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Aram
... Wenn zur Weisheit uns
Der Hoffnung Schmeichelton den Zugang mehrt,
So ist mir, wenn ich wiederkehr' zu diesen (auf seine Bücher zeigend),
Des Unglücks einz'gen Freunden, und ich dann
Mit ihrer Stimme mächt'gen Zauber sänft'ge
Das laute Babel dieser innern Welt –
Als müßte meiner Jahre lange Pein
Einst Ruh' in einer Klausnerzelle finden,
Und, fern der mühsam umgehackten Erde,
Ich unterm lichten Aug' geliebter Sterne,
In Felsenhöhlen und in Bergesklüften, –
Die Flut des Meers, die tondurchhauchten Winde
Orakel mir und Brüder! – dieses Leben
Hinab den Strom des Wissens gleiten sehen
Und seine Wogen mir in stiller Feier
Des Himmels und der Erde tausend Farben Ins Auge spiegeln.
Aus Eugen Aram, einer handschriftlichen Tragödie.
Der Graf setzte den begonnenen Spaziergang mit der Gesellschaft fort, und als sie nach Beendigung ihres Geschäfts heimkehrte, nahm er die herzliche Einladung des Squires zu einigen Erfrischungen im Herrenhause an. Der Zufall fügte, oder wußte es auch wohl der Graf herbeizuführen, daß Aram und er auf dem Wege nach dem Dorfe etwas hinter den übrigen zurückblieben, und ihr Gespräch dadurch für einige Minuten mehr zwischen ihnen allein geführt ward.
»Bin ich es, Herr Aram,« sagte lächelnd der Lord, »oder ist es das Schicksal, das Sie zu einem Proselyten gemacht hat? Als wir das letzte Mal verständig und ruhig miteinander sprachen, behaupteten Sie, je enger der Kreis des Daseins gezogen sei, je mehr wir uns auf die reine, bloß von sich selbst abhängige Wirksamkeit des Geistes beschränkten, desto größer sei die Wahrscheinlichkeit unseres Glückes. Sie leugneten, daß Genuß, Ruhmbegier, Herzensneigung uns glücklich machen könnten: die Liebe und ihre Ketten waren aus Ihrem einsamen Utopien verbannt, und Ihrer Versicherung nach zeigte sich die wahre Lebensweisheit nicht in der Ausbildung unserer Gefühle, sondern lediglich in der Ausbildung unserer geistigen Fähigkeiten. Sie wissen, ich brachte eine andere Lehre vor, und mit dem begreiflichen Triumph eines feindlichen Parteiführers vernehm' ich, daß Sie jetzt daran sind, die praktische Anwendung einer Ihrer Dogmen aufzugeben, folglich auch, darf ich wohl hoffen, der Theorie selbst entsagt haben werden?«
»Nicht so, mein Lord,« erwiderte Aram mit leichtem Erröten, »meine Schwäche beweist nur, daß meine Lehre schwer, nicht daß sie falsch ist. Noch immer wag' ich's, sie für richtig zu halten. Es wird uns durch unsere Mitmenschen mehr Schmerz als Lust veranlaßt – entfernen Sie alle Mitmenschen von sich, und Sie sind notwendig der Gewinnende. Thätigkeit des Geistes und Ruhe des Gemüts sind die beiden Zustände, die, wenn sie irgendwo vollkommen und vereinigt vorkämen, vollkommene Glückseligkeit gewähren würden. Es wäre eine Vereinigung, die alles in sich enthielte, was wir uns unter dem Himmel vorstellen, oder was wir unter der erhabenen Seligkeit Gottes begreifen!«
»Doch so lange Sie noch auf Erden wandeln, werden Sie – glauben Sie mir – in dem Zustand, in welchen Sie jetzt einzutreten gedenken, seliger sein,« bemerkte der Graf. »Wer könnte dieses bezaubernde Gesicht sehen (er wandte das Auge auf Madeline) und nicht fühlen, daß dasselbe ein Pfand unzerstörbaren Glückes sein müsse?«
Es lag nicht in Arams Natur, an irgend einer Anspielung, auf sich und am wenigsten an einer auf die Gefühle seines Herzens Gefallen zu finden: ohne zu antworten, wendete er sich ab. Der feinfühlige Graf wurde sich seiner Indiskretion im Augenblick bewußt.
»Aber, lassen Sie uns,« fuhr er fort, »persönliche Verhältnisse beiseite sehen – das Mein und Dein hindert eine allgemeinere Beweisführung – und gestehen Sie, daß für die Mehrzahl der Menschen ein größeres Glück in der Liebe liegt, als in jenem erhabenen Zustand leidenschaftslosen Geisteslebens, zu dessen starrer Höhe sie uns hinaufschrauben wollen. Hat nicht Cicero weise gesagt, daß wir ebensowenig unsere Leidenschaften uns allzu sklavisch unterwerfen als dieselben unumschränkt zu unsern Gebietern machen sollen? Neque se minimum erigere, nec subjacere serviliter.«
»Cicero liebte das Philosophieren mehr als die Philosophie,« antwortete Aram kalt. »Aber wahrhaftig, Mylord, die Neigungen des Herzens machen uns ebensoviel Schmerz als Lust. Der Zweifel, die Furcht, die Unruhe der Liebe – wahrlich das alles läßt nicht zu, daß die Leidenschaft zum wahren Glück werde. Ein einziger Gedanke scheint mir hinreichend, all ihre Freuden zu verbittern – der Gedanke, daß der geliebte Gegenstand sterben muß. Welch eine Ewigkeit von Angst ruft dieser Gedanke hervor! Der Sturz der Lawine, die uns zerschmettern kann, hängt von einem einzigen Lüftchen ab!«
»Sollte das nicht eine überkünstelte Empfindung sein? Stumpft uns doch die Gewohnheit gegen jeden Wechsel, jede Gefahr, die uns stündlich treffen kann, ab. Hängt die Lawine erst einen Tag über Ihnen, so geb' ich Ihren qualvollen Zustand zu; hat dieselbe aber bereits jahrelang über Ihnen gestanden und ist gleichwohl nicht herabgestürzt, so werden Sie vergessen, daß sie überhaupt stürzen kann; Sie werden essen, schlafen, sich der Liebe hingeben, als ob da nichts wäre!«
»Ha! mein Lord, Sie haben recht, Sie haben sehr recht,« sagte Aram mit bemerkbarer Veränderung der Züge. Seinen Schritt verdoppelnd, trat er neben Lester und der Faden des einleitenden Gesprächs war abgerissen. – Später, auf einem Spaziergange durch die Gärten, den der Graf, der etwas Gartenkünstler war, selbst vorgeschlagen, ergriff dieser eine Gelegenheit, den Gegenstand von neuem aufzunehmen.
»Sie werden mir verzeihen,« bemerkte er, »aber ich kann mich nicht überzeugen, daß der Mensch ohne Gemütsbewegungen glücklicher sein würde, und daß er, um das Leben zu genießen, bloß von sich selbst abhängen müsse.«
»Und doch,« erwiderte Aram, »scheint mir solches eine leicht zu beweisende Wahrheit. Lieben wir, so setzen wir unser Glück in andere. Mit dem Augenblick, wo wir dieses Glück in andere setzen, kommt Ungewißheit über uns; Ungewißheit aber verscheucht jedes Glück. Kinder sind eine Quelle der Angst für ihre Eltern; die Geliebte für den Liebenden. Veränderung, Unfall, Tod bedroht uns in jeder Person, der wir uns anschließen. Jede neue Verbindung eröffnet neue Zugänge für den Schmerz, – aber – wollen Sie mir erwidern – auch für die Freude: – zugegeben! Allein ist im menschlichen Leben nicht mehr Schmerz als Freude? Was erhält die Wage im Gleichgewicht? Was bildet die Angel unseres Glückes – was macht uns dieses Leben teuer, worüber wir sonst nur jammern müßten? – Bloß das passive, aber doch anregende Bewußtsein des Lebens selbst – dieser Sonne und Luft des physischen Daseins. Eben dieses Bewußtsein nun wird durch jede Gemütsbewegung getrübt. Können Sie jedoch seiner Ruhe einen Reiz beifügen, welcher sich nie erschöpft – der durch jeden neuen Erwerb erfrischt, nicht gesättigt wird: dann werden Sie Glückseligkeit hervorgebracht haben. Es giebt nur einen Reiz von so göttlicher Art – den der Ausbildung unseres Geistes. Dies meine Lehre! Untersuchen Sie dieselbe, sie hat nirgends einen Riß. – Wenn,« hob Aram nach einer Pause von neuem an, »wenn ein Mensch dem Schicksal nur in seiner eigenen Person, nicht in andern unterworfen ist, so stählt er sein Gemüt bald gegen jegliche Furcht, bereitet es auf jegliches Ereignis vor. Schon eine geringe Lebens-Philosophie befähigt ihn, körperliche Schmerzen oder die allgemeine Gebrechlichkeit des sterblichen Daseins zu ertragen; mit etwas tieferer Philosophie kann er die gewöhnlichen Wechselfälle des Glückes, die Furcht vor der Schande, die letzte Todesnot überwinden. Aber welche Philosophie könnte ihn je vollkommen trösten über den Undank eines Freundes, das Mißraten eines Kindes, den Tod einer Geliebten? Nur wenn sie allein steht, kann die Seele des Mannes zum Schicksal sagen: ich trotze dir.«
»Sie sind also der Ansicht,« erwiderte der Graf, indem er dem Gespräch halb zögernd eine neue Wendung gab, »daß bloß in der Ausbildung unseres Wissens der Weg zum wahren Glück beruht? Wie muß aber dann selbst das erfolgreichste Streben ewig getäuscht werden! Erzählt uns nicht Boyle von einem Manne, der sein ganzes Leben an das Studium eines einzigen Minerals verwandt hatte, und endlich gestehen mußte, daß er keine einzige seiner Eigenschaften kenne?«
»Wäre der Gegenstand seiner Forschungen er selbst gewesen, und nicht das Mineral, so würde er ein minder unglücklicher Forscher gewesen sein,« sagte Aram lächelnd. »Doch,« fügte er mit ernsterem Tone hinzu, »hängen wir in der That mit schwachem, verkrüppeltem Flügel am großen Himmel der Wahrheit, und oft werden wir auf unserem Wege durch ein furchtbares Gefühl der Unendlichkeit um uns her und des Mißverhältnisses unserer eigenen Kraft erschreckt. Aber im Hauch der reinen, uns widerstrebenden Luft, in dem fortschreitenden Lauf, womit wir die Erde umkreisen, während wir den Sternen näher kommen, liegt eine Wonne, die uns wieder über uns selbst erhöht, und den wahrhaft geistig Strebenden mit allem, selbst dem härtesten, – mit der Überzeugung aussöhnt, wie wenig das, was wir vollbringen, der Größe unseres Strebens je gleichkommt! Wie Sie den Funken auffliegen und bisweilen nicht früher zur Erde fallen sehen, bis er dunkelt und erlöscht, so steigt der helle Geist des Wahrheitsforschers empor, unbekümmert wohin, wenn nur die Richtung nach oben geht, und nicht früher will er zurück zur gemeinen, schweren Scholle, von der er entsprang, bis das Licht, welches ihn aufwärts trug, nicht mehr ist.«