte in die Ostsee zu schicken. Er habe bisher vergeblich versucht, eine dauernde Freundschaft zwischen Großbritannien und Rußland zu knüpfen, und mit Verwunderung erfahren, daß, ohne daß seinerseits Anlaß dazu gegeben worden, am russischen Hofe verschiedenes zum besten des Prätendenten unternommen worden sei. Er habe seine Flotte abgeschickt, um das Auslaufen der russischen, falls diese ihre Absichten auszuführen willens sei, zu verhindern, wünsche aber, daß die Kaiserin den nach so vielem Blutvergießen wiedererlangten Frieden erhalten und keine solchen Maßregeln ergreifen möge, durch welche Rußland in einen unvermeidlichen Krieg und der ganze Norden in neue Verwirrung gestürzt werden würde. Katharina – und ist es nicht ein merkwürdiges Verhängnis, daß das leibeigene Bauernmädchen eine solche Korrespondenz mit dem Beherrscher von Großbritannien und Hannover führen ließ, in dessen Adern das Blut der ältesten Fürstenhäuser Europas rollte! – erwiderte: es befremde sie nicht wenig, daß sie das Schreiben des Königs nicht eher erhalten habe, als wie die Flotte desselben schon vor Reval Anker geworfen; der König hätte sich die Kosten ersparen können; sie suche ebensosehr, wie er, die Ruhe im Norden, bei der sie in höherem Grade interessiert sei, zu erhalten, und könne nicht glauben, daß es seinem Ministerium mit der betriebenen Allianz zwischen Rußland und Großbritannien ernst gewesen sei. Die Beschuldigung wegen des Prätendenten sei völlig grundlos. Der König könne übrigens über seine Flotte nach Gutdünken verfügen, aber auch sie werde sich keine Gesetze vorschreiben, noch sich abhalten lassen, ihre Flotte in See zu schicken, wenn sie es für gut finden würde. Sie werde sieh in der Verfassung zu erhalten suchen, die ihren Alliierten gegenüber eingegangenen Verbindlichkeiten zu erfüllen, ihre Untertanen zu schützen und sich allem widersetzen, die ihr und ihnen den Frieden rauben wollten. Nur zu diesem Zweck habe sie die Rüstungen gemacht, welche dem König ohne Grund so viele Unruhe verursacht hätten. In ähnlicher Weise war die Korrespondenz zwischen Rußland und Dänemark gehalten, dessen Flotte sich mit der englischen vereinigt hatte; nur daß Dänemark wohl etwas mehr Grund hatte, als England, die russische Seerüstung als gegen sich gemeint zu betrachten. Zu Feindseligkeiten kam es nicht. Katharina ließ dem englischen Admiral und seinen Leuten alle äußeren Artigkeiten erweisen, ihnen gegen Bezahlung alle erforderlichen Lebensmittel verabreichen, sie ungeniert in Reval umhergehen, als wenn sie Rußland zu Hilfe geschickt wären, kurz, gab ihnen keinerlei Vorwand, zu irgendeiner Gewalt zu schreiten. Zugleich machte sie 21. Juni (2. Juli) bekannt: obgleich der König von Großbritannien eine Flotte nahe vor Reval geschickt habe, von der man annehmen müsse, daß sie Feindseligkeiten gegen sie zu begehen und die Ruhe im Norden zu stören bestimmt sei, ungeachtet von der Kaiserin hierzu kein Anlaß gegeben worden sei, wolle sie solches doch der britischen Nation nicht entgelten lassen, sondern ihr allen freien Handel und alle Sicherheit, sowohl für ihre Personen als für ihre Waren, versichern. Rußland schloß sich nun enger an Österreich an, so daß der anfangs ziemlich kalt behandelte Bussy-Rabutin allmählich größeren Erfolg gewann und am 6. August nicht bloß der Beitritt zu dem Wiener Vertrag, sondern auch ein förmliches Bündnis zwischen Rußland und Österreich geschlossen ward, mit welchem auch ein zugunsten des Herzogs von Holstein geschlossener Nebenvergleich verbunden war, worin ihm, bis zu seiner Wiedereinsetzung in Schleswig, jährlich 100.000 Taler von Österreich, 500.000 Rubel von Rußland und 50.000 Taler von Spanien zugesichert wurden, die er auch einige Zeit lang wirklich bezogen hat. Bassewitz wurde für die bei dieser Unterhandlung geleisteten Dienste in den deutschen Reichsgrafenstand erhoben und erhielt ein Geschenk von 100.000 Fl., das in eine Leibrente von 4000 Fl. verwandelt ward, und den Titel eines k. k. Geheimen Rates, von Katharina aber ansehnliche Güter in Liefland. – Auch das am 10. August geschlossene Bündnis zwischen Rußland und Preußen enthielt einen dem Herzog von Holstein betreffenden geheimen Artikel. Preußen versprach aber nur seine bonna officia, und wenn die Güte nicht ausreiche, Neutralität.

Man bewarb sich nun um den Beitritt Schwedens, für dessen Sache der Herzog von Holstein seine schleswigschen Lande verloren gehabt. Dolgoruky wurde von Warschau nach Stockholm versetzt und sollte Bassewitz zur Seite haben, wogegen aber der Stockholmer Hof protestierte. Der k. k. Gesandte von Freitag unterstützte die russischen Bemühungen.

In diese Zeit (15. November 1726) fällt ein Projekt, welches Bassewitz auf die Bahn brachte und welches allerdings etwas im Görz-Alberonischen Geschmacke war, in ein paar Punkten aber doch, unter ganz anderen Umständen einer späteren Zeit, in Ausführung gekommen ist. Hienach sollte der Großfürst Peter in Rußland nachfolgen und mit einer Prinzessin aus dem bischöflichen Hause Lübeck vermählt werden. Wenn diese Ehe keine Erben brächte, so sollten erst die Prinzessin Anna mit ihren Nachkommen, dann die Prinzessin Elisabeth folgen. Wenn Preußen zur Vertreibung der Hannoveraner aus Bremen und Verden mitwirken würde, so sollte ein preußischer Prinz die Hand der Prinzessin Natalia und das Herzogtum Kurland erhalten, andernfalls aber dieses Herzogtum dem zweiten Sohne des Bischofs von Lübeck, Adolf Friedrich, zufallen. Fürst Menczikoff sollte durch Vermählung einer bischöflichen Prinzessin mit seinem Sohne, wodurch dieser des Zaren Schwager würde, begütigt werden. Der Herzog von Holstein solle Schleswig unter folgenden Bedingungen an Dänemark abtreten: daß Dänemark alle auf Schleswig haftenden Schulden übernehme, dem Herzog von Holstein die bei Schleswig gelegenen Inseln, sowie die Grafschaften Oldenburg und Delmenhorst einräume, die gemeinschaftliche Regierung in Holstein aufgehoben, das königliche Recht an Plön dem Hause Holstein-Gottorp übertragen werde, das Bistum Lübeck, ohne Alternierung, bei dem herzoglichen Hause Holstein verbleibe. Würde der König zu Dänemark dem Herzog von Holstein zur Thronfolge in Schweden behilflich sein, so sollten nach deren Eintritt in die herzoglichen Besitzungen in Holstein der bischöflichen Familie abgetreten und, da möglich, mit Bremen, Verden, Oldenburg und Delmenhorst zu einem Kurfürstentum erhoben werden, auf welches Dänemark die Anwartschaft zu hoffen hätte. Würde aber Dänemark auf diese Anträge nicht eingehen, so solle der Herzog an nichts gebunden sein und sollte dann das (noch zu errichtende) Kurfürstentum, falls der Bischof von Lübeck König in Schweden würde, an Schweden fallen. Für das Ausdenken dieses Projektes bedang sich Bassewitz, als Entschädigung, die Grafschaft Barmstedt oder Ranzau. – Indes er mußte sich den Mund wischen, da sowohl Schweden als Dänemark sich für die Westmächte erklärten, Schweden dem Herrenhauser Traktate (14./25. März 1727) beitrat, Dänemark (16./27. April) eine eigene Allianz mit Frankreich und England abschloß. Von Preußen und Polen hoffte man dabei, daß sie die Russen nicht durchlassen würden. Auch diese Verabredungen wurden überflüssig, als der Tod der russischen Kaiserin dem holsteinischen Einflüsse in Petersburg für längere Zeit ein Ende machte.

Die kurländische Angelegenheit wollen wir in dem Artikel über Menczikoff, den sie besonders berührt, besprechen. Hier bemerken wir nur, daß sie das Ansehen Menczikoffs bei der Kaiserin merklich erschütterte, nachdem es durch dessen mehr oder minder verdeckte Opposition gegen die Holsteiner ohnedies immer wankender wurde. Das hätte ihm nur durch einen raschen und kühnen Schlag gefährlich werden können, und vor einem solchen, der schon beschlossen gewesen sein soll, rettete ihn, wie versichert wird, die durch Bassewitz erwirkte Fürsprache eben des von ihm befeindeten und auch später mit Undank belohnten Herzogs von Holstein. Sobald man ihn nicht völlig stürzen wollte, machte er sich nichts aus seinen Gegnern, rächte sich vielmehr noch bei Lebzeiten Katharinas an denjenigen, die ihm zunächst zu schaden gesucht hatten, wie sein Schwager Devier und Tolstoi, in deren Sturz auch Uschakoff verwickelt ward, und ließ übrigens die Kaiserin, von der er keine energischen Entschlüsse mehr erwartete und deren nahen Tod er voraussah, beiseite, um sich um so vollständiger des von den Holsteinern unklug und taktlos vernachlässigten Großfürsten zu bemächtigen.

Der Tod der Kaiserin, deren Gesundheit schon seit dem Juli 1726 merklich in Abnahme gekommen, ist, wie gewöhnlich, auch dem Gifte zugeschrieben worden, ohne daß man eben äußere Beweise für diese Verdächtigung hätte, oder darüber einig wäre, wem man die Urheberschaft beimessen solle. Die Lebensweise der Kaiserin und ihre Krankheitsgeschichte lassen ihren Tod als einen sehr natürlichen und aus der ersteren abzuleitenden erscheinen. Die unter Peter I. am russischen Hofe herrschende Trunkwut war auch unter Katharina beibehalten worden. Der sächsische Gesandtschaftssekretär Frenßdorf schreibt im August 1726: »Wenn Fürst Menczikoff die Zarin des Morgens besucht und vor ihr Bett kommt, fragt er: was wollen wir trinken? Beliebt Eure kaiserliche Majestät eine Schale Branntwein? Hat man nun davon eine starke Portion eingenommen, so wird dann den Tag über bis in die späte Nacht mit allerhand Wein und prostoi (d. h. mit gemeinen Branntwein) die Fortsetzung gemacht, solchergestalt, daß man wenig nüchtern, sondern alle Zeit schwindlich und dösig ist.« Das war das wahre Gift, welches Menczikoff Katharina reichte. Neben dem Branntwein liebte sie besonders den starken Ungarwein, den sie durch Kringel einsog. Auch war ihre sonstige Lebensweise unordentlich und sie liebte es, im Herbste und Frühling, bei hellem Mondschein, ganze Nächte spazieren zu gehen. Sie litt schon im März 1726 an einer Geschwulst der Füße, die bis zu den Oberschenkeln stieg und deren Grund man in »une cause Bacchique« suchte, sowie an häufigen Blutnüssen, und starb zuletzt (am Abend des 6./17. Mai 1727) an einem mit Wassersucht verbundenen Geschwür in der Brust. Sie soll bei vollem Bewußtsein gestorben und noch kurz vor ihrem Tode aufgestanden sein und das heil. Abendmahl empfangen haben. Bei der Öffnung der Leiche fand man Lunge und Leber ganz von Geschwüren zerfressen.

Schon einige Zeit vor ihrem Tode hatte man die Tage ihres Lebens berechnen können. Bereits am 27. April waren die Großwürdenträger in den Palast berufen worden und hatten sich dahin geeinigt, daß der Sohn des Zarewitsch Thronfolger werden, bis zum Alter von 16 Jahren aber als minderjährig betrachtet werden solle. Während dieser Zeit solle das hohe Konseil, in seiner damaligen Zusammensetzung, aber unter dem Vorsitze der Herzogin von Holstein und der Prinzessin Elisabeth, die Geschäfte führen, zu einem Beschlüsse desselben aber Einstimmigkeit erforderlich sein. Der Sohn des Zarewitsch, sowie alle seine Untertanen, sollten schwören, das Todesurteil gegen seinen Vater an niemand rächen zu wollen. Der Herzogin von Holstein und der Prinzessin Elisabeth sollten jeder 1,500.000 Rubel ausgezahlt, die Juwelen der Kaiserin unter beiden Prinzessinnen gleich verteilt werden. Bassewitz und Menczikoff hatten es übernommen, das Testament nach diesen Verabredungen zu fertigen; es war, wie alle wichtigeren Erlasse der Kaiserin, von der Prinzessin Elisabeth unterzeichnet, sollte aber, wie bei seiner am Morgen des 7./18. Mai erfolgten Veröffentlichung erklärt ward, nach den Befehlen der Kaiserin in Gegenwart des k.k. Gesandten Grafen Rabutin aufgesetzt worden sein. Die Magnaten hörten nicht ohne Verwunderung, daß es in manchem wichtigen Punkte von jenen Verabredungen abwich. Es ward nicht mehr Einstimmigkeit des Konseils verlangt – was auch in der Tat etwas viel verlangt war –, sondern die Stimmenmehrheit genügte. Der Kaiser sollte bei den Beratungen, jedoch ohne Stimme, zugegen sein. Es war von keiner Versicherung eines Schutzes für die Richter des Zarewitsch die Rede. Wenn der Kaiser ohne Erben stürbe, so sollte die Prinzessin Anna mit ihrem Nachkommen, dieser die Prinzessin Elisabeth mit den ihrigen, dieser die Prinzessin Natalia und deren Linie folgen, der Mannesstamm aber immer dem Weiberstamme vorgehen. Niemand, der schon eine Krone besitze, oder nicht der griechischen Kirche angehöre, sollte sukzedieren können. Da die beiden Prinzessinnen Töchter der Kaiserin ihr Erbrecht dem Großfürsten überlassen hätten, so sollte einer jeden, außer dem Brautschatz von 300.000 Rubeln, 1 Million Rubel nach und nach während der Regentschaft ausgezahlt werden, auch jede, solange sie im Lande blieben, jährlich 100.000 Rubel beziehen. Die Prinzessin Elisabeth sollte mit dem Bischof von Lübeck vermählt werden. Alle Juwelen und Privatmöbel der Kaiserin sollten unter ihre Töchter gleich verteilt werden, die liegenden Gründe, die sie vor ihrer Thronbesteigung besessen, ihren Verwandten zufallen. Der Kaiser solle verpflichtet sein, die Zusicherungen Peters I. in betreff der Restitution des Hauses Holstein in Schleswig zu halten und überhaupt dieses Haus bestens zu schützen. Die Administration solle sich bemühen, eine Vermählung des Kaisers mit einer Tochter des Fürsten Menczikoff zustande zu bringen. Der römische Kaiser sollte um die Garantie dieses Testaments ersucht werden.

Niemand widersprach. Der Großfürst Peter II. wurde als Kaiser Peter II. ausgerufen und ihm unter dem Donner der Kanonen gehuldigt und geschworen. In der nächsten Zeit regierte aber Menczikoff.


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