Edward Bulwer
Die letzten Tage von Pompeji
Edward Bulwer

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23.

»Und du hast den Mut, Julia, heute abend die Hexe des Vesuvs, und noch dazu in der Begleitung jenes schrecklichen Mannes, zu besuchen?«

»Glaubst du, Nydia,« erwiderte Julia ängstlich, »daß wirklich etwas zu besorgen sein möchte? – Weshalb sollte ich diese alten Wahrsagerinnen mit ihrem Zauberspiegel und ihren, im Mondschein gepflückten Kräutern fürchten?«

»Fürchtest du aber deinen Begleiter nicht?«

»Den Arbaces? Ich sah, bei der Diana, niemals einen höflicheren Mann als jenen Zauberer, und er würde sogar schön sein, wenn sein Gesicht nicht so braun wäre.«

Wenn Nydia auch blind war, so hatte sie doch Beobachtungsgeist genug, um zu bemerken, daß Julia durch die Galanterien des Arbaces sich gerade nicht werde in Schrecken jagen lassen. Sie riet ihr daher weiter nicht ab, sie nährte vielmehr in ihrem aufgeregten Herzen den Wunsch, zu wissen, ob die Zauberin wirklich imstande sei, die Liebe zu fesseln.

»Laß mich mit dir gehen, edle Julia«, sagte sie endlich. »Meine Anwesenheit gewährt zwar keinen Schutz, aber ich möchte gern dieses Abenteuer mit dir bestehen.«

»Dein Anerbieten gefällt mir sehr«, erwiderte die Tochter des Diomedes. »Aber wie wird es mir möglich sein? Wir können erst spät zurückkehren – man wird dich vermissen.«

»Jone ist nachsichtig«, erwiderte Nydia. »Wenn du mir erlauben willst, unter deinem Dache zu schlafen, so kann ich sagen, daß du, meine frühere Beschützerin und Freundin, mich eingeladen hast, einen Tag bei dir zuzubringen und meine thessalischen Lieder zu singen. Ich will sogleich hingehen, sie wird mir die Bitte gern gewähren.«

Die schöne Pompejanerin erklärte sich einverstanden, und Nydia verabschiedete sich. Unterwegs begegnete sie dem Wagen des Glaukus, dessen mutige und stolze Rosse den Gegenstand allgemeiner Bewunderung bildeten.

»Du blühst ja wie deine eigenen Rosen, meine liebliche Nydia, und wie befindet sich deine schöne Gebieterin?«

»Ich habe sie heute morgen nicht gesehen«, erwiderte Nydia; »aber glaubst du, Jone werde mir erlauben, daß ich den heutigen Tag bei der Julia, der Tochter des Diomedes, zubringe? Sie wünscht es, und war gütig gegen mich, als ich noch wenige Freunde hatte.«

»Die Götter mögen dein dankbares Herz segnen! Ich will für Jones Erlaubnis gutsagen!«

»Darf ich denn auch die Nacht über dort bleiben?« fragte Nydia, indem sie sich durch das Lob beschämt fühlte, welches sie so wenig verdient zu haben sich bewußt war.

»Wie es dir und der schönen Julia gefällt. Grüße sie von mir.«

***

Als der Abend herannahte, stieg Julia in ihre Sänfte, in welcher auch noch Platz für ihre blinde Gefährtin war, und die Sklaven nahmen den Weg nach dem von Arbaces bestimmten Versammlungsort. In der Nähe befand sich eine Villa mit öffentlichen Bädern, wo sie ihre Sänfte niederstellen konnten. Dann gingen sie durch den Garten nach dem kleinen runden Glasplatz, auf dem die Statue des Silenus stand.

»Ich sehe den Zauberer nicht«, sagte Julia, indem sie sich umsah. Doch kaum hatte sie diese Worte gesprochen, so trat der Ägypter in seinem weiten Gewande langsam aus dem Gebüsch. »Salve, süßes Mädchen! Doch wen hast du bei dir? Wir dürfen keine Begleitung haben.«

»Es ist nur das blinde Blumenmädchen, weiser Zauberer«, erwiderte Julia. »Sie ist eine Thessalierin.«

»Oh, Nydia,« entgegnete der Ägypter, »ich kenne sie ganz gut. Aber die Hexe sieht nicht gerne mehrere Gäste zugleich bei sich. Lasse Nydia hier, bis wir zurückkommen, sie kann uns nichts nützen. Und, was den Schutz betrifft, so genügt deine Schönheit – deine Schönheit und dein Rang. Ja, Julia, ich kenne deinen Namen und deinen Stand. Komm, vertraue dich mir an, schöne Nebenbuhlerin der jüngsten aller Najaden!«

Der eitlen Julia gefielen die Schmeicheleien des Arbaces, und sie willigte bald ein, Nydia bis zu ihrer Rückkehr dort warten zu lassen. Auch drang diese sich keineswegs auf, denn die Stimme des Ägypters hatte wieder schreckliche Erinnerungen in ihr erweckt, die nur Neugierde und Eifersucht für einen Augenblick betäuben konnten. Sie fühlte sich erleichtert, als sie hörte, daß sie nicht mitgehen werde.

Sie kehrte nach dem Bade zurück und wartete in einem der Zimmer bange Zeit auf die Rückkehr der Pompejanerin. Endlich aber wurde die Tür des Zimmers leise geöffnet.

»Oh, Dank sei den unsterblichen Göttern!« sagte Julia. »Ich bin zurückgekehrt, ich habe jene schreckliche Höhle verlassen. Komm, Nydia, laß uns gleich wieder fort!«

Erst als sie in der Sänfte saßen, sprach Julia weiter: »Ach,« sagte sie zitternd, »was für eine Szene habe ich erlebt! Und diese schrecklichen Zaubersprüche und das Leichengesicht der Hexe! Aber still davon! Ich habe den Trunk erhalten, sie verbürgt mir seine Wirkung. Meine Nebenbuhlerin wird ihm bald gleichgültig sein – und mich – mich allein wird Glaukus anbeten!«

»Glaukus!« rief Nydia verwundert aus.

»Ach, Mädchen, ich sagte dir zuerst, daß ich nicht den Athener liebe, aber ich sehe jetzt, daß ich mich dir vollkommen anvertrauen kann. Ich liebe allerdings den schönen Griechen!«

Welche Gefühle bewegten jetzt das Herz der Nydia. Sie hatte dazu beigetragen, Glaukus von Jone zu entfernen, aber nur, um durch die ganze Macht der Zauberei seine Liebe auf eine andere zu übertragen. Nur mit Mühe gelang es ihr, die in ihr wogende Leidenschaft zu bewältigen. In der Finsternis konnte übrigens Julia nichts von der Aufregung ihrer Gefährtin bemerken. Die schöne Pompejanerin schwatzte nur über die versprochene Wirkung ihres Liebestrankes, sie frohlockte schon zum voraus über die Demütigung der Jone. Dann sprach sie wieder von den Schrecknissen der Szene, welche sie verlassen hatte, von dem ruhigen, festen Benehmen des Arbaces und der Ehrfurcht, welche die furchtbare Alte ihm erwiesen habe.

Nydia war wieder zu sich gekommen. Es stieg ein Gedanke in ihr auf, sie schlief in dem Zimmer der Julia, konnte sie sich des Trankes nicht bemächtigen?

Sie kamen in Diomedes Hause an und begaben sich in Julias Zimmer, wo das Abendessen sie erwartete.

»Trinke, Nydia, es war kühl heute abend. Mir ist das Blut noch in den Adern erstarrt.«

Und Julia stürzte große Becher des gewürzten Weins hinunter.

»Du hast den Trank«, sagte Nydia. »Laß doch sehen, wie klein das Fläschchen ist! Welche Farbe hat die Flüssigkeit?«

»Klar wie Kristall«, erwiderte Julia, indem sie das Fläschchen zurücknahm. »Man kann es von reinem Wasser nicht unterscheiden. Die Hexe versichert, es sei auch geschmacklos. Wenn es auch nur wenig ist, so genügt es doch, um die Treue des Geliebten für ewig zu fesseln. Es muß in eine andere Flüssigkeit geschüttet werden, und Glaukus kann bloß durch die Wirkung ahnen, was er verschluckt hat.«

»Also unterscheidet es sich durchaus nicht von diesem Wasser?«

»Nein, es ist ebenso farblos. Sieh, wie klar, als wenn es aus den Strahlen des Mondes bereitet wäre.«

»Und wie ist das Fläschchen verschlossen?«

»Nur durch einen kleinen Stöpsel – ziehe ihn fort – es ist ganz geruchlos. Seltsam, daß, was zu keinem Sinne spricht, alle Sinne beherrschen soll.«

»Ist die Wirkung augenblicklich?«

»Gewöhnlich – bisweilen wirkt es aber erst nach einigen Stunden.«

»Oh, welcher herrliche Wohlgeruch!« sagte Nydia plötzlich, indem sie ein kleines Fläschchen vom Tische nahm und daran roch.

»Gefällt es dir? Das Fläschchen ist mit Edelsteinen von einigem Wert besetzt. Du wolltest heute morgen das Armband nicht von mir annehmen, wirst du dieses Fläschchen auch ausschlagen?«

»Solche Wohlgerüche, wie diese, müssen es sein, welche eine Blinde an die großmütige Julia erinnern könnten. Wenn das Fläschchen nur nicht zu kostbar ist.«

»Oh, ich habe noch viel kostbarere. Behalte es, Kind!«

Nydia bedankte sich und steckte das Fläschchen in ihren Gürtel.

»Und wird der Liebestrank dieselbe Wirkung haben, von wem er auch beigebracht wird?«

»Wenn das häßlichste, alte Weib unter der Sonne ihn Glaukus gäbe, so würde er sie und keine andere für schön halten.«

Julia wurde jetzt, durch den Wein erhitzt, immer munterer und ausgelassener. Sie lachte laut und sprach über hundert verschiedene Gegenstände, und es war schon nach Mitternacht, als sie ihre Sklavinnen rief und sich auskleiden ließ. Als diese wieder entlassen waren, sagte sie zu Nydia: »Ich will diesen heiligen Trank nicht von mir lassen, bis die Stunde meines Triumphes kommt. Liege hier unter meinem Kopfkissen, glänzender Geist, und gewähre mir glückliche Träume!«

Mit diesen Worten legte sie das Fläschchen unter ihr Kissen. Nydias Herz klopfte gewaltig.

»Weshalb trinkst du bloß Wasser, Nydia? Mische es doch mit Wein.«

»Ich habe etwas Fieber«, antwortete die Blinde. »Das Wasser tut mir wohl. Darum will ich auch diese Wasserflasche neben mein Bett stellen, damit ich mich erfrischen kann, wenn der Schlaf mich fliehen sollte. Schöne Julia, ich muß dich sehr früh verlassen, so will es Jone. Gestatte daher, daß ich mich jetzt schon verabschiede und dir alles Glück wünsche!«

»Vielen Dank! – Wenn wir uns wiedersehen, wirst du Glaukus zu meinen Füßen finden.«

Sie legten sich nieder, und Julia, durch die Anstrengungen des Tages ermüdet, schlief bald ein. Nicht so aber Nydia. Sorgsam lauschte sie auf das Atmen der Julia, bis ihr feines Ohr sie überzeugte, daß sie im tiefsten Schlafe liege.

»Jetzt stehe mir bei, Venus!« sagte sie leise.

Vorsichtig erhob sie sich aus dem Bett, nahm das Fläschchen, das Julia ihr verehrt hatte, und goß die darin befindliche wohlriechende Flüssigkeit auf den Marmorboden. Sie spülte es sorgfältig mehrere Male mit dem neben ihr stehenden Wasser aus, schlich sich an das Bett der Julia, griff mit zitternder Hand unter das Kopfkissen, und bemächtigte sich des Hexentrankes. Julia bewegte sich nicht, ihr Atem blieb regelmäßig und ungestört. Nydia eröffnete darauf das Fläschchen, goß dessen Inhalt in das ihrige, welches ihn bequem faßte, und indem sie jenes mit klarem Wasser wieder füllte, legte sie es sachte auf seine frühere Stelle. Darauf schlich sie sich wieder zu ihrem Bette und erwartete mit großer Ungeduld den Anbruch des Tages.

Als die Sonne aufging, kleidete sich Nydia, während Julia noch in tiefem Schlummer lag, still an. Sie verbarg ihren Schatz sorgfältig in ihrem Gürtel, nahm ihren Stab und beeilte sich, das Haus zu verlassen.

Der Türsteher Medon grüßte sie freundlich, als sie die Treppe hinabstieg, welche nach der Straße führte. Sie hörte ihn nicht. Ihr Gemüt war verwirrt und abwesend, und jeder Gedanke, den sie erfaßte, war eine Leidenschaft. Sie fühlte die frische Morgenluft auf ihren Wangen, ohne daß die schlagenden Pulse Kühlung empfunden hätten.

»Glaukus,« sprach sie zu sich selbst, »auch die unwiderstehlichsten Liebeszauber könnten meine Liebe zu dir nicht erhöhen. Aber um deine Liebe, o Glaukus, handelt es sich. Dein Lächeln bestimmt mein Schicksal und dein Los. Oh, diese Hoffnung, diese Freude, dieses Entzücken! Dein Los ist in meinen Händen!«


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