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Elfter Abschnitt.


Erstes Kapitel.

Auf einem Außenplatze des »Cambridger Telegraphen« saß am andern Tage ein Passagier, welcher seinen Reisegefährten eine höchste ehrfurchtgebietende Vorstellung von seiner Kenntniß der todten Sprachen einflößen mußte, denn in einer lebenden war nicht eine einzige Sylbe von seinen Lippen zu vernehmen, seit er jene »schlimme Höhe« erstiegen, bis zu dem Augenblick, da er die Mutter Erde wieder betrat. »Der Schlaf,« sagt der ehrliche Sancho Sancho Pansa, Don Quijotes Diener., »bedeckt den Menschen besser, als ein Mantel.« Ich schäme mich Deiner, ehrlicher Sancho! Du bist ein trauriger Plagiarius, denn vor Dir sagte schon Tibull so ziemlich das Nämliche –

» Te somnus fusco velavit amictu Tibullus, III. 4, 55. [Anm.d.Verf.] – »Der Schlaf umgibt dich mit den Hüllen des Dunkels.«

Ist aber nicht das Schweigen ein eben so guter Mantel, als der Schlaf? Hüllt es den Menschen nicht in eben so dunkler undurchdringliche Falten ein? Schweigen – welch' eine Welt bedeckt es nicht! – was für geschäftige Entwürfe – was für glänzende Hoffnungen und düstere Befürchtungen – welchen Ehrgeiz und welche Verzweiflung! Sehen wir jemals einen Mann stundenlang stumm in einer Gesellschaft sitzen, ohne eine unruhige Neugierde zu empfinden, die Mauer zu durchdringen, welche er zwischen sich und Andern aufgeführt hat? Fühlen wir nicht weit mehr Interesse für ihn, als für den glänzenden Sprecher zu unserer Linken oder den unermüdlichen Witzling zu unserer Rechten, dessen Pfeile umsonst auf den schweigsamen Mann gerichtet sind? Schweigen – dunkle Schwester von Nox und Erebus Göttin der Nacht und ihr Bruder, Gott der Finsternis., wie erstreckst Du Dich, Schichte auf Schichte, Schatten auf Schatten, Finsterniß auf Finsterniß, von der Hölle bis zum Himmel über deinen erwählten Lieblingsplätzen – dem menschlichen Herzen und dem Grabe!

So legte ich denn, in meinen Ueberrock und in mein Schweigen gehüllt, die Reise zurück und erreichte am Abend des zweiten Tages das altmodische Backsteinhaus. Wie gellend drang der Ton der Glocke in mein Ohr! Wie seltsam und Unheil verkündend erschien meiner Ungeduld das Licht, welches ich durch die Fenster der Halle blinken sah! Wie pochte mein Herz, während ich das Antlitz des Dieners beobachtete, welcher mir das Thor öffnete!

»Alles wohl?« rief ich.

»Alles wohl,« antwortete der Diener in fröhlichem Tone. »Mr. Squills ist zwar eben bei meinem Herrn; allein ich glaube nicht, daß eine besondere Veranlassung dazu vorhanden war.«

In diesem Augenblick erschien meine Mutter auf der Schwelle, und im nächsten lag ich in ihren Armen.

»Sisty, Sisty! – mein lieber, lieber Sohn! Du bist vielleicht zum Bettler geworden – und ich, ich bin Schuld daran!«

»Du? – Komm' in dieses Zimmer, damit man uns nicht hört. – Du sollst Schuld daran sein?«

»Ja, ja – denn, wenn ich keinen Bruder gehabt hätte oder nicht verleitet worden wäre – wenn ich, wie ich gesollt, den armen Austin gebeten hätte, nicht –«

»Meine liebste, beste Mutter, Du klagst dich dessen an, was, wie es scheint, das Unglück – sicherlich nicht einmal die Schuld meines Onkels ist (bei den letzten Worten schluckte ich energisch)! Nein, lege den Vorwurf auf die rechten Schultern – auf die vermoderten Schultern jenes schrecklichen Ahnherrn, William Caxton's, des Buchdruckers; denn, obgleich ich die Einzelnheiten des Vorgefallenen noch nicht kenne, will ich doch eine Wette eingehen, daß die Sache mit jener unheilvollen Erfindung zusammenhängt, Komm', komm' – mein Vater ist doch wohl, nicht wahr?«

»Ja, dem Himmel sei Dank!«

»Und Du auch, und ich, und Roland, und die kleine Blanche! Nun, so hast Du wohl Ursache, dem Himmel zu danken, denn deine wahren Schätze sind unangetastet. Doch, mein Mütterchen, habe jetzt die Güte, Dich zu setzen und mir alles zu erklären.«

»Ich kann nichts erklären. Ich verstehe weiter nichts, als daß er, mein Bruder – mein Bruder! – Austin verstrickt hat in – in –« (ein neuer Thränenstrom.)

Ich tröstete, schalt, lachte, predigte und beschwor in Einem Athemzug und begab mich hierauf, meine Mutter sanft mit mir fortziehend, in das Studirzimmer meines Vaters.

An dem Tische saß Mr. Squills, die Feder in der Hand und ein Glas seines Lieblingspunsches neben sich. Mein Vater stand vor dem Kamine, etwas blässer, als sonst, und mit einem entschlossenen Ausdruck in seinen milden, gedankenvollen Zügen. Er erhob die Augen, als die Thüre geöffnet wurde, legte mit einem Blick auf meine Mutter den Finger an seine Lippen und sagte heiter:

»Der Schaden ist nicht so groß. Glaube ihr nicht! Die Frauen pflegen immer zu übertreiben und das, was sie befürchten, für Wirklichkeit zu halten; es ist dies eine Untugend ihrer lebhaften Einbildungskraft, wie Wierus Johann Weyer (um 1515-88), niederländischer Arzt; Gegner der Hexenverfolgung. klar nachgewiesen hat, indem er die Muttermale und Hasenscharten erklärt, mit welchen sie ihre unschuldigen Kinder, noch ehe sie geboren sind, behaften. Mein lieber Junge,« fügte mein Vater bei, als ich ihn jetzt geküßt, und ihm lächelnd ins Gesicht geblickt hatte – »ich danke Dir für dieses Lächeln. Gott segne Dich!«

Er drückte mir die Hand und wandte sich etwas zur Seite.

»Es ist ein großer Trost,« begann er nach einer kurzen Pause wieder, »bei einem eingetretenen Unglück zu wissen, daß es nicht abzuwenden war. Squills hat soeben entdeckt, daß mir die Beule der Vorsicht fehlt, so daß ich, craniologisch gesprochen, meinen Kopf ganz gewiß an einer andern Unklugheit verstoßen haben würde, wenn ich dieser entgangen wäre.«

»Ein Mann mit einer Schädelbildung, wie die Ihrige, ist dazu geschaffen, in die Falle zu gehen,« sagte Mr. Squills tröstend.

»Hörst Du, meine liebe Kitty? und hast Du das Herz, Jack noch länger zu tadeln – ein armes Geschöpf, mit einer Beule behaftet, von welcher die Börse selbst in die Falle gelockt werden könnte? Vermag irgend Jemand seiner Beule zu widerstehen, Squills?«

»Unmöglich,« erwiederte der Wundarzt mit größter Bestimmtheit.

»Früher oder später muß sie ihn in ihren lustigen Maschen verstricken – eh, Squills? – ihn fassen und festhalten in ihrer unheilvollen Gehirnzelle. Dort erwartet ihn sein Schicksal gleich dem Ameisenlöwen in seiner Grube.«

»Nur zu wahr,« bemerkte Squills. »Welch' ein Professor der Phrenologie ist an Ihnen verloren gegangen!«

»So gehe nun, meine Liebe,« sagte mein Vater, »und tadle Niemand mehr, als diese meine traurige Vertiefung, in der – keine Vorsicht wohnt! Gebe und sorge, daß Sisty ein Nachtessen bekömmt, denn nach Squills' Behauptung sind seine mathematischen Organe sehr schön ausgebildet, und wir bedürfen seiner Hülfe. Wir stecken tief in Zahlen, Pisistratus.«

Meine Mutter sah sehr unglücklich aus, gehorchte jedoch, ohne ein Wort zu erwiedern, und schlich sich nach der Thüre. Als sie aber die Schwelle erreicht hatte, wandte sie sich noch einmal um und winkte mir, ihr zu folgen.

Ich flüsterte meinem Vater zu und verließ das Zimmer. Meine Mutter stand in der Halle, und ich sah bei dem Licht der Lampe, daß sie ihre Thränen getrocknet hatte, und der Ausdruck ihrer Züge, obgleich sehr traurig, doch gefaßter war.

»Sisty, sagte sie leise, indem sie sich bemühte, ihrer Stimme Festigkeit zu geben – »versprich mir, daß Du mir alles sagen willst – auch das Schlimmste, Sisty. Sie verbergen es vor mir, und das ist die härteste Strafe für mich; denn wenn ich nicht alles weiß, was er – was Austin leidet, so ist es mir, als habe ich sein Herz verloren. O Sisty, mein Kind, mein Kind! fürchte nichts von mir! Ich werde glücklich sein, was uns auch befallen mag, wenn ich nur mein Vorrecht wieder erlange – mein Vorrecht, Sisty, zu trösten, das Leid zu theilen! – Verstehst Du mich?«

»Ja, gewiß, meine liebe Mutter! Und mit deinem feinen Gefühl und klaren Frauenverstand wirst Du der beste Berather sein, den wir finden können. Sei daher ohne Sorgen – Du und ich, wir wollen keine Geheimnisse vor einander haben.«

Meine Mutter küßte mich und entfernte sich alsdann mit etwas erleichtertem Herzen.

Als ich wieder in das Zimmer trat, kam mein Vater auf mich zu und umarmte mich.

»Mein Sohn,« sagte er mit unsicherer Stimme, »wenn Deine bescheidenen Aussichten im Leben zu Grunde gerichtet sind –«

»Vater, Vater, kannst Du in einem solchen Augenblick an mich denken! An mich! – Ist es möglich, einen gesunden, kräftigen jungen Mann zu Grunde zu richten? Mich zu Grunde richten mit diesen Muskeln und Sehnen! mit der Erziehung, die Du mir gegeben hast – den Muskeln und Sehnen des Geistes! O nein, hier ist Fortuna machtlos! Und Du vergissest, Vater – den Saffransack!«

Squills sprang auf, wischte sich mit der einen Hand die Augen und gab mir mit der andern einen tüchtigen Schlag auf die Schulter.

»Ich bin stolz auf die Sorgfalt, die ich Ihrer Kindheit gewidmet, Master Caxton. Das ist die Folge einer gehörigen Kräftigung der Verdauungsorgane in früher Jugend. Solche Gesinnungen sind ein Beweis vortrefflicher Nerven und eines durchaus befriedigenden Standes der Gesundheit. Mit einer so glatten Zunge, wie die Ihrige ohne Zweifel ist, entschlüpft man dem Unglück, wie ein Aal.«

Ich lachte laut, während über meines Vaters Antlitz ein mattes Lächeln glitt. Hierauf nahm ich einen Stuhl und ergriff das auf dem Tische liegende Papier, welches Squills mit Notizen bedeckt hatte.

»Um des Himmels Willen, was ist das? ›Ungefährer Werth der Bücher: 750 Pfund.‹ O Vater, das ist unmöglich! Ich war auf alles vorbereitet – darauf aber nicht. Deine Bücher – sie sind Dein Leben!«

»Nicht doch,« entgegnete mein Vater; »sie sind im Grunde der schuldige Theil in dem vorliegenden Falle und sollen daher auch das erste Opfer sein. Ueberdieß glaube ich, daß ich die meisten derselben auswendig weiß. In Wahrheit aber machen wir nur ein Verzeichniß aller unserer Habseligkeiten, um« – fügte mein Vater stolz hinzu – »ehrenvoll zu bestehen, mag kommen, was da will.«

»Geben Sie ihm na h,« flüsterte Squills, »wir wollen schon die Bücher retten.« Dann sagte er laut, indem er Finger und Daumen auf meinen Puls legte – »Eins, zwei, drei – ungefähr siebzig – vortrefflicher Puls – langsam und voll – er kann die ganze Dosis wohl ertragen – also, nicht gezögert!«

Mein Vater nickte –

»Ja, ja, Aber, Pisistratus, wir müssen Deine liebe Mutter schonen. Weßhalb sie darauf besteht, sich selbst Vorwürfe zu machen, weil der arme Jack den falschen Weg einschlug, um uns zu bereichern, kann ich nicht begreifen. Doch, wie ich schon früher Gelegenheit hatte, zu bemerken, Sphinx und Enigma sind weibliche Nennwörter.«

Mein armer Vater, vergebens rangst Du nach Deinem gewohnten unschuldigen Humor! Deine Lippen bebten!

Und nun erfuhr ich die ganze Geschichte. Nachdem der Entschluß zu der Herausgabe der Literarischen Times gefaßt worden, war es den rastlosen Bemühungen Onkel Jack's gelungen, eine gewisse Anzahl Actionäre zusammen zu bringen, und auf der Vertragsurkunde fand sich der Name meines Vaters als Inhaber des vierten Theiles der Gesammtactien. Wenn hierin eine Unklugheit von Seiten meines Vaters lag, so hatte er wenigstens nichts gethan, was nach den gewöhnlichen Berechnungen eines von der Welt abgeschiedenen Gelehrten verderblich werden konnte. Gerade zur Zeit unserer plötzlichen Abreise von London jedoch hatte Jack meinem Vater vorgestellt, daß es nothwendig werden dürfte, den Plan der Zeitung etwas zu ändern und, um einen größeren Leserkreis anzuziehen, auch die gewöhnlicheren Neuigkeiten und Interessen des Tages einigermaßen zu berühren. Eine Aenderung des Planes konnte möglicher Weise auch eine Aenderung des Titels nothwendig machen, und es wurde Onkel Jack nicht schwer, meinen Vater von der Zweckmäßigkeit zu überzeugen, ihm in Betreff des technischen Namens und der Form der Veröffentlichung gänzlich freie Hand zu lassen. Arglos willigte mein Vater ein, nachdem er gehört, daß auch die übrigen Actionäre ihre Zustimmung ertheilen würden. Mr. Peck, ein wohlhabender Buchdrucker von sehr achtbarem Namen, hatte sich erbötig finden lassen, die für die Veröffentlichung der ersten Nummern nöthige Summe vorzustrecken, da ihm nicht nur die besagte Vertragsurkunde, sondern auch ein weiteres Document Sicherheit gewährte, in welchem mein Vater kraft seiner Namensunterschrift Mr. Tibbets ermächtigte, mit Einwilligung der übrigen Actionäre Form oder Titel der Zeitschrift in jeder räthlich erscheinenden Weise zu ändern.

Nun scheint es, daß Mr. Peck in seinen früheren Unterhandlungen mit Mr. Tibbets viel kaltes Wasser auf die Idee der Literarischen Times gegossen und einen andern Vorschlag gemacht hatte, welcher »das Geld besitzende Publikum fangen« sollte. Nachmals stellte sich freilich heraus, daß der Buchdrucker, dessen Unternehmungsgeist demjenigen Onkel Jacks nicht nachstand, bei drei oder vier Spekulationen betheiligt war und eine Gelegenheit, die öffentliche Aufmerksamkeit auf dieselben hinzulenken, natürlich mit Freuden begrüßte. Kurz, mein armer Vater hatte kaum den Rücken gewendet, als die Literarische Times sogleich aufgegeben wurde, und Mr. Peck und Mr. Tibbets ihre erleuchteten Ansichten in jener glänzenden und kometenartigen Erscheinung zusammen zu fassen begannen, welche schließlich unter dem Titel »Der Kapitalist« auftauchte.

Von diesem veränderten Unternehmen hatte sich der vorsichtigere und zahlungsfähigere Theil der Actionäre ganz und gar losgesagt. Eine Mehrheit war allerdings noch vorhanden, bestand aber meist aus solchen Actionären, welche den Einflüssen Onkel Jack's am zugänglichsten und bereit waren, Actien auf alles zu nehmen, da sie bis jetzt Herren über nichts waren.

Im Vertrauen auf meines Vaters Verantwortlichkeit ließ der unternehmende Peck den Kapitalisten kühn vom Stapel laufen. Alle Mauern waren mit Ankündigungen bedeckt, und Circulare durchflogen das Königreich von einem Ende zum andern. Agenten und Correspondenten waren in Masse angeworben, und der Einfall des Xerxes in Griechenland 480 v.u.Z.; der zweite Perserkrieg gegen Großkönig Xerxes I. konnte in der That nicht großartiger vorbereitet gewesen sein, als der Sturm, mit welchen, der Kapitalist die Leichtgläubigkeit und den Geiz des Menschengeschlechts bedrohte.

Allein wie die Vorsehung den Fischen das Werkzeug der Floßen verliehen hat, vermittelst deren sie ihre Bewegungen im Gleichgewicht zu halten und rasch und sicher durch die pfadlosen Tiefen zu gleiten vermögen, so verleiht dieselbe schützende Macht den kaltblütigen Geschöpfen unserer eigenen Art – Geldmacher genannt – die floßenartigen Eigenschaften der Klugheit und Vorsicht, vermöge welcher der wahre Geldmensch majestätisch durch die großen Meere der Spekulation hindurchschwimmt. So verschwanden denn sämmtliche Fische, für welche das Netz bestimmt war, bei dem ersten Auswerfen desselben von der Oberfläche des Wassers, dann kamen sie herauf um mit ihren dicken Haifischnasen an den Maschen zu riechen, setzten aber alsbald jene unschätzbaren Floßen in Bewegung und machten sich, so schnell sie konnten, davon, bald in den Schlamm tauchend, bald unter Felsenklippen und Korallenbänken sich verbergend. Metapher bei Seite, die Kapitalisten knöpften ihre Taschen zu und wollten mit ihrem Namensretter nichts zu thun haben.

Von diesem veränderten Plan, welcher der ganzen Denkweise Augustin Caxton's durchaus widersprach, hatte ihm weder Peck, noch Tibbets die leiseste Andeutung gegeben. Er aß, schlief, arbeitete an dem großen Buche und wunderte sich gelegentlich, weßhalb er nichts von dem Erscheinen der Literarischen Times hörte – ohne eine Ahnung von der schweren Verantwortlichkeit zu haben, welche ihm der Kapitalist auferlegte, von dem er so wenig etwas wußte, als von der letzten Rothschild'schen Anleihe.

Meinen Vater ausgenommen, mußte es wohl Jedermann schwer werden, nicht ein entrüstetes Anathema über das Pläne schmiedende Haupt des Schwagers auszusprechen, welcher die heiligsten Pflichten des Vertrauens und der Verwandtschaft verletzt und einen von der Welt abgeschieden lebenden, arglosen Mann in solcher Weise hintergangen hatte. Um übrigens nicht ungerecht gegen Jack Tibbets zu sein, darf nicht verschwiegen werden, daß er selbst die feste Ueberzeugung hegte, der Kapitalist müsse meinen Vater zu einem reichen Manne machen; und wenn er es unterlassen, ihm den seltsamen und regelwidrigen Entwicklungsgang mitzutheilen, in welchem die ursprüngliche Literarische Times ihre schlummernde Puppe zu ihrem unheilvollen Fluge durchbrach, so geschah es einzig und allein in der Ueberzeugung, daß meines Vaters »Vorurtheile«, wie er sie nannten, ihn hindern könnten, ein Krösus zu werden. Onkel Jack war in der That so fest von der Vorzüglichkeit seines Unternehmens überzeugt gewesen, daß er sich nicht nur ganz in Mr. Peck's Hände gegeben, sondern auch Wechsel in fabelhaftem Betrage auf seinen eigenen Namen ausgestellt hatte und sich nun wirklich im Schuldgefängniß befand, aus welchem sein reumüthiges, verzweifeltes Bekenntniß datirt war. Zugleich mit diesem traf ein kurzes Schreiben von Mr. Peck ein, in welchem der ehrenwerthe Buchdrucker meinen Vater benachrichtigte, daß er auf eigene Gefahr die Herausgabe des Kapitalisten so lange fortgesetzt habe, als eine kluge Sorge für seine Familie es gestattet; daß, wie er wohl kaum zu bemerken brauche, ein neues tägliches Journal ein sehr großes und gewagtes Unternehmen sei, sowie daß der Aufwand für ein Blatt, wie der Kapitalist, denjenigen für eine bloß literarische Zeitschrift – wie ursprünglich der Plan gewesen – weit übersteige, und daß er sich daher jetzt gezwungen sehe, die den Actionären vorgestreckte Summe, welche sich auf mehrere Tausende belaufe, zurückzufordern. Indem er meinen Vater bat, die Sache augenblicklich in's Reine zu bringen, ließ er die zarte Andeutung fallen, Mr. Caxton möge mit den andern Actionären zurecht kommen, so gut er könne – leider aber müsse er hinzufügen, daß er, durch Mr. Tibbets verleitet, den größten Theil derselben für vermöglich gehalten habe, während sie in Wirklichkeit nichts besäßen!

Damit war nun aber das Unheil noch nicht zu Ende. Die »Große Anti-Buchhändler-Verlags-Gesellschaft«, von deren wirklichem, wenn auch kümmerlichen Dasein die Ankündigungen verschiedener Werke von solidem und dauerndem Werthe Zeugniß gaben, unter welchen neben einer pomphaften Liste von »Gedichten«, »Dramen, nicht für die Bühne bestimmt«, »Versuche von Phileutheros, Philanthropos, Philopolis, Philodemus und Philalethes« – die »Geschichte des menschlichen Irrthums, I. und II. Band, Quart, mit Illustrationen« obenan stand – die »Anti-Buchhändler-Gesellschaft«, sage ich, welche bisher durch diese zarten Triebe ihres schlanken Stammes werdendes und knospendes Leben verrieth, starb an einem plötzlichen Froste in dem Augenblick, als ihre Sonne, in Gestalt Onkel Jack's, in den schon genannten unterirdischen Regionen verschwand. Ein anderer Buchdrucker (o William Caxton, William Caxton – verhängnißvoller Ahne!), welcher in einem höflichen Briefe meinen Vater von diesem Ereigniß unterrichtete, theilte ihm zugleich in den schmeichelhaftesten Ausdrücken mit, daß er genöthigt sei, an ihn, als an »das ehrenwertheste Mitglied der Gesellschaft«, sich zu halten wegen des Aufwandes, welcher nicht nur durch die sehr kostbare Ausgabe der »Geschichte des menschlichen Irrthums«, sondern auch durch den Druck der »Gedichte«, der »Dramen nicht für die Bühne bestimmt«, der »Versuche von Phileutheros, Philanthropos, Philopolis, Philodemus und Philalethes« sowie unterschiedlicher anderer Werke veranlaßt worden, deren Werth gewiß nicht bestritten werden könne, welche aber, was den Geldpunkt betreffe, unvermeidliche, beträchtliche Verluste erwarten ließen.

Ich gestehe, daß ich mich betäubt und verwirrt in meinen Stuhl zurücklehnte, sobald ich obige angenehme Thatsachen begriffen und von Mr. Squills die Bestätigung erhalten hatte, daß mein Vater, wie es scheine, wirklich gesetzlich verpflichtet sei, diese Forderungen zu befriedigen.

»Du siehst,« sagte mein Vater, »daß wir bis jetzt im Dunkeln mit den Ungeheuern kämpfen – und in der Dunkelheit erscheinen alle Ungeheuer größer und häßlicher. Sogar Augustus Cäsar, obgleich er nie Bedenken trug, die Geisterwelt nach Gutdünken zu bevölkern, wünschte nichts weniger, als einen Besuch aus derselben, und blieb daher nie allein in tenebris Im Dunkeln.. Welches der Betrag der Summen ist, für die ich einstehen soll, wissen wir nicht; eben so dunkel und unbestimmt ist es, in wie weit sich die übrigen Actionäre an der Tilgung der Schuld betheiligen werden. Vor allen Dingen aber muß Onkel Jack aus dem Gefängniß erlöst werden.«

»Onkel Jack aus dem Gefängniß erlöst?« rief ich. »Wahrhaftig, Vater, das heißt die Vergebung zu weit getrieben!«

»Warum? Hätte ich die Schwäche des armen Mannes nicht so blindlings vergessen, so wäre er jetzt nicht in Haft! Ich hätte ihn besser kennen sollen! Allein meine Eitelkeit verleitete mich; ich mußte nothwendig ein großes Buch veröffentlichen, als ob es (Mr; Caxton's Blicke gleiteten dabei über seine Bibliothek) nicht große Bücher genug in der Welt gäbe! Ebenso mußte ich nothwendig die Wissenschaft in Form eines Journals fördern und ausbreiten – ich, der ich nicht einmal den Charakter meines eigenen Schwagers genugsam erkannte, um mich selbst vor dem Verderben zu bewahren! Was auch kommen mag – ich würde mich selbst für den schlechtesten der Menschen halten, wollte ich dieses arme Geschöpf, dessen fixe Idee ich hätte bedenken sollen, im Gefängniß schmachten lassen, weil es mir an gesundem Menschenverstand fehlte. Und,« schloß mein Vater mit Nachdruck »er ist der Bruder Deiner Mutter, Pisistratus. Ich wäre sogleich nach London abgereist, da Dir jedoch Deine Mutter schon geschrieben hatte, so wartete ich, um ihr Trost und Hoffnung zurückzulassen – ein doppelter Segen, der jeder Mutter aus dem Antlitz eines Sohnes, wie du bist, zulächelt. Morgen verlasse ich Euch.«

»Keine Rede davon,« sagte Mr. Squills entschieden. »Als Ihr ärztlicher Berather verbiete ich Ihnen, vor Ablauf der nächsten sechs Tage Ihr Haus zu verlassen.«


Zweites Kapitel.

Mr. Caxton,« fuhr Squills fort, indem er das Ende einer Cigarre abbiß, welche er aus seiner Tasche hervorgezogen, »Sie geben mir zu, daß es eine sehr wichtige Angelegenheit ist, um deren willen Sie nach London gehen wollen.«

»Darüber kann kein Zweifel obwalten,« erwiederte mein Vater.

»Und die gute oder schlimme Ausführung eines Geschäftes hängt ganz und gar von dem Zustande des Körpers ab!« rief Mr. Squills triumphirend »Wissen Sie, Mr. Caxton, daß, während Sie so gelassen aussehen und so ruhig sprechen – nur um Ihrem Sohne Muth zu machen und Ihre Frau zu täuschen – wissen Sie, daß Ihr Puls, der in seinem normalen Zustande nicht viel mehr, als sechzig Schläge zählt, deren jetzt nahezu hundert hat? Und wissen Sie auch, daß Ihre Schleimhäute in einem Zustande hoher Reizbarkeit sich befinden, wie an den pupillae auf Ihrer Zungenspitze wahrzunehmen ist? Und wenn Sie mit einem solchen Pulse und einer solchen Zunge Geldgeschäfte mit einer Bande durchtriebener Gewerbsleute abmachen wollen, so kann ich nur sagen, daß Sie ein zu Grunde gerichteter Mann sind.«

»Aber –« begann mein Vater.

»Hat nicht Squire Rollick,« fuhr Mr. Squills fort – »Squire Rollick, der hartnäckigste Kopf in Geldgeschäften, den ich kenne – hat er nicht seine hübsche, kleine Meierei, Scranny Holt, dreißig Prozent unter ihrem Werth verkauft? Und was war die Ursache, Herr? – die ganze Grafschaft staunte darüber! – was war die Ursache? nichts Anderes, als ein beginnender Anfall von Gelbsucht, in Folge dessen ihm das menschliche Leben und die landwirthschaftlichen Interessen in einem trüben Lichte erschienen! Und Advokat Cool, der klügste Mann in den drei Königreichen – Advokat Cool, der so pünktlich und methodisch war, daß alle Thurmuhren der Grafschaft nach seiner Taschenuhr gerichtet wurden – stürzte er sich nicht eines Morgens über Hals und Kopf in eine wahnsinnige Spekulation zu Kultivirung der Sümpfe in Irland? (Seine Uhr ging die nächsten drei Monate unrichtig, so daß unsere ganze Grafschaft dem übrigen England um eine Stunde voraus war.) Niemand konnte sich den Grund erklären, bis ich gerufen wurde und fand, daß seine Gehirnhäute – wahrscheinlich gerade in der Gegend der Organe des Erwerbstriebes und der Idealität – in einem Zustande akuter Gereiztheit sich befanden. Nein, Mr. Caxton, Sie werden zu Hause bleiben und ein beruhigendes Präparat aus Lattichblättern und Pappelrosen einnehmen, welches ich Ihnen zuschicken will. Ich aber,« fuhr Squills fort, indem er seine Cigarre anzündete und zwei entschlossene Züge that – »ich will nach London gehen und die Angelegenheit für Sie in Ordnung bringen und zwar in Begleitung dieses jungen Gentleman, dessen Verdauungsvermögen gerade in einem Zustande sich befindet, daß er ungefährdet mit jenen schrecklichen Elementen der Dyspepsie Verdauungsstörung im Oberbauch. – den Advokaten – verhandeln kann.«

Während er so sprach, setzte Mr. Squills seinen Fuß bedeutungsvoll auf den meinigen.

»Aber« begann mein Vater in mildem Tone wieder, »obgleich ich Ihnen herzlich danke für Ihr freundliches Anerbieten, Squills, so sehe ich doch die Nothwendigkeit nicht ein, dasselbe anzunehmen. Ich bin kein so schlimmer Philosoph, als Sie zu glauben scheinen, und der erlittene Schlag hat meine physische Organisation nicht so vollständig zerstört, daß ich zu der Besorgung meiner Geschäfte unfähig wäre.«

»Hm,« brummte Squills, indem er aufsprang und meines Vaters Hand ergriff. »Sechsundneunzig – sechsundneunzig auf die Minute! Und die Zunge, Herr!«

»Pah!« erwiederte mein Vater; »Sie haben ja meine Zunge gar nicht gesehen.«

»Ist auch nicht nöthig; der Zustand der Augenlieder sagt mir, wie sie aussieht – Spitze scharlachroth, Seiten rauh, wie ein Muskatnußreiber!«

»Pah!« wiederholte mein Vater, und zwar diesmal ungeduldig.

»Gut!« sagte Squills feierlich. »Meine Pflicht, ist es aber, Sie darauf aufmerksam zu machen (hier trat meine Mutter ein, um mir mitzutheilen, daß mein Nachtessen bereit sei), und ich sage es Ihnen, Mrs. Caxton, und Ihnen, Mr. Pisistratus Caxton, als den am meisten Betheiligten, daß, wenn Sie, Mr. Caxton, in dieser Angelegenheit nach London gehen, ich für die Folgen nicht stehen kann.«

»Austin, Austin!« rief meine Mutter, eilte auf meinen Vater zu und schlang ihre Arme um seinen Nacken, während ich, nicht viel weniger beunruhigt durch Squills' ernsten Ton und Blick, meinem Vater nachdrücklich vorstellte, wie seine persönliche Dazwischenkunft im ersten Augenblick ganz gewiß nutzlos sei. Er könne bei seiner Ankunft in der Stadt nicht mehr thun, als die Sache den Händen eines geschickten Advokaten übergeben – und dies vermöchten auch wir in seinem Namen zu besorgen; wenn einmal der ganze Umfang des Unglücks sich klarer herausgestellt haben werde, sei es noch immer Zeit, ihn nach London zu bescheiden.

Während ich sprach, ließ Mr. Squills den Puls meines Vaters nicht los, und meine Mutter hielt seinen Nacken umschlungen.

»Sechsundneunzig – siebenundneunzig!« stöhnte Squills mit hohler Stimme.

»Ich glaube es nicht!« rief mein Vater beinahe leidenschaftlich. »Ich war in meinem Leben nie wohler und ruhiger.«

»Und die Zunge – sehen Sie nur seine Zunge an, Mrs. Caxton – eine Zunge, so glänzend, daß man dabei lesen könnte!«

»Ach, Austin, Austin!«

»Glaube mir, meine Liebe, an meiner Zunge ist nichts auszusetzen,« erwiederte mein Vater, durch die Zähne sprechend. »Und der Mann weiß so wenig von meiner Zunge, als von den Mysterien von Eleusis Initiations- und Weiheriten, die sich um die Gottheiten Demeter und Kore drehten, und die nach dem Demeterheiligtum in Eleusis bei Athen benannt waren. Die Mysterien gehörten zum Staatskult der Athener.

»So strecken Sie Ihre Zunge heraus,« rief Squills, »und wenn es nicht so ist, wie ich sage, so mögen Sie nach London gehen und Ihr ganzes Vermögen in die beiden Gruben werfen, die Sie dafür gegraben haben. Strecken Sie Ihre Zunge heraus!«

»Mr. Squills!« versetzte mein Vater, während ihm das Blut in die Wangen stieg – »Mr. Squills, schämen Sie sich!«

»Lieber, theurer Austin! Deine Hand ist so heiß – gewiß, Du hast Fieber.«

»Nicht die Spur davon!«

»Aber, Vater, thue doch Mr. Squills den Gefallen,« bat ich schmeichelnd.

»Hier, hier!« sagte mein Vater, der unserm Stürmen und Drängen nicht länger widerstehen konnte und schüchtern das äußerste Ende seines besiegten Beredtsamkeits-Organes auf einen Augenblick zeigte.

Squills schien es mit seinen Luchsaugen verschlingen zu wollen.

»Roth wie ein gesottener Krebs, und rauh, wie ein Stachelbeerstrauch!« rief er in einem Tone wilder Freude.


Drittes Kapitel.

Wie war es möglich für eine einzige arme Zunge, die so geschmäht und verfolgt, so gedemüthigt, beleidigt und überwunden worden war, drei andern Zungen, die sich gegen sie verbündet hatten, zu widerstehen?

Mein Vater gab schließlich nach, und Squills erklärte in heiterer Stimmung, er wolle bei meinem Nachtessen zugegen bleiben und dafür sorgen, daß ich nichts genieße, wodurch sein Vertrauen auf mein System erschüttert werden könnte. Der gute Doctor ergriff meinen Arm, während meine Mutter bei ihrem Austin zurückblieb, sobald wir das nächste Zimmer erreicht hatten, schloß er sorgfältig die Thüre, wischte sich die Stirne und sagte:

»Ich denke, wir haben ihn gerettet!«

»Hätte die Reise meinem Vater denn wirklich so sehr geschadet?«

»So sehr geschadet! – Sie thörichter junger Mann, sehen Sie denn nicht, daß mit seiner Unkenntniß in Geschäften, wenn diese ihn selbst betreffen – denn für die Angelegenheiten Anderer besitzt weder Rollick, noch Cool ein besseres Urtheil – und mit seinen verwünschten quixotischen Begriffen von Ehre, die sich eben jetzt in einem Zustande großer Aufregung befinden, Ihr Vater mit dem Ausrufe: ›Wie viel bist Du schuldig? hier ist es!‹ zu Mr. Tibbets gestürzt wäre – in derselben Weise mit den Buchdruckern die Sache bereinigt und bei seiner Rückkehr keinen Sixpence mehr in der Tasche gehabt hätte; während wir beide mit kaltem Blute uns umsehen und die Entzündung auf das Minimum zurückführen können.«

»Ich verstehe – und danke Ihnen herzlich, Squills.«

»Ueberdieß,« fuhr der Doctor mit mehr Gefühl fort, »hat Ihr Vater wirklich eine edle Selbstüberwindung an den Tag gelegt. Er leidet mehr, als Sie glauben – nicht um seinetwillen (denn ich bin überzeugt, er wäre für sich allein vollkommen zufrieden, wenn er nur seine Bücher und jährlich fünfzig Pfund retten könnte), aber wegen Ihrer und Ihrer Mutter; und eine neue Gemüthsbewegung – all' die ängstliche Aufregung einer Reise nach London in einer solchen Angelegenheit – hätte allerdings mit einer schlagflußartigen Affection endigen können. Nun aber lassen wir ihn geborgen hier zurück, und die schlimmsten Nachrichten, die wir ihm geben können, werden besser sein, als diejenigen, auf welche er sich gefaßt macht. Doch Sie essen nicht.«

»Essen! Wie kann ich? Mein armer Vater!«

»Der Einfluß, welchen der Kummer vermittelst des Nervensystems auf die Magensäfte ausübt, ist sehr merkwürdig,« sagte Mr. Squills philosophisch, indem er sich ein Stück Braten vorlegte, »er erhöht den Durst, während er den Hunger wegnimmt. Nein – keinen Portwein! – er erhitzt zu sehr. Xeres und Wasser.«


Viertes Kapitel.

Die Hausthüre hatte sich hinter Mr. Squills geschlossen – nachdem er mir noch versprochen, den andern Morgen mit mir zu frühstücken, damit wir den an unserm Hause vorüberfahrenden Wagen zusammen besteigen könnten – und ich saß allein an dem Tische, in Gedanken versunken über alles, was ich gehört, als mein Vater eintrat.

»Pisistratus,« sagte er ernst und blickte dabei im Zimmer umher; »Deine Mutter! – wenn es zum Aeußersten käme, so müßte es Deine erste Sorge sein, sie wo möglich sicher zu stellen. Du und ich, wir sind Männer – uns kann es nie fehlen, so lange wir gesund an Geist und Körper bleiben; aber eine Frau – und wenn mir etwas zustieße –«

Meines Vaters Lippe zuckte, als er eben diese kurzen Sätze sprach.

»Mein bester, theuerster Vater!« erwiederte ich, mit Mühe meine Thränen unterdrückend, »jedes Uebel, wie Du selbst gesagt, ist schlimmer in der Erwartung, als in der Wirklichkeit. Es ist unmöglich, daß Dein ganzes Vermögen gefährdet sein kann; die Zeitung erschien nur wenige Wochen, und von Deinem Werke ist bloß der erste Band gedruckt. Ueberdies müssen doch auch die andern Actionäre ihren verhältnißmäßigen Antheil bezahlen. Glaube mir, ich hege die besten Hoffnungen für den Erfolg meiner Sendung. Was aber meine arme Mutter betrifft, so ist es nicht der Vermögensverlust, der sie schmerzen wird – verlasse Dich darauf, dieser berührt sie sehr wenig – es ist vielmehr der Verlust Deines Vertrauens.«

»Meines Vertrauens?«

»Ja! Theile ihr alle Deine Befürchtungen, wie Deine Hoffnungen mit. Laß Dein liebevolles Mitleid sie nicht aus einem einzigen Winkel Deines Herzens ausschließen.«

»Das ist es – das ist es allein, Austin – mein Gatte – meine Freude – mein Stolz – meine Seele – mein Alles!« rief eine sanfte, gebrochene Stimme.

Meine Mutter hatte sich unbemerkt hereingeschlichen.

Meines Vaters Blicke weilten auf uns beiden, und die Thränen, die vorher schon in seinen Augen gestanden, benetzten nun seine Wangen. Er öffnete seine Arme, umfing seine glückliche Kitty und erhob alsdann jene feuchten Augen gen Himmel – ich sah an der Bewegung seiner Lippen, daß er Gott dankte.

Ich stahl mich aus dem Zimmer, denn ich fühlte, daß diese beiden Herzen ihren Empfindungen ohne Zeugen Ausdruck geben mußten. Und ich bin überzeugt, daß von dieser Stunde an Augustin Caxton's Philosophie stärker war, als die der Stoiker. Der Muth und die Standhaftigkeit, welche den Schmerz verbirgt, war nicht länger mehr nöthig, denn der Schmerz wurde nicht mehr gefühlt.


Fünftes Kapitel.

Wir legten unsere Reise ohne jedwedes Abenteuer und, da wir uns nicht allein in dem Wagen befanden, ziemlich schweigsam zurück. In einem kleinen Gasthaus der City nahmen wir unsere Herberge, und den folgenden Morgen machte ich mich sogleich auf den Weg, um Trevanion aufzusuchen, denn wir waren übereingekommen, daß er uns am besten werde berathen können. Bei meiner Ankunft in St. James Square wurde ich jedoch mit der unangenehmen Nachricht empfangen, daß die ganze Familie vor drei Tagen nach Paris abgereist sei und nicht vor dem Zusammentritt des Parlaments zurückkehren werde.

Dies war eine traurige Entmuthigung, denn ich hatte sehr auf Trevanion's klaren Kopf gerechnet, sowie auf jene außerordentlichen Kenntnisse in Geschäftssachen – in allem, was sich auf das praktische Leben bezog – welche mein alter Gönner in so hohem Grade besaß. Zunächst wünschte ich nun, mich an seinen Sachwalter zu wenden (denn Trevanion war einer von jenen Männern, welche ihre Geschäfte sicherlich nur den Händen sehr tüchtiger und thätiger Anwälte übergeben). In der That aber pflegte er den Advokaten so wenig zu überlassen, daß sich niemals die Gelegenheit geboten hatte, mit einem solchen zu verkehren, so lange ich bei Trevanion gewesen war; ich kannte daher nicht einmal den Namen seines Geschäftsmannes, und eben so wenig konnte mich der Portier, welchem die Obhut des Hauses anvertraut worden, über denselben belehren. Glücklicher Weise erinnerte ich mich nun Sir Sedley Beaudesert's, welcher mir ohne Zweifel die gewünschte Auskunft geben oder aber jedenfalls einen andern Advokaten empfehlen konnte. So begab ich mich denn unverweilt zu ihm.

Ich traf Sir Sedley beim Frühstück mit einem jungen Gentleman, der etwa zwanzig Jahre zählen mochte. Der gute Baronet war sehr erfreut, mich zu sehen, schien jedoch einigermaßen in Verlegenheit zu gerathen – ein seltener Fall bei seiner ungezwungenen Herzlichkeit – als er mich seinem Vetter, Lord Castleton, vorstellte. Der Name war mir bekannt, obwohl ich seinen hochadeligen Träger nie zuvor gesehen hatte.

Der Marquis von Castleton war in der That nicht nur ein Gegenstand des Neides für junge Müßiggänger, sondern erregte eben so sehr das Interesse graubärtiger Politiker. Oftmals hatte ich von dem »glücklichen Castleton« gehört, welcher nach erlangter Volljährigkeit in den Besitz eines Vermögens kommen werde, das die Träume Aladdin's zu verwirklichen im Stande wäre – eines Vermögens, das während seiner Minderjährigkeit zu fabelhafter Höhe angewachsen war. Oft auch hatte ich ernstere Plauderer darüber reden hören, ob wohl Castleton thätigen Antheil am öffentlichen Leben nehmen und den Familieneinfluß aufrecht erhalten werde. Seine Mutter (welche noch lebte) war eine ausgezeichnete Frau und hatte sich von seiner Kindheit an bestrebt, ihm den Verlust des Vaters zu ersetzen und ihn für seine hohe Stellung zu befähigen. Er stand in dem Rufe eines verständigen jungen Mannes, war durch einen Hofmeister von großer wissenschaftlicher Auszeichnung erzogen worden und hatte mehrere akademische Grade erlangt. Dieser junge Marquis war in der That das Haupt einer jener wenigen in England noch übrig gebliebenen Familien, welche die Bedeutsamkeit des alten Adels aufrecht erhalten Er verdankte seine Wichtigkeit nicht nur seinem Range und seinem großen Reichthum, sondern auch seinen weitverzweigten, mächtigen Verbindungen, der Tüchtigkeit seiner beiden Vorgänger, welche eifrige Politiker und Kabinetsminister gewesen waren, dem Nimbus, welchen sie seinem Namen hinterlassen hatten, der eigenthümlichen Beschaffenheit seiner Besitzungen, welche ihm eine Stimme bei der Wahl von nicht weniger, als sechs Parlamentsmitgliedern in Großbritannien und Irland sicherten – und endlich jenem mittelbaren Einfluß, welchen das Haupt der Castleton's allezeit über viele mächtige und edle Verbündete dieses fürstlichen Hauses behauptet hatte. Lord Castleton's Verwandtschaft mit Sir Sedley, dessen Wirkungskreis dem Felde der Politik so ferne lag, war mir unbekannt gewesen, und die Mittheilung derselben überraschte mich einigermaßen; jedenfalls aber blickte ich – vielleicht am Rande der Verarmung stehend – mit einigem Interesse auf diesen jungen Erben fabelhafter Reichthümer.

Es war leicht zu bemerken, daß Lord Castleton im vollen Bewußtsein seiner künftigen Größe und deren ernster Verantwortlichkeit aufgewachsen war. Jene kleinlichen Zierereien, welche man so häufig bei der Jugend des niedrigeren Adels antrifft, waren ihm gänzlich fremd; er hatte bessere Dinge gelernt, als seinen eigenen Werth nach dem Schnitte eines Rockes oder der Form eines Hutes zu bemessen. Seine Welt lag weit über St. James Street und den Clubs. Er war einfach, jedoch in einem ihm eigenthümlichen Style gekleidet; er trug eine weiße Halsbinde (was damals für den Morgengebrauch nicht so ganz ungewöhnlich war, als es heut' zu Tage ist), Beinkleider ohne Stege, dünne Schuhe und Gamaschen. Die hochmüthige Gleichgültigkeit, welche den Dandy charakterisirt, wenn ihm Jemand vorgestellt wird, dem er vielleicht aus White's Adelsclub auf der St. James Street. Bogenfenster nicht zuwinken möchte, eine solche gemeine Geckenhaftigkeit lag dem Benehmen Lord Castleton's fern. Und doch konnte man nicht leicht einen jungen Gentleman sehen, der den Namen eines Gecken nachdrücklicher verdiente. Ohne Zweifel hatte man ihm gesagt, er müsse, als das Oberhaupt eines Hauses, welches an sich schon gleichsam eine Partei im Staate bildete, freundlich und höflich gegen Jedermann sein; und diese Pflicht, auf eine eigenthümlich kalte und ungesellige Natur gepfropft, verlieh seiner Höflichkeit etwas so Steifes und dabei so Herablassendes, daß es Einem das Blut in die Wangen trieb – obgleich der augenblickliche Aerger durch den fast lächerlichen Gegensatz zwischen dieser majestätisch huldvollen Haltung und der unbedeutenden Figur mit dem knabenhaften, bartlosen Antlitze wesentlich gemildert wurde. Lord Castleton begnügte sich nicht mit einer bloßen Verbeugung, als ich ihm vorgestellt wurde. In meiner nicht geringen Verwunderung, wie er zu den an den Tag gelegten Kenntnissen gekommen sein mochte, beehrte er mich mit einer kleinen Anrede nach Art Ludwig's XIV., wenn dieser zu einem Landedelmann sprach – sorgfältig jenem königlichen Grundsatze leutseliger Politik angepaßt, nach welchem einem Könige die Geburt, Herkunft und Familie auch des geringsten Edelmannes bekannt sein soll. Meines Vaters Gelehrsamkeit, meines Onkels Kriegsdienste und die liebenswürdigen Eigenschaften meiner Wenigkeit waren zierlich in die kleine Rede eingewoben, und diese selbst wurde in einem Falsett-Tone vorgetragen, als wäre sie auswendig gelernt gewesen, während sie nothwendig eine Ansprache aus dem Stegreif sein mußte. Nachdem Lord Castleton geendigt, ließ er sich mit einer huldreichen Bewegung des Kopfes und der Hand auf einen Stuhl nieder, als wollte er mich ermächtigen, dasselbe zu thun.

Nun folgte eine Unterhaltung in welcher Lord Castleton durch galvanische Stöße und krampfhafte Sprünge dem armen Sir Sedley seine gewohnte Weise, elegante Conversation zu führen, so vollständig zur Unmöglichkeit machte, daß dieser liebenswürdige Mann, welcher verdientermaßen an seinem eigenen Tische der Coryphäus Koryphaios: Chorführer in der antiken Tragödie. zu sein pflegte, gänzlich zum Schweigen gebracht wurde. Seine leichte Lectüre, sein reicher Anekdotenschatz und seine launige Kenntniß der Salonwelt gab ihm kaum ein Wort an die Hand, welches zu den großen, gewaltigen und ernsten Dingen paßte, die Lord Castleton zur Sprache brachte, während er langsam seine geröstete Brodschnitte kaute. Nur die bedeutungsvollsten und praktischsten Gegenstände des menschlichen Interesses schienen für diesen künftigen Leiter unseres Geschlechts Anziehungskraft zu besitzen. In der That war Lord Castleton alles gelehrt worden, was sich auf das Eigenthum bezieht (ein Wissen, das einen sehr ausgedehnten Kreis umfaßt). Man hatte ihm gesagt: »Du wirst der Besitzer eines ungeheuren Eigenthums werden – deßhalb sind Kenntnisse unerläßlich zu Deiner Selbsterhaltung. Man wird Dich jeden Tag Deines Lebens zu verwirren, zu betrügen, lächerlich zu machen und zu bethören suchen, wenn Du Dich nicht mit allem bekannt machst, wodurch das Eigenthum angegriffen oder vertheidigt, vermindert oder vermehrt wird. Du hast einen außerordentlich großen Einfluß im Lande – Du mußt alle Interessen Europas, ja der ganzen civilisirten Welt kennen lernen, denn sie wirken auf Dein Vaterland zurück, und die Interessen Englands sind von der größten Bedeutung für die Interessen des Marquis von Castleton.« So brachte denn der junge Lord den Zustand des Continents, die Politik Metternich's, den Stand des Papstthums, die Zunahme der Spaltungen, die geeignete Weise, mit dem in den europäischen Monarchien epidemisch gewordenen Geiste der Demokratie fertig zu werden, das Wechselverhältniß der ackerbauenden und der Fabrik-Bevölkerung, die Korngesetze, die Geld-Curse und die Gesinde-Ordnung, eine Kritik über die Hauptredner im Unterhause, mit einigen discursiven Bemerkungen über die Wichtigkeit der Viehmast, die Einführung des Flachses in Irland, die Auswanderung, die Lage der Armen, die Lehren Mr. Owen's Robert Owen (1771-1858), walisischer Sozialreformer; einer der Begründer des utopischen Sozialismus und der Genossenschaftsbewegung., die Kartoffelkrankheit, den Zusammenhang zwischen Kartoffeln, Pauperismus und Patriotismus – diese und ähnliche erstaunliche Betrachtungsgegenstände, welche sich alle mehr oder weniger um die einzige Idee des Castleton'schen Eigenthums drehten, brachte der junge Marquis zur Sprache und fertigte sie in einem halben Dutzend gezierter, wohlabgewogener Sätze ab, wobei ich ihm jedoch die Gerechtigkeit widerfahren lassen muß, daß er nicht unbedeutende Kenntnisse und eine gewaltig feierliche Geistesrichtung an den Tag legte. Das Seltsame dabei war, daß die in solcher Weise behandelten Gegenstände nicht von einem jungen Rechtsgelehrten oder gereiften National-Oeconomen, sondern von einer so glänzenden Lilie des Feldes gewählt worden waren. Von einem Anderem als einem so hochstehenden jungen Lord, würde man ganz gewiß gesagt haben – »Verständig, aber naseweis;« hier lag jedoch etwas so Achtbares in dem Umstande, daß dieser junge Mann, der in so glänzenden Verhältnissen geboren worden und eigentlich nichts zu thun hatte, als sich in seinem Glücke zu sonnen, aus freiem Willen sich solche Mühe gab und sich herabließ, seine eigenen Interessen – die Interessen des Castleton'schen Besitzthums – mit den Angelegenheiten seiner geringeren Mitmenschen zu identificiren, daß man fühlte, der junge Marquis habe alle Anlagen, ein sehr bedeutender Mann zu werden.

Der arme Sir Sedley, welchem diese Dinge so fremd, wie die Theologie des Talmud waren, gab nach einigen vergeblichen Bemühungen, die Unterhaltung in einen leichteren Fluß zu bringen, jeden weiteren Versuch auf und nahm mit einem mitleidigen Lächeln auf seinen schönen Zügen seine Zuflucht zu seinem Lehnstuhl und zu der Betrachtung seiner Tabaksdose.

Endlich kündigte der Bediente zu unserer großen Erleichterung Lord Castleton's Wagen an, und nachdem der Marquis abermals eine Rede von überwältigender Leutseligkeit an mich gehalten und Sir Sedley kalt die Hand gedrückt hatte, ging er seines Weges.

Das Frühstückzimmer sah nach der Straße hinaus, und ich trat mechanisch an das Fenster, während Sir Sedley seinem Gaste folgte. Ein Reisewagen mit vier Postpferden hielt an der Thüre, und ein fremdländisch aussehender Bedienter erwartete seinen Herrn mit dessen Mantel auf dem Arme. Als Lord Castleton auf die Straße trat und sich in seinen kostbaren Zobelpelz hüllte, fiel mir die Schmächtigkeit seiner hinfälligen Gestalt und die außerordentliche Blässe feines mageren, freudlosen Antlitzes weit mehr auf, als während ich mit ihm gesprochen hatte. Statt Neid, empfand ich jetzt Mitleid mit dem Eigenthümer all' dieser Pracht und Größe – ich fühlte, daß ich meine kräftige Gesundheit, meine heitere Laune und meine lebhafte Empfänglichkeit auch für die kleinsten und im Bereiche aller Menschen liegenden Freuden nicht gegen den Reichthum und die Größe hätte vertauschen mögen, welche dieser arme Jüngling vielleicht um so mehr verdiente, je weniger er sie dem Vergnügen dienstbar machte.

»Nun,« sagte Sir Sedley, »was halten Sie von ihm?«

»Er ist ganz der Mann, der Trevanion gefallen würde,« erwiederte ich ausweichend.

»Allerdings« entgegnete Sir Sedley in ernstem Tonen während er mich zugleich fest anblickte. »Wissen Sie schon? – doch nein, Sie können noch nicht davon gehört haben.«

»Wovon gehört?«

»Mein lieber junger Freund,« versetzte der wohlwollendste und zartfühlendste aller feinen Gentlemen, indem er auf die Seite trat, um die Aufregung nicht zu sehen, welche er hervorrief, »Lord Castleton begibt sich nach Paris, um dort mit Trevanions zusammenzutreffen. Das Ziel, das Lady Ellinor schon seit vielen Jahren am Herzen lag, ist erreicht, und unsere hübsche Fanny wird Marquise von Castleton werden, sobald ihr Verlobter volljährig ist – das heißt, in sechs Monaten. Die beiden Mütter haben die ganze Sache unter sich abgemacht!«

Ich erwiederte nichts, sondern fuhr fort, zum Fenster hinauszusehen.

»Diese Verbindung,« begann Sir Sedley wieder, »war das Einzige, was noch fehlte, um Trevanion's Stellung zu sichern. Wenn das Parlament zusammentritt, wird ihm ein hohes Amt übertragen werden. Der arme Mann! wie sehr bedaure ich ihn! Es ist mir unbegreiflich,« fuhr Sir Sedley in der freundlichen Absicht fort, mir volle Zeit zu lassen, um meine Aufregung zu bemeistern, »wie ansteckend in unserm nebeligen England jene Krankheit ist, welche man das Geschäftsleben nennt! Nicht nur Trevanion leidet an derselben in ihrer schlimmsten und verwickeltsten Form! sondern auch mein armer lieber Vetter, der noch so jung ist (hier seufzte Sir Sedley) und sich seines Lebens so herzlich freuen könnte, ist schlimmer daran, als Sie zu der Zeit waren, da Trevanion Sie fast zu Tode quälte. Aber freilich, ein großer Name und eine Stellung, gleich derjenigen Castleton's, muß ein großes Unglück für einen gewissenhaften Mann sein. Sie sehen, wie er unter dem Gefühl seiner Verantwortlichkeit bereits gealtert hat – zwei wirkliche, große Runzeln unter seinen Augen! Nun, im Grunde bewundere ich ihn und achte seinen Erzieher, denn ein von Natur wahrscheinlich ziemlich magerer Boden wurde jedenfalls sehr sorgfältig angebaut und umgetrieben. Mit Trevanion's Hülfe wird Castleton ohne Zweifel der erste Mann in der Peerskammer – eines Tages vielleicht Premier-Minister werden. Wie vielen Dank bin ich nicht seinem Vater und seiner Mutter schuldig, welche ihm noch in ihrem höheren Alter das Leben gaben; denn, wäre er nicht geboren worden, so gehörte ich jetzt zu den unglückseligsten der Menschen – jenes schreckliche Marquisat wäre alsdann auf mich gekommen! Niemals denke ich ohne die tiefste Theilnahme an Horaz Walpole's Horace Walpole, 4. Earl of Orford (1717-1797), britischer Schriftsteller, Politiker und Künstler; Begründer der Gothic Novel. 1791 erbte er nach dem Tod seines Neffen den Titel eines Earl of Orford. Kummer, als er in den Besitz der Grafschaft Orford kam, und nie ohne einen Schauder an das Unglück, welches meine liebe Lady Castleton so freundlich war, von mir abzuwenden – nach zwanzigjähriger Ehe – in Folge des Emser Brunnens! Nun, mein junger Freund, wie geht es zu Hause?«

Wenn ein bedeutender Schauspieler noch nicht hinter der Scene erschienen ist, oder seinen Anzug ändern muß, oder sich von einem Extraglas aufregender Flüssigkeit noch nicht ganz erholt hat – und der grüne Vorhang deßhalb ungebührlich lange nicht aufgezogen wird – so stimmt vielleicht das barmherzige Orchester ein Präludium von erstaunlicher Länge an, indem es Ladoiska oder den Freischütz Lodoïska , Oper von Luigi Cherubini (1791). – Der Freischütz, Oper von Carl Maria von Weber (1821). zu Hülfe ruft, um die Zeit zu verkürzen und dem zögernden Histrio Schauspieler. hinreichende Muße zu gewähren, seine fleischfarbenen Pantalons anzuziehen und sich die passende Gesichtsfarbe für einen Coriolan oder Macbeth zu geben. In ähnlicher Weise nun hatte Sir Sedley diese lange Rede, welche keiner Erwiederung bedurfte, gehalten, bis er sah, daß die Zeit gekommen war, um kunstreich mit dem Schnörkel einer Schlußfrage zu endigen und dem armen Pisistratus Caxton Gelegenheit zu geben, sich zu sammeln und vorzutreten. Es liegt ganz gewiß eine ausgesuchte Güte und ein sinniges Wohlwollen in jener seltensten aller Gaben – feine Bildung; und als ich mich jetzt, ermannt und entschlossen, umwandte und Sir Sedley's sanftes blaues Auge schüchtern, aber mild und freundlich auf mich gerichtet sah, während er mit einer Anmuth, deren sich seit Pope's Tagen wohl kein anderer Tabakschnupfer rühmen konnte, eine Prise von der bewährten Beaudesert Mischung nahm – da fühlte ich mein Herz so sehr von Dank gegen ihn erfüllt, als hätte er mir eine unermeßliche Wohlthat erwiesen. Und jene Schlußfrage – »Wie geht es zu Hause?« gab mit meine Selbstbeherrschung vollständig wieder und zerstreute für den Augenblick die Bitterkeit meiner Gedanken.

Ich antwortete mit einer kurzen Darlegung der Lage meines Vaters, verschwieg jedoch die Ausdehnung unserer Befürchtungen, indem ich von der Sache mehr nur als von einer Unannehmlichkeit sprach, und schloß mit der Bitte, Sir Sedley möchte mir die Adresse von Trevanion's Rechtsanwalt geben.

Der gute Baronet hörte mir mit großer Aufmerksamkeit zu, und der dem Weltmann eigene Scharfblick ließ ihn bald entdecken, daß ich schneller und leichter über den Gegenstand weggegangen war, als einem getreuen Berichterstatter ziemte.

Er schüttelte den Kopf, setzte sich auf das Sopha und winkte mich an seiner Seite Platz zu nehmen; dann legte er seinen Arm auf meine Schulter und sagte in seiner verführerischen, gewinnenden Weise –

»Wir zwei junge Bursche müssen einander verstehen, wenn wir von Geldangelegenheiten sprechen. Ihnen kann ich sagen, was ich Ihrem vortrefflichen Vater, der mir an Alter um volle drei Jahre überlegen ist, nicht sagen könnte. Offen gestanden also vermuthe ich, daß dies eine schlimme Geschichte ist. Ich weiß nicht viel von Zeitungen, mit Ausnahme einer Subscription auf ein Journal in meiner Grafschaft, welche mich ein kleines Einkommen kostet; so viel aber habe ich schon gehört, daß in London ein täglich erscheinendes Blatt einen Mann in wenigen Wochen zu Grunde richten kann. Und was das Actienunternehmen betrifft, mein lieber Caxton, so ließ ich mich einmal überreden, mich an einem solchen zu Herstellung eines Kanals zu betheiligen, der mein Besitzthum durchschnitt und mir schließlich 30 000 Pfund fortschwemmte! Die übrigen Actionäre ertranken darin, wie Pharao und sein Heer im rothen Meere. Doch, Ihr Vater ist ein großer Gelehrter und darf nicht mit solchen Dingen gequält werden. Ich bin ihm viel Dank schuldig. Er war in Cambridge sehr freundlich gegen mich, und ohne ihn hätte ich niemals Geschmack an Büchern bekommen, welchen ich die angenehmsten Stunden meines Lebens verdanke. Wenn Sie also mit Hülfe der Advokaten den ganzen Umfang des Unglücks herausgefunden haben, so müssen wir beide zusehen, wie wir es am besten wieder gut machen können.

Zum Henker! mein junger Freund – ich habe keine ›Anhängsel‹, wie die Bedienten sehr unhöflicher Weise Frauen und Kinder zu nennen pflegen. Und ich bin auch kein unglücklicher, reichbegüterter Millionär, wie der arme, gute Castleton, der so viele Pflichten gegen die Gesellschaft zu erfüllen hat, daß er nicht einen Schilling ausgeben kann, es sei denn in einer großartigen Weise und rein nur zum Besten des Publikums. So gehen Sie nun, mein Junge, und suchen Sie Trevanion's Rechtsanwalt auf – er ist auch der meinige; ein gescheidter Kerl – scharf, wie eine Nadel. Mr. Pike, in Great Ormond Street – sein Name steht auf einem Messingschild; und wenn er den Betrag ermittelt hat, so wollen wir junge Schlingel einander helfen, ohne den alten Leutchen ein Wort davon zu sagen.«

Wie gut thut es nicht einem Manne für das ganze Leben, solcher Freundlichkeit und solchem Edelmuth in der Jugend zu begegnen.

Ich brauche kaum zu sagen, daß der Gelehrtenstolz und Unabhängigkeitssinn meines Vaters einen zu treuen Vertreter in mir gefunden hatte, um auf dieses Anerbieten einzugehen; und wahrscheinlich ließ sich auch Sir Sedley, so reich und freigebig er war, die Größe der Summe nicht träumen, zu deren Tilgung er sich anheischig machen wollte. Doch drückte ich ihm meinen Dank in einer Weise aus, welche diesem letzten Abkömmling der De Coverley zu gefallen und ihn zu rühren schien, und begab mich alsdann von seinem Hause aus geraden Wegs zu Mr. Pike, an welchen mir Sir Sedley einige schriftliche Worte der Empfehlung mitgegeben hatte. Ich fand in Mr. Pike genau den Mann, wie ich ihn mir nach Trevanion's Charakter vorgestellt hatte – rasch, bündig und einsichtsvoll in Fragen und Antworten – Achtung einflößend, vielleicht etwas gebieterisch in seinem Wesen – nicht allzu sehr mit Geschäften überhäuft, doch reich genug an Erfahrung und Ansehen – weder jung, noch alt – weder eine pedantische Pergamentmaschine, noch ein unwissender, leichtfertiger Geck mit Westend-Manieren.

»Es ist eine häßliche Geschichte,« sagte er, »und vor allem erfordert sie Klugheit. Ueberlassen Sie alles meinen Händen während der nächsten drei Tage, und bleiben Sie Mr. Tibbets und Mr. Peck ferne. Wenn Sie dann nächsten Sonnabend um zwei Uhr bei mir vorsprechen wollen, so sollen Sie meine Ansicht über die ganze Sache erfahren.« Bei diesen Worten blickte Mr. Pike nach der Uhr, und so nahm ich meinen Hut und empfahl mich.

Es gibt keinen angenehmeren Aufenthaltsort, als eine große Hauptstadt, wenn man sich behaglich in derselben niedergelassen, seine Zeit gehörig eingetheilt und Arbeit und Vergnügen in ein richtiges Verhältniß zu einander gebracht hat. Ein flüchtiger, unbefriedigender Besuch jedoch, der Aufenthalt in einem Wirthshaus, und noch dazu in einem Wirthshaus der City – mit einer drückenden Last von Geschäften (in denen man drei Tage lang nichts thun kann) und einem schmerzenden, eifersüchtigen, trostlosen Leid auf dem Herzen – einem Leid, welches Einem nicht nur keine Arbeit gibt, sondern auch die Lust an jedem Vergnügen nimmt – o, unter solchen Umständen wird eine große Stadt in der That zur Qual! Sie ist das »Schloß der Unthätigkeit«, nicht, wie Thomson The Castle of Indolence (1748), Gedicht des schottischen Poeten James Thomson. es baute, sondern wie Beckford in seiner Halle von Eblis Episode in dem klassischen Fantasy-Roman » The History of the Caliph Vathek« (1786) von William Beckford (1760–1844). es zeichnet – ein Hin- und Herwandern und Ab- und Zugehen in einem großen, schauerlichen Raume – die Hand auf das Herz gedrückt, und – o, was wäre dagegen ein Ritt auf einem halbgezähmten Pferde durch die endlosen grünen Ebenen Australiens! Dort ist der Platz für einen Mann, der in dem modernen Babel keine Heimath findet und den ewig brennenden Gram seines Herzens nicht zu stillen vermag.

Mr. Squills überredete mich, den zweiten Abend mit ihm in eines der kleinen Theater zu gehen, und recht herzlich erfreute sich Mr. Squills an allem, was er sah und hörte. Während ich mit einer krampfhaften Anstrengung meiner Kinnbacken gleichfalls zu lachen mich bemühte, erkannte ich plötzlich in einem der Schauspieler, welcher in der sehr ehrwürdigen Rolle eines Dorfbüttels auftrat, ein Gesicht, das ich schon früher gesehen hatte. Fünf Minuten später war ich von der Seite meines Begleiters verschwunden und befand mich inmitten jener seltsamen Welt hinter den Coulissen.

Mein Büttel war viel zu geschäftig und eine zu wichtige Persönlichkeit, als daß ich vor dem Ende des Stückes Gelegenheit hätte finden können, ihn anzureden. Dann aber trat ich auf ihn zu, als er eben einen Krug Porter freundschaftlich mit einem Gentleman in kurzen Beinkleidern und gestrickter Weste theilte, welcher die Rolle eines unglücklichen Vaters in dem »Bürgerlichen Schauspiel in drei Acten« spielen sollte, mit dem die Belustigung des Abends schloß.

»Verzeiht,« begann ich, »allein, wie der Schwan sehr treffend bemerkt – ›Alte Freunde vergessen sich nicht‹ » Should auld acquaintance be forgot«, sagt Pisistratus im Original; es ist der Anfang von » Auld Lang Syne«, einem alten schottischen Lied, das heute weltbekannt ist.

»Der Schwan, Herr!« rief der Büttel entsetzt – »der Schwan erniedrigte sich niemals durch eine so breite schottische Redensart!«

»Der Tweed hat so gut seine Schwäne, wie der Avon, Mr. Peacock.«

»Bst – bst – stille – stille!« flüsterte der Büttel in großer Unruhe und betrachtete mich dabei mit wilden Blicken. Dann ergriff er meinen Arm und zog mich ungestüm mit sich fort. Nachdem wir so weit zurückgetreten waren, als es die engen Gränzen der kleinen Bühne zuließen, sagte Mr. Peacock:

»Herr, Ihr seid im Vortheil gegen mich, denn ich erinnere mich Eurer nicht. Ah, Ihr braucht mich nicht mit Euren Augen zu verschlingen. Wahrhaftig, Herr, ich lasse mich nicht einschüchtern – es ging alles ehrlich zu. Wenn Ihr mit Gentlemen spielen wollt, so müßt Ihr Euch auch die Folgen gefallen lassen.«

Ich beeilte mich, den Ehrenmann zu beschwichtigen.

»In der That, Mr. Peacock. Ihr solltet Euch erinnern, daß ich mich weigerte, mit Euch zu spielen; und weit entfernt, Euch beleidigen zu wollen, bin ich vielmehr gekommen, Euch mein Kompliment über Euer vortreffliches Spiel zu machen und Euch zu fragen, ob Ihr in der letzten Zeit von Eurem jungen Freunde, Mr. Vivian, etwas gehört habt?«

»Vivian? – mir gänzlich unbekannter Name, Herr. Vivian! Pah, Ihr wollt mich zum Besten haben; schon gut.«

»Ich versichere Euch. Mr. Peac–«

»Bst – bst – wie zum Henker wißt Ihr denn, daß ich einst Peac – das heißt, die Leute nannten mich Peac – ein freundschaftlicher Spitzname, weiter nichts – laßt ihn fallen, Herr, oder Ihr ›erfüllt mich mit edlem Zorn!‹ Shakespeare, »King Lear«, II, 4.«

»Nun, nun, ›die Rose duftet süß, wie man sie auch nenne‹ Romeo und Julia, II, 2., wie diesmal wenigstens der Schwan richtig bemerkt. Allein auch Mr. Vivian scheint andere Namen zu seiner Verfügung zu haben. Ich meine einen hübschen jungen Mann – oder vielmehr Knaben – von dunkler Gesichtsfarbe, in dessen Begleitung ich Euch eines Morgens in einem Wirthshaus an der Straße traf.«

»O – h!« erwiederte Mr. Peacock, augenscheinlich sehr erleichtert; »ich weiß, wen Ihr meint, obgleich ich mich nicht erinnere, schon früher das Vergnügen gehabt zu haben, Euch zu sehen. Nein; ich habe in der letzten Zeit nichts von dem jungen Manne gehört, möchte aber wohl etwas von ihm wissen – er war ein ›Gentleman nach meiner Art‹ Heinrich VIII., V, 1.. Der süße Will hat ihn auf ein Haar getroffen, wenn er sagt

›Es einet sich in ihm Aug', Schwert und Zunge
Des Höflings, Kriegers und Gelehrten.‹ Hamlet, III, 1.

Und welch' eine Führung des Queue's! – Ihr hättet sehen fallen, wie er ›die Seifenblase Ruhm vor der Kanonenmündung suchte!‹ Wie es Euch gefällt, II, 7. Ich kann sagen,« fuhr Mr. Peacock mit Nachdruck fort, »daß er ein regelmäßiger Trumpf war. Trumpf!« wiederholte er, erschrocken auffahrend, als ob ihm das Wort einen Stich gegeben hätte – »Trumpf! – er war ein Eckstein! »Brigg« bedeutet auch »Pfundskerl«.«

Dann heftete er seine Augen auf mich, ließ die Arme sinken, schlang die Finger in einander in der Weise, wie Talma in dem berühmten » Qu'en dis-tuDer franz. Schauspieler François Joseph Talma (1763-1826) war berühmt dafür, wie in der Rolle des Manlius dieses »Was sagst Du dazu?« vorbrachte. Paul de Cock widmet der Anekdote eine längere Passage in seinem Roman »Zizine« (1837). es gethan haben soll, und fuhr mit hohler Stimme langsam und deutlich fort –

»Wann – saht – Ihr – ihn – junger – Mann?«

Mr. Peac– hatte auf diese Art den Stiel umgedreht, und da ich nicht die mindeste Lust empfand, ihm auf Vivian's Spur zu helfen, der, wie ich mit großer Befriedigung wahrnahm, diese nicht sehr ehrenvolle Bekanntschaft aufgegeben zu haben schien, so bemühte ich mich, durch einige ausweichende Bemerkungen Mr. Peac–'s Neugierde abzulenken, bis er in großer Eile gerufen wurde, um seinen Anzug für das »Bürgerliche Schauspiel« zu wechseln. Und so schieden wir.


Sechstes Kapitel.

Ich hasse umständliche, auf das Gesetz bezügliche Auseinandersetzungen eben so sehr, wie meine Leser, und werde mich daher mit der Angabe begnügen, daß es Mr. Pike's vortrefflicher Leitung unserer Angelegenheit zwar nicht nach drei Tagen, wohl aber nach zwei Wochen gelang. Onkel Jack aus dem Gefängniß zu befreien und meinen Vater mittelst des dritten Theiles der Summe, welche anfangs zu unserm entrüsteten Entsetzen genannt worden, aller seiner Verbindlichkeiten zu entheben – und zwar in einer Weise, welche das Gewissen des pünktlichsten Formalisten beruhigt haben würde, dessen Beitrag zum Nationalschatz wegen unterlassener Zahlung der Einkommensteuer der Kanzler der Schatzkammer jemals anzuerkennen die Ehre hatte. Immerhin aber war die Summe im Verhältniß zu dem Einkommen meines Vaters sehr groß. Zuerst wurden Jack's Schulden getilgt, dann die Ansprüche des Druckers befriedigt, welchen die Anti-Buchhändler-Gesellschaft beschäftigt hatte, einschließlich der großentheils fertigen und sehr kostbaren Kupferplatten zu der Geschichte des menschlichen Irrthums, hierauf die Verbindlichkeiten, welche für den Kapitalisten aufgelaufen waren, bereinigt und die Kosten für die Pflanze bezahlt, wie Mr. Peck technisch einen großen Upasbaum nannte, der in Typen, Kisten, Buchdruckerpressen, Dampfmaschinen u. s. w. sich verzweigte, was nun alles um den dritten Theil des Werthes wieder verkauft werden sollte; ferner mußten die Auslagen für die Ankündigungen und Zettel, mit welchen alle verfallenen Mauern der drei Königreiche beklebt worden waren, berichtigt, die Honorare für die Berichterstatter und Schriftsteller (welche wenigstens auf ein Jahr für den Kapitalisten gedungen worden, und deren Ansprüche den Unglücklichen überlebten, den sie getödtet und begraben hatten) ausgefolgt – kurz, alles in Ordnung gebracht werden, was der vereinte Scharfsinn Onkel Jack's und seines Freundes Peck ersonnen hatte, um die Caxton'sche Familie gänzlich zu Grunde zu richten. Nach allen Abzügen und Schmälerungen, und selbst mit den Beiträgen, die sich gerechter Weise von den wenigst wesenlosen jener Schatten, Actionäre genannt, erzielen ließen, war meines Vaters Vermögen auf wenig mehr, als 8000 Pfund zusammengeschmolzen, die, zu vier Prozent auf Hypothek ausgeliehen, jährlich 372 Pfund 10 Schillinge abwarfen – genug für meinen Vater, um davon zu leben, allein nicht hinreichend, um auch seinem Sohne Pisistratus die Vortheile einer weiteren Ausbildung im Trinity-College von Cambridge zu gestatten. Der Schlag traf eher mich, als meinen Vater, und meine jungen Schultern trugen ihn ohne viel Beschwerde.

Nachdem diese Angelegenheit zu unserer allgemeinen Zufriedenheit bereinigt worden war, begab ich mich zu Sir Sedley Beaudesert, um mich von ihm zu verabschieden. Er hatte mir während meines Aufenthaltes in London viele Freundlichkeit erwiesen und mich öfter zum Frühstück und zu Tisch eingeladen. Auch hatte ich ihm Squills vorgestellt, der kaum diese prächtige Körperbildung erblickte, als er auch schon Sir Sedley's Charakter mit der größten Genauigkeit als die nothwendige Folge einer solchen Gehirnentwicklung für die rosigen Freuden des Lebens schilderte, während Sir Sedley großes Wohlgefallen an der Philosophie des guten Arztes fand. Wir waren nicht ein einziges Mal auf Fanny's Verheirathung zurückgekommen und hatten es sogar beide vermieden, auch nur Trevanion's Namen zu erwähnen. Bei diesem letzten Besuch jedoch sprach Sir Sedley ohne Rückhalt von Fanny's Vater, obgleich er in Bezug auf diese selbst die frühere Zurückhaltung beobachtete.

»Nun, mein junger Athener,« begann er, nachdem er mir über den Erfolg meiner Geschäfte Glück gewünscht und wiederholt den vergeblichen Versuch gemacht hatte, sich an den Verlusten meines Vaters wenigstens zu betheiligen – »nun, ich sehe, daß ich nicht weiter in Sie dringen darf; wohl aber werden Sie mir gestatten, meinen kleinen Einfluß aufzubieten, um Ihnen eine Anstellung zu sichern. Trevanion könnte Ihnen natürlich weit nützlicher sein, allein ich begreife, daß er nicht der Mann ist, an den Sie sich wenden möchten.«

»Soll ich Ihnen gestehen, mein bester Sir Sedley, daß ich den Kanzleigeschäften keinen Geschmack abgewinnen kann? Meine Freiheit ist mir zu theuer, und seitdem ich in dem alten Thurme meines Onkels gewesen bin, erkläre ich mir die Hälfte meines Charakters aus dem Grenzbewohnerblut, das in mir fließt. Ich zweifle, ob ich für das Leben in einer großen Stadt geschaffen bin, und es schweben mir wunderliche Gedanken vor, die zu meiner Unterhaltung dienen werden, wenn ich nach Hause komme, und sich mit der Zeit vielleicht zu Plänen gestalten mögen. Um jedoch von etwas Anderem zu sprechen – darf ich fragen, wer mir in meiner Stelle als Secretär bei Mr. Trevanion gefolgt ist?«

»Ein breitschulteriger Bursche mit Brille und baumwollenen Strümpfen, der, wie ich glaube, über ›Renten‹ geschrieben hat – eine Sache, die für ihn wohl ziemlich nur in der Einbildung besteht, denn sicherlich hat er niemals eine Rente eingenommen und ist nicht oft damit betraut worden, welche auszubezahlen. Er gehört übrigens zu unsern National-Oeconomen und möchte Trevanion veranlassen, seine Bilder, als ›todtes Kapital‹ zu verkaufen. Außer diesem officiellen Secretär steht ein gewandter junger Mann von angenehmem Aeußern in hoher Gunst bei Trevanion und besitzt dessen Vertrauen in nicht geringem Grade.«

»Wie ist sein Name?«

»Sein Name? – o, Gower – ich glaube, ein natürlicher Sohn von Einem aus der Familie Gower.«

Hier traten zwei von Sir Sedley's vornehmen Freunden ein und machten meinem Besuch ein Ende.


Siebentes Kapitel.

Ich schwöre,« rief mein Onkel, »es soll so sein!« Und mit einem finstern Stirnrunzeln und trotziger Miene ergriff er das unheilvolle Instrument.

»Wahrhaftig, Bruder, es darf nicht sein,« sagte mein Vater, indem er die eine seiner schmalen, weißen Hände mild auf Capitän Roland's braune, kriegerische, knochige Faust legte und die andere ausstreckte, um das bedrohte, zitternde Opfer zu beschützen.

Mein Onkel hatte kein Wort von unsern Verlusten erfahren, bis alles in Ordnung und die Summe bezahlt war, denn wir Alle wußten, daß der alte Thurm der ersten ungestümen Regung seiner liebevollen Großmuth zum Opfer gefallen und an irgend einen benachbarten Squire oder schachernden Advokaten verkauft worden wäre. Austin in Gefahr! Austin zu Grunde gerichtet! – er würde nicht geruht haben, bis er mit dem baaren Gelde in der Hand zu seiner Befreiung hätte herbeieilen können. Deßhalb schrieb ich dem Capitän erst nach Erledigung der ganzen Angelegenheit und theilte ihm das Vorgefallene heiter mit. Dennoch aber brachte ihn mein Brief noch an demselben Abende, an welchem ich selbst kaum eine Stunde früher eingetroffen war, nach dem rothen Backsteinhause. Mein Onkel hatte seinen Thurm nicht verkauft, war aber gekommen, um uns vi et armis Mit Waffengewalt. nach demselben zu entführen. Wir sollten bei ihm und auf seine Kosten leben, das Backsteinhaus vermiethen oder verkaufen und den Rest von dem Einkommen meines Vaters auf Zinsen anlegen, damit sich das Vermögen wieder vermehre. Und als nun Onkel Roland fand, daß er bei meinem Vater auf hartnäckigen Widerstand stieß und seinem Ziele um keinen Schritt näher kam, begab er sich in die Halle, wo er seinen Reisesack und sonstiges Gepäck gelassen, und kehrte mit einem alten Futteral aus Eichenholz zurück; er drückte an einer Feder, und heraus flog – der Stammbaum der Caxtons.

Er flog heraus – bedeckte den Tisch, überfluthete Nil-artig Bücher, Papiere, Theetassen und Arbeitskörbe (denn der Tisch war groß und viel enthaltend, ein Sinnbild des Geistes seines Eigenthümers), rollte auf den Teppich hinab – weiter und weiter bis das Kamingitter seinen Lauf hemmte.

»Es hat nur zwei Veranlassungen zu Zwistigkeiten zwischen uns gegeben, Austin,« sagte mein Onkel feierlich; »die eine ist beseitigt – weßhalb sollte die andere fortbestehen? Ja, ja, ich weiß, warum du zögerst; Du fürchtest, wir möchten wieder in Streit darüber gerathen!«

»Worüber, Roland?«

»Darüber, sage ich – und ich will verd–t sein, wenn wir es thun!« rief mein Onkel, dunkelroth werdend. »Ich habe viel über die Sache nachgedacht und zweifle nicht, daß Deine Ansicht die richtige ist, daher brachte ich das alte Pergament mit hierher, und Du sollst selbst sehen, daß ich die Lücke gerade so ausfülle, wie Du es wünschst. Nun denn – Du kömmst zu mir und wohnst bei mir, und wir können niemals wieder in Streit gerathen!«

Bei diesen Worten sah sich Onkel Roland nach Tinte und Feder um, und nachdem er dieselben gefunden – nicht ohne Schwierigkeit, denn sie waren von den Wellen des Stammbaums überschwemmt worden – stand er eben im Begriff, die Lacuna oder den Hiatus Lacuna: in der Philologie eine tatsächlich vorhandene oder aus Problemen des Textes erschlossene Lücke in der Überlieferung eines Textes. – Hiatus: in der Geologie eine Schichtlücke, in der in anscheinend nahtlos aufeinander folgenden (konkordanten) Sedimentgesteins-Schichten Abschnitte fehlen., welcher zu so denkwürdigen Zwistigkeiten Anlaß gegeben hatte, mit dem Namen »William Caxton's, des Buchdruckers im Sanctuarium«, auszufüllen, als mein Vater, der langsam wieder zu Athem gekommen war und seines Bruders Absicht bemerkte, hindernd dazwischen trat. Es würde Deinem Herzen wohl gethan haben, lieber Leser, ihnen jetzt zuzuhören, so vollständig hatten sie ihre Parteistellung in der Streitfrage gewechselt; mein Vater war nun ganz für Sir William de Caxton, den Helden von Bosworth, mein Onkel für den unsterblichen Buchdrucker. Und sie wurden in dem Streite immer lebhafter, ihre Augen funkelten, sie sprachen immer lauter – Roland tief und donnernd, mein Vater scharf und durchdringend, Mr. Squills hielt sich die Ohren zu. So waren sie an dem Punkte angelangt, da mein Onkel störrisch jede weitere Einwendung mit den Worten abzuschneiden suchte – »Ich schwöre, es soll so sein!« und mein Vater mit der letzten Anstrengung des Pathos flehentlich in Roland's Augen blickte und mit rührend sanften, Tone sprach: »Wahrhaftig. Bruder, es darf nicht sein.« Inzwischen krachte, knisterte und zitterte das alte Pergament in allen Poren seiner gelben Haut.

»Aber,« begann ich, gleich dem horazischen Gott zur gelegenen Stunde in das Zimmer tretend Siehe auch Anm. 64. – »ich sehe nicht ein, daß Einer von Euch Herrn das Recht haben soll, über meine Vorfahren zu verfügen. Es ist klar, daß die Nachwelt Niemandes Eigenthum ist. Die Nachkommen eines Mannes mögen ihn besitzen; er aber wird von seinen etwaigen Ur-Ur-Enkeln niemals den mindesten Nutzen haben!«

Squills. – »Hört, hört!«

Pisistratus (warm werdend). – »Die Vorfahren eines Mannes aber sind sein entschiedenes Eigenthum. Wie vieles kann er – nicht nur an Morgen Landes – sondern auch von der Konstitution, der Gemüthsart, dem Benehmen, dem Charakter und der Natur eines Ahnen erwerben, von dem er vielleicht durch zehn Generationen getrennt ist. Ja, wäre er ohne diesen Ahn jemals geboren worden? Hätte ein Squills ihn jemals in die Welt befördert, oder eine Amme ihn hypo kolpo An ihrem Busen. getragen?«,

Squills. – »Hört, hört!«

Pisistratus (mit würdevoller Erregung) – »Niemand hat daher das Recht, einen Andern mit einem Strich seiner Feder eines Vorfahren zu berauben, mögen die Beweggründe noch so liebevoll sein. In dem vorliegenden Falle werdet Ihr vielleicht sagen, der fragliche Ahn sei aprokryphisch – es mag der Buchdrucker, es mag der Ritter sein. Zugegeben – aber soll, wo die Geschichte uns im Stiche läßt, ein bloßes Gefühl entscheiden? So lange beide zweifelhaft sind, eignet sich meine Phantasie beide zu. Das eine Mal kann ich Gewerbfleiß und Gelehrsamkeit in dem Buchdrucker, das andere Mal Tapferkeit und Aufopferung in dem Ritter verehren. Diesem freundlichen Zweifel verdanke ich zwei große Vorfahren und durch sie zwei Gedankenketten, welche unter verschiedenen Umständen mein Benehmen beeinflussen. Ich gestatte Dir nicht, Onkel Roland, mich eines dieser Vorfahren oder einer dieser Gedankenketten zu berauben. So laßt denn die geheiligte Lücke unausgefüllt und unentweiht und nehmt diesen Vergleich ritterlicher Höflichkeit an: so lange mein Vater bei dem Capitän sich aufhält, wollen wir an den Buchdrucker glauben, sind wir aber ferne von Capitän Roland, so halten wir fest an dem Ritter.«

»Gut!« rief mein Onkel, als ich, etwas außer Athem, inne hielt.

»Und,« bemerkte meine Mutter in sanftem Tone, »ich denke, daß es einen Ausweg gibt, die Sache in einer Weise zu bereinigen, welche alle Parteien befriedigen dürfte. Es ist ein gar trauriger Gedanke, daß der arme Roland und die liebe kleine Blanche so allein in ihrem Thurme wohnen sollen, und ich bin überzeugt, wir würden viel glücklicher sein, wenn wir Alle beisammen wären.«

»Hörst Du?« rief Roland triumphirend. »Wenn Du nicht das eigensinnigste, hartherzigste, gefühlloseste Geschöpf von der Welt bist – wofür ich Dich nicht halte, Bruder Austin – so bedarf es nach der wirklich schönen Rede Deiner Frau keines weiteren Wortes mehr.«

»Aber wir haben Kitty noch nicht zu Ende gehört, Roland.«

»Ich bitte tausendmal um Vergebung, Madame – Schwester,« versetzte der Capitän, sich verbeugend.

»Ich wollte nur noch hinzusetzen,« fuhr meine Mutter fort, »daß wir zu Dir ziehen, bei Dir leben und unsere kleine Habe zusammenwerfen wollen, Roland. Blanche und ich, wir besorgen das Hauswesen, und so werden wir vereint gerade noch einmal so reich sein, als wir es getrennt sein würden.«

»Eine schöne Art von Gastfreundschaft!« brummte der Capitän. »Ich erwartete nicht, in dieser Weise über Bord geworfen zu werden. Nein, nein, Ihr müßt für den Jungen da zurücklegen – was soll aus ihm werden?«

»Wir legen Alle für ihn zurück,« erwiederte meine Mutter einfach – »Du sowohl, als Austin. Wir werden mehr ersparen, wenn wir beiderseits mehr aufwenden können.«

»Ah, ersparen! – das ist leicht gesagt. Da wäre es eine Freude, zu ersparen!« sagte der Kapitän traurig.

»Und was soll aus mir werden?« rief Squills sehr eingehalten. »Soll ich in meinen alten Tagen allein hier bleiben – ohne eine vernünftige Seele, mit der man sprechen könnte, und ohne ein anderes Haus im Dorfe, wo ein Tropfen anständigen Punsches zu haben wäre? ›Die Pest über Eure beiden Häuser!‹ Romeo und Julia, III, 1. wie der Kerl in der Komödie neulich sagte.«

»In unserer Nachbarschaft ist Platz für einen Doctor, Mr. Squills,« sagte mein Onkel. »Ich weiß, der Arzt, der uns bisher berathen, wünscht sein Geschäft zu verkaufen.«

»Hm,« versetzte Squills – vermuthlich eine entsetzlich gesunde Nachbarschaft!«

»Nun, sie hat allerdings dieses Unglück, Mr. Squills; allein mit Ihrer Hülfe,« bemerkte mein Onkel schalkhaft, »könnte in dieser Beziehung eine bedeutende Veränderung zum Bessern eintreten.«

Mr. Squills wollte eben antworten, als ein so lebhaftes, ungeduldiges Klingeln vom Gartenthore her ertönte, daß wir Alle auffuhren und uns überrascht ansahen. Wer konnte sich möglicher Weise so stürmisch anmelden? Wir blieben nicht lange im Ungewissen, denn im nächsten Augenblick ließ sich Onkel Jack's Stimme, welche stets sehr klar und deutlich gewesen war, in der Halle vernehmen, und noch ehe wir uns von unserm Erstaunen erholt hatten, stürzte Mr. Tibbets mit einem nagelneuen Tuch um den Hals und einem ganz besonders bequemen, ebenfalls neuen Ueberzieher – vom besten sächsischen Doppeltuch – in das Zimmer und brachte eine bedeutende Menge kalter Luft mit herein, deren er sich zuerst in den Armen meines Vaters und dann in denen meiner Mutter zu entledigen suchte. Hierauf nahm er einen Anlauf gegen den Capitän, der sich jedoch mit einem »Hm! Mr. – Sir – Jack – Sir – hm, hm!« hinter dem Drehtisch verschanzte, worauf Mr. Tibbets den noch übrigen Reif auf seinem Doppelsachsen an meiner Wenigkeit abrieb, Squills freundschaftlich auf den Rücken klopfte und alsdann seinen Lieblingsplatz vor dem Feuer einnahm.

»Das war eine Ueberraschung, nicht wahr?« sagte Onkel Jack, sich am Kamine ausschälend. »Doch nein – keine Ueberraschung; Ihr mußtet ja Jack's Herz kennen! Du wenigstens, Austin Caxton, der Du alles weißt, Du mußtest wissen, daß es von den zärtlichsten und brüderlichsten Regungen überströmte; daß ich, sobald ich mich aus dem verwünschten Schuldgefängniß befreit sah (Ihr könnt Euch keinen Begriff machen, was das für ein Aufenthalt ist!) weder Tag noch Nacht ruhen, sondern hierher in das theure Familiennest fliegen würde – arme, verwundete Taube die ich bin!« setzte Onkel Jack pathetisch hinzu, indem er sein Taschentuch aus dem Doppelsachsen herausholte, welchen er jetzt über meines Vaters Armstuhl geworfen hatte.

Kein Wort der Erwiederung folgte auf diese beredte Ansprache mit ihrem rührenden Schluß. Meine Mutter senkte ihren hübschen Kopf und schien sich zu schämen. Mein Onkel hatte sich ganz in die Ecke geflüchtet und den Drehtisch nach sich gezogen, so daß er sich hinter einem vollständigen Bollwerk befand. Mr. Squills ergriff die Feder, die Roland weggeworfen hatte, und begann wüthend daran zu bessern – das heißt, sie in Splitter zu schneiden – dadurch symbolisch andeutend, wie er gerne mit Onkel Jack thun würde, wenn er ihn unter seinen Händen hätte. Ich beugte mich über den Stammbaum und mein Vater rieb seine Brille ab.

Jeder Andere wäre durch die Stille eingeschüchtert worden – den Onkel Jack jedoch vermochte nichts einzuschüchtern.

Mr. Tibbets wandte sich gegen das Feuer und wärmte zuerst den einen, dann den andern Fuß. Nachdem er diese gemüthliche Ceremonie vollbracht, kehrte er sich wieder der Gesellschaft zu und fuhr nachdenklich – und gleichsam als Antwort auf irgend welche eingebildete Bemerkungen – fort:

»Ja, ja – Ihr habt Recht – die Sache hat sich als eine verd–t unglückliche Spekulation erwiesen. Aber der Schlingel, dieser Peck wollte nicht auf mich hören. Ich sagte zu ihm – sagte ich – › Kapitalist? Pah – kein volksthümliches Interesse das – paßt nicht für das große Publikum! Sehr klein beisammen, die Klasse der Kapitalisten; besser, wir wenden uns keck an das Volk. Ja,‹ sagte ich, ›nennt es den Anti-Kapitalisten.‹ Beim Jupiter, wir hätten alles vor uns niedergeworfen! Aber man hörte nicht auf mich. Der Anti-Kapitalist! – welch' ein Gedanke! Man frage die ganze lesende Welt – Jedermann haßt die Kapitalisten; Jedermann möchte das Geld feines Nächsten haben. Der Anti-Kapitalist! – in den Fabrikstädten hätten wir uns verbreitet, wie ein Lauffeuer. Aber was konnte ich machen?«

»John Tibbets,« sagte mein Vater feierlich, »Kapitalist oder Anti-Kapitalist, Du hattest ein Recht, Deiner Neigung zu folgen – doch immer vorausgesetzt, daß es mit Deinem eigenen Gelde geschah. Du siehst die Sache nicht im rechten Lichte, John Tibbets, und ein wenig Reue, Angesichts Derer, denen Du großen Schaden zugefügt hast, würde dem Sohne Deines Vaters und dem Bruder Deiner Schwester nicht übel anstehen!«

Nie war ein so ernster Tadel über die milden Lippen Austin Caxtons gegangen, und mit einem mitleidigen Schauder erhob ich meine Augen in der Erwartung John Tibbets allmälig versinken und durch den Teppich verschwinden zu sehen.

»Reue!« rief Onkel Jack, indem er aufsprang, als hätte ihn eine Kugel getroffen. »Und glaubst Du, ich habe ein Herz von Kiesel oder Bimsstein? – glaubst Du, ich bereue nicht? Ich habe nichts gethan, als bereut – und ich werde bereuen bis zu meiner letzten Stunde.«

»Dann ist nichts mehr darüber zu sagen, Jack!« erwiederte mein Vater besänftigt und hielt Mr. Tibbets seine Hand entgegen.

»Ja!« rief dieser, die dargebotene Hand ergreifend und an das Herz drückend, welches er in so nachdrücklicher Weise von dem Verdachte gereinigt hatte, es könnte von Bimsstein oder Kiesel sein – »ja – daß ich diesem verschlagenem spitzbübischen, knickerigen Peck vertraute! daß ich ihm gegen meine bessere Ueberzeugung gestattete, das Blatt den Kapitalisten zu nennen, während der Anti –«

»Pah!« unterbrach ihn mein Vater und zog seine Hand wieder zurück.

»John,« begann nun meine Mutter ernst und mit bewegter Stimme, Du vergissest, wer Dich aus dem Gefängniß befreite – – Du vergissest, wen Du beinahe selbst dem Gefängniß überantwortet hättest – Du verg–«

»Still, still!« fiel mein Vater ein; »dies führt zu nichts und zudem bist du es, meine Liebe, welche vergißt, was ich Jack schuldig bin. Er hat allerdings mein Vermögen um die Hälfte verkleinert, dafür aber in der That die drei Herzen, in welchen meine wahren Schätze liegen, zweimal so groß gemacht, als sie vorher gewesen. Pisistratus, mein Junge, zieh' die Klingel.«

»Meine liebe Kitty,« rief Jack in winselndem Tone und stahl sich dabei zu meiner Mutter hin, »sei nicht so hart gegen mich; ich wollte ja nur Euer Glück machen, gewiß, das wollte ich.«

Hier trat der Diener ein.

»Sorge dafür, daß das Gepäck Mr. Tibbets' auf dessen Zimmer gebracht werde, und ein gutes Feuer daselbst brenne,« sagte mein Vater.

»Und ich will auch Euer Glück noch machen, fuhr Jack mit erhobener Stimme fort. »Ich habe es hier!« und dabei schlug er mit der Hand an seine Stirne.

»Warte einen Augenblick« rief mein Vater mit dem Ausdruck größten Schreckens dem Bedienten zu, welcher die Thüre schon erreicht hatte. »Warte einen Augenblick – Mr. Tibbets zieht vielleicht den Gasthof vor?«

»Austin,« versetzte Onkel Jack mit Rührung, »wenn ich ein Hund wäre ohne eine andere Heimath, als eine Hundehütte, und Du kämest zu mir um ein Obdach, so würde ich herausgehen, um Dir das Stroh allein zu überlassen!«

Dieses Mal war mein Vater vollständig erweicht und besiegt.

»Primmins wird dafür sorgen, daß Mr. Tibbets alles in Ordnung findet,« sagte er, mit der Hand dem Bedienten zuwinkend. »Etwas Gutes zum Abendessen, liebe Kitty – und die größte Punsch-Bowle, die Du hast. Du liebst doch Punsch, Jack?«

»Punsch, Austin«« erwiederte Onkel Jack, indem er sein, Taschentuch vor die Augen hielt.

Der Capitän schob den Drehtisch bei Seite, schritt durch das Zimmer und reichte Onkel Jack die Hand; meine Mutter verbarg das Antlitz in ihrer Schürze und entfernte sich schnell, und Squills flüsterte mir in's Ohr: »Es kömmt alles von der Gallenabsonderung. Niemand vermöchte dies zu erklären, der nicht vertraut wäre mit der eigenthümlich schönen Organisation von Ihres Vaters Leber!«



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