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Zehntes Kapitel

Der Hochstapler Graf von St. Germain

Als eine Art praktischen Beweises der Möglichkeit, schon hienieden zur physischen Unsterblichkeit und ewigen Jugend zu gelangen oder doch die Grenzen der Kraft und des Lebens weit über das gewöhnliche Maß auszudehnen, stellte sich ein Abenteurer dar, welcher seit 1750 zuerst als Marquis von Montferrat, in Venedig als Graf de Bellamare, in Pisa als Chevalier Schöning, in Mailand als Chevalier Welldone, in Genua als Graf Soltikow, in Schwabach als Graf Tzarogy (Ragotzy), in Frankreich als Graf von St. Germain auftrat, welchen letzteren Namen er dann bis an sein Ende beibehielt. Seine eigentliche Herkunft ist niemals entdeckt worden, auch sein Vaterland nicht. Selbst Friedrich II. bezeichnet ihn als einen Mann, den man niemals habe enträtseln können. Wenn er, wie er es liebte, von seiner Kindheit sprach, malte er sich umgeben von zahlreichem Gefolge, wie er sich auf prächtigen Terrassen in einem köstlichen Klima erging, als wäre er der Kronprinz eines Königs von Granada in der Zeit der Mauren gewesen. Ein alter Baron von Stosch wollte unter der Regentschaft (1715–1723) einen Marquis von Montferrat gekannt haben, der für einen natürlichen Sohn der in Bayonne residierenden Witwe des Königs Karl II. von Spanien und eines Madrider Bankiers gegolten habe. Einige haben St. Germain für einen portugiesischen Marquis von Betmar, andere für einen spanischen Jesuiten Aymar, andere für einen Elsässer Juden Simon Wolff, noch andere für den Sohn eines Steuereinnehmers zu St. Germano in Savoyen namens Rotondo gehalten. Der Herzog von Choiseul erklärte ihn einmal, jedoch in zorniger Stimmung, für den Sohn eines portugiesischen Juden, was übrigens mit der Geschichte des Baron Stosch sich wohl vertragen könnte. Er sprach sehr gut deutsch und englisch, vortrefflich italienisch, das Französische mit einem piemontesischen Akzent, das Spanische und Portugisische in vollkommenster Reinheit.

Der Herzog von Choiseul war aufgebracht über St. Germain, weil er bei einer diplomatischen Intrige, die der König oder vielmehr der Marschall de Bellisle hinter Choiseuls Rücken gespielt, zum Werkzeug gedient hatte. Bekanntlich bestand Choiseuls Lieblingsplan und gewissermaßen der Stolz seiner staatsmännischen Laufbahn in der von ihm bewirkten Aussöhnung und Verbündung zwischen Frankreich und Österreich. Bellisle, der alte Gegner Österreichs aus dem österreichischen Erbfolgekrieg her, widerstrebte dieser Politik aufs eifrigste. Ludwig XV. und die Marquise Pompadour waren jedenfalls des Krieges müde, der nicht ging, wie er sollte. Auch Choiseul wollte den Frieden; aber man zweifelte, ob er so eifrig dafür wirke, wie es im Sinne der anderen Partei war. St. Germain gehörte zu den Günstlingen Bellisles und gab ihm mancherlei seltsame Ratschläge. Jetzt zunächst versicherte er ihm, daß er mit dem eben im Haag befindlichen Prinzen Ludwig von Braunschweig vertraut sei und durch diesen am leichtesten eine Unterhandlung anknüpfen könne. Der König und Kriegsminister schickten denn in der Tat den St. Germain nach dem Haag. Allein der dortige französische Gesandte Graf d'Affry entdeckte das Geheimnis dieser Sendung und schickte sogleich einen Kurier an Choiseul mit bitteren Beschwerden, daß er ohne sein Mitwissen unter seinen Augen durch einen unbekannten Fremden den Frieden unterhandeln lasse. Choiseul schickte den Kurier sogleich mit einer Anweisung an den Grafen d'Affry zurück, wonach dieser mit möglichstem Nachdruck von den Generalstaaten die Auslieferung St. Germains verlangen und ihn dann gebunden in die Bastille schicken sollte. Am folgenden Tage brachte Choiseul im Konseil die Depesche des Grafen d'Affry vor, verlas darauf die Antwort, die er erteilt hatte, ließ seine Blicke mit Stolz auf seinen Kollegen herumgehen, richtete sie dann abwechselnd auf den König und Herrn de Bellisle und sagte endlich: »Wenn ich mir nicht die Zeit genommen habe, die Befehle des Königs einzuholen, so beruht das nur auf meiner Überzeugung, daß niemand hier gewagt haben würde, einen Frieden ohne Vorwissen des Ministers der auswärtigen Angelegenheiten Eurer Majestät zu unterhandeln.« Der König schlug die Augen nieder wie ein Schuldiger; der Minister wagte kein Wort zu sprechen, und der Schritt des Herzogs von Choiseul ward genehmigt. St. Germain entkam ihm aber doch. Die Generalstaaten bezeigten sich zwar willfährig, welche Gefälligkeit sie auch sehr geltend zu machen wußten und schickten eine zahlreiche Wache ab, ihn zu verhaften; er war aber vorher in der Stille von der Sache in Kenntnis gesetzt worden und entfloh nach England. Von hier ging er bald nach Petersburg und soll hier bei der Revolution von 1762 eine Rolle gespielt haben, von der man jedoch nichts Näheres weiß. Jedenfalls war er auch nachher mit den Orlows sehr befreundet. Als er 1770 in russischer Generalsuniform und unter einem russischen Namen in Livorno erschien, ward er von dem Grafen Alexis Orlow mit einer Rücksicht behandelt, welche dieser stolze Mann gegen niemand zeigte, und Gregor Orlow, der ihn 1772 mit dem Markgrafen von Anspach zu Nürnberg auf der Durchreise sah, nannte ihn seinen caro padre, soll ihm 20.000 venetianische Zechinen geschenkt haben und sagte über ihn zu dem Markgrafen: »Voilà, un homme quì a joué un grand rôle dans notre révolution.« Von Petersburg ging er nach Berlin und zog dann in Deutschland und Italien umher. Längere Zeit lebte er in Schwabach und hei dem Markgrafen von Anspach, den er auch nach Italien begleitete. Zuletzt hielt er sich in Eckernförde bei dem Landgrafen Karl von Hessen, bekanntlich einem großen Gönner geheimer Wissenschaften und einer Beute zahlreicher Scharlatane auf und starb bei ihm lebensmüde im Jahre 1780. Während des letzten Jahres seines Lebens ließ er sich nur von Frauenzimmern bedienen, die ihn wie einen zweiten Salomon pflegten und hätschelten und in deren Armen er starb, nachdem er allmählich seine Kräfte verloren. Seine Papiere kamen in die Hände des Landgrafen, dem man aber niemals eine Auskunft über die Rätsel, welche St. Germain seinen Zeitgenossen aufgegeben, hat abgewinnen können, der aber auch nicht der Mann dazu war, bei Beurteilung solcher Männer Kritik anzuwenden.

Im allgemeinen scheint St. Germain unter den Scharlatans des 18. Jahrhunderts einer der unschädlicheren gewesen zu sein und mit seinen Schwindeleien nicht eben mehr bezweckt zu haben, als sich in der vornehmen Welt und deren Genüssen zu behaupten, auf Kosten reicher Großer ein behagliches Leben zu führen und sich an dem Staunen zu ergötzen, was seine Besonderheiten erregten. Zu dem allen benutzte er das Geheimnis, was seine Herkunft umringte, den Besitz einiger chemischer Geheimnisse und die, vielleicht auch durch letztere unterstützte langjährige Behauptung eines rüstigen und sich gleichbleibenden Aussehens. Auf seinen beständigen Umzügen hatte der durch keine Rücksichten gebundene Mann vielleicht dann und wann in einer Intrige mitgeholfen, was ihm dann auch weiter zustatten kam. Irgendeinen nachhaltigen Einfluß zu äußern, scheint er nie erstrebt zu haben und in seinen Ansprüchen ziemlich mäßig gewesen zu sein.

Er war von mittlerer Größe, sehr robust und bewahrte sein rüstiges Aussehen in der Tat wunderbar lange. Rameau und eine alte Verwandte eines französischen Gesandten in Venedig wollten ihn 1710 als einen Mann gekannt haben, der etwa 50 Jahre alt zu sein schien. 1759 schien er 60 Jahre zu haben und der dänische Legationssekretär Morin, der ihn 1735 auf einer Reise nach Holland kennengelernt hatte, versicherte 25 Jahre später, er schiene ihm nicht um ein Jahr gealtert zu sein. In Schleswig soll er bis in die letzte Zeit das Aussehen eines gut konservierten Sechzigers gehabt haben. Wenn sich das alles wirklich so verhalten hat, so ist es Glück und vielleicht etwas Geschick. Möglich aber auch, daß der St. Germain von 1710 doch ein anderer war, wo dann die Sache gar nichts Absonderliches mehr haben würde.

Er selbst suchte allerdings den Glauben an ein ungewöhnliches Alter zu erwecken und bediente sich dazu mancherlei Kunstgriffe, ohne gerade jedermann eine bestimmte nähere Versicherung zu erteilen. Indes ist er nie soweit gegangen, wie man ihm nachgesagt hat, sich für einen Zeitgenossen des Heilandes auszugeben und der Dienste zu rühmen, die er ihm bei Pilatus geleistet oder der Bemühungen, die er zugunsten der Kanonisation der heiligen Anna auf dem Nizäischen Konzil gehabt. Diese Geschichten rühren vielmehr von einer Mystifikation her, die durch einen witzigen Pariser vermittelt ward, welcher eine besondere Gabe besaß, die Leute nachzuahmen und weil er dies besonders auf Engländer anwendete, den Beinamen Mylord Gower führte. Dieser ward in Kreise geführt, in welche St. Germain nicht kam, dort für diesen ausgegeben und übertrieb nun seine Rolle, ohne deshalb weniger Glauben zu finden. Indes ein paar Jahrhunderte schrieb sich St. Germain doch zu. Sprach er mit einem Dummkopf von einem Vorgang aus der Zeit Karls V., so vertraute er ihm ganz unumwunden, daß er dabei gewesen sei; sprach er dagegen mit einem weniger Leichtgläubigen, so begnügte er sich, die kleinsten Umstände, die Mienen und Gesten der Sprechenden bis auf das Zimmer und den Platz, den sie eingenommen, mit einem Detail und einer Lebendigkeit auszumalen, die den Eindruck machten, als höre man einen Menschen, welcher wirklich zugegen gewesen.

Zuweilen, wenn er ein Gespräch Franz' I. oder Heinrichs VIII. referierte, stellte er sich zerstreut und sagte: »Der König wendete sich zu mir«, verschluckte aber rasch das »mir« und fuhr mit der Hast eines Mannes, der sich vergessen hat, fort, »zu dem Herzog so und so.« Er war mit dem Detail der Geschichte sehr vertraut und hatte sich so natürlich entworfene Tableaux und Szenen zusammengesetzt, daß niemals ein Augenzeuge einen neuen Vorgang so lebensvoll geschildert hat, wie er die Ereignisse vergangener Jahrhunderte. »Diese Dummköpfe von Parisern«, sagte er eines Tages zu dem Baron von Gleichen, »glauben, ich sei 500 Jahre alt und ich bestärke sie in dieser Idee, da ich sehe, daß sie ihnen soviel Vergnügen macht, nicht daß ich nicht wirklich unendlich älter wäre, als ich aussehe.«

Er besaß mancherlei chemische Geheimmittel, namentlich zu Schminken, Schönheitsmitteln, Färbestoffen; auch zu einer äußerst schönen Komposition von Kupfer und Zink, wahrscheinlich auch zu nachgemachten Edelsteinen. Dem Baron Gleichen zeigte er außer einer kleinen Sammlung vortrefflicher Gemälde, worunter eine heilige Familie von Murillo, eine Masse von so glänzenden und großen Edelsteinen, daß Gleichen die Schätze der Wunderlampe zu erblicken glaubte und denen sich die wahrscheinliche Unechtheit wenigstens nicht ansehen ließ. Aber er behauptete, weder eine Universalmedizin oder gar den Stein der Weisen zu besitzen, noch rühmte er sich überhaupt übernatürlicher Kenntnisse. Er lebte sehr mäßig, trank nie beim Essen und purgierte sich mit von ihm selbst zubereiteten Senesblättern. Etwas anderes riet er auch seinen Freunden nicht, wenn sie ihn fragten, was man tun müsse, um lange zu leben. Wohl aber sprach er oft mit mysteriöser Emphase über die Tiefen der Natur und öffnete der Phantasie einen weiten Spielraum in betreff seines Wissens, seiner Schätze und seiner erlauchten Abkunft. Den Regierungen bot er nicht, wie die Scharlatane einer früheren Zeit, das Geheimnis der direkten Goldmacherkunst an, sondern der vorgeschrittenen Zeit gemäß eine indirekte Bereicherung durch allerlei industrielle Rezepte und Unternehmungen. Während er so den Anschein eines Mannes hatte, der nach Geld jagt, ward er einst in einer kleinen piemontesischen Stadt wegen eines Wechsels verhaftet, brachte aber sogleich mehr als 100.000 Taler in guten Papieren hervor, bezahlte auf der Stelle, setzte sich gegen den Gouverneur der Stadt gewaltig aufs hohe Pferd und wurde auf das Ehrerbietigste entlassen. – Den Markgrafen von Anspach behandelte er sehr rücksichtslos als einen jungen Menschen, der noch nichts von hohen Dingen verstehe. Um sein Ansehen an diesem kleinen Hofe zu erhöhen, zeigte er von Zeit zu Zeit Briefe des großen Friedrich. »Kennen Sie diese Hand und dieses Siegel?« sagte er zum Markgrafen, indem er ihm den Brief im Kuvert zeigte. »Ja, das ist das kleine Siegel des Königs.« »Nun wohl, Sie sollen doch nicht erfahren, was darin ist«, und damit steckte er den Brief wieder in die Tasche.


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